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Full text of "Geschichte der Augenheilkunde"

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THE  LIBRARY 

OF 

THE  UNIVERSITY 

OF  CALIFORNIA 

LOS  ANGELES 


GIFT  OK 

Howard  H.    Stone,   M.D. 


^^  \  Preis  M.  20. 


'    '    */,  HANDBUCH  DEE 

GESAMTEN  AUGENHEILKUNDE 

BEGRÜNDET  VON  A.  GRAEFE  UND  TH.  SAEMISCH 

FORTGEFÜHRT  VON  C.  HESS 

HERAUSGEGEBEN  UNTER  MITARBEIT  VON 

C.ADAM-Berlin,  K-BEHR-Kiel,  ST.BERNHEIMER-Wien,  A.BIELSCHOWS- 
KY-Mabburg,  A.  BIRCH-HIRSCHFELD-Königsberg  i.Pr.,  A.  BRÜCKNER- 
Berlin,  A.  FICK- Zürich,  S.  GARTEN -Leipzig,  R.  GREEFF- Berlin^ 
A.  GROENOUW-Breslau,  E.  HERING-Leipzig,  E.  HERTEL-Strassbürg, 
C.  VON  HESS-MÜNCHEN,  E.  von  HIPPEL-Güttingen,  J.  HIRSCIIBERG-Berlin, 
F.  HOFMANN-Marburg  a.l.,  E.  KALLIUS-Greifswald,  J.  KÖLLNER-Würz- 
BURG,  E.  KRÜCKMANN-Berlin,  E.  LANDOLT-Paris,  E.  LANGENHAN-Han- 
NOVER,  H.LAUBER-Wien,  TH.LEBER-HEiDELBERGf,  F.MERKEL-Göttingen, 
J.W.  NORDENSON-Upsala,  M.  NUSSBAUM-Bonn+,  E.  H.  OPPENHEIMER- 
Beblin,  A.  PETERS-Rüstock,  A.  PÜTTER-Bonn,  M.  von  ROHR-Jena, 
H.  SATTLER-Leipzig,  G  H.  SATTLER-Kö.mgsberg  i.  Pr.,  G.vonSCHLEICH- 
TüBiNGEN,  H.SCHMIDT-RIMPLER-Halle  A/s.i,  L.  SCHREIBER-Heidelberg, 
0.  SCHULTZE-Würzburg,  R.  SEEFELDER-Leipzig,  W.  STOGK-Jena, 
A.  VON  SZILY-Freiburg,  W.  UHTHOFF- Breslau,  HANS  VIRCHOW-Berlin, 
A.WAGENxMANN- Heidelberg,  K.  WESSELY- Würzburg,    M.  WOLFRUM- 

LEirzin 

VON 

TH.  AXENFELD  und   A.  ELSCHMG 

ZWEITE,  NEÜBEARBEITETE  AUFLAGE 
274.  bis  283.  Lieferung: 

IL  Teil,  XXIII.  Kapitel,  XIV.  Band,  7.  Abt. 

Geschichte  der  Augenheilkunde  VIII  vou  J.  Hirschberg,  Professor  in  Berlin 

Drittes  Buch,  13.  bis  23.  Abschnitt 

Bogen  1—26,  nebst  Titel,  Inhalt  und  Bandtitel  XIV,  5.— 7.  Abt. 

Mit  47  Figuren  im  Text  und  1  Tafel 


BERLIN 

VERLAG  VON  JULIUS  SPRINGER 
1918 


Erscheinungsweise  und  Einteilung. 

Die   zweite  Auflage    erscheint  in   Lieferungen   und   in   Bänden.     Der  Preis 
jeder  Lieferung  beträgt  bei   einem  Umfang  von  3—4  Bogen  oder  einer  ent- 
spreclienden  Anzahl  von  Tafeln  M.  2.—.     Um  ein  schnelles  Erscheinen  zu  er-  , 
möglichen,  wird  mit  dem  Druck  der  einzelnen  Kapitel,  gleichviel  welchem  ! 
Bande  sie  angehören,  sofort  nach  Einlieferung  des  Manuskripts  begonnen.  ; 
Die  dritte  Auflage  erscheint  nur  in  Kapiteln. 

Die  Kapitel  sind  unter  die  Mitarbeiter  wie  folgt  verteilt: 

Erster  Teil.    Anatomie  und  Physiologie. 

Band  I,  I.Abteilung.     (Vergriffen.) 

Kap  I-  Makroskopische  Anatomie  des  Auges.   Prof.  MerfcW  in  Göttingen  und  Prof.  Kallius 

'  in  Greifswald.    (Lieferung  29/31  [Schluß].) 
II-  Mikroskopische  Anatomie  der  äußeren  Augenhaut  und  des  Lidapparates.   Prof. 
"  Hans  Virchow  in  Berlin.    (Lieferung  103/104,  126/127,  184/187  [Schluß].) 
Anhang:  Verhalten  der  Kammerbucht  bis  zur  Geburt.  Prof./?.  Seefelder  inliti^^xig. 
(Lieferung  195  [Schluß].) 

Band  I,  2.  Abteilung. 

III:  Mikroskopische  Anatomie  des  Uvealtractus  und  des  Glaskörpers.  Prof.  Wolfrum 

in  Leipzig. 
IV:  Mikroskopische  Anatomie  der   Linse  und  des  Strahlenbändchens.    Prof.  Oscar 

Schnitze  in  Würzburg.    {Lieferung  17  [Schluß].) 
V-  Mikroskopische  Anatomie   des   Sehnerven    und   der    Netzhaut.     Prof.  Greeff  in 
"  Berlin.    (Lieferung  17,  20/22  [Schluß].) 

VI:  Die  Wurzelgebiete  der  Augennerven,  ihre  Verbindungen   und  ihr  Anschluß  an 

die  Gehirnrinde.    Prof.  Bernheimer  in  Innsbruck.    (Lieferung  15/16  [Schluß].) 
VII:  Mikroskopische  Anatomie  und   Physiologie    der    Tränenorgane.     Prof.  Schirmer. 
(Lieferung  75/76  [Schluß].) 

Band  II,  I.Abteilung.     (Vergriffen.) 

,        VIII:  Entwicklungsgeschichte    des    menschlichen   Auges.     Prof.   Nussbaum   in    Bonn, 

(Lieferung  14/15  [Schluß].)     (In  3.  Auflage  erschienen,  s.  dort.) 
,  IX:  Die  Mißbildungen  undangeborenen  Fehler  des  Auges.  Fiof .von  Hippelin  Göttingen. 

(Lieferung  18/19  [Schluß].) 
,  X:  Organologie  des  Auges.    Prof.  Pütter  in   Göttingen.    (Lieferang  162/166  [Schluß].) 

(In  3.  Auflage  erschienen,  s.  dort.) 

Band  II,  2.  Abteilung.     (Vergriffen.) 

XI:  Die  Zirkulations-  und  Ernährungsverhältnisse  des  Auges.    Prof.  Leber  in  Heidel- 
berg.    (Lieferung  52/58  [Schluß].) 

Band  III. 

„  XII:  Physiologische  Optik  (Lichtsinn,  Farbensinn).  Prof.  Hering  in  Leipzig.  (Bit  jttzt 
erschienen:  Lieferung  101,  115,  212.)  Anhang:  Die  Veränderungen  der  Netzhaut 
durch  Licht.    Prof.  Garten  in  Gießen.    (Lieferung  119/121,  128/129  [Schluß].) 

„       Xlir.  Physiologische  Optik  (Raumsinn).    Prof.  Hofmann  in  Königsberg. 

„  XIV:  Technik  der  histologischen  Untersuchung  des  Auges  im  normalen  und  patholo- 
gischen Zustand.    Prof.  L.  Schreiber  in  Heidelberg. 

Zweiter  Teil.    Pathologie  und  Therapie. 

Band  IV,  I.Abteilung.     (Vergriffen.) 

,  I:  Die    Untersuchungsmethoden.     Dr.  Landolt    in    Paris.     Anhang:    Semiologie    der 

Pupillarbewegung.  Dr.  Heddaeus  in  Eisenach.  (Lieferung  50/51,  59/60,  63/66,  72/74 
[Schluß].)   (3.  Auflage  im  Druck.) 

Band  IV,  2.  Abteilung. 

,  II:  Operationslehre.    Erscheint  1918/19  in  2  Bänden,  bearbeitet  von  Th.  Axenfeld,  A.Birch- 

Hirschfeld,  R.  Cords,  A.  Elschnig,  B.  Fleischer,  E.  Franke,  K.  Granert,  0.  Haab,  L.  Heine, 
J.  van  der  Hoeve,  J.  Igersheimer,  J.  Köllner,  H.  Kuhnt,  R.  Kiimmell,  G.  Lenz,  W.  Löhlein, 
H.  Pagenstecher,  C.  F.  Sattler,  K.  Stargard,  K.  Wessely. 

„  III:  Augenärztliche   Heilmittel.    Frof.  Snellen  jr.   in   Utrecht.    (Lieferung  100  [Schluß].) 

Nachtrag  I.    Die    nicht   medikamentöse  Therapie   der  Augenkrankheiten.    Prof. 

Hertel  in  Straßburg.    (Lieferung  176/177.) 

Nachtragll:  Abriß  der  Brillenkunde.  Dr.  OppenAeimerinBerlin.  (Lieferang  102  [Schluß].} 
Nachtrag  III:  Ophthalmopharmakologie.  Dr.  Robert  Salus  und  Prof.  Dr.  W.  Wieehowsky 
in  Prag. 

Band  V,  1.  Abteilung,  1.  Teil.    (Vergriffen.) 

,        IV:   Krankheiten  der  Conjunctiva.  iProf.Saemisch  in'Bonn.(Lieferung 77/80,  S4/90 [Schluß].) 

Band  V,  I.  Abteilung,  2.  Teil. 

y,  IV:  Krankheiten  der  Cornea  und  Sklera.  fProf.  Saemisch  in  Bonn  und  Prof.  Aartl 
V.  Szily  in  Freiburg  i.  Br. 

Band  V,  2.  Abteilung.    (Vergriffen.) 

,  V:   Krankheiten  der  Augenlider.  tProf.  von  Mj'cftW  in  Berlin.  {Lieferang  148/159  [Schluß].) 

Fortsetzung  auf  der  dritten  Seite  des  Umschlags 


// 


HANDBUCH 


DER 


GESAMTEN  AUGENHEILKUNDE 

ZWEITE,  NEÜBEARBEITETE  AUELAGE 

VIERZEHNTER  BAND 

FÜNFTE  BIS  SIEBENTE  ABTEILimG 


/ 


HANDBUCH  DEK 

GESAMTEN  ÄÜGEKHEILKÜBDE 

BEGRÜNDET  VON  A.  GKAEFE  UND  TH.  SAEMISCH 

FORTGEFÜHRT  VON  C.  HESS 

HERAUSGEGEBEN  UNTER  MITARBEIT  VON 

C.ADAM-Berlin,  K.BEHR-Kiel,  ST.  BERNHEIMER-Wien,  A.BIELSCHOWS- 
KY-Marburg,  A.  BIRCH-HIBSCHFELD-Königsberg  i.Pr.,  A.  BBÜCKNEB- 
Berli.n,  A.  FICK- Zürich,  S.  GARTEN -Leipzig,  R.  GREEFF- Berlin, 
A.  GROENOUVV- Breslau,  E.  HERING-Leipzig,  E.  HERTEL-Strassburg, 
C.  VON  HESS-MüNGHEN,  E.  VON  HIPPEL-GöTTiNGEN,  J.  HIRSCHBERG-Berlin. 
F.  HOFMANN-Marburg  a.l.,  E.  KALLIUS-Greifswald,  J.  KÖLLNER-Würz- 
BURG,  E.  KRÜCKMANN-Berlin,  E.  LANDOLT-Paris,  E.  LANGENHAN-Han- 

NOVER,  H.LAUBER-WiEN,  TH.LEBER-HEIDELBERGi,  F.  MERKEL-GÖTTINGEN, 

.1.  W.  NORDENSON-Upsala,  M.  NUSSBAUM-BoNNf,  E.  H.  OPPENHEIMER- 
15ERLIN,  A.  PETERS-RosTOCK,  A.  PÜTTER-Bonn,  M.  von  ROHR-Jena, 
H.  SATTLER-Leipzig.  C.  H.  SATTLER-Künigsberg  i.  Pr.,  G.vonSCHLEIGH- 
Tübingen.  H.SCHMIDT-RIMPLER-HALLEA/s.f.  L.  SCHREI BEB-Heidelberg, 
0.  SCHULTZE -Würzbürg,  R.  SEEFELDER-Leipzig,  W.  STOCK-Jena, 
A.  VON  SZILY-Freiburg,  W.  UHTHOFF- Breslau,  HANS  VIRCHOW-Berlin, 
A.  WAGENMANN-Heidelberg,  K.  WESSELY-Würzburg,   M.  WOLFRUM- 

Leipzig 

VON 

TH.  AXENFELD  und   A.  ELSCHNIG 


ZWEITE,  NEÜBEARBEITETE  AUFLAGE 

VIEßZEHXTEß  BAND 

Fünfte  bis  siebente  Abteilung 

J.  HIRSCHBERG,  GESCHICHTE  DER  AUGENHEILKUNDE  VllmVIfl 

DRITTES  BUCH,  11.  BIS  23.  ABSCHNITT 
MIT  85   FIGUREN  IM  TEXT  UND  2  TAFELN 


BERLIN 

VERLAG  VON  JULIUS  SPRINGER 
1915—1918 


INHALTSVERZEICHNIS 

^Italiens  Augenärzte 1800  bis  1850 

^  Amerikas  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert 
Die  Augenärzte  der  Schweiz  .  .  1800  bis  1875 
Die  Augenärzte  Belgiens  ....  1800  bis  1875 
Niederländische  Augenärzte  .  .  .  1800  bis  1875 
Die  Skandinavischen  Augenärzte,  1800  bis  1875 
Die  Augenärzte  Rußlands .  .  .  .1800  bis  1875 
Polnische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert 
Die  Augenärzte  in  der  Iberischen  und  der  Balkan- 
Halbinsel,  sowie  in  den  Außereuropäischen  Län- 
dern  während   des   Neunzehnten  Jahrhunderts. 


Alle  Rechte,  insbesondere  das  der  Übersetzung,  vorbehalten. 
Copyright  by  Julius  Springer,  1918. 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 

Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 

Von 

J.  Hirschberg, 

Professor  in  Berlin. 
Mit  5  Figuren  im  Text. 


Eingegangen  im  August  1915. 

Drittes  Buch. 

Dreizeliuter  Abschnitt. 
Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800  bis  1875. 

§  769.    Einleitung. 

Das  wissenschaftliche  Leben  und  Schaffen  ist  weniger  nach  staatlichen 
Einheiten,  als  nach  Sprachgebieten  abgegrenzt. 

So  war  während  des  uns  beschäftigenden  Zeitraums  von  1800 — 18751) 
die  deutsche  Schweiz  in  innigerem  Verkehr  mit  Deutschland,  die  fran- 
zösische mit  Frankreich,  erstlich  schon  durch  den  natürlichen  Aus- 
tausch von  Professoren  und  Studenten,  sodann  durch  Betheiligung  an  der 
Literatur  des  bezüglichen  Nachbar-Landes. 

Die  Universität  zu  Basel. 
Die   deutsche  Schweiz  hat  nur  eine  alte  Universität,   die  zu  Basel, 
welche  1460  gegründet  wurde,   also  41   Jahre   zuvor,   ehe  die  »Freistadt« 
des  deutschen  Reiches  als  neunter  Ort  in  die  Schweizer  Eidgenossenschaft 
aufgenommen  wurde. 


1)  Gelegentlich  werden  wir  auch  hier,  wie  in  früheren  Abschnitten,  die  Grenze 
überschreiten,  wenn  es  zur  Vervollständigung  des  Bildes  nothwendig  erscheint. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VII.)    XXIII.  Kap.  /[ 


2  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800—1875. 

Die  zweite  Hälfte  des  1  6.  Jahrhunderts  war  die  Zeit  der  grüßten  Blüthe 
für  die  Universität;  da  wirkten  in  der  medizinischen  Fakultät  Theodor 
Zwinger,  ferner  Felix  PlaterI),  Kaspar  Bauhin. 

Im  16.  Jahrhundert  wurden  zu  Basel  von  Werken  griechischer 
Ärzte  verschiedene  Ausgaben  gedruckt,  was  zur  Neubelebung  der  ärztlichen 
Studien  wesentlich  beigetragen  hat 2). 

Im  \  8.  Jahrhundert  bringen  die  Leistungen  der  Mathematiker  Bernouilli 
und  Euler  3j   der  Universität  neue  Lorbeeren. 

Von  den  Folgen  der  französischen  Revolution  und  der  Theilung  des 
Kanton  Basel  (1833)  ist  sie  zwar  empfindlich  getroffen  worden,  hat  sich 
aber  seit  zwei  Menschenaltern  wieder  merklich  gehoben  und  1910  mit 
Glanz  das  Jubiläum  des  450jährigen  Bestehens  gefeierf*). 


Der  augenärztliche  Unterricht  an  der  Universität  zu  Basel. 

Herr  Prof.  Albrecht  Burckhardt,  Vorsteher  des  hygienischen  Instituts  der 
Universität  Basel,  der  z.  Z.  eine  Geschichte  der  medizinischen  Fakultät  zu  Basel 
schreibt,  hat  mir  am  30.  August  1912  durch  den  Kollegen  Mellinger^)  die 
folgenden  Nachrichten  zugesendet: 

Aus  den  Lektionskatalogen  der  med.  Fakultät  zu  Basel. 

Vorlesungen  über  Augenheilkunde  (Augenkrankheiten,  Augen-Ope- 
rationen) werden  zum  ersten  Male  angekündigt  im  Jahre  1823.  (Prof. 
C.  G.  Jung  "^  und  2  Privatdocenten.)  Von  dieser  Zeit  an  erscheinen  sie  alle 
Paar  Semester  (von  verschiedenen  Professoren  und  Docenten,  z.  B.  C.  Streck- 
eisen und  August  Burckhardt  und  J.  Hoppe''). 

Ganz  regelmäßig  erst  seit  1863.  (IL  Scuiess.) 
Augenpoliklinik:    Zum  ersten   Male   und   nur  vorübergehend  1854. 

(J.  Hoppe.)     Häufiger  und  dann  regelmäßig  erst  von  1865.   (IL  Schiess.) 
Augenklinik:  Zum  ersten  Male  1867.  (H.  Schiess.) 
Kurse    (Untersuchungen   und   Operationen):    Zum    ersten   Male  1863. 

(H.  Schiess.) 

Der  erste  Augen-Spezialist  in  Basel  war  also  H.  Schiess. 
Vorher  wurden  Augenkrankheiten  von  allen  Ärzten  behandelt. 


1)  §  307   (B.  XIII),   S.  295. 

2)  Vgl.  §  86  U.   §  87,   S.  146  U.   S.  147   (B.  XU. 

3)  §  452,   S.  392   (B.  XIV,  I). 

4)  Vgl.  Minerva,  H.  d.  gelehrt.  W.  1911,  I,  S.  147. 

5)  Beiden  bin  ich  zu  besondrem  Dank  verpflichtet. 

6)  (1793—1864),  stammte  aus  Mannheim,  war  seit  1824  Prof.  der  Anatomie 
zu  Basel.     (Biogr.  Lex.  III,  427.) 

7)  1811  zu  Großbartloff,  Reg.-Bezirk  Erfurt,  geboren,  studirte  zu  Berlin  Philo- 
sophie und  Medizin,  war  preuß.  Militär-Arzt,  ging  1852  als  a.  o.  Prof.  nach  Basel. 
(Biogr.  Lex.  III,  273.) 


Basel.     H.  Schiess.  3 

Als  Operateure  waren  mein  Großvater  und  Vater  weitherum  ge- 
sucht. 

I.  JoH.  Rudolf  Burckhardt,  geb.  1774,  gestorben  1829,  seit  1804 
Prof.   der  Medizin,  als  Star-Operateur  bekannt. 

i.  AuciusT  BuiiCKHAUDT,  geb.  1809,  gestorben  1894.  Docent  von  1838 
bis  1 808  (mit  Unterbrechung).  Er  hatte  sich  in  Berlin  (unter  Graefk  d.  V.) 
und  in  Paris  (unter  Demouiis  in  Augen-Operationen  geübt  und  hatte  (von 
1833 — 1860)  viele  Slar- und  Schiel-Operationen  zu  machen.  1853  demon- 
strirte  er  in  der  Xaturforschenden  Gesellschaft  den  Augenspiegel '). 

Ein  eigentlicher  Lehrauftrag  für  Augenheilkunde  ist  bis  jetzt  noch  nicht 
ertheilt  worden.  Doch  wird  seit  1867  Augenklinik  und  Augenspiegel-Kurs  ab- 
gehalten, auch  theoretische  Augenheilkunde  gelesen.  Der  erste  Lehrer  war  Prof. 
Heixhigh  Schiess-Gemuseus  (geb.  1833),  1867  a.  0.,  1876  o.  Professor.  lin 
Jahre  1896  trat  er  in  Ruhestand.  Sein  Nachfolger  ist  Prof.  Karl  Mellinger, 
dessen  Arbeilen  über  die  Wirkung  unter  die  Bindebaut  gespritzter  Kochsalz- 
lösungen (1896),  über  die  Behandlung  der  Aderhaut-Enlzündung  an  der  Macula 
(1898),  über  schädliche  Wirkung  des  Cocain,  über  einen  neuen  Lid-Sperrer 
(1899),  über  den  Innenpol-Magneten  (1908)  u.a.  bereits  den  Anfang  des 
20.  Jahrhunderts  erreicben  und  überschreiten. 

Die  Augen-Ilcilanstait  Basel-)  erhält  eine  staatliche  Unterstützung  für  die  kli- 
nischen Vorlesungen, 

§  770.  Heinrich  Schiess-Gemlseus, 

geb.  am  3.  Januar   1833  zu  Heiden,  Kanton  Appenzell; 

gest.  in  s.  Hause  zu  Grabs,  Kanton  St.  Gallen 3). 

Heinrich  Schiess  erhielt  seine  Vorbildung  auf  dem  Gymnasium  in 
St.  Gallen  und  studirte  Heilkunde  an  den  Universitäten  zu  Basel  und  zu 
Würzburg.  Im  Jahre  1856  bestand  er  die  kantonale  Arzt-Prüfung  und 
erhielt  die  Doktor-Würde  zu  Basel. 

Zuerst  praklicirte  er  als  Arzt  in  St.  Gallen.  Aber  der  Drang  zu  wei- 
terer Forlbildung  brachte  ihn  1858  nach  Berlin.  Dort  führten  ihn  seine 
Landsleute  und  Freunde  Hor>er  und  Baekziger  bei  Albrecht  v.  Graefe  ein, 
dem  er  mit  Begeisterung  sich  anschloß. 

Hierauf  kehrte  er  heim  und  ließ  sich  als  Arzt  in  Reuten,  nahe  bei 
Heiden,  nieder. 

Da  Albrecht  v.  Graefe  seine  Sommer-Erholungszeit  in  Heiden  zuzu- 
bringen pflegte,   hier  aber  von  vielen  Kranken  aufgesucht  wurde;   so  war 


4)  Vgl.  §  781. 

2)  Um  1836   war   die  Einwohner-Zahl  des  Kantons   60  000;   der  Stadt  17  000 
Um  1900  waren  die  Zahlen  181500,  bezw.  112  800. 

3)  Biogr.  Lex.  V,  222.  Pagel's  biogr.  Lex.  S.  1496.  Karl  Mellingeb,  Klin. 
Monatsbl.  1913,  Januar.  J.  Hirschberg,  Centralblatt  für  jjraktische  Augenheil- 
kunde 1915,  Februar. 

Meine  eigene  Darstellung  habe  ich  zu  Grunde  gelegt. 

1* 


4  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  ISOO — 1875. 

es  sehr  natürlich  und  für  Heinrich  Scbiess  sehr  fürdersam,  daß  sein 
großer  Lehrer  ihn  zur  Unterstützung  in  der  Behandlung  der  Kranken  her- 
anzog. 

So  wurde  er  mehr  und  mehr  für  das  Sonderfach  begeistert,  folgte 
1861  dem  Rathe  Graefe's,  der  Augenheilkunde  seine  ganze  Kraft  zu  wid- 
men, und  ließ  sich  als  Augenarzt  in  Basel  nieder. 


Fi":,  i. 


Prof.  Dr.  med.  Schiess. 


Im  Jahre  1 863  habilitirte  er  sich  hier  als  Privat-Docent  für  Augen- 
Heilkunde.  Die  Habilitation  erfolgte  spät,  im  30.  Lebensjahr;  aber  die  Pro- 
fessur ließ  nicht  lange  auf  sich  warten,  da  vor  dem  Auftreten  von  Schiess 
ein  regelmäßiger  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  an  der  Universität  Basel 
nicht  ertheilt  worden  war. 

Im  Jahre  1867  wurde  H.  Schiess  a.  o.,  1876  o.  ü.  Professor  der  Augen- 
heilkunde und  Direktor  der  Augenklinik. 


H.  Schiess.  5 

Mit  der  letzten  halle  es  eine  eigene  Bewandlnis.  ScniESs  hat  sie  ge- 
gründet, 1864,  in  einer  Miethswohnung,  mit  nur  8  Betten,  und  so  den 
Kanton  Basel  mit  der  ersten  Augen-Heilanstalt  beschenkt.  Ganz  allmäh- 
lich ist  sie  gewachsen,  durch  die  unermüdliche  Thalkraft  des  Leiters. 

In  Übereinstimmung  mit  der  Spitals-Behürdo  und  mit  der  Universität 
konnte  1877  der  Neubau  mit  48  Betten  liezogen  werden;  aber  es  bestand 
eine  Schuldenlast  von  75  000  Franken,  die  erst  1887  getilgt  war.  Dies  ent- 
nehme ich  dem  188*.),  anläßlich  des  25jährigen  Bestehens,  verülTenllichten 
Jubiläums-Bericht. 

Derselbe  giebt  zuerst  die  Geschichte  der  Anstalt  und  eine  Übersicht 
über  das  Wachsthum.  (1878:  B.  Kr.  402,  A.  Kr.  1282.  1888:  B.  Kr.  540, 
A.  Kr.  2162.)  Sodann  folgt  eine  Übersicht  über  1100  Star-Ausziehungen 
von  1865 — 1888.  In  den  einzelnen  Hunderten  war  die  Zahl  der  Fälle 
von  Pantophthalmie  6,  6,  5,  3,  4,  2,  2,  1,  2,  0,  0;  von  schleichender  Ent- 
zündung 13,  5,  4,  15,  ^2,  8,  2,  8,  4,  0,  2;  der  guten  Erfolge  (Prozent- 
Zahlen)  80,  84,  90,  87,  82,  8Ö,  96,  91,  92,  98,  91.  Fürwahr  eine  ein- 
fache Darlegung  redlicher  Arbeil  im  Dienste  der  Menschheit.  Schiess  war 
einer  der  ersten,  der  Anlisepsie  bei  Augen-Operationen  anwandte.  (Klin. 
Monatsbl.  1874,  S.  435.)  Den  Schluß  des  Jubiläums-Berichtes  machte  eine 
Abhandlung  des  damaligen  Assistenten  und  späteren  Professors  und  Nach- 
folgers von  Schiess,  Dr.  Karl  Mellinger,  über  das  Auftreten  von  Augen- 
krankheiten in  bezug  auf  Alter  und  Geschlecht,  in  Basel  sowie  in  der 
übrigen  Schweiz. 

Sein  Lehramt  hat  Schiess  mit  großem  Erfolge  ein  ganzes  Menschen- 
Aller  hindurch,  von  1863 — 1896  verwaltet:  dann  trat  er  in  den  Ruhestand. 
Seine  wissenschaftliche  Thätigkeit  umfaßt  den  Zeitraum  von  1863 — 1912, 
also  nahezu  ein  Halbjahrhundert. 

Schiess  war  eine  starke  Natur,  ein  fester  Charakter,  allem  Schein- 
wesen abhold,  nur  der  Wahrheit  zugänglich. 

Freude  an  den  Schönheilen  der  Natur  machten  ihn  zu  einem  eifrigen 
Bergsteiger,  (befähigten  ihn  auQh,  über  Verhütung  der  Schneeblindheit  [12] 
aus  eigener  Erfahrung  zu  schreiben,)  und  führten  ihn  zu  großen  Reisen 
nach  dem  Norden  und  nach  dem  Süden.  Er  war  auch  Kunstliebhaber  und 
Freund  der  Künstler. 

Lange  ist  er  frei  geblieben  von  den  Beschwerden  des  Greisen-Alters. 
Dann  berührte  ihn  Frau  Sorge,  —  er  erblindete:  zuerst  auf  dem  linken 
hochgradig  kurzsichtigen  Auge  durch  Netzhaut-Ablüsung ,  dann  auf  dem 
rechten,  gleichfalls  stark  kurzsichtigen  durch  allmählich  zunehmende  Linsen- 
trübung. Die  1913  vorgenommene  Star-Operation  konnte  anfangs  nur  theil- 
weise  Besserung  bringen,  wegen  Erkrankung  des  Sehnerven.  Aber  in  seinen 
letzten  Lebensmonaten  hatte  Schiess  die  große  Freude,   von  seinem  väter- 


6  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800 — 1875. 

liehen   Hause    zu    Grabs    aus    die    heimathlichcn   Berge    wieder    sehen    zu 
können  1). 

Mit  SceiEss   ist  in  der  Schweiz   der   letzte  Schüler  A.  v.   Graefe's  da- 
hingegangen. 

Liste  der  Arbeiten  von  H.  Schiess. 
A.  Bücher. 

1.  Beiträge  zur  Therapie  der  Myopie.    Basel  1872.     (Atropin-Kur.) 

2.  Kranke  Augen,  in  30  Bildern  makroskopisch  dargestellt  und  beschrieben. 
Basel  1876. 

3.  Leitfaden  der  Refraktions-  und  Akkommodations- Anomalien.  Wiesbaden 
1893.  Eine  zweite  vermehrte  Ausgabe  hat  der  80jährige  im  Jahre  1912  her- 
ausgegeben und  darin  erklärt:  »Unsre  alten  Anschauungen  haben  sich  nicht 
geändert.« 

B.  Im  Archiv  für  Ophthalmologie. 

4.  Zur  PanOphthalmitis.     IX,  1,  22—40,  1863. 

.j.  Zur  pathologischen  Anatomie  des  Keratoglobus.    IX,  3,  171 — 198. 

6.  Aderhaut-Geschwülste.     X,  2,  47—83. 

7.  Zur  pathologischen  Anatomie  des  Staphyloma  ant.     XI,  2,  47 — 83. 

8.  Versuche  über  Lederhaut-Verletzungen  und  Einbringen  von  Fremdkörpern. 
XIII,   2,   339—352. 

9.  Zur  Pathologie  des  Auges  und  der  Augenhöhle.     XIV,  1,  73—96. 

10.  Über  Knochen-Bildung  in  der  Aderhaut.     XIX,  1,  202—220. 

11.  Kurzer  Bericht  über  200  Star-Ausziehungen  aus  Lederhaut-Schnitt.  XXI,  1, 
47—67. 

12.  Über  Schneeblindheit.     XXV,  3,  173—178. 

13.  Angeborene  Anomalien  des  Auges.     XXX,  3,  191—210. 

14.  (Mit  M.  Roth.)    Metastatisches  Sarkom  der  Paiiille.     XXV,  2,  177—192. 

15.  Über  angeborene  Linsen-Anomalien.     XXXI,  4,  53—58. 

16.  Ophthalmologische  Mittheilungen.  XXXIV,  3,  226—254;  4,  59—80.  (Myxo- 
sarkom  des  Sehnerven,  ausgerottet  mit  Erhaltung  des  Augapfels.  Kaver- 
nöses Angiom  der  Aderhaut.  Schwielige  Neubildung  auf  dem  Strahlen- 
körper. Zur  sympathischen  Augen-Entzündung.  Absceß  in  der  Netzhaut, 
Gliom  vortäuschend.) 

17.  Über  bandförmige  Hornhaut-Trübung.    XXXVIII,  1,  149—159,  1888. 

Die  Arbeit  von  Schiess  für  das  Archiv  für  Ophthalmologie  reicht  also 
von  1863—1888. 

C.  In  den  Klinischen  ]\Ionätsblätt8rn.     (Hauptsächlich  kasuistische 

Mittheilungen.) 

18.  Durchbohrende  Lederhaut-Wunde.  ...    IV,  88. 

19.  Periodisches  Doppeltsehen,  Rücklagerung.     V,  79. 


1)  Von  allen  Schicksals-Schlägen,  die  einen  Augenarzt  treffen  können,  gehört 
die  Erblindung  zu  den  schwersten.  Zum  Glück  ist  sie  nur  selten  in  der  Geschichte 
unsres  Faches  erwähnt.  Zuerst  wohl  bei  Ar-Razi,  den  die  Grausamkeit  eines  jäh- 
zornigen Tyrannen  des  Augenlichtes  beraubte. 

Aus  unsrer  Zeit  wissen  wir  von  Ritterich,  Quaglino,  Waldhauer,  die  alle 
drei  im  Berufe,  durch  Ansteckung  von  Augenkranken,  nahezu  oder  fast  vollstän- 
dig erblindeten.  (Vgl.  §  793.)  Wir  alle  kennen  das  traurige  Geschick  von  Javal, 
der  durch  Glaukom  vollständig  erblindete.  Rau  wurde  blind  durch  Nierenleiden, 
kurz  vor  seinem  Tode. 


H.  Schiess.    Fr.  Hosch.  7 

20.  Leder-  und  Hornhaut-Verletzung.  ...     V,  82,  83. 

21.  Aneurysma  der  Orbita.  .  .  .     VIII,  56. 

22.  Neurit.  o.  bei  Hirn-Geschwulst,  Sektion.    VIII,  lOO. 

23.  Kataplasmen  gegen  Iritis.     VIII,  1<JS. 

24.  Akute  Erblindung,  Wiederherstellung.     VIII,  212. 

25.  Gliom.     VIII,  213. 

26.  Iridocyklitis.     VIII,  214. 

27.  Eintritt   der   ganzen  Linse   in    die  Vorderkammer,   nach  Discission,  bei  9j. 
VIII,   2151). 

is.  Star  mit  Glaskörper-Verflüssigung.  .  .  .     VIII,  217. 

2'J.  Amaurose  nach  Verletzung,  mit  Lähmung  der  Augenmuskeln.  .  .  .     VIII,  218. 

30.  Eitrige  Periostitis  der  ürbita.  .  .  .     VIII,  219. 

31.  Skieros.  Hornhaut-Entzündung.  ...     VIII,  220. 

32.  Parenchymatöse  Hornhaut-Entzündung.  .  .  .     VIII,  223. 

33.  Sklerose  der  Hornhaut.     VIII,  225. 

3  4.  Angeborener  Linsen-Defekt.     IX,  99. 

35.  Dakryoadenitis.  .  .  .     IX,  100. 

36.  Ödem  der  Bindehaut.     X,  1. 

37.  Glaucoma  simplex,  allgemeine  Hornhaut-Trübung.     X,  232. 

38.  Ödem  des  Oberhds.     XI,  2H. 

39.  Bleph.  ciliar.     XII,  43. 

40.  Retinitis  pigmentosa.  .  .  .     XIII,  200. 

41.  Dermoid  der  Karunkel.    XV,  135  und  XVI,  484. 

4  2.  Tenonitis.     XVI,  305  und  309. 

43.  Neuroretinitis.    XVIII,  380. 

44.  Eisensplitter  in  der  Netzhaut.     XVIII,  383. 

45.  Traumatische  Myopie.     XIX,  384. 

46.  Langwierige  Bläschen-Bildung  auf  der  Hornhaut.  .  .  .    XIX,  386. 

47.  Magnet-Operation.     XIX,  458. 

48.  Lid-  und  Iris-Kolobom.     XXV,  8. 

Die  Thätigkeit  von  Schiess  für  die  Klinischen  Monatsblätter  reicht  von 
18G6  bis  1887. 

D.  H.  Schiess  hat  regelmäßig  Jahresberichte  über  seine  Anstalt 
veröflentlicht  und  darin  von  seinen  Beobachtungen  und  Ergebnissen  Rechen- 
schaft abgelegt. 

§  771.     Friedrich  Hosen  2j, 
geb.  zu  Basel  am   13.   Okt.    1847,  gest.   ebendaselbst  am  19.  Dez.    1905. 
Sludirt  hat  Hosen  in  Basel,  in  Tübingen  und  in  Utrecht;    1870 — 1872 
war  er  in  seiner  Vaterstadt  Assistent  an  der  Augenklinik,   1 883  hat  er  sich 
habilitirt  vind   1890  wurde  er  zum  a.  o.  Professor  ernannt. 

Zu  seinen  wichtigsten  Arbeiten  gehören  mikroskopische  und  experi- 
mentelle Studien:  Über  das  Epithel  der  vorderen  Linsenkapsel.  (Arch.  f. 
0.  XX.)  Experimentelle  Studien  über  Iris-Kysten.  (Virchow's  Arch.  GXXXIX.) 
Über   Ehrlich's   Methylen -Blau-Verfahren   und    seine  Anwendung    auf  das 


1)  Auflösung  erfolgte  r.  in  102,  1.  in  179  Tagen.  —  Ich  habe  sofort  Aus- 
ziehung angeschlossen.  0.  Fehr  mußte,  bei  2j.,  nach  2  Tagen,  wegen  Druck- 
steigerung, die  Ausziehung  verrichten.  Vgl.  §  780,  5.  (Maunoir.  Sofortige  Aus- 
ziehung.) 

2)  C.  Bl.  f.  A.  1906,  S.  28. 


8  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800—1875. 

Auge.  (Arch.  f.  0.  XXXVII.)  Über  den  Bau  der  Säugethier-Netzhaut,  nach 
Silber-Präparaten.     (Arch.  f.  0.  XLI.) 

Bemerkenswerth  ist  sein  »Grundriß  der  Augenheilkunde«,  Wien  und 
Leipzig  1897.  (504  S.,  mit  82  Holzschnitten.)  Das  Buch  will  das  Wissens- 
werthe  und  Sichergestellte  lehren,  und  zwar  in  leicht  faßlicher  Form. 

Abgesehen  von  Werdmüller's  Zusammenstoppelung  aus  dem  Jahre  1849, 
ist  es  wohl  das  einzige,  von  einem  Schweizer  verfaßte  Lehrbuch 
der  Augenheilkunde  aus  dem  19.  Jahrhundert,  vor  den  Werken  von 
Prof.  Haab  in  Zürich. 

§  772.    Hochschule  u.  Augenheilkunde  in  Bern. 

In  Bern  war  die  städtische  Latein-Schule  nach  Einführung  der  Refor- 
mation (1528)  durch  eine  theologische  Lehranstalt  ergänzt,  und  dazu  im 
Laufe  des  i  8.  Jahrhunderts  für  Jurisprudenz,  Mathematik  und  Physik  Lehr- 
stühle eingerichtet  worden.  Nach  den  Stürmen  der  französischen  Revo- 
lution entstand  die  Akademie  neu,  im  Jahre  1805,  mit  allen  Fakultäten; 
1834  wurde  sie  in  eine  Hochschule  (Universität)  umgewandelt^). 

Rudolf  Abraham  Schiferli2)  aus  Bern  (1773  —  1837),  der  als  Schüler 
des  Prof.  Loder^)  zu  Jena  mit  einer  Dissertation  de  Cataracta  1796  den 
Doktor  erworben,  wurde  1805  zu  Bern  als  Professor  der  Chirurgie  an- 
gestellt. 

In  seiner  deutschen  Bearbeitung  der  Dissertation  »Theoretisch- 
praktische  Abhandlung  über  den  grauen  Starr«  (Jena  u.  Leipzig  1797) 
lesen  wir  den  folgenden  Bericht: 

»Vor  einigen  Jahren  lebte  zu  Bern  der  durch  die  ganze  Schweiz, 
Frankreich  und  Italien  als  ein  vortrefflicher  Augenarzt  bekannte  Jutzeler, 
ein  Schüler  des  unsterblichen  Desallt^). 

In  seinem  besten  Alter  wurde  er  schwindsüchtig;  man  befürchtete 
seinen  Tod  als  einen  unersetzlichen  Verlust  für  das  ganze  Land. 

Der  Gesundheitsrath  zu  Bern  wünschte,  daß  mit  seinem  Tode  nicht 
auch  seine  Kenntnisse  verloren  gingen,  und  gab  daher  Hrn.  Jutzeler  den 
Auftrag,  daß  er  nach  seiner  Wahl  zwei  junge  Männer  unterrichten  und  in 
den  Operationen  üben  solle.  .  .  . 

Jutzeler   nahm   mich   zu  seinem  Schüler  an^).  .  .  .     Seine  Lehre  be- 


1)  Minerva,  H.  d.  gelehrt.  W.  1911,  S.  U9, 

2)  §  435. 

3)  §  48-2,  S.  8. 

4)  Aber  da  Desault  nur  die  Niedeiiegung  übte,  mußte  Jutzeler,  der  auch 
die  Ausziehung  regelmäßig  verrichtete,  wohl  noch  andre  Lehrer  gehabt  haben. 

5)  Da  das  18.  Jahrhundert  nur  sparsame  Einrichtungen  für  den  öffent- 
lichen Unterricht  in  der  Augenheükunde  besaß;  so  suchte  man  durch  private 
Ausbüdung  das  dringende  Bedürfniß  zu  befriedigen,  —  ebenso  in  der  Schweiz, 
wie  in  Österreich.     (Vgl.  §  356,  S.  2;  §  468,  S.  488;  §  516,  S.  264.) 


Bern.    Jutzeler.     Das  Insel-Spital.  9 

ruhte  auf  geläuterten  medizinischen  Grundsätzen  und  stützte  sich  auf  seine 
vieljährige  Erfahrung. 

Er  hatte  eine  klinische  Anstalt  errichtet,  wo  alle  armen  Augenkranken 
aufgenommen  und  auf  Kosten  des  Staats  verpflegt  wurden. 

Nicht  lange  vor  seinem  Tode  hatte  er  mir  alle  seine  Krankengeschichten, 
die  er  sich  aufgezeichnet,  geschenkt.« 

Jutzeler's  genau  geführte  Statistik  spricht  zu  Gunsten  der  Ausziehung 
und  gegen  die  Niederlegung,  wie  Schifkrli  am  Schluß  seines  Buches  aus- 
drücklich hervorhebt.     (Wir  haben  die  Zahlen  in  §  607,  9  angeführt.) 

Um  so  seltsamer  berührt  es  uns,  daß  Sciiifeuli  später  in  seiner  eignen 
Wirksamkeit  die  Ausziehung  erheblich  gegen  die  Rücklagerung  einge- 
schränkt hat. 

Von  seinen  weiteren  Beiträgen  zur  Augenheilkunde  ist  noch  eine  Be- 
obachtung über  Blei-Amaurose  zu  erwähnen. 

Später  wurde  Sciiikerli  Leibarzt  der  Großfürstin  Anna,  wirklicher 
Staatsrath  und  geadelt  und  ist  am  3.  Mai  1S37,  an  den  Folgen  der  Grippe, 
verstorben  M. 


»Geschichte  der  Augenheilkunde,  speciell  der  Augenkliniken 
und  deren   Direktoren  in  Bern« 
ist  ein   Prachtwerk  von  Prof.  Dr.  A.  Siegrist'-),  —  Sonder-Abdruck  aus  der 
Fest-Schrift  zur  Eröffnung  der  neuen  Augenklinik  in  Bern,   1910. 

Sie  ist  für  mich,  wie  überhaupt,  die  wichtigste  Quelle. 

Das  1360  durch  milde  Stiftung  begründete  Spital,  1531  in  das  so- 
genannte^)  Insel-Kloster  verlegt,  wurde  1718 — 1724  neu  gebaut,  das  be- 
rühmte Insel-Spital  zu  Bern,  eine  eigne  Stiftung  unter  obrigkeitlicher 
Aufsicht.  Aus  der  Reform-Ordnung  vom  Jahre  1583  geht  hervor,  daß  da- 
mals in  dem  Spital  thätig  waren  zwei  Ärzte,  zwei  Schärer  (Wundärzte),  ein 
Bruch-Schneider  oder  Star- Würger.  Nach  der  Ordnung  vom  Jahre  1658 
wurde  der  letzlere  für  die  Einzel-Leistung  bezahlt;  er  erhielt  »für  das  Ab- 
würgen von  einem  Starren«    fünf  Pfund*). 


1)  Biogr.  Lex.  V,  S.  222.  Vgl.  den  Nekrolog  in  der  Schweizerischen  Z.  f.  Med., 
Chir.  u.  Geburtsh.  1842,  No.  3,  S.  92—96.     Auszug  A.  d'O.  XXX,  S.  87. 

2)  Für  freundliche  Sendung  bin  ich  Hrn.  Kollegen  Siegrist  sehr  verbunden. 

3)  Es  lag  nicht  mehr  auf  einer  Insel  der  Aar. 

4)  Durch  die  Güte  des  Hrn.  Kollegen  Siegrist  erhielt  ich  von  Hrn.  H.  Thüren, 
Verwalter  des  Staats -Archivs  vom  Kanton  Bern,  die  folgende  Nachricht  (vom 
29.  JuH  1912): 

»Das  Pfund,  eine  Rechnungsmünze  =  7V>  Batzen  =  1/2  Gulden,  hatte  einen 
Metallwerth  von  1  Fr.  36,  um  1658.  Da  der  Taglohn  eines  gelernten  Arbeiters  da- 
mals 6 — 7  Batzen  betrug,  muß  man  die  Kaufkraft  des  Geldes  zu  jener  Zeit  4  bis 
5  mal  höher  bewerthen,  als  heute.  Ein  Pfund  von  1632  entspricht  also  5  Fr.  50  bis 
7.80  unsres  heutigen  Geldes.« 


10  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800—1875. 

Wer  in  Bern  mit  Aufmerksamkeit  nur  die  Schilder'  auf  den  Straßen  be- 
trachtet, findet  freudig  zahlreiche  deutsche  Namen  erhalten,  die  wir  in 
Norddeutschland  zu  Gunsten  von  fremdsprachigen  Ausdrücken  aufgegeben 
hatten. 

Star-Würger  ist  natürlich  nicht  mit  Oken's  Schwalben-Wüi'ger  (von  ahd. 
wurgan),  sondern  mit  dem  mhd.  schuochwürhte  (Schuhmacher)  zu  vergleichen. 
Unser  Zeitwort  wirken  war  ahd.  wirchan  (wurchan),  mlid.  wirken  (würken):  so 
verstehen  wir  die  Schreibarten  würchen,  würgen  aus  dem  Beginn  der 
Neuzeit. 

»Staar  würken«    steht  bei  G.   Bartisch   (15S3,   fol.  47). 

Star-Wirker  wäre  ein  treffliches   Wort  für  Star-Operateur. 

Als  1805  die  Akademie  mit  drei  Lehrstühlen  begründet  wurde,  kam 
es  zur  Verschmelzung  des  Insel-Spitals  mit  der  Akademie.  Prof.  Schiferli 
erhielt  den  Lehr-Auftrag  für  Chirurgie  und  Geburtshilfe. 

Als  1825  der  Privat-Docent  Isensciimid  um  die  Erlaubniß  bat,  über 
Augenheilkunde  lesen  zu  dürfen,  erwiderte  die  Fakultät,  das  sei  überflüssig. 
Aber  am  8.  Sept.  1834,  nach  Begründung  der  Hochschule,  wurde 
Dr.  Rau,  Privat-Docent  in  Gießen,  zum  a.  o.  Prof.  der  Medizin,  insbeson- 
dere für  Augen-  und  Kinder-Krankheiten,  mit  einer  Besoldung  von 
1600  Franken,  angestellt. 

§  773.     Wilhelm  RauI), 
als   Sohn   des  llofraths  und   Homöopathen   Ludwig  Bau   (1779 — 1840)    zu 
Gießen,   im  Jahre  1804   zu   Schlitz  in   Oberhessen   geboren,    studirte   von 
1822  an  in  Erlangen,  Tübingen,  Gießen,  Heidelberg,  erlangte  1826  in  Gießen 
den  Doktor,  1827  die  Privat-Docentur. 

Im  Jahre  1834  wurde  er  als  a.  o.  Prof.  der  Augen-  und  Kinderheil- 
kunde 2)  nach  Bern  berufen,  im  Jahre  1855  zum  o.  Professor  ernannt; 
doch  erhielt  er  erst  1858  das  Mindestgehalt  eines  solchen  mit  2000  Franken. 

Im  Jahre  1861  erlag  Bau,  während  seines  Dekanats,  einer  chronischen 
Nieren-Entzündung,  nachdem  er,  der  so  vielen  das  Augen-Licht  erhalten 
oder  wiedergegeben,  selber  fast  erblindet  war. 

Rau's  Lehrthätigkeit  in  der  Augenheilkunde  war  ein  Marterthum. 

Er  mußte  sich  auf  die  theoretische  Vorlesung  beschränken.  Die  Augen- 
kranken, welche  Aufnahme  erheischten,  wurden  auf  die  chirurgische  Kli- 
nik des  Insel-Spitals   aufgenommen   und   von   den   dortigen  Chirurgen  be- 


ll Biogr.  Lex.  IV,  S.  076.     Vgl.  Siegrist,  a.  a.  0.,  S.  9  fgd. 

Wir  haben  Rau  schon  kennen  gelernt  i.  bezüglich  der  Einführung  der  mit 
Höllenstein-Lösung  getränkten  Darm-Saiten  in  den  Thränenkanal,  §  361,  XIV,  I, 
S.  34;  2.  bezüglich  der  Staphylom-Lehre,  §544,  XIV,  II,  S.  417;  3.  bezüglich  der 
Augen-Pflege,  §  470,  XIV,  I,  S.  530. 

2)  Als  Ophthalmiatrices  et  paidiatrices  Professor  in  literarum 
Universitate  Bernensi  bezeichnet  er  sich  selber  im  Jahre  1844. 


Willielm  Rau. 


11 

bleiben 


handelt   und   operirt;   und   diejenigen,    welche   in  ihrer  Behausun 
konnten,  von  dem  Leiter  der  Poliklinik,  Prof.  FL'ter,  berathen. 

Der  letztere,  ein  verständiger,  wohlwollender  Mann,  erklärte  der  Berner 

daß,  abgesehen  von  den  Ausen- 


Regierung  bereits  im  Nov.  1834  ganz  offen 


Fig.  2. 


Prof.  Dr.  Rau. 


Operationen,  die  Augenkranken  im  Insel-Spital  keineswegs  nach  den  Grund- 
sätzen der  neueren  Augenheilkunde  behandelt  würden;  und  verlangte  die 
Errichtung  einer  Spital-Augenklinik. 

Aber  diese  ward  Rau  nicht  besehieden;  er  mußte  zufrieden  sein,  eine 
Augen-Poliklinik  zu  erhalten. 


12  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1S00 — 1875. 

Von  seinen  Zeitgenossen  wurde  Rau  sehr  günstig  beurtheilt.  Talent, 
Wissen,  Ehrlichkeit  hat  Fallot  ihm  nachgerühmt,  (A.  d'Oc.  XIII,  S.  40, 
1841.) 

Warnatz  nennt  ihn  1845  »einen  der  aller  achtbarsten  Ophthalmologen 
unsrer  Zeit«. 

Seine  Veröffentlichungen  in  Ammon's  Zeitschrift  und  v.  Graeke's  Archiv 
wurden  in  den  A.  d'Oc.  sorgfältig  wiedergegeben,  ja  fast  wörtlich  über- 
setzt. 

Mit  Augen-Operationen  war  er  zurückhaltend,  wie  ich  aus  seinen  31il- 
theilungen  ersehe.  Er  verwirft  die  Punktion  bei  Descemilitis,  die  Gefäß- 
Durchschneidung  bei  Pannus. 

Vom  Augenspiegel  spricht  er  nicht,  —  auch  da  nicht,  wo  man  es 
erwarten  könnte,  bei  Synchysis  scintillans,  im  Jahre  1855.   (11.) 

Die  ■wissenschaftlichen  Veröffentlichungen^)  von  W.  Rai"  umfassen  die 
allgemeine  Pathologie,  die  Kinderkrankheiten,  die  Ohrenleiden,  die  Augen- 
krankheiten.   Zu  denen  der  letztgenannten  Gruppe  gehören  die  folgenden: 

•1.  Über  die  Erkenntniß,  Entstehung  und  Heilung  der  Staphylome  des  mensch- 
lichen Auges.  Ein  Versuch  von  Wilhelm  Rau.  Heidelberg  und  Leipzig 
4828.      Vgl.  §  344,   S.  417.) 

2.  De  l'usage  ophthalmique  du  lactucariumS),  par  W.  Rau,  Prof.  ä  l'ecole  de 
med.  de  Berne.    A.  d'Oc.  I,  S.  154—157,  1837. 

Zwei  bis  drei  Gran  auf  drei  Drachmen  Wasser  [0,1  bis  0,13  auf  12,0  , 
2 — 3  Mal  täglich  eingeträufelt,  helfe  gegen  katarrhalische  Ophthalmie  mit 
Reizung,  —  besser,  als  Opium-Tinktur.  Innerlich  sei  das  Mittel  nützlich 
gegen  Reizungs-Amblyopie  hysterischer  Frauen. 

3.  Ophthalmologische  Miscellen.     Ammon's  Monats-Schrift  I,  S.  461  —  473. 

I.  Über  die  Anwendung  des  Lactucarium  in  der  Augenheilk.  (Vgl.  2.) 
II.  Merkwürdige,  der  Xerosis  ähnliche  Entartung  der  Bindehaut.  Bei 
einem  lOj.  war  bds.  die  Hornhaut  an  ihren  Rändern  mit  einem  ringförmigen, 
matten,  1V2'"  breiten  Saume  von  der  Dicke  eines  Kartenblatts  bedeckt. 
Die  welligen  scharf  begränzten  Ränder  auf  der  Hornhaut  schienen  sich  nach 
innen  umzuschlagen.  Mit  der  Lupe  keine  Gefäße  zu  entdecken.  (Dies  dürfte 
die  erste  Beschreibung  des  Frühjahrs-Katarrhs  darstellen.) 
III.  Xerose  der  Bindehaut. 

4.  Bemerkungen  über  die  Entzündung  der  DEscEMET'schen  Membran.  Ammon's 
Monats-Schrift,  II,  S.  431— 460,  1839. 

5.  Beobachtungen  über  ßildungsfehler  des  menschlichen  Auges.    Ebendas.  III, 

S.  36—69. 

(Angeborenes  Fehlen  beider  Augäpfel;  Fehlen  der  Iris,  Kolobom  der 
Iris;  Thränen-Fistel;  schwammiger  Auswuchs  des  Bindehautblättchens  der 
Hornhaut,  erfolgreich  exstirpirt.) 

6.  Die  Entzündung  der  Regenbogenhaut.     Bern  u.  St.  Gallen  1844. 

7.  De  syndesmitide  varicosa.  Scripsit  Guilelmus  Rau.  Bern  und  St.  Gallen 
1844. 


1)  Die  Liste  von  Siegrist  habe  ich  noch  vervollständigt  aus  A.  d'Oc.  und 
Ammon's  Monats-Schrift. 

2;  L.,  ein  getrockneter  Milchsaft  vom  Gift-Lattich  (lactuca  virosa),  galt  als 
Beruhigungs-Mittel.  Rau  hat  übrigens  lactucarium  parisiense  gallicum)  verwendet, 
>das  schwächer  ist«,  —  es  wurde  eben  aus  unsrem  Kopf-Salat  (Lactuca  sativa) 
hergestellt. 


Wilhelm  Rau.  13 

8.    Die  Nerven-  und   Organisations-Krankheiten  nebst  den  ursprünglichen   Bil- 
dungs-Fehlern der  Regenbogenhaut.     Bern  u.  St.  Gallen  1843. 
s».    Übersicht  der  in   der  ophthalmiatrisch-otriatischen   Poliklinik   in  Bern   von 
dem  Jahre  1839  bis  iSi.i   behandelten  Krankheitsfälle,  nebst  Bemerkungen, 
von  Prof.  Dr.  Rau. 

1390  Augenkranke.     Bei  Pannus   übt  R.   das  Einblasen   von  Calomel, 
nicht  aber  die  Gefüß-Durchschneidung. 

iö.  KoUodion  gegen  Entropion.  Schweizerische  Z,  f.  Med.,  Chir.  u.  Geburtsh. 
1849,  A.  dO.  XXX,  S.  106. 

II.    Ophthalmologische  Miscelien.    Arch.  f.  Ophth.  I,  2,  18ö5. 

^2.  Über  die  Sinnes-Organe  überhaupt  und  über  die  Pflege  des  Auges  insbe- 
sondere.    Eine  öffentliche  Vorlesung.     Bern  1839. 

13.  Über  die  Behandlung  des  grauen  Stares  durch  pharmazeutische  Mittel.  Vgl. 
Siegrist  a.a.O.,  S.  »3.  (Besserung  durch  innerlichen  Gebrauch  von  Jod- 
kalium.) 

(4.)  »Die  unter  dem  Namen  der  DESCEMET'schen  Membran  bekannte, 
seröse  Auskleidung  der  vorderen  Kammer  bildet  nach  den  Resultaten  der 
neuesten  anatomischen  rnlersuchungen  keinen  geschlossenen  Sack,  setzt 
sich  nicht  durch  die  Pupille  fort,  sondern  endet,  die  vordere  Fläche  der 
Iris  bekleidend,  in  der  Nähe  des  Pupillar-Randes.  .  .  .  Die  Entzündung 
kann  sich  auf  den  t'berzug  der  inneren  Hornhaulfläche  beschränken,  die 
Bekleidung  der  Iris  ausschließend,  oder  beide  gleichzeitig,  gewöhnlich  suc- 
cessive,  befallen. 

Die  erste  Form  zeigt  raufhig»^  Trübung  der  inneren  Fläche  der  Horn- 
haut. Die  punktförmigen  Flecke  fehlen  anfangs  und  sind  auch  später  nicht 
konstant.  Die  zweite  Form  charakterisirt  sich  durch  Verfärbung  der  Iris; 
die  in  ihren  Bewegungen  träge  Pupille  verliert  ihre  Schwärze  und  regel- 
mäßige Form,  erweitert  sich  oder  bleibt  von  mittlerem  Durchmesser. 

Die  angegebenen  Erscheinungen  kennzeichnen  die  auf  die  DESCEMEx'sche 
Haut  beschränkte  Entzündung  bis  zu  ihrem  Höhe-Punkt.  Tritt  keine  Kunst- 
hilfe ein,  so  kommt  es  zur  Ausschwitzung. 

Die  Streitfrage,  ob  es  eine  ursprüngliche  Entzündung  der  DESCEMEr'schen 
Haut  gebe,  muß  ich  liejahen;  am  häufigsten  ist  sie  aber  sekundär.  Idio- 
pathisch entsteht  sie  nach  Scleronyxis  ').  Nie  im  kindlichen  Alter,  wohl 
aber  nach  der  Pubertäts-Entwicklung  bei  nicht  getilgter  skrofulöser  Anlage 
ist  die  idiopathische  Form  nicht  selten.  Die  von  der  Aderhaut  ausgehende 
Form  ist  häufiger  im  vorgerückten  Alter;  und  hängt  ausnahmslos  mit  Ple- 
thora abdominalis  zusammen.  (Hämorrhoiden,  Gicht,  Amennorrhöe,  Auf- 
hören der  Menstruation.)  Nie  nach  Merkurial-Mißbrauch2),  obschon  Haffner 
dies  behauptet. <  Im  Gegentheil  ist  Merkur  Hauptmittel,  obwohl  nicht 
alleiniges.  Einträuflung  von  Belladonna-Lösung  und  Punktion  seien  nicht 
zu  empfehlen. 


1)  Vgl.  Schindler  (1819),  §  304,  S.  203. 

2)  Vgl.  §  636,   S.  i33. 


14  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800  —  1875. 

(7.)  »Die  Syndesmitis  varicosa,  die  man  nicht  mit  der  Ophthal- 
mia varicosa  der  älteren  noch  mit  der  Cirsophthalmie  und  venüsen  Oph- 
thalmie der  neueren  Schriftsteller  verwechseln  darf,  ist  eine  besondere 
Krankheit  der  Bindehaut,  ein  entzündliches  Leiden  der  Augapfel- 
Bindehaut  und  des  darunter  liegenden  Zellgewebes,  begleitet  von  einer 
großen  Erweiterung  und  Vermehrung  der  Blutgefäße,  welche  in  den  be- 
troffenen Theilen  eine  nur  wenig  empfindliche  Schwellung  hervorruft.« 

Der  Referent  in  den  A.  d'Oc.  (XIII,  S.  45,  1845]  möchte  die  Krank- 
heit zur  chronischen  Bindehaut- Entzündung  rechnen;  Ammom  ^j  zu  seiner 
Subconjunctival-Ophthalmie,  die  wir  ja  heute  als  Scleritis  auffassen. 

(11.)  I.  Atzung  des  verengerten  Nasenkanals  durch  Darmsaiten,  die 
in  Hüllenstein-Lüsung  getränkt  sind.     (Vgl.   §  361,  XIV,  I,  S.  34.) 

2.  Behandlung  der  Thränensack-Eiterung  mittelst  Einspritzungen  durch 
den  Nasen-Kanal.  Also  von  unten  her,  mittelst  eines  Guttapercha- 
Katheters,  der  nach  den  Ausmessungen  des  silbernen  von  Gensoul  herge- 
stellt ist.  (Vgl.  XIV,  I,  S.  37.)  Eine  kleine,  unten  angesetzte  Glas- Spritze 
genügt  vollkommen,  um  die  Flüssigkeit  in  den  Thränenkanal  zu  treiben, 
so  daß  sie  nicht  selten  in  feinem  Strahl  aus  den  Thränen-Pünktchen  her- 
vorspritzt.    Von  7  Fällen  wurden  2  vollkommen  geheilt. 

3.  Bei  Insufficienz  der  Thränenklappe  entsteht  eine  durch  Lufteintritt 
beim  Ausathmen  bedingte  Aufblähung  des  Thräncnsacks.     (Sehr  seilen.) 

4.  Behandlung  des  Entropium  durch  Ligatur,  ohne  Ausschneidung 
eines  Ilautstücks. 

§  774.    W.  Rau's  Nachfolger,  Zehender,  Dor,  Pklüger,  Sieghist. 

Nach  lUu's  Tode  wurde  am  28.  Apr.  1862  Medizinalrath  v.  Zehendeu 
aus  Rostock  nach  Bern  berufen,  als  ordentlicher  Prof.  der  Augen-  und 
Ohrenheilkunde,  mit  einem  Gehalt  von  3000  Franken.  Da  aber  seine  be- 
rechtigte Forderung  der  Errichtung  einer  Augenklinik  keine  Berücksichti- 
gung fand,  so  verzichtete  er  am  5.  Sept.  1866  auf  seine  Professur  in  Bern, 
zu  Gunsten  von  Rostock. 

Als  nun  die  Fakultät  die  Gründung  einer  Augenklinik  forderte,  wurde 
von  der  Regierung  im  Hause  der  früheren  Slaats-Apotheke  das  erste  und  das 
zweite  Stockwerk  für  eine  Augenklinik  angewiesen,  während  Prof.  Klebs 
das  dritte  für  sein  pathologisches  Institut  erhielt! 

Dr.  Henri  Dor  aus  Vevay  wurde  am  29.  März  1867  zum  ordent- 
lichen Prof.  der  Augenheilkunde  und  Direktor  der  Augenklinik  (von 
20  Betten)  ernannt  mit  einer  Besoldung  von  3000  Franken. 

Da  er  die  Noth-Ehe  zwischen  Augenklinik  und  pathologisch-anatomi- 
schem Institut  nicht  trennen  konnte,  so  gab  er  am  2.  Mai  1876  seine  Ent- 
lassung und  ging  nach  Lyon. 

1)  Deutsche  Klinik  1S52,  No.  11. 


W.  Zehender.     H.  Dor.  15 

Sein  Nachfolger  (als  a.  o.  Prof.)  wurde  Dr.  Ernst  Pflüger,  Augenarzt 
in  Luzern.  Schon  am  5.  Dez.  1876  und  am  7.  Febr.  1877  beklagte  er 
sich  bei  dem  Erziehungs-Direktor:  »Seit  meinem  Amtsantritt  am  15.  Ok- 
tober abbin  sind  auf  der  Klinik  5  schwere  und  6  leichtere  Fälle  von  Rolh- 
lauf  vorgekommen.« 

Pfllüeu  erhielt  dann  1878  im  alten  Amtshause  eine  neue  Augenklinik, 
wieder  von  20  Betten.  Aber  das  Kinderzimmer  ist  nicht  unterkellert.  Vier 
Kinder  erkranken  am  großblasigen  Ausschlag,  jedes  verliert  ein  Auge  durch 
metastatische  PanOphthalmie,  das  erste  auch  das  Leben. 

Am  5.  Dez.  1879  wird  Pflüger  zum  o.  Prof.  gewählt,  im  Herbst  1884 
bezieht  er  die  neue  Augenklinik  in  dem  gewaltig  vergrößerten  neuen  Insel- 
Spital. 

Doch  hatte  man  aus  Sparsamkeit  die  Augenklinik  schlecht  eingerichtet, 
ohne  Operations-Saal,  ohne  Arbeitszimmer,  ohne  poliklinische  Räume;  mit- 
telst Boden-Betten  mußte  für  öO  Kranke  Unterkunft  geschaffen  werden  in 
einer  Anstalt  mit  Luft-Raum  für  '■)(). 

Pf.'s  Antrag  auf  Umbau  fand  Billigung  an  demselben  Tage  (30.  Sept. 
1 903),  an  welchem  ein  Herzschlag  den  unermüdlichen  Lehrer  und  Forscher 
dahin  raiTte. 

Sein  Nachfolger  war  Dr.  A.  Siegrist,  der  Vf.  der  von  uns  benutzten 
Geschichte  der  Augenklinik  in  Bern,  welche  zeigt,  daß  die  Regierung  einer 
Republik  ebenso  knauserig  und  kurzsichtig  sein  kann,  wie  die  verschie- 
dener monarchischer  Staaten,  von  denen  wir  schon  ähnliches  zu  melden 
hatten. 

Aber  das  Berner  Volk  und  seine  Regierung  hat  dann  im  Jahre  1905 
eine  neue  Augenklinik  bewilligt  und,  mit  Benutzung  der  Studien  von 
Prof.  Siegrist,  dann  auch  (für  672, 92()  Franken  und  46  Cts.)  aufgerichtet, 
eine  Augenklinik,  um  welche  nicht  nur  Prof.  F.  Lagrange  in  Bordeaux  ^), 
sondern  auch  manch'  Andrer  den  Kollegen  in  Bern  beneiden  könnte,  — 
wenn  nicht  freudige  Bewunderung  jede  Empfindung  von  Neid  vollständig 
unterdrücken  müßte.  Vgl.  Die  neue  Augenklinik  in  Bern  von  Prof. 
Dr.  A.  Siegrist.  (4^,  89  S.  mit  58  Fig.,  S.-A.  aus  der  Festschrift  zur  Er- 
öffnung der  neuen  Augenklinik  in  Bern,  Bern  1910.) 


Für  Zehender  stellt  die  Professur  in  Bern  nur  eine  Episode  dar;  wir 
werden  seine  Wirksamkeit  später  schildern,  bei  der  Betrachtung  der  Graefe'- 
schen  Schule. 

Auch  Henri  Dor  (1835 — 1912)  hat  in  Bern  kaum  9  Jahre  gewirkt,  in 
Lyon  noch  37  Jahre. 


1)   Vgl.  §  549,   S.  15. 


16  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800—1875. 

Aber  Pflüger,  dessen  ganzes  Lebenswerk  der  Augenklinik  in  Bern  ge- 
widmet war,  verdient  hier  eine  kurze  Erörterung,  obschon  ja  seine  Wirk- 
samkeit über  den  Rahmen  unsrer  Betrachtung  hinausragt. 


§775.    Ernst  Pflüger  (1846 — I903)i). 

Geboren  am  1.  Juli  1846  zu  Büren  an  der  Aar,  bildete  E.  P.  sich  zu 
Bern,  Utrecht  und  Wien  unter  Dou,  Donders  und  Arlt  aus,  wurde  1870 
Doktor,  1876  a.  o.  und  1879  o.  Prof.  der  Augenheilkunde  zu  Bern,  ent- 
faltete eine  reiche  Thätigkeit  als  Arzt,  als  Lehrer  und  als  Forscher  und  ist 
in  bester  Schaffenskraft  am  30.  Sept.  1903  durch  einen  Herzschlag  hin- 
weggerafft worden. 

Zum  Ruhm  der  Berner  medizinischen  Fakultät  hat  er  redlich  beige- 
tragen und  die  augenärztliche  Wissenschaft  durch  zahlreiche,  z.  Th.  recht 
bedeutende  Arbeiten  bereichert. 

Aus  seinen  Berichten  über  die  Berner  Augenklinik,  die  er  von  1878 
bis  1886  herausgab,  entnehmen  wir  die  Einführung  der  Borsäure  als  mil- 
des Desinfektions-Mittel  der  Bindehaut,  während  das  später  eingeführte 
Sublimat  bald  wider  aufgegeben  und  durch  Jodtrichlorid  und  Quecksilber- 
cyanür  (nach  Chibret)  ersetzt  wurde. 

Für  das  aufrechte  Bild  entwarf  Pflüger  1882  sein  Refraktions- 
Ophthalmoskop;  1884  bearbeitete  er  Guignet's  Retinoskopie,  die  er 
Schattenprobe  (Skiaskopie)  benannt  hat.  Ebenso  bemeisterte  er  Javal's 
Ophthalmometer;  seine  Schüler  veröffentlichten  wichtige  Beiträge  auf 
diesem  Gebiete,  namentlich  Dr.  Steiger:  Beiträge  zur  Physiologie  u.  Patho- 
logie der  Hornhaut-Refraktion  1895. 

Auch  der  Gesundheitspflege  des  Auges  und  der  Kurzsichtigkeit 
widmete  Pflüger  seine  besondere  Aufmerksamkeit,  wie  die  Rektorats-Rede 
vom  Jahre  1886  »Kurzsichtigkeit  und  Erziehung«,  sowie  Jankowski's  Diss. 
»Beitr.  zur  Myopie-Frage«,  1893,  ferner  die  Seh-Proben  von  Pflüger  (1882, 
1 896)  mit  Erörterungen  über  Sehschärfe  und  die  Seh-Proben  von  Steiger 
(1892)  beweisen. 

Auch  den  Lichtsinn  und  den  Farbensinn,  für  die  Mitte  und  für  die 
Peripherie,  hat  Pflüger  sludirt,  das  Flor-Kontrastverfahren  eingeführt  (1880, 
1882)  und  die  totale  Farbenblindheit  (1898)  erschöpfend  abgehandelt. 

Von  den  klinischen  Fragen,  die  ihn  besonders  fesselten,  stand 
obenan   die   über   das  Glaukom.     Von    Tonometrie  handelte   schon   seine 


1)  I.  C.  BI.  f.  A.  1903,  S.  314— 315. 

II.  Prof.  Siegrist,  Gesch.  d.  Augeah,eilk.,  spec.  der  Augenklinik  zu  Bern  u. 
deren  Direktoren,  1910,  S.  74  fgd. 

Prof.  Siegrist  hat  hier  seinem  Vorgänger  und  Lehrer  ein  herrliches  Denkmal 
gesetzt.     Seiner  Darstellung  will  ich  mich  eng  anschließen. 


Ernst  Pflüger. 


17 


Dissertation  aus  dem  Jahre  1871:  weitere  Beiträge  folgten  i880  und  1887 
(von  Dr.  Fii.  Stock,  A.  f.  0.  XXXIII,  I). 

Fi?.  3. 


Prof.  Dr.  Pflüger. 


Das  Glaukom  betrachtete  er  als   ein  Ödem;    für   chronisches  Glaukom 
schlug  er,  um  malignen  Ablauf  zu  verhüten,  die  periphere  Iridektomie  vor. 

Handbucli  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XlV.Bd.  (Yll.)   XXIII.  Kap.  2 


18  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800—1875. 

Durch  Anwendung  des  Fluorescein  auf  das  Auge  hat  er  die  Ernäh- 
rungs-Verhältnisse des  letzteren  zu  studiren  versucht,  für  die  Einspritzungen 
unter  die  Bindehaut  neben  der  Lösung  von  Kochsalz  auch  die  von  Jod- 
natrium und  von  Hetol  empfohlen,  namentlich  gegen  tuberkulöse  Prozesse. 

Überhaupt  hat  er  den  Allgemein-Leiden,  welche  Augenstörungen  ver- 
ursachen, große  Aufmerksamkeit  gewidmet:  1890  veröffentlichte  er  seine 
Beobachtungen  über  Augen-Erkrankungen  nach  Influenza,  1 896  über  Kera- 
titis parenchymatosa,  während  sein  Schüler  Salo  Cohn  1890  die  Disser- 
tation »Uterus  und  Auge«  herausgab. 

Dauernd  verblieb  seine  Aufmerksamkeit  den  Fehlern  der  Einstellung 
und  Einrichtung:  er  hat  sich  um  die  Einführung  der  torischen  und  Doppel- 
focus-Gläser  bemüht  (1893),  ist  kühn  an  die  Operation  des  Astigmatismus 
herangetreten  und  hat  1899  (durch  seinen  Bericht  an  die  französische 
ophth.  Gesellsch.)  zu  der  damaligen  Verbreitung  der  Kurzsichtigkeits- Ope- 
ration i)  beigetragen. 

Eine  der  wichtigsten  Arbeiten  Pflüger's  ist  der  Bericht  für  den 
13.  Internat,  med.  Kongreß,  zu  Paris  1900,  über  Enukleation  und  ihre 
Ersatz-Verfahren. 

Sehr  verdienstvoll  sind  auch  die  von  ihm  angeregten  statistischen 
Dissertationen:  Die  Blennorrhoea  neonat,  u.  deren  Verhütung  in  der  Schweiz, 
von  Heim,  1 895.  Medizinisch  statistische  Untersuchungen  über  die  Blinden 
in  der  Schweiz,  von  Dr.  L.  Pally,  1900.  (Die  vollständige  Liste  der 
Arbeiten  Pflüger's,  welche  die  Zahl  Hundert  überschreiten,  siehe  bei 
Siegrist  a.  a,  0.) 

§  77().    Emil  Emmert  (1844— 1911)  2». 

Am  1.  Dez.  1844  zu  Bern  geboren,  als  Sohn  des  Prof.  Karl  Emmert, 
bestand  E.  E.  sein  Staats-  und  Doktor-Examen  1868. 

Nach  größeren  Studien-Reisen,  auf  denen  er  sich  bei  A.  v.  Graefe, 
Arlt,  Bader,  Donders  und  Snellen  weiter  ausbildete,  ließ  er  sich  1870  in 
seiner  Vaterstadt  als  Augenarzt  nieder,  wurde  Docent  der  Augenheilkunde 
und  später  a.  o.  Professor. 

Von  seinen  größeren  Arbeiten  seien  erwähnt : . 

1.  Auge  und  Schcädel.     1880. 

2.  Refraktions-   und  Akkommodations-Verhältnisse    des   menschlichen   Auges. 
1887. 

3.  Schul-Untersuchungen  und  Schul-Hygiene.     1887. 

Ferner  nenne  ich  noch: 

4.  Blindenstatistik.    1874. 

3.   Jahresbericht  der  Poliklinik.     1878. 


1)  Ihre  Blüthe  liegt  allerdings  schon  wieder  hinter  uns,  —  wie  ich  persön- 
lich glaube,  zum  Heile  der  Menschheit. 

2)  C.  El.  f.  A.  1911,  S.  217. 


Eminert.     Troxler.  —  Zürich.  19 

6.  Häufigkeit  der  gewühnl.  Augenkr.  zu  verschied.  Jahreszeiten.    <886. 

7.  Trachom  in  der  Schweiz.    1897. 

Bis  in  sein«'  letzte  Lebenszeit  ist  er  in  seinem  Lieblingsgebiet  der 
Wissenschaft  unermüdlich  thätig  geblieben.  Dem  Centralbl.  f.  Augenh.  war 
er  ein  treuer  Mitarbeiter. 

Zusatz.  Eines  merkwürdigen  Mannes  haben  wir  schon  im  §  453 
(S.  391)  gedacht,  des 

Ignaz  Paul  Vit.^lis  Troxler  (1780—1866)1». 

Geboren  zu  Bero-Münster  (Kanton  Luzern),  studirte  er  Medizin  in  Jena, 
Güttingen,  Wien,  schrieb  in  naturphilosophischem  Sinne  über  Medizin 
und  wurde  nach  äußerst  Wechsel  vollen  Schicksalen  1834  zum  Prof.  der 
Philosophie  an  der  Universität  zu  Bern  ernannt. 

Im  Jahre  1803  hat  er  in  der  ophthalmologischen  Bibliothek  von 
lIiMLY  und  Schmidt  »Über  Iris-Bewegung«,  »Präliminarien  zur  physio- 
logischen Optik«,  »Über  Einfachsehen,  Schielen  und  Doppeltsehen«  ge- 
schrieben:   worauf  wir   später   noch   zurückkommen  werden. 

§  777.  Zürich, 
die  Heimat  des  Wundarztes  Jon.  Konrad  Freitag  (um  1721),  der  als  Er- 
neuerer der  Star-Ausziehung  in  zahllosen  Lehrbüchern,  Encyklopädien  und 
Sonderschriften  gepriesen  worden,  von  denen  jede  aus  der  vorigen  den 
Text  kritiklos  übernommen,  bis  wir  sein  Verdienst  auf  den  wirklichen  Werth 
beschränkt  habend),  ist  nur  erst  spät  in  die  Bewegung  ein-  und  nicht  son- 
derlich hervorgetreten  vor  dem  Beginn  der  Reform-Zeit. 

Das   »Praktische  Handbuch  der  Augenheilkunde  zum  Gebrauch 
für  Ärzte  und  Studirende,  von  Otto  Werdmlller,  Arzt  zu  Aster 
im  Kanton  Zürich«,  Z.  1849  (244  S.) 
hat  keinen  besonderen  Eindruck  hinterlassen. 

Vf.  meint,  daß  die  besseren  Werke  über  Augenheilkunde  theils  wegen 
des  hohen  Preises,  theils  wegen  der  Weitläufigkeit  den  Ärzten  und  Studi- 
renden  fast  unzugänglich  sind,  und  daher  ein  großer  Theil  der  Ärzte  sich 
nur  wenig  um  Augenheilkunde  bekümmert.  Das  Werkchen  von  S.  L.  Weiss 
in  Berlin  (1844)  sei  ungenau  und  lasse  die  Ergebnisse  neuerer  Forschung 
unberücksichtigt. 

Er  selber  habe  es  unternommen,  mit  Benutzung  der  älteren  und  neueren 
Literatur  in  gedrängter  Kürze  die  Augenheilkunde  möglichst  vereinfacht 
wiederzugeben,  und  zur  Eintheilung  das  natürliche  System  benutzt. 


1)  Biogr.  Lex.  VI,  8. 

2)  §  330,  S.  397  (B.  XIII);  §  339,  S.  433,  No.  28;  §  345,  S.  468. 

2* 


20  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800—1875. 

Er  theilt  die  Augenkrankheiten  in  zwei  Hauptklassen:  I.  Krankheiten 
des  Blut-Systems,  Hämatosen;  II.  Kr.  des  Nervensystems,  Neurosen,  —  wäh- 
rend er  des  genialen  Schönlein  dritte  Klasse,  die  Morphosen,  nicht  zuläßt  i). 

I.  theilt  sich  I.  in  die  idiopathischen  Entzündungen  (Phlogosen),  2.  in 
die  specifischen ,  3.  in  die  Folgekrankheiten,  woselbst  in  der  Gruppe  3a 
plötzlich  der  Star  erscheint. 

In  I,  1,  3  giebt  der  Vf.  sich  große  Mühe,  die  Krankheitsbilder  der 
Entzündung  von  Bindehaut,  von  Hornhaut,  von  Regenbogenhaut,  von  Strahlen- 
körper, Aderhaut,  Netzhaut  zu  entwerfen.  Aber  seine  Behandlung  der  Neu- 
geborenen-Augeneiterung,  der  gonorrhoischen,  der  syphilitischen  Iritis  ist 
schwächlich  und  unzureichend. 

»Die  Star- Ausziehung  .  .  .  bringt  die  bedeutendste  Verletzung  des  Auges 
mit  sich  .  .  .  Sie  wird  daher  gegenwärtig  nur  selten  noch  wirklich  aus- 
geführt.« 

Den  Markschwamm  der  Netzhaut  sah  er  einmal  angeboren.  »Die  ein- 
zige Hilfe  besteht  in  der  frühzeitigen  Exstirpation  des  Augapfels.« 

Die  Darstellung  des  Schielens  nebst  der  Behandlung,  auch  durch  Ope- 
ration, ist  leidlich;  aber  die  Augen-Muskel-Lähmungen  worden  noch  in 
Bausch  und  Bogen  abgehandelt. 

Den  Schluß  macht  eine  Sammlung  von  34  Arznei- Vorschriften. 

Das  Handbuch  von  Werdmüller  ist  gleich  nach  seinem  Erscheinen 
(1849,  A.  d'Oc.  XXH,  S.  93—95)  höchst  abfällig  beurtheilt  worden. 

Aber  der  ungenannte  Kunstrichter  thut  ihm  Unrecht,  wenn  er  ihm 
die  elende  Zusammenstoppelung  von  Weiss  noch  vorzieht,  und  wenn  er 
mit  dem  Tadel  schließt:  »Die  Wissenden  werden  darin  vergeblich  eine 
Menge  wichtiger  Thatsachen  suchen.«  Denn  W.  wollte  nur  für  Anfän^-er 
schreiben. 

Anfänger  haben  ihn  auch  gelesen.  In  dem  von  mir  benutzten  Exem- 
plar hat  ein  solcher  Hunderte  von  Strichen  gemacht  und  schüchterne  Ver- 
besserungen, mit  Fragezeichen,  beigefügt. 

Das  Buch  konnte  schon  besser  sein  und  wäre  besser  geworden  wenn 
der  Vf.  die  Werke  von  Ruete  (1845),  Desmarres  (1847),  Hasner  (1847)  be- 
nutzt hätte. 

Im  Jahre  1852  erschien  eine  zweite  Auflage  (264  S.),  welche  erheb- 
liche Abänderungen  und  Erweiterungen  nicht  erkennen  läßt. 


Die  Hochschule  Zürich  wurde  durch  den  großen  Ralh  des  Kantons 
am  28.  Sept.  1832  in's  Leben  gerufen.  Nach  der  fünfundzwanzigjährigen 
Stiftungsfeier  1859  wurde  das  Hochschul-Gesetz  verbessert  und  den  kli- 
nischen Instituten  besondre  Sorgfalt  zugewendet 2). 

1)  Über  die  Namen  vgl.  §  838. 

2)  Minerva,  H.  d.  gelehrt.  W.  I,  S.  154. 


Der  augenärztliche  Unterricht  in  Zürich.  21 

Über  den  aiigenärztlichen  Unterricht  in  Zürich  hat  mir  Herr 
Prof.  Haab,  dem  ich  dafür  zu  besondrem  Dank  verpflichtet  bin,  die  fol- 
genden Miltheilungen  gesendet: 

»Aus  der  Zeit  vor  der  Gründung  der  Hochschule  (1833)  konnte  ich 
Genaueres  über  Lehren  und  Lernen  in  Augenheilkunde  nicht  in  Erfahrung 
bringen.  Wie  weit  das  im  Jahre  1782  gegründete  ,medicinisch-chirurgi- 
sche  Institut',  das  im  Jahre  1804  als  Staats-Institut  anerkannt  wurde,  sich 
mit  dem  Lehren  der  Augenheilkunde  befaßte,  konnte  ich  nicht  klarlegen. 
Es  war  eine  Bildungs-Stätte  für  schlichte  Landärzte  und  eine  Vorschule  für 
Mediciner  und  Chirurgen,  die  nachher  durch  den  Besuch  von  Hochschulen  und 
Kranken-Anstalten  des  Auslandes  vollständigere  Ausbildung  sich  erwarben. 
In  der  dieses  Institut  hauptsächlich  beschreibenden  Monographie  von  Meyer- 
A II  RENS,  welche  in  der  Denkschrift  der  Medicinisch-Chirurgischen  Gesellschaft 
dos  Cantons  Zürich,  Zürich  I8G0,  erschien  und  betitelt  ist:  ,Geschichte  des 
medicinischen  Unterrichtes  in  Zürich  von  seinem  ersten  Anfang  bis  zur 
Oiründung  der  Hochschule',  wird  die  Augenheilkunde  nicht  erwähnt. 

Auch  in  der  , Kurzen  historischen  Skizze  der  medicinischen  Fakultät 
der  Zürcherischen  Hochschule  seit  ihrer  Errichtung  im  Jahre  1833  bis 
Ende  des  Semesters  18Ö9  '60'  von  Prof.  Locin;K-B\LitKR,  in  derselben  Denk- 
schrift erschienen,  wird  die  Augenheilkunde  nicht  erwähnt,  obschon  Locher- 
Balber  selbst  Augenheilkunde  docirte.     (Habil.   1835.) 

Nach  Gründung  der  Universität  1833  hat  wohl  der  Prof.  ord.  der 
Chirurgie  und  Direktor  der  Chirurgischen  Klinik  Locber-Zwingli  die  Augen- 
heilkunde gelehrt,  aber  wie?  ist  mir  nicht  eruirbar  gewesen.  Nach  dem, 
was  BiLLROTH  sagt  (,Briefe',  S.  41),  hat  er  wohl,  wie  auch  Billroth  selbst, 
die  Ophthalmologie  links  liegen  lassen. 

Es  haben  ferner  in  den  ersten  Decennien  unsrer  Hochschule  Dr.  Hein- 
Kicii  Giesker  (1835—58),  der  Chirurg  der  Poliklinik,  und  der  bereits  ge- 
nannte Dr.  Locher-Balber  (von  1835  an),  der  zugleich  Propädeutik  und 
Heilmittellehre  las,  und  Dr.  L.  vo\  Muralt  (von  1833  an)  Augenheilkunde 
docirt.  Der  letztgenannte  beherrschte  das  Feld,  bis  er  von  Houneu  abge- 
löst wurde,  der  rasch  dominirte,  und  dem  auch  Billroth  gern  Platz  machte. 
(Vgl.  , Briefe',  S.  41  und  42,  besonders  den  Passus:  ,Denn  ich  halte  die 
Trennung  der  Ophthalmologie  von  der  Chirurgie,  so  wie  die  Sache  jetzt 
einmal  steht,  für  ganz  zweckmäßig  und  würde  nie  durch  irgend  welche 
Maßregeln  einen  tüchtigen  Kollegen  in  der  Ausübung  seiner  Specialilät 
stören.'  Ferner:  ,Was  die  Ophthalmologie  betrifft,  so  habe  ich  mich  da- 
mit in  Berlin  zwar  viel  beschäftigt  und  stand  mit  Gräfe  stets  in  wissen- 
schaftlichem Verkehr;  doch  hier  habe  ich  keine  Freude  an  diesem  Feld 
gefunden.  Zwar  habe  ich  zwei  Augen-Säle,  doch  im  ganzen  Jahr  vielleicht 
20  Kranke  darin,  sodaß  ich  sie  stets  mit  chirurgischen  Kranken  belege 
u.  s.  w.') 


.22  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800 — 1875. 

Diese  zwei  Kranken-Säle  hatte  dann  Horner,  so  lange  er  thätig  war, 
und  ich  noch  bis  1895,  wo  die  neue  Augenklinik  bezogen  wurde.  Der 
eine  Saal  war  für  Männer,  der  andre  für  Weiber.  Es  waren  Säle  des  all- 
gemeinen Krankenhauses  des  Kantons,  das  1842  eröffnet  wurde  und  etwa 
400  Betten  enthält.     Scbönlein  hatte  den  sehr  guten  Plan  entworfen. 

Die  officielle  Lehre  der  Augenheilkunde  beginnt  in  Zürich  mit  Horner, 
der  am  21.  Mai  1856  sich  habilitirte,  1862  Extraordinarius  und  1875  Or- 
dinarius wurde.« 

»In  seiner  Autobiographie  (die  leider  nur  bis  1859  reicht,)  sagt  Horner 
(S.  55):  , Außerdem  gab  mir  die  Specialität  der  Augenheilkunde  bald  eine 
separate  Stellung.  Viele  Arzte  nehmen  sich  zwar  der  kranken  Augen  an: 
Prof.  LocHER-ZwiNGEi  cx  officio,  Prof.  GiESKER,  bei  welchem  ich  selber 
zuerst  Augenheilkunde  und  Operationskurs  gehört  hatte,  Dr.  L. 
V.  Muralt  1),  der  als  Specialist  beschäftigste ,  dessen  schöne  Staar-Extrak- 
tionen  ich  im  Anfange  meiner  klinischen  Epoche  bewunderte.'«   —   —  — 

Horner's  Nachfolger  wurde,  im  Frühjahr  1886,  sofort  als  Ordinarius, 
0.  Haab,  der  Urheber  des  Riesen-Magneten  und  der  so  verbreiteten  At- 
lanten der  Ophthalmoskopie,  der  Augen-Operationen,  der  äußeren  Augen- 
Erkrankungen. 

§778.  Jobann  Friedrich  Horner  (1831—1886)2), 
geboren  am  27.  März  1831  zu  Zürich,  studirte  daselbst  seit  1849,  wurde 
1854  Doktor,  wandte  sich  hierauf  nach  Wien  und  Berlin,  war  ein  Jahr  lang 
Assistent  Albrecht's  von  Graefe,  mit  dem  ihm  eine  innige  Freundschaft  bis 
zu  dessen  Tode  verband,  ging  dann  noch  zu  kurzem  Aufenthalt  nach  Paris, 
zu  Desmarres,  und  ließ  sich  1856  in  Zürich  als  Augenarzt  nieder,  wo  er 
an  der  Universität  sich  sogleich  für  Augenheilkunde  habilitirte.  Im  Jahre 
1862  wurde  er  a,  o.,  im  Jahre  1875  o.  Professor  der  Augenheilkunde  und 
hat  dies  Amt  ruhmreich  und  mit  größtem  Erfolge  verwaltet,  bis  1 885  ein 
Herz-  und  Nierenleiden  3)  ihn  nöthigte,  seine  Lehrthätigkeit  aufzugeben. 
Trotz  vorübergehender  Besserung  starb  er  am  20.  Dez.  1886  in  Folge 
eines  Hirnschlags. 


1)  Nicht  habilitirt.     (Haab.) 

2)  I.  Biogr.  Lex.  III,  280  u.  VI,  359.     (Horstmann.) 

[Pagel's  Biogr.  Lex.  hervorragender  Ärzte  des  XIX.  Jahrh.,  1901,  S.  781— 782.] 
IL  Deutsche  med.  W.  1886,  S.  948.     (HoRSTMAN^^) 
IIL  Klin.  M.   BI.  XXV,   95—103.    (Düfour.)     A.   d'Oc.  XCVH,   125—136.     Da- 

FOÜR.) 

IV.  Arch.  d'Opht.  VII,  S.  31—64.     (E.  Landolt.) 

3)  Dies  begann  sehr  heimtückisch.  Ich  besinne  mich,  daß  einst  in  den  70  er 
Jahren  zu  Heidelberg,  als  Horner  von  heftigen  Kopfschmerzen  befallen  wurde, 
0.  Becker  ganz  ahnungslos  sagte:  »Ja,  ihr  Kurzsichtigen,  ihr  habt  doch  immer 
über  Kopfweh  zu  klagen.«  —  Mir  selber  hat  Horner,  da  ich  zu  den  Schülern  seines 
eignen  Meisters  gehörte,  stets  das  größte  Wohlwollen  entgegengebracht. 


Fr.  Hiirner. 


23 


»IIoRNEn  war  einer  der  vielen  jungen  Gelehrten,  die  in  den  fünfziger 
Jahren,  der  GiiAEKE'schen  Schule  entsprossen,  nach  allen  Seiten  hin  die 
tiefere  Ergründung,  die  genauere  Untersuchung  und  die  rationelle  Behand- 
lung des  großen  Meisters  wie  eine  frohe  Botschaft  mit  sich  brachten.  An 
Eifer  und  an  Leutseligkeit  dem  Meister  nachfolgend,  stolz  auf  die  erstaun- 
lichen Forlschritte  ihrer  Wissenschaft,   traten   sie  ihre  Laufbahn   an,   und 

Fiff.  4. 


Prof.  Dr.  Horncr. 

überall,  wohin  sie  kamen,  brachten  sie  mit  sich  ein  entschieden  klareres  Licht 
über  die  Augenleiden,  eine  höhere  Macht,  schärfere  Waffen,  um  das  Übel 
zu  bekämpfen  !).< 

Friedrico  IIorner  war  gleich  hervorragend  auf  allen  drei  Gebieten,  die 
wir  bei  den  Vertretern  unsres  Faches  hauptsächlich  zu  betrachten  haben, 
in  der  augenärztlichen  Kunst-Cbung,  als  Lehrer  der  angehenden  Ärzte  und 
als  Förderer  der  Wissenschaft. 


^)   DUFOUR.    II. 


24  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800 — 1875. 

Sein  durchdringender  Blick,  die  Geschicklichkeit  seiner  Hand  und  sein 
menschenfreundliches  Herz  befähigten  ihn,  das  Vertrauen  der  Kranken  zu 
gewinnen,  die  von  nah  und  fern  herbeiströmten,  —  Arme  und  Reiche:  mit 
gleicher  Liebe  und  Sorgfalt  widmete  H.  sich  dem  Tagelöhner,  wie  dem 
Fürsten  eines  der  benachbarten  Staaten.  Um  die  Mitte  der  siebziger  Jahre 
gründete  er  sich  eine  private  Augen-Heilanstalt,  den  Hottinger  Hof*),  und 
hat  dieselbe  20  Jahre  lang  verwaltet. 

HoRNER  war  seinen  Kranken  viel,  —  vielleicht  noch  mehr  seinen  Schü- 
lern. Sein  eindringlicher  Eifer,  die  vollendete  Klarheit  seines  Vortrags,  der 
immer  den  vorgestellten  Fall  genau  und  nach  allen  Richtungen  erörterte, 
seine  hohe  Allgemein-Bildung,  welche  ihn  befähigte,  alle  Wechselbeziehungen 
zwischen  Augen-  und  Kürperkrankheiten  zu  entwickeln,  die  Liebe  zur  Heil- 
kunde im  allgemeinen  und  zur  Augenheilkunde  im  besondren,  die  er  seinen 
Schülern  einzuflößen  sich  bemühte,  —  alles  dies  wirkte  zusammen,  um  das 
innigste  Band  zwischen  Lehrer  und  Hörer  herzustellen  und  dem  angehen- 
den Arzt  jene  dauernde  Belehrung  einzuprägen ,  die  durch  kein  Bücher- 
Studium  ersetzt  werden  kann. 

Obwohl  HoRNER  leider  nicht  dazu  kam,  alles,  was  er  wirklich  zu  sagen 
hatte,  der  wissenschaftlichen  Welt  mitzutheilen;  so  hat  er  doch  schon 
durch  das,  was  er  veröffentlicht,  höchst  bedeutende  Beiträge  zur  Aus- 
gestallung  der  rcformirten  Augenheilkunde  geschaffen. 

Er  war  der  erste,  welcher  die  Antiseptik  auf  das  Gebiet  der  Augen- 
Operationen  planmäßig  anwandte  und  ihren  Nutzen  auch  durch  über- 
zeugende Zahlenreihen  nachwies.  Von  186T — 1870  hatte  er  bei  211 
Star- Ausziehungen  6,6^  Verluste  gehabt;  dann  unter  Befolgung  antisep- 
tischer Vorsichten  von  1870 — 1875  nur  1,5^  bei  391  Ausziehungen  und 
sogar  nur  1,1^,  von  1875 — 1880,  bei  346  Ausziehungen  unkomplicirter 
Alter-Stare  2 1. 

HoRNER  lehrte  uns  Begriff  und  Kenntniß  der  Hornhaut-Herpes^); 
den  Zusammenhang  des  Schicht-Stars  mit  der  rhachilischen  Zahn-Ver- 
bildung^i;  den  Pilz-Ursprung  von  Hornhaut-Geschwüren^). 

Ein  vorzügliches  Lehrbuch  der  Augenkrankheiten  des  Kindes- 
Alters  hat  er  verfaßt;  und,  wenn  er  es  auch  nicht  vollenden  konnte,  so 
gab  er  uns  doch  darin  eine  meisterhafte  Schilderung  der  Bindehaut-  und 
Hornhaut-Erkrankungen. 

1;  Hier  spielt  die  Erzählung  »Brigitte«  von  Berthold  Auerbach,  der  selber 
längere  Zeit  in  der  Anstalt  zugebracht  hatte. 

2)  a)  Die  Antisepsis  bei  Augen-Operationen.  Internat,  med.  Kongreß  Lon- 
don 1881.  b)  Die  Star-Extraktionen  der  ophthalm.  Klinik  in  Zürich.  1870—1880. 
Dissert.  von  Carl  von  Muralt.     Zürich  1881. 

3)  Klin.  M.  El.  1871,  S.  321.     Dissert.  von  Josephine  Kendall.   1880. 

4)  Dissert.  von  Sophus  Davidsen.    1863. 

5)  Klin.  M.  ßl.  1873,  S.  442. 


Fr.  Horner.  25 

i.  Gerhardfs  Handbuch  der  Kinderkr.  V,  2,  1879:  Die  Krankheiten  des  Auges 
im  Kindes-Alter  von  Dr.  Fr.  Horner,  Prof.  in  Zürich. 

(S.  -203 — 37  8.  Abgeschlossen  wurde  das  Werk  von  Prof.  J.  Michel. 
1889.     [S.  383— G34.])  ' 

Ich  möchte  diese  Gelegenheit  benutzen,  um  die  Werke  gleichen  In- 
halts anzuführen. 

2.  Die  Augen -Erkrankungen  im  Kindesalter  von  Prof.  Dr.  Eversbusch  in 
München.    Leipzig  1912. 

S.  .'i.i3 — 902.  Mit  zahlreichen  Text-Abbildungen  und  mit  farbigen  Tafeln 
auch  der  Augengrunds-Bilder.  —  S.-A.  aus  dem  VI.  ß.  des  Handbuchs  der 
Kinderkr.  von  Prof.  Pfaundler  und  Dr.  Schlossmann. 

3.  Die  Augenkrankheiten  des  Kindes-Alters  .  .  .von  Dr.  Emil  Guttmann,  Ass. 
a.  d.  Augenklinik  von  Prof.  Magnus  in  Breslau.     Berlin  1900.  (132  S.) 

4.  Die  Pathologie  u.  path.  Anatomie  des  Auges  im  Kindesalter  von  Prof.  Peters 
in  Rostock.  Wiesbaden  191.1.  (S.-A.  aus  dem  Handbuch  d.  allg.  Path.  u. 
path.  Anatomie  des  Kindesalters  von  H.  Brünig  und  E.  Schwalbe  in 
Rostock. 

Anm.  Daß  Razi  in  s.  Schrift  von  den  Kinderkrankheiten  ein  Kapitel 
von  den  Augenkrankheiten  der  Kinder  uns  überliefert,  habe  ich  bereits  im 
§  280,  S.  187,  erörtert. 

»HoRNEu's  Symptomen-Komplex'<  kennzeichnet  die  Sympathicus- 
Lähmung.  (Lidfall,  Pupillen-Enge,  Rüthung  der  entsprechenden  Gesichls- 
hälfte,  Zurücksinken  des  Augapfels.) 

Horner  hat  seine  Lebensbeschreibung  verfaßt;  20  Monate  vor 
seinem  Tode  begann  er,  kam  aber  nur  bis  zum  Jahre  I85!>;  Landolt  liat 
die  Beschreibung  fortgeführt'): 

Dr.  J.  F.  Hohner.  Ein  Lebensbild,  geschrieben  von  ihm  selbst,  er- 
gänzt von  Dr.  E.  Landolt.  Mit  dem  Bildniß  Hornbr's.  Frauenfeld  1887. 
(138  S.) 

Liste  von  Fr.  Horneu's  Veröffentlichungen, 
die  in  der  bisherigen  Darstellung  noch  nicht  angeführt  worden  sind: 

A.  Klin.  M.  B1.2). 
Zur  Retinal-Erkr.  bei  Morb.  Brightii. 
Periost,  orb.  u.  Perineur.  n.  opt. 

Tumor  retinae. 

Fremde  Körper  in  der  Iris. 

5.  II,  186.     Carcinom  der  Dura,  Exophth.,   Gare,  der  Recti,   allgemeine  Carci- 
nose. 

6.  II,  190.     Kolobom   des  Augenlids.     Zahlreiche  Dermoid- Geschwülste.     Vgl. 
III,  32. 

7.  IV,  257.    Entzündung  beider  Thränen-Drüsen. 

8.  IV,  259.     Zur  Kasuistik  der  Membr.  pup.  persev. 

9.  VII,  129.     Eine  kleine  Epidemie  von  Diphth.  conj. 
10.  VII,  139.     Zur  Behandlung  des  Keratoconus. 
n.  VII,  193.    Eine  Form  von  Ptosis. 
12.  IX,  1.     Tumoren  in  der  Umgebung  des  Auges. 


1.  I, 

11. 

2.    I, 

71. 

3.    I, 

341, 

4.    I, 

393, 

1)  Vgl.   C.  Bl.   f.  A.   1887,   S.  524. 

2)  Im  A.  f.  0.  hat  Horner  nichts  veröffentlicht. 


26  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800— -1870. 

4  3.  XI,  34.     Herpes  corneaUs. 

14.  XI,  488.     Refraktions-Änderungen. 

15.  XII,  4  32.     Desinficirende  Behandlung  einiger  Hornhaut-Erkr. 

16.  XII,  462.     Anatom.  Befund  bei  entzündhchem  Kapsel-Star. 

17.  XIII,  442.     Keratitis  mycotica. 

18.  XVI,  3-20.     a)  Über  nasse  Salicyl- Verbände. 
b)  Über  Erblichkeit  des  Daltonismus. 

B.  Correspondenz-Blatt  für  Schweizer  Ärztei). 

19.  1873.     Zwei  Fälle  von  Trigeminus-Lähmung  mit  sekund.  Augen-Affektionen. 

20.  1875.     Über  Entstehung  und  Beschaffenheit  des  Flügelfells. 

21.  1876.     Strabism.  converg.  bei  Myopie. 

22.  1877.     Indikationen  und  Contra-Indik.  von  Atropin  und  Calabar. 

23.  1878.     Über    Intoxikations-Amblyopien.      (Vgl.    die   Dissertation   von  Eris- 
mann,  Zürich  18G7,  >Über  J.  A.«) 

2i.    1879.     Über  die  Verbreitungs-Wege  der  sympath.  Entzündung. 

C.  Revue  möd.  de  la  Suisse  Romande  1881. 
25.    De  la  myopie  congönitale. 

D.  Über  Brillen  aus  alter  und  neuer  Zeit.     Zürich  1885. 
Vgl.  §  303,  S.  283,  No.  18. 

E.  Beiträge  zur  Ophthalmologie,  als  Festgabe  Friedrich  Hörn  er  zur 
Feier  des  23jährigen  Jubiläums  seiner  akademischen  Lehrthätigkeit  gewidmet 
von  Marc  Dufour  in  Lausanne,  Otto  Haab  und  Max  Knies  in  Zürich, 
Julius  Michel  in  Würzburg,  Wilhelm  Schoen  in  Leipzig  und  0.  F.  Wads- 
worth  in  Boston,  U.  S.  A.     Wiesbaden  1881.  (177  S.,  mit  Abbildungen.) 

1.  J.  Michel,  Das  Verhalten  des  Auges  bei  Störungen  im  Circulations- 
Gebiet  der  Carotis.  2.  M.  Knies,  Über  systematische  Augen-Erkrankung. 
3.  0.  F.  Wadsworth,  The  fovea  centralis  in  Man.  4.  M.  Dufour,  Sur 
Taction  de  Tiridectomie  dans  l'hydrophthalmus  congenitus.  5.  W.  Schoen, 
Der  Aplanatismus  der  Hornhaut.  6.  O.IIaab,  Anatomische  Untersuchung 
eines  27 j.  Anophth.  7.  0.  Haab,  Der  Mikrokokkus  der  Blennorrhoe  neo- 
natorum. (Über  den  Inhalt  dieser  Festschrift  vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1881,  S.  491 
bis  492  und  S.  280.) 

§  779.  In  der  französischen  Schweiz 
hat  die  Republik  Genf  1559  eine  Academie  gegründet,  die  zuerst  durch  die 
Theologie,  im  1 8.  Jahrhundert  auch  durch  die  Naturwissenschaften  glänzte, 
von  1798 — 1814,  als  Genf  unter  französischer  Herrschaft  stand,  die  geistige 
Unabhängigkeit  der  Stadt  Galvin's  rege  erhielt,  aber  erst  im  Jahre  1873 
zur  Universität  sich  erweiterte  und  auch  eine  medizinische  Fakultät 
erhielt  2]. 

In  Lausanne  wurde  die  1536  gegründete  Academie  1806  und  1834 
erweitert,  1888  mit  einer  medizinischen  Fakultät  ausgestattet  und  1891  zu 
einer  Universität  erhoben 2j. 


1)  Ein  »General-Register«  der  ophthalmologischen  Arbeiten  im  Corre- 
spondenzblatt  für  Schweizer  Ärzte,  I.  Lieferung  1871 — 1908),  hat  Dr.  med.  Albert 
DuToiT,  Augenarzt  in  Burgdorf,  1909  zu  Basel  herausgegeben. 

2]  Minerva,  H.  d.  gelehrt.  W.  1911,  I,  S.  151,  153. 


Genf  und  Lausanne.     J.  P.  Maunoir.  27 

l'ber  den  augenärztlichen  Unterricht  in  Genf  und  I^ausanne  hat  Herr 
Kollege  IIaltenhokf  zu  Genf,  dem  ich  zu  besondrem  Dank  verpflichtet  bin, 
mir  (am  24.  Tl.   1912)  die  folgende  Nachricht  gesendet. 

»In  der  französ.  Schweiz  ist,  bis  zur  Gründung  der  zwei  medizinischen  Fakul- 
täten, in  Genf  1876  und  in  Lausanne  1890,  die  Augenheilkunde  nicht  gelehrt 
worden. 

Bis  I8*)l  waren  in  Genf  die  Lehrer  Privat-Docenlen.  (Barde,  Arzt  des 
Hospitals  Rothschild  für  Augenleidende,  und   ich  selber  die  ersten  D. 

Am  10.  Juni  1891  bekam  ich  den  Lehr-Auftrag  als  Extraordinarius,  aber 
ohne  officielle  Einrichtung.  Ich  hielt  den  klinischen  Unterricht  in  meiner  Privat- 
Khnik^j   ab,   die  durch  ein  besuchtes  Ambulatorium  ziemlich  viel  Material  hatte. 

Am  24.  Febr.  1903  wurde  ich  Ordinarius  und  erhielt  eine  Ambulanz  im 
Lokal  der  mediz.  Poliklinik;  aber  erst  im  Mai  1910  endlich  eine  vom  Kantons- 
Spital  eingerichtete  und  abhängige  Abtheilung  im  früheren  Hause  der  Frauen- 
klinik. 

In  L  ausanne  wurde  sofort,  bei  Gründung  der  Fakultät,  Marc  Dufour,  zu- 
erst als  Extraordinarius,  bald  darauf  als  Ordinarius,  mit  dem  ophthalmologischen 
Lehrstuhl  betraut. 

Dank  einem  Vertrag  zwischen  der  Regierung  des  Kanton  Waadt  und  dem 
Direktorium  des  xVsile  des  aveugles^j^  konnte  er  das  reiche  Material  des  mit 
dieser  Privat-Anstalt  verbundenen,  längst  berühmten  Augen-Spitals  für  seinen 
Unterricht  verwenden.  Dieser  Vertrag  erlosch  mit  seinem  Tode.  Seitdem  ist  für 
seinen  akademischen  Nachfolger,  Eperox,  im  Kantons-Spital  eine  eigene  Abtheilung 
für  die  Augenkranken  eröffnet  worden. 

Dr.  August  Dufour,  Makc  Dufour's  Neffe,  bisher  zweiter  Arzt  am  Augen- 
krankenhaus des  Asile,   ist  zum  ersten  vorgerückt.  < 

§  780.  Lange,  ehe  der  Staat  für  die  Förderung  der  Augenheilkunde 
etwas  gethan,  nämlich  schon  im  ersten  Drittel  des  19.  Jahrhunderts, 
wirkte  in  Genf  ein   Mann,  der  Bedeutendes  für  unser  Fach  geleistet  hat. 

Jean-Pierre  Maunoir  (1768 — LSGI)-*', 
geboren  zu  Genf  im  Jahre   I76S,    studirte  in  Paris    unter  Desault    und    in 
England,  wo  er   1797  den  Doktor-Grad  gewann. 

Nach  seiner  Heimat-Stadt  zurückgekehrt,  lehrte  er  eine  Zeit  lang 
Anatomie  an  der  Akademie ^j  und  war  als  Star-Wirker  thätig  und  bald 
sehr  berühmt:  von  weit  her,  aus  Deutschland  und  aus  Frankreich,  kamen 


1;  Das  vom  Baron  Adolf  von  Rothschild  dem  Kanton  Genf  gestiftete  Augen- 
Krankenhaus  wurde  am  3.  Okt.  1874  eröffnet.  Erster  Bericht  von  Dr.  August 
Barde,  Genf  -1876;  achter,  für  das  18.— 20.  Jahr,   1895. 

2)  Erster  Bericht,  Genf  1878;  zweiter  1881  ;  dritter  1883. 

3)  Vor  mir  liegen  die  10  Berichte  (Rapports  presentes  au  Conseil  general 
de  l'Asile  des  aveugles),  Lausanne  1890 — 1900. 

4)  Biogr.  Lex.  IV,  170  (Pagel). 

3)  In  1.  bezeichnet  er  sich  als  Prof.  en  Anatomie  de  TAcad.  Imperiale  de 
Geneve. 


28  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800—1875. 

die  Blinden,  um  von  seiner  sicheren  Hand  die  Sehkraft  wieder  zu  er- 
langen. 

Eine  innige  Freundschaft  verband  Maxjnoir  mit  Antonio  Scarpa  i) : 
»Mein  Briefwechsel  mit  Ihnen«,  schreibt  Maunoir  in  der  Widmung  seines 
Markschwarams  (2.)  an  Scarpa,  ist  »eine  von  den  Thatsachen  meines 
Lebens,  die  am  meisten  dazu  beiträgt,  mir  Liebe  zu  iiieinem  Beruf  einzu- 
flüfäen.« 

Maunoir  erreichte  das  hohe  Alter  von  93  Jahren  und  ist  am  21.  Jan. 
I8CI   verstorben. 

In  der  Chirurgie  hat  er  sich  verdient  gemacht  um  die  Torsion  der  Arterien. 
Von  seinen  äugen  ärztlichen  Abhandlungen  ist  die  bekannteste: 

1.  Über  die  künstliche  Pupillen-Bildung  (Iris-Zerschneidung):  Mömoires 
sur  Torganisation  de  l'iris  et  l'operation  de  la  pupille  artificielle  par  J.  P. 
Maunoir,  Dr.  en  chir.,  Prof.  en  Anatomie  de  TAc.  Imp.  de  Genöve.  Paris 
et  Geneve  1812.    (§  3U.  S.  4öö  u.  4.tG,  No.  22,  22a,  22b.)     Vgl.  auch  4.  und  7. 

Von  weiteren  Arbeiten  sind  noch  zu  nennen: 

2.  Memoire  sur  les  fongus  hematode  et  medullaire.     Paris  1820. 

3.  Einfluß  der  Star-Operation  auf  Lebens-Glück  und  -Dauer  der  Operirten. 
A.  d'Oc.  II,  127,  1839. 

4.  PapillenSperre,  Operation.     A.  d'Oc.  V,  S.  17. 

5.  Über  die  Ursachen  des  Mißerfolgs  bei  der  Star-Ausziehung  u.  über  die  Mittel 
zur  Abhilfe.     A.  d'Oc,  2e  vol.  supplementaire,  S.  179—230,  1842. 

Diese  Arbeit  stammt  aus  dem  Jahre  1834,  wie  aus  den  Angaben  auf 
S.  202  u.  203  über  den  Brief,  den  M.  an  seinen  Freund  Scarpa  geschrieben, 
mit  Sicherheit  zu  erschließen  ist. 

6.  Einrichtung  des  Auges  für  verschiedene  Entfernungen.  A.  d'Oc.  IX,  S.  1 4, 
184  3.  (Weil  ein  17.].  Star-Operirter  mit  demselben  Glas  schießen  und  lesen 
konnte,  sollte  die  Krystall-Linse  nichts  mit  der  Akkommodation  zu  schaffen 
haben!) 

7.  Memoires  sur  les  amputations.  Thydrocele,  et  Torganisation  de  l'iris, 
par  J.  P.  Maunoir  l'aine,  Prof.,  D.  C.  Genöve  et  Paris  1825.  (S.  135—159, 
mit  3  Abbildungen.; 

8.  De  l'organisation  de  l'iris.     A.  d'Oc.  XI,  S.  147,  1844. 

Anm.  Die  in  §551  erörterte  Dissertation  »Quelques  points  de  l'histoire 
de  la  cataracte  .  .  .«,  Paris  1833,  ist  nicht  von  unsrem  Maunoir,  sondern 
von  seinem  Bruders-Sohne  Th^odore-David-Eugene  M.  (1806—1869),  der 
gleichfalls  in  Genf  prakticirte. 

2.  Maunoir's  Abhandlung  über  den  Mark-  und  Blut-Schwamm,  vom 
Jahre  1820,  hatte  ich  bereits  1869  (in  m.  Markschwamm  der  Netzhaut^ 
S.  241,)  beurtheilt,  und  zwar  nicht  sehr  günstig. 

Meine  zweite  Lesung  vom  Jahre  1912  ertheilt  der  von  Scarpa  be- 
lobten und  von  der  Künigl.  Gesellschaft  für  Chirurgie  zu  Bordeaux  am 
1.  Sept.  1819  mit  ihrer  Billigung  beehrten  2)  Abhandlung  die  nämliche  Be- 


il §  717;  §  635,  S.  120. 

2)  »Cet  Essai  que  la  Sociale  Royale  de  M6decine  de  Bordeaux  a  honore 
d'une  approbation.«  (Einleitung  von  2.)  Der  amtliche  Ausdruck  der  Gesellschaft 
lautet:  Le  memoire,  portant  pour  Epigraphe:  Pueris  senibusque  nocebit  a 
rempli  l'attente  de  la  Societe. 


J.  P.  Maunoir.  29 

urtheilung,  wie  1869:  daß  diese  Arbeit  bedeutend  überschätzt  worden, 
nicht  blos  von  den  Zeitgenossen,  sondern  auch  von  Forschern  unsrer  Tage, 
z.  B.  A.  V.  Graefe.     (1868,  Arch.  f.  0.  XIV,  2,  S.  lOöD.) 

Maunoir  beginnt  folgendermaßen:  »Unter  dem  Namen  Blutschwamm 
(fungus  haematodes)  hat  man  zwei  verschiedene  Krankheiten  zusammen- 
gefaßt. Die  eine  beruht  auf  Entartung  der  Organe  in  hirnähnliche  Masse 
oder  genauer  in  einem  Erguß  der  Nerven-Substanz  2).  Diese  nenne  ich 
Fungus  medullaris,  während  ich  den  Namen  Fungus  haematodes  den 
wirkUch  blutigen  und  gefäßartigen  Geschwülsten  vorbehalte,  d.  h.  denen, 
die  ganz  aus  einem  unentwirrbaren  Netz  von  Blutgefäßen  bestehen,  mittelst 
schlaffen  Zellgewebes  zu  einem  schwammigen  Gebilde  vereinigt.« 

Aber  die  Noth  der  Verwechslung  war  nicht  so  groß  gewesen'').  Das 
muß  Mauxoir  selber  zugestehen. 

3.  »Wenn  die  Star-Kranken  die  Ansicht  des  Dr.  X.  läsen,  daß  die 
Star-Operation,  auch  wenn  sie  glückt,  Gemüths-Verstimmung  und  frühen 
Tod  nach  sich  zieht;  so  würden  sie  vorziehen,  blind  zu  bleiben.« 

Ein  einziger  der  von  M.  Operirten  hatte  Anfälle  von  tiefster  Traurig- 
keit, —  wie  schon  vor  der  Operation!  Andre  sind  heiter,  selbst  im  Alter 
von  92  Jahren,   18  Jahre  nach  glücklicher  Star-Ausziehung. 

Von  frühzeitigem  Tode  ist  keine  Rede. 

4.  Ein  armer  Blinder  zeigte  beiderseits  die  Folgen  schwerster  Iritis, 
die  Pupille  auf  Stecknadelkopf-Grüße  verengt  und  verstopft  durch  die  ge- 
trübte Kapsel,  die  flächenhaft  mit  der  Regenbogenhaut  verwachsen  war. 
Dabei  Lichtschein.  Operation  des  linken  Auges"*).  Ein  Lappenschnitt 
von  5/12,  wie  zur  Star-Ausziehung,  wurde  am  unteren  Rande  der  Hornhaut 
angelegt,  die  Iris-Schere  eingeführt,  ein  wenig  geöffnet,  die  spitze  Klinge 
1  2'"  oberhalb  des  unteren  Umfangs  in  die  Iris  eingestochen,  während  die 
geknöpfte  zwischen  Iris  und  Hornhaut  verblieb;  hierauf  beide  senkrecht 
nach  oben  geschoben  bis  VV"  unterhalb  des  oberen  ümfangs,  dann,  die 
Schere  geschlossen,  so  daß  Iris  und  Kapsel-Verdickung  durchschnitten  und 
eine  Katzen-Pupille  gebildet  war:  endlich  die  halbtrübe  Linse  ausgezogen. 
Gute  Sehkraft,  keine  Entzündung.  Aber  als  man  nach  8  Tagen  das  Auge 
aufband,  war  die  Sehkraft  wieder  aufgehoben,  die  schöne,  schwarze  Pupille 
verschwunden  oder  vielmehr  durch  einen  milchweißen  Erguß  ausgefüllt. 
Das  rechte  Auge  wurde  ebenso  operirt  und  blieb  geheilt  und  sehkräftig. 
»Die  Verschiedenheit  des  Ausgangs  verstehe  ich  nicht.« 


1)  F.  LAGRANCiE  erwähnt  von  Maunoir  nur,  daß  er  den  Namen  Fungus  hae- 
matodes durch   F.  medullaris   ersetzt  habe.      Tumeurs  de  l'oeil  I,  S.  600,  1901.) 

■i]  L'une  qui  consiste  principalement  dans  la  degenerescence  des  organes  ea 
une  matiere  c^rebriforme  ou,  en  termes  moins  vagues,  dans  l'epanchement  de  la 
substance  nerveuse.     Je  la  nommerai  Fongus  medullaire. 

3)  Vgl.  die  genaue  Darlegung  §  628,  S.  37. 

4)  Oeil  droit  (S.  18,  Z.  7)  ist  Druckfehler. 


30  XXIII.  Hirschberg.  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800 — 1875. 

1 4  Tage  nach  der  ersten  Operation  des  linken  Auges  wurde  eine 
zweite  auf  demselben  unternommen.  Hornhautschnitt  halb  so  groß,  wie  das 
erste  Mal;  Iris-Schnitt,  der  ein  schräges  Kreuz  (sautoir)  mit  dem  früheren 
darstellte:  eine  reine  Pupille  wurde  gebildet,  die  sich  gehalten  hat,  in  den 
6  Monaten,  die  seitdem  verstrichen  sind. 

Bei  einer  jungen  Frau  aus  Karlsruhe  mit  nur  einseitigem  Star  des 
linken  war  nach  der  Zerstücklung  der  Linse  eine  Pupillen-Sperre  zurück- 
geblieben. Diese  wurde  durch  einen  Schnitt  am  Hornhaut-Rande  (von  ^12) 
und  senkrechte  Iris-Zerschneidung  gleichfalls  geheilt ;  die  Kranke  erhielt  eine 
schöne  elliptische  Pupille;  das  Auge  vermag  mit  einem  Sammelglas  ge- 
wöhnlichen Druck  zu  lesen. 

»Diese  beiden  Beobachtungen  scheinen  mir  neu  (?)  zu  sein  in  der 
augenärztlichen  Wissenschaft. « 

5.  Zu  den  hauptsächlichen  Ursachen  der  Miß-Erfolge  nach  Star- 
Aus  Ziehung  rechnet  M. :  1.  Einen  zu  großen  Hornhaut-Schnitt,  2.  einen 
ZU  kleinen,  3.  Verletzung  der  Iris,  4.  Iris-Vorfall,  5.  Glaskörper-Austritt, 
6.  Verletzung  der  Karunkel  und  der  Bindehaut,  7.  Einsinken  und  Faltung 
der  Hornhaut,  8.  Abbrechen  des  Messers  in  der  Vorderkammer,  9.  die  ver- 
schiedenen Komplikationen  des  Stares,  welche  die  Operation  erschweren 
und  den  Ausgang  unsicher  machen. 

Die  schlimme  unheilbare  Reaktion,  die  Tags  nach  der  Operation  deut- 
lich ist,  mit  gelbweißer  Trübung  der  Hornhaut,  ist  Gangrän  der  letzteren 
und  Folge  eines  zu  großen  Schnittes.  Die  richtige  Größe  sei  Y12  ^ßs  Um- 
fangs  oder  ein  wenig  darüber.  Seitdem  M.  die  Schnitte  über  ^j^^  ver- 
mieden, hat  er  jenen  Unfall  nicht  mehr  gesehen. 

Wenn  aber  bei  leichtem  Druck  der  Star  nicht  austritt,  muß  man  den 
Schnitt  vergrößern,  mit  einem  vorn  abgerundeten  Messerchen. 

Wenn  der  Glaskörper  vorfällt,  ehe  die  Linse  ausgetreten,  muß  man 
die  letztere  mit  einem  Löffel  von  3'"  Breite  holen. 

Ist  trotz  aller  A'orsicht  unter  der  natürlichen  noch  eine  künstliche 
Pupille  geschnitten  worden,  so  muß  man  erst  die  Brücke  durchschneiden, 
ehe  man  die  Linse  auszieht  *). 

Ist  gleich  nach  der  Operation  der  Iris- Vorfall  nicht  zurückzubringen, 
so  senkt  M.  die  spitze  Klinge  der  Schere  in  den  Mittelpunkt  des  Iris- Vor- 
falls, und,  mit  der  stumpfen  zwischen  Iris  und  Hornhaut  bis  zur  Pupille 
vordringend,  schneidet  er  mit  einem  Schlag  den  Theil  der  Iris  zwischen 
dem  Einstich  und  der  Pupille  durch.  Die  Iris  tritt  augenblicklich  zurück. 
Eine  große  Pupille  bleibt  zwar,  aber  das  ist  nicht  so  schlimm,  wie  ein 
großer  Iris- Vorfall.  Man  mag  bei  dieser  Operation  auch  auf  einen  mäßigen 
Glaskörper-Vorfall  gefaßt  sein. 


1)  Dies  thaten  auch  schon  Andre,  z.  B.  Quadri  1827.     Vgl.  §  736,  S.  92. 


J.  P.  Maunoir.  31 

(jlaskürper-Vorfall  soll  man  zu  vermeiden  suchen.  Ist  er  doch  ein- 
getreten, so  muE  man  durch  Verband  einen  ganz  leichten  Druck  ausüben. 
Ein  großer  Glaskörper- Vorfall  beraubt  die  Netzhaut  ihrer  Stütze.  Vielleicht 
faltet  sie  sich  sofort.  Wenn  auch  Wundheilung  eingetreten,  so  folgt  Blind- 
heit nach. 

Die  Verletzung  der  Bindehaut  und  der  Karunkel  stört  nur,  wenn  Blut 
in  die  Kammer  eintritt  und  die  Pupille  deckt.  Man  wartet,  unter  kalten 
Umschlügen,  eine  kurze  Zeit  und  vollendet  dann  die  Operation. 

Was  man  ä  priori  nicht  erwartet,  —  nach  Austritt  des  Kammerwassers 
und  der  Linse  bewahrt  das  Auge  seinen  Umfang  und  seine  Form.  Aber 
doch  nicht  immer.  In  seltnen  Fällen  ist  die  Hornhaut  eingesunken 
und  gefaltet,  so  daß  die  Wundlcfzen  abstehen;  aber  nur  bei  Greisen. 
M.  hat  zwei  Fälle  beobachtet,  mit  Ausgang  in  Schrumpfung.  In  einem 
Falle  füllte  M.  den  Hublraum  der  Orbita  mit  erwärmtem  destillirtem  Wasser, 
ließ  die  Lider  öffnen,  hob  sanft  den  Hornhaut -Lappen,  so  daß  das  laue 
Wasser  eindrang:  Ausgang  in  lloilung.  Er  zieht  das  Augen-Bad  der  Ein- 
spritzung von  lauem  Wasser  in  die  Vorderkammer  vor^). 

Der  reisende  Augenarzt  Ducbelard^)  hatte,  vor  20  —  25  Jahren,  die 
abgebrochene  Spitze  des  Starmessers  in  der  vorderen  Kammer  '/o  Stunde 
lang  gesucht :  das  Auge  ging  verloren.  M.  hingegen  hat  mit  einem  andren 
Messer  die  Star-Ausziehung  vollendet,  um  die  abgebrochene  Spitze  des 
ersten  sich  nicht  gekümmert:  das  Auge  blieb  erhalten. 

»Es  ist  wahrscheinlich,  daß  das  kleine  Eisenstück  sich  oxydiren  und 
auflösen  wird,  ohne  Zufälle  zu  bewirken.«  (Das  ist  freilich  gar  nicht  so 
sicher,  nach  unsren  heutigen  Kenntnissen.) 

Die  Ausziehimg  des  Stares  ist  jedenfalls  der  Verlagerung  vorzuziehen. 
Doch  kann  man  die  letztere  nicht  ganz  entbehren. 

Bei  dem  syrup-ähnlichen  Star  genügt  die  ()ffnung  der  Kapsel.  Bei 
dem  angeborenen  Kapsel-Star  muß  man  warten,  bis  die  Kinder  älter  und 
verständiger  geworden.  Zerstücklung  paßt  nur  für  die  weichen  Stare  der 
jugendlichen  Individuen. 

Als  einmal  bei  einem  solchen  Versuche  die  ganze  Linse  in  die  Vorder- 
kammer fiel,  hat  M.  sie  sofort  aus  einem  Hornhautschnitt  ausgezogen  3). 

(Ich  kenne  kaum  eine  zweite  französisch  geschriebene  Arbeit  über  Star- 
Operation  aus  dieser  Zeit,  —  um  1835,  —  die  auf  so  gründlicher  Erfah- 
rung beruht  und  so  brauchbare  Vorschriften  mittheilt.) 


<)  Vgl.  XIV,  I,  S.  2»,  §  359;  ferner  H.  Knapp,  Über  Einspritzung  schwacher, 
steriler  Kochsalz-Lösung  in  koUabirte  Augen.  Arch.  f.  Augenh.  XL,  S.  174,  1900. 
C.  Bl.  f.  A.   1900,   S.  12-2.)     §  759,   S.  1^8,  No.  103. 

2)  Dieser  >sehr  geschickte  Operateure  fehlt  in  unsrer  Liste  der  irrenden 
Ritter,  §  436—442. 

3)  Vgl.  §  770,  S.  7,  Anm.  \. 


32  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1SO0— 1875. 

7.  Maunoir  hält  seine  Beschreibung  der  Iris-Muskulatur  (Sphinkter  und 
Dilatator)  aufrecht  und  berichtet  den  folgenden  Fall  von  Pupillen-Bildung. 
Eine  65j.  war  vor  22  Jahren  auf  dem  linken  Auge  vom  »irrenden«  Ritter 
Tadini  1)  mittelst  der  Ausziehung  operirt  worden.  Der  Ritter  reiste  ab. 
Die  Sehkraft  ging  verloren,  durch  Iris-Vorfall.  Es  folgte  sehnige  Pupillen- 
sperre. Als  das  zweite  Auge  stockblind  geworden,  wandte  die  Kranke  sich 
an  Maunoir.  Dieser  machte  unten,  in  der  Narbe,  den  Schnitt  von  1/4  des 
Hornhaut-Umfangs  und  brachte  der  Iris,  mit  einer  Schere,  einen  Schnitt 
durch  den  ganzen  Durchmesser  bei,  nach  außen  oben.  Da  dieser  Schnitt 
hnear  blieb,  fügte  Maunoir,  von  demselben  Ausgangspunkt,  einen  zweiten 
Schnitt  durch  die  ganze  Iris  hinzu,  nach  innen  oben,  so  daß  beide  Schnitte 
die  Seiten  eines  spitzwinkligen  Dreiecks  beschrieben.  Augenblicklich  zog 
sich  der  dreieckige  Lappen  zurück,  »durch  die  Thätigkeit  des  strahlen- 
förmigen Muskels«.  Es  entstand,  ohne  Ausschneidung,  eine  viereckige  Pu- 
pille.    Die   Sehkraft  wurde  befriedigend. 

Bei  einem  Maurer,  dessen  rechtes  Auge  durch  Mörtel  eine  Hornhaut- 
Trübung  erlitten,  welche  die  Pupille  vollkommen  deckte,  machte  Maunoir 
einen  Schnitt  von  3'"  am  oberen  Hornhaut-Rande,  führte  die  Schere  mit 
den  beiden  geknöpften  Armen  ein,  um  Verletzung  der  Linse  zu  vermeiden, 
schnitt  unten  die  Iris  zwei  Mal  ein,  wie  im  vorigen  Fall,  und  erhielt  eine 
viereckige  Pupille  und  gute  Sehkraft. 

Also  die  Iridotomie  simple  des  Herrn  vox  Wecker,  aus  dem  Jahre 
1872   (A.  d'Oc.  LXX,  S.    1  37  f.)  hat  eine  lange  Vorgeschichte. 

1.  Pellier  hat  sie  1783  empfohlen.     §  343,  S.  446. 

2.  Scarpa  hat  sie  1816  empfohlen  und  wohl  auch  ausgeführt.     §  718,  S.  20. 

3.  Maunoir  hat   sie  neu   ersonnen,   ausgeführt   und   18-20    in  französischer 
Sprache  beschrieben. 

Alle  drei  sind  Herrn  von  Wecker  entgangen,  obwohl  er  sich  damit  brüstet, 
»d'avoir  secouo  un  peu  la  poussiere  des  vieux  bouquins  et  des  Manuscrits  de 
rAcademie  de  Medicine«.      (1893,  Archives  d'Opht.   XIII,   S.  222.) 

§781.  Drei  Männer  sind  noch  zu  erwähnen,  welche  in  der  fran- 
zösischen Schweiz  während  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts,  oder 
ein  wenig  darüber  hinaus,  auf  unsrem  Gebiet  thätig  gewesen  sind,  Pre- 
YOST,  Mayor,  Cornaz. 

I.  Als  Zeitgenosse  von  Maunoir  lebte  zu  Genf  ein  Mann,  der  an  einer 
wichtigen  Entdeckung  zur  Physiologie  des  Seh-Organs  betheiligt  ist. 

Jean  Louis  Prevost  (1790 — 18ö0)2), 
geboren  zu  Genf,  studirte  erst  Theologie,  dann  Heilkunde  zu  Paris,  London, 
Dublin,  machte  1820  sein  Staats-Examen  und   ließ   sich   zu  Genf  als  Arzt 

1)  Vgl.  §  442. 

2)  Biogr.  Lex.  IV,  623. 


Prevost.     Mayor.     Cornaz.  33 

nieder;  doch  beschränkte  er  seine  bedeutende  Praxis  seit  1837  und  wid- 
mete sich  chemischen  und  physiologischen  Studien. 

Im  Jahre  1810  zeigte  Prevost  i),  daß  nicht,  wie  bisher  gewühnUch^) 
angenommen,  das  Augen  leuchten  gewisser  Thiere,  z.  B.  der  Katze,  durch 
eigne  Licht-Entwicklung  erzeugt  werde;  daß  es  niemals  in  vollkommener 
Dunkelheit  und  weder  willkürlich  noch  durch  Affekte  hervorgebracht  wird, 
sondern  stets  nur  durch  Reflexion  von  einfallendem  Lichte  entstehen  kann. 
(Vgl.  GauiTnuiSEX,   §  850.) 

IL  Zu  Lausanne  wirkte  von  1803 — 1846  als  Oberwundarzt  des  Kanton- 

Ilospitals 

Mathieu-Louis  -Mayor  (1775  — 1846), 

Urheber   von    einigen    verdienstlichen,   einigen   rohen    und   abenteuerlichen 

Verfahren. 

Nach  der  Ätzung  der  Bindehaut  des  Oberlids,  mit  Hüllenstein-  oder 
Kupfer-Stift,  bringt  er  einen  Baumwollenbausch  ein  zwischen  Lid  und  Aug- 
apfel.    (A.  d'O.  VII,  273,  1842.) 

III.  Zu  NeufchateP)  wirkte  seit  1855  als  Ilaupt-Wundarzt  des 
Krankenhauses, 

Eduard  Corxaz, 
der  1848  zu  Bern  den  Doktor  erlangt  hatte  mit  der  Dissertation 4) 

Des  abnormites  congenitales  des  yeux  et  de  ses 
annexes  (8",   168). 
Die  fleii3ige  Zusammenstellung  berücksichtigt  die  verschiedenen  Fehler  nach 
ihrem  Sitz,  nicht  nach  der  Art. 

Im  Jahre  1830  hat  der  Vf.  (A.  d'Oc.  XXIII,  S.  24—52)  Zusätze  dazu  geliefert; 
und  weitere  1852  (ebendas.  XXVI,  S.  85—119): 

Materialien  für  eine  Geschichte  der  angeborenen  Abnormitäten 
der  Augen  und  ihrer  Umgebungen. 

Diesem  Gegenstand  hat  er  auch  noch  weiterhin  seine  Aufmerksamkeit  ge- 
widmet: 

Über  Albinismus.     A.  dOc.  XXXII,  S.  288. 

Über  die  Behandlung  des  Albinismus.    XLIII,  S.  52. 

Über  die  vergleichende  Häufigkeit  der  Iris-Färbung.    XXXI,  251. 

Anomalien  der  Iris-Färbung.     XXXV,  138. 

Ferner  schrieb  er  äugen  ärztliche  Analekten,  d.h.  geordnete  Berichte 
aus  der  Fach-Literatur,     i  A.  d'Oc.  XXXIt  bis  XL.) 


1)  Bibliotheque  britaniiique,  I,  45.  Vgl.  Helmholz.  Physiologische  Optik, 
1867,  S.  189. 

2)  Aber  BiDLoo  hatte  schon  vor  1715  das  Richtige  durch  Versuche  erwiesen. 
(Vgl.  §  762.) 

3)  Hat  seit  1866  eine  Universität,  ohne  medizinische  Fakultät. 

4)  Vgl.  §  518,  S.  291.  Es  ist  nicht  die  erste  Abhandlung  über  diesen  Gegen- 
stand in  französischer  Sprache.  Schon  1830  hatte  C.  Billard  (d'Angers) 
in  seiner  franz.  Übersetzung  der  Vorlesungen  von  W.  Lawrence  (§  637,  S.  138) 
einen  Abriß  der  pathol.  Anatomie  des  Auges  gegeben  und  darin  (S.  453—469)  die 
angeborenen  Fehler  behandelt. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VIL)   XXIILKap.  3 


34  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800 — 1875. 

Im  Jahre  1832  (A.  d'Oc.  XXVIII,  S.  3—67)  veröffentlichte  C.  eine  Übersicht 
der  vorhandenen  Augenheil- Anstalten ,  eine  Erweiterung  der  Arbeit  von 
W.  Stricker  1)  aus  Frankfurt  a.  M.  (Walther  und  Ammon's  J.  d.  Chir.  und  Augenh. 
XXXVII,   372—384,    1847.) 

Endlich  hat  C.  zwei  Hefte  einer  Revue  ophth.  Suisse  (Übersicht  über  die 
augenärztlichen  Leistungen  Schweizer  Ärzte)  in  den  A,  d'Oc.  veröffentlicht: 

XXX,  83—116,  1853; 
XXXn,  131,   177,   1854  2). 

Hieraus  möchte  ich  einige  Bemerkungen  entlehnen,  die  zur  Kennzeichnung 
der  Schweizer  Augenheilkunde  aus  der  ersten  Hälfte  des  1 9.  Jahrhunderts  dienen 
können. 

Die  Verhandlungen  der  (1810  gegründeten)  med.  chir.  Gesellsch.  des 
Kantons  Zürich  aus  den  Jahren  1826/27  enthalten  die  Geschichte  eines  erfolglos 
operirten  Markschwamms  vom  rechten  Auge  einer  65j.,  von  Dr.  Locker  Balber, 
und  die  eines  krebsigen  Leidens  der  Lider  und  der  Orbita,  von  Dr.  Rahx.  Heilung 
einer  Neugeborenen-Augeneiterung  durch  stündliche  Einträuflung  einer  Lösung 
von  Zink-Sulfat  und  Blei-Acetat,  von  Dr.  Ruepp  (Aargau). 

In  den  Verhandl.  der  vereinigten  ärztl.  Gesellsch.  der  Schweiz 
(1828—33)  empfiehlt  Volmar  aus  Freiburg  Jodkali  gegen  Hornhaut-Flecke,  Favarnie 
Einträuflung  von  Chlorkalk  (0,3:60,0)  gegen  Augen-Eiterung.  Dr.  Schinz,  Stiftsherr 
in  Zürich,  bespricht  den  Augentrost  (Euphrasia). 

In  der  Schweizer  Zeitschr.  f.  Natur-  und  Heilk.  (V,  1,  1838,  S.  113) 
hat  Prof.  Füter3)  aus  Bern  einen  Fall  von  Blei-Amaurose  bei  einem  Maler  mit- 
getheilt.  Titus  Tobler  (aus  Appenzell)  berichtet  über  Ägyptens  Ophthalmie,  nach 
eigenen  Beobachtungen.  Dr.  C.  Diebold  (Baden,  Aargau)  beschreibt  ausführlich 
einen  Fall  von  Kalk-Verätzung  des  Auges. 

Aus  den  Berichten  über  das  Krankenhaus  Pourtales  zuNeufchatel  ersehen 
wir,  daß  Dr.  Castella  grundsätzUch  die  Niederlegung  der  Ausziehung  vorzieht. 
In  der  chirurgischen  Klinik  des  Prof.  Locher-Zvvingli  zu  Zürich  wurden  5  Star- 
Fälle  der  Niederdrückung  (8  Mal)  unterzogen,  einer  der  Aufbrechung.  Eine  64 j. 
verfiel  nach  der  Star-Operation  in  Geisteskrankheit. 

Wir  lernen  Dr.  J.  J.  Jenni  aus  Ennenda  (Glaris)  kennen,  dessen  Arbeit  über 
Entzündung  der  Vorderkapsel  (Capsitis)  aus  der  Schweizerischen  Zeitschrift  für 
Med.  Chir.  und  Geburtsh.  (1842,  No.  8)  ausführlich  wiedergegeben  wird;  ebenso 
wie  sein  Bericht  über  1228  Augenkrankheiten,  die  er  binnen  10  Jahren  behandelt 
hatte.  (Ebendas.  i844,  No.  8.)  Im  Jahre  1849  war  die  Zahl  auf  1143  gestiegen. 
(Ebendas.  1850,  2,  146— 148.1 

In  den  Verhandl.  der  naturforschenden  G.  zu  Basel  (IV,  24—28,  1840  und 
VII,  90 — 100,  184  7)  berichtet  Dr.  Aug.  Burkhardt*)  über  das  Mücken-Sehen  im 
physiologischen  Zustand  und  über  die  Wahrnehmung  der  kleinen,  im  Augen-Innern 
gelegenen  Körperchen. 

§  782.  Von  den  Augenärzten  der  französischen  Schweiz  aus  der 
Reform-Zeit  habe  ich  zwei  zu  erwähnen,  deren  Laufbahn  bereits  ab- 
geschlossen vor  uns  liegt: 

L  Marc  DuFOuit, 
geb.  den   21.  April    1843   zu    Villeneuve    bei  Montreux,   gest.  den   29.  Juli 
1910  zu  Lausanne- 


1)  §   340. 

2)  Der  2.  Bericht  enthält  die  älteren  Mittheilungen. 

3)  §  773. 

4)  Vgl.  §  769. 


Marc  Diifour, 


Sö- 


Fij 


Seine  Studien  maclite  M.vuc  DuFoun  zu  Lausanne,  Bern  und  Zürich 
und  promovirte  an  letztgenannter  Universität  im  Jahre  i86o.  Seinen  ärzt- 
lichen Bestallungsbrief  vom  Kanton  Waadt  erhielt  er  am  5.  März    1867. 

Schon  frühzeitig  entschied  er  sich  für  das  Sonderfach  der  Augenheil- 
kunde und  betrieb  eifrige  Studien  bei  IIoiiner  in  Zürich,  Liebreich  in  Paris 
und  bei  A.  v.  Guaefe  in  Berlin  und  assistirte  jedem  seiner  drei  Lehrer, 
hii  Jahre  1 8G6  wurde  er  nach  Lausanne  berufen ,  um  im  Blinden-Asyl 
Herrn  Dr.  Recohdox  zu  unterstützen.  Als  dieser  sehr  bald  sich  zurückzog 
wurde  Marc  Dcfour  Leiter  dieser  Anstalt  und  des  damit  verbundenen 
Augon-Krankenhauses.  Eine  kurze  Unterbrechung  fand  diese  Thätigkeit 
durch  den  Krieg  vom  Jahre  1870,  wo  M.  D.,  als  Arzt  der  Schweizer  Ambu- 
lanz dem  ö.  französischen  Armee-Korps  zugetheilt, 
den  Zug  nach  Sedan  mitmachte.  Nach  seiner  Rück- 
kehr widmete  er  sich  wieder  seiner  augenärztlichen 
Thätigkeit  und  konnte  am  10.  Juni  1909  das  Fest 
seines  40 jähr.  Dirckloriats  der  Augen-Ilcilanstalt 
feiern.  20  000  Kranke  hatte  er  im  Hospital  behan- 
delt, die  Zahl  der  Konsultationen  in  der  augenärzt- 
lichen Poliklinik  stieg  jährlich  auf  1  0  000.  Dazu  kam 
eine  hervorragende  Privat-Praxis,  der  Fremde  aus 
allen  Ländern  zuströmten.  Von  den  in  der  Privat- 
Praxis  erworbenen  Mitteln  stiftete  er  einen  Fonds- 
Dufour,  aus  dem  1895  eine  Arbeits-Stätte  für  blinde 
Frauen  und  kürzlich  ein  Heim  für  erwachsene  Ar- 
beiter, das  Asyl  Dufour,  errichtet  werden  konnte. 

Als  die  (1537  gegründete)  Akademie  zu  Lausanne  1890  in  eine  Uni- 
versität umgewandelt  wurde,  war  es  Marc  Dufour,  der  die  Professur  der 
Augenheilkunde  erhielt  und  dieselbe  zum  Ruhme  der  Universität  bis  zu 
seinem  Tode  verwaltet  hat.  Im  Jahre  1904  war  er  Vorsitzender  des  inter- 
nationalen Kongresses  der  Augenärzte  zu  Luzcrn. 

Seine  Thätigkeit  war  umfassend,  seine  Arbeitskraft  wunderbar,  auch 
noch  im  vorgerückten  Lebensalter. 

Erholung  (und  Belehrung)  suchte  er  auf  Reisen.  Vor  wenigen  Jahren 
erhielt  ich  von  ihm  eine  Postkarte  aus  Japan.  In  Jahre  1910  war  er 
eben  erst  zwei  Tage  von  einem  Ausflug  nach  Spitzbergen  zurückgekehrt, 
als  ihn  der  tödliche  Schlaganfall  ereilte. 

3L\nc  Dufour,  mit  großer  Beredsamkeit  begabt  und  mit  einem  Herzen, 
das  warm  schlug  für  das  Wohlergehen  seiner  Mitbrüder,  hat  sich  auch  in 
hervorragender  Weise  an  den  öffentlichen  Angelegenheiten  betheiligt,  als 
Stadtrath  zu  Lausanne  1874 — 1886,  als  Abgeordneter  zum  Großen  Rath 
1882  und  1884,  als  Mitglied  der  Konstituante  vom  Jahre  1885.  Aber, 
wie  es  den  Weisen  und  Menschenfreunden  nicht  selten  im  Rate  der  Völker 


Marc  Dufour. 


36  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800—1875. 

zustößt,  er  drang  nicht  durch  mit  seinem  An-  und  Absichten  und  erklärte, 
daß  er  in  den  Volksversammhingen  des  Landes  nicht  wieder  erscheinen 
würde,  und  hat  sein  Wort  gehalten. 

Natürlich  fehlte  es  auch  dem  Republikaner  nicht  an  äußeren  Ehren. 
Im  Jahre  1903  wurde  er  zum  Ehrenbürger  von  Lausanne  erwählt,  1906 
zum  Offizier  der  Ehrenlegion  ernannt,  1908  wurde  ihm  sein  von  Charles 
GiRON  gemaltes  Portrait  feierlich  überreicht. 

Marc  Dük(iur  war  ein  edier  Charakter;  er  vereinigte  in  sich  nicht 
bloß  die  Wissenschaft,  sondern  überhaupt  die  besten  Seiten  der  beiden 
Nachbar-Nationen,  der  französischen  und  der  deutschen,  mit  seiner  Schweizer 
Eigenart.  Seinen  Kranken  zeigte  er  die  größte  Herzensgüte,  seinen  Fach- 
genossen und  allen,  mit  denen  er  zusammenkam,  eine  bezaubernde  Liebens- 
würdigkeit^. 

Ich  schließe  mit  einer  Liste  seiner  hauptsächlichen  Veröffent- 
lichungen, indem  ich  seine  hervorragende  Mitwirkung  an  der  französischen 
Encyklopüdie   der  Augenheilkunde  noch  besonders  hervorhebe. 

1865.   La  constance  de  la  force  et  les  mouvements  musculaires.     These  de   doc- 
torat  (Zürich). 

1870.  Un  cas  de  triplopie  monoculaire.     A.  d'Oc.  LXVI,  252. 

1871.  Embolie  de  l'artere  centrale  de  la  rötine.    Bulletin   de   la  Societ6  Mödicale 

de  la  Suisse  Romande. 

1 875.  Rupture  du  ligament  suspenseur   du  cristallin   et  möcanisme   de   l'accomo- 

dation.     Ebendas. 

1876.  Guerison  d'un  aveugle-ne.     Ebendas.     Vgl.  §  455,  S.  413,  No.  2ü. 

1879.  Affection  retinienne  produite  par  un  öclipse  du  soleil.     Ebendas. 

1880.  Sur  la  transplantation  conjonclivale.     Ebendas. 

Sur  l'action    de   riridectomie  dans  l'hydrophtalmus  congenilal.     Festschrift 
für  Homer. 
1885.    De  l'aimante  dans  la  therapeutique  oculaire.    Rev.  Med.  Suisse  Romande. 
1888.    Sur  la  vision  rouge  ou  erythropsie.     Ebendas. 
Sur  deux  cysticerques  enlevös  d'un  meme  oeil. 

Traitement  de  la  sclerite  par  le  salicylate  de  lithion.     A.  d'Oc.  XCIX,  211. 
1890.    Des   cataractes  secondaires   au  point   de    vue   operatoire.     Bulletin    de    la 
Soc.  frauQ.  d'ophtalmologie. 

1892.  Cecitö     totale    pour    les    couleurs.      Recueil    inaugural    de    TUniversite    de 

Lausanne. 

1893.  Injections  sousconjonctivaies  de  sublimö.     Association  fran^aise  pour  Tavan- 

cement  des  Sciences,  Besannen. 

1894.  A  propos  de  la  theorie  de  la  vision  des  couleurs.     A.  d'Oc. 
Hemorragies  retrochoroidiennes  apres  les  Operations.     Ebendas. 

1897.  UlcOre  rongeante  de  la  cornee.     Bulletin  de  la  Soc.  franc;.  d'ophtalmologie. 
La  diplopie  monoculaire  dans  le  mecanisme  de  Taccommodation.    A.  d'Oc. 

p.  379.     Congrfes  de  Moscou. 

1898.  Op.  de  cataracte  par  lambeau  inferieur.     Bulletin    de  la  Soc.  fran9.  d'oph- 

talmologie. 


1)  Mir  persönlich  war  er  ein  lieber  Freund,  seit  den  Tagen  von  1868,  wo  ich 
die  V.  GRAEFE'sche  KHnik  verließ,  und  er  sich  mit  Swanzy  in  die  von  mir  bis  da- 
hin verwaltete  Hospital-Abtheilung  theilen  konnte. 


Marc  Dufour.     Georg  Haltenhoff.  37 

1900.    Sur  les  traitements  des   complications  oculaires   de  la  variole.     Rev.  Med. 

Suisse  Romande. 
1906.    Trait^  des  maladies  de  la  retine.     Encyclopödie  frang.  d'opht.    (Avec 

E.  Gonin.) 
■1907.    Hypertonies  passagires.     A.  d'Oc.  CXXXVIII,  403. 

1908.  Traite  des  maladies  du  nerf  opt.    (Avec  E,  Gonin.)  Encyclop.   fran?. 

dophtalmologie. 

1909.  Sur   un    procede    pour    les   Iridectomies   difficiles.     La    cecite    de   Milton. 

Rennion  dOxford,  Juli  4  909. 

§  78;{.     II.  Geohg  Hamknuoff  (1842—1915)!'. 

Geboren  im  Nassauischen 2,  am  8.  Juni  1843,  kam  G.  H.  jung  nach 
Genf,  studirte  zunächst  daselbst,  sodann  in  Würzburg,  Zürich,  Paris, 
Berlin 3],  Heidelberg,  gewann  1866  den  Doktor  zu  Zürich  und  ließ  sich 
1872    als  Augenarzt  in  Genf  nieder. 

Im  Jahre  1872  habilitirte  er  sich  in  Genf  als  Privat-Dozent  für  Augenheil- 
kunde, 1 8*J1  erhielt  er  den  Lehr-Auftrag  als  a.  o.  Professor,  aber  ohne  klinische 
Einrichtung;  1903  wurde  er  o.  Professor,  erhielt  eine  Poliklinik,  aber  erst 
im  Mai  1910  eine  Augen-Abtheilung,  —  im  Alter  von  67  Jahren,  als  seine 
Schaffenskraft  zu  versiegen  begann.  Nicht  lange  konnte  er  sich  der  Ver- 
vollkommnung seiner  Unterrichts-Einrichtungen  erfreuen.  Am  24.  April 
1915  ist  er  nach  längerer  Krankheit  verstorben. 

G.  Haltenhoff  war  ein  fleißiger  Arbeiter,  auf  verschiedenen  Gebieten 
unsrer  Fach-Wissenschaft,  der  Klinik,  auch  der  vergleichenden,  der  Hy- 
giene, der  Optik  und  der  Physiologie. 

1873.     1.    Memoire  sur  la  cröation  d'une  division  ophthalmique  ii  Thöpital  cantonal 
de  Genüve.     G.     (23  S.) 

1873.  -1.    Retinitis  haemorrh.   bei    Diabetes    mellitus.     Klin.    M.  El.,    S.   291—298, 

und  A.  dOc.  LXII,  S.  20—31. 

3.  Cataracte   traumatique   luxöe,    resorption    spontanöe.     Bull,   de  la  Soc. 

Med.  de  la  Suisse  Romande,  No.  12. 

4.  Fragment  de  bois  dans  la  cavite  orbitaire.    Ebendas.,  No.  10. 

1874.  .5.    C.  R.  de  quelques  travaux  röcents  sur  les  cavitös  lymphatiques  de  l'ap- 

pareil  visuel.     A.  d'Oc.  LXXI,  S.  208—212. 
6.   Apparat  zu  optischen  Demonstrationen.     Klin.  M.  El.,  S.  198—200. 

1876.  7.   La  Strychnine  dans  la  therap.  oculaire.    Soc.  mäd.  de  Geneve.    G.  (24  S.) 

1877.  8.    Ätiologie  und  Prophylaxe   der  Myopie.    Intern,  med.  Kongreß   zu  Genf. 

A.  d'Oc.  LXXVIll,  S.  106  und  132. 
9.   Aphakie  et  aniridie  traumatiques  permettant  Pobservation  du  fonds  de 
Fajil  sans  ophtalmoscope.     Ebendas.  LXXVI,  S.  139. 

1878.  10.    Resume  des   travaux  publies  sur  le  pourpre  visuel.     Arch.de  sc.  phys. 

et  nat.  de  Geneve  LXI. 


1)  C.  El.  f.  A.  Juni  1913.  ;J.  Hirschberg.]  —  Vgl.  Biogr.  Lex.  III,  36.  1886. 
(Horstmann.)  Wörtlich  übernommen  in  Pagel's  biogr.  Lex.,  1901,  S.  682. 

2)  Nach  Horstmann,  in  Genf.  Doch  hat  mich  Prof.  Axenfeld  darauf  auf- 
merksam gemacht,  daß  dies  ein  Irrthuin  sei. 

3)  Hier  machte  ich  seine  Bekanntschaft.  Wir  sind  dauernd  in  freundschaft- 
lichen Beziehungen  geblieben.  —  H.  hat  ja  natürhch  des  Französischen  für  seine 
Veröffentlichungen  sich  bedient;  aber  sein  Deutsch  nicht  vergessen  und  noch 
1908  deutsch  geschrieben. 


1880. 

14. 

15. 

16. 

1881. 

17. 

38  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  der  Schweiz,  1800  —  1875. 

11.  Premier  rapport  de  la  clinique, 

12.  De  l'hygiene  de  la  vue   au  point  de   vue  industriel.     J.  Suisse  d'horlo- 

gerie,  März. 
1879.  13.    Note  sur  un  cas  d'aphakie. 

Bindehaut-Blutung  bei   einem  Neugeborenen,  Hämophilie,  Tod.    R.  sur 

les  travaux  de  la  Soc.  med.  de  Geneve. 
Angeborener  Star,  an  einem  7i/:>jähr.  Mädchen  operirt.     Ebendas. 
Neurotomia  opticocil.     Bull,  de  la  Soc.  Med.  Suisse  Rom. 
Sarcome  melanot.  de  la  conj.  ocul.     Rev.  Med.  Suisse  Rom.,  No.  3, 
18.    Deuxieme  rapport  de  la  clinique. 

1882.  19.    Prävention  de  la  cecite.     4.  Congr.  Internat,  d'hygiene  et  de  demogr. 

1883.  20.    Ankylobleph.,  greffe  animale  .  .  .     Rev.  Med.  Suisse  Rom. 

21.  Jequirity.     Ebendas. 

22.  Epitheliom  des  Lids.     Ebendas. 

23.  Troisieme  rapport  de  la  clinique  opht.  du  Molard. 

1884.  24.  Conj.  gonorrh.  ohne  Inokulation.     Arch.  f.  Augenh.    XIV.   S.   103   (und 

Arch.  of  Ophth.  XV,  S.  169). 
25.    Notice  bist,  sur  Daviel.     Rev.  Möd.  Suisse  Rom. 
1883.  26.    Une  extraction  de  cysticerque  du  Corps  vitro.   A.  d'Oc.  XCIV,  S.  236. 

27.    a)   Diabet.  Star   bei    einem   Hunde,     b)    Erbliches    Entropium    in    einer 
Hunde-Familie.    Zeitschr.  f.  vergl.  Augenheilk.  III,  65. 

1886.  28.    Necrol.  deProf.  Horner.  Rev.  Med.  Suisse  Rom. (§  346,  S.  478u.S355,No. 4.) 

1887.  29,   Vertige  paralysant.     Recueil  d'Opht.,  S.  408  und  Progres  möd.,  No.  26. 

1888.  30.    Kerat.  parenchym.  beim  Hunde.    Zeitschr.  f.  vergl.  Augenheilk.  VI,  S.  71. 

1889.  31.    Observ.  clinique.     A.  d'Oc.  CII,  S.  108. 

1893.  32.    Keratite  dendrit.  traumat.     A.  d'Oc.  CIX,  S.  238. 
33.    Deux  cas  rares  de  zona  opht.     Ebendas.,  S.  260. 

1894.  34.   Du  traitement  des  cataractes   traumatiques.     Rapport  pr.  ä  la  Soc.  fr. 

d'opht.  (31   S.) 

1895.  33.    Prolapsus  träum,  de  la  glande  lacrim.  orb.     A.  d'Oc.  CXIII,  S.  319. 
1898.  36.    Operation  de  la  cataracte  chez  le  chien.     Ebendas.  CXXI,  S.  129. 
1902.  37.   Un    cas    de    tötanus    cephalique    avec     paralysie    faciale    et   oculaire. 

Guerison  ...     A.  d'Oc.  CXXVUI,  S.  467. 
38.    Gas  de  lepre  avec  localis,  ocul.     Ebendas. 

1905.  39.    Die  Berger'sche   Binokular-Lupe.     Ophth.  Klinik,    Xo.  22    und  Clinique 

opht.,  S.  281. 

1906.  40.    HerMo-syph.  ä  la  troisieme  generation.    Rev.  Med.  Suisse  Rom.  XXXVI, 

No.  6. 
41.    Double  conj.  diphtheroide.     Ebendas. 
1908.  42.    Ophtalmoplegie  externe  double  nucleaire.     A.  d'Oc.  CXXXIX,  S.  290. 

43.  Mercure  ä  prendre  pour  combattre  l'ophtalmie  des  nouveau-nes.     Eben- 

das. CXL,  S.  394. 

44.  Welches  sind  die  gesetzlichen  Maßnahmen,  die  in  der  Schweiz  zur  Be- 

kämpfung   der    Augen-Entzündung    der    Neugeborenen    zu   ergreifen 
sind?     St.  Gallen. 
1910.  43.    Lesions  ocul.  tabetiques.    Revue  g^n.  d'Ophtalm.,  S.  426. 

§  784,     Die  Berichte  über  die  Wirksamkeit 

der  Augenkliniken  und  Augen-Heilanstalten 

stellen  einen  besonderen  Abschnitt  der  Fach-Literatur  dar,  der  für  die  Ent- 
wicklung der  Wissenschaft  gewiß  nicht  ohne  Bedeutung  geblieben,  obwohl  in 
diesen  Veröffentlichungen  neben  wichtigen  auch  minderwerthige  einhergehen. 
Diese  Schriftstücke  sind  der  Mehrzahl  der. Fachgenossen  nicht  so  leicht  zugängHch; 


Berichte  über  Augenkliniken.  39 

ihr  Inhalt  ist  auch  nicht  immer  in  die  Jahresberichte  und  in  die  referirenden 
Zeitschriften ')  übergegangen. 

Ich  will  deshalb  für  die  Schweiz  eine  Übersicht  dieser  Berichte,  soviel  in 
meiner  Bücher-Sammlung  vorhanden  sind,  zu  geben  versuchen,  zumal  mein 
Streben  dahin  gerichtet  ist,  durch  meine  Darstellung  den  Fachgenossen  eine 
möglichst  vollständige  Bibliographie  der  Augenheilkunde  vorzuführen. 

I.  Basel. 

1 .  Prof.  Schiess-Gemlseus  hat  regelmäßig  Jahresberichte  veröflentlicht.  Der 
Jubiläums-Bericht  anläßlich  des  2üj.  Bestehens,  vom  Jahre  1889,  enthält 
auch  eine  kurze  Geschichte  der  Anstalt.      (Vgl.   §  771.) 

2.  Prof.  Dr.  Kahl  Mellixger  hat  die  Jahresberichte  fortgesetzt.  Aus  dem 
35.,  für  1898,  entnehme  ich:  B.  Kr.  609,  A.  Kr.  2883;  Operationen  225 
(Star-O.  79);  Ausgaben  etwa   63  000   Frcs. 

Über  die  klinischen  Mittheilungen  vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1899,  S.  306—307. 

Zusatz:  Die  Festschrift  z.  75j.  Prof.-Jubil.  von  Schiess-Gemiseis,  (1893) 
h.  V.  Mellinger,  enthält  von  dem  letztgenannten:  Schädlicher  Einfluß  des 
Cocain,  mur.  auf  die  erste  Vereinigung  von  Hornhaut-Wunden ,  ferner  einen 
neuen  Lidsperrer.  Ferner  Bethke,  Magnet-Operation;  G.\LLKX(iÄ,  Aderenze  am- 
miotiche  all'   occhio ;   Speiser,  Ret.  prolif.  u.  a. 

n.  Bern. 

1 .  Compte  Rendu  Statistique  de  la  clinique  ophthalmologique  de  l'Univ. 
de  Berne  (1867  —  1876)  par  le  Dr.  II.  Dor  (ä  Lyon),  Prof.  hon.  de  l'Univ.  de 
Berne,   ist  als  Suppl.  der  Klin.  M.  f.  A.   XVI,    1878   erschienen. 

2.  Prof.  Pflüger  hat  regelmäßige  Jahresberichte  von  1878 — 188  6  ver- 
öffentlicht.    (§  77 ö.) 

3.  Das  Prachtwerk  von  Prof.  Sieghist  haben  wir  bereits  erwähnt.  (§  77  4.) 

4.  Der  erste  Bericht  der  Privat-Poliklinik  von  Dr.  Fmmert  ist  1878  erschienen. 

III.  Zürich. 

1 .  Miltheilungen  aus  der  ophthalmologischen  Klinik,  von  Prof.  Dr.  Horner 
in  Zürich,  1878.  S.-A.  aus  dem  amtlichen  Bericht  über  die  Verwaltung  des 
Medizinal-Wesens  im  Kanton  Zürich  f.  d.  Jahr  1876.  (Nasse  Salicyl- Verbände, 
Die  Erblichkeit  des  Daltonismus.     Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1878,  S.  160—161.) 

2.  Paracelsus,  Neues  Privat-Krankenhaus  und  Augenkrankenhaus.  I.  Be- 
richt  1896 — 98,   e.  v.  Dr.  Kaelix-Bexziger,    1899. 

IV.  Genf. 

1.  Premier  Rapport  de  la  clinique  pour  le  traitement  des  maladies  des 
yeux  par  le  Dr.  G.  Haltexhoff,   Prof.  libre  d'Ophth.  h  l'Univ.  de  Genöve,     1878. 

2.  Fondation  Rothschild.  Ilöpital  ophthalmique  ä  Geni-ve.  Rapport  .  .  . 
par  le  Aug.  Barde  (5   Oct.  1874   —   31    Dcc.  1875).      Geni've    1876. 

187  4  wurde  diese   erste  Augen-Heilanstalt   des  Kanton   Genf  gestiftet;    2  0 
Betten,  unentgeltl.  Verpflegung.      A.  Kr.  1124,   B.  Kr.  286. 
Weitere  Berichte  folgten,  für   1    wie  für  2. 

V.  Lausanne. 

Rapport  ...   de   l'Asile   des    Aveugles  .  .  .    pour   l'annee    1889,   L,    1890. 
Directeur  Th.  Secretan,  med.  en  chef  Marc  Dufour. 


1)  Das  C.  Bl.  f.  A.  hat  über  die  wichtigen  stets  Bericht  erstattet. 


Kapitel  XXIir. 
(Fortsetzung.) 


Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 

Von 

J.  Hirschberg, 


Professor  lu  Berlin. 

Mit  12  Figuren  im  Text. 


Eingegangen  im  August  1915. 


Drittes  Buch. 

Vierzehnter  Absclmitt. 
Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 

§  785.    Vorbemerkungen, 
Die  Theilung  nach  Sprachgebieten  tritt  in  den  Niederlanden  noch 
deutlicher  zu  Tage,  als  in  der  Schweiz. 

\m  Jahre  1348  hatte  der  Kaiser  Karl  V.  die  17  Provinzen  zu  einer  staats- 
rechtlichen Einheit,  dem  nur  lose  mit  dem  Deutschen  Reich  vereinigten  burgun- 
dischen  Kreise,  zusammengefügt.  Nach  dem  glücklichen  Aufstand  gegen  die 
Spanier  gründete  sich  die  Republik  der  Vereinigten  Niederlande,  welche  die  nörd- 
lichen Provinzen  umfaßte,  während  die  südlichen,  die  spanischen  Niederlande, 
beim  Hause  Österreich  verblieben,  bis  sie  in  Folge  der  französischen  Revolution 
in  Frankreich  einverleibt  wurden.  Im  Jahre  1813  kamen  sie,  zusammen  mit 
Holland,  als  Königreich  der  Vereinigten  Niederlande,  unter  das  Haus  Oranien. 
Die  Einführung  der  holländischen  Amts-Sprache  gehörte  wohl  mit  zu  den  Um- 
ständen, welche  die  Unzufriedenheit  der  überwiegend  französisch  gesinnten  Be- 
völkerung in  den  südlichen  Provinzen  en*egte.  Nach  der  Juli-Revolution  18  30 
kam  es  zum  Aufstand  und  zum  Abfall:  Belgien  wurde  eine  konstitutionelle 
Monarchie  unter  Leopold  von  Sachsen-Koburg. 

Als  ich  vor  einiger  Zeit  meinen  werthen  Freund  Daxiel  van  Duyse  zu 
Gent  ersuchte,  mir  über  die  Augenärzte  Belgiens  im  19.  Jahrhundert  eine 
Liste    zu   liefern,    auf   die    ich   meine    geschichtliche    Darstellung   aufbauen 

Handbuch  der  Augenheilkunde.   2.  Aufl.   XIV.  Bd.  (VII.)  XXIIL  Kap.  3a 


42  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  ^ 800— 1875. 

könnte;  ist  er  sofort  an  die  Arbeit  gegangen,  die  ihn  mehr  und  mehr  be- 
geisterte und  ein  Werk  hervorrief,  das  nicht  nur  eine  Erleichterung  dieses 
Theiles  meiner  Aufgabe  darstellt,  sondern  auch  seinen  Landsleuten  große 
Freude  und  der  wissenschaftlichen  Welt  Belehrung  und  Befriedigung  ge- 
währt : 

Coup  d'oeil  sur  l'histoire  de  l'ophtalmologie  en  Belgique  au  XIX®  siecle 
par  le  Docteur  van  Duvse,  Professeur  de  clinique  ophtalmologique  ä  1' Uni- 
versite de  Gand.     Gand  1912.    (291  S.) 

So  war  der  Rahmen  für  meine  Darstellung  gewonnen.  Natürlich, 
den  thatsächlichen  Inhalt  der  augenärztlichen  VerüfTentlichungen  belgischer 
Ärzte  mußte  ich  selber  aus  der  einschlägigen  Literatur  schupfen  i).  Wo  es 
nöthig  oder  zweckmäßig  schien,  hat  meine  Erörterung  die  Zeitgrenze  (das 
Jahr  1875)  überschritten. 

§  786.    Belgiens  Universitäten. 

Belgien  besaß  eine  alte  Universität 2),  die  der  Rath  der  Stadt  Loewen 
(Louvain)  im  Jahre  1426  gegründet  und  durch  seine  Freigebigkeit  zu  einer 
glänzendsten  des  ausgehenden  Mittelalters  machte. 

Allerdings,  nach  den  Stürmen  der  französischen  Revolution,  war  sie 
nur  noch  ein  Schattenbild;  sie  wurde  1797  unterdrückt,  zusammen  mit 
allen  medizinischen  Kollegien  und  Wundarzt-Schulen,  gemäß  dem  Konvents- 
Beschluß  von  1792  3);  —  denn  1795  war  ja  Belgien  mit  Frankreich  ver- 
einigt worden. 

Die  Folge  dieser  Maßregel  war  in  Belgien,  wie  im  eigentlichen  Frank- 
reich, zunächst  eine  vollständige  Anarchie  4)  auf  dem  Gebiet  des  ärztlichen 
Unterrichts. 

Aber  hier,  wie  dort,  wurden  bald  wieder  Medizin-Schulen  gegründet, 
1804/5  zu  Brüssel,  Gent,  Antwerpen  und  Brügge,  1806  eine  Wundarzt- 
Schule  in  Lüttich. 

Nachdem  die  Kriege  ausgetobt,  gründete  Wilhelm,  König  der  Ver- 
einigten Niederlande,  1816  die  drei  Universitäten  zu  Gent,  Lüttich  und 
Loewen.  Die  letztere  verschwand  wieder  in  der  belgischen  Revolution  von 
1830,  welche  »die  Freiheit  des  Unterrichts«  verkündigte. 

Die  beiden  staatlichen  Universitäten  zu  Gent  und  Lüttich  blieben 
erhalten,  trotz  mancher  Schwierigkeiten;  1835  wurden  sie  neu  geordnet,  und 
dazu  noch  zwei  freie  Universitäten  gegründet,  die  katholische  zu  Loewen 
1835,  vom  belgischen  Episkopat,  die  liberale  1834,  von  der  Stadt  Brüssel. 


■1)  Prof.  VAN  DuYSE  hat  in  seinem  völkischen  Werke  Wirken  und  wissen- 
schaftliche Leistung  auch  der  Lebenden  erörtert,  die  ich  in  meiner  geschicht- 
lichen Darstellung  höchstens  andeuten  kann. 

■2)  Minerva,  Handbuch  der  gelehrten  Welt,  1911,  I,  S.  308. 

3)  §  549. 

4)  §  356,  §  549.     Vgl.  auch  §  789.    (Fallot.) 


Belgiens  Universitäten.     Ursprung  der  belg.  Augenlieilk.  43 

§787.    Der  l'rsprung  der  belgischen  Augenheilkunde, 
die  militärische  Ophthalmie. 

Bis  1820  hat  die  ophthalmologische  Literatur  Belgiens  nur  4  Disser- 
tationen aus  Loewen  (de  Ophthalmia,  de  Cataracta,  de  amaurosi,  de  iritide) 
zu  verzeichnen,  sowie  die  Schrift  von  Kllyskens,  Diss.  sur  l'ophthalmie 
contagieuse  qui  regne  dans  quelques  bataillons  des  Pays-Bas,    1819. 

Die  bittre  Noth  der  ansteckenden  Augenkrankheit,  welche 
seit  1815  Belgien  heimsuchte  und  als  die  militärische  bezeichnet 
wurde,  zwang  zum  Studium  der  Augenheilkunde,  —  geradeso  wie 
in  England  i). 

Von  1819 — 1840,  von  Kllyskens  bis  Decond6,  sind  78  Abhandlungen 
über  die  militärische  Ophthalmie  in  Belgien  erschienen. 

Von  1815 — 1834  hat  die  Augenkrankheit  2)  schrecklich  in  der  belgi- 
gischen  Armee  gewüthet;  heftiger  seit  1830,  nach  den  Truppen-Bewegungen 
der  Revolution.  Von  der  Armee  ging  sie  über  auf  die  bürgerliche  Be- 
völkerung. 

Der  Name  »militärische  Ophthalmie«  wurde  bekämpft  von  Vle- 
MiNCKx,  GouzEE  uod  Thiry.  Vleminckx  schuf  die  Bezeichnung  Conjuncti- 
vitis granulosa^),  welche  1838,  als  die  Annales  d'Oculisti(iue  gegründet 
wurden,  schon  allgemein  eingeführt  w^ar. 

Die  Ansteckungsfähigkeit  wurde  fast  allgemein  anerkannt.  Prof. 
Hairiox  zu  Loewen,  Bataillons-Arzt,  erklärte  1839:  Die  Verbreitung  ge- 
schieht 1.  durch  unmittelbare  Kontagion,  d.  h.  durch  Übertragung  des  an- 
steckenden Princips  von  einem  kranken  Auge  auf  eine  gesunde  Bindehaut; 
2.  durch  mittelbare  Kontagion,  d.  h.  durch  Berührung  mit  besudelten  Gegen- 
ständen; 3.  durch  miasmatische  Ansteckung,  wenn  ein  gesundes  Individuum 
in  dieselbe  Atmosphäre  eingetaucht  ist,  wie  die  Kranken. 

Hieraus  leitete  er  seine  Vorschläge  ab,  die  Überfüllung  der  Kasernen 
zu  vermeiden,  die  Gesunden  von  den  Kranken  und  Verdächtigen  zu  tren- 
nen, nicht  blos  die  Kasernen,  sondern  auch  alle  darin  befindlichen  Gegen- 
stände zu  desinficiren. 

Prof.  JüNGKEN  aus  Berlin,  1834  von  der  belgischen  Regierung  beru- 
fen, gab  den  Rath,  die  leidenden  und  die  verdächtigen  Soldaten  in  ihre 
Heimat    zurückzusenden'*).      Die    Ausführung    dieses  Rathes    hatte    ver- 


1)  §  624. 

2)  VAN  DuYSE,  a.  a.  0.  S.  19. 

3)  Granum  heißt  das  Korn;  das  Verkleinerungswort  granulum,  ein  Körn- 
chen, kommt  vor  bei  Claud.  Mamert.  (de  statu  animi  I,  21),  468  oder  469  n.  Chr. 
Granosus,  körnig,  findet  sich  bei  Pliniüs;  granulosus  ist  neugebildet,  ebenso 
granularis. 

4)  §  487,  S.  60.  JüxGKEx,  der  von  der  Ansteckungsfähigkeit  der  Granulatio- 
nen überzeugt  war,  wußte,  daß  in  Preußen  die  wegen  ansteckender  Augen- 
Entzündung   entlassenen   Soldaten   zu  Hause  von  den  Kreis-Physikern  über- 

3a* 


44  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800 — 1875. 

hängnißvolle  Wirkung.  Die  bürgerliche  Bevölkerung  wurde  in  einer  bis 
dahin  unerhörten  Ausdehnung  ergriffen. 

Dr.  Caffe  aus  Paris,  der  1838  im  Auftrag  des  französischen  Mini- 
steriums eine  Reise  unternahm,  um  die  in  Belgien  herrschende  Ophthalmie 
zu  studireni),  sagt  in  seinem  Bericht  vom  15.  Jan.  1839,  daß  »von  1814 
bis  jetzt  100  000  Soldaten  befallen  worden,  und  daß  man  1838  noch  5  000 
an  Augen-Entzündung  leidende  Soldaten  in  einer  Armee  von  50  000  zählen 
mußte«. 

»Von  1814  — 1839  sind  über  10  000  Unglückliche  dem  öffenthchen 
Schatz  zur  Last  gefallen,  abgesehen  von  den  zahlreichen  Opfern  unter  der 
bürgerlichen  Bevölkerung«,  heißt  es  A.  d'Oc.  II,  S.  222. 

Von  1 838  ab  verlor  die  militärische  Ophthalmie  ihren  akuten  Cha- 
rakter. Fünfzehn  Jahre  später  wurden  die  Hornhaut- Betheiligungen  sel- 
tener, die  eitrige  Augen-Entzündung  war  jetzt  in  der  Armee  kaum  noch 
bekannt,  das  Trachom  allerdings  noch  nicht  ganz  geschwunden.  (Vgl. 
§  791.) 

Zur  Behandlung  der  Granulationen  wurde  (1838,  von  Fallot), 
der  Stift  aus  Höllenstein  dem  aus  Kupfer  vorgezogen;  1839^  von  Buys, 
das  Pulver  von  Blei-Acetat  empfohlen;  später  (1850)  auch  das  Tannin 
gelobt.  Die  Inokulation  wurde  von  J.  van  Roosbroeck  (1853)  zur  Hei- 
lung des  Pannus  gepriesen. 

§  788.     Das  Plombiren  der  Bindehaut  (Plombage2)). 

Da  die  Behandlung  mit  dem  Blei-Pulver  vielfach  als  belgisches 
Verfahren  bezeichnet  wird,  so  möchte  ich  doch  genauer,  als  van  Duyse 
es  gethan,  darauf  eingehen,  obwohl  —  oder  grade  deshalb,  weil  es  heut- 
zutage nur  noch  geschichtlichen  Werlh  besitzt. 

A.  I.A.  d'Oc.  n,  S.  224,  1839.  (Bericht  von  Cünier.)  Dr.  Buys  3), 
Garnison-Arzt  in  Brügge,  hat  es  durchgesetzt,  daß  Versuche  mit  seinem 
erfolgreichen  Verfahren  gemacht  wurden.  Er  nimmt  krystallisirtes  essig- 
saures Blei,  das  in  allerfeinstes  Pulver  verwandelt  ist,  und  bringt  mittelst 
des  Spatels  eine  Schicht  auf  die  granulöse  Bindehaut;  dann  fährt  er  mit 
einem  in  Oliven-Öl  getauchten  Pinsel   über  die  so  bedeckte  Bindehaut ;   es 


wacht  wurden;  er  wußte  nicht,  daß  in  Belgien  eine  solche  Einrichtung  fehlte. — 
>Lui  a-t-on  laisse  ignorer  l'abandon  des  granuleux  rendus  ä  leur  famille?«  (van 
Duyse,  S.  108.)     Vgl.  übrigens  noch  §  800. 

1)  §  574.     Caffe  wird  von  va:x  Duyse  nicht  erwähnt. 

2)  Plombage,  action  de  garnir  de  plomb.  (Dict.  de  l'Acad.  Francaise.  11, 
442,  7.  Ausg.  1884.)  Die  belgischen  Ärzte  haben  dies  Wort  in  besondrem  Sinn 
gebraucht,  nach  Analogie  mit  tan  nage,  das  Gerben. 

3)  Über  sein  Leben  und  Wirken  ist  kein  Wort  zu  tinden,  weder  bei  van 
Duyse  noch  im  biogr.  Lexikon.  —  1867  ist  er,  im  Alter  von  74  Jahren,  zu  Brüssel 
verstorben.     (A.  d'Oc.  LVII,  S.  20  3.) 


Die  militärische  Ophthalmie.    Plombage.  45 

bildet    sich    eine    gips-artige  Masse,    die    an    der   Bindehaut   haften    bleibt. 
Wiederholung  alle  4 — 5  Tage,    dann  alle  3  Tage  bis  zur  völligen  Heilung. 

CüxiER ,  von  dem  diese  Mittheilung  herrührt ,  und  der  niemals  eine  Prio- 
rität gelten  läßt,  es  sei  denn  seine  eigene,  behauptet,  daß  dies  Verfahren  mit 
dem  Hleizucker  schon  in  Tittmaxn's  »topischen  Arzneimitteln  gegen  Augen- 
krankheiten« (1804,  §  83,  vgl.  unsren  §  486,  S.  52)  erwähnt  sei.  Aber  da- 
selbst ist,  ebenso  wie  in  C.  F.  Gk.\efe's  Rcpertorium  augenärztlicher  Heilformen, 
aus  dem  Jahre  1817,  lediglich  von  der  Lösung  des  ßleizuckers,  nicht  von 
dem  Pulver,  die  Rede. 

Was  aber  keiner  von  den  belgischen  Ärzten  wußte,  obwohl  sie  es  in  dem 
lateinischen  Tractatus  de  oculis  des  Jesu  Hau  (p.  4,  1500)  hätte  lesen 
können,  die  alten  Araber  hatten  bereits  eine  ganz  ähnliche  Radikal-Kur 
des  Trachoms  durch  Aufstreuen  von  Gallapfel-Pulver. 

In  unsrer  Augenheilkunde  des  .\li  b.  Isa  (um  1000  u.  Z.,  II.  c,  4]  Gndet 
sich  ein  besserer  Text:  »Man  hat  auch  behauptet:  wenn  man  das  Lid  um- 
stülpt und  staubförmiges  Pulver  von  Galläpfeln  aufstreut,  und  dann  das 
Lid  drei  Stunden  umgestülpt  läßt,  oder  noch  einen  Verband  darüber  legt, 
während  es  umgestülpt  ist;  so  rottet  dies  die  Krätze  (d.  h.  das  Trachom) 
radikal  aus,  und  das  Lid  nimmt  nachher  keine  Materie  mehr  an,  —  so 
wirksam  sei  dies  Verfahren.«  Vgl.  unsre  arabischen  Augenärzte,  I,  S.  61, 
■woselbst  auch  erwähnt  ist,  daß  nach  Rasis'  Continens  (fol.  39*^)  diese  Vorschrift 
aus  dem  Sauiuielbuch  der  Augenärzte  stammt.  (Das  arabische  Mittel  war 
besser,   als   das  belgische!]      (Vgl.   ij  277,   S.  12  4.) 

2.  A.  d'O.  XXII,  44,  iN'il).  BuYS  entschloß  sich  schwer  zum  Schrei- 
ben. Aber  im  Jahre  18i9  gab  er  seine  Erfolge  kund:  De  Temploi  de 
l'acetate  de  plomb  solide  dans  le  traitement  de  Tophthalmie  granuleuse, 
Bruxelles    184  9.      (8",  31    S.,  Auszug  aus  den  Arch.  beiges  de  med.  niilit.) 

3.  A.  d'O.  XXIV,  114,  18.50,  erklärt  Buys,  daß  die  glücklichen  Er- 
folge, die  er  in  mehr  als  15  .lahren  erzielt,  ihm  zum  Gesetz  machen,  auf 
dem  betretenen  Wege  fortzuschreiten.  Bei  harten  Granulationen  dauert  die 
Heilung  lange.  Auch  die  gonorrhoische  Augen-Entzündung  wird  durch 
diese  Anwendung  günstig  beeinflußt. 

4.  A.  d'O.  XXV,  191,  1851,  berichtet  Büys  über  seine  Untersuchungen 
und  Beobachtungen.  Bei  den  blasigen  Granulationen  genügen  zwei  oder 
drei  Anwendungen  des  Blei-Pulvers,  mit  einem  Zwischenraum  von  einigen 
Tagen.  Die  weichen  Granulationen,  gegen  welche  die  Ätzungen  machtlos 
sind,  verschwinden  nach  einer  gewissen  Zahl  von  Anwendungen,  indem 
sie  eine  unversehrte  Schleimhaut  zurücklassen. 

Die  harten  werden  bei  dieser  Behandlung  erst  weicher,  um  dann 
schließlich  zu  schwinden. 

Bei  der  einfachen  Bindehaut-Entzündung  genügt  eine  einzige  An- 
wendung. Bei  der  blennorrhagischen  wird  eine  zarte  Lage  von  Blei-Acetat 
auf  alle  erreichbaren  Partien  der  l>indehaut  aufgetragen. 


46  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 

»Das  fein  gepulverte  Blei-Acetat  wird  auf  die  frei  gelegte  Bindehaut 
aufgetragen,  mit  Hilfe  eines  vorher  befeuchteten  Pinsels^),  den  ich  zu 
wiederholten  Malen  darüber  hinführe,  mit  leichtem  Druck  auf  die  berührte 
Partie,  um  das  Mittel  in  eine  gleichförmige  Lage  auszubreiten;  der  Über- 
schuß wird  von  den  Thränen  fortgespült.«  »Es  ist  eine  irrige  Annahme, 
daß  die  Bindehäute  unvertilgbar  mit  Blei-Acetat  überkrustet  blieben;  nach 
einer  gewissen  Zeit  haben  meine  Kranken  keine  Spur  mehr  von  demselben 
gezeigt. « 

5.  Im  Jahre  1S54  berichtet  Buys  (Arch.  beiges  de  med.  milit.  XI, 
S.  201,  A.  d'Oc.  XXXII,  S.  237],  daß  die  granulöse  Ophthalmie  in  die  Re- 
form-Schule von  Ruysselede  eingeschleppt  worden  und  von  den  474  Schü- 
lern 310  ergriffen  hatte;  die  Krankheit  war  heftig,  bei  vielen  zeigte  sich 
Absonderung  von  Schleim-Eiter  und  Betheiligung  des  Augapfels.  »Am 
ersten  Tag  wurden  bei  den  48  in  schwerster  Form  Ergriffenen  die  vier  Lider 
mit  Blei-Acetat  bedeckt.  Am  folgenden  Tag  beschäftigte  man  sich  mit  den 
andren.     Von  diesem  Augenblick  an  war  das  Übel  gebannt.« 

B.  6 — 12.  Zu  Gunsten  des  Verfahrens  sprachen  sich  aus  Dr.  Cunieh^) 
(A.  d'Oc.  XXI,  229,  1849);  Prof.  Ansiaux,  Dr.  Deval  (A.  d'Oc.  XXII,  96,  167; 
XXIII,  189);  Regimentsarzt  Dr.  van  Lil  in  Ypern  (ebendas.,  S.  215),  Dr.  Boge- 
MAN  in  Amsterdam  (ebendas.  XXIII,  S.  180);  Prof.  Roosbroeck  (1853,  §  809), 
sowie  De  Cond£  (A.  d'O.  XXIV,  S.  2,  206,  1850).  Endlich  1857  noch 
Bend/  in  Kopenhagen.     (§  862.) 

13.  Üble  Zufälle  beobachtete  Garnison-Arzt  Gouzee  (A.  d'Oc.  XXIII, 
S.  171).  Ein  Soldat  war  am  25.  Okt.  1849  im  Quartier  mit  dem  Blei- 
Acetat  behandelt  worden.  Am  30.  kam  er  in  das  Militär-Hospital  mit  stärk- 
ster Lidschwellung.  Ausgang:  Verlust  des  Auges.  —  Zwei  Mal  fand  G., 
daß  eine  fleischige  Wucherung  der  obern  Umschlagsfalte,  von  Oliven-Größe, 
zurückgeblieben. 

14 — 15.  Gegen  das  Mittel  hat  Dr.  Rivaud  Landrau  zu  Lyon  sich  aus- 
gesprochen (A.  d'Oc.  XXIX,  S.  291);  Warlomont  hingegen  dafür,  in  den 
geeigneten  Fällen. 

Noch  1879  hatte  Prof.  Zehender  in  seinem  Lehrbuch  (S.  57)  das  bel- 
gische Verfahren  genau  beschrieben;  jedoch  in  denjenigen  Fällen  wider- 
rathen,  wo  bereits  Epithel- Verluste  oder  Geschwürs-Bildungen  in  der  Horn- 
haut aufgetreten  sind.  In  den  Sonderschriften  und  Lehrbüchern  unsrer 
Tage  wird  dasselbe  Verfahren  kaum  noch  erwähnt,  auch  nicht  in  Wood's 
großem  System  of  Ophth.  Therap.,  1909. 

C.  Heutzutage  pflegt  man  die  Einpinselung  einer  Lösung  des  essig- 
sauren Blei-Oxyds  (0,5 — 1  :  25)  vorzuziehen.  Vgl.  meine  Abhandlung  über 
die  Kürnerkrankheit,  Klin.  Jahrb.  XIII,  1904. 

1)  Also  etwas  anders,  als  in  Cunier's  Bericht  (1). 

2)  §  793. 


I 


Das  Plombieren  der  Bindehaut.  —  Fallot.  47 

§  789.  Zwei  Namen  sind  unzertrennlich  mit  der  (Jlescliichte  der 
militärischen  Ophthalmie  Belgiens  verbunden,  der  von  Fallot  und  der 
von  VleminckxI). 

Louis-Salumon  Fallot  (1783—1872)2' 
entstammte  einer  französischen  Familie  aus  dem  Languedoc,  welche  1685, 
wegen   der  Aufhebung   des    Edikts    von  Nantes,    das   freie   Holland  aufge- 
sucht; und  wurde  am  II.  März   1783  im  Haag,  als  Sohn  und  Enkel  eines 
Arztes,  geboren. 

Sein  Jugendleben  war  ungeregelt,  da  seine  Mutter  lange  an  Schwind- 
sucht daniederlag  und  schon  1797  verstarb.  Im  Alter  von  15  Jahren 
hatte  F.  seine  Vorbildung  vollendet  und  begann  das  Studium  der  Philo- 
sophie, mit  großem  Erfolge. 

Er  sprach  lateinisch  mit  Leichtigkeit  und  liebte  es,  an  den  Doktor- 
Promotionen  sich  zu  betheiligen. 

Für  die  Gottesgelahrtheit  war  er  bestimmt,  doch  zog  er  die  Heil- 
kunde vor  und  bestand,  zu  seiner  eignen  Überraschung,  schon  1806  die 
ärztliche  Prüfung,  bei  welcher  zu  jener  Zeit  in  Frankreich  —  also  auch 
in  der  balavischen  Republik  (1795 — 1806),  und  im  Königreich  Holland 
(1806 — 1810),  die  Frankreichs  Gesetze  und  Einrichtungen  bis  in's  Kleinste 
nachgeahmt  hatten,  —  überhaupt  Niemand  durchfallen  konnte. 

üie  Doktor-Dissertation  mußte  unser  Fallot  allerdings,  der  Kosten 
wegen,  bis  auf  glücklichere  Zeiten  vertagen.  Aber  er  erhielt  das  Recht, 
Uniform  und  Degen  zu  tragen,  worauf  er  besonders  stolz  war,  und  wurde, 
nachdem  er  in  Paris  einige  Monate  lang  in  der  Anatomie,  mit  Unter- 
stützung von  G.  L.  Bayle3),  und  in  der  Klinik  seine  Kenntnisse  vervoll- 
ständigt hatte,  Okt.  u.  Dez.  1807  zeitweilig  als  holländischer  Militär-Arzt 
beschäftigt.     Am  8.  Juni   1808  erwarb  er  den  Doktur  zu  Leiden. 

Im  April  1809  wurde  sein  sehnlicher  Wunsch,  in  die  Armee  als  Arzt 
einzutreten,  erfüllt;  er  ging  mit  Napoleon's  Heer  nach  Deutschland. 

In  den  fünf  Jahren  von  1809—1814  hat  L.  S.  Fallot  das  merk- 
würdige und  an  Wechselfällen  reiche  Leben  eines  bonapartischen  Officiers 
geführt,  das  ihn  zum  Manne  schmiedete,  aber  für  wissenschaftliche  For- 
schungen keinen  Raum  ließ.    Die  Schlacht  von  Wagram  (am  5./6.  JuH  1809) 


i]  Auf  einige  andre  werden  wir  im  Laufe  unsrer  Erörterungen,  namentlich 
auch  im  §  818,  noch  zurückkommen. 

2)  L  WARL0M0^'T,  A.  d'Oc.  LXX,  S.  92— M9.  —  II.  van  Düyse,  a.  a.  0., 
S.  28.  (1773  als  Geburtsjahr  ist  ein  Druckfehler.}  —  III.  Biogr.  Lex.  II,  336.  —  I.  ist 
Hauptquelle,  auch  für  die  ganz  kurze  Darstellung  in  IL;  und  enthält  Abschnitte 
einer  von  Fallot  selber  verfaßten  Lebensbeschreibung. 

3)  1774—1816,  Arzt  an  der  Charite,  Verf.  von  >Recherches  sur  la  phthisie 
pulmonaire*,  Paris  1810, 


48 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800 — 1875. 


hat   er   mitgemacht.     Im   Winter    1809/10    wurde    er    vom    Fleck-Typhus 
heimgesucht;  vier  Monate  lang  mußte  er  vom  Dienst  fern  bleiben. 

Am  25.  April  1810  nach  Portugal  gesendet,  gerieth  er  zu  Coimbra 
am  7.  Okt.  1810  in  Kriegsgefangenschaft,  wurde  von  den  Engländern 
grausam   behandelt,    am    13.  Dez.   1810    nach    England    überführt  und   zu 

Fig.  1. 


Louis-Salomon  Fallot. 


Spithead  auf  einem  ausgemusterten  spanischen  Kriegsschiff  bis  zum  25.  Jan. 
1812  in  härtester  Gefangenschaft  gehalten  i).  Dann  wurde  er  in  verschie- 
dene Lager-Bezirke  gebracht  und  endlich  am  9.  Jan.  1813  auf  einer  elenden 
Barke  nach  Frankreich  abgeschoben. 


<)  Fast  zwei  Menschen-Alter  sollten  noch  verstreichen,  ehe  (durch  die  Genfer 
Konvention  vom  Jahre  1864;  die  Feldärzte  für  neutral  —  erklärt  wurden. 


L.  S.  Fallet.  49 

Nach  kurzer  Riilie  in  Paris  als  ordentlicher  Militär-Arzt  ange- 
stellt, ward  er  nach  Magdeburg  und  Berlin  gesendet,  dann  der  Garde  zu- 
getheilt.  In  der  Schlacht  bei  Bautzen  (20.  und  21.  Mai  1813)  hat  Fallot 
unerschrocken  den  Dienst  in  seiner  vom  feindhchen  Feuer  bestrichenen 
Ambulanz  geleistet  und  machte  danach  den  schwierigen  Rückzug  auf  Paris 
mit.  Nach  Napoleon's  Rückkehr  aus  Elba  ging  Fallot  erst  nach  Yenloo, 
dann  nach  Namur,  Sept.  1814. 

Zu  Namur  1 81 7  als  königlich-niederländischer,  seit  der  Trennung  Bel- 
giens von  Holland  (1830)  als  belgischer  Militär-Arzt  angestellt,  verbheb  er 
hierselbst  bis  zum  Ende  seiner  militärischen  Laufbahn,  im  Jahre  1848. 
(1819  Chirurgien-Majeur,  1830  Vorsteher  des  Hospitals,   1831    General-Arzt.) 

Am  23.  Mai  1817  hatte  Fallot  sich  verheirathet  und  das  abwechs- 
lungsreichste, ja  abenteuerlichste  Leben  der  früheren  Jahre  mit  dem  häus- 
lichsten vertauscht.  Mit  Feuer-Eifer  warf  er  sich  auf  die  Studien,  die  er 
in  den  Kriegsläuften  halte  vernachlässigen  müssen.  Er  richtete  im  Kranken- 
haus eine  kleine  Klinik  *)  ein,  und  übte  sich,  seine  Gedanken  mit  Klarheit 
auszusprechen. 

Im  Alter  von  56  Jahren  nahm  Fallot  1848  seinen  Abschied  und  lebte 
von  da  an  in  glücklicher  Unabhängigkeit  zu  Brüssel,  hauptsächlich  der 
Wissenschaft,  als  Mitglied  der  belgischen  Akademie  (seit  ihrer  (Gründung 
1841),  der  ärztlichen  Prüfungs-Kommission,  als  Vorsitzender  der  Schrift- 
leitung der  Annales  d'Oculistique. 

Ausgezeichnet  durch  zahlreiche  Orden  —  von  Belgien,  Frankreich, 
Griechenland,  Portugal,  Rußland,  —  und  durch  die  Wahl  zum  korrespon- 
dierenden Mitglied  der  Akademie  der  Medizin  zu  Paris,  empfing  er  als 
74 jähriger  Greis,  1857,  die  größte  Auszeichnung  seines  Lebens  durch  den 
Vorsitz  im  ersten  Ophthalmologen-Kongreß  zu  Brüssel. 

Die  ersten  zehn  Jahren  seiner  Muße  hatte  er  beglückt  im  Kreise  seiner 
Familie  verlebt.  Da  verlor  er,  Schlag  auf  Schlag,  seine  Frau,  seinen 
Enkel,  seinen  Sohn;  zog  sich  völlig  zurück,  scliwach  und  gebrochen;  mußte 
aber  noch  15  Jahre  einsam  weiter  leben:  am  11.  Febr.  1872  ist  er,  im 
Alter  von  90  Jahren,  verstorben. 


Fallot's  Schriften: 

Fallot  war  ein  ausgezeichneter  Schriftsteller,  der  Gründlichkeit  mit  Schön- 
heit der  Darstellung  zu  verbinden  verstand,  besonders  in  seinem  Aper9U  de 
la  medecine,  den  er  1832  für  eine  populäre  Encyklopädie  verfaßt  hat:  hier 
tritt  seine  Jugendliebe  ziu^  Philosophie  deutlich  zu  Tage. 


1)  Fondateur  d'une  clinique  ophtalmologique  k  Namur,  heißt  es  bei  van 
DuYSE.  Aber  dieses  B  eiwort  läßt  sich  nicht  als  zutreffend  erweisen;  auch  nicht 
durch  die  Nachforschungen,  die  Dr.  Bribosia  jr.  auf  unsre  Bitte  zu  Namur  1912 
angestellt  hat. 

Handbucli  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VII.)    XXIII.  Kap.  4 


50  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800 — 1875, 

A.  Von    Sonderschriften    zur  Augenheilkunde  sind  zwei  hervorzuheben: 

1.  Recherches  sur  les  causes  de  Tophthalmie  qui  regne  dans  quelques  garni- 
sons  de  Tarmöe  des  Pays-Bas,  et  sur  les  moyens  d'y  remedier,  par  Fallot 
et  Varrez,  Bruxelles  1829.     (1 20,  192  S.) 

2.  Nouvelles  recherches  physiologiques  et  statistiques  sur  l'ophthalmie  des 
armöes,  Bruxelles  1837.     (8»,  67  S.)     Vgl.  A.  d'Oc.  I,  S.  40—44. 

B.  Von  Abhandlungen   zur   Augenheilkunde,    die   sämtlich   in   den  Annales  d'Oc. 

erschienen  sind,  erwähne  ich  die  folgenden  -. 

3.  Über  die  Ätzung  der  Lid-Granulationen.     I,  S.  45,  S.  205,  1838. 

4.  Fleischiger  Pannus,  durch  Höllenstein  geheilt.  V,  S.  127,  1841.  Jeden 
zweiten  Tag  wurden  einige  Gefäßbündel,  welche  Fortsetzungen  auf  die 
Hornhaut  abgeben,  mit  dem  Stift  geätzt. 

5.  Epidemische  Blennorrhoe  im  Saal  der  Granulösen  des  9.  Regiments  zu  Na- 
mur,   1841.     VI,  S.  53,  1842. 

G.  Über  die  im  Militär -Hospital  zu  Namur  beobachteten  Augenleiden.  VII, 
S.  271,  1842. 

7.  Über  die  Augen-Entzündung,  welche  epidemisch  in  der  Garnison  zu  Namur 
herrscht.     IX,  S.  152,  1843. 

8.  Brief  an  Cunier  über  die  Gefahr  bei  der  Anwendung  einiger  Kollyrien. 
XI,  S.  153,  1844. 

9.  Mydriasis  ohne  subjektive  Erscheinungen.  XII,  S.  89,  1844.  (39 j.  mit  mitt- 
lerer Mydriasis  des  r.  Auges,  das  aber  für  fern  und  nah  gute  Sehkraft  be- 
sitzt.) 

10.  Intermittirende   Regenbogenhaut  -  Entzündung.     XII,  S.  169,  1844.     Es   war 
eine  sympathische. 

11.  Vollständige  Erblindung  durch  fleischigen  Pannus  auf  beiden  Augen,  Inoku- 
lation, theilweise  Wiederherstellung  der  Sehkraft.     XVIII,  S.  19,  1847. 

12.  Über  Inokulation  bei  Pannus.     XX,  S.  91,  1S48. 

Erhebt  sich  dagegen,  daß  man  als  strafbar  und  unsittlich  das  Ver- 
fahren von  Jäger  und  Pierin ger  bezeichne,  das  ihm  selber  in  verzwei- 
felten Fällen  gute  Erfolge  geliefert. 

13.  Über  Aderhaut-Entzündung.     (Nach  A.  Jacobi).)    XX,  S.  133,  1848. 

14.  Über  die  Unterscheidung  des  Augen-Trippers  von  den  andren  akuten  Eiter- 
flüssen des  Auges.    (Gegen  Henrotay.)    XXIV,  S.  229,  1850. 

15.  Heftige  Kontusion  des  Augapfels.     XXIX,  S.  207,  1853. 

Zahlreiche  Besprechungen  augenärztlicher  Werke  hat  Fallot  in  den  Ann. 
d'Oc.  veröffentlicht,  stets  gründlich  und  gerecht,  aber  öfters  etwas  redselig.  Hier 
fanden  die  Gedanken  einen  Abfluß,  die.  da  ihm  ein  Lehrstuhl  versagt  war,  in  ihm 
sich  aufgestaut  hatten. 

(Vgl.  §  567,  über  Sichel's  Iconographie;  §  598,  über  Guepin's  Philosophie 
des  neunzehnten  Jahrhunderts;  §  593  u.  §  594,  über  Desmarres'  Lehrbuch.; 

1.  u.  2.  In  seiner  ersten  Abhandlung  über  die  militärische  Augen- 
Entzündung,  vom  Jahre  1829,  kämpft  Fallot  mit  jugendlicher,  angriffs- 
freudiger  Lebhaftigkeit  für  die  Ansteckungsfähigkeit  der  militärischen 
Augen-Entzündung.  Über  die  direkte  Ansteckung  lassen  die  Thatsachen 
keinen  Zweifel.  Über  die  indirekte  ist  er  weniger  sicher,  doch  denkt  er 
an  Luft-Veränderung  in  überhäuften  Kasernen  und  leitet  davon  hygienische 
Maßregeln  ab.  Damals  (1829)  erschien  ihm  die  Entzündung  in  der  Armee 
nur  als  eine  einfache  Steigerung  der  katarrhalischen  Augen-Entzündung. 

1)   §   706. 


L.  S.  Fallot.    J.  F.  Vleminckx.  51 

In  seiner  zweiten  Abhandlung,  vom  Jahre  1838,  bekämpft  er  selber 
diese  Ansicht  i)  und  erklärt  die  militärische  Augen-Entzündung  für  eine 
specifische  (speciale),  die  der  katarrhalischen  nahe  steht,  aber  nicht  mit 
ihr  vereinigt  werden  darf. 

Seine  Behandlung  bestand  in  der  Ätzung  der  ganzen  granulösen  Bin- 
dehaut, mittelst  des  Kupfer- Stiftes. 

3.  Aber  schon  im  folgenden  Jahr  erklärt  er,  nach  vergleichenden 
Untersuchungen,  daß  die  Atzung  mit  dem  Hüllenstein-Stift  besser, 
sicherer,  rascher  wirke.  Doch  muß  man  kräftig  ätzen,  auch  die  obere 
Übergangs  falte.  Vom  1.  April  bis  I.  Sept.  1837  konnte  er  aus  seiner 
Augen-Abtheilung  181  Granulöse,  die  ausschließlich  mit  dem  Höllenstein 
behandelt  waren,  in  ihre  Regimenter  zurücksenden  2). 

5.  Von  den  35  Mann  mit  chronischen  Granulationen,  die  in  einem 
Saale  untergebracht  waren,  wurden  binnen  zwei  Tagen  31  von  akutem 
Eiterfluß  befallen.  Hauptmittel  war  Hüllenstein.  19  sind  völlig  geheilt, 
1  hat  das  rechte,  3  das  linke  Auge  verloren  durch  Leukome,  2  haben 
rechts,  2  links  Iris-Vorfall  u.  s.  w.^). 

6.  Hüllenstein -Stift  ist  das  beste  Mittel  gegen  Gefäß-Pannus.  Bei 
akutem  Eiterfluß  darf  man  nicht  zügern,  die  Anwendung  bei  jedem  Kran- 
kenbesuch zu  wiederholen,  wenn  Absonderung  wieder  eingetreten.  Das  ist 
auch  die  Ansicht  von  Ricord,  während  Sichel  den  Stift  fast  ganz  verwirft. 
(Vgl.  §  588  u.  567.). 

§  790.     Jean  Francois  Vleminckx  (1800 — 1876)4'. 
Am    3.  Nov.  1800  wurde  J.  Fr.  Vlemincxx  zu  Brüssel  geboren,   stu- 
dirte    Heilkunde    zu    Loewen,    woselbst   er    1822   promovirte,    ging   dann 
zu    seiner    weiteren    Ausbildung    nach   Paris,   wo   er   besonders   Broussais 

■I)  Fallot  hat  es  stets  offen  eingestanden,  wenn  er,  auf  Grund  von  Erfah- 
rungen, alte  Anschauungen  aufgegeben  und  neue,  bessere  gewonnen.  (A.  d'O.  I., 
S.  43;  V,  S.  127  u.  a.  a.  0.) 

2)  Fallot  gebraucht  zwei  Namen,  die  in  den  medizinischen  Wörterbüchein 
unsrer  Tage  nicht  erwähnt  werden  und  somit  ein  Wort  der  Erklärung  heischen: 
I)  Sei  de  Venus.  Das  ist  Kupfer-Salz.  Die  Insel  Kypros  war  die  Heimat  der 
Aphrodite  und  des  Kupfers.  (Cupri  oleum,  frz.  Huile  de  Venus;  aes  ustum  s. 
crocus  Veneris.) 

II.  Caustique  lunaire  d.  i.  Höllenstein. 
Luna,  der  IMond,  war  den  Chymikern  das  Silber. 

3)  Diese  Art  der  Statistik  ist  undurchsichtig. 

4      I.  Warlomont,  A.  d'Oc.  LXXVII,  S.  263—293. 
II.  Horstmann,  im  Biogr.  Lex.  VI,  S.  133. 

III.  VAN  DüYSE,  S.  29.  (I.  ist  Quelle,  auch  für  II.  und  III.;  bringt  auch 
handschriftliche  Aufzeichnungen  von  Vleminckx  und  berichtet  ausführlich  über  die 
Schwierigkeiten  seiner  Gymnasial-Zeit.) 

4* 


52 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 


folgte;  kehrte  nach  Brüssel  zurück,  vermählte  sich  und  arbeitete  für  die 
in  seiner  Stadt  soeben  gegründete  Bibliotheque  medicale. 

Im  Jahre  1825  veröffentlichte  er,  zusammen  mit  seinem  Freunde  van 
MoNS,  Essai  sur  l'ophthalmie  des  Pays-Bas.     [S^,  125  S.) 

Diese  Schrift  erregte  Aufsehen. 


Fig.  2. 


Jean  Francois  Vleminckx. 


»Die  Soldaten  unsres  Heeres,  welche  von  der  Augen-Entzündung  be- 
fallen sind,  tragen  alle  einen  Halskragen  (col),  der  hart,  ohne  Ausschnitt, 
fest  um  den  Hals  geschnürt  ist.  Andrerseits  sind  sie  bedeckt  mit  einem 
Helm  (Shako),  der  wegen  seiner  Gestalt  und  seiner  Bestand-Theile  einen 
unmittelbaren  und  unablässigen  Druck  auf  die  Stirn  ausübt.  Daraus  ent- 
steht nothwendiger  Weise  ein  Kongestiv- Zustand  der  Seh-Organe. « 


J.  F.  Vleminckx.  53 

Diese  Ansichten  waren  ja  nicht  ganz  neu  und  wurden  von  eUichen 
Militär-Ärzten  getheilt.  Ich  nenne  G.  F.  Graefe  (1823),  Seutin  (1824), 
Vaxsevendonk  (Loewen   1823),  de  Goirtray  (1827)^'. 

Befremdlich  war  aber  in  der  genannten  Schrift  die  Übertreibung, 
mit  welcher  diese  ungünstigen,  äußeren  Umständen  als  alleinige  Ursache 
der  militärischen  Augen-Entzündung  hervorgehoben  wurden.  Vleminckx  u. 
VAN  MoNS  erklärten,  daß  ein  Übel,  welches  so  lange  Zeit  nur  eine  bestimmte 
Menschen-Klasse  heimsuchte,  auch  eine  dauernde  Ursache  in  den  dieser 
Klasse  eigenthümlichen  Verhältnissen  besitzen  müßte. 

So  erhob  sich  der  Kampf  der  Kompressionisten,  gegen  die  da- 
mals schon  mächtigen  Kontagionisten-^)  und  hat  lange  und  heftig  ange- 
dauert. 

Im  Jahre  1830  stürzte  sich  Vleminckx  in  die  Politik  und  wurde  unter 
der  provisorischen  Regierung  Haupt  des  MiUtär-Gesundheitswesens.  Diese 
gewaltige  Thätigkeit  nahm  ihn  ganz  in  Beschlag:  34  Jahre  lang  blieb  er 
an  der  Spitze  des  ärztlichen  Militär-Dienstes,  den  er  vollständig  neu  ein- 
gerichtet hat. 

Zahlreiche  Ämter  fielen  ihm  zu. 

Im  Provinzial-Landtag  von  Brabant  setzte  er  1848  die  Gründung 
des  augenärztlichen  Instituts  von  Brabant  durch. 

Im  Jahre  1867  war  er  Vorsitzender  des  augenärztlichen  Kongresses 
zu  Paris. 

Nachdem  er  sein  Ilaupt-Aint  niedergelegt,  hat  er  als  Volksvertreter 
rüstig  für  die  öffentliche  Gesundheitspflege,  für  den  höheren  Unterricht, 
für  das  Wohl  der  Armee  noch  weiter  gekämpft. 

Er  war  eben  eine  Kämpfer-Natur. 

Am  1 8.  März  1 876  ist  er  zu  Brüssel  verstorben. 

Große  medizinische  Schriften  hat  er  nicht  hinterlassen,  aber  thatsäch- 
liche  Leistungen. 

§  791.  Die  Gründung  der  augenärztlichen  Institute  Belgiens^). 
Im  Jahre  1834  waren  2000  Soldaten  mit  Granulationen  in  ihre  Hei- 
mat-Stätten geschickt  worden;  sie  verbreiteten  rasch  die  Krankheit  unter 
die  bürgerliche  Bevölkerung,  namentlich  unter  die  Armen.  Diese  Noth 
schuf  die  belgische  Augenheilkunde  und  die  augenärztlichen  Institute 
Belgiens  4), 

1)  GouzEE  hat  sich  dagegen  ausgesprochen  und,  allerdings  erst  1842,  eine 
gründhche  Widerlegung  geliefert. 

2)  Vgl.  §   630,   §   719,   S.   27,  U.  §   780. 

3)  VAN  DuYSE,  a.  a.  0.  S.  41  fgd. 

4)  Genaue  Nachrichten  über  dieselben  bringt  Cornaz,  A.  dOc.  XXVIII,  S.  20 
bis  41,  1852.     Vgl.  §  781,  III. 


54  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1 800— 1875. 

1.  Das  der  Provinz  Brabant  wurde  zu  Brüssel  im  Sept.  1849  er- 
richtet, und  mit  der  Leitung  Florent  Gümer  betraut. 

Bis  zu  seinem  Tode  (1853)  hat  er  dies  Amt  verwaltet. 

Seine  Nachfolger  waren  van  Roosbroeck  (mit  Bosch  und  Warlomoivt), 
Warlomom,  Lebrüx.  Älit  dem  Tode  des  letzteren  (1900)  ist  die  Anstalt 
eingegangen. 

(Auf  Leben  und  Wirken  dieser  Männer  werden  wir  noch  zurück- 
kommen.) 

2.  In  Loewen  hatte  der  Holländer 

VAN  Onsenoort  (1818 — 1822) 
Augenheilkunde  an  der  Universität  gelehrt  und  eine  augenärztliche  Sprech- 
stunde im  Militär-Hospital  abgehalten.  Sein  Nachfolger  wurde  Hairion, 
der  1839  das  augenärztliche  Institut  der  Armee  zu  Loewen  einrichtete, 
welches  auch  der  Bürgerschaft  zugänglich  war.  Im  Jahre  1880  wurde  es 
neu  eingerichtet  und 

CONSTANT  LOISEAU   d.   S.    (1838  —  1890) 
anvertraut  »dessen  Namen  mit  dem  Optometer  verbunden  bleibt«  und  der, 
für  Befreiung  vom  Militär-Dienst,  den  Grad  von  6  Di  H.  wie  M.  einführte. 
Seine  Nachfolger  wurden  Arexs  (1890),  Gyszelynck  (1899).    1906  wurde 
das  Institut  nach  Brüssel  verlegt.     (R.  Warlomont,   1907.) 

3.  Das  augenärztliche  Institut  von  Lüttich  und  Limburg  ist  aus 
einer  Poliklinik  des  Prof.  Ansiaux  zu  Lüttich  hervorgegangen  und  von 
diesem  bis  1867  geleitet  worden. 

Seine  Nachfolger  waren  Jamain  (1868 — 1900)  und  Butten. 

4.  Im  Hennegau  zu  3Ions  wurde  schon  1836  ein  Provinzial-Augen- 
krankenhaus  gegründet  und  FRANgois-ANXoiNE  Sti£venart  (1796  —  1879) 
anvertraut,  der  große  Verdienste  um  die  Heilung  der  Augenkranken  und 
die  Pflege  der  Blinden  sich  erwarb.  Nach  seinem  Tode  wurde  die  Anstalt 
wieder  geschlossen. 

St.  hat  viel  gethan,  aber  wenig  geschrieben.  Jährlich  machte  er  etwa 
50  Star-Operationen,  erst  mittelst  der  Niederlegung,  später  mittelst  der 
Ausziehung. 

Drei  Arbeiten  hat  er  in  den  A.  d'O.  veröffentlicht:  1.  Über  Zündhut- 
Stückchen  in  der  Linse  (I,  299);  2.  Über  ererbte  Hemeralopie  (XVIII,  163); 
3.  Statistik  der  Blindheit  im  Hennegau  (XX,  107.     Unbrauchbar). 

5.  Die  Provinzial-Augen-Heilanstalt  zu  Namur  wurde  1848  begründet. 
Leiter    derselben  waren   der   Regiments-Arzt   Loiseau  d.  V.   1848 — 1868^), 

FRANrois  Bribosia  d.  V.   1868  —  1890, 

Edmund  Bribosia   1890 — 1898.     Sein  Nachfolger  ward  Baivy. 


t)  Derselbe  hat  regelmäßige  Berichte  über  dies  Institut  und  mehrere  Arbeiten 


Gründung  der  augenärztl.  Institute  Belgiens.  55- 

6.  Für  Ost-Flandern  kam  die  Universitäts-Augenklinik  zu  Gent  in 
Hetraclit.  Dieselbe  war  im  19.  Jahrhundert  nicht  gut  eingerichtet;  aber 
im  Jahre  1908  ist  ein  prachtvoller  Neubau  entstanden i). 

Das  Augen-Institut  zu  Sablon,  das  eine  Unterstützung  seitens  der 
Provinz  erhielt,  stand  von  1 888 — \  905  unter  der  Leitung  von  Albeuic  Jean 
Marie  RoGMAN  (1850—1905). 

7.  West-Flandern  besaß  zu  Ypern  gegen  die  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts ein  Provinzial-Augenkrankenhaus.  Mehrere  dieser  Einrichtungen 
hatten  nur  kurzen  Bestand.  So  auch  das  von  Limburg,  das  1835  ge- 
gründet, 1840  wieder  aufgehoben  wurde. 

8.  Das  zu  Antwerpen  ist  erst  1875  eingerichtet,  besteht  aber  noch 
heute. 

Wenn  auch  heutzutage  die  militärische  Ophthalmie  aus  der  Armee 
Belgiens  geschwunden  ist,  trotzdem  man  die  Trachomatüsen  nicht  ganz 
zurückgewiesen'^),  —  das  Trachom  besteht  in  der  Bevölkerung 
Belgiens  und  erreicht  hohe  Ziffern. 

1881  fanden  sich  in  den  Pohkliniken  von  Gent  18 — 22^,  in  Brüssel 
12^,  in  Loewen  lö^,  in  Antwerpen   10^  3j 

Um  1900  war  die  Zahl  der  Erkrankten  vielleicht  nicht  geringer,  wohl 
aber  die  Schwere  der  Folgezustände. 

Die  Blinden -Ziffer  Belgiens  für  1835  wird  A.  d'O.  XXII,  1894)  auf 
l  :  1302  angegeben;  für  1871  auf  1  :  1685.  (Preußen  hatte  damals 
1  :  1950.) 

1850  wurde  ein  Blinden-Hospiz  zu  Brüssel  errichtet.  Bis  heute  giebt 
es  in  Belgien  noch  keine  öffentliche  Anstalt  zur  Erziehung  der  Blinden. 

§  792.     Die  Annales  d'Oculistique 
sind   im  Jahre  1838  von   dem  belgischen   Militär-Arzt   Florent  Cunier  be- 
gründet worden. 

In  das  Jahr  1914  sind  sie  mit  ihrem  151.  Band  eingetreten. 


über  die   Granulationen  und  ihre   erfolgreiche    Behandlung   mittelst   der    Ätzung 
veröffentlicht. 

A.  A.  d'O.  1847—1852,  XVIII,  30,  XX,  34,  XXI,  248,  XXIV,  44,  XXVI,  )01, 
XXVII,  188.  B.  Memoire  sur  Tefficacite  de  la  cauterisation  des  granulations 
palpebrales,  Gand  1838.     Sur  les  granulations  de  l'armee.  Bruxelles  1838. 

1)  La  nouvelle  clinique  ophtalmologique  de  l'Univ.  de  Gand  par  le  Prof.  van 
DuYSE,  Gand  1908.     (20  S.,  mit  elf  Tafeln.)    Ich  habe  diese  Anstalt  1913  besucht. 

2)  >Sonst  hätten  einzelne  Provmzen  ihren  Pflicht-Antheil  nicht  stellen  können; 
auch  hätten  viel  junge  Leute  das  Trachom  sich  einimpfen  lassen,  um  der  Gestellungs- 
pflicht zu  entgehen.«     van  Duyse,  S.  34. 

3)  Das  sind  beträchtliche  Zahlen.  Vgl.  J.  Hirschberg,  Deutsche  med.  W. 
1897,  No.  27  fgd.  (Die  mittlere  Erkrankung  rechne  ich  bis  zu  ^%  der  Augen- 
kranken.) 


56  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 

Diese  Zeitschrift  hat  der  Entwicklung  und  Förderung  der  Augenheil- 
kunde die  wichtigsten  Dienste  geleistet,  nicht  blos  für  das  französische 
Sprachgebiet^). 

Denn  diese  Annalen  brachten  von  vorn  herein  neben  den  Original- 
Mittheilungen,  unter  denen  viel  Werth volles  sich  findet,  auch  Berichte 
über  die  gesammte  Literatur  unsrer  Fach-Wissenschaft,  die  zwar 
nicht  alles  umfaßten,  aber  sehr  vieles,  und  auch  eingehend  waren,  so 
daß  sie,  bis  zum  Erscheinen  des  Jahresberichts  von  Nagel  (1870)  und 
des  Centralbl.  f.  Augenheilkunde  (1877),  betreffs  der  Welt-Literatur  der 
Augenheilkunde  fast  die  einzige  Quelle  darstellten,  deren  Brauchbarkeit  noch 
dazu  durch  die  fünfjährigen  Inhalts-  und  Namen- Verzeichnisse  bedeutend 
erhöht  wurde. 

In  der  Vorrede  zum  ersten  Bande  der  »Annales  d'Oculistique  publiees 
par  Florent  Cünier«^),  Bruxelles  1838  (316  S.),  erklärt  der  Herausgeber, 
»daß  er  den  Zweck  verfolge,  die  Augenärzte  der  beiden  Länder,  Belgien 
und  Frankreich,  auf  dem  Laufenden  zu  erhalten  über  die  Fortschritte  der 
augenärzthchen  Wissenschaften  in  den  andren  Gegenden,  und  gleichzeitig 
die  Fortschritte  des  Faches  bei  diesen  beiden  Völkern  zu  verzeichnen«. 

Als  Mitarbeiter  werden  genannt:  7  aus  Deutschland^'  (Ammon,  Beger,  Bur- 
KARD  Eble,  Canstatt,  Kneschke,  Warnatz,  Werneck);  7  aus  Belgien;  7  aus 
Frankreich  (darunter  Petrequin,  Sichel  u.  Stöber);  einer  aus  Holland  (van 
Onsenoort).  —  1848  bis  1858  ist  noch  fast  dieselbe  Zahl  aus  Deutschland 
genannt,    aber   unter  Sachsen,    Preußen,   Baden,    Bayern    vertheilt. 

In  den  Jahren  1868  u.  18(59  erscheint  wieder  der  Name  Deutschland  mit 
5  Mitarbeitern,  1870  bis  1878  ist  er  verschwunden,  (obschon  die  Türkei  ihren 
Mitarbeiter  hat,)  ebenso  1888;  1898  ist  unser  Vaterland  durch  2  Mitglieder 
(unter  den  74)  vei'treten,  durch  Schön  u.  Zirm  ;  seit  1908  nur  durch  einen  ein- 
zigen, den  letztgenannten. 

Wie  mitleidig  müßten  die  Gelehrten  späterer  Jahrhunderte  über  den  Nie- 
dergang der  deutschen  Augenheilkunde  in  der  zweiten  Hälfte  des   19.  Jahrhun- 


1)  Ich  darf  wohl  ein  persönhches  Wort  hinzufügen:  für  die  Darstellung  der 
Geschichte  unsres  Faches  im  19.  Jahrhundert  waren  die  A.  d'Oc.  mir  ganz  un- 
entbehrlich; vielleicht  hätte  mein  Leben  nicht  zur  Fertigstellung  dieses  Theiles 
hingereicht,  wenn  ich  nicht  zu  Hause  in  meiner  Bücher-Sammlung  ein  vollständiges 
Exemplar  besessen. 

2)  Zuerst  war  dieses  Buch  unter  dem  Titel  Annales  d'Oculistique  et 
de  Gynecologie  1837/38  in  Quart  erschienen!  Nach  dieser  Ausgabe  sind  im 
Register-Band  (für  I  bis  XXX,  1838—1853)  die  Seitenzahlen;  und  so  werden  sie 
getreulich  von  den  Kompüatoren  wiedergegeben,  —  unbrauchbar  für  uns,  denen 
doch  heutzutage  immer  nur  die  nachfolgende  Ausgabe  des  ersten  Bandes,  in 
Oktav,  zur  Verfügung  steht.  Ich  habe  stets  die  brauchbaren  Seitenzahlen  der 
letzteren  angeführt. 

3)  L'Allemagne,  veritable  berceau  de  la  science  ophthalmologique.  A.  d'O. 
XXIX,  S.  163,  1853.  — Ammon,  Cunier's  einziger  Mitbewerber  als  Herausgeber  einer 
augenärztlichen  Zeitschrift,  hat  sofort  das  Erscheinen  der  A.  d'Oc.  freudig  be- 
grüßt.    (Zeitschr.  f.  Augenh.  u.  Ch.  I,  S.  673,  1838.) 


Die  Annales  d'Oculistique.  57 

derts,    also    im  Zeitalter   von   Helmholtz   u.  A.  v.  Graefe,    urtheilen,     —    falls 
ihnen  aus  dem  letzteren  nichts  als  diese  Listen  erhalten  geblieben! 

Nach  dem  Tode  von  Florent  Cünier  (1854)  wurde  die  Leitung  der 
Annalen  durch  einen  Ausschuß  von  5  Mitgliedern  fortgesetzt:  Fallot,  Bosch, 
Hairion,  VAX  R(tosBROECK,  Warlomunt,  von  denen  der  letztere  als  verant- 
wortlicher Herausgeber  zeichnete.  Im  Jahre  18S4  waren  nur  noch  Hai- 
rion und  Wari.omom  am  Leben,  1889  nur  noch  der  letztere. 

Derselbe  erklärt  in  der  Vorrede  dieses  .hibel-Bandes  (C  I);  La  Belgi- 
que  eut,  par  ses  Annales  d'Oculistique,  le  merite  ...  de  guider  l'ophtal- 
mologie  vers  la  voie  scientifique  oü  eile  se  meut  aujourd'hui,  radieuse  et 
respectee.  Elle  ne  l'a  pas  creoe  .  .  .  .,  mais  eile  a  a  son  aclif  ....  la 
gloire  d'en  avoir  ete  la  colonisatrice.« 

Nach  dem  Tode  von  Warlomont  (1891)  wurden  die  Annalen  von 
seiner  Familie  nach  Paris  verkauft.  Die  Leiter  sind  seitdem  Valude  und 
Sulzer,  denen  seit  1898  noch  Murax  sich  hinzugesellt  hat. 

Die  Annales  d'Oculistique  stellen  die  älteste  aller  heute  bestehenden 
Zeitschriften  unsres  Faches  dar:  ihr  Verdienst  ist  besser  durch  unser  vor- 
her ausgesprochenes  Urtheil,  als  durch  Warlomont's  Schönrederei  ge- 
kennzeichnet. 

Zusätze.  1.  Da  Frankreich  ein  »Absatzgebiet«  darstellte,  hat  F.  Cü- 
nier, unmittelbar  vor  der  Herausgabe  seiner  Zeitschrift,  eine  Geschäfts- 
Reise  dorthin  unternommen.  (§  549,  S.  7,  habe  ich  seine  Worte  an- 
geführt.) 

2.  Fünfzehn  Jahre  hindurch  behaupteten  die  belgischen  Annalen 
die  Alleinherrschaft  in  dem  französischen  Sprachgebiet. 

Da  erhob  sich  der  Wettbewerb,  durch  die  französischen  Archives 
d'Ophthalmologie  par  M.  A.  J.vmain  (Paris  1853).  Aber  diese  Zeit- 
schrift mußte  bereits  1855,  mit  dem  vierten  Band,  ihr  Erscheinen  ein- 
stellen, —  zu  großer  Genugthuung  der  Schriftleiter  des  älteren  Unterneh- 
mens. (»Les  Archives  d'ophthalmologie,  fondees  ä  Paris,  sans  autre  objet 
que  de  creer  aux  Annales  d'Oculistique  une  concurrence  qui  ne  fut  pas 
heureuse,  et  ne  repondant  ä  aucun  besoin  reel,  cesserent  de  paraitre  apres 
trois  annees.<     A.  d'Oc.  XLIX,  S.  6,  1803.) 

Erst  1881  hat  dann  Prof.  Panas  zu  Paris,  mit  E.  Landolt  u.  F.  Poncet, 
unter  dem  alten  Titel  (Archives  d'ophtalmologie)  eine  neue  Zeitschrift 
begründet,  »um  den  Fortschritt  der  Augenheilkunde  in  Frankreich  zu 
fördern«.  Dieses  Archiv  war  lebensfähig  und  fruchttragend,  bis  zu  uns- 
ren  Tagen. 

§  793.     1.  Florent  Cunier  (1812—1852). 

l.  A.  d'Oc.  XXIX,  S.  16  5  —  164.  (Joseph  Bosch.)  II.  Biogr.  Lex.  II,  S.  114. 
(H.  Magnus.)     III.  D.  vax  Din-SE  fa.  a.   0.,  S.  68). 


58  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgienß,  1800—1875. 

I.  berücksichtigt  die  wissenschaftUchen  Leistungen  C.'s  zu  wenig;  11.  ist 
dürftig;  III.   bringt  nur  wenige  Zeilen. 

Niemand  hat  es  bisher  der  Mühe  für  werth  gehalten,  ein  vollständiges 
Bild  der  wissenschaftlichen  Leistungen  von  F.  C.  zu  entwerfen.  Diesen  Zoll  der 
Dankbarkeit  möchte  ich  dem  bedeutendsten  belgischen  Fachgenossen 
aus  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  an  dieser  Stelle  abstatten 
—  mit  Liebe  und  mit  Gerechtigkeit. 


Fig.  3. 


Florent  Cunier. 


Geboren  1812  in  dem  Dorfe  Beloeil  (Hennegau),  studirte  F.  C.  unter 
VAN  O.NSENOüRT,  waF  zuefst  Militär-Arzt,  eröffnete  dann  1840  eine  Augen- 
klinik zu  Brüssel,  wo  er  nicht  blos  wirkte,  sondern  auch  lehrte;  erhielt 
die  Leitung  der  1849  zu  Brüssel  errichteten  Augen-Heilanstalt  der  Provinz 
Brabant  und  muß  als  einer  der  hauptsächlichsten  Förderer  der  Augenheil- 
kunde in  Belgien  bezeichnet  werden. 


Florent  Cunier.  59 

Als  er  nach  einem  Leben  voll  Arbeit  und  Mühe  eben  anfing,  die  Frucht 
seiner  Thätigkeit  zu  ernten,  hat  ihn  inn  Alter  von  nur  5  0  Jahren  eine 
tückische  und  schmerzhafte  Krankheit  hin  weggerafft,  die  ihn  schon  lange 
bedrohte. 

Die  Ämter  und  Ehren,  die  ihm  zu  Theil  geworden,  sind  auf  dem  Titel- 
Blatt  des  letzten  i XXVII.)  Bandes  seiner  Annales  d'Oculistique  verzeichnet:  Che- 
valier de  rOrdre  niilituire  de  Leopold,  Möd.  Oc.  de  L.  L.  A.  A.  R.  R.  le  Duc  de 
Brabant  et  le  Comle  de  Flandre,  Chir.  en  Chef  de  l'Institut  Ophth.  de  la  Prov. 
de  Brabant,  Ancien  Mi'd.-Militaire,  Membre  des  Acadrmies  et  Soc.  de  Med. 
d'Amsterdam,  Angers,  Anvers,  Athenes,  Baden^  Barcelone,  Batavia,  Berlin,  Bor- 
deaux, Breslau,  Bruges,  Bruxelles,  Copenhague,  Corogne,  Dresde,  Erlangen, 
Gand,  Halle,  Hambourg,  Heidelberg,  Hoorn,  Jena,  Leipzig,  Liege,  Lille,  Lisbonne, 
Londres,  Lyon,  Madrid,  Malines,  Montpellier,  Nantes,  Nismes,  Nouvelle  Orleans, 
Palma  de  Mallorca,  Paris,  Poilieis,  Puerto  de  Santa  Maria,  Rio  de  Janeiro, 
Rotterdam,   Saragosse,   Strasbourg,   Valence,   Vervier,   Yienne^)   etc. 

Bekannt  ist  Cunier  hauptsächlich  als  Schriftsteller.  Er  war  aber 
auch  ein  tüchtiger  Arzt  und  Wundarzt. 

Mehrere  Verfahren  hat  er  eingeführt  und  verbessert,  z.  B.  die  subku- 
tane 2)  Durchschneidung  des  Orbikular-Muskels  der  Lider  bei  krampfhafter 
Einstülpung  (A.  d'Oc.  V,  264,  1841);  und  auch  um  die  Ausgestaltung  der 
Schiel-Operation  sich  verdient  gemacht. 

Ferner  hat  er  etliche  Instrumente  angegeben:  einen  Lidsperrer^) 
(1\,  S.  31,  1843),  einen  gekrümmten  Haken  zur  Entfernung  von  Fremd- 
körpern aus  der  Hornhaut  (VIIF,  S.  279). 

Groß  war  die  Zahl  seiner  Schüler,  auch  aus  der  Fremde. 

Die  Titel  seiner  Veröffentlichungen  füllen  vier  Seiten  des  Werks  von 
D.  VAN  DüvsE.  (238 — 242.)  Begonnen  hat  Cumer  seine  Schriftsteller-Lauf- 
bahn schon  als  22j;ihriger,  mit  seiner  Arbeit  über  di(^  Augen-Entzün- 
dung in  der  Armee,  vom  Jahre  1834,  und  1836  (mit  van  Kriss) 
Blrkard  Eble's  Schrift  über  die  in  der  belgischen  Armee  herrschende 
Augenkrankheit   (Wien    1836)   in's  Französische  übersetzt. 

Schon  im  ersten  Bande  seiner  Annalen  (S.  159 — 170)  wendet  sich  C. 
^egen  die  ausgedehnten  und  tiefen  Höllenstein-Ätzungen  der  Bindehaut- 
jranulationen. 

Der  ansteckenden  Augen-Entzündung  in  der  Armee  und  in  der  ärmeren 
ind  Arbeiter-Bevölkerung  Belgiens  sowie  den  Mitteln  zur  Ausrottung  dieser 
jeißel  hat  er  stets  seine  ärztliche  und  menschenfreundliche  Aufmerksam- 
lieit  gewidmet  (A.  d'Oc.  1845,  1846,  1847.     Vgl.  XXHI,  S.  52,   die  Ophlh. 


I  1)  Ein    wenig   wird    F.  C.    wohl    nachgeholfen    haben.      Es  ist   doch    ein 

irilück,  daß  wir  heutzutage  diese  Anhängsel  an  den  Namen  nicht  mehr  drucken. 
'         2)  Haut-Schnitt  und  Ausschneiden   einiger  Fasern   des  Muskels  hatte  schon 
!Cey  geübt.     (Lancet,  5.  Nov.  1823.) 
'  3)  Vgl.  §  643,  S.  188. 


60  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800 — 1873. 

in  der  portugiesischen  Armee;    XXVIII,   S.    IST,  in    der   dänischen;  XXV, 
S.  215,  in  der  Provinz  Antwerpen). 
In  seinen 

Recherches  statistiques  sur  la  nature  et  les  causes  des 
Maladies  oculaires  observees  en  Belgique,  et  en  particulier  dans 
la  province  de  Brabant,  Rapport  adresse  a  M.  Liedts,  Gouverneur 
du  Brabant,  Bruxelles  1847  (8",  332  S.) 

betont  C,  daß  in  der  Armee,  durch  die  Bemühungen  von  Fallot  und 
LoisEAU  d.  V.  die  Atzung  der  Granulationen  mit  dem  Höllenstein-Stift  sich 
bewähre.  Aber  sie  erfordert  einen  geschickten  Wundarzt.  Die  bürger- 
liche Bevölkerung  sträubt  sich  gegen  diese  Art  der  Behandlung.  Cunier 
hat  deshalb  die  Ätzung  mit  der  Höllenstein-Lösung  empfohlen;  auch  die 
mit  dem  gemilderten  Höllenstein-Stift  (A.  d'Oc.  XX,  157):  aber 
beide  sind  weniger  wirksam. 

Im  Jahre  1849  (A.  d'Oc.  XXI,  231  f.)  kommt  C.  auf  das  Verfahren  von 
Dr.  BuYS,  Garnisons-Arzt  in  Brügge,  (aus  dem  Jahre  1839)  zurück'). 

Einige  Militär-Ärzte  hatten  Widerspruch  erhoben.  Vergleichende  Ver- 
suche, von  BüYS  angeboten,  vom  Chef  des  Militär-Sanitätswesens  Vleminckxs 
genehmigt,  entschieden  zu  Gunsten  des  Verfahrens.  Ebenso  die  eigne 
Erkrankung  von  Cunier,  der,  bei  der  Untersuchung  eines  Auges  mit  schleim- 
eitriger Entzündung,  sich  selber  angesteckt  hatte  2).  Conier  hat  das  Ver- 
fahren in  1 00  Fällen  mit  Erfolg  angewendet.  Blei-Überkrustungen  der 
Hornhaut  hat  er  nicht  beobachtet,  auch  wenn  die  letztere  geschwürig  war. 

Der  Höllenstein  soll  nicht  aufgegeben  werden ;  doch  ist  er  in  vielen 
Fällen  durch  das  Verfahren  von  Buys  zu  ersetzen. 

Der  zweite  Gegenstand,  dem  Cunier  seine  Aufmerksamkeit  zuwandte, 
war  die  Schiel-Operation.  (Vgl.  §  494,  495.)  Sein  thatsächliches  Ver- 
dienst bestand  in  der  Vernähung  der  Bindehaut-Wunde  bei  der 
Operation  des  Einwärtsschielens,  um  das  häßliche  Einsinken  der  Thränen- 
Karunkel  und  das  Klaffen  der  Lidspalte  zu  vermeiden.  (A.  d'Oc.  III,  122, 
V,  135,  200,  266,  95,  VI,  49,  IX,  30.)  Seine  Prioritäts-Forderung 
ist  gescheitert  und  wurde  von  ihm  selber  aufgegeben.  (A.  d'Oc.  III,  S.  1 22, 
126,  V,  39,  1.  vol.  suppl.  S.  266,  1842.) 


1)  Mit  dem  Pulver  aus  essigsaurem  Blei.     Vgl.  §  788. 

2)  Auch  G.  B.  QuADRi  hatte  durch  Ansteckung  einen  Eiterfluß  der  Augen  sich 
zugezogen  und  wurde  durch  sein  concentrirtes  Laudanum  geheilt.  (§736,^ 
S.  94.)    Jeder  von  beiden  lobt  das  am  meisten,  was  ihm  geholfen. 

Durch  Ansteckung  im  Beruf  hat  Deneffe  für  zwei  Jahre  seiner  Amtsthätig- 
keit  entsagen  müssen ,  ferner  Ritterich  einen  Theü  der  Sehkraft  eingebüßt, 
QuAGLiNO  und  Waldhauer  fast  völhge  Erblindung  erhtten.  (§  802,  §  525,  S.  325; 
§  721,  S.  43.) 

Zahlreiche  Augen  praktischer  Ärzte  sind  durch  solche  Ansteckung  ver-{ 
loren  gegangen;  das  hat  Jeder  von  uns  beobachtet.     (Vgl.  z.  B.  §  816.) 


Florent  Cunier.  61 

Von  den  mehr  kasuistischen  Mittheilungen  C.'s  möchte  ich  einige 
hervorheben,  die  auch  heute  noch  nicht  ihren  Werth  verloren  haben: 
Farbenblindheit,  seit  5  Generationen  vererbt  (I,  S.  285 f.);  erbliche  Mi- 
krophthalmie und  Taubstummheit  (XIII,  30);  Cysticercus  unter  der 
Bindehaut  (VI,  S.  271). 

Verdienstvoll  war  auch  Cunier 's  »Bemerkung  über  die  Anwendung 
des  Atropin,  Hyoscyamin  und  Daturin  in  der  Augenheilkunde«  (XVII, 
S.  25—29,  1847),  die  bereits  (in  §  482,  S.  11)  erwähnt  und  gerühmt 
worden. 

Ferner  die  systematische  Übung  sehschwacher  Augen  mittelst  der 
Konvex-Gläser  (VII,  82,  1842),  die  gleichfalls  schon  (§  754,  S.  62)  hervor- 
gehoben worden. 

Weniger  bedeutend  ist  sein  Versuch  über  die  Äther-Betäubung  bei 
Augen-Operationen.     (XVII,  S.  205.) 

Cunier  liebte  es,  über  neue  Verfahren  sofort  seine  eigne  Meinung 
der  Welt  kund  zu  thun,  auch  wenn  er  noch  nicht  genügende  Er- 
fahrungen gesammelt  hatte:  seine  Zeitschrift  gewährte  ihm  ja  die  Möglich- 
keit der  raschen  Verr»irentlichung. 

Durch  eine  hingeworfene  Zeile  am  Schluß  einer  Lieferung  (XXIII, 
S.  248)  sucht  er  sich  die  Priorität  der  Anwendung  des  Tannin  bei  Augen- 
leiden zu  sichern,  —  wenigstens   gegenüber   seinen  Landsmann   Hairion^). 

Als  Desmarres  {A.  d'Oc.  XX,  157,  1848)  die  Herstellung  der  ge- 
milderten Stifte,  aus  Höllenstein  und  Salpeter,  beschrieben,  fügt 
Cunier  eine  Note  hinzu,  daß  er  selber  —  schon  einige  Jahre  früher  solche 
Stifte  habe  anfertigen  lassen.  Aber  nicht  die  nachträgliche  Erklärung, 
sondern  die  Zeit  der  ersten  Veröffentlichung  sichert  die  Priorität; 
diese  hat  hier  Hasner  von  der  Artha  (1847)2'. 

Bezüglich  der  Priorität  des  Lidsperrers  bleibt  eine  Lücke  be- 
stehen: es  ist  mir  nicht  gelungen,  die  Zeit  festzustellen,  wann  der  von 
Kelley-Snow'den  veröffentlicht  ist.     (§  645.) 

Der  von  Cixier,  welcher  an  den  von  Lisardi  sich  anlehnte  und  an  einer 
Pinzette  befestigt  war,  ist  von  Cunmeh  selber  in  den  A.  d'Oc.  IV,  S.  27,  Okt. 
1840,  abgebildet   (s.  Fig.  4)  und  folgendermaßen  beschi'ieben  worden: 

>Mein  Speculum,  wie  das  von  Lisardi,  besteht  aus  einem  eiförmigen  Ringe, 
dessen  oberer  Arm  doppelt  ist  3). 

....  Aber,  statt  auf  einem  Handgriff  mit  Schraube  angebracht  zu  sein 
und  aus  einem  Stück  zu  bestehen,  setzt  sich  mein  Speculum  aus  zwei  krummen 

1)  Vgl.  §812. 

2)  Vgl.  §  592,  XIII,  S.  212. 

3)  Die  folgenden  Worte  sind  unklar:  sa  division  posterieure  plus  elevee 
refoule  la  peau  palpebrale  sous  l'orbite;  l'inf örieure,  moins  elevee,  s'oppose  ä 
ce  que  la  peau  intrasourciliaire  en  se  rabatte  en  avant.  Vielleicht  ist  antörieure 
zu  lesen. 


62 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800 — 1875. 


Klappen  (valves)  zusammen,  die  an  ihren  Enden  sich  berühren  und  von  denen 
die  untere  befestigt  ist  an  dem  einen  der  beiden  Arme  einer  Druck-  und  Feder- 
Pinzette  :  indem  man  die  letzte  zusammendrückt,  entfernt  man  die  beiden  Seg- 
mente des  Ringes  .  .  .  Ein  Zahn-Kamm  ist  an  dem  einen  Arm  befestigt  und 
geht  durch  den  andren«    .  .  . 

Im  Jahre  1841  spricht  Cunier  (A.  d'Oc.  VI,  271)  von  Kelley-Snowden's 
Lidsperrer.  Dieser  besteht  ja  aus  einem  gebogenen  Draht,  ohne  Stiel  oder 
Handgriff.      (Fig.  8   und   9.) 

Im  Jahre  184  3  erklärt  F.  Cunier,  daß  das  Speculum  ihm  angehöre  und 
von  Kelley-Snowdex  nur  modificirt  sei. 

(Mon  speculum,  tel  qu'il  a  ete  modifie  par  M.  Kelley-Snowdex.  A.  d'Oc.  3* 
vol.  suppl.,   S.  295.) 

Das  Instrument,  welches  er  daselbst  abbildet,  gleicht  der  Fig.  9 ;  nur  hat 
es  außer  dem  End-Bälkchen  noch  ein  zweites,  an  der  Mitte  des  Lidbogens. 
A.  d'Oc.  IX,  S.  31,  18  43,  sind  die  oben  erwähnten  Worte  und  die  Figur 
wiederholt.  A.  d'Oc.  VII,  S.  135,  1842,  wird  von  Dr.  van  der  Broeck  diese 
Modifikation  Hrn.  Luer  zugeschrieben  und  auch  hervorgehoben,  daß  Cunier  sein 
ursprüngliches  Modell  nach  Art  einer  Zuckerzange  abgeändert  hatte. 

Eis.  4. 


Wir  können  also  Hrn.  Cunier  nicht  beistimmen.  Lidsperrer  mit  Hand- 
griff und  veränderlicher,  stellbarer  Spreizung  waren  schon  seit  Cheselden 
bekannt.      (Fig.  6.) 

Selbsthätige  Spreizer,  ohne  Handgriff,  aus  einem  federnden  Draht, 
dürften  von  Kelley-Snowden  herrühren. 


Gumer's  größtes  Verdienst  war  zweifellos  die  Gründung  der  An- 
nalen;  mit  Eifer  und  Beharrlichkeit  hat  er  die  Zeitschrift  fortgeführt,  bis 
der  Tod  ihn  zwang,  die  Feder  niederzulegen. 

Er  besaß  alle  Fertigkeiten  für  dieses  Unternehmen:  einen  flüssigen 
Stil,  Anpassungs-Fähigkeit  an  fremde  Menschen  und  Verhältnisse,  —  sogar 
an  Gegenstände,  die  er  wissenschaftlich  nicht  recht  beherrschte ;  er  hatte 
geschäftliche  Gewandtheit,  wie  er  sie  in  der  Versuchs-Reise  durch  Frank- 
reich und  in  der  Aussetzung  von  Preisen')  für  die  Bearbeitung  von  wich- 
tigen Kapiteln  der  Augenheilkunde  (Star,  Glaukoma)  bewiesen. 

Dagegen  waren  ihm  in  minderem  Grade  die  höheren  Eigenschaften 
zu  Theil  geworden:  Pünktlichkeit,  Sachlichkeit,  Unparteilichkeit 2). 


1)  §  520,  §   540,  §   548. 

2)  Vgl.  §  494. 


Florent  Cunier. 


63 


Fig.  5. 


Ambroise  Pare's 
Speculum  oculi. 


Fig.  6. 


Das  Instrument  von  Cheselden. 


Fig.  7. 


Fig.  8. 


Fig.  9. 


Fig.  10. 


64  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800 — 1875. 

Sein  Benehmen  gegen  Dieffenbach  verdient  die  härteste  Verurtheilung. 
Gegen  seinen  Fachgenossen  und  hauptsächlichen  Mitstreber,  den  Prof.  van 
RoosBROECK  zu  Gent,  hat  er  in  den  Annalen  von  ihrem  ersten  Beginn  an  einen 
nörgelnden  Kampf  eröffnet,  dem  der  Angegriffene  ein  eisiges  Schweigen 
entgegen  setzte. 

F.  GüNiER  verschmäht  es  auch  nicht,  mit  fremdem  Kalbe  zu  pflügen. 
In  einem  stolzen  Leitartikel  vom  Mai  1840  (A.  d'Oc.  III,  S.  77 — 79)  wird 
die  Priorität  der  drei  Reflex-Bilder  Hrn.  Sanson  genommen  und  Hrn.  Pur- 
kinje zuertheilt;  aber  mit  keiner  Silbe  erwähnt,  daß  diese  Priorität  soeben, 
Okt.  Nov.  1839,  (in  v.  Ammon's  bekannter  Monats-Schrift  II,  S.  478)  von 
Prof.  Rau  verölTentlicht  und  vom  Herausgeber  (F.  v.  Ammon)  durch  Hinzu- 
fügung von  Purkinje's  eignen  Worten  ergänzt  worden  war.  Dies  Citat 
V.  Ammon's  beginnt  mit  zwei  zur  Sache  belanglosen  Sätzen,  die  aber 
Hr.  CuNiER  getreulich  abgeschrieben  hat.  Er  verließ  sich,  wie  so  viele 
nach  ihm,  auf  die  für  das  französische  Sprachgebiet  so  bequem  erweisliche 
Unkenntniß  der  deutschen  Literatur. 

Zusatz:  Die  Schiel-Operation 

fand  von  vorn  herein  in  Belgien  große  Beachtung. 

Schon  am  7.  Juli  1840  hat  die  ärztliche  Gesellschaft  zu  Gent  eine 
Erörterung  der  neuen  Operation  veranstaltet,  die  sehr  lebhaft  war^). 

Von  Bearbeitern  der  Schiel-Operation,  von  denen  auch  Verbesserungen 
eingeführt  wurden,  nenne  ich 

1.  F.  CüNiER,  von  dessen  Verdiensten  ich  soeben  gesprochen. 

2.  Jules  Gü^rin-'  (am  11.  März  1801  zu  Boussu  in  Belgien  geboren, 
am  25.  Jan.  1886  zu  Hyeres  gestorben,)  hat  1826  den  Doktor  zu  Paris 
erworben  und  wirkte  daselbst  einerseits  als  Orthopäde,  mit  solchem  Erfolge, 
daß  er  3  Mal  den  Monthyon-Preis  gewann;  andrerseits  als  Journalist,  indem  er 
1830  die  Gazette  medicale  de  Paris  gründete  und  40  Jahre  lang  mit  größtem 
Erfolge  leitete:  er  gilt  für  den  Urheber  des  medizinischen  Feuilletons. 

GuERiN  hat  schon  Okt.  1840  die  subkutane  Muskel-Durchschneidung 
gegen  Schielen  empfohlen  und  erzielte  (seit  Sept.  1841)  durch  die  Faden- 
Operation  Heilung  der  von  Andren  bewirkten  Sekundär-Divergenz  ^j. 

3.  Charles  Philips^),  geb.  1811  zu  Lüttich,  wurde  daselbst  Doktor, 
prakticirte  zuerst  in  seiner  Vaterstadt,  verweilte  von  1834  an  in  Paris, 
von  1839    an   in  Berlin   bei  Dieffenbach  und  ging  1840  nach  Petersburg, 


1)  §  493,  S.  lai. 

2)  Biogr.  Lex.  II,  688  und  VI,  830. 

3)  Vgl.  §  493,  S.  123,  woselbst  seine  Abhandlungen  angeführt  sind.  Sein 
Memoire  sur  Tetiologie  generale  du  Strabisme  ist  1843  in  zweiter  Auf- 
lage erschienen.  —  Vergeblich  versuchte  er,  gegenüber  Donders  und  A.  v.  Graefe 
die  Priorität  für  den  Astigmatismus  und  die  musculäre  Asthenopie  zu 
behaupten.     (A.  d'Oc.  XLVIII,  S.  296— 310,  1862.) 

4)  Biogr.  Lex.  IV,  5S7. 


Die  Schiel-Operation  in  Belgien.  —  Joseph  Boscli.  65 

woselbst  er  300  Schielende  operirt  haben  soll.  Im  Jahre  1841  erschien 
seine  Sonderschrift  Du  strabisme.  Seine  Darstellungen  sind  voll  Be- 
geisterung und  nicht  immer  rein  sachlich '). 

§  794.  2.  J.  J.  Joseph  Bosch  (1794—1873)2), 
geboren  zu  Maestricht,  studirte  zu  Douai,  Straßburg  und  Paris,  wurde  1815 
Dr.  der  Heilkunde  zu  Leiden,  war  20  Jahre  lang  Haupt- Wundarzt  des 
Krankenhauses  zu  Maestricht,  Prof.  der  Geburtshilfe  und  Lehrer  der  Ana- 
tomie und  Chirurgie.  Im  Jahre  1826  hat  B.  zu  Sneek  in  Friesland  voll 
Tliatkraft  und  Aufopferung  die  Typhus-Epidemie  bekämpft.  Er  war  nach- 
her wirklich   »der  Dupuytrex  von  Limburg«. 

Leider  ließ  er  sich  durch  seine  Familie  verleiten,  1838  die  Verwaltung 
einer  Zucker-Fabrik  zu  übernehmen:  nach  fünf  Jahren  hatte  er  nicht  nur 
sein  Vermögen  verloren,  sondern  sogar  eine  gewaltige  Schulden-Last  sich 
aufgeladen. 

So  ging  er  1 845  nach  Brüssel,  wo  man  ihm  schon  zwei  Jahre  zuvor  zum 
Mitglied  der  belgischen  Akademie  gewählt  hatte,  wurde  als  beigeordneter 
Vorstand  an  dem  Augenkranken-Institut  von  Brabant  angestellt  und  1847 
zum  Armen-Arzt  ernannt. 

Nach  15  Jahren  harter  Arbeit,  von  welcher  der  grüßte  Theil  den 
Armen  zu  Gute  kam,  hatte  er  soviel  erworben,  um  sich  auf's  Land  zurück- 
zuziehen. Er  ging  nach  Fauquemont  (Ilerzogthum  Luxemburg),  wo  er 
noch  eine  Sprechstunde  für  Arme  abhielt,  und  zwei  Jahre  später  nach 
Vaals,  woselbst  er  1873  gestorben  ist. 

J.  Bosch  war  ein  tüchtiger  Chirurg,  um  die  Rhinoplaslik  und  Litho- 
thripsie  hoch  verdient;  der  Erste,  welcher  1847  zu  Brüssel  die  Ather- 
Beläubung  ausführte.  Die  nach  dem  Tode  Cumer's  ihm  angebotene 
Oberleitung  des  Augenkranken-Instituts  lehnte  er  ab,  da  er  in  seinem 
Alter  (von  57  Jahren)  dem  neuen  Aufschwung  der  Augenheilkunde  sich 
nicht  gewachsen  fühlte,  auch  die  hohe  Stellung,  die  er  als  Arzt  und  Wund- 
arzt erworben,  einzubüßen  fürchtete;  blieb  aber  als  zweiter  Vorstand  an 
dem  Institut  thätig  und  nahm  Theil  an  der  Herausgabe  der  Annalen. 

J.  Bosch  war  ein  edler,  hochsinniger  Mann,  bescheiden  und  menschen- 
freundhch.     Seine  literarischen  Arbeiten  sind  von  geringem  Umfang. 

Für  uns  kommen  nur  drei  in  Betracht: 

1.  Notes  sur  les  maladies  oculaires  observees  dans  la  classe  pauvre 
de  Bruxelles.     A.  d'O.  XXIV,  S.  95,  1850. 

2.  De  l'opacite  de  la  capsule  crystallinienne.    XXX,  S.  225,  1853. 

3.  Notice  necrologique  sur  Cunier.     XXIX,  S.  182,  1853. 


1)  Vgl.  §   492,  S.  121. 

2)  A.  d'Oc.  LXXI,  282;  van  Duyse,  S.  48;  Biogr.  Lex.  VI.  S.  525. 
Handbuch  der  Augenheilkunde.   2.  Aufl.   XIV.  Bd.  (VII.)  XXIII.  Kap.  5 


QQ  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800 — 1875. 

§795.     3.  EvARiSTE  Warlomont  (1830  — 1891)1), 
die  Seele   der  Annalen  von   1853 — 1891,   war   ein   hervorragender  Jour- 
nalist,  kein  Gelehrter:    über  alles   wußte    er    zu  schreiben,  nicht  blos 
über  Augenheilkunde,  sondern  auch  über  Impfung,  über  Zulassung  fremder 
Ärzte,  über  die  stigmatisirte  Louise  Lateau^). 

Geboren  zu  Aubel  bei  Lüttich,  am  26.  Nov.  1820,  studirte  W.  zu 
Lüttich,  war  von  1845  — 1852  Militär-Arzt,  —  ein  Amt,  an  das  er  später 
nur  mit  Mißbehagen  sich  erinnerte;  besuchte  die  Augenklinik  von  Cunier 
und  erhielt  alsbald  eine  Anstellung  an  dem  Augen-Institut  von  Brabant  zu 
Brüssel  sowie  die  Leitung  der  Annalen. 

32  Jahre  lang  widmete  er  seine  Arbeit  dem  Augen-Krankenhaus,  von 
1869  ab  als  Vorsteher,  und  fand  dann  eines  Tages  (1883),  als  er  von 
seiner  Erholungs-Reise  zur  Mittelmeer-Küste  zurückgekehrt  war,  seinen 
Platz  von  einem  Andren  besetzt. 

Schnell  entschlossen  gründete  er  das  internationale  Augen-Institut  von 
San  Remo,  mit  Dr.  Borbonk,  das  er  bis  zu  seinem  Tode  verwaltete  und 
das  noch  heute  besteht. 

Die  Annalen  brachte  er  zur  höchsten  Blüthe. 

Am  17.  Jan.  1891  ist  er  zu  Brüssel,  an  Gangrän  des  rechten  Schen- 
kels, verstorben. 

Zu  seinen  wichtigsten  Leistungen  gehörte  die  Anregung  zu  dem  ersten 
internationalen  augenärztlichen  Kongreß  zu  Brüssel  1857.  Er  hat 
auch  den  Bericht  über  diesen  Kongreß  in  einem  stattlichen  Bande  (von 
492  S.,  1858)  herausgegeben;  ferner  die  Berichte  über  die  beiden  folgen- 
den Kongresse,  Paris  1862  und  1867,  sowie  eine  Übersicht  über  die  Ver- 
handlungen des  augenärztlichen  Kongresses  zu  London,  1 872. 

Zu  seinen  Leistungen  von  allgemeinerer  Bedeutung  gehört  auch  noch 
die  französische  Ausgabe  des  Lehrbuchs  von  Mackenzie,  die  er  mit  A.  Tes- 
TELiN^)  in  2  Bänden  1856/57  veranstaltet  hat.     (§  681.) 


1)  Biogr.  Lex.  VI,  1036.  (van  den  Corput.)  A.  d"Oc.  CV,  S.  83  f.  (J.  P.  Nuel). 
VAN  DuYSE,  a.  a.  0.  S.  68. 

Ich  habe  W.  noch  gut  gekannt.  Er  war  sehr  liebenswürdig;  aber  in  der 
Eitelkeit  hat  er,  selbst  für  einen  Arzt  und  Zeitschrift-Leiter,  das  zulässige  Maß 
überschritten.  Ebenso  in  seiner  Taktlosigkeit  gegen  Deutschland.  (§  644,  S.  181.) 
W.  war  chauvinistisch  und  oft  sehr  ungerecht.     (Vgl.  A.  d'Oc.  XXXIX,  S.  187.) 

2)  Seine  Landsleute  rühmen  ihn,  daß  er  (1874)  »die  Wahl  zwischen  Wun- 
der und  Betrug  bei  Seite  ließ  und  auf  Krankheit  schloß«.  Wir  denken  anders. 
Hat  doch  auch  der  Papst  1880  Louisens  Beschützer,  den  Bischof  Dumont,  als 
irrsinnig  abgesetzt. 

3)  A.  Testelin,  1814  zu  Lille  geboren,  erst  Militär-Chirurg,  1837  Doktor  zu 
Paris,  ließ  sich  in  seiner  Vaterstadt  nieder.  Im  Jahre  1849  wurde  er  in  die  ge- 
setzgebende Versammlung  gewählt,  nach  dem  Staats-Streich  des  Landes  verwiesen; 
1859  amnestirt,  nahm  er  die  Praxis  zu  Lille  wieder  auf.  1870  Präfekt  des  Nord- 
Dep.,  1871  Mitglied  der  National-Versammlung,  1875  Senator. 


E.  Warlomont.     P.  D.  Lebrun.     Unterricht  u.  Prüfung  i.  d.  Augenheilk.       67 

Von  seinen  yVbhandlungen  sind  die  Kompilationen  —  Cataracte, 
Ciliaire  (muscle),  Chalazion,  Conjonctive,  Lacrymales  (voies),  Ophthalmie, 
Retine,  aus  den  Jahren  1872,  1873  und  den  folgenden,  in  dem  Pariser 
Dictionnaire  encycl.  des  sciences  medicales,  —  fast  wichtiger,  als 
die  originalen,  da  Originalität  ihm  abging,  und  dieser  Mangel  auch  durch 
den  glänzendsten,  journalistischen  Stil  nicht  ersetzt  werden  konnte. 

Die  folgenden  Arbeiten  W.'s  verdienen  Erwähnung: 

■1.  Pannus  und  seine  Heilung  durch  Inokulation.     A.  d'üc.  XXXII,  ö3,  101.  149, 
1854,  und  XXXIII,  7. 

2.  L'ophthalmie  dite  militaire  ä  l'Acad.  d.  Med.  Belgiijue,  1858.  (8",  366  S.) 
Vgl.  A.  d'Oc.  XXXIX,  S.  193. 

3.  Über  die  sympathische  Augen-Entzündung.     (Ophth. -Kongreß    zu   London, 
187-2.)     Vgl.  dazu  noch  A.  d"Oc.  LXXV,  S.  29,  187G. 

4.  Die  Star-Ausziehung,  25  Jahre  ihrer  Geschichte.  A.  d'Oc.  XCV,  S.  5,  1886. 
(Vgl.  LXXI,   S.    3,    1874.) 

Für-die  Geschicht-Schreibung  halte  W.  zu  wenig  Sachlichkeit  und  zu  viel 
Chauvinismus.  »Von  A.  v.  Graefes  Verfahren  wird  bald  nichts  übrig  sein,  als  das 
Messer;  oder  auch  das  nicht  einmal. €     Vgl.  unsren  §  353,  S.  532. 

Ausgezeichnet  sind  seine  Nekrologe:  Roosbi;oeck,  Vleminckx,  Hairion,  Des- 

MARRES,    A.   V.   GUAEI-E,   MacKENZIE,    CrITCHETT   U.    A. 

§796.     4.  PiEURi;   Or-siRfi  Lebrun  (1836—1900), 
geb.  zu   Renlies,   gest.  zu   Brüssel.     Doktor    zu    Loewen,    besuchte   er  die 
Kliniken  von  Sichel,  Desmarres,  ("uassaignac  zu  Paris  und  die  von  Bowman 
und   Critchett   zu    London.      Er    wurde   Warlomont's    Nachfolger    in   der 
Leitung  des  augenärztlichen  Instituts  von  Brabant. 

»Im  Jahre  1868  hat  L.,  als  erster,  das  Leukosarkom  (?)  der  Iris  be- 
schrieben« (A.  d'Oc.  LX,  197);  im  Jahre  1875  zur  Star-Ausziehung  einen 
kleinen  Lappenschnitt  ohne  Iridektomie  angegeben,  dessen  Grundlinie  im 
wagerechten  Durchmesser  der  Hornhaut  liegt,  die  Mitte  3'"  darunter. 

Im  Jahre  1877  sah  ich  in  London,  daß  G.  Critchett i)  dies  Verfahren, 
welches  er  Brüssels  nannte,  öfters  ausgeführt  hat. 


§  797.     Über  Unterricht  und  Prüfung  in  der  Augenheilkunde 

an  den  Belgischen  Universitäten. 

An    den  Staats-Universitälen    muß    der   Professor   der  Augenheilkunde 

noch    einen    andren   Zweig    der   Heilkunde    lehren.      Das   Gesetz   über   den 

höheren  Unterricht   vom  Jahre    1876   schreibt   eine    theoretische   und    eine 

klinische  Prüfung  in  der  Chirurgie  nebst  Augenheilkunde  vor. 

Seit  1890  gehört  die  Augenklinik  zum  Lehrplan,    die  Augenheilkunde 
zum  Kurs  der  chirurgischen  Pathologie. 

1)  Vgl.  §   642. 


68  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1873. 

§  798.     Zu  Gent 
wurde  die  Staats-Universität  durch  Erlaß  des  Königs  Wilhelm  I.  der  Nieder- 
lande, vom  25.  Sept.  1816,  mit  den  vier  Fakultäten  gegründet  i). 

Nach  der  Revolution  von  1830  hatte  die  neue,  reaktionäre  Regierung 
alsbald  (am  16.  Dez.  1830)  die  naturwissenschaftliche  und  die  philosophische 
Fakultät  aufgehoben,  wodurch  auch  die  rechtswissenschaftliche  und  die 
medizinische  Fakultät  zerstört  worden  wären,  wenn  nicht  einige  aufrechte 
Männer  freie  Fakultäten  eingerichtet  hätten. 

Im  .Jahre  1835  stellte  die  Regierung  die  unterdrückten  Fakultäten 
wieder  her. 

Den  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  leiteten: 

J.  J.  VA\  RoosBROECK,   1838 — 1869, 
Victor  Deneffe,  1869  —  1899, 
Daniel  vax  Düyse,  seit  1899. 
Physiologische  Optik  lehrten  Joseph  Plateau  (1801  — 1883),   Professor   der 
Physik  in  Gent  von  1 835 — 1 87 1  ;  und  sein  Sohn  Felix  Plateau  (1 841  — 1 91 0), 
seit   1 870  Prof.  der  Zoologie  in  Gent. 

§799.  1.  Jean-Julien  van  Roosbroeck  (1810—1869)^1, 
geboren  zu  Loewen  am  9.  Juli  1810,  studirte  daselbst,  gewann  den  Doktor 
1833,  nachdem  er  schon  als  Student  sehr  wichtige  Dienste  zur  Bekämpfung 
der  Cholera  geleistet,  und  widmete  sich  danach  in  Berlin  unter  Jüngken,  in 
Wien  unter  Fr,  Jager  dem  Studium  unsres  Sonderfach,  erlangte  auch  zu 
Wien  1835  die  Würde  eines  Magister  der  Augenheilkunde^). 

Da  die  Verwüstungen,  welche  die  granulöse  Augen-Entzündung  in  der 
belgischen  Armee  anrichtete,  um  1834  besonders  schlimm  hervortraten, 
wandte  sich  die  Regierung  an  van  Roosbroeck,  der  grade  in  Berlin  bei 
Jüngken  weilte,  berief  den  Professor  zur  Berathung  der  belgischen  Militär- 
Arzte  tmd  gab  ihm  den  Doktor  van  Roosbroeck  zum  Gehilfen. 

Bald  danach  kam  die  Regierung  zu  der  Einsicht,  daß  die  Augenheil- 
kunde in  Belgien  gar  zu  sehr  vernachlässigt  worden  sei.  Ein  Lehrstuhl 
dieses  Faches  wurde  1838  zu  Gent  begründet,  van  Roosbroeck  damit  ver- 
traut, als  a.  0.  Prof.,  und  ihm  eine  Augen-Abtheilung  im  bürgerlichen 
Krankenhaus  überwiesen. 

Allerdings  ward  ihm  die  Hygiene  als  Hauptfach   auferlegt,   später  die 


1)  Minerva,  I,  ^Q8,  1911. 

2)  A.  d'Oc.  LXII,  S.  81,  1869;  van  Düyse  a.  a.  0.  S.  107—109;  Biogr.  Lex.  VI,  78. 

3)  V.R.  war  stolz  auf  diese  Errungenschaft  und  setzte  1843  auf  den  Titel 
seiner  Schrift  (3):  »maitre  es-art  ophthalmiatrique«.  Sein  Kritiker  Carron  du 
ViLLARDS,  der  das  nicht  verstand,  machte  dazu  ein  Frage-  und  ein  Ausrufungs- 
zeichen (!?).  Übrigens  hatte  P.  Vallez  (§  801)  dieselbe  Würde  am  Josephinum 
zu  Wien  erworben. 


Die  Universität  Gent.    J.  J.  van  Roosbroeck. 


69 


gerichtliche    Medizin    und    ferner    noch    die    Klinik    der   Kinderkrankheiten 
dazu  aufgepackt. 

VAX  Roosbroeck  zeigte  sich  allen  diesen  Aufgaben  gewachsen,  aber 
die  Augenheilkunde  blieb  sein  Lieblings-Fach.  Er  bewährte  sich  in  der 
Augen-Abtheilung  des  Hospitals  als  klinischer  Lehrer  und  als  Wundarzt. 


Fi?.  12. 


Jean-Julien  van  Roosbroeck. 


Im  Jahre  1853  wurde  ihm  die  Leitung  des  Augen-Instituts  von  Bra- 
bant  anvertraut;  er  nahm  sie  an  unter  der  Bedingung,  daß  er  nur  zwei 
Mal  wüchentlicli  einen  Besuch  in  Brüssel  zu  machen  hätte,  und  daß  Joseph 
Bosch  als  beigeordneter  Vorstand  angestellt  wurde.  In  dieser  Arbeits- 
Theilung  verwaltete  er  das  Amt  bis  zu  seinem  Tode,  der  am  1.  Juli  1869 
erfolgt  ist. 

V.  R.  besaß  zwei  rechte  Hände,  die  zwar  von  Natur  kurz,  aber  durch 
Übung,  nach  den  Grundsätzen  der  Wiener  Schule,  fest  und  geschickt  ge- 
worden: so  vollzog  er  den  unteren  Lappenschnitt,  am  rechten  Auge  mit 
der  linken,  am  linken  mit  der  rechten  Hand,  indem  er  vor  dem  sitzenden 


70  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 

Kranken  aufrecht  stand;  mit  großer  Geschicklichkeit  wirkte  er  die  Pupillen- 
Bildung  durch  Ablösung  der  Iris.  Die  Heilung  des  dicken  Pannus  durch 
Einimpfung  des  Eiterflusses  hat  er  von  Fr.  Jäger  aus  Wien  nach  Belgien 
gebracht. 

Liste  der  Arbeiten  van  Roosbroeck's. 

1 .  Amaurose  produite  par  une  tumeur  cerebriforme  comprimant  le  corps  stri6 
et  les  couches  optiques.  Observat.  möd.  b.  1834.     (4  S.) 

2.  Coup  d'o?il  sur  Toperation  de  la  pupille  artificielle.  Arch.  möd.  beige,  Brux. 
1840.     (97   S.) 

3.  Precis  de  I'ophthalmie  purulente  des  nouveaux-nös.  Bruxelles  1843.  (12°, 
IX  und  159  S.)  Nicht  für  die  gebildeten  und  Fach-Ärzte,  sondern  zur  Ver- 
theilung  an  die  kleinen  Landärzte  und  Hebeammen  bestimmt.  (Herb  be- 
urtheilt  von  seinem  Gegner  Carron  du  Villards,  A.  d'Oc.  XIII,  S.  136.) 

4.  Resultat  d'une  mission  ophthalmologique.  A.  d'Oc.  XX,  S.  118,  1848.  Im 
Auftrag  des  Ministers  der  Justiz  mußte  v.  R.  sich  in  die  Haupt-Orte  einiger 
Provinzen  begeben,  die  armen  Blinden  untersuclien,  die  operablen  auch 
gleich  operiren,  die  Nachbehandlung  den  Ärzten  des  Orts  überlassen.  Von 
107  Star-Blinden  haben  97  die  Sehkraft  wieder  erlangt. 

5.  LeQons  cliniques  sur  le  pannus.    A.  d'Oc.  XXIX,  S.  262,  1853. 

6.  Resultat  de  quelques  recherches  sur  les  ophthalmies  contagieuses.  A.  d'Oc. 
XXX,   44,  171,  1853. 

7.  Inflammation  du  corps  ciliaire.  A.  d'Oc.  XXXII,  S.  230,  1854.  (3  bis  7  aus 
seinem  Lehrbuch.) 

8.  Considerations  sur  la  myopie.  A.  d"Oc.  XLV,  S.  130—178,  1861.  Eine  ver- 
dienstvolle Arbeit. 

»Die  Kurzsichtigkeit  ist,  in  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle,  nicht 
ein  physiologischer  Zustand  des  Auges,  sondern  die  Folge  einer  Ver- 
längerung der  Seh-Achse,  welche  durch  ein  hinteres  Slaphylom  her- 
vorgebracht wird.«  ....  »Jede  Kurzsichtigkeit,  die  nach  dem  gewöhn- 
lichen Termin  (dem  .30.  Jahre)  fortschreitend  bleibt,  muß  als  schlimm 
für  die  Zukunft  betrachtet  werden.«    .  .  . 

»Es  ist  nützlich  für  die  Kurzsichtigen,   die   zur  Fernsicht  passenden 
Brillen    zu    tragen;    nur   bei   sehr   starken  Graden    etwas  schwächere.« 
Man    muß    durch  Hygiene    der  Arbeit   und    der  Beleuchtung  den  Fort- 
schritt der  Kurzsichligkeit  zu  verhüten  suchen. 
V.  R.'s  Hauptleistung  ist  das  Lehrbuch,  das  wir  im  folgenden  Paragraphen 
betrachten  wollen. 

§  800.  Lehrbücher  der  Augenheilkunde,  von  belgischen  Ärzten. 
1 .  Cours  d'ophthalmologie  enseigne  ä  l'Universite  de  Gand  ou  Traite 
theorique  et  pratique  des  maladies  des  yeux,  par  J.  van  Roosbroeck,  chev. 
de  Tordre  de  Leopold,  Medecin-Ocuhste  de  S.  M.  le  Roi  des  Beiges,  chir. 
titulaire  de  l'höpital  et  des  hospices  civils  de  Gand,  prof.  a  l'Univ.  de  la 
meme  ville  etc.     Gand  1853.     (2  B.  8»,   1340  S.) 

Das   erste,    von   einem   Belgier   geschriebene  Lehrbuch  der  Augenheil- 
kunde machte  gerechtes  Aufsehen.     A.  Testelin  ')  hat  sofort  eine  ausführ- 

\)  §  '95. 


Lehrbücher  der  Augenheilk.     I.  Das  von  J.  J.  van  Roosbroeck.  71 

liehe  Beurlheilung  in  den  A.  d'Oc.  (XXX,  S.  237—244)  verüffenllicht;  aber 
er  war  seiner  Aufgabe  nicht  vüHig  gewachsen. 

Er  lobt  -wohl  mit  Recht  v.  R.'s  Standpunkt,  daß  die  Krankheiten  des  Auges 
denen  der  übrigen  Theile  des  Körpers  entsprechen,  daß  die  Behandlung  der 
Augenkrankheiten  auf  den  gleichen  Grundsätzen,  wie  die  der  übrigen  Theile  be- 
ruhen müsse. 

Er  tadelt  aui:h  mit  Recht  den  Vf.,  daß  er,  »in  Folge  seiner  deutschen 
Ausbildung«,  im  Auge  ein  Miniatur-Bild  des  Organismus  sehen,  in  ihm  ein  Ana- 
logon  der  drei  großen  Kurper-Höhlen  finden  wolle.  Aber,  wenn  er  ihm 
eine  ganz  eigne  Eintheilung  der  Augenkrankheiten  zuschreibt,  in  Mor- 
phosen,  Ilämatosen,  Neurosen;  so  enthüllt  er  seine  Unbekanntschaft  mit 
den  wichtigsten  Lehrbüchern  deutscher  Sprache:  dies  ist  ja  die  Eintheilung, 
welche  Theodor  Ruete  ^),  gestützt  auf  die  Lehren  der  naturhistorischen  Schule 
des  großen  Klinikers  Lucas  Schonlein,  seinem  bekannten  Lehrbuch  vom  Jahre 
1845  zu  Grunde  gelegt  hatte. 

Rcete's  Namen  sind:  Ilämatonosen  oder  Krankheiten  des  BluUebens 
(von  a'tua,  Blut,  und  i'öoog,  Krankheil  ;  Neuronosen  oder  Krankheiten  des 
Nervenlebens  (von  rtUQO)',  Nerv);  Morph onosen  oder  Krankheiten  der  Form 
und  Bildung  (von   iioQ(f)]j   Gestall). 

Die  Namen  v.  R.'s  (Morphosen,  Ilämatosen,  Neurosen),  die  übrigens  auch 
auf  Schöxleix's  Schule  zurückgehen,  sind  nicht  gut  gewählt:  udgcfcoaig  heißt 
die  Gestaltung;  cuuürvjai'^  die  Verwandlung  in  Blut  (Galen);  Neurosis  ist  von 
CiLLEX  für   »Nervenleiden     eingeführt  worden. 

(Jedenfalls  hätte  "Warlomont's  Wort-',  v.  R.'s  Buch  sei  nicht  ein  ab- 
solut originales  Werk  •,  auf  den  bescheidenen  Vf.  selber  einen  sonderbaren 
Eindruck  hervorgerufen.  Er  wäre  zufrieden  gewesen  mit  dem,  was  wir  ihm 
zugestehen,  —  einige  eigne  Gedanken  entwickelt,  einige  treffliche  Abschnitte 
geliefert  zu  haben.) 

Wenn  Testelix  schließlich  dem  Werk  einen  gerechtfertigten  und  dauer- 
haften Erfolg  vorhersagt  (Okt. — Nov.  1853);  so  beweist  dies,  daß  die 
Morgendämmerung  der  neuen  Zeit  des  Augenspiegels  für  ihn  noch  nicht  auf- 
gegangen war-^),  ebenso  wenig  wie  dem  Vf.  selber,  dessen  Vorrede  vom  April 
1853   datirt. 

Ganz  im  Gegentheil  zu  Testelix  finde  ich,  daß  vax  Roosbroeck's  Lehrbuch 
keine  Zukunft  haben  konnte;  es  theilte  das  unglückliche  Schicksal,  schon 
veraltet  zu  sein,  ehe  es  fertig  geworden,  mit  den  meisten  Lehrbüchern,  die 
in  diesem  so  ungeheuer  rasch  fortschreitenden  Zeitabschnitt  erschienen  sind,  wie 
z.  B.  die  2.  Auflage  des  Werkes  von  Whartox  Jones  (1855),  das  Lehrbuch  von 
Ph.  v.  Walther  (1849),  das  von  Cappelletti  (1  845 — 1850),  —  ein  Schicksal, 
von  dem  nur  diejenigen  Werke  jener  Zeit  einigermaßen  verschont  geblieben  sind, 
welche  durch  eigne,  ursprüngliche  Forschungen  auf  den  schon  früher  zu- 
gänglichen Gebieten  sich  auszeichnen,  wie  die  von  Desmarres  und  von  Hasner 
aus  dem  Jahre  1847,  vollends  das  von  F.  Arlt  (1831 — 1856),  der  schon  mit 
Kräften  sich  bemühte,   die  neuen  Errungenschaften  zu  bemeistern. 


\)  §  483.     Vgl.  Übrigens  §  777.  (Werdmüller.) 

2)  A.  d'Oc.  XLI,  S.  85,  1869. 

3)  Man  vgl.  die  zweite  Auflage  des  RuETE'schen  Lehrbuchs,   dessen  Vorrede 
gleichfalls  im  April  1833  geschrieben  ist. 


'1 

72  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875.  ! 

In  der  That,  wo  wird  das  umfangreiche  Lehrbuch  van  Roosbroeck's  heut- 
zutage noch  angeführt?     Es  ist  so,   als  wäre   es  nie  geschrieben  worden. 

Wenn  ich  selber  nunmehr  daran  gehe,  den  Inhalt  dieses  Lehrbuchs 
auseinander  zu  setzen,  —  mir  stand  das  prachtvoll  gebundene  Exemplar 
2ur  Verfügung,  das  der  Vf.  dem  Generalstabsarzt  der  preußischen  Armee 
Dr.  Grimm  verehrt i)  hatte;  —  so  möchte  auch  ich  die  anatomische  Be- 
schreibung des  Seh-Organs,  womit  der  Vf.  beginnt,  gebührend  loben:  sie 
ist  ausführlich  genug  (auf  168  S.),  recht  genau  und  gut  lesbar. 

Hierauf  giebt  v.  R.  die  Unterabtheilung  seiner  ersten  Klasse,  der  Mor- 
phosen: 

1.  Dysmorphosen,  angeborene,  2.  Hypertrophien,  3.  Atrophien,  4.  Ek- 
tasien, 5.  Stenosen,  6.  Ektopien,  7.  Adiaphanosen  ^),  Verdunklungen,  8.  Ver- 
letzungen. ■ 

Die  Regel,  die  er  selbst  gesetzt,  genau  befolgend,  handelt  er  nunmehr 
von  den  angeborenen  Fehlern  des  Augapfels,  der  Orbita,  der  Lider,  der 
Thränendrüse,  der  einzelnen  Theile  des  Augapfels. 

Dann  folgen  die  Hypertrophien;  bei  den  Pseudohypertrophien  auch 
der  Hydrops,  die  Geschwülste.  Danach  die  Atrophien  des  Augapfels,  der 
verschiedenen  Augentheile,  der  Hornhaut,  der  Lederhaut,  der  Iris  und  Ader- 
liaut,  der  Netzhaut. 

Man  kann  nicht  behaupten,  daß  dieses  Aneinander-Reihen  der  Gegen- 
stände zweckmäßig  sei.  Dabei  ist  es  für  den  Studenten  fast  ebenso  schwierig, 
die  Hauptsachen  zu  behalten,  wie  für  den  angehenden  Praktiker,  in  einem 
zweifelhaften  Fall  die  Diagnose  aus  dem  Buch  zu  schöpfen. 

Allerdings,  die  Darstellung  der  einzelnen  Krankheits-Zustände  ist 
einfach  und  klar,  durch  mikroskopische  Untersuchungen  und  klinische  Er- 
fahrungen gestützt.  Besonders  eingehend  finde  ich  die  Erläuterung  der 
krebsigen  Augenleiden.  Unter  dem  Namen  des  Augapfel-Krebses 
vereinigt  v.  R.  die  beiden  Formen,  die  wir  als  Netzhaut-Markschwamm  > 
der  Kinder  und  als  melanotisches  Aderhaut-Sarkom  der  Erwachsenen  heute 
von  einander  trennen,  und  die  auch  um  die  Mitte  des  19.  Jahrb.  schon 
von  Vielen  getrennt  worden  waren. 

Wegen  der  schlechten  Prognose  der  Operation  möchte  v.  R.  den  Ein- 
griff ganz  unterlassen,  will  ihn  aber  doch  für  gewisse  Fälle  beibehalten. 

Unter  den  Stenosen  ist  die  wichtigste  die  Atresie  der  Pupille.  Sehr 
genau  ist  die  Darstellung  der  Pupillen-Bildung.  Offenbar  hatte  v.  R.  eine 
reiche  Erfahrung  auf  diesem  Gebiet.  Er  betont,  daß  die  Operation  nur 
dann  erfolgreich  gemacht  werden  könne,  wenn  A^orderkammer  besteht.    Die 


1)  Gewidmet  war  v.  R.'s  Buch   seinem  Könige,   wie   dies   einst  zur  Zeit  der 
großen  Araber  üblich  gewesen. 

2)  Diese  Wortbildung,    die  auf  liiucpavin  (durchsichtig;   zurückgeht,    ist  un- 
möglich. 


Das  Lehrbuch  von  J.  J.  van  Roosbroeck.  73 

Iris-Zorschneidung  durcli  Lederhaut-,  ebenso  wie  durch  Ilornhaut-Stich 
oder  Schnitt  hat  nur  wenige  Erfolge  geliefert,  v.  R.  macht  die  Iridekto- 
mie,  nach  Beer,  wo  sie  ausführbar  ist;  die  Operation  von  Wenzel,  wenn 
gleichzeitig  Linst-ntrübung  besteht;  die  Ablösung  der  Iris  nebst  Aus- 
schneidung (h-idektome-Dialysis),  wenn  nur  ein  kleiner  Theil  der  Hornhaut 
durchsichtig  geblieben. 

Bei  der  Schiel-Operation  zeigt  v.  R.  sich  als  trefflicher  Wundarzt: 
er  gebraucht  nur  eine  einfache  Pinzette  und  eine  grade,  vorn  abgestumpfte 
Schere.     In  mehr  als  600  Fällen  hat  er  kein  Unglück  erlebt. 

Von  den  Adiaphanosen  sind  zwei  Abschnitte  bemerkenswerth,  der  über 
Pannus  und  der  über  Star. 

Gegen  den  hartnäckigen  Pannus  empfiehlt  v.  R.  erstlich  einen  tiefen 
Einschnitt  in  die  Augapfel- Bindehaut  rings  um  die  Hornhaut,  der  alle  Blut- 
gefäße trennt,  danach  Atzung  dieser  ganzen  Rinne  mit  der  feinen  Spitze 
des  Hüllenstein-Slifies,  so  daß  die  beiden  Enden  aller  durchtrennten  Blut- 
gefäße vom  Brandschorf  eingehüllt  sind  i).  Die  Oberfläche  des  Auges  wird 
mit  einer  Schicht  feinen  Öls  bedeckt.  Am  folgenden  Tag  sieht  das  Auge 
schrecklich  aus;  aber,  unter  kalten  Umschlägen,  klingt  die  Entzündung 
ab:  die  Hornhaut  wird  durchsichtig. 

Noch  wirksamer  ist  die  Inokulation,  nach  Fr.  Jäger;  v.  R.  nimmt 
Eiter  von  Neugeborenen,  von  militärischer  oder  von  gonorrhoischer  Oph- 
thalmie oder  aus  —  der  Urethra  und  pflegt  den  Kranken  gegenüber  den 
Eingriff  als  hiipfung  (Vaccination)  zu  bezeichnen.  Bei  mehr  als  100  Fällen 
wurde  vollständige  Heilung  des  Pannus  erzielt.  Nur  in  zwei  Fällen,  wo 
das  andre  Auge  ein  Hornhaut-Geschwür  hatte,  und  di<'  Bindehaut-Eite- 
rung zufällig  diesem  sich  mittheilte,  trat  Durchbohrung  der  Hornhaut  ein. 

Der  zweite  Abschnitt  betrifft  den  Star.  v.  R.  zieht  die  Ausziehung 
durch  unteren  Lappenschnitt  vor,  verwirft  nicht  ganz  die  Niederlegung, 
läßt  die  Discission  (broiement)  nur  für  weiche  Stare  zu. 

Die  Besprechung  des  Glaukomes  bietet  nichts  besonderes,  die  der 
Verletzungen  ist  ziemlich  kurz. 

Bei  den  Hämatosen  unterscheidet  v.  R.  nur  zwei  Unterarten,  die 
Phlogosen  oder  Entzündungen  und  die  Hämasthenosen^),  d.  h.  Krank- 
heiten durch  Auflösung  des  Blutes  oder  Schwäche  des  Kreislaufes  (Skor- 
but ^\  Chlorose). 


i]  Diese  Operation  ist  Vorläufer  von  Fürnari's  Tonsura  conjunctivalis 
mit  Ätzung  der  bloßgelegten  Lederhaut,  aus  dem  Jahre  4  862.  Vgl.  §  280  (S.  272) 
und  §  737,  IIL 

2)  V.  R.  leitet  dieses  Wort  ab  von  cdua,  Blut,  und  ccßf^ei'io),  schwach  sein;  er 
hat  keine  glückliche  Hand  in  diesen  Wortbildungen.  Hämasthenie  müßte  es  wenig- 
stens heißen. 

3)  V.  R.  hat  diese  Erkrankungen  nicht  beobachtet,  sondern  den  Schilde- 
rungen von  Dr.  Thieliianx,  Ass.  am  Hosp.  Peter  Paul  zu  St.  Petersburg,  entlehnt, 


74  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800 — 1875. 

Die  Entzündung  des  Auges  wird  erst  im  Allgemeinen  betrachtet, 
nach  Zeichen,  Ursachen,  Behandlung;  dann  folgen  die  Entzündungen  nach 
ihrem  Sitzen  in  den  verschiedenen  Theilen  des  Auges,  Conjunctivitis,  Kera- 
iitis,  Iritis,  Cyklilis,  Chorioiditis,  Retinitis,  Ophthalmitis,  d.  h.  Entzündung 
des  ganzen  Augapfels:  hierauf  werden  noch  die  Entzündungen  des  Auges 
nach  ihren  Ursachen  abgehandelt,  die  traumatische  Ophthalmie,  die  ka- 
tarrhalische, rheumatische,  skrofulöse  u.  s.  w.  Auch  diese  Anordnung  ist 
nicht  sehr  glücklich. 

Aber  ein  guter  Abschnitt  ist  der  von  den  ansteckenden  (eitrigen) 
Augen-Entzündungen.  Die  Ansteckung  erfolgt  meist  durch  direkte  Über- 
tragung des  Eiters;  aber  die  durch  die  Atmosphäre  will  v.  R.  nicht  ganz 
leugnen.  Er  besteht  auf  der  Einhei-t  der  ansteckenden  Augen-Entzün- 
dungen. Bei  der  akuten  Form  empfiehlt  er  im  Stadium  der  Hydrorrhöei) 
die  Antiphlogose  und  sehr  bald  die  Einträullung  von  Hüllen stein- 
Lösung  (0,1 — 0,2:30),  stündlich  oder  halbstündlich;  bei  der  Phlegmato- 
rhöe  steigert  man  die  Stärke  der  Lösung  (auf  0,2 — 0,3  :  30);  bei  der  Pyo- 
rhüe  auf  0,75 — 1,0:30  und  pinselt  damit  die  ganze  Bindehaut  ein,  die 
der  Lederhaut  so  gut  wie  die  der  Lider:  was  man  mehrmals  täglich  wieder- 
holt. Nach  einem  oder  zwei  Tagen  bemerkt  man  eine  beträchtliche  Ände- 
rung in  den  Erscheinungen  der  Krankheit. 

Bei  der  chronischen  Form  muß  man  die  Granulationen  nicht  zerstören, 
sondern  auflösen.  Hiezu  paßt  der  Tannin-Schleim  von  Hairion  (1  :  15)  oder 
die  Silber-Lösung  von  1  :  30,0,  jeden  Tag  angewendet,  oder  das  essigsaure 
Blei  nach  Buys. 

Für  die  Augen-Eiterung  der  Neugeborenen  sei  Weißfluß  der 
Mutter  die  häufigste  Ursache,  aber  nicht  die  einzige.  Die  Verhütung  ist 
wichtig.  (Sofortiges  Waschen  der  Augen  des  Neugeborenen  mit  Chlorkalk- 
oder Sublimat- Lösung.)  Zur  Behandlung  genügt  Tannin-Schleim  oder 
Höllenstcin-Einträuflung  (0,1—0,2  :  30,0). 

Die  gonorrhoische  Oplithalmie  entsteht  durch  Kontagion,  aber 
auch  durch  Sympathie  und  durch  Metastase. 

Ein  junger  Mann  zeigte  in  6  Jahren  5  mal  Ausfluß  aus  der  Harnröhre 
für  einige  Tage,  dann  plötzliches  Aufhören  desselben,  gleichzeitig  Schwel- 
lung der  Bindehaut  der  beiden  Augen,  die  schrecklich  aussieht,  aber  am 
nächsten  Tage   geheilt  ist,  während  schmerzhafte  Schwellung  beider  Knie- 


auf die  wir  in  einem  späteren  Abschnitt  (§  888)  zurückkommen  werden.  Der  damals 
(•1833)  in  Belgien  lebende  Franzose  Dr.  Testelin,  später  (1875)  Senator  der  fran- 
zösischen Republik,  schrieb  in  den  A.  d'Oc.  (XXX,  S.  246,  1853)  das  folgende: 
»Esperons  que  nous  n'observerons  jamais  non  plus  ces  tristes  accidents  qui  sont 
actuellement  speciaux  ä  la  Russie,  cette  terre  classique  du  despotisme  et  de  la 
barbarie,  qui,  il  faut  bien  l'espörer,  ne  prevaudront  jamais  plus  en  Europe.« 
1)  Vgl.  über  diese  Namen  und  Begriffe  den  §  486. 


II.  Das  Lehrbuch  von  Vallez.  75 

gelenke  ihn  an"s  Bett  fesselt,  und  zwar  für  1  —  2  Monate.  (Natürlich  ist 
dies  eine  metastatische  Entzündung.) 

»JüNGKEN  war  überzeugt,  daß  der  Herd  der  Augenkrankheit  in  der 
Armee  sich  befände,  und  rieth  (1834)  alle  Granulösen  in  ihre  Heimat  zu 
entlassen  .  .  .  Die  Folgen  waren  nicht  glücklich  .  .  .  Nach  einem  Jahre 
verlangte  der  General-Inspektor  Vleminckx  die  Zurücknahme  dieser  Maß- 
regeln und  die  Vereinigung  der  Granulösen  in  Sammelplätzen,  unter  be- 
sondrer Überwachung.  Man  bewilligte  diese;  verbot  aber,  die  kranken 
Augen  anzurühren.  Mit  Thatkraft  setzte  Vleminckx  die  Behandlung  durch. 
Sämmtliche  Hogiiuents-Arzte  wurden  nach  Namur  gesendet,  um  die  rich- 
tige Behandlung  (mit  dem  Hüllenstein-Stift)  bei  den  Doktoren  Fallot  und 
LoisEAu  kennen  zu  lernen.  Dann  wurden  die  Sammelplätze  aufgehoben,  in 
jedem  Truppenkürper  eine  Stolle  für  die  Behandlung  der  Granulösen  ein- 
gerichtet, nur  die  akuten  Fälle  den  Hospitälern  überwiesen.  So  steht  es 
noch  heute  (1853).  Die  Ophthalmie  ist  nicht  erloschen,  aber  erheblich  ver- 
ringert. Es  giebt  Regimenter  (z.  B.  das  der  Ingenieure)  ohne  einen  einzigen 
Granulösen.« 

Im  3.  und  letzten  Kapitel,  dem  der  Neurosen,  werden  di(^  Lähmungen 
der  verschiedenen  Nerven  schon  ziemlich  genau  beschrieben,  die  des  Tro- 
chlearis  nach  Szokalski. 

Einen  großen  Abschnitt  bildet  die  Lehre  von  den  Amaurosen,  die 
erst  nach  ihrer  Natur,  ob  sie  sthenisch,  asthenisch  oder  organisch  sind; 
dann  nach  ihrem  ursprünglichen  Sitze,  ob  in  der  Netzhaut,  im  Sehnerv, 
im  Gehirn,  Rückenmark,  in  den  Ganglien  des  Unterleibs,  im  Trigeminus; 
und  endlich  nach  ihrer  l'rsache  unterschieden  werden,  —  schier  endlose 
Theilungen,  wie  sie  vor  den  Ergebnissen  des  Augenspiegels  üblich  gewesen. 

§  801.  2.  Traite  theorique  et  pratique  de  medecine  oculaire,  compre- 
nant  l'historique  de  l'ophthalniologie,  l'anatoraie  descriplive,  la  phjsiologie,  l'hj- 
gione,  la  palhologie  et  la  therapie  des  parties  Constituantes  de  Iceil;  par  P.-J. 
Vallez,  Doct.  cn  med.,  en  chir.  et  accouch.  de  l'Univ.  de  Louvain ;  Maitre-es- 
art  ophthalmiatrique  de  l'Ac.  J.  R.  de  Vienne;  Ancien  chef  de  clinique  oculaire 
ä  Paris;  Med.  chir.  de  Tinstitut.  ophlh.  gratuit  a  Bruxelles;  Med.-oculiste  de  la 
Societe  St.  Vincent-de-Paul;  Membre  des  Soc.  de  med.  de  Gllrne,  de  Boom, 
d'Anvers  .  .  .   etc.     Bruxelles   1853.    (590  S.) 

Über  das  Leben  und  Wirken  des  Vf.s  kann  ich  nichts  melden;  die  zu- 
gänglichen Quellen  versagen:  auch  van  Duyse  schweigt  vollständig.  Hairion  hat, 
in  s.  Bericht  an  die  K.  Akademie  von  Belgien,  über  die  augenärztliche  Thätig- 
keit  in  Belgien  von  1841 — 1866,  unter  den  Förderern  der  Augenheilkunde  auch 
unsren  Vallez   genannt. 

Aus  der  Vorrede  von  V.'s  Lehrbuch  (2.)  ergiebt  sich,  daß  er  Paris,  Rom, 
München,  Prag,  Leipzig,  Wien,  Berhn,  Leiden  und  London  besucht  hat.  In  der 
Vorrede  seines  zweiten  Buches  (2  a,  1838)  hat  er  noch  Venedig,  Hamburg, 
Amsterdam  hinzugefügt  und  erklärt,  daß  die  Augenheilkunde  stets  seine  Spezia- 
lität gewesen,   daß  er  die  empfangenen  Lehren  in  seinem  Vaterland  seit  2  4  Jahren 


76  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800— -1875. 

den  Mitbürgern  zur  Verfügung  gestellt.  Seine  Klinik  werde  jährlich  von  iOOO 
bis  1200  Kranken  besucht  und  diene  auch  zum  klinischen  Unterricht,  den  er 
einigen  Ärzten  auf  ihr  Verlangen  ertheile. 

Sein  Werk  i)  über  Augenheilkunde  stand  mir  zur  Verfügung  in  demjenigen 
Prachtbande,  welchen  der  Vf.  dem  König  von  Preußen  2)  verehrt,  und  der  vom 
König  am  6.  Nov.  1854  der  Bibliothek  des  med.-chir.  Friedrich-Wilhelms-Insti- 
tuts  geschenkt  worden. 

Das  Buch  ist  eine  unbedeutende  Kompilation,  —  er  sagt  es  ja  selber,  »wir 
haben  es  gemacht  wie  die  Biene,  Honig  saugend  von  Blume  zu  Blume«  ^).  Als 
eigen  nimmt  er  in  Anspruch  die  Ordnung  des  Stoffes.  Darin  hat  er  Recht. 
Dem  Anfänger  war  die  anatomische  Eintheilung  bequem  und  faß- 
lich. 

V.  beginnt  mit  einer  Skizze  der  Geschichte  unsres  Faches  (4  S.),  —  diese 
ist  lächerlich.  Dann  folgt  eine  kurze  Anatomie  und  Physiologie  des  Seh-Organs, 
sowie  eine  Hygiene.  Sehr  ausführlich  ist  das  Kap.  XIl,  über  die  Ophthalmo- 
skopie. 

Dies  Wort  bedeutet  aber,  im  Sinne  von  Himly^'  (1806)  die  systematische 
Untersuchung  des  ganzen  Auges.  Der  Augenspiegel  von  Helmholtz  aus  dem 
Jahre  18S1  wird  von  Vallez  in  seinem  Buche  aus  dem  Jahre  18  53  überhaupt 
nicht  genannt. 

Bei  der  Behandlung  der  Augenkrankheiten  erwähnt  V.  den  Höllenstein 
und  »eine  neue  Art  der  Ätzung  mit  dem  Stift,  durch  ein  Streifchen  Musselin 
hindurch,   das  nöthigenfalls  vorher  befeuchtet  wird«  ^i. 

Die  Beschreibung  der  Augenkrankheiten  erfolgt  nach  anatomischer  Ord- 
nung: Zuerst  kommen  die  Krankheiten  der  Bindeliaut,  die  einfache  Conjuncti- 
vitis, die  papulöse  (lymphatische),  die  papilläi-e  (katarrhalische),  die  purulente. 

Danach  folgen  die  Krankheiten  der  Ledei'haut,  der  Aderliaut,  der  Netzhaut, 
der  Hornhaut,  Iris,  Linse,  des  Glaskörpers,  des  ganzen  Augapfels  (Phlegmone, 
Glaukoma). 

Endlich  kommen  angeborene  Fehler,  Nervenkrankheiten  des  Seh-Organs, 
Brillen,  die  Schwindeleien  der  Rekruten.     (Les  subterfuges  des  conscrits) *". 

Wie  der  Anfang,  so  ist  auch  der  Schluß  lächerlich,  —  eine  Liste  von  ge- 
wiß 400  Ärzte-Namen,  ohne  Hinzufügung,  für  welche  Entdeckung  oder  Thatsache 
sie  citirt  werden:  Bartisch  und  Hippocrates  sind  genannt,  Helmholtz  und  Dox- 
DERS  fehlen. 

Die  Chirurgie  des  Auges  ist  nicht  behandelt.  Diese  hat  der  Vf.  einem  be- 
sondrem Werke  vorbehalten : 


1)  Gewidmet  dem  Grafen  von  Lannoy,  Haushofmeister  des  Herzogs  von 
Brabant. 

2)  Die  Sendung  des  Buches  an  den  Kaiser  von  Rußland  brachte  dem  Vf.  den 
Stanislaus-Orden  ein,  wie  er  selber  (2a,  XVII)  mit  Entzücken  bekannt  hat. 

3)  Diese  Redensart  findet  sich  schon  in  der  Einleitung  des  Werks  von 
Paulus  Aegineta,  von  Ali  b.  Isa  und  bei  andren. 

4)  §  482,  S.  13. 

ö)  Dies  Verfahren  hatte  er  in  einer  besondren  Schrift  (Xouvelle  methode  de 
guerir  Tophthalmie  purulente  .  .  .,  1846)  beschrieben.  Dasselbe  hat  in  den  A.  d'Oc. 
(1846,  XVI,  S.  134)  die  folgende  Beurtheilung  (von  Henrotay)  erfahren:  >Wenn 
Hr.  V.  nichts  besseres  uns  vorschlagen  konnte,  hätte  er  seine  Schrift  nicht  schreiben 
sollen.« 

6)  Der  Dienst  lastete  auf  den  ärmeren  Klassen. 


Die  Augen-Chirurgie  von  Yallez.  77 

2  a.  Traite  Iheorique  et  pratique  de  la  Chirurgie  de  ra?il  et  de  ses  depen- 
dances,  par  P.  J.  Vallez,  Chev.  de  l'Ordre  J.  A.  de  St.  Stanislas,  Docteur  .  .  . 
Prof.  particulier  de  clinique  et  de  Chirurgie  oculaires  ä  Bruxelles  .  .  .  Bruxelles 
1S58.      0  42  S.  »'. 

Auch  für  diesi's  Werk  konnte  ich  dasjenige  Exemplar  benutzen,  das  der 
Vf.  dem  König  von  Preußen  gesendet  hatte. 

In  der  Vorrede  erkläi-t  V.,  daß  sein  neues  Buch  die  Ergänzung  des 
alten  darstelle,  und  daß  unter  den  belgischen  Ärzten  ihm  die  Pflicht  aufgelegen 
hätto,  dasselbe  zu  veröffentlichen.  »Der  Erfolg,  den  das  erste  Werk  in  der 
•wissenschaftlichen  Welt  gewonnen  und  ganz  besonders  das  Zeichen  hohen  Wohl- 
wollens, das  es  ihm  von  Seiten  des  Russischen  Kaisers  eingetragen,  gehören  zu 
den  Haupt-Ursachen,   die  ihn  zur  Yerötlentlicliung  des  zweiten  veranlaßt  haben.« 

Das  letztere  zerfällt  in  3  Thcile,  Instrumente,  Operationen  am  Augapfel, 
Operationen  an  den  Umgebungen  des  Augapfels. 

Der  erste  Abschnitt  (S.  1 — 21)  ist  wenig  brauchbar,  da  der  Vf.,  statt  Ab- 
bildungen zu  geben,  auf  die  von  Deval(1844)  verweist 2).  Einen  Lidhalter  mit 
Gewinden   iPalpebrostat  (i  charnieres)  hat  er    1856   angegeben. 

Der  §  II,  vom  Augenspiegel,  zeigt  eine  das  Gewöhnliche  weit  überragende 
Unwissenheit;  >Den  Namen  Augenspiegel  hat  Helmholtz  einem  Polarisations- 
Apparat  gegeben,  dessen  er  sich  am  Lebenden  bedient,  um  die  tiefen  Theile  des 
Auges  zu  erforschen  .... 

In  den  letzten  Jahren  haben  nach  der  Zeitfolge  einen  brauchbaren  Augen- 
spiegel geliefert:  A.  v.  Ghaefe,  W.  Cummixg^)^  Brücke,  Helmholtz,  Follin  und 
Nachet,   Riete,  Jägeh,   Coccius,  Anagnostakis,   Desmarres.« 

Der  zweite  Abschnitt  beginnt  mit  der  Star-Operation.  »Dieselbe  ist 
sehr  all,  wie  die  Werke  von  HirpoKitATEs,  Galen  und  Celsis  beweisen.«  (Der 
Hinweis  aus  Hippokrates  steht  auf  derselben  Höhe,  wie  die  Bemerkung,  daß 
Abülquasim  in  Persien  die  Aussaugung  des  Stars  geübt-*);  oder  daß  Brisseau 
den  oberen  Hornhaut-Schnitt  zur  Star-Ausziehung  angegeben  habe.) 

»Von  den  3  Verfahren,  der  Niederlegung,  der  Zerstückelung,  der  Ausziehung, 
darf  keine   ausschließlich  vorgezogen  werden.« 

Da  jedes  Verfahren  mit  allen  Abänderungen  und  Vorschlägen  angeführt 
wird,  so  wird  der  Anfänger  schwerlich  aus  der  Darstellung  großen  Nutzen 
schöpfen. 

Das  gleiche  gilt  von  der  Pupillen-Bildung,  für  welche  ebenfalls  drei  Ver- 
fahren, das  Einschneiden  der  Iris,  das  Ausschneiden,  die  Ablösung  beschrieben 
werden.  Dem  zweiten  giebt  Vf.  den  Vorzug,  wenn  es  bequem  ausführbar  ist. 
Das  vierte  Verfahren  ist  die  Pupillen-Verlagerung. 

Bei  der  Ausrottung  des  Augapfels  wird  die  Operation  von  Bonxet  wenig- 
stens angedeutet.  Bei  der  Schiel- Operation  beschreibt  der  Vf.  ein  eignes  Ver- 
fahren,  das  aber  nichts  eignes  hat,   außer  seinem  Lidhalter. 


1)  Die  Widmung  des  Buches  an  den  Grafen  Joseph-Romain  Louis  de  Kerck- 
hove-Varent  ,S.  V— XIV)  erreicht  den  Gipfel  der  Geschmacklosigkeit.  Ich  kann 
mir  nicht  vorstellen,  daß  jener  treffliche,  damals  schon  hochbetagte  Vf.  des  Traite 
d'hygiene  militaire  (Maestricht  1815;  und  des  Memoire  sur  lophthalmie 
observee  dans  I'armee  des  Pays-Bas  Amsterdam  1825)  von  dieser  krieche- 
rischen Lobhudelei  entzückt  gewesen.     (Vgl.  Biogr.  Lex.  III,  480.) 

2)  §  589. 

3)  §  650. 

4)  §  276,  §  284. 


78  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 

Bei  der  Lid-Bildung  giebt  er  C.  F.  Graefe  (1817)  die  Ehre  und  beschreibt 
die  Verfahren  durch  Lappen-Drehung  und  Lappen-Neigung, 

Bei  den  Operationen  der  Thränen-Fistel  ist  er  mit  den  Erfolgen  der 
verschiedenen  Verfahren  nicht  sonderlich  zufrieden,  und  meint,  daß  noch  eine 
Frage   der  Physiologie  und  Therapie  zu  prüfen  wäre. 

Ich  will  nicht  leugnen,  daß  die  beiden  Bücher  von  Vallez  dem,  der  gar 
nichts  von  diesen  Gegenständen  wußte,  Belehrung  spenden  konnten;  aber  bes- 
ser konnte  er  sie  z.  B.  aus  dem  1847  erschienenen  Lehrbuch  von  Desmarres 
schöpfen. 

Zusatz  1.      Von  sonstigen  Arbeiten  des  Dr.   J.  P.  Vallez   erwähne  ich: 

1.  Hornhaut-Verbrennung,  durch  Cigarre,  mit  Verlust  des  Auges.  A.  d'Oc.  XIV, 
135,  1845. 

2.  Rheumatismus  der  Augen-Muskeln.     Ebendas. 

3.  Doppelt-Sehen,  mit  einem  oder  mit  beiden  Augen.     Ebendas.,  S.  134. 

4.  Nouvelle  methode  de  guerir  l'ophthalmie  purulente  contagieuse,  suivie  d'une 
appreciation  critique  de  Temploi  du  nitrate  d'argent  par  P.  F.  Vallez  .  . . 
Bruxelles  1846.    (8",  VI  u.  48  S.)     Siehe  oben. 

5.  Subconjunctivaler  Lederhaut-Schnitt,  um  eine  reklinierte  Linse  auszuziehen 
Ebendas.  XVII,  S.  90,  1847. 

Zusatz  2.  Nach  Roosbroeck  hat  kein  Belgier  des  19.  Jahrh.  es  unter- 
nommen,  ein  wirkliches  Lehr-  oder  Handbuch  der  Augenheilkunde  heraus- 


egeben. 


geg 


Als  Ersatz  von  solchen  wären  noch  zu  nennen: 

Ophthalmologie.  Le^ons  donnees  ä  l'Univ.  de  Bruxelles  par  M.  J.-H.  Thiry, 
recueillis  par  le  Dr.  L.  Marcq.    Bruxelles  1864  u.  1868.    (Zwei  Theile.) 

Precis  ...  de  pathol.  chir.  speciale,  y  compris  rophthalmologie  par  M.  J.-A.  Borlde, 
Liöge  1872.    (Zwei  Bände.) 

Zu  dem  Abrege  de  pathologie  chirurgicale  des  Prof.  Haan  hat  L.  Noel 
(1874)  die  Kapitel  über  Augenheilkunde  geschrieben. 


§  802.    Der  Nachfolger  van  Roosbroeck's  an  der  Universität  zu  Gent  war 

Victor  Deneffe  (1835— 1908)  i>. 

Doktor  seit    1864,    hat  Deneffe   die   folgenden   Fächer  gelehrt:    Geschichte 

der  chirurgischen  Wissenschaft,   Geburtshilfe,   chirurgische  Krankheitslehre, 

die  chirurgischen  Operationen,  theoretische  und  praktische  Augenheilkunde. 

Den  Lehrstuhl  der  Augenheilkunde  hatte  er  von  1869 — 1897  inne,  die 
chirurgischen  Operationen  lehrte  er  noch  bis  1905,  wo  er  in  Ruhe- 
stand trat. 

Deneffe,  auf  den  Desmarres  und  Sichel  einen  großen  Einfluß  geübt, 
war  ein  ausgezeichneter  Redner.  Ein  großes  Verdienst  hatte  er  um 
Sammlung  und  Beschreibung  antiker  Instrumente  der  Chirurgie  und  beson- 
ders der  Augenheilkunde  2).     Von  seinen  augenärztlichen  Veröffentlichungen 


4 


1)  VAN   DUYSE,    S.  109. 

2)  Les  Oculistes   Gallo -Romains  au   Ille  siecle,    1896   (183  S.,   .1  Tafeln)   und 
A.  d'Oc.  CXVI,  3  68. 


Deneffe.     D.  van  Duyse.     J.  M.  Rogman.  79 

verdienen  Erwähnung  die  über  Cocain,  Protargol,  Eucain  und  Jequirity, 
über  die  Vervollkommnung  des  Farbensinns  beim  Menschen. 

Für  die  seit  75  Jahren  vom  Trachom  heimgesuchten  Arbeiter  Belgiens 
hat  er  1890  ärztliche  Aufsicht  erkämpft;  er  selber  hatte  1877  im  Dienst 
seiner  »Brüder«,  wie  er  sie  nannte,  diese  Krankheit  sich  zugezogen  und 
war  bis    1879  seiner  Thätigkeit  entzogen. 

Als  er  1899  aus  Gesundheits-Bücksicht  den  Unterricht  in  der  Augen- 
heilkunde niederlegte,  wurde  vax  Dutse  sein  Nachfolger.  (Die  Poliklinik 
erhielt  Dr.  G.  Glaeys.) 

§  803.  Daniel  va\  Duyse, 
geboren  am  20.  März  1852  zu  Gent,  wurde  1876  Doktor,  vervollkommnete 
sich  in  der  Augenheilkunde  1877/78  zu  Paris,  Wien,  London,  1881  zu 
Berlin  und  Heidelberg,  1883  in  der  pathologischen  Anatomie  zu  Straßburg, 
erhielt  1 89 1  den  Lehr-Auftrag  der  patholojzischen  Anatomie  und  Histologie 
an  der  T'niversität  zu  Gent  und  1899  noch  dazu  den  der  Augenheilkunde 
und  Augenklinik. 

Seine  Arbeiten  beginnen  mit  dem  Jahre  1881;  sie  sind  sehr  zahlreich  und 
bedeutsam.  Ich  nenne  nur  Embryologie  de  ro'il.  Teratologie  de  roeil. 
Encvcl.   franc.   d'O.   II,   S.   144—610,    1905.   —  Vgl.   auch   §  785. 

§  804.     Zu  Gent  wirkte  auch 

Jean  Marik  Rogman  (1851  —  1905)»), 
der  bis  1 887  in  der  Provinz  allgemeine  Praxis  mit  der  Augenheilkunde  ver- 
einigte, 1888  aber  zu  Gent  die  Leitung  der  Privat-Augon-Heilanstalt  von  Sa- 
blon,  als  Nachfolger  von  Lieurecht,  übernahm.  Er  war  ein  ausgezeichneter 
Arzt  und  Operateur,  ein  liebenswürdiger  Charakter,  uns  von  den  Kon- 
gressen her  sehr  wohlbekannt,  ein  eifriger  Forscher,  der  sich  an  allen 
wichtigen  Fragen  lebhaft  betheiligte;  selbstverständlich  schrieb  er  franzö- 
sisch, hat  aber  auch  die  deutsche  Literatur  mit  besondrer  Liebe  verfolgt 
und  gewürdigt'-). 

Von  seinen  Arbeiten  wollen  wir  die  folgenden  hervorheben: 

1884.  Hämorrhagisches  Glaukom.     C.  Bl.  f.  A.,  S.  286.     Enukleation   bei  sympath. 

Ophthalmie.     A.  d'Oc. 

1885.  Heilung  des  Verletzung-Stars  durch  Aussaugen.     A.  d'Oc,  September— Ok- 

tober. 

1889.  tJber  Struktur  u.  Operation  gewisser  Star-Formen.     Ebendas.  Gl,  S.  93. 

1890.  Hyphäma  nach  Operationen.   Ebendas.  Septbr.— Oktbr.;  C.  BI.  f.  A.,  S.  472. 


1)  Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1906,  S.  29.    (J.  H.) 

2)  Vgl.  seine  Anzeige  des  ersten  Theils  der  Einführung  in  die  Augenheil- 
kunde, La  Belgique  med.  4.  März  1897;  ferner  der  Geschichte  der  Augenheilkunde 
im  Alterthum,  13.  Juni  1899. 


80  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 

1893.  Neue  Symblepharon-Operation.     C.  Bl.  f.  A,,  S.  493  und  Arch.  d'Opht.  1892, 

XII,  30,  S.  627.  Sublimat-Einspritzungen  unter  die  Bindehaut.  Eben- 
das.,  S.  497. 

1894.  Sehstörung  bei  stillenden  Frauen.   A.  d'Oc.  Sept.;  C.  Bl.  f.  A.,  S.  420.  Filaria 

im  Auge.     C.  Bl.  f.  A.,  S.  322.     Thioform   in  Augen-Praxis.   Ebendas., 
S.  530. 
1893.    Krebs  des  Limbus.    Ebendas.,  S.  579;  A.  d'Oc,  März.     Heilbarkeit  der   sym- 
path.  Ophthalmie.  Ebendas.,  August.  Bindehaut-Cysten.   Arch.  d'Opht., 
August. 

1896.  Über  trockne  Verbände  und  Augenpulver.  A.  d'Oc,  März;  C.  Bl.  f.  A.,  S.  375 

u.  719.     Angeborene  Linsenveränderung.   Arch.  d'Opht.,  Oktober. 

1897.  Angeborene  Linsenveränderung.     Arch.  d'Opht.,  Juli.    Die  lokalen  Anästhe- 

tica.  Ophth.  Klinik,  No.  1  u.  3.  Linsen-Kolobom.  C.  Bl.  f.  A.,  S.  246; 
Arch.  d'Opht.  1896,  Mai,  und  Rev.  gen.  d'Opht.  1896. 

1898.  Hyaline  Entartung  der  Lider.    C.  Bl.  f.  A.,  S.  269  u.  A.  d'Oc,  August.    Lipom 

unter  der  Bindehaut.  A.  d'Oc,  Februar,  und  C.  Bl.  f.  A.  1897,  S.  427. 
Cysten  unter  der  Bindehaut.  Arch.  d'Opht.,  August,  und  C.  Bl.  f.  A. 
1897,  S.  121    u.  23Ö. 

1899.  Myopie-Operation.   C.  Bl.  f.  A.,  S.  87  u.  276,  und  A.  dOc,  Januar.    Dacryops. 

Ebendas.,  S.  213  und  A.  d'Oc,  Juni.  Erbliches  Glaukom.  Ebendas., 
S.  310,  und  Ophth.  Klinik. 

1900.  Geschwülste  der  Thränendrüse.   C.  Bl.  f.  A.  1900,  S.  51,  und  A.  d'Oc,  Januar. 

Iridektomie  bei  Glaucoma  simpl.  La  clin.  opht.  und  C.  Bl.  f.  A.,  S.  186 
u.  4  70.  Über  extraocul.  Komplikation  der  sympath.  Ophthalmie.  La 
clin.  opht.  1900,  und  C.  Bl.  f.  A.  1901,  S.  249.  Scheinbare  Akkommo- 
dation bei  Aphakie.    C.  Bl.  f.  A.,  S.  366,  und  A.  d'Oc.  1899. 

1901.  Amblyopie  durch  Nichtgebrauch.    A.  d'Oc,  August — September.    Epibulbäre 

Geschwülste.   A.  d'Oc.  und  C.  Bl.  f.  A.  1900,  S.  422. 

1902.  Über  Tumoren    und  Pseudotumoren    des    Auges.     C.  Bl.  f.   A.,   S.  44    und 

A.  d'Oc 

1903.  Gefahren  der  Enukleation   bei  intraokularer  Tuberkulose.    A.  d'Oc,  August- 

September  und  C.  Bl.  f.  A.  1903,  S.  362.  Perithelial-Sarkom  der  Iris. 
C.  Bl.  f.  A.,  S.  73  und  A.  d'Oc,  Januar-Februar.  Orbital-Cyste  mit 
Mikrophth.   C.  Bl.  f.  A.,  S.  387. 

1904.  Epicanthus- Operation.    A.  d'Oc.   B.  131,  S.  464  und   C.  Bl.  f.  A.  1904,  S.  39. 

Präventive  Serotherapie  bei  Star-Ausziehung.   C.  Bl.  f.  A.  1904,  S.  392. 

1905.  Über  die  Heilbarkeit   der   Verrostung  des   Augapfels.     B.  de  la  Soc  Beige 

d'Opht. 

§  805.  JosEPn  Plateau  i)  hat  nicht  nur  eine  allgemeine  Theorie  der 
Gesichts-Erscheinungen  verüfTenllicht  (1834),  sondern  auch  sehr  zahlreiche 
und  wichtige  Versuche  zur  physiologischen  Optik  angestellt,  —  über 
Farbenmischung,  Irradiation,  Dauer  des  Licht- Eindrucks,  über  strobosko- 
pische  Scheiben,  über  das  Anorthoskop,  über  Nachbilder  und  Kontrast- 
Erscheinungen. 

Am  bequemsten  zugänglich  sind  diese  Arbeiten  in  Helmholtz'  physiol.  Op- 
tik, 1867,  S.  307,  322,  326,  334,  340,  851,  344,  349,  345,  352,  364,  372, 
383,    386,    416,    605,    621. 

Plateau  hat  seinen  Nov.  1832  verfertigten  Apparat  mit  dem  Namen  Phän- 
akistoskop    belegt:    ffaipco,    ich   zeige;    tö/.iGvog^    sehr  schnell,    o/.OTtög,  der 


1)  Einen   ausgezeichneten  Nachruf  hat  ihm  J.  N.  Nuel  in  den  A.  d'Oc.  XC, 
S.  150—160,  1883,  gewidmet. 


Joseph  Plateau.     Felix  Plateau.  —  Univ.  von  Lüttich.  81 

Späher,  sind  die  Bestandtheile  dieses  unheilbar  verdorbenen  Wortes.  (Vgl.  m. 
Wörterbuch  d.  A.,  18  87,  S.  79.)  Aber  aus  diesem  Spielzeug  ist  der  Kinemato- 
graph  hervorgegangen.  Stampfer  hat  im  Dez.  1832  einen  ähnlichen  Apparat 
verfertigt  und  Stroboskop  benannt.  (Von  azQÖßog^  das  Wirbeln,  OTQofiiKog^ 
der  Kreisel.) 

Die  Beschreibung  Plateaus  stammt  vom  '20.  Jan.  1833,  die  Stampfer's  vom 
Juli  1833. 

Um  die  Folgen  einer  starken  Netzhaut-Reizung  zu  studiren,  hat  P.  1 829 
die  leuchtende  Sonnenscheibe  20  Sekunden  lang  fixirt.  Eine  Erblindung 
folgte,  die  mehrere  Tage  andauerte;  Skotome  und  Leucht-Erscheinungen 
quälten  den  ebenso  tapferen  wie  unvorsichtigen  Forscher  für  längere  Zeit. 

Im  Jahre  1843  trat  vollständige  Erblindung  ein.  Aber  wie  Faust,  am 
Ende  seiner  Laufbahn,  ließ  er  sich  nicht  davon  überwältigen:  »Die  Nacht 
scheint  tiefer  tief  hereinzudringen.  Allein  im  Innern  leuchtet  helles  Licht.« 

>Die  Schärfe  seines  Geistes«,  sagt  Faraday,  »schien  nur  zu  wachsen 
und  führte  ihn,  mit  Hilfe  seiner  Mitarbeiter,  zu  den  glänzendsten  Entdeckungen, 
welche  der  belgischen  Wissenschaft  unsterblichen  Ruhm  erwarben.« 

»J.  Plateau«,  erklärt  J.  N,  Nübl,  »gehört  zu  den  glänzendsten  Ruhmes- 
Erscheinungen  in  der  Wissenschaft  Belgiens  und  der  Universität  Gent.'; 

Feli\  Plateau  d.  S.  hat  wichtige  Versuche  angestellt  über  das  Sehen 
der  Amphibien  und  Fische  (1866)",  der  Insekten,  der  Arthropoden. 

§806.  Die  Universität  von  Lüttich  (Liege)  wurde  1817  eröffnet, 
durch  die  Ereignisse  von  1830  in  ihrem  Bestände  bedroht,  aber  durch 
das  Gesetz  von  1835  neu  eingerichtet 2). 

Lehrer  der  Augenheilkunde  waren 

NicoLAS-JosEPB-ViCTOR  Ansiaux,  von  1838 — 1800, 
JosEPo-AuGusTiN  BoRLtE,  von  1858 — 1880, 
Ernst  Fücbs  (aus  Wien)  von   1881 — 188ö, 
J.  P.  NüEL,  von  1 885  bis  jetzt. 

§  807.     I.    N.  J.  V.  A.\SL\ux, 

geboren  zu  Lüttich  1802,  als  Sohn  von  Nicolas  N.  A.  J.Axslvux  (1780  — 1834), 
der  1806  mit  Comhaire  eine  Schule  der  Chirurgie  begründet,  die  Wiege 
der  medizinischen  Fakultät  von  Lüttich;  gewann  1834  den  Doktor  mit  der 
Dissertation  De  fistula  lacrimali,  wurde  sogleich  Stellvertreter  seines 
Vaters  an  der  chirurgischen  Klinik,  1838  o.  Professor,  gab  Kurse  über 
chirurgische  Operationen,  über  Verbände,  über  theoretische  und  praktische 
Augenheilkunde. 


1)  1882  von  mir  mit  Hilfe  des  Augenspiegels  berichtigt.     (Arch.  f.  Physiol., 
S.  493—526;  C.  El.  f.  A.  1882,  S.  504—506.   Vgl.  Ausgewählte  Abb.,  S.  810  fgd.,  1913.; 

2)  Minerva,  1911,  I,  S.  309. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    SIY.  Bd.  (VII.)    XXIII.  Kap.  6 


82  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  4  800—1875. 

Die  gewöhnlichen  Quellen  schweigen  von  ihmi).  Aus  (1)  ersehe  ich, 
daß  er  Assistent  von  J.  Sichel  in  Paris  gewesen  ist. 

In  (2)  nennt  er  sich  Chirurgien  du  Dispensaire  ophthalmique 
de  Liege. 

Von  seinen  Arbeiten  seien  die  folgenden  erwähnt: 

1.  Lidbildung,  1841.  A.  d'Oc.   V,  S.  130.     (Nach  Dieffenbach's  Verfahren.) 

2.  Fremdkörper  im  Auge.  Ebendas.  VIII,  S.  91 — 95.  Die  Waffen-Fabrikation  in 
Lüttich  liefert  viele  Fälle.  Eisensplitter  aus  der  Hornhaut  versuchen  die 
Arbeiter  selber  auszuziehen,  gelegentlich  mit  dem  Magneten.  Ein  Schrotkorn 
hatte  die  Bindehaut  5  mm  vom  äußeren  Hornhautrande  getroffen,  die  Leder- 
haut nur  gestreift  und  lag  bei  der  Karunkel  unter  der  Bindehaut:  dasselbe 
wurde  leicht  entfernt  und  hinterließ  keine  üblen  Folgen.  Ein  Tropfen  Löth- 
Metall  war  im  Auge,  durch  die  Thränen,  unschädlich  erstarrt  zu  einem 
PIättchen2),  Vgl.  XXXI,  S.  294,  1854:  Ausziehung  eines  Eisensphtters,  der 
1 1  Wochen  im  Auge  verweilt  hatte. 

3.  Hydatide  der  Orbita,  operirt.     XXXII,  S.  91,  1854. 

4.  Subconj.  Linsen-Luxation.  Ebendas.,  S.  92.  *• 

5.  Berichte  über  die  Augenklinik,  1845—1850,  XV,  145;  XVII,  216,  XIX,  3,  234; 
XXI,  170;  XXIII,   181,  XXVI,  S.  58. 

§808.      II.    JOSEPH-AÜGUSTIN  BORLfiE    (1818  —  1907)3). 

A.  0.  Professor  seit  4  845,  erhielt  B.  nach  und  nach  die  Lehr-Aufträge 
für  chirurgische  Pathologie,  für  Anatomie,  für  Augenheilkunde,  für  Wund- 
arznei-Kunst, für  Augenklinik.  Im  Jahre  1890  trat  er  in  Ruhestand.  Als 
er  1907,  90 jährig,  verstarb,  hatte  man  ihn  so  vollständig  vergessen,  daß 
ihm  kein  Nachruf  gespendet  wurde. 

Dabei  war  B.  ein  fleißiger  Schriftsteller  gewesen,  besonders  auf  chirui'gischem 
Gebiet : 

Precis  clinique  et  pratique  de  path.  chir.  speci^ile,  y  compris  las  mala- 
dies   des  yeux.   Liege  1872.      (Zwei  Bände.) 

Chirurgique  conservatrice,  1876,  1878. 

Seine  augenärztlichen  Abhandlungen  sind  sparsam  und  wenig  bedeutend: 
über  die  skrofulöse,  über  die  rheumatische  Augen-Entzündung,  über  die  Be- 
handlung der  eitrigen;  und  die  letzte  noch  aus  dem  Jahre  189  3,  über  die 
Einspritzungen  unter  die  Bindehaut.     (Bull.  Ac.  Med.  Beige  VII,   S.  Sgö"*).) 

§  809.    III.  Ernst  Fucbs  aus  Wien 
war  1  881  — 1 885  Prof,  der  Augenh.  zu  Lüttich.    Von  den  zahlreichen  (etwa  20) 
Arbeiten,  die  er  in  dieser  Zeit  verüfTentlicht   hat,  sind  zwei  in  franzüsischer 
Sprache:  La  prophylaxie  de  l'ophtalmie  du  nouveau-ne.    A.  d'Oc.  Gl,  S.  187, 
1S84.    Etüde  microscopique  sur  le  nerf  optique.    Arch.  d'O.  1885,  S.  173. 


1)  VAN  DuYSE  (S.  147)  gibt  das  Jahr  seiner  Geburt,  aber  nicht  das  seines  Todes. 

2)  Wir  kennen  diesen  Vorgang,  der  an  den  Leidenfrost'schen  Tropfen  (1796) 
erinnert,  aus  zahlreichen  klinischen  Fällen. 

3)  Biogr.  Lex.  VI,  526.     van  Duyse,  S.  148. 

4)  Der  Titel  dieser  Abhandlung  ist  in  dem  NACEL-MiCHEL'schen  Jahresbericht 
fünf  Mal  ganz  genau  abgedruckt,  aber  an  keiner  Stelle  etwas  von  dem  Inhalt 
mitgetheilt. 


Ansiaux.    Borlee.    E.  Fuchs.    Nuel.  —  Univ.  Loewen.  83 

§  810.  IV.  Jean  Pierre  Nuel, 
1847  zu  Tetange,  im  Gr.  H.  Luxemburg,  geboren,  war  Prof.  der  Augenheil- 
kunde in  Loewen  1877 — 1880,  der  Physiologie  in  Gent  (1880—1885)  und 
ist  Prof.  der  Augenheilk.  und  der  Physiologie  der  Sinnes-Organe  zu 
Lüttich  seit  dem  Jahre  1885.  Durch  zahlreiche  Arbeiten,  die  mit  dem 
Jahre  1875  anheben,  hat  er  zum  Fortschritt  der  Wissenschaft  beigetragen. 
Die  Liste   derselben   s.    bei  van  Duyse,   S.  156  und  263. 

§811.  Zu  Loewen  (Louvain) 
gründete  der  Rat  der  Stadt  1426  eine  Universität.  Durch  die  Franzosen 
wurde  sie  1797  aufgehoben;  1811  wieder  hergestellt,  verschwand  sie  von 
Neuem  in  der  belgischen  Revolution  1830.  Im  Jahre  1835  faßte  der  bel- 
gische Episkopat  den  Entschluß,  die  im  Jahr  zuvor  zu  Mecheln  gegründete 
Katholische  Universität  nach  Loewen  zu  verlegen.  Eine  medizinische 
Fakultät  ist  vorhanden  i). 

Professoren  der  Augenheilkunde: 

L  FrCd^ric  Hairion,  von   1837 — 18742), 

2.  LfioN  NoEi.,  von  1874  — 1877, 

3.  Emile  (]n.  Vennemann,  von   1880 — 1906, 

4.  VAN  DER  Straeten,  vou  1906  ab. 

§812.     I.     Fri>d£ric  Hairion  (1809— 1788)  y). 

Geboren  zu  Beaumont  im  Hennegau,  studirte  H.  in  Löwen,  errang  da- 
selbst 1832  den  Doktor,  studirte  auch  in  Paris,  war  schon  1830/31  in 
Brüssel  einer  Ambulanz  zugetheilt  und  half  in  Paris  1832  im  Dienst  gegen 
die  Cholera. 

Nach  Belgien  zurückgekehrt,  trat  er  in  die  Armee  ein,  1835  wurde 
ihm  in  Loewen  am  Militär-Hospital  die  .^btheilung  für  Syphilis  und  Haut- 
krankheiten, später  auch  die  für  Augenkrankheiten  übertragen.  In  dieser 
Stellung  erwirkte  er  die  Errichtung  eines  Instituts  für  augenkranke  Soldaten 
(Institut  ophthalmique  militaire',    an  dessen  Spitze  er  1841   gestellt  wurde. 

Gleichzeitig  begann  er  an  der  Universität  Loewen  seine  Lehrtätigkeit. 
(»II  garda  la  toge  et  ne  rendit  pas  les  armes <;,  sagt  Warlomont  in  seiner 
geschwollenen  Sprache.) 

Im  Jahre  1826  wurde  er  Prof.  agrege,  1838  a.  o.,  1840  o.  Professor.  Er 
lehrte  Hygiene,  Syphilidologie,  Augenheilkunde,  seit  1843  auch  Dermatologie. 

Im  Jahre  1853  trat  er  in  den  Ausschuß  zur  Leitung  der  Annales  d'Oc, 
ein  und  bewirkte   zusammen   mit  den   andren  Leitern    den  Zusammentritt 

1)  Minerva,  I,  S.  308,  1911. 

2)  van  Duyse  hat  S.  167  das  Jahr  1872,  S.  172  aber  187  4,  in  Übereinstimmung 
mit  dem  Nekrolog  von  Noel,  A.  d'Oc.  LXXVII,  S.  320,  1877. 

3)  A.  d'Oc.  C,  S.  1 05,  1 888.  (Warlomont.)  van  Duyse,  S.  1  69.   Biogr.  Lex.  III,  22. 


:84  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875, 

des  ersten  internationalen  Ophthalmologen-Kongresses  (zu  Brüssel),  der  ja 
sehr  eingehend  mit  der  granulösen  Augen-Entzündung  der  Soldaten  sich 
beschäftigte.  Hairion  war  Vorsitzender  der  Abtheilung  für  die  militärische 
Augen-Entzündung.  Im  Jahre  1 875  war  er  Vorsitzender  der  augenärztlichen 
Abtheilung  des  internationalen  Kongresses  der  Heilkunde  zu  Brüssel. 

Hairion  hat  seine  Lebens-Arbeit  der  militärischen  Augen- 
Entzündung,  dem  Trachoma,  gewidmet. 

\.  Eine  seiner  ersten  Veröffentlichungen  über  diesen  Gegenstand,  ist 
bereits  die  Frucht  ausgedehnter  Erfahrung:  Considerations  pratiques  et 
recherches  experimentales  sur  le  traitement  de  l'ophtalmie  qui  regne  dans 
larmee  beige.     Louvain  1839.    (102  8.) 

Vom  1.  März  1836,  wo  er  im  Militär-Hospital  die  Behandlung  der 
Augenleidenden  erhielt,  bis  zum  I.Jan.  1839  sind  1084  Fälle  militärischer 
Ophthalmie  eingetreten,  —  856  im  chronischen  (primären  oder  sekun- 
dären) Zustand,  82  im  blennorrhagischen  und  146  im  blennorrhoTschen.  Das 
wirksamste  Mittel  gegen  chronische  iGranulationen  ist  der  Hüllenstein- 
Stift.  (Gelegentlich  kommt  Skarifikation,  Ausschneidung,  Kupfer-Stift  in  Be- 
tracht.) Bei  der  blennorrhagischen  Entzündung,  Einspritzung  von  Ghlor- 
kalk-Lüsung  (120—250  :  1000),  viertelstündhch ;  dazu  4—5  Mal  täghch  Ein- 
träuflung  von  Höllenstein-Lösung  (0,1  —  0,2:30).  Zur  Kauterisation  und 
Excision  soll  man  nur  schreiten,  wenn  die  Eiterung  überreichlich,  und  die 
Hornhaut  bedroht  ist. 

Prophylaxe.  »Die  militärische  Ophthalmie  hat  nichts  Spezifisches  (?), 
sie  ist  ansteckend  und  endemisch:  sie  fährt  fort,  in  der  Armee  zu  herrschen 
(nach  Jüngken),  da  sich  in  ihr  Granulations-Träger  befinden. «•  Die 
erste  Anzeige  fordert  die  Entfernung  dieser  Individuen,  ihre  Behandlung  in 
Augen-Abtheilungen  u.  s.  w.;  die  zweite,  unsre  Soldaten  den  Ursachen  der 
Ophthalmie  zu  entziehen. 

Die  Ophthalmie  der  Armee  ist  dieselbe  wie  die  ägyptische,  dieselbe  wie 
die  katarrhalisch-eitrige  Augen-Entzündung.  Die  Ansteckung  ist  entweder 
eine  unmittelbare,  vom  kranken  Auge  zum  gesunden;  oder  eine  mittelbare, 
durch  Berührung  mit  besudelten  Gegenständen;  oder  eine  miasmatische  (?), 
wenn  das  gesunde  Individuum  in  dieselbe  Atmosphäre  eintaucht,  wie  die 
kranken.  Überfüllung  der  Kasernen  ist  zu  meiden.  Gebäude  samt  In- 
halt sind  zu  desinficiren. 

2.  Die  verschiedenen  granulären  Zustände  der  Bindehaut  dürfen  nicht 
verwechselt  werden  mit  dem  der  in  der  Armee  besonders  beobachteten 
Augen-Entzündung.  Der  letztere  hat,  als  unterscheidendes  Kennzeichen, 
das  blasige  Aussehen  (l'aspect  vesiculaire),  das  außerordentlich  langsame 
Wachstum  und  den  langen  Bestand  in  der  Schleimhaut  hinter  dem  Lid- 
knorpel und  nahe  dem  äußeren  Lidwinkel.  Wiederholt  (1850,  1870)  hat 
Hairion  diese  Blasen  oder  blasigen  Granulationen  erörtert.    Dieselben 


Hairion.    Das  Tannin.  85 

stellen  kleine  Kysten  dar,  welche  sich  in  der  Dicke  der  B^aser-Lage  der  Binde- 
haut entwickeln.  (Später  sagt  er  »an  der  Oberfläche  und  in  der  Dicke«.) 
H.  hält  sie  für  Neubildungen  exotischen  (ägyptischen)  Ursprungs.  Durch 
Reizung  der  Bindehaut  können  papilläre  Granulationen  zu  den  vesiku- 
lüren  hinzutreten.  (Anatomie  path.  des  granulations  palpebr.  An.  d'Oc. 
XXIII,  109.    Des  gran.  palp.    Ebendas.  LXIII,  S.  5,   1870.) 

3.  Über  die  Behandlung  der  Granulationen  hat  H.  1848  ausführlich, 
auf  Grund  seiner  reichen  Erfahrung,  berichtet.  (A.  d"Oc.  XX,  17,  83,  93.) 
Bei  frischen  Granulationen  vorwendet  er  die  Ilüllenstein-Lüsung,  auch  den 
Kupfer-Stift.  Sind  die  Granulationen  mit  chronischer  Entzündung  der  Binde- 
haut vergesellschaftet,  so  wird  die  Lösung  stärker  genommen  und  kräftiger 
angewendet. 

Bei  wuchernden  Granulationen  kommt  die  Ausschneidung  in  Be- 
tracht, aber  nur  für  die  Übergangs-Falte.  Bei  der  akuten  eitrigen  Augen- 
Entzündung')  verlangt  er  die  kräftigste  Antiphlogose  (Aderlaß,  Brechweinstein, 
Salpeter  2',  Calomel);  örtlich  kalte  Umschläge,  Bähungen  mit  Lösungen  von 
Silber,  Kupfer,  Zink,  und,  sowie  die  Eiterung  ausgesprochen  ist,  Spaltung 
der  Chemose  nach  Tyrrel  und  Atzungen  der  Bindehaut  mit  Hüllenstein- 
Lösungen.  Später  hat  er  die  Atzungen  ersetzt  durch  Einspritzungen  einer 
Lösung  von  Chlorkalk  (30—60  :  500). 

4.  Eingehend  hat  Hairion  sich  auch  mit  der  Wirkung  und  augenärztlichen 
Anwendung  des  Tannin  beschäftigt.  (A.  d'Oc.  XXIV,  119,  1850;  XXVI, 
216;  XXVII,  148.  Memoire  sur  les  effets  physiologiques  et  therapoutiques 
du  tannin,  envisage  surtout  au  point  de  vue  de  ses  applications  en  Ophthal- 
mologie, par  le  docteur  ERtofiRic  Hairion,  medecin  mililaire,  prof.  ord.  a 
rUniv.  de  Louvain,  Bruxelles  1856.   [81.]) 

H.  hat  das  Tannin  als  Salbe  (in  dickem  Schleim),  als  feines  Pulver 
und  auch  in  starker  Lösung  (I  :  3)  angewendet,  gegen  akuten  und  chroni- 
schen Eiterfluß,  wuchernde  Granulationen  und  Pannus.  (Cünier  fällt  sofort 
über  Hairion  her  und  erklärt  im  Anschluß  an  dessen  erste  Mittheilung, 
daß  schon  andre,  wie  Lan(;enbeck  1847  und  Warren  1845,  das  Mittel 
gebraucht,  daß  er  selber  seit  einem  Jahre  das  Pulver  verwende,  daß  aber 
das  neue  Mittel  weder  den  Höllenstein -Stift  noch  das  Blei  ersetze.  [A. 
d'Oc.  XXIV,  121.]  Natürlich  ist  Hairion  ihm  die  Antwort  nicht  schuldig 
geblieben.) 

In  seiner  Sonderschrift  erklärt  H.: 

»1.  Das  Tannin,  in  Berührung  mit  einer  entzündeten  Bindehaut,  bewirkt 
sofort  Gerinnung  der  eiweißhaltigen  Flüssigkeit,  welche  die  Schleimhaut 
bedeckt.     2.  Nach  Art  der  zusammenziehenden  Stoffe,  aber  in  geringerem 


1)  Vgl.  auch  Hairion"s  Sonderschrift  »De  Tophth.  gonorrhoüjue,  Louvain  I84G. 

2)  »Un  hyposthönisant   cardiaco-vasculaire,    suivant  le    langage    de   l'ecole 
italienne.«    Vgl.  §  719,  S.  719,  Anm.  I, 


36  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 

Grade,  bewirkt  das  Mittel  ein  vorübergehendes  Ansteigen  der  Reizung. 
3.  Danach  folgt  eine  Besserung  in  den  entzündlichen  Erscheinungen  und 
in  der  örtlichen  Empfindlichkeit;  das  ist  eine  Folge  Wirkung,  die  unabhängig 
ist  von  der  physischen  Wirkung  und  aus  der  dynamischen,  hyposthenisirenden 
Thätigkeit  des  Mittels  hervorgeht.« 

H.  nennt  diejenigen,  welche  vor  ihm  das  Mittel  gebraucht,  und  empfiehlt 
es  für  die  eitrige  Augen-Entzündung,  für  die  Hornhaut-Entzündung,  die 
Granulationen  und  zwar  als  Tannin-Schleim:  Tannin  5,  dest.  Wasser  20, 
arab.  Gummi  10. 

5.  Wenn  auch  das  Trachom  und  alles,  was  damit  zusammenhängt,  das 
eigentliche  Lebensw^erk  von  Haibiox  darstellt,  so  hat  er  doch  noch  andre 
Arbeiten  zur  Augenheilkunde,  ferner  zur  Hygiene,  zu  den  Hautkrankheiten 
veröfTentlicht. 

Seine  Versuche  über  den  Augenverband  bei  katarrhalischer  Bindehaut- 
Entzündung  und  dem  Verschluß  der  Lidspalte  durch  Kollodium  haben  wir 
schon  im  §  563  (S.  88)  beurtheilt.     (A.  d'Oc.  XXI,  S.  57,  1849.) 

Zusatz.  Geschichtliche  Übersicht  über  die  Anwendung  der 
Tannin-Präparate  in  der  Augenheilkunde. 

1.  Bei  den  Griechen  wird  die  Anwendung  der  Galläpfel  gegen  Tra- 
choma  nicht  genauer  erörtert.  Galen,  von  den  einfachen  Mitteln  VII,  c.  22, 
ricpl  xTjy.iooc,  über  den  Gallapfel,  hat  nichts  darüber.  Allerdings  heißt  es 
in  der  Arzneimittel-Lehre  des  Dioscurides  (I,  107)i':  -/al  a-riAXoust  Xslai 
Tot;  u-öpaao/.ojjsic,  Gallapfel-Pulver  zieht  Fleisch-Auswüchse  zusammen. 
Hiermit  stimmt  überein  die  Stelle  in  Galen's  Schrift  von  den  örtlichen 
Mitteln,  IV.  c.  5  (XII,  S.  721):  toT;  -rzpoc  ouxiu'aEic  v.ai  tuXou;  .  .  . .  xivi; 
e7i£i3aXov  y.ai  -/rj-/i'oa;,  acpoopuic  otu'^ov  cpapjxaxov.  »Den  Mitteln  gegen  Feig- 
bildungen und  Narben  haben  Einige  auch  Galläpfel  hinzugefügt,  ein  stark 
zusammenziehendes  Mittel.«  Es  soll  übrigens  nicht  unerwähnt  bleiben,  daß 
dies  ganze  Kapitel  5  von  den  Kräften  der  Augen-Heilmittel  handelt.  (Anagno- 
STAKis  hat  diese  Stelle  schon  1 862,  auf  dem  zweiten  ophthalmologischen 
Kongresse,  hervorgehoben.     C.  K.,  S.  110.) 

Wie  die  Griechen  Galläpfel  nebst  Chalkanthos  zur  Färbung  der  Horn- 
haut-Weißflecke benutzten,  haben  wir  in  §  241   gesehen. 

2.  Die  alten  Araber  benutzten  Gallapfel-Pulver  zur  Radikal-Kur  des 
Trachoma  (§  788). 

3.  In  den  Augenheilmittel-Lehren  von  Tittman  (1804)  und  G.  F.  Graefe 
(1817)  werden  die  Galläpfel  nicht  erwähnt. 

4.  In  A.  V.  Graefe's  Klinik  wurde  Tannin-Lösung  (0,5 — 1,0  :  30,0)  gegen 


1)  Der  Ausgabe  von  M.  Wellmann,  Berlin  1907;  I.  c,  CXLVI  der  Ausgabe  von 
C.  Sprengel,  Leipzig  1  829. 


Noel.    Vennemann.  87 

Granulationen  eingepinselt,  wenn  das  reizbare  Auge  nicht  einmal  die  Blei- 
Mittel  vertrug  (A.  v.  Guaefe's  Klin.  Vortr.    1871,   S.  71  )i). 

ö.  Gaset  A.  Wood,  Ophth.  Therapeutics,  Chicago  1909,  S.  567:  »Dieses 
zusammenziehende  Mittel  wird  selten  angewendet,  wegen  seiner  reizenden 
Wirkung  und,  da  es  durch  kräftigere  Mittel  vordrängt  ist.« 

§813.  Leox  Noel  (1845—1877)2) 
wurde  1874,  als  IIairio.n  das  Lehramt  niederlegte,  der  Nachfolger  seines 
Meisters  und  hat  durch  klaren  Vortrag,  geschickte  Operation  und  praktischen 
Sinn  seine  Pflicht  erfüllt,  obwohl  ihm  noch  dazu  die  Klinik  für  Haut- 
Krankheiten  und  für  Syphilis  aufgebürdet  wurde,  —  bis  ihn  1877,  im  Alter 
von  32  Jahren,  ein  frühzeitiger  Tod  hinwegraffte. 

Seine  klinischen  Beobachtungen  (A.  d'Oc.  LXXII,  201,  1874) 
enthalten  einen  Fall  von  Enchondrom  an  der  Schädel-Grundlläche. 

In  dem  Grundriß  der  Chirurgie  von  Prof.  Haan  hat  er  die  Kapitel 
über  Augenheilkunde  den  Studenten  kurz  und  klar  auseinandergesetzt. 

Im  Jahre  1875  untersuchte  er  die  Fernsicht  der  Kurzsichtigen,  die 
keine  Gläser  tragen,  mit  Rücksicht  auf  die  Militär-Brauchbarkeit  derselben. 
(Bull.  Ac.  Med.  Belg.,  No.  II,  S.  1207). 

Im  Jahre  1876  verüfTentlichte  er  eine  Studie  über  die  Wirkung  des 
Atropin.     (J.  des  sc.  med.  de  Louvain,  S.  99.) 

§814.     III.  Emile  Vennemann  (1850 — 1906)3) 
geboren  zu  Zele  in  Flandern  am  23.  Juni  1850,  wurde  1879  zum  Prof.  der 
Anatomie,  1 882  zum  Prof.  der  Augenheilkunde  zu  Loewen  ernannt  und  ist 
am  13.  Nov.  1906  daselbst  ganz  plötzlich  an  einem  Herzleiden  verstorben. 

Mit  Bruylants  hat  V.  nachgewiesen,  daß  die  Wirkung  des  Jequirity 
einem  nicht  organisirlem  Ferment,  einem  pflanzlichen  Gift-Eiweiß,  dem 
Jequi ritin  zuzuschreiben  ist.     (.\nn.  d'Oc.  XCI,  S.  93,   1884.) 

Für  die  Encyclop.  fran^.  hat  er  die  Bearbeitung  der  Krankheiten  des 
Uveal-Tractus  geliefert  (VI,  S.  1  bis  488,  1906).  Von  sonstigen  Arbeiten 
erwähne  ich  noch  die  über  Histologie  des  Trachoma  (A.  d'Oc.  CIX,  459, 
1893);  über  chirurgische  Behandlung  der  Granulationen  (Ebendas.  1894); 
über  die  Ophthalmie  des  Congo  (Chorioret.),   1896. 

§  815.  In  Brüssel  hat  die  freisinnige  Partei  1830  die  Gründung 
einer  freien  Universität  angeregt.  Durch  öffentliche  Sammlungen  und  durch 
städtische  Beiträge  wurde  sie  1 834  begründet.  Ihre  Anfänge  waren  schwierig^). 


1)  Vgl.  auch  Ed.  Michaelis,  Handwörterbuch  der  Therapie,  Leipzig  1883,  S.  24  0. 
Ferner  J.  Hirschberg,  Einführung,  I,  1892,  S.lO  und  Körnerkrankheit,  1904,  S.  IS. 

2)  VAN  DuYSE,  S.  171.     A.  d'Oc.    LXXVn,  319— 322.     (E.Hubert.) 

3)  VAN  DUYSE,   S.  173.    C.  Bl.  f.  A.   1906,   S.  383. 

4)  Minerva,  I,  S.  305,  1911. 


88  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800  — 1875. 

Lehrer  der  Augenheilkunde: 

Andre  Uytterhoeven,   1848 — 1856, 

Jean  Hubert  Thiry,  1856 — 1890,  Prof.  der  chir.  Pathologie,  ein- 
schließlich der  Augenheilkunde;  1885  wurde  Thiriar  sein 
Vertreter, 

Jean  CoppEz,  1876 — 1905,  Prof.  der  Augenheilkunde  seit  1890, 

Emile  Gallemaerts,  von  1905  ab. 

§816.     I.     ANDRfi  Uytterhoeven  (1799— 1868)1), 
;:;eboren    zu  Brüssel,   als  Sohn    des  berühmten   Chirurgen   J.  B.  Uy.,    1825 
Doktor,    1837  Wundarzt  am  Hop.  St.  Jean,  erhielt  später  eine  chirurgische 
Klinik. 

Er  war  ein  ebenso  unterrichteter  wie  vorsichtiger  Praktiker,  a'oU 
Herzensgüte  und  Sanftmuth,  der  erste  Vorsitzende  der  belgischen  G.  vom 
rothen  Kreuz.    Über  Augenheilkunde  scheint  er  nichts  veröffentlicht  zu  haben. 

n.     Jean  Hubert  Thiry  (1 81 7—1 890 ?) 2), 
1840  Doktor,    1847  Wundarzt  des  Hop.  St.  Pierre  zu  Brüssel,    1850  Prof. 
der  äußeren  Pathologie;  1849  begründete  er  die  Presse  med.  beige. 
Von  seinen  augenärztlichen  Veröffentlichungen  nenne  ich: 
■).  Les   granulations;   recherches  nouvelles  sur  la   nature,    les   causes,  les 
symptömes  et  le   traitement  de  l'ophthalmie  contagieuse,   Bruxelles   1849. 
(Vgl.  auch  A.  d'Oc.  XXI,  108  u.  189.) 

2.  Les  Granulations  conj.  Identite  entre  l'ophth.  militaire  et  l'ophth.  blenorrh. 
A.  d'Oc.  XXII,  103,  1849. 

3.  Identite  de  Fophth.  militaire  et  celle  des  nouveau-n^s.     XXIII,  225,  1850. 

4.  Ophthalmologie.  Lecons  donnees  ä  l'Universite  de  Bruxelles...;  recueill. 
par  le  Dr.  Leon  Marcq.  1865,  1868.  (Zwei  Bände.)  Diese  Vorlesungen  waren 
nicht  recht  zeitgemäß.  »II  ne  faut  plus  des  Oculistes,  dans  le  sens  restreint 
du  mot,  qu'il  ne  faut  des  pulmonistes.«  Die  Ophthalmien  werden  eingetheilt 
in  einfache,  specielle  und  specifische.  Die  nothwendigen  Operationen  werden 
aufgezählt,  aber  nicht  beschrieben. 

1 — 3.  Verschiedene  europäische  Armeen,  und  unter  ihnen  besonders 
die  belgische,  zeigten  seit  den  letzten  Kriegen  eine  schreckliche  Augen- 
krankheit .  .  .  Zuweilen  hatte  sie  einen  langsamen  Verlauf ,  . .  Aber  plötzlich 
erhielt  sie  eine  akute  Form,  Eiterfluß  trat  ein  und  das  Auge  verfiel  der 
fast  sicheren  Zerstörung...  Nach  zahlreichen  Untersuchungen  einigten  sich 
die  meisten  Schriftsteller,  ihr  als  Vaterland  Ägypten,  als  Ursache  die  An- 
steckung, als  pathognomonisches  Zeichen  die  Bindehaut-Granulationen  und 
als  Behandlung  die  Ätzung  mit  dem  Hüllenstein  zuzuschreiben.  Die  Granu- 
lationen sind  eine  neue  Bildung  von  ganz  besonderer  Art  und  ansteckend 3), 


1)  Biogr.  Lex.  VI,  S.  52.    van  Duyse  hat  Uytterhoeven  und  sogar  Thiry  voll- 
ständig übergangen! 

2)  Biogr.  Lex.  V,  S.  658. 

3)  NachT.  nehmen  sie  ihren  Ursprung  in  den  letzten  Haargefäß-Verzweigungen 
der  Bindehaut. 


Univ.  zu  Brüssel.     Thiry.  89 

-;inz  verschieden  von  Papillen,  Schleimdrüsen,  Bläschen;  nur  zu  vergleichen 
,  mit  den  Wund-Knüpfen.  Man  muß  die  akuten  und  die  chronischen  Granu- 
j  lationen,  die  primären  und  die  sekundären  unterscheiden.  Fängt  die  Krank- 
heit gleich  ganz  akut  an ,  so  erscheinen  die  Granulationen  nicht  sofort,  wohl 
I  aber  später. 

Die  blennorrhagische  Augen -Entzündung  ist  die  Folge  einer  einzigen 
Ursache,  des  Schleim-Eiters  einer  ansteckenden  Blennorrhagie,  sei  es  der 
Harnröhre,  sei  es  der  Scheide,  sei  es  des  Auges.  Die  Ansteckung  kann 
direkt  geschehen,  z.  B.  wenn  eine  Person  mit  Tripper  den  Eiter  au  das 
eigne  Auge  bringt;  oder  indirekt,  durch  Wäsche  u.  s.  w.  Findet  man  diese 
Augen-Entzündung  bei  einem  Soldaten,  so  sagt  man,  es  sei  eine  militärische 
Ophthalmie.  Die  akute  Entzündung  erscheint  schon  einige  Stunden  nach 
der  Ansteckung.  Nach  einigen  Tagen  verringern  sich  die  Erscheinungen, 
Granulationen  erscheinen  auf  der  Bindehaut.  Nimmt  man  den  Schleim-Eiter 
einer  chronischen  Blennorrhagie  des  Auges  oder  der  Urethra  und  bringt  ihn 
auf  eine  gesunde  Bindehaut;  so  kommt  es  nicht  zu  der  akuten  Entzündung, 
wenn  nicht  große  Empfänglichkeit  der  Bindehaut  bei  der  angesteckten  Person 
besteht:  es  kommt  zu  Granulationen,  welche  sich  allmählich  entwickeln. 

(Das  dürfte  doch  nicht  so  sicher  sein.    Versuche  führt  Th.  niclit  an.) 

Wie  für  den  Soldaten,  hat  man  auch  für  den  Neugeborenen  eine  be- 
sondere Ophthalmie  aufgestellt. 

Für  die  letztere  muß  man  den  Ansteckungs- Stoff  bei  der  Mutter 
suchen. 

Den  gelungenen  Versuch  der  Übertragung  des  Eiters  von  Auge 
auf  die  Harnrühre  hat  Tu.  erst  I8641)  verüüentlicht. 

Von  dem  Eiter  des  echten  Augen-Trippers  bei  einem  Manne  nahm  er 
etwas  und  brachte  es  in  die  Harnrühre  eines  andren  Mannes,  der  frei- 
willig zu  dem  Versuch  sich  erboten:  nacli  48  Stunden  hatte  sich  eine 
heftige  Entzündung  der  Harnrühre  mit  eitriger  Absonderung  ausgebildet. 

Zusatz.  Aber  schon  182  0  hatte  John  Vetch  solche  Versuche  veröffent- 
licht: Der  Eiter  von  der  eilrisfen  Augen-Entzündung  eines  Mannes,  an  die  Harn- 
röhre eines  Andren  gebracht,  bewirkte  heftigste  Entzündung  der  letzteren 
binnen  3  6  Stunden.     (Vgl.   §  629,  S.  66.) 

J,  M.  A.  Schön  hat  dann  (183  4)  mitgetheilt,  daß  er  einen  solchen  Ver- 
such gesehen.      (§  515.) 

Fr.  Pauli  hat  zwei  Versuche,  18  47  an  der  Harnröhre  eines  Mannes  und 
1854  an  der  Scheide  eines  öffentlichen  Mädchens  angestellt,  die  beide  dazu 
erkauft  waren:   am   3.   Tage  zeigte   sich  der  Tripper.      (Vgl.   §  533,   S.  369.) 

Das  ärztliche  Intelligenzblatt  f.  Bayern  (1855,  No.  17)  enthält,  aus  den 
Verhandlungen  d.  V.  pfälzischer  Ärzte,  die  folgende  Nachricht:  Ein  Arzt  zog 
sich,  bei  Behandlung  von  Augen-Eiterung  eines  Neugeborenen,  Ansteckung  eines 


1)  Recherches  nouvelles  sur  les  affections  blennorhagiques,  S.  60. 


90  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875, 

Auges  zu,  das  verloren  ging.  Der  Eiter  dieses  Auges  wurde  an  den  atrophi- 
schen Augapfel  eines  Mannes  gebracht  und  bewirkte  hier  Eiterfluß.  Diese 
Absonderung  wurde  in  die  Harnröhre  eines  Kretin  übertragen  und  erzeugte 
Tripper.  Von  diesem  wurden  noch  zwei  Harnröhren  geimpft,  binnen  2  Tagen 
war  Tripper  erfolgt.  Von  der  Absonderung  des  letzteren  wurde  schließlich  auf 
die  Schleimhaut  eines  durchbohrten  Auges  gebracht,  und  hierdurch  Eiterfluß 
verursacht. 

Es  ist  von  Wichtigkeit,  diese  Beobachtungen  zu  sammeln,  da  heutzutage 
solche  Versuche  nicht  mehr  gemacht  werden. 

§  817.  III.  Jean  CoppezI). 
Geboren  1840,  erhielt  G.  den  Doktor  zu  Brüssel  18G7,  studirte  weiter 
in  Paris  unter  Desmarres,  Wecker,  Ed.  Meyer;  wurde  Agrege  der  Universität 
zu  Brüssel  im  Jahre  1870,  erhielt  1876  eine  Augenklinik  im  Krankenhaus 
und  wurde  1890  zum  Professor  der  Augenheilkunde  ernannt:  dies  Amt 
verwaltete  er  bis  1905,  wo  er  die  Altersgrenze  erreichte.  Im  Jahre  1896 
hatte  er,  als  erster  Vorsitzender,  die  belgische  augenärztliche  Gesellschaft 
eröffnet. 

Von  seinen  Arbeiten  erwähne  ich  zunächst  seine  Habilitations-Schrift:  De 
l'ophthalmie  neuroparaljtique,  Bruxelles  1870.  Weiter  kommen  in  Betracht: 
Herpes  Zoster  (1870,  1876),  Neuer  Lidhalter  (1  870),  Klinischer  Bericht  (1870), 
Neugeborenen-Augenentzündung  (1880),  Neuralgie  durch  Nervendehnung  geheilt 
(1882),  Jequirity  (1885,  1890],  Aussaugung  des  weichen  Stars  (1885),  Diphth. 
Bindehaut-Entzündung  (1887),  Netzhaut-Gliom  (1887),  Behandlung  der  Netz- 
haut-Abhebung (1887),  Neue  Fortschritte  in  der  Star-Operation  (1887),  Über 
die  Eingrifl"e  bei  Augen- Verletzung  mit  eingedrungenem  Fremdkörper.  (189  0, 
Bericht  an  die  franz.   augenärztl,  Gesellsch.) 

Sein  Sohn  H.  Goppez  hat  sich,  durch  zahlreiche  Arbeiten  unsres 
Fachs,  seit  1893  ausgezeichnet,    (van  Duyse  bringt  die  Liste,  S.  234 — 235.) 

Gallemaert's  Arbeiten  beginnen  mit  dem  Jahre  1 889.  Sein  Sidero- 
skop  hat  er  schon  1890  auf  dem  internationalen  med.  Kongreß  zu  Berlin 
uns  vorgeführt,     (van  Duyse  bringt  die  Liste,  S.  252.)  ^ 

§  818.     Die  Königliche  Akademie  der  Heilkunde  Belgiens^) 
wurde  1841   begründet  und  hatte  gleich  zu  Mitgliedern   die  folgenden,  um 
die  Augenheilkunde  verdienten  Männer:  Fallot,  Gouzee,  Kllyskens,  Seutin, 
VAN  MoNS,  Vleminckx.     Der  letzte  war  Vorsitzender  der  Akademie  in  den 
ersten  25  Jahren  ihres  Bestehens. 

In  den  Verhandlungen  der  Akademie  während  dieser  Zeit  erscheinen 
einige  wenige  Arbeiten  unsrer  Fachwissenschaft:  Über  den  Bau  der  Binde- 
haut (yan  Kempen),  über  die  sogenannte  militärische  Augen-Entzündung 
(Hairion,    Vleminckx,    Tbiry),    über    Lidverschluß    mittelst    des    Kollodion 


1)  van  Duyse,  a.  a.  0.,  S.  102—104. 

2)  VAN  Duyse,  S.  79. 


Die  Kgl.  Akademie  der  Heilkunde.  —  van  Sevendonck.  91 

H\iaiON),  über  Kurzsichtigkeil,  über  die  Inokulation  (van  Roosbuoeck;, 
ülier  den  Augenspiegel  und  die  Calabar-Bohne  (Warlomont),  über  Behand- 
lung der  Granulationen  mit  essigsaurem  Blei-Oxyd  (Bu¥s). 

Im  Jahre  1866  wurde  Hairion  von  der  Akademie  mit  einem  Be- 
riiht  über  die  augenärztliche  Thätigkeit  in  Belgien  während  der 
Jahre  1841— 1866  betraut. 

Hairion    nennt  die   folgenden    Namen:     »van  Sevendonck,   Vleminckx, 

MvItlNUS,     FaLLOT,    GcUZCE,     DECONDt,     BlNARD,     LoiSEAU,     SOTTEAU ,    DeCAISNE, 

MiYNXE,  die  alle  mit  der  Augen-Entzündung  der  Armee  sich  beschäftigt 
halten;  van  Roosbroeck  ,  Vallez,  Tuiiiy,  die  Lehrbücher  der  Augenheil- 
kunde verfaßt,  Warlomont,  der  ein  solches  übersetzt  hat;  Ansiaux,  Bohle£, 
VAN  BiERVLiET^j,  IIairiox,  die  verschiedene  Arbeiten  zur  Augenheilkunde 
geliefert. « 

Die  meisten  dieser  Alänner  haben  wii-  schon  gewürdigt.  Aber  Einige 
sollen  hier  noch  kurz  besprochen  werden. 

§  819.  I.  VAN  Sevendonck,  ein  Militär-Arzt,  über  den  in  den  gewöhn- 
lichen Quellen  und  auch  bei  v.vn  Duyse  nichts  weiter  mitgetheilt  wird,  ist 
einer  der  ersten  Schriftsteller  über  die  .\ugen-Entzündung  der  bi-lgischen 
Armee,  und  zwar  in  lateinischer  Sprache:  Specimen  politico-me- 
dicum,  aetiologiam  prophylaximcpic  genuinas  sistens  ophlhalniilidis,  in 
Belgarum  exercitu  jam  dudum  grassatae.  Auetore  M.  Vansevendonck.  M.  C. 
in  eodem  exercitu  medico.     Lovani,   1823.     (60  S.)^'. 

Die  schlimme  Augenkrankheit  wüthet  seit  1816,  pflegt  aber,  auljer 
den  Soldaten,  namentlich  der  Infanterie,  Niemanden  zu  befallen.  Der  Vf. 
glaubt,  daß  der  Druck  auf  die  äußeren  Drossel- Venen  von  Seiten  der 
Uniform-Theile^j  die  Bindehaut  mit  Blut  überfülle  und  so  empfindlich  mache, 
daß  der  kleinste  Reiz  eine  Entzündung  hervorrufe. 

Vom  ägyptischen  Ursprung  dieser  Augen -Entzündung  hält  er  gar 
nichts. 

1828  hat  er  Animadversiones  in  Ophth.  Belgico-castrcnscm 
veröffentlicht  (Loewen,  34  f.):  ferner  zwei  Briefe  1824  und  1828,  sowie 
eine  kurze  Mittheilung  über  die  Ophthalmie  der  Armee,   1834. 


1)  De  rophthalmoscopie  chez  le  cheval,  ä  propos  de  rophthalmie  periodique, 
par  le  Dr.  A.  vax  Biervliet  et  J.  van  Rooy,  v<5terinaire  de  i^e  classe  au  1  reg.  de 
cuirassiers.  A.  d'Oc.  XLVI,  S.  lasfgd.,  1861.  Vgl.  van  Biervliet  u.  van  Rooy, 
über  Retinitis  pigmentosa  beim  Pferde,  Arch.  f.  Ophth.  X,  1.  81—88;  und  vAn  Bier- 
vliet, die  periodische  Augen-Entzündung  beim  Pferde,  ebendaselbst,  S.  87—89. 
A.  d'Oc.  LVII,  S.  124. 

VAN  Biervliet,  sur  TOphthalmologie  comparee,  A.  d'Oc.  LI,  255. 

2)  Das  Exemplar  meiner  Bücher-Sammlung  hat  einst  dem  Prof.  G.  F.  B.  Adel- 
mann gehört. 

3)  Vgl.  §  790. 


92  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800— 1875. 

§  820.  II.  Jean-Romuald  Marinüs  (1800—1874)1), 
geboren  1800  zu  Tiibize  (Süd-Brabant),  1830  Doktor  zu  Gent,  lebte  zu! 
Brüssel,  als  bescheidener  Gelehrter.  Er  gründete  1834  das  Bull.  med. 
Beige,  war  Herausgeber  der  Encyclographie  des  sc.  med.  (1834- — 1839), 
Leiter  des  J.  de  med.  de  Bruxelles.  Seine  Arbeit  »Über  Verhütung  des 
Fortschritts  der  Syph.«  (1836)  wurde  preisgekrönt.  Für  unser  Fach  kom- 
men in  Betracht: 

Recherches  sur  l'Ophth.  qui  regne  dans  I'armee  des  Pays-Bas.,  Brüs- 
sel 1827. 

CuNiER  hat  verschiedene  Briefe  an  Marinus  über  die  Behandlung  der 
Granulationen  verüfYentlicht.     (§  793.) 

§  821.  III.  H.  P.  GouzfiE  war  General-Arzt  der  Armee  in  Antwerpen. 
Er  empfahl  gegen  die  Granulation  vorsichtiges  Atzen  mit  Höllenstein, 
am  oberen  Lid  (A.  d'Oc.  I,  134,  1838),  pries  auch  das  Ätzen  mit  Höllen- 
stein gegen  die  gonorrhoische  Augen-Entzündung  (IV,  149,  1840,  V,  193), 
und  zwar  nach  dem  ektrotischen  Verfahren. 

^E-KTQcoriy.og  (Plutarch,  Mor.  p.  974),  Ausstoßung,  d.  h.  Frühgeburt,  ver- 
ursachend =   abortivus   (Plin.   nat.   h.    7,  42). 

De  Conde  erklärt,  daß  dies  Verfahren  von  Kerst  in  Utrecht  popularisirt 
sei ;  tadelt  aber  die  Ätzung  des  Augapfels  und  des  Tarsal-Theils  der  Bindehaut. 
(A.  d'O.  XXI,   1  9.) 

Übrigens  soll  die  ektrotische  Methode  keineswegs  besagen,  daß  eine 
einzige  Ätzung  hinreicht,  wie  das  von  Gouzfi  in  seiner  ersten  Mittheilung 
vom  Jahre    1838   empfohlen  wird.      (Snabilik,  A,  d'O.  XVI,   S.  .302,    1846.) 

Arlt  hat  1851  (Lehrbuch  I.  ,58)  als  ektrotische  Methode  das  Ver- 
fahren von  Chassaignac^)  (1847)  bezeichnet,  bei  Neugeborenen-Eiterung  erst 
die  verlängerte  Dusche,  dann  Höllenstein-Einträuflung  anzuwenden. 

In  seiner  berühmten  Arbeit  »Über  diphth.  Conj.  und  Heilwirkung  des  Cau- 
sticum«  (1854,  A.  f.  0.  I,  I,  S.  204)  vergleicht  A.  v.  Graefe  die  Anwendung  der 
kaustischen  Höllenstein-Lösung  (0,5  :  30,0)  auf  ein  Auge  mit  akuter  Conjunc- 
tivitis und  auf  ein  andres  mit  Blennorrh.  gonorrh.  » Im  ersten  Fall  ist  die 
Heilwirkung  eine  wahrhaft  abortive,  es  braucht  die  Kauterisation  nicht  wieder- 
holt zu  werden  ....  Im  zweiten  Fall  ist  die  Wirkung  nur  dann  eine  hei- 
lende, wenn  die  Kauterisation  vor  erfolgter  Bekrudescenz  wiederholt  wird  ...  bis 
zur  vollständigsten  Erschöpfung  des  Krankheits-Processes.  Es  irrt  demnach,  wer 
glaubt,  das  Atzmittel  in  den  genannten  Krankheiten  sei  unbedingt  ein  Abortiv- 
Mittel  .  .  . 

»Es  ist  noth wendig,«  sagt  Gouzee,  »um  einen  vollen  Erfolg  zu  er- 
halten, daß  die  Bindehaut-Oberflächen   der  Lider   in  ihrer  ganzen  Ausdeh- 


1)  Biogr.  Lex.  IV,  ISö.  (van  den  Corput.) 

2)  §  577,  S.  153. 

Ektrotische  oder  Abortiv-Methode  (sofortiges  Abschneiden  der  Krank- 
heil) findet  sich  noch  nicht  in  den  älteren  Wörterbüchern  der  Medicin  (Castelli, 
Kühn),  wohl  aber  in  den  neueren  (z.B.  bei  Guttmann,  1913). 


Marinus.     Gouzee.     Die  eklrotische  Methode.  93 

luing  geätzt  worden;  daß  vor  Allem  die  schleimhäutigen  Anseh wellungen 
der  oberen  Lider  ....  der  Einwirkung  dieses  mächtigen  Umstimmungs- 
Miltels  nicht  entgehen,  daß  die  Hornhaut  von  der  Beeinträchtigung  seitens 
dos  Ätzmittels  geschützt  werde,  und  daß  endlich  das  zweite  Auge'),  wel- 
ches auscheinend  noch  gesund  geblieben,  ebenso  und  gleichzeitig  derselben 
üchandlung  unterworfen  werde«   .  .  . 

»Nach  dieser  Atzung,  welche  je  nach  der  Schwere  des  Falls  mehr 
oder  weniger  stark  zu  machen  die  Erfahrung  lehrt,  thun  wir  nichts  .  .  . 
außer  häufigen  Waschungen  mit  warmem  Wasser  ....  Niemals  sahen 
wir,  daß  die  Atzung  furchtbare  Entzündungs-Erscheinungen  verursacht;  sie 
licw'irkt  eine  kürzere  Gegenreizung,  die  zwar  sehr  lebhaft,  aber  nur 
augenblicklich  ist  und  die  krankhafte,  so  gefährliche  Heizung  ablüst,«,  .2). 
Am  2.  oder  3.  Tage  vertauschen  wir  das  warme  Wasser  mit  einer  glcich- 
tills  warmen  Sublimat-Lösung  (0,05  :  250,0);  später  mit  einer  Lid-Salbe 
;aus  rothern  Präcipitat  0,2  :  1,2).«  Kann  das  obere  Lid  nicht  umgedreht 
werden,  so  wird  Höllenstein-Lösung  (I  :  30)  eingespritzt,  —  >ein  Tropfen 
Oliven-Öl,  vorher  über  die  Hornhaut  gebreitet,  wird  diese  Haut  gegen  die 
Einwirkungen  des  Ätzmittels  schützen  können«,  —  oder  ein  gedeckter 
Ätzmittel-Träger  (nach  Art  des  von  Lallemand)  angewendet.  Bei  Chemosis 
leichte  Ausschneidungen.  :>Eine  einzige  gut  gemachte  Atzung  genügt, 
um  das  (bei  zu  hemmen,  —  wenn  es  nicht  seine  Verwüstungen  schon 
zu  weit  ausgedehnt  hat.« 

»Nach  den  Blut-Entziehungen  sahen  wir  die  Erscheinungen  (Horn- 
haut-Geschwüre u.  s.  w.)  eintreten,  die  wir  durch  jene  hatten  verhüten 
wollen  3).  € 

Acht  Fälle  werden  mitgcthcilt,  mit  sechs  Heilungen. 

Zwölf  Jahre  später  (1853,  A.  d"0.  XXX,  207)  hat  G.  seine  Ansichten 
erheblich  geändert,  —  ohne  diese  Änderung  ausdrücklich  hervorzuheben. 
>Wird  die  Krankheit  gleich  im  Anfang  gefaßt,  so  genügt  die  Atzung,  um 
sie  zu  unterdrücken  (faire  avorter)  oder  ihren  Fortschritt  zu  hemmen.  .  .  . 
Bei  reichlicher  Absonderung  eines  dicken  Eiters  ist  die  Atzung  gleichfalls 
allmächtig:  sie  genügt,  um  das  Übel  in  seinem  Fortschritt  zu  hemmen: 
zwei    Mal   am   Tage   wiederholt,    oder   täglich,   oder  alle   2  Tage,   — 


1)  Drei  Viertel  eines  Jahrhunderts  trennen  uns  von  dieser  Ver- 
irrung.  —  In  der  zweiten  Abhandlung  erklärt  G.,  daß  die  Ätzung  des  zweiten 
Auges  entbehrlich  ist,  wenn  die  Bindehäute  nur  leicht  geröthet  und  sammt- 
artig  sind. 

2)  »Die  Heilwirkung  der  Ätzung  kann  zur  Stütze  des  Grundsatzes  der  Homöo- 
pathie herbeigezogen  werden.«  (Die  unverständlichen  Buchstaben  [V,  199]  sollen 
heißen  oitoioy  iru&o^.) 

3)  Später  hat  G.  diesen  letzten  Satz  zurückgenommen.  (A.  d'Oe.  XXX,  S.  2H, 
1803.)  Er  hält  sie  noch  für  unnütz,  wenn  die  Krankheit  auf  die  Schleimhaut  be- 
schränkt ist;  aber  für  nützlich,  wenn  mit  starker  Spannung  heftige  Schmerzen 
verbunden  sind.    Vgl.  übrigens  §  629  A  u.  §  488. 


94  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800— 1875, 

immer  wenn  sie  die  Neigung  hat,  die  Oberhand  zu  gewinnen,  führt  sie 
schließlich  die  gonorrhoische  Augen-Entzündung  über  in  den  Zustand  der 
einfachen  Bindehaut-Entzündung  .  .  .  Die  Ätzung  wird  gemacht  mit  einem 
Pinsel,  der  leicht  benetzt  ist  mit  einer  Hüllenstein-Lösung  in  Wasser, 
zu  gleichen  Theilen.« 

Gouz£e's  Hauptwerk 

De  l'ophthalmie  qui  regne  dans  l'armee  beige  et  des  moyens  d'arreter 
la  propagation  de  cette  maladie  dans  toute  agglomeration  d'individus, 
Bruxelles  1842  (271  S.) ,  war  1839  von  der  Soc.  des  sc.  med.  et  na- 
turelles zu  Brüssel  preisgekrönt  worden  und  hat  1844  eine  Übersetzung 
in's  Holländische  erfahren,  durch  Dr.  J.  H.  van  den  Broek. 

G.  räth  die  Überfüllung  der  Kasernen  zu  vermeiden,  die  Kranken  ab-j 
zusondern,  in  besondren  Hospitälern  zu  sammeln  und  vollständig  auszu- 
heilen. Die  Heilung  beruht  auf  Blut-Entziehungen  und  Ätzung  mit  dem 
Höllenstein.  In  einem  geschichtlichen  Kapitel  (X,  S.  204  fgd.)  betont  G., 
daß  die  Granulationen  den  alten  Griechen  wohl  bekannt  gewesen,  daß  im 
Anfang  des  18.  Jahrb.  Vetch  dieselben  wieder  beschrieben,  und  daß  den 
belgischen  Militär-Ärzten  Jüngken  1834  dieselben  gezeigt  und  ihre  Wich- 
tigkeit hervorgehoben  habe. 

§  822.  De  CoNDfi*)  hat  zahlreiche  Abhandlungen  über  die  Oph- 
thalmie der  Armeen  veröffentlicht. 

1.  Die  erste  einleitende  Abhandlung  von  1841  (A.  d'O.  IV,  184,  279) 
untersucht  die  Umstände,  welche  die  Augen-Entzündung  in  der  belgischen 
Armee  ungünstig  oder  günstig  beeinflußt  haben. 

2.  Geschichte  der  Ophthalmie  in  den  französischen  Armeen. 
(A.  d'O.  VIII,  61,  233,  1843.)  Vor  der  Expedition  nach  Ägypten  unbekannt; 
nach  derselben  nicht  erloschen,  —  nur  nicht  erörtert  von  den  Franzosen; 
aber  nicht  zu  epidemischer  Verbreitung  angestiegen.  (Mehr  bei  den  ita- 
lienischen Soldaten  der  Expedilions-Armee  Napoleons  ausgebreitet.) 

3.  G.  d.  0.  in  den  italienischen  Staaten.  (A.  d'Oc.  X,  49,  115, 
1844.     Vgl.  §  719.) 

4.  Beziehungen  zwischen  den  Ophthalmien  in  Italien  und  denen  in 
Österreich  und  Preußen.  (A.  d'Oc.  XIV,  5,  49,  1845.  —  Vgl.  §  719, 
S.  25 — 31;  §  736,  S.  95.)  Die  österreichische  Armee  hat  die  Krankheit 
von  den  Italienern  empfangen.  Von  Italien  aus  hat  sich  die  Krankheit 
auf  die  Bevölkerung  von  Kärnthen,  Steiermark,  Kroatien  und  Dalmatien 
verbreitet. 


1)  Über  sein  Leben  u.  Wirken  schweigen  die  Quellen.  In  seiner  ersten  Ar- 
beit nennt  er  sich:  Docteur  De  Conde,  med.  de  regiment  au  3e  chasseurs  ä  pied, 
etc.,  ä  Liege. 


De  Condö.  95 

Auch  die  preußischen  Truppen  sollen  4813  die  Krankheit  von  den 
Italienern  der  großen  Armee,  in  deren  Standorte  sie  einrückten,  erhalten 
haben  i).  Im  Rheinland  ging  die  Ophthalmie  auf  die  bürgerlichen  Bevöl- 
kerung über. 

5.  Geschichte  der  Ophthalmie  in  den  Armeen  von  Rußland  und 
Schweden.      (A.  d'Oc.  XVI,  5,  1846.) 

6.  Geschichte  der  Ophthalmien  in  den  englischen  Armeen  von 
Gibraltar,  Malta  und  in  dem  vereinigten  Königreich  selber;  auch  in  Sicilien 
und  Hannover.    (A.  d'Oc.  XVII,  5,  52.) 

Die  hannoverschen  Truppen  hatten  die  Krankheit  von  den  englischen, 
mit  denen  sie  vereint  waren;  aber  erst  1825  zeigte  sie  sich' zu  Osna- 
brück, 1836  zu  Göttingen,  auch  in  der  bürgerlichen  Bevölkerung  dieser 
Stadt  und  des  Eichsfcldrs. 

7.  (iesch.  d.  Ophth.  in  der  spanischen  Halbinsel.  (A.  d'O.  XIX,  177, 
1848.) 

Wenngleich  man  nicht  alle  Schlußfolgerungen  de  Co\d£'s  annehmen 
kann,  so  ist  seine  fleißige  Zusammenstellung  doch  noch  heute  sehr  wichtig. 

Von  andren  Abliaudlungen  desselben,  die  diesem  Gebiet  angehören, 
erwähne  ich  die  fcilgenden: 

I.  Über  die  Ansteckungsfähigkeit  der  militärischen  Augen-Entzündung. 
(A.  d'Oc.  I,  26!i,  1838.)  De  Gom)£  hat  zahlreiche  Versuche  an  jungen  Hun- 
den, mit  Einimpfung  auf  die  Bindehaut,  gemacht,  und  schließt  aus  den- 
selben, daß  die  militärische  Ophthalmie  um  so  ansteckender  ist,  je  mehr 
Absonderung  vorhanden ;  daß  sie  jedoch  ansteckend  bleibt,  auf  allen  ihren 
Stufen. 

Auch  die  Einimpfung  von  Tripper-Eiter  auf  die  Bindehaut  von  Hun- 
den bewirkt  Ophllialmie  und,  nach  deren  Verschwinden,  »prachtvolle 
Granulationen«.  Die  Zusammendrückung  des  Halses  bei  Hunden  erzeugte 
keine  Granulationen,  ja  sie  vermehrte  nicht  einmal  die  vorhandenen. 

II.  Memoire  sur  quelques  questions  qui  se  rattachent  a  l'ophthalmie 
des  armees,  1842. 

HI.  Hygiene  de  l'ophthalmie  dite  des  armees,  Liege,  1844.  (60  S.) 
Die  Ophthalmie  der  Armee  könnte  heute  die  des  Volkes  genannt 
werden,  da  violleicht  ^;^  der  belgischen  Bevölkerung'^),  d.  h.  600  000  Menschen, 
davon  angesteckt  ist.  De  CoNDfi  giebt,  in  Form  von  145  Aphorismen, 
die  genauesten  Vorschriften,  um  das  libel  in  der  Armee,  in  Anstalten,  wo 
Menschen  sich  anhäufen,  in  der  Bevölkerung  zu  beschränken  oder  ganz 
auszurotten.  Er  erstreckt  seine  Vorsichten  auch  auf  Verhütung  der 
gonorrhoischen  Augen-Eiterung  und   derjenigen  der   Neugeborenen.      »Soll 


1)  Aber  im    17.  Abschnitt  werden   wir  das  von  Einschleppung  aus  Ägypten 
unabhängige  Trachom  Rußlands  kennen  lernen. 

2)  Das  Konvers. -Lexikon  von  1837  nennt  eine  Einwohner-Zahl  von  3S07  000. 


96  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  180  0—1875. 

man  nicht  unmittelbar  nach    der  Geburt  die  Augen  der  Neugeborenen  mit 
dünner  Ghlorkalk-Lüsung  auswascheni)?« 

IV.  Zur  Behandlung  der  Granulationen  hat  De  Cond£  mehrere  Mit- 
Iheilungen    gemacht : 

a)  -1840    (A.  d'Oc.  III,    261)    über   einen   besondren   Ätzmittel-Träger. 

b)  i850  (XXIV,  205)  über  die  Behandlung  der  Granulationen  in  Bel- 
gien. Die  Anwendung  des  neutralen  essigsauren  Blei-Oxyds  in  Pulver-Form 
lobt  De  Conde  ganz  ausnehmend;  allerdings  hat  er  einige  Male  gewaltige 
Blei-Überkrustungen  gesehen,  wenn  —  Andre  dicke  Haufen  des  Pulvers  auf- 
getragen hatten.  Der  Hüllenstein  wird  weiterhin  von  Einigen  als  das 
geeignetste  Mittel  betrachtet  werden. 

c)  Mit  dem  Blei-Pulver  hat  De  CoNDfi  auch  das  Flügelfell  erfolgreich 
behandelt.     (A.  d'Oc.  XXVIII,   181,  1852.) 

d)  Über  gonorrh.  Ophth.     (A.  d'Oc.  I,  S.  237.) 

V.  Die  andren  Abhandlungen  unsres  Vf.s  sind  weniger  bedeutend  und 
z.  Th.  selbst  anfechtbar,  z.  B. 

a)  Über  den  Bau  der  Bindehaut,  mit  Rücksicht  auf  Pathologie  und 
Therapie.     (A.  d'Oc.  XXI,  5,  1849.) 

ß)  Über  einäugiges  Doppeltsehen.    (IX,  121,  1843.) 

/)  Über  Weitsichtigkeit.  (A.  de  la  Soc.  de  mrd.  d'Anvers  1843.  A.  d'Oc. 
XIII,  140,  1845.) 

d]  Über  Farbenblindheit.     (XX,  52,  1848.) 

§  823.  4.  Dr.  Felix  Binard,  Reg.-Arzt  in  Mecheln, 
hat  auch  »einige  Worte  über  Lid-Granulationen«  gesagt  (A.  d'Oc  XXIX, 
157,  1853);  aber  dieselben  sind  nicht  bedeutend:  ferner  die  in  Deutschland 
über  die  Augen-Entzündung  der  Armeen  verfaßten  Arbeiten  zusammenge- 
stellt. (A.  d'Oc.  XIII,  234.)  Hauptsächlich  hat  er  Übersetzungen  und 
Kritiken  veröffentlicht;  auch  seine  Arbeit  über  Indischen  Hanf  gegen 
rheumatische  Augen-Entzündung  (A.  d'Oc.  XXIII,  49,  1850)  ist  nur  ein 
Referat  mit  Hinzufügung  eines  eignen  Falles. 

•  5.  Descaisne,  Reg.-Arzt,  erklärt  (A.  d'Oc.  VI,  S.  44  und  V,  105,  1841), 
daß  die  erste  Ursache  der  Ophthalmie  nicht  in  der  Armee  sich  findet, 
sondern  abhängt  von  der  Einstellung  granulöser  Rekruten.  Die  franzö- 
sischen Soldaten  sind  frei  von  Granulationen,  selbst  in  den  Regimentern, 
die  von  Algier  zurückkehren,  wie  er  persönlich  sich  überzeugt  hat.  Gegen 
die  Ophthalmie  empfiehlt  er,  wie  Florio  (1841),  Blutentziehung  bis  zur 
Ohnmacht  (!),  gegen  die  Granulationen  den  HüUenstein-Slift. 

6.  Dr.  Me¥x\ne  (A.  d'Oc.  XXXH,  2,  239,  1854)  spricht  sich  gegen 
ägyptischen  Ursprung  und  gegen  kontagiüse  Verbreitung  aus,  sowie  für 
die  Behandlung  mit  Blei-Acetat. 


1)   Vgl.  §  420   U.  §  676,  3. 


Die  belgische  Gesellschaft  der  Augenheilkunde.    Schluß-Bemerkung.        97 

7.  Nicht  genannt  ist  in  Hairion's  Liste  Hr.  Lutens,  d.  j.,  Regimenls- 
Arzt  zu  Antwerpen.  Derselbe  hat  schon  1838  im  ersten  Bande  der  A.  d'Oc. 
(I,  S.  135—146)  ziemlich  gründlich  über  die  Ausschneidung  bei  der 
Behandlung  der  Bindehaut-Granulationen  gehandelt. 

Zunächst  hat  er  im  unteren  Lid  die  geschwollene  Traube  hinter  dem 
Knorpel  ausgeschnitten,  ohne  jeden  Nachtheil,  zur  erheblichen  Abkürzung 
der  Heildauer.  Aber  bei  der  Ausschneidung  der  oberen  Umschlagsfalte 
liat  er  ernste  Folgezustände  Iteohaclitet,  vier  Mal  schwere  Phlegmone, 
die  zwei  Mal  zur  unheilbaren  Erblindung  führte.  Später  hat  er  die  Pinzette 
aufgegeben,  eine  kleinere  und  weniger  gekrümmte  Schere  gewählt,  und  den 
Wulst  mit  einem  Scheren-Schlage  abgelragi^n:  so  hat  er  viele  Operationen 
ausgeführt,  ohne  daß  die  geringste  Reizung  erfolgt  ist. 

Diese  Arbeit  von  Lutens  ist  vielfach  besprochen  worden,  nicht  blos  von 
F.  CuNiER,  in  seinen  Briefen  an  Marinus  und  a.  a.  ().,  sondern  auch  von 
RiBERi  in  Turin.     (§  726.) 

§  824.  Die  belgische  Gesellschaft  der  Augenheilkunde  (So- 
ciete  Beige  d'Ophtalmologio)  wurde  am  20.  Dez.  1896  begründet,  und  die 
Berichte  über  ihre  Verhandlungen  regelmäßig  verüfl'entlicht:  zuerst,  nach 
dem  deutschen  Bericht  des  Schriftführers  Pergens,  im  Gentralbl.  f.  Augenh. 
1897,  S.  121,  244,  426;  dann  erschien  1898  das  erste 

Bulletin  de  la  Soc.  beige  d'Opht, 
Bruxelles,  (58  S.)  und  danach  die  weiteren:  im  Jahre  1913  No.  35  (35.  Ver- 
einigung, zu  Brüssel,  am  27.  April  1913)  und  No.  36,  Compte  rendu  ana- 
lytique  des  Communications  faites  ä  la  trente-sixieme  röunion  de  la  Soci6t6, 
ä  Gand,  les  2 — 3  aoi'it  1913  >).  L^eunion  extraordinaire  Internationale.] 
(114  S.) 

§  825.  Schluß-Bemerkung. 
Den  Zustand  der  Augenheilkunde  in  Belgien,  um  die  Mitte  des 
I  19.  Jahrhunderts,  zu  schildern,  hat  ein  hervorragender  Belgier  selber 
i  unternommen,  und  zwar  derjenige,  der  als  erster  in  unsren  Erörterungen 
!  genannt  wurde,  Dr.  Fallot-).  Er  betrachtet  den  Gegenstand  unter  drei 
I  Gesichtspunkten,  dem  der  Verwaltung,  dem  der  Ärzte  und  dem  der 
Wissenschaft. 

In  ersterer  Hinsicht  gebe  es  wenige  Länder,  die  mit  Belgien  wetteifern 
können.  Es  giebt,  abgesehen  von  den  Augen-Abtheilungen  der  allgemeinen 
Hospitäler,  noch  zahlreiche  provinziale  Augen-Heilanstalten  für  die  Armen 3). 


1)  Ich  hatte  die  Ehre  des  Vorsitzes  in  der  ersten  Sitzung. 

2)  Congres  d'Ophth.  d.  Bruxelles,  1857.    Compte  rendu,  Paris  1858,  S.  375— 379. 

3)  Vgl.  §  79i. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.   2.  Aufl.   XIV.  Bd.  (VII.)   XXIII.  Kap.  7 


98  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Belgiens,  1800—1875. 

In  zweiter  Hinsicht  stände  es  weniger  gut;  es  finden  sich  wohl  tüchtige 
Ärzte,  welche  diesen  Zweig  der  Kunst  pflegen,  aber  zu  wenig  Augenärzte, 
In  dritter  Hinsicht  ist  Gelegenheit,  sich  in  der  Augenheilkunde  zu  unterrichten, 
reichlich  vorhanden;  die  seit  einem  Vierteljahrhundert  veröffentlichten 
Arbeiten  über  Augenheilkunde  sichern  Belgien  einen  ehrenvollen  Platz. 

Wenn  auch  heutzutage  in  Belgien  die  Augenheilkunde  durch  Auf- 
nahme in  den  Unterricht  und  in  die  Prüfung  i)  als  wichtiges  Fach  anerkannt 
worden;  so  hat  sie  doch  ihre  Selbständigkeit  noch  nicht  errungen,  da  der 
Professor  der  Augenheilkunde  stets  noch  ein  zweites  Lehrfach  mit  über- 
nehmen muß. 

1)  §  797. 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 

Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 

Von 

J.  Hirschberg, 

Professur  in  P.irlin. 

Drittes  Buch. 

Fünfzehnter  Absclinitt. 
Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

Mit  3  Figuren  im  Text. 

Eingegangen  im  August  1915. 


ä  Vorbemerkungen. 

§826.  Die  Geschichte  der  Augenheilkunde  im  19.  Jahrhund<'rt  war 
nicht  zu  schreiben  ohne  zuverlässige  Angaben  über  Einrichtungen,  Männer, 
Anstalten.  Solche  konnten  aus  den  verschiedenen  Ländern  nur  von  Ein- 
heimischen gehefert  werden.  In  der  richtigen  Einsicht;  daß  zum  allgemei- 
nen Nutzen  die  bereits  dem  Abschluß  sich  nähernde  Darstellung  gefördert 
werden  mußte,  haben  die  Fachgenossen  fast  aller  Länder  mich  in  dan- 
kenswerther  Weise  unterstützt,  wie  ich  dies  auch  stets  an  der  betreffenden 
Stelle  anerkannt  habe. 

Aber  die  tJnterstützung,  die  ich  in  Bezug  auf  das  Königreich  der 
Niederlande,  —  durch  gütige  Vermittelung  des  Hrn.  Prof.  W.  Koster  Gzn. 
zu  Leiden,  —  am  ö.  Okt.  191  I  von  Hrn.  Dr.  J.  van  der  HoeveM  aus  Utrecht 
erhalten  habe,  ist  so  umfassend  und  eingehend,  daß  ich  die  Verpflichtung 
fühle,  ihn  öffentlich  als  Mitarbeiter  dieses  Abschnitts  anzuerkennen,  dem 
sogar  das  größere  Verdienst  zukommt. 


1)  Jetzt  Prof.  der  Augenheilkunde  zu  Groningen. 


100  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

Prof.  W.  Koster's  schon  im  §  431  erwähnte  Abhandlung  »Über  die 
Entwicklung  der  Ophthalmologie  in  den  Niederlanden«  i)  hat  mir  gleichfalls 
gute  Dienste  geleistet. 

»De  oogheelkunde  in  Nederland«,  eine  Rede 2),  die  Dr.  F.  D.  A.  C.  van 
Moll  am  12.  Juni  1892  zu  Rotterdam  gehalten,  bringt  kurze  Bemerkungen 
über  Blankaart,  Boerhaave,  Camper,  Ruysch  und  Leeuwenhoek  und  erörtert 
dann  ausführlich  die  großen  Verdienste  von  F.  C.  Donders. 

Die  Eröffnungs-Rede  3)  des  9.  internationalen  ophthalmologischen  Kon- 
gresses, zu  Utrecht  am  15.  Aug.  1899,  vom  Vorsitzenden  Prof.  H.  Snellex 
d.  V.,  führt  uns  in  lebhafter  Darstellung  einen  Vergleich  zwischen  Boer- 
nAAVE  und  Donders  vor. 

Sehr  vortheilhaft  fand  ich  noch  endlich,  daß  C.  E.  Danikls  zu  Amster- 
dam, als  Mitarbeiter  des  biographischen  Lexikon  von  August  Hmscn*), 
auf  dem  Gebiet  der  niederländischen  Ärzte  ebenso  vollständig  wie  gründlich 
gearbeitet  hat. 

Einleitung. 

§  827.  I.  Im  18.  Jahrhundert  (und  am  Ende  des  17.)  war  Niederlands 
Ruhm  auf  unsrem  Gebiete  durch  zwei  Männer  begründet,  durch  Hermann 
Boerhaave  und  durch  Peter  Camper,  die  beide  für  ihre  Zeit  vortreffliche 
Vorlesungen  über  Augenheilkunde  gehalten,  wenn  auch  nicht  selber  heraus- 
gegeben haben.  Der  Inhalt  dieser  Vorträge  ist  in  unsren  §  432  und  §  433 
(1908)  genau  mitgetheilt  worden. 

Inzwischen  ist  das  Werk  des  zweiten  von  ihnen  in  einer  Pracht- 
Ausgabe  erschienen:  Opuscula  selecta  Neerlandicorum  fasciculus  secundus 
quem  Guratores  Miscellaneorum  quae  vocantur  Nederlandsch  Tijdschrift  voor 
Geneeskunde  collegerunt  et  ediderunt.  Amstelodami.  Apud  F.  F.  van  Rossen 
MCMXIII.  Petri  Camperi  de  oculorum  fabrica  et  morbis.  (411  S.,  mit  Titel- 
bild des  Vf.s  und  zahlreichen  Holzsclinitten.)  Die  deutsche  Übersetzung 
von  Dr.  Zeeman  ist  dem  lateinischen  Text  gegenübergestellt^). 

Übrigens  haben  außer  den  beiden  genannten  noch  zwei  andre  Ge- 
lehrte während  des  18.  Jahrhunderts  in  den  Niederlanden  Tüchtiges  zur 
Augenheilkunde  geleistet ; 

I.  Bernhard  S.  Albinus(1697 — 1770)6),  p^of.  der  Anatomie  und  später 
der  Medizin  zu  Leiden''),  hat  in  seinen  Vorlesungen  auch  über  Augen- 
krankheiten   (über    Thränenfistel ,    über    Star,    über   Star-Ausziehung]   ge- 


1)  Zeitschr.  f.  Augenh.  II,  S.  10  9—125,  1899.  2)  »Nicht  im  Buchhandel.« 

3)  Discours  d'ouverture.     (20  S.)  4)  Wien  und  Leipzig,  VI  Bände,  1884—1888. 

Zur  Bequemlichkeit  des  Lesers  citire  ich  dieses  Lexikon,  nicht  die  niederlän- 
dischen Quellen.  5)  C.  Bl.  f.  A.  1913,  S.  197.  6)  §  462.  7)  So  schreiben 
es  die  holländischen  Fachgenossen;  in  deutschen  Büchern  findet  man  öfters 
Leyden.   Im  Mittelalter  hieß  es  Leithen,  d.  h.  an  der  Wasser-Leite, 


Einleitung.    Die  niederländischen  Universitäten.  101 

handoll,  wie  der  Augenarzt  Mensert  berichtet,  der  1843  im  Besitz  von 
A.'s  üictatum  chirurgicum  gelangt  ist.  A.  kannte  schon  den  »Schlemm- 
schen«  Kanal. 

II.  GovERT  BiDLOo  (1649 — 1713),  seit  1694  Prof.  der  Medizin  und 
Chirurgie  zu  Leiden,  hat  nicht  unbedeutende  Beiträge  zur  augenärztlichen 
Literatur  geliefert. 

Unter  den  20  anatomisch -chirurgischen  Abhandlungen,  welche  in 
seinen  gesammelten  Werken^)  enthalten  sind,  finden  sich  acht,  die  zur 
Augenheilkunde  gehören:  I.  De  phlyctaena.  i.  De  oculo  purulento  (Hypo- 
pyo).  Entleerung  des  Eiters  wird  empfohlen.  3.  De  panno.  (Kann  nicht 
von  der  Adnata  abgetragen  werden.)  4.  De  ungue  (pterygio).  5.  De  en- 
canthide.  6.  De  prolapsu  oculi.  7.  De  leucomate.  8.  De  amaurosi.  (Hier 
wendet  sich  B.  gegen  Blut-Entziehungen,  Abführungen  u.  dgl.) 

In  diesen  Abhandlungen  liest  man,  daß  Bidloo  selbst  Hand  anlegte; 
auch  1690,  als  er  General-Inspektor  der  Zivil-  und  Militär-Hospitäler  in 
Holland  war,  den  durch  Lanzenstich  zerstörten  Augapfel  eines  Soldaten 
eigenhändig  entfernt  und  ein  künstliches  Glasauge  eingesetzt  hat.     (6.) 

Schließlich  erwähne  ich  noch  seine  Schrift  »De  oculis  et  visu  va- 
riorum    animalium  observationes  physico-anatomicae. « 

Kein  Thier  entbehre  der  Augen.  B.  beschreibt  das  des  Maulwurfs 
und  der  Blindwühle,  Gaecilia  serpens.  Kein  Thier  sende  Licht  aus 
dem  Auge.  »Felem  in  obscuro  loco  coUocatam,  observavi  exacte;  de 
oculis  autem  emissi  luminis  mihi  apparuit  nihil.«  Für  diese  wichtige  Be- 
obachtung, die  gewöhnlich  den  Forschern  aus  dem  Beginn  des  1 9.  Jahr- 
hunderts, Prevost  und  Gruithuisen,  zugeschrieben  wird,  hat  Bidloo  un- 
zweifelhaft die  Priorität,  und  zwar  um   100  Jahre. 

§  828.  II.  Die  niederländischen  Universitäten  haben  eine  merk- 
würdige Geschichte. 

Zu  der  1426  in  Loewen2)  begründeten  ersten  und  einzigen  Univer- 
sität der  damals  noch  vereinigten  ^Mede^lande  kam  in  den  Stürmen  der 
Befreiungs-Kriege,  die  wir  als  Abfall  der  Niederlande  von  Spaniens  Herr- 
schaft zu  bezeichnen  gewohnt  sind,  1575  die  Gründung  einer  »freien  und 
öffentlichen  Schule  zu  Leiden«  3),  welche  auf  Antrag  von  Prinz  Wilhelm  I. 
durch  die  Provinzial-Staaten  von  Holland  und  Zeeland  beschlossen  und 
ausgeführt  wurde. 

Sie  war  eine  Pflege-Stätte  des  protestantischen  Glaubens.    Im  17.  und 


i)  GoDEFRiDi   Bidloo    Opera   omnia   anatomico-chirurgica  edita  et  inedita. 
Lugduni  Batavorum  1713. 

2)  Vgl.  §   786. 

3)  Minerva,  I,  S.  -164,  1911.   (Handelt  nur  von  denjenigen  Universitäten,  die 
noch  heute  bestehen.) 


102  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

18.  Jahrhundert  gelangte  sie  zu  hoher  Blüthe,   auch   auf  dem  Gebiete  der 
medizinischen  Wissenschaften. 

König  Louis  erhob  sie  1807  zur  königlichen  Universität  von  Holland; 
aber  nach  der  Einverleibung  Hollands  in  das  Napoleonische  Reich  (1810) 
wurde  sie  ihrer  eignen  Gerichtsbarkeit  beraubt  und  1811  als  »Akademie« 
mit  fünf  Fakultäten  zu  einem  Theil  der  Universite  de  France  gemacht,  — 
doch  nur  für  wenige  Jahre. 

Während  und  nach  dem  niederländischen  Befreiungs-Kriege,  besonders 
in  der  ersten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts,  wo  Holland  (»die  Republik  der 
Vereinigten  Niederlande«)  in  höchster  Macht  und  Blüthe  stand,  erwuchsen 
Hochschulen  in  Menge i)  —  1585  die  Universität  zu  Franeker,  1614  die 
zu  Groningen,  1636  die  von  Utrecht,  1648  die  von  Harderwijk; 
1629  bekam  's  Hertogenbosch  eine  hohe  Schule  mit  medizinischem  Unter- 
richt, 1650  Middelburg,  1630  Deventer,  1632  Amsterdam  (das 
Athenaeum  illustre),  1646  Breda.  Alle  diese  Hochschulen  gingen 
wieder  unter,  in  und  nach  der  französischen  Revolution,  jedenfalls  durch 
die  Verfügung  Napoleons,   vom  Jahre  1811. 

Nach  dem  Wiener  Frieden  wurden  auf  Anregung  von  Wilhelm  I., 
König  der  vereinigten  Niederlande,  durch  das  im  Jahre  1815  erlassene 
»Gesetz  für  den  höheren  Unterricht«  drei  vollständige  Reichs-Hochschulen 
zu  Leiden,  Utrecht  und  Groningen  errichtet. 

Im  Jahre  1877  wurde  das  Athenaeum  zu  Amsterdam  in  eine  freie 
Universität  umgewandelt,  mit  gleichen  Einrichtungen  und  Berechtigungen, 
wie  sie  die  staatlichen  Universitäten  besaßen. 

§  829.     HL  Der  Unterricht  in  der  Augenheilkunde 
ist  auch  in   den   Niederlanden    während   der    ersten    größeren    Hälfte   des 

1 9.  Jahrhunderts   zumeist   in   den   Händen    der   Chirurgie-Professoren   und 
Lehrer  geblieben. 

Zum  ersten  Mal,  in  den  damals  vereinigten  Niederlanden,  ist 
1818  ein  Lehrer  der  Augenheilkunde  an  einer  Universität  angestellt 
worden,  van  Onsexdort  zu  Loewen ;  derselbe  war  übrigens  gleichzeitig 
Chirurg  und  Lehrer  der  Chirurgie  und  Augenheilkunde  an  der  militär- 
medizinischen Schule  in  der  nämlichen  Stadt.  Der  erste  Docent,  welcher 
sich  der  Augenheilkunde  allein  widmete,  war  H.  Snellen  zu  Utrecht, 
seit  1862.  Die  erste  Professur  der  Augenheilkunde  wurde  1869  zu 
Leiden  errichtet  und  D.  Doyer  anvertraut. 

Noch  im  Jahre  1843  beklagte  Willem  Mensert^),  zu  Amsterdam  »Stadt- 
Operateur  für  Star«,  z.  Z.  der  einzige  bekannte  Augenarzt  Hollands,  daß 
es  in  Holland  keinen  Ort  gebe,  wo  Jemand  sich  zum  praktischen  Augen- 
arzt ausbilden  könne. 


1)  W.  Koster,  a.  a.  0.;  vgl.  §  431.  2)  Ned.  Lancet  1842/3. 


Der  Unterricht  in  der  Augenheilkunde.  103 

So  kam  us,  daß  die  Augen-Praxis  vielfach  Pfuschern  anheim  fiel, 
von  denen  zwei  besonders  großen  Ruf  hatten,  der  Pfarrer  J.  L.  A.  Kkemer 
und  der  Optiker  G.  A.  Hess  zu  Middelburg  •). 

Dem  bekannten  Augenarzt  Carrgn  du  Villards  aus  Paris  wurden  von 
den  Gemeinden  zu  Nijmegen ,  Amsterdam  u.  a.  ISii  und  1845  Räum- 
lichkeiten zur  Behandlung  und  Operation  von  Augenkranken  zur  Verfügung 
gestellt  und  seine  Anwesenheit  als  eine  Wohlthat  betrachtet'-^). 

Kein  Geringerer  als  Dondeks  klagte  I.S5I,  daß  es  z.  Z.  in  ganz  Hol- 
land nicht  einen  einzigen  Augenarzt  gäbe,  der  des  allgemeinen  Vertrauens 
sich  zu  erfreuen  habe^^. 

Um  1852  gab  es  keine  Augen-Klinik,  keine  Augen-Heilanstalt  in  ganz 
Holland"). 

Do.NüEKs  und  S>Ei.LE>  haben  hier  Wandel  geschaffen  und  Himly's 
Forderung  erfüllt:  -Jeder  Augenarzt  soll  Arzt  sein,  jeder  Arzt  Augenarzt.« 
Es  giebt  seitdem  keinen  Arzt  in  den  Niederlanden,  der  nicht  in  seiner 
Prüfung  gezeigt,  daß  er  theoretischen  und  praktischen  Unterricht  in  der 
Augenheilkunde  erhalten  hat. 

Im  Anfang  des  von  uns  betrachteten  Zeitabschnitts,  d.  h.  im  Jahre 
1800,  konnte  man  die  ärztlichen  Studien  entweder  in  einer  der  vielen 
Universitäten  und  Hochschulen  (Leiden,  Franeker,  Groningen,  Utrecht,  Harder- 
wijk),  im  Athenaeum  zu  Amsterdam  vollenden,  oder  an  einer  der  zahlreichen 
klinischen  Schulen  (zu  Rotterdam,  Middelburg,  Haarlem  u.  a.)  oder  an 
der  militär-medizinischcn  Schul»'  zu  Utrecht. 

Während  der  fünfziger  Jahre  lehrte  M.  Poi.anu  Augenheilkunde  in  der 
klinischen  Schule  zu  Rotterdam;  in  der  1828  gestifteten  zu  Amsterdam  hat 
G.  B.  TiLANüs  in  besondren  Stunden  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  ertheilt. 

Das  Gesetz  über  die  Ausbildung  der  Ärzte  vom  Jahre  1865  hob  diese 
Schulen  auf  und  setzte  fest,  daß  Ärzte  nur  in  Leiden,  Utrecht,  Groningen 
und  Amsterdam  ausgebildet  werden  können. 

Die  medizinische  Militär-Schule  zu  Utrecht  wurde  damals  dem  Athe- 
naeum zu  Amsterdam  einverleibt,  das  dann  187(3  zur  Universität  erhoben  wurde. 

1)  §  852. 

2)  Vgl.  unseren  §  068,  S.  HO;  A.  d'Oc.  XII,  S.  3-2  und  XIII,  S.  286. 

Die  letztgenannte  Stelle  lautet:  »La  Haye.  M.  Carron  du  Villards  est  en 
ce  moment  a  Nymegue.  On  se  ferait  difficilement  une  idöe  du  nombre  prodi- 
gieux  d'ophthalmiques  indigents  qui  ont  ete  soignes  gratuitement  par  cet  oculiste, 
tant  ä  Nim^gue.  qu'ä  Amsterdam,  Brielle,  Bois-le-Duc,  Maastricht,  oü  il  a  sejourne 
anterieurement.  La  pr^sence  de  M.  Carron  en  Hollande  est  consideree  comme 
un  vöritable  bienfait  par  les  malheureux  auxquels  il  vient  en  aide,  et  par  les 
chirurgiens  qui  sinstruisent  ä  son  contact. 

Aussi  le  gouvernement  ne  n^glige-t-il  rien  pour  lui  faciliter  lesmoyens  .  .  .  Xz.< 
Ich  glaube,  daß  Hr.  Carron  dem  Hrn.  Xz  etwas  von  diesem  Text  ein  ge- 
hl äsen  hat. 

13)  van  Onsenoort  war  184'!  verstorben;  Mensert  1848. 
4)  A.  d'Oc.  XXVm,  S.  44.    (GoRNAz.) 


104  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

Das  Gesetz  von  1867  über  den  Hochschul-Unterricht  bestimmte  auch, 
daß  wenigstens  an  einer  Universität  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  zu  er- 
theilen  sei. 

Die  Hochschulen  der  Niederlande. 
Ihre  Leistungen    für    die  Augenheilkunde    des  19.  Jahrhunderts. 

§  830.  Die  Friesische  Hochschule  zu  Franeker,  1585  gestiftet i), 
1811  aufgehoben,  ist  wohl  den  meisten  Ärzten  unsrer  Tage,  namentlich 
außerhalb  Hollands,  kaum  dem  Namen  nach  bekannt,  —  ebenso  wenig  das 
7  km  von  der  Nordsee  gelegene,  alterthümliche  Städtchen,  welches  1901 
nur  7187  Einwohner  zählte. 

Aber  in  der  Geschichte  der  Heilkunde  ist  die  Universität  berühmt. 
GovERT  BiDLOO  hat  1682  hier  studirt  und  den  Doktor  erworben.  Der 
berühmte  Peter  Camper  war  hier  Professor,  von  1749 — 1755. 

1796  wurde  diese  Universität  neu  eingerichtet,  wie  ich  aus  der  Vor- 
rede von  Ens'  Diss.  schließen  muß. 

Hier  wurde,  am  15.  Mai  1769,  Johannes  Mülder  (1)2)  geboren,  der 
1790  zum  Doktor  der  Philosophie  und  Febr.  179i  zum  Doktor  der  Heil- 
kunde promovirt,  schon  im  März  desselben  Jahres  zum  Lector  der  Anato- 
mie, Chirurgie  und  Geburtshilfe  in  Leeuwarden  ernannt  und  1797  als 
Professor  nach  Franeker  berufen;  dann  1808  von  König  Louis  in  Groningen 
als  Prof.  der  Anatomie,  Chirurgie,  Geburtshilfe  und  Physiologie  angestellt 
wurde,  aber  bereits  im  Nov.  1810  gestorben  ist,  in  der  Blüthe  des  Lebens. 

Mulder  war  ein  ausgezeichneter  Wundarzt  und  Gelehrter,  hat  aber 
sehr  wenig  geschrieben. 

Sehr  berühmt  war  er  wegen  seiner  Geschicklichkeit  in  Augen-Opera- 
tionen. Zur  Ausziehung  bediente  er  sich  eines  kleineren  Messers  und  der 
Fliete;  er  verwirft  Beer's  Ausziehung  innerhalb  der  Kapsel  3),  verurtheilt 
VAN  Wy's  Star-Schnepper^)  und  will  die  Auflösung  (Discission)  nur  für 
Kinder  gelten  lassen. 

Ihm  gelang  es,  bei  enger  und  nicht  zu  erweiternder  Pupille^)  erst 
der  Iris  mittels  einer  feinen  Schere  zwei  wagerechte  und  zwei  senkrechte 
Schnitte  beizubringen,  die  Zipfel  zu  entfernen,  dann  den  Star  herauszu- 
ziehen und  schheßlich  die  getrübte  Kapsel  fortzunehmen,  —  mit  vollkom- 
menem Erfolge. 

Vgl.  Overzigt  van  de  voornaamste  gevallen,  welke  in  het  heel-  en  vroed- 
kundig  academiseh  ziekenhuis  te  Groningen  van  1809  — 1810  door  Johannes 
Mulder  zijn  waargenomen,  door  Claas  Mclder,  Amsterdam    1824. 


1)  §  431,   S.  260. 

2)  Biogr.  Lex.  IV,  310  —  311   (C.  E.  Daniels). 

3)  Vgl.  §  469. 

4)  §  845. 

sj  §  350,  §  51 6,  J.  Daviel  ;  §  378,  S.  89,  J.  Janin  ;  §  424,  S.  223  u.,  A.  G.  Richter. 


Die  Hochschule  zu  Franeker.     Jo.  Mulder  (I),  S.  Ens.  105 

Johannes  Muldkk  (I),  1769  —  1810,  Prol.  der  Chir.  zu  Franeker  und  Gro- 
ningen, hatte  einen  berühmten  Sohn:  Claas  Mulder  (1796 — 1867),  Arzt  und 
Prof.  der  Botanik,  Chemie,  Pharmaeie  zu  Franeker,  seit  1841  Prof.  der  Chemie 
zu  Groningen. 

GERAitbis  Johannes  .Mulder  M  802  —  1 8  80),  Arzt  und  seit  1841  Prof.  der 
Chemie  zu  Utrecht;  und  Jan  Andiues  Mulüeu  (II),  (1807 — 1847),  seit  1841 
Lector  und  seit  18  46  a.  o.  Prof.  der  Chir.  zu  Utrecht,  waren  Söhne  eines 
Wundarztes  zu  Utrecht. 

Märten  Edsge  Mlldeu  (III),  geb.  1847,  wurde  1878  Privatdocent,  1880 
Leclor,    1890   Prof.  der  Augenheilkunde  zu  Groningen. 

Die  drei  mittelst  römischer  Zillern  von  mir  unterschiedenen  Männer  haben 
auf  unsrein  Gebiet  sich  hervorgethan.  Der  Name  Mulder  ist  sehr  häufig  in 
den  Niederlanden.) 

Nach  Mensert  (1827)  war  Johannes  .AIuldkr  der  erste  Niederländer, 
der  am  lebenden  Auge  eine  künstliche  Pupille  gebildet. 

Als  .lo.  Mulder  1808  nach  Groningen  gegangen,  blieb  seine  Stelle  erst 
unbesetzt,  weil  viele  das  Amt  ausschlugen,  bis  am  5.  März  1801)  Sicco 
Ens  (1779 — 1842)^'  die  Professur  übernahm. 

Am  22.  Oktober  1811  wurde  die  Universität  zu  Franeker  durch  Kaiser 
Napoleon  aufgehoben,  1815  als  Schule  zweiten  Hanges  (Alhenaeum)  wieder 
eröffnet.  An  dieser  wirkte  Ens  als  Prof.  der  Medizin,  Wundarzneikunst  und 
Geburtshilfe  bis  zu  seinem  Tode  (18  i2),  und  beschäftigte  sich  auch  mit  der 
Ausbildung  der  Land-Wundärzte  (plattelands-heelmeesters).  Im  folgenden 
Jahre  wurde  das   Athenaeum  endgültig  aufgehoben. 

Sicco  Ens  war  der  Sohn  eines  Dorf-Predigers,  hatte  7  Jahre  studirt, 
bis  zu  st'iner  Promotion,  hauptsächlich  unter  Muloer  und  Allard.  Außer 
seiner  Dissertation  und  drei  Rektorats-Reden  hat  er  nichts  verütVentlicht. 
Nach  Daniels  hatte  er  »großen  Ruf  als  Arzt  und  Operateur,  obwohl  er 
ein  roher,  unangenehmer  Mann  war«. 

Seine  wichtigste  Veröffentlichung  war  Historia  extractionis  cata- 
ractae,  Autore  Siccone  Ens,  Worcumi  Frisiorum,  1803.  (313  S.  mit 
0  Tafeln  2).) 

In  der  Vorrede  erklärt  er,  daß  er  diese  Operation  oft  von  seinem 
Lehrer  Mulder  ausführen  sah,  daß  dieser  ihm  die  Quellen  angab  und  zur 
Verfügung  stellte  3)  und  bei  schwierigen  Punkten  der  Arbeit  seine  Hilfe 
gewährte. 

Der  erste  Theil  der  Abhandlung  umfaßt  die  Geschichte.  Daviel  er- 
hält,  mit  Recht,   die  Palme.     Dann   folgt  die  Beschreibung  der  Verfahren 

1)  Biogr.  Lex.  VI,  751.    (Daniels.) 

2)  Für  gefl.  Übersendung  dieser  in  unsrer  Univ.-Bibl.  nicht  vorhandenen 
Dissertation  bin  ich  Herrn  Kollegen  van  der  Hoeve  zu  besondrem  Danke  ver- 
pflichtet. 

3)  Bemerkenswerth  scheint  mir  der  Bücher-Reichthum  einer  so  kleinen  Uni- 
versität. 


106  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

von  Garengot  (viereckiger  Lappen),  La  Faye,  Poyet,  Sigwart,  Sharp,  War- 
ner, YoüNG,  Tenon,  Berenger  (mit  Messer  und  Gabel),  ten  Haaf,  Palucci 
(Nadelmesser),  Pellier,  W£nzel,  Colombier,  A.  G.  Richter,  Grandjean, 
Pamard,  Acrel,  Vogel,  Reichenbach,  Jericho,  de  Witt,  Guerix,  Lobstein, 
Jung,  Janin,  Hellmann,  Durand,  van  Wy,  Casaamata,  Mohrenheim,  Mursinna, 
Siegerist,  Butter,  Bell,  Wathen,  Gleize,  Phipps,  Cline,  Ware,  Barth, 
Schmidt,  Schiferli,  Beer  (intracaps.),  Arnemann,  Helling. 

(Da  alles  Wesentliche  dieser  Verfahren  schon  von  uns  erörtert  ist, 
brauchen  wir  hier  auf  Einzelheiten  nicht  einzugehen.) 

Der  zweite  Theil  von  Ens'  Arbeit  enthält  die  Epikrise,  d.  h.  dasjenige, 
was  nach  seinem  Urtheil  das  beste  scheint. 

Von  Augenhaltern  empfiehlt  er  am  meisten  den  Lidheber  von  Pellier 
aus  Draht  oder  den  von  Jericho,  der  eine  gebogene  Metall- Platte  darstellt; 
und  den  DsMOURs'schen  Ring  mehr,   als  den  BERENGER'schen  Doppelhaken. 

Der  Schnitt  umfaßt  die  untere  Hälfte  der  Hornhaut.  Das  RicHTER'sche 
Messer  ist  das  beste.  Ein  geschickter  Wundarzt  bedarf  keines 
Schneppers.  Von  den  Cystitomen  scheint  das  von  la  Faye  am  sicher- 
sten zu  wirken.     Der  Linsen-Austritt  soll  langsam  geschehen. 

Die  BEER'sche  Ausziehung  des  Stars  in  seiner  Kapsel  wird  nicht  ge- 
billigt. 

Als  Dissertation  eines  angehenden  Wundarztes  verdient  die  Schrift  von 
Ens  das  höchste  Lob.  Sie  war  auch  für  ihre  Zeit  verdienstvoll,  sogar 
neben  Pellier's^)  Operations-Kurs  von  1789/90,  den  Ens  nicht  gekannt, 
und  lehrreich  durch  die  Abbildung  zahlreicher  Instrumente;  ja  sie  ist  noch 
heutzutage  interessant  in  geschichtlicher  Hinsicht. 

Daß  sie  aber,  wie  C.  E.  Daniels  anführt,  »noch  heute  als  klassische 
Arbeit  gilt«,  dürfte  doch  zu  viel  gesagt  sein.  Originales  vermag  ich  darin 
nicht  zu  entdecken. 

§  831.     Die  Geldern'sche  Hochschule  in  Harderwijk, 
die   1648  gestiftet  worden,   niemals   sehr  blühend   gewesen  und   1811    der 
Auflösung  verfiel,  hatte  im  Anfang  des  1 9.  Jahrhunderts 

Pieter  Jacobus  van  Maanen  (1770  —  '1854)2» 
als  Professor  der  Medizin,  Anatomie,  Chirurgie  und  Geburtshilfe. 

Derselbe  hatte  in  Leiden  und  London  studirt,  war  1794  promovirt, 
1796  zum  Professor  nach  Harderwijk  berufen  und  wirkte  hier  zehn  Jahre 
lang.  Im  Jahre  1806  zum  Professor  in  Groningen  ernannt,  mußte  er  auf 
Befehl  des  Königs  Louis  diese  Wahl  ablehnen  und  1 808  als  General-Kommissar 
der  ärztlichen  Dienste  und  Leibarzt  nach  Amsterdam  übersiedeln.  Im 
Jahre  1810  nahm  er  am  dortigen  Athenaeum   die  Professur  der  Chirurgie 


1)  Vgl.  §  381.  2)  Biogr.  Lex.  IV,  73  (C.  E.  Daniels) 


Ens,  Über  Star-Aasziehung.  —  Harderwijk,  Groningen.  1(J7 

.n,  legte  dieselbe  aber  IH13  nieder,  da  er  die  nothwendigen  Verbesse- 
•ungen  nicht  durchsetzen  konnte,  und  lebte  der  ärztlichen  Praxis.  Hoch- 
jetagt  ist  er  1854  verstorben. 

Im  Jahre  1794  gewann  er  eine  Preis-Denkmünze  von  der  Bataafschen 
Gesellschaft  zu  Rotterdam,  mit  der  Abhandlung 

»Ovcr  het  gebruik  van  hrillen  en  oogglazen«, 
he  1798  zu  Rotterdam  erschienen  ist. 

In  den  ersten  beiden  Kapiteln  handelt  er  vom  Augf  im  gesunden  und 
m  kranken  Zustand;  darauf  von  dem  Einfluß  der  Brillen-Gläser,  v.  M. 
vvarnt  vor  zu  häufigem  Gebrauch  von  Brillen  und  vor  der  Unsitte  der 
Lorgnetten:  er  räth,  niemals  eine  Brille  zu  kaufen,  ohne  einen  tüchtigen 
\rzt  zu  Hilfe  zu  ziehen.  Also  war  v.  M.  vielen  seiner  Zeit-Genossen  und 
Nachfolger  in  dieser  wichtigen  Frage  weit  überlegen'). 

Sein  Nachfolger  in  Harderwijk  war  GERHARnis  Franciscus  Sueümann 
1783—1862)2),  der  nach  Aufhebung  der  Universität  (1811)  der  ärztlichen 
Praxis  sich  widmete,  bis  er  (I8I61  nach  Utrecht  berufen  wurde. 

§  832.     An  der    IC14  gestifteten 

Universität  zu  Gioningen 
war   1800  Professor  der  Anatomie,  Chirurgie  u.  s.  w. 

Wtxgldus  Munniks  (1744 — 1806)'», 
und  von  1808—1810  Johannes  Muldbr  (I).     (§  830.) 
Als  Prof.  der  inneren  Medizin  wirkte  von  1794 — 1831 

EvERT  Jan  Thomassen  ä  Thuessink  (1762  — 1832)*', 
der   Begründer  des   klinischen   Unterrichts   an   der    Universität   Groningen. 
In  seinem    Bericht  über    die  im  akademischen   Krankenhaus  beobachteten 
Krankheiten  (1805)  hat  er  von  der  Ophthalmie  ausführlich  gehanrlelt. 

Nach  JoH.  Mulder's  Tode  (1810)  übernahm  sein  Assistent,  der  ehe- 
malige 

Militär-Arzt  Petrus  Hendricksz  (1779 — 1843)^) 
einen  Theil    der  "Vorlesungen;    wurde  1815  zum    Lector,    1818  zum  a.  0., 
1829  zum  ordentlichen   Professor  der  Chirurgie  und  Geburtshilfe  ernannt. 

Von  1828  an  hielt  er  Sonder- Vorlesungen  über  Augen-Heilkunde. 

1832  trat  er  freiwillig  zurück,  um  sich  ganz  der  augenärztlichen 
Praxis  zu  widmen,  und  lebte  auf  seinem  Landgut  Zuijderburgh  bei  Haag, 

1)  Vgl.  m.  Einführung,  I,  S.  84. 
i]  Biogr.  Lex.  II,  579. 

3)  Biogr.  Lex.  IV,  316. 

4)  Biogr.  Lex.  V,  662. 

5)  Biogr.  Lex.  III,  148. 


108  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

das  er  als  Augen-Heilanstalt  einrichtete.  Er  gewann  großen  Beifall.  1843 
ist  er  gestorben. 

Geschrieben  hat  er  wenig.  In  seinem  Bericht  über  die  1815 — 1817, 
im  akademischen  Krankenhaus  vorgenommenen  Operationen  (Amsterdam 
1823)  zieht  er  die  Star-Ausziehung  vor,  für  die  er  eines  verbesserten 
Star-Schneppers  sich  bediente. 

Die  A.  d'Oc.  verzeichnen  ihn  als  Mitarbeiter  für  Holland,  doch  ent- 
halten sie  keine  Mittheilung  von  demselben. 

Nachfolger  von  Hendricksz  wurde 

AüGUSTUs  Arnoldus  Sebastian  (1805—1861)1', 
Sohn  von  T.  J.  Ch.  Sebastian,  ehemaligem  Lector  an  der  miUtär-medizinischeni 
Schule  in  Leiden,  späterem  Professor  der  Medizin  in  Heidelberg,  wurde  Lecton 
für  Anatomie  und  Physiologie  an  der  militär-medizinischen  Schule  in  Ut- 
recht und  hatte  in  Groningen  Anatomie,  Physiologie,  Pathologie,  patholo- 
gische Anatomie,  theoretische  und  praktische  Chirurgie  zu  lehren. 

Er  hielt  auch  Sonder- Vorlesungen  über  Augenheilkunde. 

Da  ihm  1849  die  Anstellung  eines  Hilfslehrers,  die  er  wegen  seiner 
Kränklichkeit  beantragt  hatte,  verweigert  wurde;  so  nahm  er  seinen  Ab- 
schied und  ließ  sich  als  Arzt  in  Amsterdam  nieder. 

Sebastian  hat  lateinische  Lehrbücher  über  allgemeine  und  specielle' 
Physiologie  geschrieben  (1835,  1839),  aber  nichts  über  Augenheilkunde  uns 
hinterlassen,  abgesehen  von  zwei  Dissertationen,  aus  den  Jahren  1843  und 
1844: 

J.  T.  E.  ScHAEPMANN,  De  Ophthalmia  periodica.  M.  Spree,  De  cor- 
poris vitrei  in  oculo  humano  ossificatione. 

Auch  Sebastian  steht  in  den  A.  d'Oc.  (vom  12.  Bande  ab)  als  Mit- 
arbeiter für  Holland,  hat  aber  nichts  darin  veröffentlicht. 

Sein  Nachfolger  wurde 

Jan  Hissink  Jansen  (1816—1885)2' 
der    die    Professur    der  Anatomie    und   Physiologie  von   1850—1879  ver- 
waltete.    Auch  er  hielt  Sonder-Vorlesungen  über  Augenheilkunde. 

Jansen  gab  mit  Donders  »Nederlandsch  Lancet«  heraus  und  hat 
zahlreiche  Werke  (von  Roser,  Wunderlich,  Günther)  in's  Holländische  über- 
setzt; aber  nur  unbedeutende  Beiträge  zur  Augenheilkunde  geliefert. 

Aus  einem  klinischen  Bericht  für  1850—1852  (N.  Lancet  1852  —  53) 
ersehen  wir,  daß  er  in  diesen  Jahren  nur  22  poliklinische  und  22  klini- 
sche Fälle  von  Augenkrankheit  behandelte.  Unter  den  letzteren  waren  elf 
Stare,  die  er,  nach  besondrer  Wahl,  mittelst  der  Niederdrückung  oder  der 
Ausziehung,   beseitigte.     Für  die  letztere  benutzte   er   den  Star-Schnepper. 

1)  Biogr.  Lex.  V,  334.     (C.  E.  Daniels.) 

2)  Biogr.  Lex.  III,  385. 


Martin  Edsge  Mulder  (III).  109 

§  8.}3.  Als  Jansen  1879  zurücktrat,  war  schon  ein  Augenarzt  in 
ii Illingen  wirksam,  ein  Schüler  von  Donders  und  Snei.len, 

Märten  Edsge  Mulder  (III)  (geb.  1847). 

Derselbe  schrieb  1874  seine  Doktor-Arbeit  über  die  llollbewegungen 
I  -  Auues,  di.'  auch  im  Arch.  f.  0.  (XXI,  I,  S.  68—124,  1875)  erschie- 
iL'ii  ist. 

(M.  untersuchte  die  Grüße  der  Rollungen  der  Augen  um  die  Gesichts- 
inie  bei  seillichen  Neigungen  des  Kopfes,  im  Anschluß  an  die  früheren 
j'ntersuchungen  von  Nagel  und  Skrebitzky,  indem  er  von  der  Primär- 
jtellung  ausgeht,  die  Bewegungen  des  Kopfes  ausschließlich  um  eine  auf 
1er  Mitte  der  Grundlinie  errichteten  Normale  als  Achse  ausführen  läßt. 
)ie  Rollbewegung  der  Augen  nimmt  ungefähr  proportional  der  Neigung 
les  Kopfes  zu ;  sif  liefert  bei  seitlicher  Neigung  einen  Faktor  für  unsre 
Vorstellung  über  die  Richtung.) 

Im  Jahre  1 875  ließ  M.  sich  in  Groningen  nieder,  wurde  1 878  Privat- 
)ocent,   1880  Lector  und   1890  Professor  der  Augenheilkunde. 

Lehrmittel  fehlten  vollständig. 

Aber  es  gelang  M.  E.  Milder,  1879  eine  Einrichtung  für  minderver- 
nügende  Augenlcidende  zu  gründen,  die  1884  und  1900  vergrößert  wurde 
jnd  jetzt,  mit  3i  Betten,  zur  Behandlung  und  zum  Unterricht  ausreicht. 

M.  E.  Mulder  hat  verschiedene  Abhandlungen  veröffentlicht  und  Dis- 
sertationen angeregt. 

A. 

I.  Eenige  beschouwingen  omtrent  het  onderwijs  in  de  oogheelkunde,  Gro- 
ningen  1890.    (32  S.) 

2. — 4.  Melanosarkom  der  Aderhaut,  sympathische  Entzündung  des  Sehnerven, 
hinterer  Polar-Star  beim  Kaninchen.  Niederländische  Gesellsch.  d. 
Augenärzte,  13.  Dez.  1896;  A.  dOc.  LXVII,  S.  52. 

5.  Ein  Fall  von  Lenticonus  posterior,  anatomisch  untersucht.  Klin.  M.  El. 
XXXV,  409,  1897. 

6.  De  la  rotation  compensatrice  de  Toeil  .  .  .     Arch.  d'Opht.  XVII,  465,  1897. 

7.  Nastaar-Operatie.    Nederl.  oogheelk.  Bijdragen,  zesde  aflevering,  1898. 

8.  Jahresberichte  der  Augen-Heilanstalt  lür  1898,  1899  u.  s.  w. 

9.  Bleph.  ciliar,  und  demodex.     Ned.  Tijdschr.  v.  Gen.  II,  803,  1899. 

10.  Exophth.  mit  Pulsation   des  Auges.     Intern.   Ophth. -Kongreß  zu  Utrecht. 
Z.  f.  Augenh.,  Beilageheft  II,  1899. 

11.  Blepharo-sphinkterektomie  gegen  Kerat.  trachom.  u.  scrof.    Klin.  M.  Bl.  f. 
A.   1900,   S.   727. 

12.  Unser  Urteil  über  Vertikal  bei  Neigung  des  Kopfes  nach  rechts  oder  links. 
Groningen  1898. 

13.  Über  intermittirende  Exophthalmus  mit   Pulsation   des  Auges.     Klin.  M. 
Bl.  1909. 

14.  Retinitis  pigmentosa  bij  doofstommen.     Tijdschr.  v.  Geneesk.  19ö2. 

15.  Ein  neuer  Astigmometer.     Klin.  M.  Bl.  1903. 

16.  Prophylaxe  in  de  Oogheelkunde,  Redevoering  1908. 

17.  Bibliotheca  Ophthalmologica  van  de  Inrichting  voor  ooglijders  te  Groningen 
1904  en  1910, 


I 


110  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  < 800— 1875, 

B. 

1882.   Reddingius  (R.  A.),  Ophthalmologische  Untersuchungen  von  Schülern  am 
Institut  für  Taubstumme  in  Groningen. 

1884.  Daubanton  (J.  D.),  Exenteratio  bulbi  nach  Dr.  Mulder. 

Kremer  (H.  J.),  Die  Augen  der  Schüler  von  der  höheren  Bürgerschule  und 
vom  Gymnasium  in  Groningen. 

1885.  Kremer  (H.),  Die  Augen  der  Studenten  der  Reichs-Universität  in  Groningen. 
1892.   Wiers  (H.  C.),  Über  den  Ruhestand  der  Augen. 

1894.  Reddingius  (R.  A.),  Über  Mikropie. 

1895.  Bekenkamp,  (H.  H.),   Die   Ursachen   für  Blindheit   in   der  Provinz  Gro- 

ningen. 
1907.   H.  J.  Kuinders,  Extirpation  des  Thränensackes. 

Im  Jahre  1913  trat  Mülder  freiwillig  zurück;   sein  Nachfolger  wurdej 

J.    VAN    DER    HOEYE. 

§  834.  In  der  Universität  zu  Leiden,  der  ältesten  Hollands,  die 
schon  1 575  begründet  worden,  war 

Meinard  Simon  du  Püij  (1754—1834)1) 
seit  1791   a.  o.  und  seit  1795  o.  Professor  der  Chirurgie  und  Geburtshilfe,! 
bis  1826.  I 

Im  Jahre  1810  empfahl  er  die  Niederlegung  des  Stars.      (HoU.  Maat-i 
seh.  V.  Wetensch.  I,  149.) 

Sein  Nachfolger  war 

Jacobus  Cornelis  Broers  (1795 — 1847)2» 
von  1826  —  1847.    Derselbe  bewährte  sich  als  ausgezeichneter  Lehrer;  doch 
hatte  er    im  Jahre   1827   nur  5   Augenkranke   im  akademischen  Kranken- 
hause,  —  darunter   2    mit   Hornhautflecken,   die   er   mit  Einträuflung  von 
Land.  liq.  Syd.  erfolgreich  behandelte. 

Sein  Nachfolger  wurde  (1847  —  1869) 

Frederik  Willem  Krieger  (1805 — 1881)3). 

Aus  der  Dissertation  von  H.  F.  van  de  Ven  (1851)  entnehmen  wir, 
daß  Krieger  von  1849 — 1851  unter  111  Augenkranken  24  Stare  hatte; 
seine  Operation  war  die  Niederdrückung. 

Gegen  centrales  Leukom  verrichtete  er  die  Iridektomie,  in  4  Fällen, 
wie  die  Dissert.  von  W.  T.  Büchner  aus  dem  Jahre  1858  nachweist. 

§  835.  Als  Krieger  1869  wegen  schwerer  Erkrankung  (Melancholie) 
seine  Entlassung  nehmen  mußte,  wurde,  als  erster  in  Holland,  ein  Pro- 
fessor der  Augenheilkunde  angestellt. 


1)  C.  E.  Daniels  (biogr.  Lex.  IV,  634)  schreibt  du  Püi. 

2)  Biogr.  Lex.  I,  583. 

3)  Biogr.  Lex.  III,  552.    (C.  E.  Daniels.) 


Leiden.     Derk  Doyer.  111 

Derk  Doybr  (1827—1896)1), 
schon  in  der  militär- medizinischen  Schule  von  dem  noch  sehr  jungen 
DoNDERS  unterrichtet,  1851  promovirt,  wurde  als  Militür-Arzt  nach  Indien 
gesendet,  und  zwar  dem  großen  Hospital  zu  Batavia  zugetheilt,  wo  er 
nicht  blos  Kranke  zu  behandeln  hatte,  sondern  auch  an  der  Schule  für 
javanische  Arzte  (siehe  §851A)  Anatomie,  Physiologie  und  Chirurgie  (in 
malayischer  Sprache)  zu  lehren  hatte. 

Die  Nachricht,  daß  Donders  zum  Professor  der  Physiologie  in  Utrecht 
ernannt  worden  und  unter  dem  überwältigenden  Eindruck  der  Erfindung 
des  Augenspiegels  sich  der  Augenheilkunde  zugewendet,  veranlaßte  D. 
Doyer  einen  Urlaub  zu  erbitten.  Im  .lahre  1860  kehrt  er  nach  Utrecht 
zurück,  folgt  mit  Entzücken  dem  theoretischen  und  praktischen  Unterricht 
in  der  Augenheilkunde,  wie  er  am  »Gasthuis«  gegeben  wurde,  macht  sich  als 
Hilfsarzt  bei  der  Abfertigung  der  Kranken  nützlich  und  betheiligt  sich  mit 
Eifer  und  Geschick  an  den  Messungen  mit  dem  HKLMHOLTz'schen  Ophthal- 
mometer 2),  die  DoNDKRS  zur  Untersuchung  des  Astigmatismus  und  der 
andren  Refraktions-Stürungen  begonnen  hatte;  und  erforschte  auch,  zu- 
sammen mit  seinem  Meister,  die  Lage  des  Drehpunkts'). 

Nur  ungern  sahen  Donders  und  Snellkn  ihn  scheiden,  als  er,  nach 
272Ji'itirigem  Aufenthalt  zu  Utrecht,  wieder  nach  Batavia  zurückkehren 
mußte.  Aber  er  blieli  dort  nicht  lange  im  Militär-Dienst,  da  dieser  enge 
Wirkungskreis  ihm  nicht  zusagte.  Er  erbat,  unter  Verzicht  auf  Ruhege- 
halt und  auf  die  nahe  bevorstehende  Beförderung,  seinen  Abschied  und  ließ 
sich  in  Batavia  nieder,  wo  er  bald  eine  glänzende  Praxis  gewann.  In  kurzer 
Zeit  erringt  er  seine  wirthschaftliche  Unabhängigkeit;  es  treibt  ihn  der 
Ehrgeiz  und  das  Verlangen,  in  Europa  auf  (irund  der  Augenheilkunde  sich 
eine  neue  Lebensstellung  zu  schallen. 

Im  Alter  von  42  Jahren,  am  15.  Jan.  1869,  tritt  er  die  Heimfahrt 
an;  schon  auf  der  Reede  von  Nieuwediep  erfährt  er,  daß  er  bei  der  Re- 
gierung für  eine  außerordentliche  Professur  der  Augenheilkunde  an  der 
Reichs-Universität  zu  Leiden  in  Vorschlag  gebracht  worden  ist. 

Mit  Eifer,  ja  mit  Leidenschaft  hat  er  sich  diesem  Amt*)  gewidmet. 
Er  lebte  und  arbeitete  nur  für  seine  Schüler  und  seine  Kranken. 

1872  übernahm  er  noch  dazu  den  Unterricht  in  der  Ohrenheilkunde; 
1877  wurde  er  zum  ordentlichen  Professor  ernannt. 

^)  Biogr.  Lex.  VI,  711.  (C.  E.  Daniels.)  Bei  Helmholtz  und  in  den  A.  d'Oc. 
ist  DoiJER  gedruckt,  auch  in  den  Klin.  M.  Bl.  1897  (H.  Snellen).  —  In  Memoriam 
Prof.  Dr.  D.  Doijer,  von  H.  Snellen,  Klin.  M.  Bl.  f.  A.  1897,  S.  65—70.  (Ein  Denk- 
mal der  Freundschaft  und  Liebe.    Für  mich  die  Haupt-Quelle.) 

2)  Vgl.  die  Anomalien  der  Refr.  und  Akkommod.  von  F.  C.  Donders,  i866, 
S.  159  u.  392. 

3)  Jaarverslag  v.  h.  N.  gasthuis  v.  o.,  Utrecht  1862. 

4)  Seine  Antritts -Vorlesung  behandelte  »Die  Entwicklung  der  Augenheil- 
kunde«. 


112  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

Dabei  hatte  er  stets  mit  Unzulänglichkeit  der  Hilfsmittel  und  der  ihm  i 
zur  Verfügung  stehenden  Räumlichkeiten  zu  kämpfen.    Es  gab  weder  einen   ' 
besonderen  Operations-Raum  noch  eine  Arbeits-Stätte.    Wegen  beschränkter 
Zahl    der   Hilfsärzte   mußte   er   ganz   aufgehen   in    die   tägliche  Arbeit   der 
Klinik.      So    fehlte    es    an   Zeit  und  an   Hilfsmitteln   zu    wissenschaftlicher 
Arbeit. 

Große  Willenskraft,  unantastbare  Ehrenhaftigkeit  und  treue  Anhäng-  ; 
lichkeit  an  seine  Freunde  sind  die  Eigenschaften,  die  Snellen  ihm  beson-  ; 
ders  nachrühmt. 

Am   2.  Okt.   1894    feierte   Doyer   sein    25 jähr.  Professoren-Jubiläum,  ,i 
unter  den  Huldigungen    seiner   Schüler   aus  beiden  Fächern.      Danach  be- 
gann seine  Kraft  nachzulassen. 

Anfangs   1895   nimmt  er  seine  Entlassung,   am   21.  Dez.  d.  J.  ist  er 
sanft  entschlafen. 

DoYEK   hat   also   als   Professor   nur   einige   kleinere   Arbeiten   veröffentlicht 
und  mehrere  Dissertationen  veranlaßt. 


1.  Zur  Brillen-Frage.    Festschrift  für  Donders,  1888,  S.  60 — 75. 

2.  Embolie  der  Central-Arterie  der  Netzhaut.    Niederländ.  Ges.  d.  Augenh. 

1894,  A.  d'Oc.  CXI,  137, 

3.  Boerhaave's  Leben.    Ebendas.  CXIII,  192. 

B. 

1870.   Hartog  (C),  Das  Auge  im  Verhältnis  zur  Refraction. 

J.  van  der  Hoeven,  Conjunctivitis  diphteritica. 

Vermande  (L.;,  Über  Iridemia  congenita. 
1873.    van  Deinse  (B.l,  Über  Keratoconus. 

van  Rhyn  (A.  J.),  Conjunctivitis  und  Trachoma. 
1875.   Hui sh off  (S.  K.),   Die  Augenkrankheit   im  Heiligen  Geist-Waisenhaus   '/.u 
Leiden. 

1879.  van  Haaften  (M.  W.),  Die  Bestimmung  von  Astigmatismus. 
Bylsma  (R.),  Über  die  Anwendung  von  Eserin  bei  Maculae  corneae. 

1880.  Jaarsma  (W.),  Über  die  Wirkung  von  einigen  Mydriatica  und  Myotica  auf 

die  Akkommodation  und  Größe  der  Pupille. 

1881.  Pauw  (W.),  Etwas  über  Enucleatio  bulbi. 

1882.  de  Glopper  (J.  C.  L.),  De  hydrobromale  homatropini. 

1883.  Jelgersma  (A.  J.j,   Die  Untersuchung  der   Sehschärfe  der  Männer,  ange- 

wiesen zum  Militärdienst  in  Niederland,  von  1816  bis  jetzt. 

1884.  van  Anrooy  (H.),  Die  Augen  der  Studenten  an  der  Reichs-Universität  in 

Leiden. 

1885.  Römer  (J.  A.),  Hydrochloras  cocaini. 

1886.  Hocke  (L),  Fremdkörper  im  Auge. 

1891.  Werndly  (L.  A.  H.  C),  Keratitis  diffusa  und  Hutchinson's  Zähne. 

1892.  Falkenburg  (J.),  Die  normale  Refraktion  und  ihre  normale  Schwankung. 

1893.  Steenhuizen,  Recidivirende  Oculomotorius-Lähmung. 

Zusatz.      Volkmann    ermittelte    (1836)    den    Drehpunkt    des    normalen 
Auges  etwa  5,C"'  hinter  dem  Hornhaut-Scheitel.     (Burow  fand  [1842]  5,42".) 


Utrecht.  113 

DoNDERS  und  DoYEK  bestimmten  1862  diesen  Abstand  für  E  auf  13,5  Mm; 
bei  M  bis   15,86;  bei  H  (als  kleinstes)    12,32   Mm. 

Vgl.  Helmholtz,  Phjsiol.  Opt.  1867,  S.  458,  527;  Donders,  Acc.  u.  Refr., 
1866,  S.   156. 

DoYERS  Nachfolger,  W.  Koster  Gzn.,  erhielt  eine  bessere  Augenklinik, 
als  Abtheilung  des  Reichs-Universitäts-Krankenhauses,  mit  26  Betten. 

Dies  ist  die  einzige  Reichs-Augenklinik  in  den  Niederlanden;  die  Augen- 
klinik zu  Amsterdam  ist  Eigenlhum  der  Stadt,  die  zu  Utrecht  und  Groningen 
sind  Wohlthätigkeits-Anstalten. 

§  836.  An  der  1636  zu  Utrecht  gestifteten  Universität  war  um 
1800  Prof.  der  Anatomie,  Physiologie,  Chirurgie  und  Geburtshilfe 

Jan  Bleuland  (1756—1838)1», 
ein  Arzt  von  hüchstem  Verdienst. 

Als  er  1826  sein  Amt  niederlegte,  wurde  sein  Nachfolger,  als  Prof.  der 
Anatomie  und  Physiologie, 

JaCOBUS    LUDOVICI'S    CONRADUS    ScHRGEDER    VAN    DER    KoLK  (1  797 1862)2», 

der  große  Verdienste   um   die   Augenheilkunde   sich  erworben    durch  seine 
Abhandlung 

»Anatomisch-pathologische  Bemerkungen  über  Entzündung  an  einigen 
Theilen  des  Auges,  insbesondere  über  Chorioiditis  als  Ursache  von  Glau- 
koma3).<. 

Man  muß  verstehen,  die  inneren  Entzündungen  des  Auges  zu  trennen  von 
den  äußeren.  Die  Blutgefäße  der  Bindehaut  haben  keine  direkte  Verbindung 
mit  den  inneren.  Eine  innere  Entzündung  oder  Entartung  kann  lange  be- 
stehen, ohne  die  äußeren  Theile  zu  erreichen.  Die  Aderhaut  hat  die  meisten 
Blutgefäße  und  Nerven  und  ist  deshalb  am  meisten  zur  Entzündung  geneigt. 
Aber,  da  sie  verborgen  liegt,  werden  ihre  Erkrankungen  meist  nicht  am  Le- 
benden erkannt.  Die  Entzündung  der  Aderhaut,  sogar  die  akute,  ist  bisher 
noch  nicht  als  bestimmte  Krankheit  bescluieben  worden.  Das  Glaukom  scheint 
eine  chronische  Entzündung  der  Aderhaut  mit  Ausschwitzung  von  Lymphe 
zwischen  dieser  und  der  Netzhaut  darzustellen. 

(Diese  Abhandlung  war  wichtig  für  die  Ausbildung  der  pathologischen 
Anatomie  des  Auges,  —  weniger  durch  thatsächliche  Ergebnisse  für  das  Glau- 
kom, als  durch  die  allgemeinere  Betrachtungsweise  und  die  angestrebte  Ge- 
nauigkeit.) ScHROEDER  V.  D.  K.  vcraulaßte  auch  Dissertationen  auf  unsrem  Gebiete 
wie  1832  Luchtmans,  De  mutatione  axis  oculi  secundum  diversam  distantiam 
objecti.  —   1836  van  Gerth,  De  plexibus  chorioidei. 


<)  Biogr.  Lex.  I,  485. 

2)  Biogr.  Lex.  IH.  5-27. 

3)  Verhandeling  van  het  genootschap  tot  bevordering  der  genees-  en  heel- 
kunde  te  Amsterdam,  Utrecht  1841.  Vgl.  A.  d'Oc.  XI,  S.  274.  Von  Stricker  in's 
Deutsche  übersetzt,  J.  der  Chir.  u.  Augenh.  1843,  S.  33  fgd.  Vgl.  unsren  §  521, 
S.  308. 

Handbuch  der  Augenheilknnde.   2.  Aufl.   XIV.  Bd.  (VII.)    XXIU.  Kap.  8 


114  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  4  800—1875. 

Gerardus  Franciscüs  Suerman  (1783 — 1862,  §  764)  war  1816  von  Har- 
derwijk  nach  Utrecht  berufen  worden  und  lehrte  daselbst  Anatomie,  Patho- 
logie und  Chirurgie,  und  als  Theil  der  letzteren,  auch  Augenheilkunde. 

Nach  VAN  Onsenoort  (1838)  hat  S.  die  Exstirpation  des  Augapfels*), 
bei  welcher  er  sich  eines  gebogenen  Messers  bediente,  verbessert. 

§  837.     In  seinen  späteren  Jahren  fand  S.  Unterstützung  durch 
Jan  Andries  Mulder  (II)  (1807—1847)2). 
Geboren  zu  Utrecht  1807,  studirte  M.  daselbst,  unter  Suerman  und  Schroe- 
DER  van  der  Kolk;  legte,  auf  Verlangen  seines  Vaters,    1830  das  Examen 
als    » Stedelijk   Heel-  en  Vroedmeester «  ab ,   und  war   danach   auch  thätig 
als  Privat-Docent  der  Chirurgie  und  Geburtshilfe ;  kurze  Zeit  darauf  wurde 
er  als  Freiwilliger  zum   Militär-Arzt  im  Spital  zu  Utrecht  ernannt.     1832 
kehrte  er  zur  Civil-Praxis  zurück  und  war  während  der  Cholera-Epidemie  i 
als  Armen-Arzt  thätig,  ohne  jedoch  dazu  berechtigt  zu  sein. 

Deshalb   fing  er   an,   regelrecht  Medizin   zu   studiren  und  promovirte 
1841    mit  einer   Dissertation  De   strabismo,   die   1841    von   van  der  Lith 
ins  Holländische  übersetzt   und  von   Donders  sehr  gepriesen   wurde,   weil 
darin   die   erste   in   Holland   (von   dem  Vf.  der   Dissertation   selber)   vorge-j 
nommene  Schiel-Operation  ausführlich  beschrieben  ist. 

Noch  in  demselben  Jahre  wurde  J.  A.  Mulder  Lector  der  Chirurgie 
und  Geburtshilfe,  1842  h.  c.  Doctor  chirurgiae  et  artis  obstetriciae,  1846 
auch  a.  o.  Professor.  Aber  seine  Laufbahn  wurde  schon  1847  durch  den 
Tod  beendigt;  er  starb  am  Typhus. 

J.  A.  Mulder  war  ein  ausgezeichneter  Operateur  und  Lehrer,  der 
erste  in  Holland,  welcher  theoretischen  und  praktischen  Unterricht  in  der 
Augen-  und  Ohrenheilkunde  ertheilte,  die  damals  noch  nicht  in  dem  Uni- 
versitäts-Lehrplan  standen. 

Er  eröffnete  ein  Ambulatorium  für  Augenleidende,  das  erste  an  einer 
holländischen  Universität  des  19.  Jahrhunderts.  Leider  konnte  M.  durch 
Mangel  an  Raum  und  an  Hilfsmitteln  seine  Lehr-Begabung  nicht  voll 
entfallen. 

Im  Jahre  1849  wurde  zum  a.  o.,  1857  zum  o.  Professor  der  Chirur- 
gie und  Geburtshilfe  ernannt 

Louis  Christiaen  van  Goudoever    1820 — 1894)3), 
geboren  1820  zu  Utrecht,  promovirt  zum  Dr.  med.   1845,  und  1847  zum 
Dr.  obst.,    1849  Dr.  chir.  h.  c.     Im  Jahre  1866  gab   er  die  Professur  der 
Geburtshilfe  an  Gusserow  ab,  um  sich  ganz  der  Chirurgie  zu  widmen. 

>!)  Vgl.  §   3f.9. 

2)  Biogr.  Lex.  IV,  312.  (Daniels,  Nach  F.  C.  Donders,  Levensschets  van 
J.  A.  Mulder,  Utrecht  1848.) 

3)  Biogr.  Lex.  II,  610. 


J.  A.  Mulder  (II;.    V.  C.  Donders.  115 

GouDOEVER  fuhr  fort,  Augen-Operationen  zu  verrichten,  auch  nach- 
dem Donders  und  Snellen  ihro  gedeihliche  Thätigkeit  schon  längere  Zeit 
geübt;  er  war  eben  der  Meinung,  daß  Augen-Operationen  zur  Chirurgie 
gehören. 

Unter  1 4  Star-Operationen  G.s  waren  13  Niederdrückungen  und  nur 
eine  Ausziehung i). 

GouDOEVER  selbst  schrieb 2)  u.  a.  über  die  eitrige  Augen-Entzündung  der 
Neugeborenen.  Es  sei  eine  besondere  Erkrankung,  die  durch  Ansteckung 
seitens  der  Mutter  entsteht  und  durch  Einspritzung  einer  i — 2^  Hüllen- 
stein-Lüsung  sicher  geheilt  wird. 

§  838.     Jetzt  tritt 

Franciscüs  Cornelius  Donders  (1818 — 1889) 

auf  den  Plan,   für  unser  Gebiet  (und   für  viele  andre)   der  größte  Genius 
Hollands  im   19.  Jahrhundert. 

Wenn  ich  zu  meinem  letzten  Abschnitt  komme,  der  Reform  der  Augen- 
heilkunde, werde  ich  ihm  und  seinen  Leistungen  einen  besonderen  Platz, 
zwischen  Helmholtz  und  A.  v.  Graefe,  anweisen:  hier  will  ich  nur  soviel 
anführen,  als  zur  vollständigen  Darstellung  des  Unterrichts  und  der 
Praxis  in  der  Augenheilkunde  gehört. 

F.  C.  Donders  wurde  1840  Militär -Arzt,  1842  an  der  mihtärischen 
Medizin-Schule  zu  Utrecht  Docent  für  Anatomie,  Histologie,  Physiologie; 
1847  a.  0.  Prof.  an  der  Universität  zu  Utrecht.  Er  hielt  Vorlesungen 
über  Hygiene,  Medizinal-Polizei  und  gerichtliche  Medizin,  Anthropologie, 
allgemeine  Biologie,  pathologische  Anatomie  und  über  Physiologie  des 
Gesichtsinns. 

■  Im  Jahre  1851  ging  Donders  nach  London,  zur  Welt-Ausstellung, 
machte  hier  die  Bekanntschaft  von  Bow.man  und  A.  v.  Graefe.  Von  Lon- 
don reiste  er  nach  Paris. 

Seitdem  widmete  er  einen  großen  Theil  seiner  Zeit  der  Augenheil- 
kunde und  hatte  bald  einer  bedeutenden  Praxis  sich  zu  erfreuen.  Er 
hielt  eine  Ambulanz  ab,  außerhalb  des  Krankenhauses;  konnte  aber  nur 
wenige  Kranke  aufnehmen,  bis  es  ihm  1858  gelang,  als  Wohlthäligkeits- 
Anstalt,  nach  englischem  Muster,  das  >Nederlandsch  Gasthuis  voor 
ooglijders«    zu    gründen,    mit    30   Betten,  und   mit   Herman  Snellen  als 

I    erstem  Assistenten. 

Als  Donders  1858,  in  Nachfolge  von  Scbroeder  van  der  Kolk,  zum 
ordentlichen  Professor  der  Physiologie  ernannt  wurde,  gab  er  seine  Stelle 


1)  A.  D.  Renema,  Diss.   de  depressione    et  extractione    cataractae    inter   se 
comparatis,  Utrecht  1835. 

2)  Nederl.  Lancet  185l/ä2  uit.  Ned.  Tijdschr.  van  Verloskunde,  Jg.  III. 

8* 


116  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  i  800— -1875. 


Fig.  1. 


F.  C.  Donders.  117 

als  Primar-Arzt  am  Gasthuis  ab  an  Snkllkn,  blieb  aber  Direktor  und 
Konsulent. 

Die  Stiftung  war  sehr  erfolgreich. 

In  den  ersten  zehn  Jahren  waren  12592  A.  Kr.,  3130  B.  Kr.  behan- 
delt i)  und  2885  Operationen  ausgeführt  worden. 

Die  Geschichte  des  Gasthuis  voor  ooglijders  ist  die  der  mo- 
dernen Augenheilkunde  in  Holland.  Die  Berichte  desselben  bilden  eine 
stattliche  Bibliothek,  deren  Inhalt  für  den  wissenschaftlichen  Augenarzt  un- 
entbehrlich ist. 

Von  Anfang  an  diente  dies  Augen-Krankenhaus  dem  Unterricht, 
für  Einheimische  wie  für  Ausländer.  Zeugniß  legen  ab  die  zahlreichen 
Dissertationen  und  Abhandlungen,  die  aus  dieser  Arbeits -Stätte  hervor- 
gegangen sind. 

Früh  hat  auch  die  Regierung  den  Werth  des  Gasthuis  gewürdigt. 
Im  Jahre  1860  sandte  sie  H.  Snbllen  und  W.  M.  Gunxfng  nach  der 
»Rijksgestichten  te  Veenhuizen  und  Ommerschans,  die  von  Augenkrank- 
heit durchseucht  waren-)«.  Sie  fanden  von  den  5000  Insassen  des  Ar- 
beitshauses DUO  an  Trachom  erkrankt.  Drei  junge  Ärzte  wurden  zur  täg- 
lichen Behandlung  angestellt,  und  Snei.lk.n  zum  Inspektor.  Derselbe  trat 
aber  zurück^  als  die  Regierung  knausern  und  mit  einem  Arzt  auskommen 
wollte.  Sie  mußte  nachgeben,  um  S.vellen's  Hilfe  wieder  zu  gewinnen. 
So  wurde  der  gefährliche  Trachom-Herd,  von  dem  aus  die  Befallenen 
nach  beendeter  Strafzeit  die  Krankheit  über  das  ganze  Land  verbreiteten, 
endgültig  beseitigt. 

Im  Jahre  1884  trat  D^nders  zurück;  Snellen  wurde  Direktor  des 
Gasthuis.  Im  Jahre  1888  mußte  Donders,  nach  dem  Gesetz,  als  TOjähri- 
ger,  seine  Professur  niederlegen.     Im  folgenden  Jahre  ist  er  gestorben. 

F.  C.  Donders  hat  nicht  nur  durch  seine  Schriften  der  ganzen  wissen- 
schaftlichen Welt,  sondern  auch  mündlich  im  Hörsaal  und  im  Laboratorium 
seinen  besonderen  Schülern  Unterricht,  wie  in  der  Physiologie,  so  auch  in 
der  Augenheilkunde  ertheilt  und  die  Schule  von  Utrecht  gestiftet. 

§  831).     Herman  Snellen  (1834—1908)3). 
Als  Sohn   eines   hochgeschätzten  Arztes  bei  Utrecht  geboren,  studirte 
Herman  Snellen   an    der   Universität   zu    Utrecht  unter  Mulder,  Schroeder 
VAN  der  Kolk  und  Donders;   promovirte    1857   mit  der  bedeutenden  Dis- 


1)  A.  Kr.  =  Außen-Kranke;  B.  Kr.  =  Binnen-Kranke. 

2)  Vgl.  §   506,  V. 

3)  Nach  C.  El.  f.  A.  Jan.  i908.  (J.  Hirsghberg.j  —  In  den  Klin.  M.  Bl.  f.  A. 
(1908,  I,  S.  170 — 172)  hat  Prof.  Straub  einen  Nachruf  auf  Snellen  veröffent- 
licht. Vgl.  ferner  Zeitschr.  f.  A.  XIX,  S.  293;  Wiener  Klin.  W.  No.  5,  D.  med.  W. 
1908,  S.  841;  Recueil  d'Opht.  1908,  S.  140;  Ophth.  Review  1908,  S.  32,  u.  Ophthal- 
moscope,  S.  219. 


118 


XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 


Fiff.  2. 


sertation  >Experimentelle  Untersuchungen  über  den  Einfluß  der  Nerven  auf 
die  Entzündung«  1);  seit  1862,  wo  er  aus  der  allgemein-ärztlichen  Praxis  sich 
zurückzog,  war  Snellen  der  erste  Docent  der  Augenheilkunde  in  Hol- 
land, der  sich  ganz  der  Augenheilkunde  widmete,  und  Primär-Arzt  an  dem 
von  DoNDERS  begründeten  Niederländischen  Gasthaus  für  Augenleidende, 
dessen  stolzen  Neubau  1899  auf  dem  internationalen  Kongreß  der  Augen- 
ärzte zu  Utrecht  wir  alle  zu  bewundern  Gelegenheit  hatten.  Im  Jahre  1 877 
wurde  er  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Universität.  Seine  Antritts- 
rede behandelte  »die  Methoden  der  klinischen  Ophthalmologie«.  Zweiund- 
zwanzig Jahre  wirkte  er  in  dieser  Stellung  und  entfaltete  eine  hervor- 
ragende Thätigkeit  als  Lehrer,  Operateur  und  Forscher.     1899,  im «65.  Jahre 

seines  Lebens,  legte  er  seine  Professur 
nieder,  blieb  aber  Direktor  der  Augen- 
Heilanstalt  bis  1 903 :  in  beiden  Ämtern 
ward  sein  Sohn  Herman  der  Nachfolger. 
Mit  DoNDERS  verband  unsern  Snellen 
die  wärmste,  herzlichste  Freundschaft. 
Ein  glückliches  Familienleben  war  ihm 
beschieden,  gesegnet  von  einer  stattlichen 
Zahl  rüstig  emporwachsender  Kindei . 
In  der  Blüthezeit  seines  Lebens  war  er 
ein  hervorragend  schöner  Mann. 

Sein  Name  wird  in  der  Wissenschaft 
unvergessen  bleiben.  Schon  1864  veröffent- 
lichte er  seine  ausgezeichnete  Arbeit 
Ȇber  die  neuroparalytische  Augen- 
Entzündung  nach  Durchschneidung  des 
N.  trigeminus«,  worin  er  die  traumatische 
Natur  dieses  Leidens  nachwies  und  die 
Herman  Snellen.  Verhütung    desselben    durch    Schutz-Be- 

deckung anempfahl. 
Seine    zweite,    berühmte    Veröffentlichung   enthält   die    Optotypi    ad 
Visum    determinandum,    die    seit    1862    in    zahlreichen    Auflagen    und 
Sprachen  erschienen  sind  2). 

Es  folgten  1866  die  Lösung  der  vorderen  Synechie,  1874  die  Rich- 
tung der  Haupt-Meridiane  des  astigmatischen  Auges,  die  SxoKEs'sche  Linse 
mit  konstanter  Achse,   über   Durchschneidung   des   Ciliarnerven    bei  anhal- 


1)  »De  invloed  der  zenuwen   op  de  ontsteking  proefondervindelijk  getoetst.« 

2)  Die  letzte  Auflage  vom  Jahre  1902   ist   für  uns  wieder  brauchbar  gewor- 
den, da  die  deutsche  Schrift  Berücksichtigung  gefunden,  die  in  früheren  gefehlt 

hatte.   —   Snellen's  Formel  V  =  j,  wurde  zum  Losungswort  der  neueren  Augen- 
heilkunde und  fehlt  in  keinem  Lehrbuch  der  Reform-Zeit. 


d 


Herman  Snellen.  HQ 

tender  Neuralgie  eines  amaurotischen  Auges.  Die  drei  letztgenannten 
Arbeilen  hat  er  in  Graefe's  Archiv  für  Ophth.  deutsch  verüfTentlicht, 
während  seine  vorher  genannten  Arbeiten  holländisch  erschienen  sind. 
Deutsch  verüfTcntlichte  er  auch  1876/7  in  Zehender's  Klin.  Monatsbl.  f.  Augen- 
heilk.  »Das  Pliakometer«  und  »Gleichzeitige  monokulare  Prüfung  beider 
Augen  mittelst  farbiger  Sehproben«. 

Zusammen  mit  E.  Landolt  verfaßte  er  1874  den  wichtigen  Abschnitt 
von  der  Funktions-Prüfung  des  .\uges,  für  das  Handbuch  von  Graefe- 
Saemiscii.  (Für  die  zweite  Auflage  desselben  Handbuchs  hat  er  noch  1902 
das  Kajiitel  von  den  Augen-Operationen  geschrieben,  das  allerdings  schon 
Spuren  der  sinkenden  Kraft  erkennen    läßt   und  nicht  fertig  geworden  ist.) 

1881  schrieb  er  über  sympathische  Ophthalmie,  1888  über  Glaukom- 
Behandlung  und  Geschichte,  1 8'.M  über  Beschränkung  der  Akkommodation 
und  Konvergenz  bei  seitlichem  Blick,  1892  über  Nachbilder,  1893  über  Glau- 
kom-Operation, 1894  über  subkonjunklivale  Behandlung  von  Wunden  der 
Hörn-  und  Lederhaut,  1896  die  Bowman-Vorlesung  über  Sehen  und 
Netzhaut-Wahrnehmung:  1897,  auf  dem  Brüsseler  Kongroß  (franzüsisch) 
>Über  die  zahlenmäßige  Bestimmung  des  Farbensinns«;  über  die  Behandlung 
des  Keratokonus  und  über  Erythropsie;  1900  die  Prüfung  der  Sehschärfe, 
für  NoRRis'  und  Oliver's  »System  of  Diseases  of  the  Eye«  i). 

Wir  verdanken  Herman  S.nei.i.en  auch  bedeutungsvolle  Verbesserungen 
von  Lid-Operationen,  gegen  Ein-  und  Ausstülpung  und  gegen  Haarkrankheit. 

1899  erlebte  er  die  stolze  Freude,  den  9.  internationalen  Kongreß  der 
Ophthalmologie  in  Utrecht  zu  erülVnen  und  zu  leiten  2). 

Noch  die  letzten  Jahre  brachten  wichtige  Arbeiten  des  unermüdlichen 
Forschers.  Im  Jahre  1 900,  auf  dem  internationalen  Kongreß  der  Medizin, 
empfahl  er,  in  seinem  Referat  über  die  Enukleation,  die  doppehvandigen 
Reform-Augen,  welche  sich  ja  recht  bewährt  haben. 

Also  die  letzte  originale  Leistung  von  Snellen  war  ebenso  gut,  wie 
die  erste. 

§  840.     Zu  Amsterdam 
war  an  dem  Athenaeum  illustre,  das  1632  begründet  worden,  seit  1771 
Prof.  der  Anatomie  und  Chirurgie 

Andreas  Bonn  (1738—1817)3), 
der  auch  Augenheilkunde  lehrte,  ferner  den  Chirurgen  Henning  Nissen  zum 
Augenarzt   ausbildete   und   ihm  die  Augen-Operationen,  besonders  die  Aus- 
ziehunsr  des  Stars,  überließ. 


i)  II,  S.  H— 29.  (In's  Englische  übersetzt  von  G.  A.  Berry  zu  Edinburg.) 
Vgl.  §  766,  S.  -109. 

2)  Hierbei  hat  er  leider  nicht  eine  glückliche  Hand  bewiesen,  so  daß  die 
Rückkehr  zu  den  bewährten  Grundsätzen  der  früheren  Kongresse  empfohlen 
werden  mußte.     Vgl.  C.  El.  f.  A.  1899,  S.  286. 

3)  Biogr.  Lex.  I,  521.     C.  E.  Daniels.) 


120  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

Gerardus  Vrolik  (1775— 1859)  i\ 
der  1797   Prof.  der  Botanik   geworden,    erhielt    1798  noch   die  Anatomie,? 
Physiologie  und  Geburtshilfe  dazu,  und  1812  die  Chirurgie;  1820  verzich- 
tete er  auf  Anatomie,  Physiologie  und  Chirurgie. 

Im  Jahre  1801  hat  er  die  erste  genaue  Untersuchung  eines  Kry- 
stall-Wulstes  angestellt 2).  Noch  im  Aller  von  70  Jahren  berichtigt  er 
(1845)  Stricker's  Behauptungen  betreffs  John  Taylor  3)  dahin,  daß  1749  die 
Stadtärzte  von  Amsterdam  nach  sorgfältiger  Prüfung  meist  unglückliche 
Folgen  der  Operationen  des  irrenden  Ritters  festgestellt  und  sich  ent- 
schlossen hätten,  vor  jenem  ausdrücklich  in  den  Zeitungen  zu  warnen. 

Hendrik  Boscha  (1791—1829), 
seit  1820   Prof.    der  Anatomie,    Physiologie   und    Chirurgie,    bemühte   sich 
eifrig  um  die  Errichtung  einer  klinischen  Schule,   die  auch  wirklich    1828 
zu  Stande  kam. 

Sein  Nachfolger 

Gerard  Conrad  Bernard  Suringar  (1802 — 1874)  4*, 
ein  großer  Gelehrter,  studirte  Augenheilkunde  bei  Jüngken;  er  vertauschte  1 830 
seine  Professur  mit  derjenigen  der  Medizin  an  der  klinischen  Schule. 

Willem  Vrolik  (1801 — 1863)^',  Gerard's  Sohn,  vorzüglich  bekannt  als 
Zoolog  und  Anatom,  schrieb  über  Cyklopie^)  und  über  den  Kamm  (Pec- 
ten)   im  Auge  des  Reihers  (Ardea  Virgo). 

An  der  klinischen  Schule  (deren  ordentliche  Professoren  zugleich  außer- 
ordentliche am  Athenaeum  waren,  und  umgekehrt,)  wirkte  seit  ihrer  Stif- 
tung (1828)  als  Professor  der  Chirurgie 

Christiaan  Bbrnard  TiLANüs(1796 — 1883)71. 

T.  übte  und  lehrte  auch  die  praktische  Chirurgie,  die  bis  dahin  in 
Amsterdam  hauptsächlich  in  den  Händen  der  niederen  Wundärzte  ge- 
wesen war. 

Er  gab  auch  Sonder- Vorlesungen  über  Augenheilkunde,  führte  selber 
Augen-Operationen  aus  und  lieferte  einige  Mittheilungen  zur  Augenheilkunde: 

1.  Tonica,   z.  B.  Chinin -Sulfat,  wirken  günstig  bei  Augen-Entzündungen  s). 

2.  Eiterfluß  hellt  den  Pannus  auf.      3.  Bei  Irideremie   widerräth   er   Star- 
Operation,  wegen  des  später  zu  starken  Lichteinfalls  ^). 


1)  Biogr.  Lex.  VL  156.    (C.E.Daniels.)  2)  Vgl.  §  539.  3]  §  437. 

4)  Biogr.  Lex.  V,  582. 

5)  Biogr.  Lex.  VI,  153. 

6)  K.  Ned.  Inst.  1834. 

7)  Biogr.  Lex.  V,  68-2. 

8)  N.  Weekbl.  v.  Geneesk.  1851. 

9)  1843,  Genootsch.  ter  bevord.  d.  Geneesk.  te  Amsterdam  1843.  Vgl.  zur 
Sache  §  517,  S.  284,  und  die  Widerlegung  von  T.'s  Befürchtungen  in  A.  d'Oc.  XII, 
44,  1844,  und  im  C.  Bl.  f.  A.  1901,  S.  173—175. 


Amsterdam.    W.  M.  Gunning.  121 

Eine  Dissertation  über  Iritis  schrieb  A.  G.  van  den  Hout  1842,  unter 
der  Leitung  von  Tilanus. 

§841.    Seit  \  862  wirkte  zu  Amsterdam  als  Augenarzt 

Willem  Marinus  Gunning  i  1834— 1912)  i>. 

1834  zu  Hoorn  geboren,  studirte  G.  unter  Donders  zu  Utrecht,  errichtete 
1862  zu  Amsterdam  eine  Poliklinik  für  Augenleidende,  wurde  1868  Lector 
der  Augenheilkunde  am  Athenaeum  und,  als  dieses  1877  zur  Universität 
erhoben  wurde  2),  a.  o.  Professor  an  derselben,  später  ordentlicher. 

Als  G.  1 868  seine  Lehrthätigkeit  übernahm,  fand  er  ungünstige  Ver- 
hältnisse für  die  Augenleidenden,  für  die  weder  gesonderte  Räume  noch 
eignes  Pflege- Personal  vorhanden  waren;  deshalb  bemühte  er  sich  um 
Gründung  eines  Augen-Krankenhauses,  das  auch  1874  eröffnet  wurde  und 
dessen  Vorstand  er  bis  1891)  geblieben.  Bemerkenswerth  scheint,  daß  in 
dieser  Anstalt  jeder  Augenarzt  seine  Kranken  klinisch  behandeln  und  Poli- 
klinik abhalten  darf:  diese  freisinnige  Eigenart  ist  der  »Inrichting  voor 
Ooglijders«   bis  heute  geblieben. 

Gunning  schrieb  (1865)  ^i  über  Trachom,  das  er  1860  in  der  Arbeits- 
Anstalt  in  Veenhuizen  und  ferner  zu  Amsterdam,  wo  es  unter  der 
israelitischen  Bevölkerung  sehr  verbreitet  ist,  genau  kennen  gelernt ;  er 
leugnet  die  direkte  Übertragbarkeit  des  Trachom. 

Im  Jahre  1885  berichtet  er  zu  Heidelberg'*),  daß  bei  den  armen  Juden 
von  Amsterdam  das  Trachom  außerordentlich  häufig  sei,  bei  Kindern  noch 
häuflger,  als  bei  Jünglingen  und  jungen  Mädchen. 

Im  Jahre  1872  erörtert  er  »die  gallertigen  Ausscheidungen  in  der 
Vorderkammer«.  (3  Fälle,  2  mit  Syphilis.  Im  ersten  wurde  die  Aus- 
schwitzung zunächst  für  die  verschobene  Linse  gehalten.  —  Heilung.)^' 

Im  Jahre  1881  (Klin.  M.  Bl.  1882)  zeigte  G.,  daß  mit  der  Ausathmungs- 
Luft  Bakterien  aus  dem  Körper  nicht  ausgeführt  werden. 

Von  den  Dissertationen,  die  unter  seiner  Leitung  entstanden  sind,  er- 
wähne ich  die  von  H.  G.  W.  Plantenga  (1885)  über  Jequirity-Behandlung 
und  die  von  E.  E.  Blalüw  (1894)*'^  über  Wesen  und  Bekämpfung  des 
Trachoma. 


1)  Biogr.  Lex.  II,  703.  ' 

2)  Das  Gesetz  von  1876  über  den  höheren  Unterricht  gab  der  Stadt  Amster- 
dam die  Erlaubniß,  das  Athenaeum  in  eine  Universität  umzuwandeln,  die  mit  den 
Reichs-Universitäten  gleichberechtigt  sein  sollte.     (Minerva,  1911,  I,  S.  162.) 

3)  Tijdschr.  v.  Geneesk. 

4)  Bericht  d.  H.  G.  f.  A.  1885,  S.  198. 

5)  Klin.  M.  Bl.  X,  S.  7—11. 

6)  Vgl.  §  761,  S.  138  u.  139.  —  B.  prakticirt  in  Buffalo. 


122  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  <  800— 1875. 

Als  GuNNiNG  1894  von  der  Professur  zurücktrat,  wurde  sein  Nachfolger 

M.  Straub. 
Dieser  konnte  1905  in  eine  neue  und  zeitgemäße  Augenklinik  mit  80  Betten 
einziehen  i). 

§842.    Die  Schule  für  Militär-Ärzte. 

1817  wurden  medizinische  Schulen  für  Militär -Ärzte  begründet,  zu 
Loewen  und  zu  Leiden;  1822  beide  vereint,  nach  Utrecht,  und  1868  nach 
Amsterdam,  an  das  Athenaeum,  verlegt. 

Also  bestand  von  1822 — 1868  zu  Utrecht,  neben  der  Universität,  noch 
eine  medizinische-chirurgische  Akademie^)  für  Militär-Ärzte.  Die- 
selbe ist  von  großer  Bedeutung  für  die  Entwicklung  der  Augenheilkunde  in 
den  Niederlanden  gewesen:  aus  der  Akademie  gingen  Männer  hervor,  die 
wir  unter  den  hervorragenden  Professoren  der  Universitäten  schon  ange- 
führt haben,  Doyer  und  —  Donders.  Überhaupt  hat  diese  Schule  eine 
Menge  Professoren  an  die  Universitäten  abgegeben;  wir  trafen  schon 
Sebastian,  Janssen  u.  a. 

§  843.  I.  Der  erste  Direktor  der  Schule  war  ein  merkwürdiger  Mann, 
dem  auch  ein  sehr  wechselvolles  Schicksal  zu  Theil  geworden, 

Anthonius  Gerardus  van  Onsenoort  (1782 — 1841)3). 

In  einem  Waisenhaus  erzogen,  begann  er  als  Tischler,  war  dann 
Schüler  bei  einem  Wundarzt  und  wurde  1804  Assistenz-Militär-Arzt  am 
Spital  im  Haag. 

Im  Jahre  1806  zum  Leibarzt  des  General-Statthalters  von  HoUändisch- 
Ost-Indien  ernannt,  wurde  v.  0.  zwei  Mal  hintereinander  mit  seinem  Schiff 
durch  die  Engländer  gefangen  genommen,  so  daß  er  1809,  ohne  Indien  er- 
reicht zu  haben,  nach  Holland  zurückkehrte,  wo  er  bald  wieder  als  Militär- 
Arzt  eine  Stelle  erhielt. 

1811  ging  er  mit  der  französischen  Armee  nach  Portugal  und  Spanien 
und  wirkte  als  Wundarzt  während  der  großen  Schlachten.  Als  1814  die 
Fremden  aus  der  französischen  Armee  entlassen  wurden,  kehrte  er  nach 
Holland  zurück  und  war  1815,  nach  der  Schlacht  bei  Waterloo,  in  ver- 
dienstvoller Weise  an  den  Lazareten  von  Loewen  tliätig:  zusammen  mit 
dem  Kriegsgefangenen  Dr.  Baron  von  Larrey  behandelte  er  Tausende  von 
preußischen  Verwundeten  und  erhielt,  auf  Vorschlag  des  General-Chirurgen, 
Prof.  C.  F.  Graefe,  das  Ritterkreuz  des  rothen  Adler-Ordens. 


1)  Vgl.  »Die  neue  Amsterdamer  Augenklinikc  von  Prof.  Dr.  M.  Straub.    (Mit 
6  Abbildungen.)     Klin.  M.  Bl.  f.  A.  1907,  II,  S.  2öl . 

2)  Vgl.  §  471,  die  Josephinische  medizinisch-chirurgische  Akademie  zu  Wien. 

3)  Biogr.  Lex.  IV,  425.  —  Nekrolog  von  F.  Cunier,  A.  d'Oc.  VII,  S.  192—200. 


Die  Schule  für  Militär-Arzte.     A.  G.  v.  Onsenoort.  123 

1818  wurde  v.  0.  zum  Lector  der  Chirurgie  und  Augenheilkunde  am 
Militür-Spital  zu  Loewen  ernannt,  gleichzeitig  zum  Lehrer  der  Augenheil- 
kunde an  der  Universität,  —  also  war  er  der  erste  Universitäts-Lehrer 
der  Augenheilkunde  in  den  Niederlanden. 

Seine  Antrittsrede  handelte  von  der  Geschichte  der  Augenheil- 
kunde. 

V.  0.  hatte   viele  Schüler,   von    denen   der  bedeutendste  Fl.  Cunier  ') 
war;  und  veranlaßte  auch  augenärztliche  Dissertationen  zu  Loewen: 
H.   D.  TnüMPFER,  De  Ophthalmia.    1819; 
Manhaeters,  De  Iritide.    1820; 
NoiRSAirr,   De  Amaurosi.    1820. 

Von  1822 — 1827  leitete  van  Onsenoort  die  militär-medizinische  Schule 
zu  Utrecht,  dann  trat  er  zurück  2)  und  widmete  sich  der  Praxis  sowie  der 
Literatur  bis  zu  seinem  Lebens-Ende;  bereits  im  Alter  von  59  Jahren  wurde 
er  vom  Tod  hinweggeratlt. 

Unabhängig,  aufrichtig,  der  Schmeichelei  abhold,  hart  gegen  Nach- 
lässige, kein  tindiges  Genie,  aber  mit  chirurgischem  Sinn  begabt;  stets  be- 
reit, Fehler,  die  er  gemacht,  offen  einzugestehen  und  zum  Fortschritt  zu 
benutzen;  kein  großer  Redner,  aber  ein  planmäßiger  Lehrer,  der  den  An- 
dren stets  ihr  Recht  ließ,  lebte  er  in  harter  Arbeit  und  in  Armuth,  nachdem 
er  seine  besten  Jahre  im  Felde  zugebracht,  und  dort  das  rheumatische 
Leiden  sich  zugezogen,  das  sein  frühzeitiges  Ende  herbeiführte,  grade 
acht  Monate,  nachdem  sein  König  ihm  den  für  gute  und  treue  Dienste 
geschuldeten  Ruhesold  endlich  bewilligt  hatte.  Kein  holländischer  Arzt  hat 
seine  Lebensbeschreibung  verfaßt;  dies  war  seinem  dankbaren  belgischen 
Schüler  F.  Cunier  vorbehalten. 

VAN  Onsenoort 's  Werke. 

A.  1.    Operatieve  Heelkunde.   1822 — 1824.     Natürlich  bringt  er  darin  auch  augen- 

ärztliche Erörterungen. 

2.  Geneeskundige  Heelkunde.    1825. 

3.  De  Militaire  Chirurgie.   1829. 

B.  4.    Verhandelingen   over    de    grauwe   Star.     Amsterdam    1818.     (Holländische 

Ausgabe  seiner  Doktor-Schrift.) 
5.    Bijdragen  tot  de  geschiedenis  der  vorming  van  eenen  kunstigen  Oogappel 
.  .  .  Utrecht  1829. 

Eine   Geschichte  der  Pupillen-Bildung  i.  a.,   mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  holländischen  Leistungen,  auch  der  eignen  des  Vf.s. 

Dies  sind  zwei  Verfahren: 

1.  Eine  Zerschneidung  der  Iris  mit  Einklemmung,  welche   F.  Cunier 
18413    als  genial  bezeichnet  hat; 


1)  §  793. 

2)  Er  wurde  zum  Rücktritt  gezwungen,  da,  in  Folge  niedriger  Verläum- 
dungen,  die  Regierung  ihn  von  Utrecht  als  ersten  Garnison-Arzt  nach  Nimwegen 
versetzen  wollte. 

3)  A.  d'Oc.  V,  202,  —  VAN  Onsenoort  bezeichnet  dieselbe  als  Iridotomenkleisis, 
von  loig-,  Regenbogenhaut;  tou?';,  Schnitt;  'iyxXeiai^,  das  Einsperren. 


124  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

2.  eine  Iridektomie  von  der  hinteren  Augenkammer  aus,  bei  vollstän 
digem  Pupillen-Abschluß,  schon  1812  von  dem  Urheber  beschrieben i). 

6.  De  Kunst  om  de  oogen  wel  te  verplegen  .  .  .   Utrecht  1829.    Die  erste  hol 
ländische  Schrift  über  Hygiene  des  Auges. 

7.  Geschiedenis  der  Oogheelkunde  .  .  .     Utrecht  1838.     (72  S.  Text.) 

8.  Genees-  en  Heelkundig  Handboek  over  de  Oogziekten  en  Gebreken.    Amster- 
dam 1839 — 1840.     (2  Theile  mit  4  farbigen  Tafeln.)  , 

Prof.  Wützer2j  in  Bonn  hat  die  Geschichte  der  Augenheilkunde  (7] 
in's  Deutsche  übertragen  (Bonn  1838,  88  S.)  und  F.  A.  v.  Ammon  (Zeitschr; 
f.  M.  Aug.  u.  Chir.  I,  S.  672,  1838)  dem  Büchlein  ein  besonderes  Lob  ge- 
spendet. Ich  selber  habe  (in  meinem  §  1,  1899)  erklärt,  daß  es  als  Gen 
schichte   der  Augenheilkunde  überhaupt  nicht  angesehen  werden  könne. 

Um  dieses  Urtheil  meinen  Lesern  einleuchtend  zu  machen,  will  ich 
wörtlich  das  anführen,  was  v.  0.  über  die  holländische  Augenheilkunde  des 
1 9.  Jahrhunderts  anführt : 

»In  den  Niederlanden  wird  dieser  Zweig  in  Verbindung  mit  der  Ghi-i 
rurgie  gelehrt,  z.  B.  in  Leiden  von  Broers,  in  Utrecht  von  Suerman,  in 
Groningen  von  Sebastian,  während  Tilanus  in  Amsterdam  mit  dem  Unter-j 
rieht  der  angehenden  Stadt-  und  Land-Chirurgen  beschäftigt  ist.  1 

Außerdem  wird  er  hier  durch  verschiedene  namhafte  Männer  ausge- 
übt, worunter  zu  nennen  sind:  Mensert,  Haan,  Wächter,  Hendriks,  Logger 
d.  V.,  u.  a.« 

Aus  dem  Vorwort  des  Vf.s  möchte  ich  noch  die  folgenden  Sätze  her- 
vorheben: ■ 

»Eine  langwierige  Krankheit,  wie  sie  oft  Viele  befällt,  die  in  mühe- 
vollen und  langen  Kriegszügen  den  Entbehrungen,  Mühseligkeiten  und  Klima- 
Veränderungen  ausgesetzt  sind,  und  an  der  ich  kürzlich  und  heftig  litt,  hat 
Veranlassung  zur  Herausgabe  dieses  Werkchens  gegeben.  Unter  den  Hand- 
schriften, die  ich  durchsah  .  .  .  war  auch  meine  Rede  über  Geschichte  der 
Augenheilkunde  aus  dem  Jahre  1818.  Ich  habe  dieselbe  bis  jetzt  (1838) 
fortgeführt  .  .  .« 

Das  Lehrbuch  der  Augenheilkunde  (8)  ist  alsbald,  und  sehr  freund- 
lich, beurtheilt  worden  in  Ammon's  Monatsschrift  (II,  S.  588)  sowie  in  Gunier's 
Annal.  d'Oc.  (II,  S.  194),  den  beiden  einzigen  Zeitschriften  der  Augenheil- 
kunde jener  Tage. 

In  der  ersteren  heißt  es,  daß  kein  Organ  und  keine  Krankheits-Ursache 
bei  der  Schilderung  der  Augenkrankheiten  vergessen  sei ;  auch  werden  die 
guten  Schilderungen  der  verschiedenen  Formen  und  die  richtig  gewählten 
Namen,  von  denen  viele  neu  erscheinen,  gelobt,  und  nur  bedauert,  daß  Vf. 
aus  eigner  Erfahrung  so  wenig  hinzugesetzt  hat. 

In    der   zweiten  wird   die   Ordnung   und   die   richtige  Vertheilung  des 


1)  Annales  de  la  med.  physiol.  de  Broussais,  IL 

2)  §  509. 


van  Onsenooit.  125 

Stoffes  und  die  genaue  Berücksichtigung  der  Therapie  anerkannt;  der  \{. 
stehe  auf  der  Höhe  der  Wissenschaft :  nur  werden  gewisse  Einzelheiten  aus 
der  feineren  Anatomie  und  Physiologie  vermißt. 

Wir  müssen  heutzutage  anerkennen,  daii  dieses  Werk  für  sein  Vater- 
land, als  erstes  und  einziges  holländisches  Lehrbuch  der  Epoche  von  1800 
bis  1850,  gewiß  von  höchstem  Werth  gewesen;  daß  es  aber  für  die  Welt- 
Literatur  weniger  in  Betracht  kam,  einmal,  weil  die  originalen  Beiträge  des 
Vf.s  zu  gering  waren,  sodann  weil  leider  die  holländische  Sprache,  außer- 
halb ihres  Sprachbezirks,  sogar  in  germanischen  Ländern,  zu  wenig  ver- 
standen wird. 

Zusatz.  Vor  van  Onsenüoht's  Werk  ist  ein  vollständiges  Lehrbuch  der 
Augenheilkunde  in  holländischer  Sprache  nicht  erschienen. 

Das  >Handboek  van  de  Oogheelkunde«  .  .  .  von  P.  J.  Blüm,  prakt.  Medi- 
ziner in  Utrecht,  U.  1837,  ist  über  den  ersten  Theil  (von  300  S.)  nicht  hinaus- 
gekommen und  enthält  außer  Literatur-.\ngaben  (der  Niederländischen  Leistungen 
von  tSOO — 1836)  und  einleitenden  Bemerkungen  nur  die  Lehre  von  den 
Augen-Entzündungen. 

Wenn  also  das  Buch  van  ünsenoort's  das  einzige  wirklich  brauchbare 
holländische  Lehrbuch  der  Augenheilkunde  aus  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts gewesen,  welche  Übersetzungen  standen  denn  den  holländischen 
Ärzten  zur  Verfügung? 

1844 — 1847  erschien  das  treffliche  Lehrbuch  von  Chelils')  übersetzt  durch 
P.  VAX  Genderex  Stoht  (II  von  einem  Andren,  mit  Zusatz  über  Muskeldurch- 
schneidung); 18  46  das  bemerkenswerte  von  Ruete^),  übersetzt  von  Donders. 
So  war  die  Übersetzung  von  Mayrs  magerem  Kompendium  durch  van  Campen 
(1852)  eigentlich  überflüssig  gewesen. 

t856   gab  I.MANS  eine  Übersetzung  des   Handbuches  von  Seitz  heraus. 

A.  Ilcken,  Wundarzt  zu  Deventer,  schrieb  1860:  Beknopt  Handboek  der 
Oogheelkunde,  eine  freie  Bearbeitung  von  ScHAiEXBURr.'s  mittelmäßiger  Oplitlialiii- 
iatrik,  vermehrt  mit  Auszügen  aus  Arlt,  Donders,  Ritterich,  Seitz,  Winther, 
Zander  u.   a.  —  Diese  wenig  originelle  Arbeit  war  F.  C.  Donders  gewidmet.  — 

9.  Ein  großes  Verdienst  erwarb  sich  van  Onsenoort  durch  Gründung 
einer  besonderen  holländischen  Zeitschrift  für  praktische  Chirurgie  und 
Augenheilkunde:  Nederlandsch  Lancet. 

Nach  dem  Tode  des  Begründers  wurde  daraus  eine  Zeitschrift  für  die 
gesamte  Heilkunde,  die  aber  auch  weiterhin  wichtige  Beiträge  zur  Augen- 
heilkunde lieferte:  ich  erinnere  nur  an  die  treffliche,  unter  Donders'  Lei- 
tung gearbeitete  Dissertation  van  Tright's  über  den  Augenspiegel  (1853). 

Seit  dem  Jahre  1845  gehörten  Donders  und  Jansen  zu  den  Heraus- 
gebern der  Zeitschrift. 

C.  Von  Abhandlungen  v.  O.'s  enthält  das  Hippokrates  Magazijn 
von  1819  eine  Bemerkung  zu  Chamseru's  Forschungen-^)  über  die  ägypti- 
sche Ophthalmie,  ferner  eine  über  Wagner's  Star-Nadelzange. 

<)  §  535.  2)  §  483.  3)   Vgl.  §  533. 


126  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—4  875. 


1 


In  N.  Lancet  (I,  17)  empfiehlt  v.  0.  das  Kreosot  gegen  Hornhaut-Flecke, 
beschreibt  (I,  1 8)  die  Verschiebung  der  Linse  unter  die  Bindehaut,  wogegen 
er  Höllenstein-Lösung  empfiehlt  (I,  22);  ferner  einen  Wasserbruch  (Hydro- 
cele)  des  Thränensacks,  Erschlaffung  der  Bindehaut  des  Oberlids,  Fettge- 
schwülste an  den  Lidern,  u.  a. ;  erklärt  auch  (H,  241),  daß  die  Granulation 
nicht  immer  Folge  der  militärischen  Ophthalmie  sei. 

Es  ist  klar,  daß  ein  so  eifriger  Schriftsteller,  tüchtiger  Wundarzt  und 
von  seinen  Schülern  geliebter  Lehrer,  wie  van  Onsenoort,  einen  großen 
Einfluß  im  ganzen  Lande  ausüben  mußte. 


1 


§  844.    Sein  Nachfolger  als  Lehrer  an  der  Militär-Schule  war 
IL    J.  F.  Kerst  (1800  —  1874)1), 
der  gleichfalls  neben  der  Chirurgie  die  Augenheilkunde  eifrig  bearbeitete. 

Im  Jahre  1830  wurde  er  nach  Antwerpen  versetzt,  wo  er  die  Laza- 
rete  und  Ambulanzen  vortrefflich  einrichtete,  und  war  1831  am  Feldzug  in 
Belgien  betheiligt. 

1835  nahm  er  seine  Vorlesungen  wieder  auf,  nachdem  er  inzwischen 
von  der  medizinischen  Fakultät  in  Groningen  zum  Ehren-Doktor  ernannt 
worden;  1842  wurde  er  Oberhaupt  der  neu  eingerichteten  militärischen 
Medizin-Schule  und  verblieb  in  dieser  Stellung  16  Jahre.  Dann  nahm  er 
seine  Entlassung  und  ist  1874  gestorben. 

Kerst  hat  verschiedene  Beiträge  zur  augenärztlichen  Literatur  geliefert. 

In  seinem  Bericht  für  1829  über  die  chirurgische  Abtheilung  (Utrecht 
1830)  erwähnt  er  auch  die  Augen-Fälle  und  räth  bei  Operation  gegen  Ein- 
stülpung und  Senkung  des  Lids  die  Nähte  schon  vor  der  Abtragung  der 
Haut-Falte  anzulegen.  In  demselben  Jahre  schreibt  K.  über  Bildung  einer 
neuen  Pupille  durch  Verziehen  der  alten.    (Geneesk.  Bijdragen  u.  s.  w.) 

In  den  »Heelkundige  Mengelingen«  (Utrecht  1835)  erklärt  K.,  daß  die 
sogenannte  militärische  Augen-Entzündung  auch  bei  Givilisten  vorkommt; 
sie  sei  »atmosphärisch-epidemisch,  gelegentlich  endemisch,  jedenfalls  ka- 
tarrhalisch und  kontagiös«.  Um  Weiterverbreitung  zu  verhüten,  sind  die 
Kranken  abzusondern.  Zur  Behandlung  empfiehlt  er  Ätzung  der  ganzen 
Bindehaut,  sowohl  der  Lider  als  auch  des  Augapfels,  mit  Höllenstein  in 
Substanz  2).  Wenn  nüthig,  ist  die  Lidspalte  schläfenwärts  zu  erweitern. 
Die  Ätzung  muß  wiederholt  werden.  ■ 

K.  beschreibt  auch  eine  Orbital-Cyste,  die  den  Augenbrauen  ähn- 
liche Haare  enthielt''). 

Bezüglich  der  Bildung  eines  neuen  Thränenweges  meint  er,  daß 
die  Durchbohrung  des  zu  dünnen  Thränenbeinchens  sich  öfters  wieder  ver- 
lege, und  räth  die  des  Stirnfortsatzes  vom  Oberkiefer  zu  versuchen,. 

i)  Biogr.   Lex.  III,  46i.     (E.  E.  Daniels.) 

2}  Vgl.  A.  d'Oc.  XIV,  119  und  unsren  §  840.  3)  Vgl.  A.  d'Oc.  XII,  41. 


J.  F.  Kerst.  127 

der  unter  o7  Schädeln  wenigstens  27  mal  so  hoch  sich  erstreckte  i),  daß 
der  Versuch  gelang. 

In  seinen  »Bijdragetot  de  behandeling  der  Ophthalmia  purulenta« 
(Utrecht  1836)  empfiehlt  er  Hüllenstein  in  Substanz,  Lösung,  Salbe  und 
Ausschneidung  der  zurückbleibenden  Granulationen. 

SiNABiLif;2]  schreibt  Kerst  das  Verdienst  zu,  die  Ätzung  mit  dem  Hüllen- 
stein als  Heilmittel  der  eitrigen  Augen-Entzündung  in  Holland  bekannt 
gemacht  zu  haben. 

In  N.  Lancet  (1842/1843)3)  giebt  K.  neue  Instrumente  an:  1.  Eine 
elfenbeinerne  Platte,  welche  bei  Atzung  der  Lider  die  Hornhaut  schützen 
solH). 

2.  Einen  Lidspreizer,  der  bei  Ätzung  der  Hornhaut  die  übrigen  Theile 
des  Augapfels  schützen  soll. 

3.  Einen  Ätzmittelträger.  \  und  2  besitzen  einen  Stiel;  3  ist  ähnlich 
dem  von  De  Cond£.    (§  823.) 

Im  Jahre  1847  schrieb  K.  über  die  PuRKiNJE-SANSON'schen  Bilder  s). 

Schleppende  Thränensack-Entzündung  heilt  er  durch  Anlegung 
einer  Fistel  mittelst  Hüllenstein-Ätzung;  dann  werden  Einspritzungen  an- 
gewendet, Darmsaiten,  mit  Hüllenstein  bestrichene  Bougies^),  Rührchen : 
schließlich  die  Fistel  geschlossen ,  oder  der  Sack  verüdet.  (N,  Lancet 
1847.)     Kkrst  schrieb  auch  über  Exstirpation  der  Thränendrüsen. 

In  einem  Brief  an  Donders  erwähnt  Kerst,  daß  die  Drüsenschwel- 
lung vor  dem  Ohr  (Bubo  praeauricularis)  nicht,  wie  Hairion  meint,  patho- 
gnomonisch  sei  für  gonorrhoische  Augen-Entzündung. 

In  einem  Brief  an  Cümer  (vom  9.  März  1845)  hat  Kerst  zuerst  die 
Aufmerksamkeit  auf  die  leichten  Grade  der  Kurzsichtigkeit  gelenkt, 
die  bis  dahin  in  keinem  Buche  beschrieben  worden ''). 

Also  auch  Kerst,  von  dem  heutzutage  kaum  noch  die  Rede  ist,  war 
ein  fleißiger  Arbeiter,  der  einiges  von  Werth  geschaffen. 

Unter  den  übrigen  Lehrern  dieser  Schule  ist  noch  zu  nennen  J.  A.  Fles 
(1819 — l'JOo),  welcher  eines  großen  Rufes  als  Augenarzt  sich  erfreute  und 
ein   ausgezeichneter   Lehrer  war.     Im  Jahre  1860    erüffnete   er   eine  Poli- 


1)  A.  d'Oc.  XII,  41. 

2)  A.  d'Oc.  XVI,  30i,  1846. 

3)  Vgl.  A.  d'Oc.  IX,  89. 

4)  Solche  sind  in  unsren  Tagen  wieder  —  erfunden  worden.  (Paulsen  u. 
Auerbach  in  Altona  bedeckten  vor  der  Ätzung  die  Hornhaut  mit  einem  Stück 
Gummi-Papier.  [Klin.  M.  Bl.  1877,  S.  328  fgd.^  Später  zogen  sie  Schälchen  aus 
entkalktem  Elfenbein  vor  [ebendas.  S.  331].  Ich  habe  solche  erhalten,  aber 
nie  angewendet.)  —  Kerst  hatte  übrigens  einen  Vorgänger  in  Hairion.    (1839.) 

5)  N.  Lancet,  Sept.  1847;  A.  d'Oc.  XXI,  172. 

6)  Solche  hat  K.  schon  1839  in  s.  Waarnemingen  beschrieben,  ist  also 
der  Vorgänger  von  Raü's  mit  Höllenstein  getränkten  Darm -Saiten.    (1843.) 

7)  A.  d'Oc.  XVII,  190,  1847.     Vgl.  unsren  §  333,  II. 


128  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—4  875. 

klinik  für  Augenkranke.  In  demselben  Jahre  gab  er  seine  bekannte 
Spiegel-Einrichtung  zur  Entlarvung  von  Simulation  einseitiger  Blindheit  an. 
(Ned.  Tijdschr.  voor  Geneeskunde.) 

§  845.  Von  denjenigen  Medizinern,  welche,  ohne  zu  den  Lehrern 
an  Hochschulen  zu  gehören,  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
die  Augenheilkunde  geübt,  bezw.  gefördert  haben,  verdienen  einige 
noch  eine  kurze  Erwähnung.  Übrigens  hat  der  eine  und  der  andere  doch 
eine  gewisse  Lehrthätigkeit  ausgeübt;  so  schon  der  erste, 

Gerrit  Jan  van  Wy  (1748—1810)1', 
den  ich  als  Star-Schnepper  bezeichnen  möchte. 

Seine  Haupt-Thätigkeit  fällt  übrigens  noch  in  das  18.  Jahrhundert. 
1748  zu  Arnhem  geboren,  1772  in  Amsterdam  zum  Wundarzt  befördert, 
wurde  van  Wy  1788  in  seiner  "Vaterstadt  zum  Stadt-Chirurgen  und  Geburts- 
helfer sowie  zum  Lector  der  Anatomie  und  Chirurgie  ernannt. 

Seine  drei  Veröffentlichungen,  die  für  uns  in  Betracht  kommen,  sind 
die  folgenden: 

4.  Waarneeming  van  eene  zonderlinge  en  gedeeltelijke  herstelling  van  het  ge- 
zigt.     Amsterdam  1777. 

2.  Nieuwe  manier  van  cataract-  of  staarsnijding Arnhem  1792.  (120  S.,  80.) 

3.  Neues  Star-Messer.     Geneesk.  Mag.  II,  1.,  1802. 

In  1.  versuchte  v.  W.  eine  gewissermaßen  aus  der  Niederdrückung  und 
der  Ausziehung  zusammengesetzte  Operation,  nämlich  die  Linse  erst  mit 
der  Nadel  loszutrennen  und  zu  zerstückeln,  hernach  durch  ein  kleines  in 
der  Hornhaut  angelegtes  Loch  herauszuziehen.  Der  Versuch  mißlang, 
weil  der  Kranke  das  Auge  immer  heftig  bewegte;  doch  bekam  derselbe 
einige  Sehkraft  wieder,  da  der  Star  größtentheils  niedergedrückt  war. 

In  2.  beschreibt  v.  W.  einen  Star-Schnepper,  der  dem  gewöhnlichen 
Aderlaß-Schnepper  ähnlich  ist.  Das  Verfahren  wird  in  Richter's  chirurgischer 
Bibliothek  (XIII,  254)  mit  Recht  getadelt.  Der  große  Künstler  Joseph  Beer 2) 
äußert  sich  mit  Heftigkeit  gegen  dies  unkünstlerische  Verfahren:  »Wahrlich, 
wenn  sich  einer  meiner  Schüler  bei  seiner  ersten  Operation  so  anstellte, 
wie  sich  Hr.  v.  W.  bei  dieser  benommen,  —  ich  würde  ihm  dringend  rathen, 
die  Star-Operation  auf  immer  aufzugeben  .  .  ,  « 

»Man  geräth  in  die  Versuchung  zu  glauben,  daß  es  dem  Hrn.  Prof. 
sogar  an  dem  gemeinsten  Menschen-Verstand  fehle.«  ^ 

Nach  V.  W.'s  erster  Operation  mit  dem  Schnepper  blieb  der  Kranke 
blind,  »weil  der  graue  Star  mit  dem  schwarzen  komplicirt  war«.  Der 
zweite  Kranke  lernte  »einige  Gegenstände,   wiewohl  undeutlich«  erkennen. 


1)  Biogr.  Lex.  VI,  343. 

2)  Repert.  III,  188,  1799. 


1 


G.  J.  van  Wy.     Der  Star-Schnepper.  129 

3.  V.  W.'s  neues  Star-Messer  besteht  aus  einer  Klinge,  die  der 
BBRANGER'schen  1)  ähnlich  ist,  und  einem  ausgehöhlten  elfenbeinernen  Stil, 
der  eine  Spiralfeder  enthält:  wenn  man  die  letztere  durch  Druck  losläßt,  so 
jwird  die  Klinge  mit  großer  Kraft  hervurgeschleudert. 

§  816.     Der  Star-Schnepper 

; beruht  also  auf  dorn  Aderlaß-Schnepper.  Der  letztere  besteht  aus  einem 
i  viereckigen  Metall-Gehäuse,  das  innen  die  von  einer  Metall-Feder  zurückgehaltene 
iFliete  birgt,  und  außen  einen  Druckhebel  besitzt,  dessen  Bewegung  die  Fliele 
'hervorschnellen  läßt. 

GuKRix  hat  schon  J769  einen  solchen  Star-Schnepper  beschrieben'^)  und 
um  1785  eine  Verbesserung  desselben  angegeben^):  ein  Ring  umfaßt  die  Ilorn- 
jliaut  und  festigt  den  Augapfel;  eine  Fliete,  dicht  an  der  Vorderseite  des  Rings, 
Iwird  durch  den  Mechanismus  des  Star-Schneppers  vorgetrieben,  durchschlägt  die 
: Hornhaut,  so  weit  sie  aus  dem  Ring  hervorragt,  und  macht  eine  halbmond- 
förmige Öffnung  derselben. 

VAN  Wv  behauptet,    daß   er  das   Instrument  schon   vor  Gl'erin  angewendet. 

Auch   Ec.KHoi.n,   Dumoxt,   Bkcmuet  haben  Verbesserungen  angegeben. 

Diese  Verirrung  hat  nur  wenige  Nachahmer  gefunden.  So  1792  Assalix)  ■*) 
in  Italien;  T.R.Williams  zu  London,  1830^);  zwei  in  Holland:  Die  Professoren 
Hendricksz  und  Janssen  haben  noch  mit  dem  Schnepper  gearbeitet,  der  erstere 
Iwobl  bis  gegen  1845,  der  letztere  jedenfalls  noch  in  den  .lahren  1850 — 1852. 
I  Doch    fehlte    es    auch  in   Holland  nicht  an  Gegnern.     Joh.  Muluer  (I),    1808 

bis  1810  Prof.  zu  Groningen,  ein  überaus  geschickter  .Mann,  und  S.  Exs,  Pro- 
fessor zu  Franeker,   haben  das  Verfahren   verurtheilt. 

Das  encyklopädische  Wurterbuch  der  med.  Fakultät  zu  Berlin")  erklärte 
schon  1836,  daß  diese  Augen-Schnepper  nur  noch  geschichtliche  Erwähnung 
verdienen.  Doch  hat  das  Instrument  wenigstens  zur  Staphvlom- Ab  tragung 
bis  in  die  Mitte  des    t9.  Jahrhunderts  sich   erhalten'. 

§  847.  2.  F.  BlciiNER^),  Stadiarzt  zu  Amsterdam,  zeigte  sich  in  drei  Ab- 
handlungen (1790,  1801,  1813)  als  begeisterter  Anhänger  der  Niederlegung 
des  Stars  und  hat  auch  (1829)  ein  Kompressorium  des  Thränensacks,  nach 
Art  des  Bruchbandes,  angegeben. 

3.  Wilhelm  Friedrich  BüECHNER  (1780— 1855) o>. 
Im  Jahre  1780  zu  Reinheim  (Hessen-Darmstadt)  geboren,  mit  15  Jahren  in 
den  holländischen  niilitärärztlichen  Dienst  getreten,  wurde  B.  1799  Ghirurgijn- 


i)  %  351,  Fig.  68. 

2)  §  377  und  331. 

3)  Richter's  chir.  Bibl.  VIII,  689  (1785),  mit  Abbildung. 

4)  §719,  S.  24. 

5)  §  636.   S.  259. 

6)  Vn,   S.  22. 

7)  Ritterich,  Augen-Op.,  1859,  Taf.  XVII,  Fig.  3. 

8)  Er  hat  Vrolik's  Befund  eines  Krystall-Wulstes   1801    veröffentlicht.     Vgl. 
§539,  S.  397. 

9)  Biogr.  Lex.  VI,  571. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.Bd.  fVII.)   XXIIL  Kap.  9 


130  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800  —  1875. 

majoor,  nahm  1800  Theil  an  dem  Feldzug  nach  Deutschland,  promovirte 
1801  an  der  Universität  von  Würzburg,  wo  er  in  Garnison  lag,  zum  Dr. 
med.  et  chir.,  nahm  nach  dem  Frieden  von  Amiens  (1802)  seine  Entlassung 
und  wirkte  als  Arzt  zu  Gouda,  wo  er  eines  großen  und  weitreichenden 
Rufes  sich  erfreute.  In  seinem  »Geneeskundig  Handboek«  (1822 — 1829, 
Amsterdam)  hat  er  die  Augen-Entzündungen  sehr  ausführlich  besprochen. 

4 — 7.  Bemerkenswerth  scheint  mir,  daß  es  um  1800  zu  Amsterdam 
einen  Stadt-Operateur  für  Star  gegeben,  den  von  Prof.  A.  Bonn  aus- 
gebildeten Hennig  Nissen  i),  welchem  1807  C.  H.  Bünk  im  Amte  folgte.  Beide 
haben  nichts  veröffentlicht. 

Im  gleichen  Amte  wirkte  zu  Rotterdam  van  Onzelen,  der  1814  im 
Hippokrates-Magazyn  zwei  Fälle  geheilter  Lähmung  des  Oberlids  mit- 
getheilt  hat. 

Der  Stadt-Chirurg  von  Dordrecht  van  Ingen  hat  Beer's  »Methode,  den 
grauen  Star  mit  der  Kapsel  auszuziehen«  2),  vom  Jahre  1799,  in's  Hol- 
ländische übertragen.  m 

§  848.  8.  Der  bekannteste,  ja  berühmteste  Augenarzt  aus  der  ersten 
Hälfte  des  li).  Jahrhundert,  neben  van  Onsknoort,  den  er  allerdings  in  wis- 
senschaftlicher Hinsicht  nicht  erreicht  hat,  war 

Willem  Mensert  (1780—1848)3). 
Geboren  im  Haag,  am  1.  April  1780,  wurde  er  1795  Lehrling  des  be- 
kannten Wundarztes  Damen,  kam  1799  an  das  Spital  zu  Rotterdam,  zog 
1800  mit  der  Armee  nach  Deutschland,  kehrte  aber  im  folgenden  Jahre 
zurück,  kam  zu  dem  Wundarzt  Schuuring,  bestand  1803  seine  Prüfung 
als  »Ghirurgijn«  und  wurde  durch  seine  Gönner  nach  Paris  geschickt,  um 
am  HOtel-Dieu  in  der  Chirurgie  sich  weiter  fortzubilden. 

Darauf  studirte  er  noch  einige  Zeit  in  Duisburg,  wo  er  den  Titel 
eines  Chirurgiae  Doctor  erwarb,  und  ließ  sich  dann  (1805)  in  seinem 
Geburtsort  nieder ;  siedelte  jedoch  1 808  nach  Amsterdam  über,  wo  er  im 
wesentlichen  als  Augenarzt  thätig  war,  von  1812 — 1831  als  Stadt-Ope- 
rateur für  Star  und  später  auch  als  Privat-Arzt  augenärztliche  Praxis 
ausübte. 

Im  städtischen  Krankenhaus  hat  er  mehr  als  120  Star-Operationen 
ausgeführt. 

Im  Jahre  1844  erhielt  er  vom  König  Wilhelm  I.  die  große  goldne 
Reichsmedaille  mit  der  Inschrift  »Ophthalmiatria,  industria  et  humanitate 
bene  merito«. 


1)  §  840. 

2)  §  469,  S.   499. 

3)  Biogr.  Lex.  IV,  205.    (C.  E.  Daniels.) 


W.  Mensert.  131 

Seine  Titel,  die  er  selber  1Si2,  in  7,  anführt,  lauten:  Ridder  der 
Orde  van  de  Nederlandsche  Leeuw,  Ghirurgiae  Dr.,  Oculist  van  S.  M. 

Mensert  gehörte  zu  den  besten  und  beschäftigsten  Augenärzten  Hol- 
lands; er  hat  viel  geschrieben,  darunter  auch  manches,  was  nützlich  war. 
In  seiner  letzten  Zeit  soll  er  von  Charlatanismus  sich  nicht  frei  gehalten 
haben;  das  lesen  wir  in  Daniki.'s  Bemerkungen:  aus  den  Schriften  Mensert's 
geht  es  eigentlich  nicht  hervor. 

Von  den  letzteren  sollen  die  folgenden  Erwähnung  linden: 

1.  Nutzen  der  Pocken-Impfung,  bewiesen  durch  den  Nachtheil  der 
in  der  Kindheit  erworbenen  Pockenkrankheit  für  die  Augen  i). 

2.  Mißbrauch  der  Brillen,   1811. 
(Verhandeling  over  het  misbruik  der  brillen.) 

Das  war  ein  Lieblings- Gegenstand  unsres  Menskrt,  auf  den  er  wieder- 
holt noch  zurückgekommen  ist. 

18;{l  verfaßte  er  eine  Schrift  von  1!l9  Seiten  über  Gebrauch  und 
Mißbrauch  der  Brillen  und  ließ  noch  1846  eine  zweite  Auflage  erscheinen. 
(.  .  .  Gebruik  cn  misl)ruik  der  brillen.)  Menseut's  letzte  Abhandlung,  aus 
dem  Jahre  1846,  behandelt  auch  die  Brillen  in  Bezug  auf  Alters-  und 
Kurzsichtigkeit  sowie  auf  Sehstörung. 

3.  Im  Jahre  1812  übersetzte  M,  die  1811  erschienene  »Keralonyxis« 
von  BicuHouN^)  und  hat  auch  I81G  eine  eigne  Schrift  über  dies  Verfahren 
veröffentlicht,  worin  er  über  17  Operationen  berichtet.  Er  war  der  erste, 
der  sie  in  Holland  ausgeführt.  (Verhandeling  over  de  Keratonyxis,  Am- 
sterdam 1816.)  Im  Jahre  1831  schrieb  er  eine  geschichtliche  .\bhandlung 
über  Keratonyxis. 

4.  Über  Pupillen-Bildung,  1827. 

(Geschiedkundig  verhandeling  over  de  operatie  tot  vorming  van  een 
kunstigen  oogappel.  Auch  als  Sonderschrift,  Amsterdam  1823;  und  fran- 
zösisch 1829.)  Er  beschreibt  eine  neue  Weise  der  Operation,  mittelst  einer 
Doppel-Schere. 

Auf  dies  Diplotom^)  ist  er  1842  3  (N.  Lancet  V,  1)  wieder  zurückge- 
kommen, und  benutzt  das  Instrument  nicht  blos  zur  Pupillen-Bildung, 
sondern  auch  zur  Staphylom- Abtragung,  zur  Entfernung  von  Augenlid- 
Geschwülsten. 

5.  Beschreibung  der  in  den  Niederlanden  herrschenden  Augen- 
krankheiten, nebst  Tabellen  über  1450  von  ihn  in  den  Jahren  1821  bis 
25  behandelten  Augenkranken  und  über  810  von  ihm  in  den  Jahren  1806 
bis    1825    durch   Ausziehung  behandelten    Staren.      (Geschiedkundig    over- 


1)  Vgl.  Beer,  §  444,  S.  332;  §  469,  S.  524  ;  Weller,  §  524,  S.  321. 

2)  §  352  und  §  635,  R. 

3)  Vom   (i'in}.6o^,  doppelt,   und  louo^,   schneidend;   oder  vom  Hauptwort  to- 
fievs,  da  M.  Diplotomise  schreibt. 


132  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

zieht   omtrent   de   heerschende   en    voorkomende   oogziekte    in    Nederland, 
Amsterdam  1827.) 

6.  Übersetzung  von  K.  Sprengel's  Abhandlung  über  Geschichte  der 
Star-Operation  1835. 

7.  Rathschläge  zur  Erhaltung  der  Sehkraft.  (Wees  toch  voorzichtig  met 
de  oogen  .  .  .  ,  Amsterdam  1842   [62  S.].) 

Ist  eine  Streitschrift  wider  den  Kurpfuscher  Pfarrer  Kremer. 

8.  In  den  Augenheilkundigen  Mittheilungen  knüpft  M.  an  seine 
frühere  Erörterung  über  die  Augenheilkunde  in  Holland  an  und  bestrebt 
sich  zu  erweisen,  daß  noch  heute  seine  Landsleute,  betrefTs  dieses  Sonder- 
faches, dessen  Wichtigkeit  er  klarlegt,  nicht  hinter  den  übrigen  Völkern 
zurückstehen. 

Danach  beschreibt  er  einige  neue  Instrumente:  1.  einen  Augenlid- 
halter (ooglidhouder),  eine  Verbesserung  desjenigen  von  PkllierI).  Eine 
Nadel-Pinzette 2)  zur  Ausziehung  des  Nachstars  oder  zur  Pupillen-Bildung. 
3.  Die  Nadel  von  Baratta  (1848)3)  zur  Niederlegung  des  Stars  und  zur 
Iris-Ablösung :  es  ist  dieselbe,  die  Lusardi  *)  als  sein  Eigenthum  beschrieben. 

Den  Schluß  macht  die  IJberselzung  von  Beger's  Abhandlung:  Das 
Auge  vom  Standpunkt  der  Medizinal-Polizei  betrachtet,  sowie  einige  Be- 
merkungen über  den  Unterricht  der  Augenheilkunde  in  Holland. 

(Beschouwingen  en  mededeehngen  betreffende  de  oogheelkunde.  Lan- 
cet  V,  1842/43.  Auch  als  Sonderschrift,  Utrecht  1843,  80,  XH -j- 98  S. 
mit  3  Tafeln.     Im  Auszug  A.  d'Oc.  XII,  97—98,  1844.) 

In  der  N.  Lancet  (VII,  1844/45)  kommt  M.  noch  einmal  auf  seine 
einfache  und  seine  zusammengesetzte  Star-Nadel  zurück. 

9.  In  seinem  »Bedenken  und  Mittheilungen  über  Schiel-Operation« 
(oogspierdoorsnijding),  vom  Jahre  1845  warnt  ÄIensert  vor  zu  großen 
Erwartungen  und  übersetzt  —  Nevermann's  Abhandlung  »llias  post  Ho- 
merum«^).    Da  hätte  er  sich  allerdings  etwas  Besseres  aussuchen  können. 

9.  G.  H.  Wächter,  Chirurg  von  Willem  I.  und  Willem  II.,  promovirte  1810 
zu  Groningen  (»de  pupilla  artificiali«),  schrieb  eine  specielle  Chirurgie,  worin 
auch  die  Augen-Operationen  abgehandelt  sind,  und  gab  das  Hippocrates  Magazijn 
heraus,  welches  viele  augenärztliche  Abhandlungen  enthielt. 

10.  Logger  (1759  — 1841),  Chirurg  zu  Leiden,  erhielt  1809  einen  Preis 
für  seine  Abhandlung   »Über  den  schwarzen  Star«. 

§849.     11.  Louis  Philipp  Jacob  S^ABILIfi  (1797—1865)6' 
war  Militär-Arzt  von  1814  an,  wurde  1853  General-Inspektor  der  militär- 
ärztUchen  Dienste  und  1860  General-Major. 


1)  §  645,  S.  189  und  §  381,  S.  99.  2)  §  345,  S.  467. 

3)  §  723,  S.  53.  '  4)  §  442,   S.  323. 

ö)  §  499,  S.  131.  6)  Biog.  Lex.  VI,  1007. 


L.  P.  J.  Snabilie.  133 

Den  Doktor  erwarb  er  IS20  zu  Groningen.  Er  hat  verschiedene  Ab- 
handlungen zur  Augenheilkunde  verfaßt.  Seine  Wertschätzung  ergiebt  sich 
aus  der  Thatsache,  daß  er  nach  van  Onsenoort's  Tode  als  Mitarbeiter  an 
den  Annales  d'Oc.  erscheint. 

1.  In  seinen  praktischen  Wahrnehmungen  berichtete  er  1X30 
(Prakt.  Tijdschrift)  über  Heilung  von  1  litis  durch  Hyoscyamus,  über  Be- 
handlung der  Amaurose  mittelst  Blut- Entziehungen. 

2.  Übor  die  Behandlung  der  gonorrhoischen  Bindehaut-Eiterung  schrieb 
er  in  der  N.  Lancet  \HSH  und  tSiS:  er  macht  die  Atzung  und  danach  den 
Aderlaß;  und  ruft  den  Tripper  wieder  hervor,  wenn  seine  Unterdrückung 
als  Ursache  der  Augen-Entzündung  zu  betrachten  sei'). 

Verschiedene  Miltheilungen  betreflon  die  in  der  niederländischen 
Armee  herrschende  Augen-Entzündung. 

3.  J)ie  militärische  Ophthalmie  ist  ganz  erheblich  verringert.  Man  trilVt 
wohl  noch,  von  Zeit  zu  Zeit,  Granulationen,  aber  meist  ohne  Absonderung: 
sie  weichen  dem  Tuschiren  mit  Höllenstein.  Rekruten  mit  Augenleiden 
werden  nicht  uK^hr  eingestellt.     (A.  d'Oc.  VH,  40,    1842.; 

S.  hält  die  Krankheit  für  eine  eigenartige,  nämlich  für  eine  gemilderte 
Form  der  ägyptischen,  die  früher  geherrscht.  Er  läßt  nur  zwei  Arten 
zu,  die  akute  und  die  chronische. 

Der  granuläre  Zustand  der  Lider  bei  einigen  Soldaten  unterhält  das 
Leiden  in  den  Regimentern.     Der  Hüllenstein  ist  das  beste  Mittel. 

Von  den  Komplikationen  der  militärischen  Ophthalmie  erwähnt  er  die 
gonorrhoische.  (Bijdragen  tot  de  Kennis  der  heerschende  Oogziekte  in 
het  Nederlandsche  Leger,  Breda  1840.  [S«,  VI  u.  150  S.]  Französischer 
Auszug   im  Journal  medical  de  la  Neerlande,    1845.) 

Gegen  die  abfällige  Kritik  seines  Werkes,  die  Henrotav,  nur  nach  dem 
französischen  Auszug,  verüfTenllicht  hat  2),  erhebt  sich  sofort  SNABii.iß^), 
namentlich  auch  gegen  die  ihm  zugeschriebene  Nichtachtung  der  belgischen 
Veröffentlichungen  und  betont,  daß  Kerst  schon  1836  den  Höllenstein-Stift 
gegen  eitrige  Augen-Entzündung  empfohlen  habe*). 

5,  (A.  d'Oc.  XII,  34,  1844.)  In  den  Garnisonen  zu  Breda  und  Geertrui- 
denberg  herrschte  1843,  Juni  bis  Sept.,  eine  heftige  Epidemie  von  eitriger 
Augen-Entzündung;    82   Fälle,    kein    Verlust:    Höllenstein-Ätzung,    Aderlaß 


1)  Dies  wird  verworfen  von  S.'s  Kritiker   HE^'ROTAY,  A.  d'Oc.  XV,  60,  1846. 
Empfohlen  von  Hairion,  noch  1848.     Vgl.  §  444,  S.  333  (J.  Beer). 

2)  A.  d'Oc.  XVI,  59,  Juli  1846. 

3)  Ebendas.  Nov.,  S.  301. 

4)  Vgl.  §  844.    Fallot's  erste  Arbeit  ist  vom  Jahre  1838.    Vgl.  §  789. 


134  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

bei  dpn  Kräftigen ,  keine  Ausschneidung  mehr  aus  der  geschwollenen 
Bindehaut. 

6.  Intermittirende  Iritis,  bei  einem  35j.  Leutnant,  der  in  Zeeland 
an  Wechselfieber  gelitten.  Antiphlogistische  Behandlung,  Einträuflung  von 
Belladonna-Lüsung;  nach  einigen  Tagen  Chinin  (0,05;  2 stündlich,  für  5 
Tage,)  wonach  erhebliche  Besserung  eintrat.  (N.  Lancet,  A.  d'Oc.  XVI, 
S.  226,   1846.) 

7.  Verletzung  durch  Säbelhieb,  Trennung  des  Frontal-Nerven^):  chro- 
nische Keratitis,  amaurotische  Amblyopie,  beginnende  Schrumpfung  des 
Augapfels.     (A.  d'Oc.  XIX,  109,   1848.) 

8.  Die  Blau  säur  e2^  (Acide  hydrocyanique)  hat  weder  in  Dampf- 
Form  noch  als  Waschung,  Einträuflung,  Salbe  bei  Hornhaut-Trübung, 
Amblyopie,  Star  den  geringsten  Nutzen  gezeigt.  (N.  Lancet,  A.  d'Oc.  IX, 
79,   1848.) 

9.  Im  .lahre  1849  hat  S.  seine  hauptsächlichen  Abhandlungen  in  einem 
Schriftchen  vereinigt  und  hiermit  seine  Veröffentlichung  abgeschlossen. 
(Waarneniingen  en  Mededeelingen  uit  het  gebied  der  Oogheelkunde,  Haag 
1849.)  i 

12.  E.  F.  IIovACK,  der  1848  zu  Leiden  promovirte  (de  chorioitide«) 
übernahm  185G  die  (1853  von  J.  W.  R.  Tilanus)  errichtete  Poliklinik, 
schrieb  1858  über  operative  Behandlung  des  akuten  Glaukoms  (Ned. 
Tijdschr.),  ist  aber  leider  schon  1865  verstorben.  ■ 

§  850.  Gelehrte,  welche  Beiträge  zur  Anatomie  und  Physiologie 
des  Seh-Organs  geliefert. 

1.  Franz  Gruithuisen  (1774  —  1852)3), 

nach  Namen  und  Abstammung  ein  Holländer,  durch  Geburls-Ort,  Er- 
ziehung und  wissenschaftliches  Wirken  Deutschland*)  angehörend,  hat  1810, 
gleichzeitig  mit  Prevost'^)  und  unabhängig  von  demselben,  gefunden  und 
veröffentlicht,  daß  das  Leuchten  der  Thier-Augen  nur  durch  Reflexion  von 
einfallendem  Licht  entstehen  kannß). 


i]  §   506,   S.  223,  §   604. 

2)  Vgl.  Turnbull,  §  629 A,  Vose  Solomon,  §  689. 

3)  Biogr.  Lex.  II,  670.    (Diese  Lebensbeschreibung  ist  auch  nicht  von  Daniels 
sondern  von  Seitz.) 

4)  Nach   den,   in  Amerikas   Augenärzten,   §   7  59,    entwickelten   Grundsätzen 
sollte  er  in  den  deutschen  Kreis  einbezogen  werden. 

5)  Vgl.  §  744  und  §  827,  woselbst   auch  gezeigt  ist,   daß   die  Priorität   dem 
Holländer  Bidloo  (1649 — 1713)  zukommt. 

6)  Beiträge  zur  Physiognosie  und  Eautognosie,  1810,  S.  199.  Vgl.  Helmholtz, 
Physiol.  Optik,  1867,  S.  189. 


P.  Karting.    A.  Gramer.  135 

2.  PiicTKR  Haiitim;  1812— 18851  i\ 
<843  ;ils  Prof.  nach  Utrecht  hcrufen,  wo  er  mikroskopische  Anatomie  und 
von  185() — 1882  Zoologie  und  vergleichende  Anatomie  lehrte,  Verfasser  eines 
Lehrbuchs  vom  Mikroskop  i  Bände  1848—1854,  deutsch  von  Thi:ii.k  1859, 
<866,  hat  im  Jahre  1845  eine  Arbeit  über  den  Bau  der  Krystall-Linse 
verfaßt^.  Er  untersuchte  Form,  Wachslhum  und  Zahl  der  Linsenfasern, 
die  Kerne  der  letzteren,  die  er  hei  Neugeborenen  viel  zahlreicher  fand,  als 
bei  Erwachsenen. 

3.  Nicht  vergess(>n  wollen  wir  den  genialen 

Amo.mi:  Cuamkr     1822      1855  3) 
der  in  der  kurzen,  ihm  vom  Schicksal  g(^währten  Laufbahn  so  Großes  ge- 
leistet hat:   1.  1851   über  den  Stand  der  Iris;   2.   1852   über   das  Akkom- 
modations- Vermögen;  3.   1853  über  Czermak's  Orthoskop;    i.   185;{/i  über 
Irradiation. 

2.  Hei  Accommofialievermogen  der  oogen.  Physiologiscli  loegelicht.  Door 
A.  (aiAMKii,   Med.  Chir.  et  Art.  Obst.  Dr.  te  Groningen  .... 

Den  '2  1  Mei  door  de  Hollandsche  Maalschaitpij  der  Wetenschappen  le  Haar- 
leni  met  de  goudcn  Medaille  en  de  prcinic  van  150  Gulden  bekroond.  Haiwlein 
18Ö3.     (4",   20   Fig.   auf  8   Tafeln.) 

2a.  A.  Ghamkm,  Med.  Chir.  et  Art.  Obst.  Dr.  zu  (Ironini,^en,  rhjsiologische 
Ahhandliuig  über  das  Accommodalions-Verniögen  der  Augen,  unter  Redaction 
des  Alltors  vermehrt  und  aus  dem  Holländischen  übersetzt  von  Dr.  Dooex, 
bandphvsikus  zu  l-eer,  eingeführt  durch  Stellwac.  von  Cariox,  Gekrönte  Preis- 
Schrift.   Leer   1855.      (4",    182   S.,    20  +  V  Figuren.)"»' 

Gramer  geht  aus  von  der  Betrachtung  der  drei  PuRKiNjE'schen  Bilder •''>), 
und  zwar  mittelst  eines  Fernrohrs,  wie  Donders  1849^)  vorgeschlagen  hatte; 
in  einem  passenden  Apparat,  den  er  Ophthalmoskop  nannte,  sieht  man, 
wenn  das  untersuchte  Auge  für  die  Nähe  akkommodirt,  —  a  das  von  der 
Hornhaut,  b  das  hinterste,  von  der  Vorderfläche  der  Linse  abstammende, 
und  dazwischen  c  das  mittlere,  von  deren  Hinterfläche  erzeugte;  und  läßt 
nun  das  untersuchte  Auge  für  die  Ferne  akkommodiren:  so  sind  a  und  c 
an  ihren  Stellen  geblieben,  aber  b  hat  sich  an  c  ansrenähert. 


4)  Biogr.  Lex.  HI,  65.     Mever's  Konv.  Lex.  VI.  Aufl.  I'jO'i,  VIII,  840. 

2)  VAN  DER  HoEVEx's  Zeitschrift,  XII. 

3)  Biog.  Lex.  III,  S.  100. 

4^  Die  holländische  Darstellung  besitze  ich  seit  meiner  Jugend  und  habe 
mir  in  derselben  durch  zwei  Zeichnungen  (nach  den  Grundsätzen  der  graphischen 
Optik;  die  Ergebnisse  erläutert.  Die  deutsche  Übersetzung  erwarb  ich  »E  libris 
F.  Th.  Frerichs«  nach  dessen  Tode  (1885),  —  sie  war  nicht  aufgeschnitten. 
ScHAUExBURGS  un volls t äu dig 6  Übersetzung,  »Das  Acc.-Vermögen  der  Augen, 
nach  Dr.  A.  Gramer  und  Prof.  Donders *■,  Lehr  1854,  hat  unsrem  Gramer  sehr 
mißfallen. 

5)  §  573,  S.  UO. 

6)  Ned.  Lancet,  bl.  146. 


136 


XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 


Wird  wieder  für  die  Nähe  akkommodirt,  so  tritt  der  frühere  Zustand 
ein.  Also,  die  Linse  ist  an  ihrer  Stelle  geblieben;  die  Akkommodation 
für  die  Nähe  beruht  auf  stärkere  Wölbung  der  vorderen  Linsen- 
fläche.     (Die    Ursache    dieser    Krümmungsvermehrung    suchte    C,    nach 

Versuchen  am   Seehund-Auge,   in 
Fig.  3.  einer  Thätigkeit  der  Iris.) 

Gramer  wahrt  seine  Priorität 
gegen  Helmholtz,  durch  einen  Zusatz 
in  der  deutschen  Ausgabe,  S.  42 : 

»Während  ich  bereits  1851 
(Tijdschr.  d.  N.  Maatsch.  tot  bevord. 
d.  Geneesk.  D.  II,  bl.  1 1  5)  den  Grund 
des  Akkommodations-Vermögens  in 
der  Kürze  angedeutet  hatte,  auch 
meine  Untersuchungen  schon  zu  der- 
selben Zeit  durch  Donders  (N.  Lancet, 
2.  Serie,  D.  I,  bl.  529)  besprochen 
waren,  wies  Helmholtz  (Monatsber.  d. 
K.  Preuß.  Ac.  d.  Wiss.  Febr.  18.^3, 
S.  137)  last  gleichzeitig  mit  dem  Er- 
scheinen der  Original-Ausgabe  dieser 
Abhandlung,  noch  unbekannt  mit 
meinen  Mittheilungen,  gleicherweise 
den  Grund  des  Akkommodations- 
Vermögens  nach  einer  von  der 
meinigen  etwas  verschiedenen  Me- 
thode nach«    .... 

In  seiner  ausführlichen  Ver- 
öiTentlichung  aus  dem  Jahre  1855 
(A.  f.  0.  I,  2,  S.  1)  hat  Helmholtz 
bereitwillig  Hrn.  Gramer  die  Ehre  der 
Priorität  zugestanden.  Aber  der  letztere  unterschätzt  wohl  das  Vorverdienst, 
das  M.  A.  Langenbeck  (1849)  sich  auf  diesem  Gebiet  erworben  (vgl.  §  484,  S.  36), 
und  hat  die  Versuche  von  Thomas  Young  (1801,  vgl.  §  460,  S.  462)  und  von 
Alexander  Hueck  (1828,    1839    nicht  berücksichtigt. 


Antonie  Gramer. 


4.  Dr.  J.  A.  Moll  in  Utrecht 
hat  anatomisch-physiologische  Untersuchungen  über   die   Augenlider  der 
Menschen  in  Donders'  Laboratorium  angestellt  und  in  holländischer  Sprache 
verüffentlicht;  den  ersten  Theil,  welcher  von  den  Augenlidern  i.  A.  handelt, 
hat  er  im  Arch.  f.  Ophth.  III,  2,  S.  25«  — 268  mitgetheilt. 

Sein  vergrößerter  Lid-Durchschnitt  (Taf.  III,  Fig.  1 )  war  zu  meiner  Lehr- 
zeit uns  allen  sehr  werthvoll;  ich  meine,  er  hält  den  Vergleich  aus  mit 
dem  in  der  ersten  Ausgabe  unsres  Handbuchs  (I,  1,  S.  64,  1874)  und  so- 
gar mit  dem  in  der  zweiten.     (I,   1,  S.  89,  1910.) 

In  der  letzteren  (wie  in  Güttmann's  Terminologie,  1913,  S.  797)  werden 


Akkommodations-Theorie.  —  Moll.  —  Augen-Heilanstalten.  137 

die  in  die  Wimper-Bälge  einmüiideiideu  Talg- Drüschen  als  Moi.L'sche  Drüsen 
bezeichnet,  obwohl  M.  sie  nicht  entdeckt,  sondern  nur  genauer  beschrieben  hat. 

Die  Zahl  der  Wimpern  beträgt  nach  Moi.l's  Zählungen  im  oberen 
Lid   104 — 150,  im  unteren  50 — 75. 

(Über  die  Entwicklung  und  den  Wechsel  der  Wimpern  hat  Donders 
selber  [A.  f.  0.  IV,  1,  S.  286f.,  1858]  uns  werthvolle  Mittheilungen  gemacht.) 

§  851.     Augen-Heilanstalten.     Die  augenärztliche  Gesellschaft. 
Das  lleispiel  von  Donkkrs,  der  1858  in  Holland  die  erste  Augen-Heil- 
anstalt gegründet,  hat  natürlich  Nachahmung  gefunden : 

I8üf)  durch  Du.  .1.  11.  de  Haas'    zu  Rotterdam. 

(Neubau,  mit  28  Betten,  im  Jahre  1874.  Klin.M.Bl.  1877, 
S.  86.) 
1874  durch  Dr.  Günning  zu  Amsterdam. 
1870  durch  Dr.  Mulder  zu  Groningen. 

1870  durch   Dr.  van  Mcti.i.  -    zu  Rotterdam.  ■ —  Diese  Einrich- 
tung  erhielt    1015    einen    monumentalen    Neubau,    die 
Frau   Blankenhcym-Stiftung. 
187U  durch  Dk.  Bol'mn  im  Haag. 
I8*.K)  durch   Du.  Swakt-Ahrahams/  zu  Maastricht. 
11)03  durch  Dr.  Nicolai  zu  Nijmogen. 
In    den   letzten  Jahren   ist   auch  Arnhem   gefolgt    durch   Dr.  Piekema. 
Übrigens   sind   an   vielen  Krankenhäusern  Augen-Abtheilungen  eingerichtet. 
Nicht  vergessen  wollen  wir  die  zu  Bandoeng  auf  Java  1003   von  der 
Königin  begründete  Augen-Heilanstalt ^^ 

Von  Jahresberichten  jaarlijksch  Verslag  ,  die  von  allen  Augen- 
Heilanstalten  herausgegeben  werden,  erwähne  ich  die  folgenden: 

1.  Die  des  Gasthuis  zu  Utrecht,  mit  ihren  wissenschaftlichen  Beilagen. 

2.  Die  der  Einrichtung  für  Augenleidende  zu  xVmsterdam.  Der  4.  Be- 
richt vom  Jahre  1 877  nennt  als  Direktor  Dr.  Gunmng,  als  Ärzte  da  Costa 
GoMEz  DE  LA  Penha,  Gori,  Glnnixg,  JuDAj  der  27.,  für  1800,  als  Arzte 
JuDA,  VAN  RiJNBERK,  JiTTA,  VissER,  W.  Snellen,  Schoute ;  eben  dieselben 
finden  sich  in  dem  Bericht  für  1013,  doch  ohne  Jitta. 

3.  Die  Vereinigung  zur  Hilfe  von  armen  Augenleidenden  zu  Rotterdam 


i]  Seine  Dissert.  aus  dem  Jahre  iS62,  > Geschichtliche  Untersuchung  über 
Hypermetropie  und  ihre  Folgen«,  ist  von  Mooren  ausführlich  erörtert  in  den 
Klin.  M.  Bl.  I,  S.  51—39. 

Ebendas.  XX,  S.  219—230,  1882,  findet  sich  seine  Abhandlung:  Umsetzung 
von  Licht  in  Erregung  zum  Sehen. 

2)  Über  Wunden  der  Ciliar-Gegend,  Klin.M.Bl.  XXIV,  S.  299,  1884.  Die 
örtliche  Behandlung  von  Erkrankungen  nicht  oberflächlicher  Gewebe.  Ebendas. 
XXX,   329,   1892. 

3)  C.  Bl.  f.  A.  1913,  Febr. 


138  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

nennt  im  H.  Jahresbericht  für  1877,  wie  im  34.  für  1899,  als  Vorsitzenden 
Dr.  J.  H.  de  Haas. 

4.  Die  Einrichtung  für  Augenleidende  zu  Rotterdam,  Vorsitzender 
Dr.  f.  D.  A.  C.  van  Moll. 

5.  Einrichtung  für  Augenleidende,  in  's  Gravenhage,  vom  Jahre  1 892. 
Im  Jahre  1892  wurde  >Het  Nederlandsch  oogheelkundig  gezel- 

schap«'    begründet,  die  sich  einer  großen  Mitgliedschaft  erfreut  und  zwei 
Mal  jährlich  Sitzungen  abhält. 

§  851  A.     Niederländische  Kultur-Arbeit  in  Ost-Indien^, 
auf  unsrem  Gebiet,  ist  bedeutend. 

Mehrere  Männer  haben  diesem  Dienst  ihre  besten  Jahre  theilweise  oder 
ganz  gewidmet.  Einen,  den  ich  persönlich  gekannt,  will  ich  als  Beispiel  an- 
führen 3;. 

Christian  Hermann  August  Westhoff  (1849 — I91.3i 
ist  Schüler  von  Dondkrs.  Er  wirkte  zuerst  als  praktischer  Arzt  auf  Java, 
dann  als  Augenarzt  zu  Amsterdam,  begann  um  18S6  seine  wissenschaft- 
liche Arbeit  den  Fachgenossen  milzutheilen  und  gründete  bald  darnach  eine 
Augen-Heilanstalt  zu  Amsterdam.  Schon  in  reiferen  Jahren,  verließ  er  die 
behagliche  Hauptstadt  von  Holland,  um  in  der  niederländischen  Haupt- 
Kolonie  Java  den  Eingeborenen  seine  ganze  Kraft  und  Thätigkeit  zu  widmen. 
In  einem  Brief,  den  er  am  11.  Dezember  1905  aus  Bandoeng  (Java)  an 
mich  gerichtet  hat,  und  der  im  Centralblatt  für  Augenheilkunde  1906, 
S.  60/61   veröffentlicht  ist,  heißt  es  folgendermaßen: 

»Wie  Sie  wissen,  war  ich  in  Amsterdam.  Als  meine  Kinder  nach 
Java  gingen,  beschloß  ich  mitzugehen  und  habe  mich  hier  in  einem  herr- 
lichen Berg-Klima  Bandoeng  liegt  600  m  über  dem  Meeresspiegel,!  als 
Augenarzt  niedergelassen.  Ich  bin  beauftragt,  unterrichtete  Javanen  zu 
Augenärzten  auszubilden,  welche  äußere  Augenkrankheiten  behandeln  dürfen'). 
Es  kommen  hier  viele  Augenkranke  vor,  und  augenärztliche  Hilfe  fehlt 
gänzlich.  Überdies  habe  ich  hier  eine  Blinden-Anstalt  gegründet,  die  erste 
auf  Java.« 

Aus  seinem  Schwanen-Gesang,  der  erst  Februar  1913,  gleichfalls  in 
unsrem  Centralblatt  abgedruckten  Abhandlung  über  Augenkrankheiten 
auf  Java,  ertönen,  wenn  auch  unausgesprochen,  die  Worte,  die  Faust  am 

1)  Vgl.  über  augenärztUche  Gesellschaften  §  762.  1 

2)  E.  Z.  des  Königreichs  der  Niederlande  6  212  000;  in  Niederländisch  Ost- 
Indien  38  Millionen,  davon  sind  35  M.  Mohamedaner. 

3J  C.  BI.  f.  A.,  Mai  1913.  —  Auch  Visser,  Steiner  u.  a.  wären  zu  nennen. 

4)  Diese  Sender-Schule  mit  6  monatlichem  Kurs  hat  keinen  Beifall  gefunden 
und  ist  bald  wieder  aufgehoben  worden.  Eine  allgemeine  Medizin -Schule  für 
Eingeborene  besteht  zu  Weltevreden  seit  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts;  I87ö  wurde 
sie  neu  eingerichtet,  1891  besondre  Lehrer  der  Augenheilkunde  angestellt. 
Minerva  bringt  keine  Andeutung  dieser  Schule. 


i 


Ost-Indien.  —  Pfuscher.  139 

■Schluß  seiner  gewaltigen  und  erfolgreiclien  Arbeit  ausspricht:  »Zum  Augen- 
blicke dürft"  ich  sagen,  verweile  docli,  du  bist  so  schün.«  Sie  lauten,  in 
Wbstuoff's  bescheidener  Sprache:  »In  Bandoeng  ist  durch  Ihre  Majestät 
die  Königin  vor  4  Jahren  eine  prachtvolle  Anstalt  für  Augenkranke  ge- 
gründet worden,  wo  z.  B.  im  vorigen  Jahre  :{736  Patienten  behandelt 
wurden;  es  wurden  717  Kranke  verpflegt,  806  Operationen  vorgenommen, 
worunter  122  Star-Operationen.-  Ja,  Wksthoff's  Andenken  wird  gesegnet 
bleiben,  und  seine  Schöpfung  wird  weiter  bestehen! 

Im  ()ö.  Lebensjahre,  auf  der  Rückreise  von  Europa  nach  Java,  ist  er 
am  25.  März  191  5   zu  Sydney   verstorben.     Sein  Nachfolger   war  P.  Wvn. 

Das  Central blal I  für  Augenheilkunde  bericlilet  ül)er  die  folgenden  Arbeiten 
von  Westhoff,  von  denen  die  mit  *  als  Original-MiUheilungen  erschienen,  die 
andren  aus  verschiedenen,  holländischen  oder  französischen,  Zeitschriften  refe- 
rirl  sind : 

1.  Trachom-Behandlung.    188C,  S.  ;;0:>.     Vgl.  lSGä,S.  276. 

2.  ConJ.  membranacea,  mit  Zinnober  behandelt.    1887,  S.  5'iO. 

3.  Erythropsie  bei  Apliakie.     (Festscluift  für  Donders.,     1888,  S.  4/i7. 
'i.  Erster  Jahresbericht  der  Augenheilanstalt.     1889.  S.  460. 

5.*  Variköse  Netzhautvenen-Kntzündung.     1804,  S.  166.  s 

6.*  Abducens-Parese  und  Pneumonie.    I8!i;i,  S.  0. 
7.*  Hereditäre  relro])ulbäre  Neuril.  opt.    189.;,  S.  168. 
8 — 10.*  a)  Iritis  suppur.  nach  Gebrauch  von  Jodkali,   b;  Angeborenes  Staphyloma 
com.  am  linken  und  Atroph,  bulbi  am  rechten  Auge,  c)  Pigmentation  der 
Bindehaut.    1898,  S.  27:i. 
It.*  Angeborener  familiärer  Star.    1898,  S.  iS'i. 
12.*  Distich.  cong.  hered.    1899,  S.  180. 

13.  Doppelseitige  Linsen-Luxation.    1900,  S.  146.     (Vgl.  1889,  S.  375.) 

14.  Protargol  in  der  Augenheilkunde.     1900,  S.  151. 
15.*  Melanosarcoma  bulbi.     1906,  S.  61. 

16.*  Ophthalmoplegia  total,  dupl.    1908,  S.  356. 

17.     Salvarsan  in  der  Augenheilkunde.     1911,  S.  247. 

18.*  Keratitis  punctata  tropica  (Sawah-Keratitis;.    Oktober  1912. 

19.*  Augenkrankheiten  auf  Java.    Februar  1913. 

§  852.     Pfuscher,  irrende  Ritter  der  .\ugenheilkunde. 
Nach  dem  Drama  folgt  das  Satyr-Spiel.     Auch  die  Auswüchse    der 
Augenheilkunde  müssen  erwähnt  werden,  um  das  Bild  der  letzteren  zu 
vervollständigen, 

1.  Der  protestantische  Pfarrer  Kremer,  der  in  dem  Dorf  te  lleeze 
wirkte  und  eine  Gemeinde  von  51  Personen  verwaltete,  fand,  daß  sein 
Einkommen  bei  weitem  nicht  seine  Bedürfnisse  befriedigte,  warf  sich  auf 
die  Augenheilkunde  und  bereitete  aus  Lösungen  vom  göttlichen  Stein  i), 
von  Kupfer-  oder  Zink-Sulfat  ein  Allheilmittel  gegen  alle  Augenleiden, 
Bald    fanden    sich    Zeitungen,   die    von    Wunder-Kuren    berichteten.      Der 


1)  §  359,  S.  12;  Einführung  I,  S.  13. 


140  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800—1875. 

Pastor  half  nach  durch  reichliche  Vertheilung  eines  Büchleins  vom  klein- 
sten Format,  mit  dem  Titel:  De  genezing  der  Oogziekten,  door  der 
weleerwaarden  heer  J.  L.  A.  Kremer  Az.,  hervormd-predikant,  te  Heeze 
Der  Pastor  verkündigt,  daß  er  Star  und  Amaurosen  geheilt  habe.  Mar 
glaubt  es  ihm.  Die  Dampfschiffe  und  die  Post  erlassen  den  Pilgern  die 
Hälfte  des  Fahrgeldes.  Die  Regierung  duldet  den  Wunderthäter.  Das 
Dorf  te  Heeze  kann  im  Sommer  die  Zahl  der  Gäste  kaum  fassen.  Oft 
waren  über  300    da.i 

Natürlich,  —  Ruhe,  Landaufenthalt,  passende  Diät  genügen  ja  schon, 
manche  Augenleiden,  z.  B.  skrofulöse,  zu  bessern.  Der  kluge  Pastor  fügt 
einigen  Hokus-Pokus  hinzu,  mit  Augenwässern  und  Pflastern  und  wirft 
in  den  Konsultationen  mit  Redensarten  aus  Cauron  du  Villards,  seinem 
Lieblings -Schriftsteller,  um  sich^).  Dies  ist  das  Bild,  welches  durch  die 
Streitschrift  von  Mensert  (i?  848    und  die  A.  d'Oc.  uns  überliefert  worden. 

Ungleich  günstiger  urtheilt  Hr.  Prof.  J.  van  der  Hoeve  2) : 

»Dr.  J.  G.  A.  Kremer  (1798 — 1867    hatte  schon  früh  als  Dilettant  sich 
einige  Kenntnisse  in  der  Chemie  und  Medizin  verschafft  und  bemühte  sich, 
dieselben  während  seiner  Studien-Zeit  in  Utrecht  zu  erweitern:  er  las  hol-i 
ländische,   deutsche  und  französische  Zeitschriften  der  Heilkunde. 

Zufälliger  Weise  kam  er  dazu,  im  Jahre  1834  einen  Augenkranken 
zu  heilen.  Bald  gewann  er  großen  Ruf,  zumal  in  dieser  Zeit  tüchtige 
Augenärzte  in  Holland  sehr  sparsam  waren. 

Im  Jahre  1836  wurde  ihm  die  Praxis  von  der  Regierung  untersagt; 
aber  in  Folge  vieler  Gesuche  wurde  das  Verbot  wieder  aufgehoben.  Der 
General-Inspektor  des  militär-medizinischen  Dienstes  setzte  sich  mit  ihm 
in  Verbindung;  König  Wilhelm  II.  soll  ihn  konsultirt  haben. 

Die  Behandlung  wurde   kostenlos   gewährt,    meist  auch   die  Arzneien. 

Die  Behandlung  war  hauptsächlich  eine  hygienisch-diätetische. 

Sein  Rath  über  eine  militärische  Ophthalmie  wurde  eingeholt  und  hatte 
gute  Folgen  und  verschaffte  ihm  (am  6.  Dez.  1841)  den  Orden  des  Nieder- 
ländischen Löwen. 

Obwohl  die  Ausübung  der  Praxis  ohne  gesetzmäßige  Befugnis  ja  ver- 
urtheilt  werden  muß,  so  hat  dieser  Mann  in  einer  Zeit,  wo  es  wenige 
Augenärzte  gab,  wahrscheinlich  Gutes  geleistet.« 

2.  Der  »Optiker  und  Okulist«  C.  A.  Hess  zu  Middelburg  hat  in  seinem 
Handbuch  der  mechanischen  Augenheilkunde")  vom  Jahre  1842 
behauptet,  daß  viele  Ärzte  ihm  Augenkranke  zuschickten. 

1)  §  568.  Übrigens  hatte  er  in  Brüssel  einen  katholischen  Priester,  den  Abbö 
Hennus,  zum  Mitbewerber.  _.'M 

2)  Nach  Dr.  Nicolai,  Ned.  Tijdschr.  voor  Geneesk.  1903  II.  bl.  953.  ^ 

3)  Theoretisch  en  practisch  Handboek  der  mechanische  Oogheelkunde,  4  842. 

(80,  273  S.) 


Rückblick.  141 

Das  war  ja  auch  nicht  wunderbar,  da  zu  jener  Zeit  die  meisten  Ärzte 
nit  der  Brillenwahl  sich  nicht  befaßten. 

Das  erste  Kapitel  des  Handbuchs  handelt  vom  Sehen  und  ist  nicht 
iiiz  frei  von  Fehlern.  Das  zweite  bespricht  die  Störungen,  welche  durch 
Uillen  zu  bessern  sind. 

Der  Kritiker  in  den  A.  d'Oc.  (IX,  58,  1845)  hält  mit  seinem  Lob  nicht 
uiiick  und  zii'ht   das  Buch  von  Hkss  dem  von  Ciikvai.ikrI)  vor. 

Ich  glaube  übrigens,  daß  man  Hrn.  Hess  nichts  weiter  vorwerfen 
vann,  als  die  Anmaßung  des  Augenarzt-Titels. 

;{.  Reisende  Augenärzte,  meist  Franzosen,  durften  Verträge  auf 
:00 — 1000  Gulden  für  Star-Operation  abschließen,  während  den  geprüften 
lull  indischen  Wundärzten  verboten  war,  mehr  als  150  Gulden  dafür  zu 
j  in  lern  2]. 

4.  Dem  reisenden  Star-Schneider  Jean  Üiiristiaen  aus  Rotterdam  liaben 
»vir  schon  in  §  442  genügende  Aufmerksamkeit  gewidmet.  Im  Jahre  1840 
Aiude  er  nach  Modena  berufen.  Da  hat  er  etwas  Gutes  und  Bleibendes 
Aiiiigslens  —  veranlaßt.  Die  Haltung,  in  weiche  er,  vor  dem  sitzenden 
Kranken  stehend,  den  Hornhaut-Schnitt  verrichtete,  um  den  Star  ohne 
Kapsel-Spaltung  auszuziehen  ^j,  hat  ein  großer  Künstler,  Adeoü.vk»  Mai.atesta, 
'II  'inem  herrlichen  Tobias-Bild  benutzt,  dessen  Kupferslich  ich  meinem 
I  1   imde  G.  Albertotti  verdanke. 

§  853.     Rückblick. 

Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  Holland,  sonst  so  fruchtbar  an  großen 
Gelehrten  und  ausgezeichneten  Arzlen,  in  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts keinen  Mann  hervorgebracht  hat,  der  auf  unsrem  Gebiet 
so  Bedeutendes  geleistet,  wie  im  18.  Jahrhundert  Boerhaaye  und  Peter 
Camper. 

Die  medizinischen  Fakultäten  thaten  damals  wenig  für  die  Augenheil- 
kunde, die  Regierung  eigentlich  gar  nichts,  so  daß  auch  die  Augen- 
heil-Anstalten erst  durch  private  Thätigkeit  in's  Leben  gerufen  werden 
'  mußten. 

Drei  Männer  sind  allerdings  zu  nennen,  die  Achtungswerthes  geleistet, 
VAN  Onsenoort,  Kerst,  Mensert.  Keiner  von  ihnen  kann  als  genial  be- 
zeichnet werden. 

Dafür  hat  die  zweite  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  volle  Entschädigung 
gewährt.      Da  trat   Donders  auf.     Seine   Leistugeen   gehören   zur   Welt- 


1)  §   470,  S.  533,  No.  77. 

2)  N.  Lancet  1845,  I,  No.  7. 

3)  A.  d'Oc.  XIII,   S.  181  —  184,  184  5. 


142  XXIII.  Hirschberg,  Niederländische  Augenärzte,  1800 — 1875. 

Literatur:  sie  haben,  neben  denen  von  Helmholtz  und  A.  v.  Graefe  die 
Reform  der  Augenheilkunde  herbeigeführt  und  sollen  später  noch  aus- 
führlich geschildert  werden.  Seinem  Andenken  habe  ich  diesen  Abschnitt 
meiner  Geschichte  gewidmet. 

DoNDERS  war  der  Lehrer  der  Völker,  auch  seines  eignen.  Durch 
seinen  Antrieb  wurden  Augen-Heilanstalten  in  den  Niederlanden  ge- 
gründet und  die  Universitäten  mit  Professoren  der  Augenheilkunde  aus- 
gestattet. 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 


Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 

Von 

J.  Hirschberg, 


Professor  in  Berlin. 

Drittes  Buch. 

Sechzehnter  Abschnitt. 
Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800—1875. 

Mit  2  Figuren  im  Text. 


Eingegangen  im  August  1915. 


§  854.     Einleitung. 
Die   drei  nordischen   (skandinavischen)   Reiclie,   Dänemark,    Schweden, 
Norwegen,  stellen  durch  Sprachverwandtschaft  kulturgeschichtlich  eine  Ein- 
heit germanischen  Stammes  dar,  die  auf  unsrem  Gebiet  sogar  durch  eine 
gemeinschaftliche  Zeitschrift 

Nordisk  ophthalmologisk  Tiddskrift 
(herausgegeben  von  E.  Hansen-Grüt  zu  Kopenhagen,   1888 — 1892) 
einen  offenkundigen  Ausdruck  gefunden  hat.    Sie  sollen  deshalb  zusammen 
abgehandelt  werden. 

Ich  werde  zuerst  die  Universitäten  anführen  i],  dann  (in  §  856)  be- 
züglich der  Einführung  des  Universitäts-Unterrichts  in  der  Augenheilkunde 
Hrn.  Privat-Docent  Dr.  Hennig  Rönne  in  Kopenhagen  das  Wort  lassen, 
und  hierauf  selber  über  die  hervorragenden  Vertreter  unsres  Faches  noch 
kurze  Mittheilungen  machen. 


1)  Nach  Minerva,  I,  171—194,  1911. 


144         XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800—1875. 

§  855.     Die  skandinavischen  Universitäten. 

I.  Dänemark 

Die  Universität  1)  Kopenhagen,  1478  begründet,  nach  den  Wirren  der 
Reformation  1537  wieder  geschaffen,  nach  dem  furchtbaren  Stadt-Brand  von 
Kopenhagen  (1728)  neu  eingerichtet,  hatte  im  1 1).  Jahrhundert  unter  den 
Professoren  die  glänzenden  Namen  von  Oehlenschläger,  Rask,  Madvig,  0rsted 
aufzuweisen. 

Die  Universität  hat  fünf  Fakultäten,  die  theologische,  die  rechts-  und 
staatswissenschaftliche,  die  ärztliche  (laegevidenskabelige^))  Fakultet,  die 
philosophische,  die  naturwissenschaftliche. 

Das  ärztliche  Studium  dauert  7  Jahre;  nach  Ablegung  der  Amts- 
Prüfung  kann  der  »Licentiat*  durch  Vorlegung  einer  gedruckten  Dissertation 
den  Doktor-Grad  erwerben.  Es  gi^bt  o.  und  a.  o.  Professoren,  besoldete 
Docenten;  aber  keine  Privat-Docenten  in  unsrem  Sinne:  jeder  in  Kopen-  ' 
hagon  diplomirte  Doktor  hat  das  Recht,  in  den  Universitäts-Räumen  Vor- 
lesungen zu  halten. 

(Die  Universität  Kiel  ist  immer,  auch  unter  der  dänischen  Oberhohcil, 
d.h.  von  1774 — 1864,  deutsch  gewesen  und  somit  schon,  im  §  513,  ab- 
gehandelt.) 

In  Islands  Hauptstadt  Reykjawik  giebt  es  seit  1876  eine  Ärzteschule 
(Loeknasköli) :  5  jähriger  Kurs,  in  dem  auch  Augenheilkunde  gelehrt  wird  •*). 

II.  Schweden. 

Staats-Universitälen :  Lund,  Upsala.  Außerdem  Hochschulen  in  Gothen- 
burg  und  Stockholm.  Den  Universitäten  gleichgestellt  ist  das  Karolinska 
mediko-kirurgiska  Institutet  in  Stockholm. 

Die  Universität  zu  Upsala  wurde  1475  begründet,  1580  geschlossen, 
1595  neu  erüflnet,  1620  durch  eine  medizinische  Fakultät  (mit  zwei  Pro- 
fessoren) vervollständigt. 

Die  Universität  zu  Lund  wurde  1666  begründet^):  1872,  1876,  1908 
erhielt  sie  neue  Statuten. 

In  Stockholm  wurde  1815  verschiedene  ältere  Lehranstalten  für  Heil- 
kunde (Colleg.  med.,  Seraphimer-Lazaret  u.  a.)  zu    einem  neuen  vereinigt, 


1)  Die  chirurgische  Akademie  aus  dem  18.  Jahrh.  (§  429,  S.  231)  bestand  auch 
noch  im  Anfang  des  19.  (§  860);  wurde  aber  (bald  nach  1830)  mit  der  medizini- 
schen Fakultät  verschmolzen. 

2)  Laege  (engl,  leech),  1.  Blutegel,  2.  Arzt.     Vgl.  §  4  88,  S.  74. 

3)  Als  ich  1908  den  mir  wohlbekannten  Augenarzt  Dr.  Björn  Olafson  zu 
Reykjawik  aufsuchte,  war  er  —  zu  Schiff  auf  Praxis. 

4)  >Um  die  in  Roeskilder  Frieden  1658  von  Dänemark  abgetretenen  Land- 
schaften zu  svezisiren«,  (Minerva,  a.  a.  0.,  S.  179);  »um  die  neugewonnenen,  süd- 
lichen Provinzen  Schwedens  dem  geistigen  Einfluß  von  Dänemark  zu  entziehen<. 
(Rossander,  §  839.) 


Die  skandinavisclien  Universitäten.  145 

das  1S22  seinen  jetzigen  Namen  »Karolinisches  niediko-chinirgi- 
sches  Institut«  bekam;  die  Aufgabe  zugewiesen  erhielt,  »geschickte  Ärzte 
für  alle  Zweige  des  Medizinal- Werkes  auszubilden«  und  1874  vollkommene 
Gleichberechtigung  mit  den  medizinischen  Fakultäten  zu  Lund  und  Upsala 
errungen  hat. 

Nach  3j.  Studium  erste  Prüfung,  Medicine  Gandidat;  nach  weiterem 
Studium  von  4 — 4^2  Jahren,  zweite  Prüfung,  Medicine  Licentiat. 

Der  Doktor-Grad  wird  für  die  Praxis  nicht  gefordert  und  nur  von 
einem  geringen  Theil  der  Ärzte  erworben:  Verfassen  einer  Abhandlung  und 
öffentliche  Vertheidigung  derselben  ist  Bedingung. 

§  856.    III.  Norwegen. 

Die  Universitas  Regia  Fredericiana  zu  Cliristiana  ist  1811  be- 
gründet. Es  giebt  0.,  a.  o.  Professoren,  fest  augestellte  Lehrer  und  üni- 
versitäls-Stipendiateii,  die  unsreuPrivat-Docenlon  entsprechen,  ein  Stipendium 
von  1200  — 1500  Kronen  erhalten  und  für  ein  Jahr  ernannt  werden,  ge- 
wöhnlich bis  zur  Dauer  von   5  Jahren. 

Studien-Dauer  in  der  medizinischen  Fakultät  (cand.  med.)  14  — 16  Se- 
mester. Die  Doktor-Würde  entspricht  der  deutschen  Habilitation.  Seit 
1884  sind  die  weiblichen  Studenten  gleichberechtigt. 

IV.  Finland. 

1640  wurde  von  der  schwedischen  Regierung  eine  Universität  in  Abo 
errichtet.  1721,  während  des  großen  Krieges,  begaben  sich  die  Professoren 
nach  Schweden;  1722  wurde  die  Universität  wieder  eröffnet;  1809,  als 
Finland  unter  russische  Herrschaft  gekommen,  die  Zahl  der  Professoren 
erhöht.  Nachdem  eine  Feuersl)runst  1827  Abo  zerstört  hatte,  wurde  die 
Universität  nach  Helsingfors,  der  Hauptstadt  des  Landes  verlegt. 

(»Helsingfors  ist  eine  durchweg  skandinavische  Universität,  wenn  gleich 
sie  nicht  zu  den  drei  nordischen  Reichen  gehört.«  Henning  Rönne,  Brief 
vom  21.  Mai  1911.) 

§857,     Einführung  des  Universiläts-Unt errichts  in  der 

Augenheilkunde  an  den  skandinavischen  Universitäten 

im   19.  Jahrhundert. 

Von 

Privatdocent  Henning  Rönne,  Kopenhagen^). 

1.  Dänemark.     Der  Unterricht  in  der  Ophthalmologie   war,    wie  an 

andren  Orten,  ursprünglich  mit  dem  chirurgischen  Unterricht  vereinigt;  seit 


<)  Die  hier  mitgetheilten  Daten  sind  auf  Anforderung  des  Prof.  J.  Hirschberg 
gesammelt.  Die  Auskünfte  über  die  Verhältnisse  an  den  verschiedenen  Universi- 
täten verdanke  ich  u.  a.  den  Docenten  F.  Ask,  Lund,  S.  Falck,  Christiania,  und 

Handbucli  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.   XIV.  Bd.  fVII.)   XXIII.  Kap.  4  Q 


146  XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800—1875. 


1 


dem  Jahre  1840 — 41  wurde  eine  Reihe  von  Vorlesungen  über  Ophthal- 
mologie als  Sonderfach  von  F.  G.  Haügsted  gehalten,  dessen  Vorlesungen, 
als  Lehrbuch  der  Augenkrankheiten,  im  Jahre  1843,  später  1853  und  in 
den  folgenden  Jahren  von  Professor  Melcqior  und  darauf  von  H.  M.  Sax- 
TORF  herausgegeben  sind. 

Erst  im  Jahre  1873  wird  eine  Docentur  in  dem  Fache  errichtet,  die 
mit  A.  V.  Graefe's  Schüler  Edm.  Hansen  Grut  besetzt  wird,  dem  Manne, 
der  in  Dänemark  die  Ophthalmologie  von  einem  chirurgischen  Nebenfach 
zum  besonderen  Spezial-Studium  erhob. 

9  Jahre  später  (1882)  wurde  die  Docentur  in  eine  ordentliche 
Professur  umgewandelt. 

In  einer  langen  Reihe  von  Jahren  war  der  ophthalmologische  Unter- 
richt nicht  an  eine  von  der  Universität  oder  dem  Staat  eingerichtete 
Kranken-Abtheilung,  sondern  an  Professor  Grut's  private,  jedoch  staatlich 
unterstützte  große,  ambulante  und  stationäre  Klinik  geknüpft;  und  diese 
eigentümliche  Ordnung,  daß  der  öffenthche  Unterricht  in  einem  rein  pri- 
vaten Institut  vor  sich  ging,  wurde  sogar  bis  zum  Jahre  1910  aufrecht 
erhalten. 

Freilich  wurde  im  Jahre  1 876  in  dem  Staats-Hospital  zu  Kopenhagen 
eine  ophthalmologische  Abtheilung  eingerichtet,  diese  aber  wurde  theil- 
weise  als  chirurgische  Abtheilung  weiter  geführt,  so  daß  es  —  fast  als 
ein  Kuriosum  —  angeführt  werden  kann,  daß  Überreste  der  alten  Vereinigung 
von  Ophthalmologie  und  Chirurgie  sich  in  Dänemark  bis  zum  Jahre  1906 
erhielten,  in  welchem  Jahre  die  eigentliche  Trennung  stattfand. 

Erst  im  Jahre  1910  wird  eine  besondere  Universitätsklinik  für  die 
ophthalmologische  Professur  eingerichtet. 

2.  Finland.  An  der  Universität  zu  Helsingfors  ist  der  Unterricht  in 
Ophthalmologie  gleichfalls  zuerst  noch  im  Zusammenhang  mit  dem  Unter- 
richt in  Chirurgie  gewesen ;  Augenkranke  wurden  auf  den  chirurgischen  Ab- 
theilungen behandelt. 

Als  Lehrer  in  Augenkrankheiten  wirkte  so  z.  B.  gegen  das  Jahr  1860 
der  berühmte  Chirurg  J.  A.  Estlander,  dessen  Interesse  für  die  Ophthal- 
mologie durch  eine  Reihe  größerer  und  kleinerer  Abhandlungen  auf  diesem 
Gebiete  zu  Tage  tritt. 

Eine  a.  o.  Professur  der  Universität  in  Ophthalmologie  wurde  im 
Jahre  1871  errichtet  und  war  mit  der  pharmakologischen  Professur  ver- 
einigt:   Prof.  Franz  Josef   v.  Becker    wurde   damit    betraut,  unter    dessen 


V.  Grönholm,  Helsingfors.  In  zwei  Abhandlungen  (A.Key:  Jubjutningsprogramm 
durch  WiDMARKs  Installation,  Stockholm  1892;  und  A.  Dalen:  Oftalmiatriska 
Klinik,  in  Karolinska  medico-kirurgiska  Institutets  Historia,  Stockholm  1910)  findet 
man  sehr  ausführliche  Auskünfte  über  den  ophthalmologischen  Unterricht  in 
Schweden  durch  das  19., Jahrhundert. 


I 


Unterricht  in  der  Augenlieilkunde.  147 

Leitung  im  Jahre  1(S73  eine  neu  errichtete  ophthalmologische  Kranken- 
Abtheilung  und  eine  damit  vereinigte  Augen-Pohklinik  eröffnet  wurde. 

Im  Jahre  1 887  ging  die  Professur  als  eine  rein  ophthalmologische  an 
Prof.  K.  B.  Wahlfors  über. 

[Derselbe  hat  sein  Amt  23  Jahre  lang  verwaltet;  1910  trat  er  zurück. 
Sein  Nachfolger  ist  Prof.  Groenholm.] 

3.  Norwegen.  Ophthalmologie  ist  zuerst  an  der  Universität  zu 
Christiania  im  Jahre  1829  vom  Lector  C.  Heibeik;  vorgetragen  worden,  der 
dann  im  Jahre  1836  Professor  der  Chirurgie  und  Ophthalmologie  wurde; 
seit  dem  Jahre  1844  ist  Ophthalmologie  Prüfungs-Gegenstand  an  der  Uni- 
versität gewesen. 

Im  Jahre  1873  wurde  eine  neue;  Professur  für  Ophthalmologie  und 
Chirurgie  (Professor  Iljoiaj  errichtet;  gleichzeitig  auch  am  Ueichshospital 
eine  Abtheilung  für  die  nämliciien  beiden  Fächer,  sowie  eine  besondere 
Poliklinik  für  Augenkrankheiten,  eingerichtet. 

Im  Jahre  1897  wurde  eine  rein  oplitlialmologisclie  Professur  errich- 
tet, gleichzeitig  auch  die  Augen -Abtheilung  als  eine  besondre  Anstalt  ab- 
getrennt, deren  erster  Leiter  Prof.  Hj.  Schiutz  wurde.  —  [Privatdocent 
Holth  zu  Christiania  ist  bereits  in  unsrem  §  G44  erwähnt  worden,  Dr. 
Olk  Bull  in  §  637.  —  Der  Name  Scni0TZ  ist  untrennbar  verknüpft  mit 
dem  so  wichtigen  Tonometer  und  mit  Javal's  Ophthalmometer.    H.' 

« 

4.  Schweden.  Man  weiß,  daß  an  der  Univeisilät  in  Lund  schon  in 
den  ersten  Jahren  des  19.  Jahrhunderts  ein  verhältnißmäßig  umfassender 
und  sehr  guter  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  durcli  A.  H.  Flormanx 
[1761 — 1844]  (Anatomiae,  Chirurgiac  et  artis  veterinariae  professor)  ertheilt 
wurde.  Als  ein  besondres  Fach  wird  die  Ophthalmologie  im  Jahre  1858 
erwähnt,  indem  Cari.  Jacob  Ask  in  diesem  Jahre  zum  Professor  der  Chi- 
rurgie, Obstetrik,  Gynäkologie  und  Ophtlialmiatrik  ernannt  wurde.  Der 
Anfang  einer  auch  persünhchen  Trennung  von  Chirurgie  und  Ophthalmo- 
logie wird  im  Jahre  1867  gemacht,  wo  M.  K.  Lüwegren  zum  Privatdocenten 
ernannt  wurde,  und  später  zum  Adjunkt  der  Chirurgie  mit  Augenheilkunde 
als  Hauptfach.  Im  Jahre  1 883  wurde  er  zum  Professor  der  Augenheilkunde 
ernannt,  —  der  erste  Professor  unsrer  Fachwissenschaft  in  Schweden. 
Seit  1868  Krankenhausarzt  zu  Lund,  wurde  er  auch  Schöpfer  und  der 
erste  Vorsteher  der  ersten  AugenkHnik  Schwedens. 

Am  Karolinischen  Institut  in  Stockholm  wurden  systematische 
Vorlesungen  über  Augenkrankheiten  schon  in  der  ersten  Hälfte  des  19. 
Jahrhunderts  von  C.  J.  Ekströmer  (genaue  Jahreszahl  unbekannt),  später 
(18.57 — 58)  von  Rossander  gehalten,  unter  dessen  Leitung  im  Jahre  1857 
eine  »Klinik  für  äußere  Krankheiten  und  Augenkrankheiten«  eröffnet  wurde. 


148  XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800—1875. 

Als  Rossander  später  (1863)  a.  o.  Professor  der  Chirurgie  wurde,  hielt 
er  jedes  Jahr  bis  zum  Jahre  1 885  Vorlesungen  über  Krankheiten  der  Seh- 
und  Bewegungsorgane. 

Indessen  wurde  die  Verbindung  zwischen  Ophthalmologie  und  Chirur- 
gie immer  lockerer,  und  das  Bedürfniß  eines  besondren  Unterrichts  in 
Augenkrankheiten  beständig  fühlbarer;  also  wurde  im  Jahre  1888  ein  ob- 
ligatorisch klinischer  Unterricht  in  Augenkrankheiten  eingeführt,  und  an 
E.  J.  WiDMARK  übertragen,  der  schon  seit  1884  Docent  der  Ophthalmiatrik 
am  Karolinischen  Institut  gewesen.  —  Erst  einige  Jahre  später,  1891,, 
wurde  Widmark  zum  Professor  der  Ophthalmiatrik  ernannt,  gleichzeitig  ; 
eine  besondre  Abtheilung  zur  poliklinischen  und  stationären  Behandlung 
von  Augenkrankheiten  errichtet. 

An  der  Universität  in  Upsala  wurde  im  Jahre  1894  eine  oph- 
thalmologische Professur  errichtet,  die  mit  Allvar  Güllstrand  besetzt 
wurde.  Gleichzeitig  wurde  eine  Universitätspoliklinik  für  Augenkrankheiten 
eingerichtet.       , 

[Im  Jahre  1913  erhielt  Allvar  Gullstrand  eine  persönliche  Professur 
der  Optik.  Sein  Nachfolger  in  der  Professur  der  Augenheilkunde  wurde 
G.  Lindahl,  im  Frühjahr  1915.] 

§  858.  Reiseberichte, 
wie  für  Deutschland,  Frankreich,  England,  Italien i),  habe  ich  für  die 
skandinavischen  Reiche  nicht  aufgefunden;  wohl  aber  zwei  Rechenschafts- 
Berichte  der  beiden  amtlichen  Vertreter  von  Dänemark  und  von 
Schweden-Norwegen  auf  dem  augenärztlichen  Kongreß  zu  Brüssel,  im 
Jahre  1857  2). 

I.  Über  den  Zustand  der  Augenheilkunde  in  Dänemark         ■ 
berichtet  Dr.  Melchior  aus  Kopenhagen.  % 

Er  beginnt  mit  einer  Statistik  der  3408  Augenkranken,  die  während 
der  letzten  5  Jahre  in  seiner  Klinik  behandelt  wurden^  sowie  der  408  aus 
dem  allgemeinen  Krankenhaus  (Prof.  Larsen)  und  der  398  (1854  — 1856, 
Prof.  Buntzen). 

Die  Augen-Entzündungen  scheinen  in  Dänemark,  und  überhaupt  im 
Norden  Europas,  weniger  häufig  zu  sein,  als  im  Süden.  Die  Blindenziffer 
in  Dänemark  ist  1  :  2400,  gegen  1  :  1400  im  Süden  oder  im  Zentrum  von 
Europa. 

Praxis  und  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  finden  in  einem  Lande 
mit  so  wenig  beträchtlicher  Bevölkerung,  wie  Dänemark,  nicht  die  genügen- 


0  §   549,  S.  5;  §  556;  §  625;  §  715. 

2)  Congres  d'Ophth.  de  Bruxelles,  Compte  rendu,  Paris  1858,  S.  379  und  421, 


Bericht  über  Dänemark  von  Melchior,  über  Schweden  von  Rossander.     149 

den  Vorbedingungen.  Es  giebt  daselbst  eigentlich  keine  Spezial-Arzte 
und  keine  Spezial-Kurse. 

Der  verstorbene  Dr.  Witousbn,  der  über  dreißig  Jahre  für  den  einzigen 
Augenarzt  Dänemarks  gegolten,  verwaltete  den  Lehrstuhl  der  operativen 
und  klinischen  Wundarzneikunst  an  der  Universität.  Dieses  Amt  und  die 
über  den  ganzen  Norden  ausgedehnte  Praxis  haben  ihm  nicht  gestattet, 
ausführlicher  über  seine  langjährige  Erfahrung  zu  berichten. 

>Als  das  Alter  ihn  an  die  bevorstehende  Nachfolge  mahnte,  er(')ffneten 
andre  Professoren  Kurse  der  Augenheilkunde,  sei  es  an  der  Universität,  — 
sei  es  privatim,  wie  ich  selber  seit  vier  Jahren.« 

Aber  bisher  gab  es  keinen  Lehrstuhl  der  Augenheilkunde  an  der  Uni- 
versität von  Kopenhagen. 

In  den  letzten  Jahren  hat  der  Professor  der  chirurgischen  Klinik  am 
großen  K.  Friedrichs- Hospital  besondre  Säle  für  Augenkranke  eingerichtet. 
Im  letzten  Jahre  sind  besondre  Hospitäler  für  die  militärische  Augen- 
Entzündung  eingerichtet;  aber  sie  gelten  als  vorübergehende  Einrichtungen. 

»Zwei  Polikliniken  für  Augenleidende  bestehen  in  Kopenhagen,  eine, 
die  von  der  Gemeinde  unterhalten  wird,  und  die  meinige <£. 

§  85y.  II.  Über  die  Augenheilkunde  in  Schweden  berichtete 

Dr.  Ross.\>'nER. 

Leider  giebt  es  in  Schweden  keine  Sonder-Einrichtung  für  Augenheil- 
kunde. In  den  beiden  Universitäten  (Upsala,  Lund)  sind  die  Naturwissen- 
schaften erfolgreich  gepflegt  worden,  weniger  die  Heilkunde,  zumal  die 
praktische.  Stockholm  mußte  eintreten,  zumal  für  die  Chirurgie,  hat  aber 
noch  nicht  volle  Rechte  erlangt. 

Unsre  Spezialisten  iMinton  und  Eckstivn  sind  dem  Unterricht  fremd 
geblieben.  Die  Professoren  der  beiden  Universitäten  und  die  zu  Stockholm 
konnten  nur  von  Zeit  zu  Zeit  diesen  Zweig  der  Wissenschaft  vortragen. 
Im  letzten  Jahre  ist  eine  Poliklinik  für  Augenkranke  errichtet  und  dem 
Vortragenden  anvertraut  worden. 

»Nach    den    großen  Kriegen    im  Anfang    des    Jahrhunderts    hat  auch 
'  unser  Heer  seinen  Antheil  an  der  militärischen  Augen-Entzündung  bekom- 
men ;  aber  das  ist  bald  geschwunden :  unsre  Soldaten,  obwohl  auf  Lebens- 
zeit, bleiben  Bauern  im  Frieden,  von  einander  ganz  getrennt,  und  werden 
nur  für  drei  Wochen  im  Jahre  einberufen.« 

Augenärzte  und  Förderer  der  Augenheilkunde  in  Dänemark. 

§860.     I.  Carl  Christopher  Withusen  (1779  —  1853)1». 

Geboren  in  Kopenhagen   1779,    studirte  W.  an  der  dortigen  chirurgischen 

Akademie,  diente  als  Reserven-Chirurg   einige  Jahre,   studirte  1807 — 1810 

1)  Biogr.  Lex.  VI,  307.    (Petersen.) 


150  XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800  —  1875. 

noch  weiter  im  Ausland,  besonders  unter  Astley  Gooper  in  London,  und 
wurde  1811  Adjunkt,  1816  a.  o.,  1819  o.  Professor  an  der  chirurgischen 
Akademie  ^). 

Gleichzeitig  wurde  er  Mitglied  des  Gesundheits-Amtes  und  Oberwund- 
arzt am  Friedrichs-Hospital;  in  letzterer  Stellung  verblieb  er  bis  18.J0, 
Danach  wurde  er  Hof- Wundarzt  und,  nach  der  Verschmelzung  der  Aka- 
demie mit  der  medizinischen  Fakultät,  Prof.  an  der  Universität  und  waltete 
dieses  Amtes  bis  zu  seinem  Tode:  am  IG.  Juli  1853  erlag  er  der  Cholera. 

WiTHusEN  war  ein  feiner  Diagnostiker,  ein  mustergiltiger  Operateur 
und  Lehrer,  dazu  der  eigentliche  Gründer  der  Augenheilkunde  in  Dänemark. 
Literarisch  hat  er  nur  in  beschränkter  Weise ,  durch  Abhandlungen  in 
Zeitschriften,  gewirkt. 

n.  Nathan  Gerson  Melchior  (1811—1872)2) 
war  in  Kopenhagen  geboren,  studirte  daselbst,  wurde  1841  Doktor  mit 
der  Dissertation  De  myotomia  oculi  und  war  danach  bis  zu  seinem  Tode 
als  Augenarzt  in  Kopenhagen  thätig.  Um  das  Jahr  18ö3  begründete  er 
eine  Poliklinik  für  Augenkranke.  Auch  für  die  Blinden  in  Dänemark  war 
er  unermüdlich  thätig;  die  Neuordnung  der  Blinden-Anstalt  zu  Kopenhagen 
wurde  großentheils  durch  seine  Mitwirkung  vollführt. 

Drei  Arbeiten  von  Melchior  habe  ich  zu  erwähnen: 

1.  Seine  Dissertation  über  Schiel-Operation,  die  bereits  berück- 
sichtigt worden  ist  3). 

2.  Studien  über  die  Mydriasis  und  die  Pupillen-Erweiterung 
im  allgemeinen.     (A.  d'Oc.  XII,  S.  5—22  und  101—110,   1844.) 

Dieser  Gegenstand  ist  in  den  Lehrbüchern  noch  nicht  genügend  er- 
läutert worden;  die  Abhandlung  von  Canstatt  (1839)'**  hat  M.  zu  seiner 
eignen  Studie  angeregt. 

Mydriasis  zeigt  sich  1.  als  einfache  Form- Veränderung,  ohne  Beein- 
flussung der  Sehkraft,  2.  als  besonderes  Leiden  der  Regenbogenhaut,  3.  als 
Symptom  andrer  Leiden,  sei  es  des  Auges,  sei  es  des  ganzen  Körpers. 

1.  kann  angeboren  sein,  ein-  oder  doppelseitig.  Bei  einer  Frau  zogen 
die  sehr  weiten  Pupillen  sich  stark  zusammen  bei  dem  Nahesehen.    2.  Die 


1)  Nevermann  sagt,  in  der  Anzeige  von  Haugstedt's  Lehrbuch  der  Augen- 
heilkunde, vom  Jahre  1834:  »Erfreuhch  ist  es,  daß  Dänemark  in  Betreff  der 
Augenheilkunde  endlich  aus  seinem  Winterschlaf  erwacht,  nachdem  es  dem  Prof. 
WiTHüSEN,  als  erstem  Okulisten,  gefallen,  seit  9  Jahren  einmal  jährlich  einen 
kurzen  Vortrag  über  die  Augenheilkunde  an  der  chirurgischen  Akademie  zu 
halten.«     (Ammon's  Monatsschrift  I,  319,  1838.) 

2)  Biogr.  Lex.  IV,  198.    (Petersen.) 

3)  §  498,  S.  122. 

4)  §  532,  V,  v. 


Dänemark.     W  ithusen,  iMelchioi,  Lehmann.  151 

idiopathische  Mydriasis  setzt  Sehstürungen,  die  durch  Anwendung  einer 
künstlichen  Pupille  (wir  sagen  »Lochbrille«,)  verschwinden. 

[M.  erwähnt  die  hauptsächlichen  Dissertationen  über  Mydriasis:  von 
A.  Meniolf,  Paris  1662,  von  Batuier,  Basel  1679,  von  Vater,  Wittenberg 
1706,  von  Mauchaiit,  Tübingen  1743  (die  beste);  von  Böhmer,  Halle  1780, 
von  KuENHARDT,  Erlangen  1832;  endlich  die  Abhandlung  von  Canstatt,  1839.] 

Die  Pupille  ist  nicht  vollständig  kreisfürmig  und  nicht  vollständig  in 
der  Mitte  der  Regenbogenhaut,  sondern  ein  wenig  mehr  nach  der  Nasen- 
seite belegen  1).  Träufelt  man  Belladonna  ein,  so  bleibt  unten  ein  breiterer 
Theil  der  Regenbogenhaut,  als  ob(^n. 

Die  physiologischen  Grundlagen,  die  M.  ausluhrlich  erörtert,  waren 
damals  noch  nicht  hinreichend  gefestigt. 

3.  iJber  Entwicklung  des  Stars  bei  Diabetes^).  (Verband],  der 
Ophlh. -Versammlung  zu  Heidelberg,  Sept.  1863,  Zehender's  Kl.  M.  Bl.  1863, 
S.  499—500.) 

Die  Fälle  von  Star  bei  Diabetes  sind  viel  zu  häufig,  als  daß  man  sie 
für  zufällig  betrachten  könne.  Die  Frage  aber  ist,  wie  das  Verhältniß 
zwischen  beiden  anzusehen  sei.  Bei  einem  Schuster,  der  seit  zwei  Jahren 
2^  Zucker  im  Urin  gehabt,  in  letzter  Zeit  keine  Diät  gehalten  und  mit 
entwickeltem  Linsen-Star  im  rechten  Auge  zurückkehrte,  fand  Mei.cbiok  6^ 
Zucker  im  Harn.  In  einer  Familie,  in  welcher  Zucker-Harnruhr  erblich, 
und  Vater  wie  Sohn  daran  gestorben,  fand  er  zu  seinem  Erstaunen  bei 
drei  Schwestern  und  einem  Bruder  beginnenden  Star,  und  beim  Bruder 
11/2^  Zucker. 

In  der  Nordischen  Zeitschrift  für  Augenheilk.  (HI,  118,  1890)  wird 
Melchior  als  Übergangs-Ophthalmologe  zu  der  großen  Zeit  bezeichnet, 
—  ebenso  der  folgende. 

HL  Georg  Karl  HEiNRicn  Lehmann  (181.) — 1890)3'. 
Geboren  zu  Kopenhagen,  studirtc  H.  L.  in  seiner  Vaterstadt  und  bildete 
sich  danach  im  Ausland  unter  Sichel,  Jä(;er,  v.  Graefe  und  Arlt  zum 
Augenarzt  aus;  promovirle  1846  mit  einer  Dissertation  über  Physiologie 
und  Pathologie  des  Kammerwassers,  begründete  die  erste  Augenklinik  in 
Kopenhagen  und  war  als  Arzt  am  Blinden-  und  Taubstummen -Institut 
thätig. 

Er  hat  augenärztliche  Beiträge  in  dänischen,  deutschen  und  englischen  Zeit- 
schriften veröffentlicht. 


1)  Vgl.  §   337,  S.  419. 

2)  Vgl.  §  502,   13. 

3)  Biogr.  Lex.  III,  658.  (Petersen.)  —  Nordisk  Ophth.  Tiddskrift  III,  2,  S.  H?, 

1890. 


152  XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800—1875. 

1.  Seine  Dissertation,  aus  dem  Jahre  18  46,  handelt  >De  rationibus  phj- 
siologicis  et  patholog.  humoris  aquei  oculi  humani«. 

2.  Im  Jahre  18  49  sprach  er  in  der  K.  Gesellsch.  der  Ärzte  zu  Kopenhagen 
über  den  Werth  der  anatomischen  Zeichen  specifischer  Augen-Entzündungen. 

3.  In  der  Gesellschaft  für  Philiatrie  zu  Kopenhagen  über  eine  schwere 
Augen-Verletzung. 

2   und  3   sind  in  der  Bibl.  for  Laeger  veröffentlicht. 

§8G1.     IV.   Andreas  Buntzen  (1812  — 1880)  t), 
Lehrer  der  klinischen  Chirurgie  zu  Kopenhagen  von  1854 — 1866,  Gründer 
und  langjähriger  Leiter  der  Hospitals  Tidende,  schrieb  1852   (Bibl.  for 

Laeger  2')  über 

Ophthalmoblenorrhöe. 

Diese  Krankheit  wurde  1851  und  1852  von  den  dänischen  Militär-Ärzten 
bei  Soldaten  beobachtet,  die  während  des  Krieges  in  Schleswig  gedient 
hatten,  während  die  übrigen  Dänen  davon  frei  blieben.  Aber,  als  die  Epi- 
demie erlosch,  und  die  Granulationen  an  ihre  Stelle  traten,  haben  sich  die 
let/iern  um  so  mehr  unter  den  Truppen  verbreitet. 

§  862.  V.  Der  hervorragendste  Schriftsteller  über  die  militärische 
Augen-Entzündung  in  Dänemark  war 

Jacob  Christian  Bendz  (1802—1858)3). 

Im  Jahre  1802  zu  Odense  geboren,  bestand  B.  1825  die  Wundarzt-Prüfung, 
machte  1827 — 28  Reisen  in's  Ausland,  wurde  1829  Hilfs-Wundarzt  am 
K.  Friedrichs-Hospital,  1831  Regiments- Wundarzt,  1836  Doktor  der  Medizin 
zu  Kopenhagen  und  wirkte  während  des  ersten  schleswigschen  Krieges  als 
Korps-Stabsarzt  der  dänischen  Armee. 

Er  war  auch  Korrespondent  der  A.  d'Oc.  In  diesen  (XXIII,  S.  164 
bis  176,  1855)  veröffentlichte  Bendz  eine  Abhandlung  über  die  militärische 
Augen-Entzündung  in  Dänemark,  deren  versprochene  Fortsetzung  dort  nicht 
erschienen  ist.  Dagegen  findet  sich  in  dem  Bericht  über  den  augenärzt- 
lichen Kongreß  zu  Brüssel  vom  Jahre  1857  (S.  229 — 258)  eine  ausführliche 
Mittheiluns  unsres  Vf.s: 


>De  l'ophthalmie  militaire  en  Danemark.« 
I.  Geschichte. 
Kein  dänischer  Arzt  hat  vor  1851,  wo  sich  die  inneren  Wirren  von 
1848  endigten,  unter  der  Bevölkerung  unsres  Landes  diese  Krankheit  be- 
obachtet. Dabei  hatten  1807  die  Engländer  zur  Belagerung  von  Kopen- 
hagen 30  000  Soldaten  gelandet,  in  deren  Reihen  die  Augenkrankheit 
herrschte:  von  1815 — 1818  nahm  eine  Abtheilung  von  5000  Dänen  an  der 


1 


1)  Biogr.  Lex.  I,  S.  620.   (Petersen.) 

2)  Vgl.  A.  d'Oc.  XXXV,  290,  1856. 

3)  Biogr.  Lex.  I,  S.  387.   (Petersen.) 


d 


Buntzen,  Ben  dz.     Die  militärische  Ophthalmie  in  Dänemark.         153 

Ht'setzung  Frankreichs  theil,  umgeben  von  Engländern  und  Russen,  die  eine 
Ließe  Zahl  von  Augenleidenden  zählten;  1842 — 1844,  beim  Bau  der  Eisen- 
lialin  von  Kiel  nach  Altona,  litten  die  fremden  Arbeiter  (aus  Deutschland) 
viel  daran,  aber  sie  hinterließen  keine  Spur  der  Krankheit  in  dieser 
Provinz. 

Im  Kriege  1848  zeigte  sie  sich  bei  den  Truppen  des  Deutschen  Bundes, 
ebenso  in  der  holsteinschen  Armee  i),  die  frühere  Soldaten  aus  Deutschland 
!  einstellte.    Unter  den  Kriegsgefangenen  zu  Kopenhagen  litten  mehrere  daran. 
Aber  die  dänische  Armee  blieb  frei. 

hn  Beginn  des  Jahres  1851,  nach  Beendigung  des  Krieges,  hob  die 
Regierung  im  Großherzogthum  Schleswig  Rekruten  aus,  von  denwi  eine 
große  Zahl  in  der  holsteinischen  Armee  gedient  hatte,  und  nahm  sie  in  die 
Besatzung  von  Kopenhagen  auf.  Bald  gelangten  Granulöse  und  Ophthal- 
mische  in  das  Garnisons-Hospital;  sie  erklärten  von  selber,  schon  in  der 
andren  Armee  dies  Leiden  gehabt  zu  haben.  Bei  allen  war  das  Übel  sehr 
gutartig,  —  Granulationen,  ohne  Eiter-Ajjsonderung. 

Die  Militär-Ärzte  waren  verschiedener  Ansicht:  einige  leugneten  die 
Identität  mit  der  lange  bekannten  kontagiüsen  oder  ägyptischen  Augen- 
Entzündung,  andre  behaupteten  dieselbe.  Diese  Meinungs-Verschiedenheit 
hatte  das  traurige  Ergebniß,  daß  nichts  geschah,  um  die  Weiterverbreitung 
unter  den  Truppen  und  der  Bev<Jlkerung  zu  verhüten. 

Im  Jahre  1852,  als  die  Truppen  des  Deutschen  Bundes  Holstein  ver- 
lassen hatten,  befahl  der  Kriegs-Minister,  daß  die  Korps,  die  aus  Dänemark 
ihre  Mannschaften  bezogen,  nach  den  Herzogthümern,  und  nach  der  Haupt- 
stadt und  den  andren  Städten  des  Königreichs  die  Rekruten  aus  den  Her- 
zogthümern verlegt  würden.  Hierdurch  wurde  das  Leiden  über  das 
ganze  Land  verbreitet. 

Eine  vom  Kriegs-Minister  eingesetzte  Kommission  fand  1853  in  der  Garni- 
son von  Kopenhagen  1156  Granulöse  unter  den  6171  Mann;  eine  andre  1856 
an  1437  Granulöse  unter  6371  und  von  den  2674  Rekruten  aus  allen  Pro- 
vinzen des  Königreichs  320  Granulöse,  so  daß  die  bürgerliche  Bevölkerung 
schon  eine  erhebliche  Ansteckung  zeigte. 

Von  den  33  Korps  waren  nur  4 — 5  frei  geblieben.  Allmählich  stei- 
gerte sich  auch  die  Heftigkeit.  Von  Zeit  zu  Zeit  brachen  Blennorrhöen 
aus,  welche  in  wenigen  Tagen  die  Sehkraft  zerstörten. 

Jetzt  schwand  die  Meinungs-Verschiedenheit  über  die  Identität 
der  Krankheit  mit  der  sog.  ägyptischen  Augen-Entzündung,  —  man  stritt 
aber  über  die  Ansteckungsfähigkeit  der  verschiedenen  Stufen,  über  die  rein 
kontagiöse  oder  epidemische  Beschaffenheit,  über  den  pathologischen  Werth 
der  Granulationen,  über  die  Behandlung. 

1)  Vgl.  Ross,  Augenblenn.  in  der  schlesw.-holst.  Armee  1849/50,  Güschen's 
Deutsche  Klinik  1851,  S.  475,  496,  503. 


154  XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,   1800—1875. 

II.  Pathologie  und  Therapie. 

Der  Vf.,  der  binnen  5  Jahren  die  Augen  einiger  Tausend  derartig 
Kranker  besichtigt  und  mehr  als  600  selbst  behandelt  hat,  betrachtet  die 
ansteckende  oder  militärische  Augen-Entzündung  als  ein  örtliches  Leiden, 
das  in  der  Lid-Bindehaut  (und  zwar  zunächst  in  den  Schleimbeutelchen) 
seinen  Sitz  hat  und  auf  einem  Ansteckungs-Stoff  beruht,  dessen  Natur  und 
Vehikel  uns  unbekannt  sind. 

Meist  geschieht  die  Ansteckung  durch  die  Luft,  —  wie  schon  J.  B. 
Müller  1821  und  A.  F.  Wasserfuhr  wieder  1857  es  ausgesprochen,  seltner 
unmittelbar;  in  unsrem  Klima  wird  das  Leiden  nie  epidemisch,  kann  also  ,i 
nicht  von  selber  entstehen.  Es  ist  als  Adenoconjunctivitis  palpebrarum 
specifica  zu  bezeichnen.  Diese  Geißel  ist  durch  die  Expedition  nach  Ägypten 
(1798 — 1801)  über  Europa  gebracht  worden. 

Die  Uniform  hat  in  Dänemark  keinen  Einfluß  auf  das  Leiden.  1855 
gab  es  110  granulöse  auf  400  Soldaten,  heute  (1857)  kaum  10:  die  Uni- 
form ist  nicht  geändert  worden. 

Vf.  unterscheidet  drei  Formen:  die  trachomatöse ,  die  katarrhalische, 
die  blennorrhoTsche. 

Für  die  Behandlung  kommt  erstlich  die  Verhütung  in  Betracht. 
Die  Granulationen  muß  man  gleich  im  Beginn  behandeln,  mit  dem  Kupfer- 
Stift;  oder  mit  dem  neutralen  essigsauren  Blei  nach  Buys^),  das  für  B. 
unentbehrlich  ist. 

Gegen  die  eitrige  Augenentzündung  gebraucht  B.  häufige  Ausspritzungen, 
Eis-Umschläge  (in  einer  kleinen  Blase  auf  das  Oberlid  angewendet),  Ader- 
laß, Blutegel,  innerlich  Quecksilber  u.  a.;  aber,  sowie  die  Absonderung 
fester  und  schleimig  geworden,  Einpinsclung  von  Höllenstein.  (0,6  :  30,0, 
d.  s.  2X-) 

(Panu-m  tadelt  »die  subjektive  und  polemische  Färbung,  die  in  einer 
Discussion  B.'s  über  die  ansteckende  Ophthalmoblennorrhoe  bei  Soldaten 
besonders  hervortritt«.  Ich  möchte  diese  Abhandlung  für  recht  tüchtig 
und  brauchbar  erklären,  trotz  der  so  anfechtbaren  Schleim-Bläschen  und 
der  behaupteten  Ansteckung  durch  die  Luft. 

Die  letztere  wurde  übrigens  sogleich  und  gründlich  widerlegt  durch  Dr.  Nue, 
ehemaligen  Militär-Arzt  zu  Wordinburg,  der  nachwies,  daß  in  jedem  Zimmer 
der  Kaserne  15 — 20  Mann  auf  ein  Waschbecken  angewiesen  waren;  und 
der  im  Mai  1856  an  die  augenärztliche  Kommission  eine  Eingabe  zur 
Abstellung  solcher  Mißbräuche  gemacht  hat 2']. 


4)  §  788. 

2)  C.  R.  Congres  de  Bruxelles,  1858,  S.  265. 


Die  mililärische  Ophthahnie.     Ilaugsledt,  Larsen.  155 

§863.     VI.    Frbderik  Christian  Haugstedt  (1804— 1866)«, 
studirte  von   18->3  an  zu  Kopenhagen,  wurde  1831  Lic.  und   1832  Dr.  med. 
mit  zwei   trefflichen   Schriften    über   die  Anatomie,    pathol.   Anatomie  und 
Physiologie  der  Thymus-Drüse  und  machte  danach  wissenschaftliche  Reisen. 

Bereits  iiu  Jahre  1834  verüffentlichto  er  eine  Kompilation  über  Augen- 
krankheiten:  Laeren  om  Oejets  Sygdomme  .  .  .  (331  S.,  mit  einer  Kupfer- 
tafel.) 

Hierüber  urtheilt  Xeverman.n  (Ammon's  Monats -Schrift  I,  319,  1838) 
folgendermaßen:  »Der  Vf.  wird  sich  gewiß  bei  seinen  jungen  Landsleuten, 
den  bis  dabin  die  Ophtalmologie  aus  deutschen  Werken  zu  erlernen,  öfters 
ein  Stein  des  Anstoßes  gewesen,  verdient  machen.  Das  Werk  ist  nur  für 
Studenten  bestimmt  und  kann  daher,  obgleich  Prof.  Witblsen  dasselbe 
durchgesehen  und  verbessert,  auf  Vollständigkeit  sowie  auf  lirauchbarkeit 
für  ältere  Arzte  keinen  Anspruch  machen ;  aber  dies  lag  auch  nicht  in  der 
Tendenz  des  Vf.s.     .  .  . 

Sodann  hielt  Hau(;stedt  1840/1  als  Privat-Docent  an  der  Univ.  zu 
Kopenhagen  Vorlesungen  über  Augenkrankheiten,  die  er  alsbald  im  Druck 
erscheinen  ließ: 

Uddrag  af  en  Uoekke  Foreloesniger  over  Oien  sygdommene,  holdtc 
ved  Kjoebenhavns  Universität  i.  Vintersemcster  1840/41. 

»Voilesungen  über  Augenheilkunde,  gehalten  an  der  Univ.  z.  K.  wäh- 
rend des  Wintersemesters  1840/41«,     K.   1841  —  1844.     (80,  VI -f  500  S.) 

Dies  »erste  dänische  Werk;  wird  wegen  seiner  Klarheit  von 
Melchior  2)  sehr  gelobt.  Er  betrachtet  es  als  die  zweite  Ausgabe  des  vor- 
her genannten ;  erklärt,  daß  es  für  junge  Studenten  bestimmt  und  eine  sehr 
gute  Übersicht  der  besten  deutschen,  französischen  und  englischen  Schriften 
über  Augenheilkunde  enthalte. 

Der  letzte  Herausgeber  dieses  Lehrbuchs,  Mathias  IIiero.nymls  Saxtorf, 
wurde  1855  Lector  und  1862  Prof.  der  Cbir.  in  Kopenhagen. 

§864.     VII.    Sc'iREN  EsKiLDSEx  Larsen  3), 
1802  zu  Kjerteininde  (Fünen)  geboren,  wirkte  1843 — 1863   als  Oberwund- 
arzt am  allgemeinen  Krankenhaus  (Almindelig  Hospital)  und  war  besonders 
berühmt  durch  plastische  Operationen.     Als  Mitherausgeber  der  Zeitschrift 
»Hospitals-Meddelelser«  war  er  von   1848 — 1853  thätig. 

Im  Jahre  1848  beschrieb  er  einen  Fall  von  sogen,  expulsiver  Blu- 
tung^) bei  der  Star-Ausziehung  an  einer  66j.;  die  Reklination  war  mit 

lj  Biogr.  Lex.  VI,  846. 

2)  A.  d'Oc.  XVI,  S.  61,  1846. 

3)  Biogr.  Lex.  III,  615. 

4)  §  607 A,  XII;  §  638,  S.  158. 


156  XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800 — 187  5. 

Erfolg  auf  dem  andren  Auge  verrichtet  worden.     (Philiatrien's  Forhand- 
linger,  A.  d'Oc.  XIX,  34.) 

Im  Jahre  1856  empfahl  er,  das  ätherische  Wachholder-Ül  auf  die 
Lidhaut  zu  streichen,  gegen  skrofulöse  Augen-Entzündung,  gegen  Entzün- 
dung (der  DECEMEx'schen  Haut)  nach  Star-Operation. 

§865.     VIII.    Edmund  Hansen  Grut  (1831— 1904)  t' 
wird   mit    Recht   als    »Vater    der    modernen    dänischen    Augenheil- 
kunde«   bezeichnet. 

In  seiner  Vaterstadt  Kopenhagen  machte  er  1854  sein  Staats-Examen 
und  errichtete,  nach  umfassenden  Studien-Reisen,  auch  daselbst  1863  eine 
Augenklinik. 

Grüt  war  ein  begeisterter  Schüler  Graefe's,  einer  der  hervorragend- 
sten Arzte  Dänemarks,  eine  imponirende  Persönlichkeit,  gleich  groß  als 
Lehrer,  Operateur  und  Forscher. 

Seine   schriftstellerische  Thätigkeit  beginnt  mit  der  Dissertation  über 
den  Augenspiegel  (Om  Ojenspejlet),  vom  Jahre  1857,  und  erstreckt  sich  \ 
hauptsächlich  auf  klinische  Gegenstände.     Seine  Arbeiten    über  Keratitis 
bullosa  traumatica,  über  Keratitis  ramificata,  sowie  die  über  Stra-    ' 
bismus  (BowMAN 21- Vorlesung,  1889)  sind  als  klassisch  zu  bezeichnen. 

In  Grut's  Klinik  haben  fast  alle  in  Dänemark  wirkenden  Arzte,  die 
meisten  dänischen  Augenärzte  und  viele  aus  den  skandinavischen  Ländern  ' 
ihre  Ausbildung  gewonnen.  25  Jahre  hat  er  in  seiner  Klinik  gelehrt,  1871 
bis  1882  als  Privat-Docent,  1882  — J  888  als  einstweiliger  Lehrer,  und, 
nachdem  es  seinem  kraftvollen  Wirken  gelungen  war,  den  fortschrittfeind- 
lichen Widerstand  der  Fakultät  zu  überwinden,  in  den  Jahren  1888 — 1896 
als  ordentlicher  Professor  der  Augenheilkunde. 

Seine  Rede  war  lebhaft,  eindringlich  und  vollendet  in  der  Form,  ebenso 
vor  seinen  Studenten,  wie  vor  seinen  Fachgenossen  in  den  Wortkämpfen 
der  Kongresse,  wo  er  manchen  Hieb  ausgetheilt,  der  gut  saß. 

Als  Diagnostiker,  Therapeut,  Operateur  war  er  hervorragend.  Seine 
mächtige  Persönlichkeit  gewann  das  Vertrauen  der  Kranken.  Jahrzehnte 
lang  war  er  der  herrschende  Augenarzt  der  skandinavischen  Reiche. 

In  der  Blüthe  seiner  Kraft  nahm  der  65jährige  seinen  Abschied,  um 
einem  Jüngeren  Platz  zu  machen;  hat  uns  aber  auf  den  Kongressen  noch 
bewiesen,  daß  er  selber  noch  jung  geblieben. 


1)  i.  Biogr.  Lex.  II,  S.  673.  2.  C.  El.  f.  A.  1907,  S.  318.  3.  Klin.  M.  BI.  f.  A. 
1907,  II,  S.  250.  (Dr.  K.  K.  K.  Lundsgaard.)  4.  A.  d'Oc.  1907,  CXXXVIII,  S.  401 
bis  402.  (JoH.  WiDMARK.)  —  Mir  persönlich  war  Hansen  Grut  ein  lieber  Freund. 
Ich  hatte  auch  mit  ihm  wegen  seiner  Zeitschrift  gelegentlich  Briefwechsel. 

2)  §  647,  S.  20  3.  —  Wem  das  englische  Original  in  der  Transact.  Ophth.  Soc. 
U.K.  (X,  1,  S.  1 — 41)  nicht  zugänglich  ist,  der  findet  einen  ausführlichen  Auszug 
im  C.  Bl.  f.  A.  1889,  S.  462—464. 


E.  H.  Grut.     Nordisk  ophthalmologisk  Tiddskrift. 


157 


Er  war  Ehren-Mitglied  der  englischen  und  der  Kopenhagener 
a ligenärztlichen  (iesellschaft. 

Ein  großes  Verdienst  um  die  skandinavischen  Länder,  das  seltsamer 
,  Weise  weder  von  Lundsgaabd  noch  von  Widmark  erwähnt  wird,  hat 
j  Hansen  Gkut  sich  erworben  durch  Begründung  und  Herausgabe  der 

Nordisk  ophthalmologisk  Tiddskrift, 

{von  der  1886—1892  zu  Kopenhagen  fünf  Bände  erschienen  sind.  Leider 
I  war  die  Zahl  der  Abnehmer  zu  gering,  so  daß  die  Zeitschrift  ihr  Erscheinen 
i  einstellen  mußte. 

j  Da  den  meisten  Fachgenossen  diese  Zeitschrift  nicht  zugänglich,  manchem 

!  nicht  einmal  bekannt  ist;  so  ninchte  ich  hier  eine  kurze  rbersicht  über  iliren 
■  Inhalt  beifügen. 

Als  Mitherausgeber  zeichnen  Dr.   J.  Ujeiuum,   Kjöbcnhavn;  Dr.  G.  Ndhd.max, 

•  Helsingfors:  Dr.  Hj.  Schi0tz,   Christiania;  Dr.   .1.  Widmark,  Stockholm. 
Das    \.    und  2.  Heft  enthalt:    Eom. 
Hansex  Giu  t,  Beili-.  zur  Lehre  der  Patho- 
genie  des  Schielens.      Hj.  Schiotz,  Beitr. 

j  zur  Lehre  von  den  Muskel-Verhältnissen 
des   Auges.     M.  Tscherning,    Beitr.    zur 

I  Dioptrilv  des  menschlichen  Auges.  J.  Wid- 

1  mark.  Zur  Kenntniß  der  Ophthalmia 
neonatorum  in  Schweden.  J.  Bjerrlm,  Be- 
merkungen über  Verkleinerung  der  Seh- 
schärfe nebst  klinischen  Beobachtungen 
über  das  Verhüllniß  zwischen  Sehschärfe, 
Klarheitssinn  und  Farbensinn.  Edm.  Han- 
sen Grit,  Conj.  aestivalis,  Frübjahrs- 
Katarrh.  J.  Widmark,  Einige  bakteriolo- 
gisch-ophthalmiutrisclie  Studien.  J.  Bjer- 
RUM,  Statistik  über  Entzündungs- Fälle 
nach  Star-Auszieliung.  {Ausführlicher  Aus- 
zug im  C.  Bl.  f.  A.  1888,  S.  374  bis 
381,  von  Dr.  Gordon  Norrie  in  Kopen- 
hagen.) Den  Schluß  macht  eine  Literatur- 
Übersicht. 

Das  3.  Heft  (l  888)  bringt  den  Schluß 
von  Widmark's  Arbeit  über  Ophth.  neon. 
und  von  Schu)Tz's  Arbeit  über  die  Muskel- 
Verhältnisse  d.  A.  Gordon  Norrie,  Über 
Nystagmus,  Hippus,  akut.  Linsen-Astigm. 
externa.      Dr.  Adolph  Gad,    Besorptio  catar.   senil,   inlracapsularis. 

11.  B.:  Chr.  Grauer,  Ophthalmoplegia  exterior  perfecta  bilateralis  congenita. 
J.  Bjerrum,  Bemerk,  aus  der  tägl.  Praxis;  Iridocyklitis  mit  spontanem  Arterien- 
Puls  in  der  Netzhaut;  Hemiamblyopia.  J.  Widmark,  Augen-Symptome  bei  peri- 
pherischer Trigeminus-Affektion,     A.  Gullstrand,  Praktisches  Verfahren  zur  Be- 


Edmund Hansen  Grut. 


Knüd  PontoppidanI),  Ophthalmoplegia 


1]  Geb.  1853,  Nerven-Arzt. 


158         XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800—1875. 

Stimmung  des  Hornhaut-Ast.  Lyder  Borthen,  Refraktions-Augenspiegel.  J.  Bjerrum, 
Gesichtsfeld-Untersuchungen,  das  G.  F.   bei  Glaukom. 

III.  B. :  A.  GuLLSTRAND,  Brenn-Linicn  bei  Ast.  Gordon  Norrie,  Tuberkulose 
der  Bindehaut,  Nystagmus,  Mumps  der  Thränen-Drüse,  Xerosis  cj.  Edm.  Jensen, 
Die  mit  Central-Skotom  verbundenen  Augenleiden.  J.  Widmark,  Durchlässigkeit 
der  Augen-Medien  für  ultraviolette  Strahlen.  C.  M.  Hansen,  Akute  retrobulbäre 
Neuritis.  J.  Bjerrum,  llemianopsia  partialis.  Lyuer  Borthen,  Orbital-Abszeß  nach 
Influenza. 

IV.  B.:  Gordon  Norrie,  Star- Niederlegung  in  Skandinavien  während  der 
2.  Hälfte  des  18,  Jahrh.  C.  M,  Hansen,  Iritis.  J.  Widmark,  Ophth,  neon,  zu 
Stockholm,  1884 — 1890;  Augen-Symptome  bei  periph.  Trigeminus-Leiden.  J.  Vi> 
lander,  Abbrechen  der  Starmesser-Spitze.  J.  Bjerrum,  Iridochor.  Lyder  Borthen, 
Pupillen- Starre.  A.  Güllstrand,  Hornhaut-Kegel  mit  Pulsation.  J.  Bjerrum,  Em- 
bolie  der  Netzhaut-Schlagadei*.     Nordische  Literatur  zur  Augenheilkunde  f.  1891. 

V.  B.:  EiGiL  Schmidt,  Centrirte  opt.  Systeme.  A.  Gullstrand,  Lenticonus 
posterior.  C.  M.  Hansen,  Fremdkörper  in  Vorderkammer.  J.  Widmark,  Netzhaul- 
Blendung.  J.  Bjerrum,  Glaukom.  L.  Borthen,  Melanotische  Augapfel-Geschwülste. 
—  Ich  habe  es  aufrichtig  beklagt,  ilaß  diese  Arheits-Stätte  für  nordische  Männer 
germanischen  Stammes  geschlossen  werden  mußte. 

Die  Zeitschrift  ])rachte   auch  Übersichten    über   die   nordische   Lite- 
ratur der  Augenheilkunde.    Übrigens  hat  auch  das  Centralblatt  für  Augen-  i 
heilkunde   von    1879^)    an  Jahresberichte   über    die  augenärztliche  Literatur  der  j 
skandinavischen  Länder  veröffentlicht,  die,  allerdings  mit  einigen  Unterbrechungen,  ,, 
bis  auf  den  heutigen  Tag  fortgesetzt  worden  sind. 

Hansen  Grut's  Nachfolger  war  J.  Bjerrum,    dessen  Haupt-Arbeiten  in  i 
diesem  Paragraphen  verzeichnet  sind.     (Seine  Anleitung  zum  Gebrauch  des 
Augenspiegels  [1890]  wird  im  letzten  Abschnitt   unsrer  Darstellung  Be- 
rücksichtigung finden.) 

Auch  B.IERRUM  ist  in  der  Blüthe  seiner  Jahre  zurückgetreten.  Sein 
Nachfolger  ist  M.  Tscherning,  Vf.  von  Optique  physiologique  (1898) 
und  von  Oeuvres  ophth.  de  Thomas  Youm;,   1894.    (Vgl  §  459,  S.  441.) 

Zusatz.  Waldemar  Krenchel ''^), 

geb.  am  18.  März  1844  in  Kopenhagen,  bestand  an  der  Universität  seiner 
Vaterstadt  1868  das  Staats-Examen,  widmete  sich  der  Augenheilkunde  unter 
Hansen  Grut  sowie  unter  Donders  in  Utrecht,  erlangte  1876  den  Doktor 
und  wirkte  als  Privat-Docent  an  der  Universität  sowie  als  Assistent  und 
von  1877  als  Mit-Direktor  an  der  Klinik  von  Hansen  Grut.  Leider  ist  der 
ausgezeichnete  Gelehrte  schon  in  der  Blüthe  des  Lebens,  am  1  9.  März  1 885, 
hinweggerafft  worden. 

Seine  Dissertation  handelte  von  der  Amblyopia  centralis. 
Das  Archiv  für  Ophth.  bringt  von  ihm  die  folgenden  Arbeiten: 
1.   Über  die   krankhaft  herabgesetzte  Fusionsbreite   als  Ursache   des  Schielens. 
XIX,  1,  142—155,   1873. 

1)  S.  369—371.   (J.  Heiberg.) 

2)  Biogr.  Lex.  III,  550.   (Petersen.) 


J.  Bj  errum,  W.  Kren  che  1.     Schweden.     P.  G.  Ceders  chiöl  cl.         159 

2.  Die  Theorie  der  Schiel-Operation.     (Kritisch.)     XIX,  2,  273 — 286. 

3.  Über  die  Folgen  der  Opticus-Durchschneidung  beim  Frosch.  XX,  \,  127  bis 
134. 

4.  Die  Wirkung  des  Muscarin  auf  Accommodation  und  Pupille.  XX,  1,  135 
bis  130. 

5.  Über  die  Hypothesen  von  Grundfarben.  XXVI,  1,  91—102,  1880.  (Auch  dä- 
nisch als  Sonderschrift  >0m  Grundfarver«,  1880.) 

6.  In  den  Klin.  Monatsbl.  (XVIII,  47—56,  1883)  veröffentlichte  er  einen  eigen- 
thümlichen  Fall  von  Amblyopie.  (Abschwächung  des  Unterscheidungs- 
vermögens für  mittlere  Beleuchtungs-Intensitäten.' 

Augenärzte  und  Förderer  der  Augenheilkunde  in  Schweden. 
§866.     I.    Per  Gustaf  Cederscbiöld  (1782— 1848)1', 
^rof.  der  Entbindungskunst  am  Karolinischen  Institut  und  Direktor  des  Ent- 
)indungs- Krankenhauses   zu    Stockholm,    hat  eine  ausgezeichnete  und  be- 
•ühmle  Arbeit   über   die  Ätiologie    der   Augen-Eiterung   bei   Neuge- 
)orenen  verüfTentlicht^). 

Um  festzustellen,  wieweit  die  Krankheit  von  einem  Ausfluß  aus  den 
nütterlichen  Gebär-Organen  verursacht  sein  könne,  ließ  er  im  Jahre  1 832 
die  Mütter,  die  behufs  Entbindung  in  das  Krankenhaus  eintraten,  über 
Ausfluß  befragen.  360  Frauen  wurden  entbunden.  Nach  Abzug  der  Mütter 
,'on  Todlgeborenen  oder  in  den  ersten  Lebenstagen  Verstorbenen,  blieben 
128  Frauen,  deren  Kinder  beobachtet  werden  konnten.  Von  diesen  328 
brauen  waren  137  mit  Ausfluß  aus  den  Gebär-Theiien  behaftet  und  181 
rei  davon. 

30  Kinder  wurden  von  der  eitrigen  Augen-Entzündung  befallen;  20 
itaramten  von  Müttern  mit  Ausfluß  und  10  von  solchen,  die  frei  davon 
varen. 

Hieraus  folgt,  daß  erstlich  Ausfluß  aus  den  Gebär-Theilen  selir  häufig 
st  bei  Schwangeren,  daß  zweitens  die  Behafteten  nicht  nothwendiger  Weise 
hren  Kindern  die  Ophthalmie  bringen,  und  daß  endlich  die  Ophthalmie  bei 
vindern  auftreten  kann,  deren  Mütter  frei  waren,  —  zum  Beweise,  daß 
iiese  Ophthalmie  auch  andre  Ursachen  haben  kann. 

Aber,  wenn  man  berücksichtigt,  daß  20  Kinder  von  137,  geboren  von 
klüttern  mit  Ausfluß,  oder  1  :  7,  die  Ophthalmie  zeigten;  während  nur  10 
ron  181,  oder  1  :  18,  geboren  von  Müttern  ohne  Ausfluß,  dieselbe  Krank- 
leit  darboten,  so  daß  also  das  Verhältniß  der  ersten  Reihe  fast  dreimal  so 


11  Biogr.  Lex.  I,  685. 

2)  Medical  Gazette  XXVII,  S.  382,  London  1840.  Bequem  zugänglich  in 
•N.  Mackenzie's  »Diseases  of  the  Eye«,  4.  Ausg.,  1854,  S.  472,  sowie  in  der  fran- 
sösischen  Übersetzung  dieser  Ausgabe  von  Warlomont  und  Testelin,  Paris  1356, 
3.  738. 

Merkwürdiger  Weise  fehlt  diese  Arbeit  sowohl  in  dem  Literatur -Nachweis 
über  Conj.  blennorrh.  von  Tu.  Saemisch,  unser  Handbuch  V,  1,  S.  290,  1904,  als 
auch  in  dem  entsprechenden  von  V.  Morax,  Encycl.  fr.  d'Opht.  V,  S.  687,  1906. 


160         XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800 — 1875. 

groß  ist,  als  das  der  zweiten:  so  darf  man  versichern,  daß  die  Thatsach( 
eines  genitalen  Ausflusses  bei  der  Mutter  eine  häufige  Ursache  jener  Oph- 
thalmie darstellt,  wenn  gleich  nicht  die  einzige. 

II.    Arvid  Henrik  Florman  (1761  —  1840)1», 
seit   1801    Prof.   der  Anatomie,   Chirurgie  und  Veterinär-Kunst  zu  Lund 
war  ausgezeichnet  als  Arzt,    als  Lehrer  und  Forscher,    dabei   sehr  wolil- 
thätig,  und  besuchte  in  seinen  späteren  Jahren  nur  arme  Kranke. 

Von  augenärztlichen  VerüfTentlichungen  desselben  vermochte  ich  nichts 
aufzufinden. 

III.  Auch  nicht  von  Prof.  Carl  Jakob  Ask  (geb.  1825)2»,  der  1858  zi 
Lund  neben  der  Chirurgie  und  üeburlshilfe  auch  die  Augenheilkunde  zu 
vertreten  hatte. 


IV.  Michael  Kolmodin  Loewegren^), 
1836  zu  Lund  geboren,  wurde  1868  daselbst  Doktor  der  Heilkunde  undi 
nachdem  er  Augenheilkunde  bei  Hansen  Grut  in  Kopenhagen  und  bei 
Albrecht  von  Graefe  in  Berlin  studirt  hatte,  1867  Docent  der  Chirurgie 
und  Augenheilkunde  an  der  Universität  zu  Lund,  in  demselben  Jahr  Ad- 
junkt der  Chirurgie  mit  Augenheilkunde  als  Hauptfach,  1883  a.  o.  Prof.  der 
Augenheilkunde. 

Von  seinen  Schriften  sind  zu  erwähnen  Über  Kurzsichtigkeit,  1867, 
über  Refraktions-Zustände  des  Auges,  1870,  2.  Aufl.  1881;  ein  Lehr- 
buch der  Augenheilkunde. 

Im  Jahre  1i)04  trat  er  zurück;  er  widmete  seine  Muße  einer  schwe- 
dischen Übersetzung  der  hippokratischen  Schriften. 

Sein  Nachfolger  ist  Prof.  Gustaf  Ahlström. 

V.    Karl  Jakob  Rossander  (1828—1901)*),  jj 

1828  zu  Stockholm  geboren,  Doktor  der  Heilkunde  zu  Upsala  1854,  Ad-' 
junkt  der  Chirurgie  am  Karolinischen  Institut  zu  Stockholm  1 855,  a.  o.  Prof. 
1863,  0.   1886. 

Von  seinen  Veröffentlichungen,  die  unser  Fach  betreffen,  erwähne  ich 
die  folgenden : 

1.  Über  die  Augenheilkunde  in  Schweden,  1857.     (Vgl.  §  859.) 

2.  Kritik  der  Star-Operations-Methoden.     Med.  Archiv,   h.   von   den 
Lehrern  des  Karolinska  Institutet,  1863.      (Vgl.  Klin.  M.  Bl.  II,   118—122,; 
1864.)  j 

1)  Biogr.  Lex.  VI,  782.   (Hedenius.) 

2)  Biogr.  Lex.  I,  211.   (Hedenius.)     Nur  drei  Zeilen. 

3)  Biogr.  Lex.  IV,  30.'  (Hedenius.) 

4)  Biogr.  Lex.  5,  88.  (Hedenius.)  1857  gehörte  Dr.  Rossander  zu  denjenigen, 
die  Desmarres  in  Paris  eine  silberne  Medaille  überreichten.     (§  591,  S.  208.) 


A.  H.  Florman,  M.  K.  Loewegren.  K.  J.  Rossander.  161 

3.  Beiträge  zur  Lehre  von  der  sympathischen  Ophtlialmie.  (Bidrag 
ill  lüran  oui  de  sympalisca  oplilhahiiierna,  Stockholm  1876,  52  S.,  S.  A. 
li.  Nord.  med.  .\rkiv  VIII,  1.     Vgl.  A.  d'Oc.  LXXV,  301—305.) 

4.  Das  antiseptische  Verfahren.  Stockhohii  187*.).  Vgl.  A.  d'Oc. 
AXXII,  2IW. 

2.  »Es  ist  schmerzlich,  — aber  kaum  54^«'^  unsrer  Star-Ausziehun- 
Mi  waren  glücklich.  In  den  letzten  10  Jahren  wurden  im  Seraphimer  Spital 

GS  Extraktionen  uemacht:  davon  waren  510  mit  gutem  Erfolge,  20  mittel- 
niißig  und  58  i)  ganz  unglückliche.  In  ganz  Schweden  (mit  4  Millionen 
Anwohnern)  wurden  jährlich  nur  etwa  50  Stare  operirt. 

R.  bevorzugt  präparatorische  Iridektomie  und  danach  einen  kleineren 

i^appen,  von  4"'  innerer  Grund-Linie.    In  7  Operationen  ging  nur  ein  Auge 

Verloren .     (Vgl.  4.) 

3.  Im  Seraphimer  Hospital  sowie  in  der  Privat-Praxis  hat  R.  1)0  2) 
"älk'  von  sympathischer  Ophthalmie  beobachtet. 

Nicht  blos  die  Cyklitis,  sondern  vielmehr  jede  verlängerte  Reizung  der 
\>(ntlichen  Theile  des  Augapfels  könne  sympathische  Ophthalmie  her- 
(irrufen. 

4.  Das  antiseptische  Verfahren  bei  Augen-Operation  hat  R.  seit  Juli 
^TN  begonnen  um!  erfreuliche  Ergebnisse  beobachtet.  Unter  27  Star- 
»perationen  gab  es  keine  Vereiterung  mehr. 

i^  807.  VI.  Der  erste  Professor  der  Augenheilkunde  am  Karolinischen 
in'd.  chir.  Institut  zu  Stockholm  wurde 

JoiI.VX    WlD-MAHK    (1850— li)0!>)3'. 

J.  \\'ii)MAi!K  wurde  am  2G.  August  1850  geboren.  Nach  seinen  im 
lahre  1881   vollendeten  Examen-Studien  widmete  er  sich  hauptsächlich  der 


1)  Das  sind  36  %  Verluste.  Eine  ähnliche  Verlust-Ziffer  haben  wir,  gleich- 
falls aus  dem  Norden,  von  Brain  in  Moskau  ^A.  f.  0.  XI,  1,  200—208;  1865:  45?,;, 
—  aber  durch  Verabreichung  von  Alkohol  auf  6  ?^  vermindert! 

2)  Diese  Zahl  scheint  mir  groß.  (Doch  trennt  R.  die  sympathische  Reizung 
aicht  von  der  Entzündung!  Ich  hatte  unter  12  500  klinischen  Kranken,  von  1869 
ois  1904,  im  ganzen  48  Fälle  von  sympathischer  Entzündung.    (Steindorff,  in  der 

'Festschrift  1905,  S.  277—287.  Vgl.  meine  Ausgewählten  Abh.,  1913,  S.  732.)  Vor 
33  Jahren  kam  die  sympathische  Entzündung  3  mal  so  häufig  vor,  wie  jetzt;  die 
j  Abnahme  erfolgte  durch  Prophylaxe,  d.  h.  mögUchst  frühzeitige  Enukleation. 

3j  Aus  C.Bl.f.  A.  1910,  S.  93—94.  (Ernst  Forsmack.)  Vgl.  auch  Mitth.  aus  der 
Augenklinik  des  Karolin.  Instituts  zu  Stockholm,  elftes  Heft,  1910.  —  Widmark's 
'Nachfolger  ist  Prof.  Johan  Albin  Dalen.  —  In  Stockholm  wirkt  auch  Dr.  Erik 
NoRDENSEN,  Vf.  des  Werks  Über  Netzhaut- Ablösung,  vom  Jahre  1887;  sowie  Salo- 
MON  Eberhard  Henschen,  Prof.  d.  inneren  Medizin,  Vf.  von  >Klin.  u.  anatom. 
Beiträgen  zur  Pathologie  des  Gehirns:.     (3  Th.  1890 — 1896.) 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VII.)  XXIII.  Kap.  4  \ 


162         XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800—1875. 

Chirurgie,  ging  aber  bald  zur  Augenheilkunde  über,  die  er  auf  einer  in 
den  Jahren  i  882/83  vorgenommenen  Reise  sludirte,  wobei  er  Wien,  Halle, 
Utrecht,  London  und  Paris  besuchte.  Nach  Hause  zurückgekehrt,  dispu- 
tirte  er  über  eine  Abhandlung  »Die  Jequirity-Ophthalmie«  und  begann  im 
Jahre  darauf,  1884,  als  Privat-Docent  der  Ophthalmologie  am  Karolinischen 
Institut   seine  Thätigkeit   als   Lehrer.      Die   Ophthalmologie  war  in  Schwe- 


Fig.  2. 


yT'C}^  a^'T..<.^-'€t^cC''I^'t^ 


den  damals  noch  ein  mit  der  Chirurgie  verbundener  Lehrgegenstand.  Als 
1889  am  Karolinischen  Institut  eine  besondere  Professur  dafür  errichtet 
wurde,  wurde  Widmark  mit  der  Vertretung  derselben  beauftragt  und  im 
Jahre  1891  zum  ordentlichen  Professor  ernannt.  Dieses  Amt  bekleidete  er 
bis  zu  seinem  Tode. 

In   dem  Vierteljahrhundert,   während   dessen   es    somit  Widmark  ver- 
gönnt gewesen  war,   als   Lehrer  zu  wirken,  verwendete  er  eine  unermüd- 


Johan  Widmark.  163 

liehe  und  sehr  verdienstvolle  Arbeit  auf  die  Entwicklung  und  Ausbreitung 
der  Augenheilkunde  in  Schweden,  eine  Arbeit,  die  um  so  bedeutungsvoller 
war,  als  der  wesentliche  Theil  des  klinischen  Unterrichts  bis  in  die 
letzten  Jahre  in  die  Klinik,  der  er  vorstand,  verlegt  war.  Ein  großer 
Theil  der  schwedischen  Augenärzte  hat  auch  von  ihm  seine  hauptsächlichste 
Ausbildung  erhalten.  Diese  seine  früheren  Assistenten  werden  stets  mit 
warmer  Dankbarkeit  seiner  einsichtsvollen  Leitung  gedenken,  seines  Stre- 
bens,  ihnen  seinr^n  eignen  Hang  wissenschaftlicher  Forschung  beizubringen 
und  ihnen  dabei  auf  alle  Weise  behilflich  zu  sein,  seiner  treuen  Freund- 
schaft, die  sie  auch  weiter  begleitete,  wenn  sie  die  Klinik  verlassen  hatten. 

Trotz  der  beständigen  Zunahme  der  Arbeit,  die  ihm  der  Unterricht, 
die  Pflege  der  Klinik  und  eine  bedeutende  Privatpraxis  verursachten,  eine 
Arbeit,  die  schon  allein  die  Kräfte  eines  gewöhnlichen  Menschen  vollstän- 
dig in  Anspruch  genommen  hätte,  konnte  WrDMARK  eine  umfangreiche  und 
vielseitige  wissenschaftliche  Thätigkeil  entfalten.  Die  Erklärung  hierfür 
liegt  theils  in  seiner  außerordentlichen  Arbeitskraft,  vor  allem  aber  in  der 
starken  Lust  zur  Forschung,  die  ihm  eine  derartige  Arbeit  zu  einem  Be- 
dürfnis, zu  einer  Enjuickung  machte. 

Leider  ist  er  jung  verstorben,  am  15.  Dez.  lUO'.).  Die  Todes-Ursache 
war  ein  Intestinal-Krebs,  der  sch(»n  ^[2  Jahr,  wie  sich  bei  dem  Bauch- 
schnitt zeigte,  ein(^n  solchen  Umfang  gewonnen  hatte,  daß  Hadikal-Opera- 
tion  unmöglich  war. 

Von  den  ersten  Arbeiten  Widmark's  sind  die  meisten  bakteriologischen 
Inhalts.  Dazu  gehören,  außer  seiner  schon  erwähnten  Inaugural-Disser- 
tation,  seine  werthvollen  Untersuchungen  über  die  Pathogenese  der  Dacryo- 
cystitis,  des  Ulcus  serpens  und  der  Biepharoadenitis,  ferner  über  die  puru- 
lente  Conjunctivitis,  besonders  die  gonorrhoische,  und  ihren  ätiologischen 
Zusammenhang  mit  der  Vulvo-vaginitis  bei  Mädchen.  Nach  einigen  Jahren 
wurde  ind(!ssen  sein  Interesse  zu  der  Frage  über  die  Entstehung  der  sog. 
Schneeblindheit  und  damit  zum  Studium  der  pathogenen  Einwirkung  des 
Lichtes  auf  das  Auge  und  die  Haut  hingelenkt.  Durch  zahlreiche  Folgen 
gut  geplanter  und  zielbewußt  durchgeführter  A'ersuche  konnte  Widmark 
nachweisen,  daß  sowohl  die  Schneeblindheit  und  die  elektrische  Ophthal- 
mie, wie  auch  das  Sonnen-Erythem  und  das  elektrische  Haut-Erythem  auf 
einer  direkten  Einwirkung  der  ultravioletten  Strahlen  des  Lichtes  beruhen. 
Zu  derselben  Untersuchungsreihe  gehören  seine  Arbeiten  über  die  Einwir- 
kung der  eben  erwähnten  Strahlen  auf  die  Linse,  über  die  Grenze  des 
sichtbaren  Spektrum  nach  der  violetten  Seite  und  über  die  Blendung  der 
Netzhaut.  Diese  vom  wissenschaftlichen  Standpunkt  aus  außerordentlich 
interessanten  Untersuchungen  haben  später  durch  die  therapeutische  An- 
wendung jener  Lichtstrahlen  nach  Einsen  eine  vermehrte  praktische  Be- 
deutung erhalten. 

11* 


164         XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800— -1875. 

Von  den  übrigen  zahlreichen  Arbeiten  Widmark's  gehurt  ein  Theil, 
wie  seine  Aufsätze  »Über  den  Musculus  dilatator  pupillae  des  Menschen, 
Ein  Fall  von  Netzhautgliom,  Über  die  Lage  des  papillo-raakularen  Bün- 
dels« der  normalen  und  pathologischen  Anatomie  an;  die  meisten  sind  jedoch 
klinischen  oder  statistischen  Inhalts.  Von  diesen  seien  hier  nur  einige  ge- 
nannt: Beobachtungen  über  Augen-Symptome  bei  peripheren  Trigeminus- 
AfTektionen,  Die  operative  Behandlung  unreifer  und  partieller  stationärer 
Stare,  Zur  Ätiologie  der  Kurzsichtigkeit,  Über  die  Behandlung  der  sympa- 
thischen Augen-Entzündung  mit  Natron  salicylicum.  Die  statistischen  Ar- 
beiten behandeln  u.  a.  das  Vorkommen  der  Ophthalmia  neonatorum  in 
Schweden,  die  Blindheit  und  ihre  Ursachen  in  den  skandinavischen  Län- 
dern und  in  Finland  zu  verschiedenen  Zeiten,  das  Vorkommen  der  Kurz- 
siclitigkeit  in  den  schwedischen  Lehranstalten,  In  Bezug  auf  die  Bekämpfung 
der  Schul-Kurzsichtigkeit  betont  Widmark  kräftiger,  als  irgend  jemand  vor 
ihm,  die  Bedeutung  stärkenden  Frciluftlebens  während  der  Schulzeit;  er 
sieht  in  der  Lust  der  schwedischen  Jugend  hierzu  eine  der  hauptsäch- 
lichsten Ursachen  dafür,  daß  die  Häufigkeit  der  Kurzsichtigkeit  in  den 
schwedischen  Schulen  während  der  letzten  20 — 25  Jahren  um  50^  ab- 
genommen hat. 

Die  meisten  der  Schriften  Widmark's  sind  auch  in  deutscher  Über- 
setzung erschienen,  ein  Theil  in  seinen  »Beiträgen  zur  Ophthalmologie« 
ISQ!,  andre  in  den  »Mittheilungen  aus  der  Augenklinik  des  Karolinischen 
Instituts«,  die  er  seit  1898  herausgab i).  — 

Unsre  Fachwissenschaft  schuldet  Johan  Widmark  noch  dafür  besondren 
Dank,  daß  er  seine  Arbeiten  in  deutscher  Sprache  erscheinen  ließ,  die,  selbst 
außerhalb  Deutschlands,  den  meisten  Fachgenossen  bequemer  zugänglich  ist,  als 
die  schwedische. 

Beiträge  zur  Ophthalmologie,  Leipzig  1891.  (XVIII  Arbeiten  von  1883  bis 
1891,  VIII  4-  50i  S.,  7  Tafeln.) 

Mittheilungen  aus  der  Augenklinik  des  Carolinischen  medico-chirurgi- 
schen  Instituts  zu  Stockholm,  Jena  !898.  Erstes  Heft  1898,  elftes  Heft  1910. 
Enthält  auch  Arbeiten  seiner  Gehilfen  und  Schüler. 

(Der  Inhalt  dieser  Schriften  ist  in  den  entsprechenden  Jahrgängen  des 
Centralbl.  für  Augenheilkunde  sorgfältig  ausgezogen  worden.  Seit  Widmark's 
Tode  hat  das  Erscheinen  dieser  Mittheilungen  aufgehört.) 

§  868.     VII.  Allvar  Güllstrand, 
zu  Upsala    Professor  der  Augenheilkunde   'I8i)i  — 1913,    seitdem  Prof.  der 
Optik. 

1 ;  »Im  Privat- Verkehr  außerordentlich  sympathisch,  einfach,  wohlwollend  und 
treu,  genoß  Widmark  einen  in  weiten  Kreisen  geliebten  und  verehrten  Namen.« 
Ernst  Forsmack. 

Auch  ich  habe  seine  Freundlichkeit  erfahren. 


Allvar  GiiUstrand,  A.  F.  Holmgren.  165 

i.  Das  Handbuch  der  physiol.  Optik  von  H.  v.  Helmhol tz.  Dritte  Auflage, 
ergänzt  und  herausgegeben  von  Prof.  A.  Gullstrand  (Upsala),  Prof.  Dr.  J. 
von  Kries  (Freiburgi,  Prof.  Dr.  W.  Nagel  (Rostock).  I.Band.  Die  Dioptrik 
des  Auges  h.  v.  Prof.  Dr.  A.  Gullstrand.    Hamburg  u.  Leipzig.  1909. 

Darin  linden  sich,  S.  2-26 — 376,  die  »Zusätze  von  A.  Gullstrandc; 
1.  Die  optische  Abbildung.  11.  Brechung  der  Strahlen  im  Auge.  Abbil- 
dungsgesetze erster  Ordnung.  111.  Die  Refraktion.  IV.  Der  Mechanismus 
der  Akkommodation.     V.  Die  monochromatische  Abweichung  des  Auges. 

■>.  Bidrag  tili  Astigmatismens  Teori.  Afhandhng  som  med  Tillständ  af  Karo- 
linska  Inslitutets  Lärarekollegium  for  Vinnande  af  Medicine  Doktors- 
grad tili  oiTentlig  granskning  framställes  af  A.  Gullstrand,  Med.  Lic. 
Stockholm  1890.    (102  S.,  1  Taf.) 

Auch  deutsch,  im  Skandin.  Arch.  II,  S,  269 — 253:  Beitrag  zur 
Theorie  des  Astigmatismus. 

:i.  Photographisch -ophthalmometrische  u.  klinische  Untersuchungen  über  die 
Hornhaut-Refraktion.  Von  Allvar  Gullstrand.  Mit  7  Tafeln.  Stock- 
holm 1896.    Fol.,  64  S.)   Verhandl.  der  K.  Schwed.  Ak.  d.  Wiss.  XXVIII,  7. 

'i.  Die  reelle  optische  Abbildung  von  A.  G.  Mit  2  Textfiguren.  Stockholm 
1906.     (Fol.,  119  S.)     Verhandl.  d.  Schwed.  A.  d.  W.  XLI,  3. 

5.  Thatsachen  u.  Fiktionen  in  der  Lehre  von  der  optischen  Abbildung.  Von 
A.  G.     Arch.  f.  Optik  I,  1907.     (97  S.) 

6.  Die  optische  Abbildung  in  heterogenen  Medien  u.  die  Dioptrik  der  Kristal- 
Linse  des  Menschen.  Von  A.  G.  Mit  4  Text-Figuren.  Upsala  u.  Stockholm 
1908.    (Fol.,  58  S.)    K.  Schwed.  Ak.  d.  W.  XLIH,  No.  2. 

7.  Allgemeine  Theorie  der  monochromatischen  Aberrationen  u.  ihre  nächsten 
Ergebnisse  für  die  Ophthalmologie.  Von  A.  G.  (Mitgetheilt  der  K.  G.  d. 
Wissensch.  zu  Upsala,  am  21.  Sept.  1900.)     Upsala  1900.     (Fol.,  204  S.) 

8.  Einführung  in  die  Methoden  der  Dioptrik  des  Auges  des  Menschen  von  A.  G. 
Mit  20  Fig.  im  Text.     Leipzig.  S.  Hirzel.  1911.      180  S.) 

9.  Das  allgemeine  optische  Abbildungs-Systeni.     Stockholm  1915.    (4",     139  S.) 

E.  Landolt  hat  in  einer  besondren  Abhandlung  (Archives  d'Opht. 
1913,  S.  1,  65,  129ff.)  Gullstrand's  Werk  erörtert,  d.  h.  die  optisch-phy- 
siologischen Arbeiten  dieses  Forschers  erläutert  u.  gewürdigt. 


§  869.     VIII.  Ai.AuiK  Frtfhiok  Holmgren  (1831—1897)1) 

von  18ü4  bis  zu  .seinem  Tode  Professor  der  Physiologie  zu  Upsala,  Vf. 
des  wichtigen  Werkes 

Die  Farbenblindheit  in  ihren  Beziehungen  zur  Eisenbahn  und  der 
Marine  von  F.  H Deutsche  autorisirte  Übersetzung.  Mit  5  Holz- 
schnitten u.    \   Tafel.     Leipzig  1878.     (162  S.  2») 

(Zuerst  1876  schwedisch  veröffentlicht  in  Upsala  läkaref. ,  Für- 
handl.  XH.) 


1)  Biogr.  Lex.  III.,  S.  261—262. 
Pagel's  biogr.  Lex.,  773 — 774. 
C.  Bl.  f.  A.  1907,  S.  312. 
Klin.  M.  Bl.  1907,  S.  322. 

2)  Ausführlicher  Auszug  C.  Bl.  f.  A.  1878,  S.  152—154.  Ebendas.,  S.  177  bis 
182:  »Zur  Entdeckung  der  Farbenblindheit  bei  Massen-Untersuchungen,  von  Frit- 
HioF  HoLMGREEx\,  Prof,  de  Phys.  zu  Upsala«:.    (Vereinfachung  seiner  Wahl-Probe.) 


166  XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  <800 — 4  875. 

De  la  cecite  des  couleurs  dans  ses  rapports  avec  les  chemins  de 
fer  et  de  la  marine  par  F.  Holmgren,  Prof.  de  physiol,  ä  TUniv.  d'Upsal. 
Stockholm'».     (144  S.) 

Zur  Sache  vgl.  in  unsrem  Handbuch  IV,  I,  Abschn.  VI,  Prüfung  des 
Farbensinns  von  Dr.  A.  Brückner. 

Holmgren  hat  eine  ganze  Literatur  angeregt,  aus  der  wir  Joy 
Jeffries'  »Color  Blindness«,  1876,  schon  erwähnt  haben.  (§  765,  S.  158.) 
Aber  er  hatte  Vorgänger,  erstlich  Seebeck,  der  zuerst  (1837,  Poggendorff's 
Ann.  XLII)  die  Wahl-Proben  angegeben ;  sodann 

Researches  on  Colour-Blindness 

with  a  Supplement  on  the  Danger  attending  the  present  System  of  railway    i 
and  marine  coloured  signals.      By  George   G.  Wilson,  M.  D.,  F.  R.  S.  E.,    , 
Regius  Prof.  of  technology  and  Director  of  the  industrial  Museum  of  Scot- 
land.     Edinburgh  1845.    (180  S.)     Merkwürdiger  Weise  fehlt  dieses  Werk 
in  Prof.  Brückners  sorgfältiger  Literatur-Übersicht,  welche  357  Nummern 
(von  1829—1903)  umfaßt. 

Zur  Ergänzung  dieser  Literatur-Übersicht  erwähne  ich  noch  die  neue- 
sten Werke. 

1.  Colour-blindness  and  colour-perception  by  F.  W.  E  dridge-Green,  M.  D., 
F.  R.  CS.    Second  Edition,  London  1909.    (322  S.) 

2.  Die  Störungen  des  Farbensinns,  ihre  klinische  Bedeutung  u.  ihre  Diagnose 
von  Dr.  Hans  Köllner,  Privatdocent  an  der  Univ.  Berlin,  Ass.  d.  Un.- 
Augenklinik.  Mit  .S3  Abbild,  im  Text  u.  drei  farbigen  Tafeln.  Berlin  1912. 
(428  S.) 

3.  Diagnostik  der  Farbensinn-Störung  von  Prof.  Stargardt  u.  Prof.  Oloff  in 
Kiel.     Berlin  1912.     (45  S.l 

4.  Pseudo-isochromatische  Tafeln  zur  Prüfung  des  Farbensinns  nebst  4  Ta- 
feln zur  Bestimmung  der  Farbensinnschärfe  von  J.  S tillin g,  Geh.  Med.- 
Rath,  Prof.  a.  d.  Univ.  Straßburg.     14.  Aufl.    Leipzig  1913. 

5.  On  cases  of  accident  to  shipping  and  on  railways  due  to  defects  of  Sight 
by  E.  Nettleship.  F.  R.  CS.,  F.  R.  S.  .  .  .     London  1913.     (54  S.) 

6.  Anleitung  zur  Feststellung  der  Farbentüchtigkeit  von  Dr.  Rosmanit,  Chef- 
arzt der  österreichischen  Südbahn  in  Wien.  Mit  8  Abbild,  i.  T.  u.  6  litho- 
gr.  Tafeln.     Leipzig  u.  Wien  1914.     (193  S.) 

Augenärzte  und  Förderer  der  Augenheilkunde  in  Norwegen. 

§  870.     L)  Christen  Heiberg  L  (1799  —  1872)2). 

Am  28.  Nov.  1 799  zu  Bergen  geboren,  studirte  H.  in  Ghristiania  und 
machte,  nachdem  er  die  Prüfungen  bestanden  hatte,  eine  Reise  in's  Aus- 
land, um  in   Chirurgie  und  Augenheilkunde   sich  weiter   auszubilden:    na- 


1)  Prof.  Brückner  giebt  der  französischen  Ausgabe  das  Jahr  1877.  Dieselbe 
ist  aber  ohne  Jahreszahl  gedruckt.  Auf  meinem  Exemplar,  das  die  schriftliche 
Widmung  des  Vf.s  trägt,  habe  ich  mit  eigner  Hand  1878  verzeichnet. 

2)  Biogr.  Lex.  III,  112. 


Die  Farbenblindheit.     Norwegen.     Die  Heiberg's.  167 

iiitntlich   nach    Kopenhagen    und    nach    Bedin.     An    letzteren   Urte   waren 
lUsT,  C.F.  Graefe,  JüNGKEiN  uod  Heim  seine  Lehrer. 
I  1824   nach   Bergen   zurückgekehrt,   prakticirte   er   daselbst   bis    1826, 

übernahm  dann  als  Reserve-Arzt  die  Haupt-Ablheilung  im  Reichs-Hospital 
zu  Christiania  und  erwarb  1830  den  Doktor,  mit  einer  Dissertation  über 
l'upillen-Bildung. 

1826  wurde  er  Lector,  1836  Professor  der  Chirurgie  und 
Augenheilkunde  und  Ober-Wundarzt  am  Reichs-Hospital  und  hat  diese 
Ämter  bis  zu  seinem  Tode  (1872)  verwaltet. 

Seine  Dissertation 

Dr.  Chr.  Heiberg,  in  Univ.  regia  Fredericiana  Mcdicinae  Lector,  Gora- 
iiientatio  de   Coremorphosi,   Christianiae    1829. 

i-f  eine  ausführliche  Sonderschrift  in  zwei  Theilen.  Der  erste  Theil  be- 
si  liäftigt  sich  mit  der  Begriffs-Erklärung  der  Pupillen- Bildung,  mit  den 
Krankheiten,  bei  welchen  diese  Operation  angezeigt  ist,  mit  der  Prognose, 
il 'n  Vorbereitungen,  mit  der  Iridotomie  und  Iridektomie.  Im  zweiten  Theil 
werden  die  verschiedenen  Arten  der  Pupillen-Bildung  abgehandelt. 

Im  J.  d.  (Ihir.  u.  Augenheilk.  von  C.  F.  v.  GitAEFK  und  Pii.  v.  Wal- 
TUKR  (XVII,  S.  518,  1831)  ist  diese  Dissertation  angezeigt. 

II.)  JoHAN  Fritzner  Heiberg  IL  (1805—1883)", 
war  seit  1S53  General-Chirurg  der  norwegischen  .\rmee  und  hat  sich  um 
das  Militär-Sanitätswesen  seines  Vaterlandes  große  Nerdienste  erworben. 

III.)  Hjalmar  Heirgr);  III.^),  Christen's  Sohn,  1870  zum  Prof.  der 
pathologischen  Anatomie  und  allgemeinen  Pathologie  an  der  Univ.  zu 
Christiania  ernannt,  hat  zahlreiche  und  wichtige  Beiträge  zur  normalen 
und  pathologischen  Anatomie  des  Seh-Organs  geliefert. 

Zur  Anatomie  der  Zonula  Zinnii,  C.  Bl.  f.  d.  med.  Wissensch.  1865; 
Über  die  Neubildunii  des  Hornhaut -Epithels,  M.  .lahrb.  d.  k.  k.  Gesellsch. 
d.  Arzte  zu  Wien,  1871;  Panophthalniitis  pucrperalis,  bedingt  durch 
Mikrokoklcen,  C.  Bl.  f.  d.  med.  W.  1874;  Die  Malignität  des  Glioms  (zu- 
sammen mit  Hjout),  A.  v.  Graefe's  A.   f.   0.    1869,  XV,  I,    18  4 — 193. 

IV.)  Jacob  Munch  Heiberg  IV.  (1843—1888)3), 
Sohn    des    General-Chirurgen    H.  IL,    war    1867 — 1869    als   Assistent   im 
Reichs-Hosp.  und  im  Gebärhaus   thätig,   auch  als  Prosektor,  sodann  wäh- 
rend  des  deutsch -französischen   Krieges    1870   in    Berliner  Lazareten   und 


1)  Biogr.  Lex.  HI,  113. 

2)  Biogr.  Lex.  HI,  113;  Pagel's  biogr.  Lex.,  S.  702. 

3)  Biogr.  Lex.  III,  1U;  Pagels  Biogr.  Lex.,  S.  703. 


168         XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800 — 1875. 

auf  einem  nach  Frankreich  gehenden  Sanitäts-Zug;  studirte  1871  in  Berlii 
unter  Reichert  Anatomie,  war  1871  — 1873  Assistent  an  der  chirurgische! 
Klinik  zu  Rostock  unter  König  und  an  der  zu  Königsberg  unter  Schü> 
born;  konkurrirte  1872  um  die  durch  den  Tod  seines  Oheims  erledigt* 
Professur;  errichtete  in  Ghristiania  eine  Augenklinik  und  wurde  auch  zun 
Schriftleiter  des  Norsk  Magazin  f.  Laegev.  erwählt. 

Außer  zahlreichen  chirurgischen  Arbeiten  hat  er  die  folgenden ,  zui 
Augenheilkunde,  veröffentlicht: 

1.  Über  Krankheits-Processe  in  der  Hornhaut,  Ghristiania  1873,  Probe-Vor 
lesung. 

2.  Über  extrabulbäre  Geschwülste  der  Orbita,  1873. 

3.  Über  Behandlung  von  Excoriationen  am  Augenwinkel,  1873. 

4.  Über  Verpflanzung  von  Kaninchen-Bindehaut,  1875. 

(1  —  4  sind  in  norwegischer,  5  in  deutscher  Sprache.) 

5.  Methodik  der  ophthalmologischen  Untersuchung,  ein  Leitfaden  für  Anfängei 
von  Dr.  med.  Jacob  Heirerc,  Stipendiaten  an  der  Königl.  norweg.  Fredriks- 
Univ.  zu  Ghristiania,  Ghr.  1875.     (34  S.)     Ich  habe  das  Büchlein  vom  Vf. 

In  der  Blüthe  der  Jahre  ist  er  hinweggerafTt  worden,  —  wo  die 
meisten  erst  anfangen,  ihr  Bestes  zu  bringen. 

Für  das  G,  Bl.  f.  Augenh.  (und  für  die  deutschen  Fachgenossen)  hiil 
Jacoi»  Heibehg  sich  noch  ein  besonderes  Verdienst  erworben,  da  er  1<S7'.) 
(S.  36i))  den  Jahresbericht  über  die  ophthalmologische  Literatur  der 
skandinavischen  Länder  begonnen,  den  1 880  Dr.  W.  Krenciiel  in  Kopen- 
hagen (S.  532)  fortgesetzt  hat.  (Ferner  1881,  S.  470;  1882,  S.  4  03;  188:1, 
S.  394,  ist  dann  Dr.  Gordon  Norrie  eingetreten  und  hat  1884,  S.  40N; 
1885,  S.  385  fgd.;  1886,  S.  385  fgd.  berichtet.)  >) 

§  871.  Nebst  der  Familie  der  Heiberg's  kommt  die  der  H.iort's  in 
Betracht. 

V.)  Jens  Johan  Hjort  L  (1798  —  1873)2', 

1826  Brigade-Arzt,  1847—1853  stellvertretender  General-Chirurg,  1841  bis 
1873  Oberarzt  und  klinischer  Lehrer  in  der  Hautkranken-Abtheilung  des 
Reichs-Hospitals,  hat  allerdings  hauptsächlich  auf  dem  Gebiet  der  Syphilis, 
des  Aussatzes  und  der  Haut-Krankheiten  Bedeutendes  geleistet;  aber  in 
seiner  Jugend  doch  zwei  vortreffliche  Dissertationen  über  die  Netz- 
haut geschrieben: 

De  Functione  Retinae  particula  prima  et  secunda.  Commentatio  quam 
pro  licentia  summos  in  arte  medica  honores  rite  obtinendi  die  XV.  &  VI.  Febr. 


1)  Diese  für  die  beiden  Sprachgebiete  ersprießliche  Einrichtung,  die  übri- 
gens auch  auf  Rußland,  Polen,  Spanien,  Ungarn,  ausgedehnt  wurde,  ist  später 
aus  dem  Gentralblatt  in  andre  Zeitschriften  übernommen  worden. 

2)  Biogr.  Lex.  III,  S.  225. 


Die  Hjort's.  169 

1820  el  18:50  publice  defensurus  est  auclor  Janüs  Joannks  IIjürt,  Medicinae 
candidalus  (dein)  Licentiatus,  in  exercitu  norvegico  medicus  Legionai'ius  et  in 
nosocomio  Norvegiae  publico  medicus  subsidiarius,  respondente  Joann.  Anduea 
Albert,  collega  scholae  Chdslianensis.  Christianiae,  Pars  I,  I82G  (Hl  S.), 
P.  II.    1830    (IHI    S.,    8",    2    Tafeln). 

Eino  ausgezeichnete  Arbeit,  die  unsren  Neid  erwecken  könnte,  wenn 
nicht  —  in  Norwegen  die  Doktor-Würde  iinsrer  Habilitation  entspräche. 
Der  Vr.  theilt  seinen  Gegenstand  in  zwei  Abschnitte,  den  physischen  oder 
formalen,  und  den  vitalen  oder  dynamischen. 

Zunächst  bringt  er  die  Meinungen  der  Alten  und  Neuen  von  Pytha- 
(iORAs  bis  Kepler,  Scbeinkr,  Cartesils.  Keplers  Anschauung  macht  er 
zu  der  seinen. 

Nur  drei  einfache  prismatische  Farben  nimmt  er  an,  Blau,  Gelb  und 
Weinrolh.     Das  Licht  sei  keine  Materie,  solidem  eine  Bewegung. 

Im  zweiten  Teil  behandelt  er  die  Wirkung  des  Lichts  auf  die  Netz- 
haut. Sobald  eine  der  drei  Farben  längere  Zeit  auf  die  Netzhaut  einge- 
wirkt, wird  die  entgegengesetzte  Farbe  hervorgerufen.  Dann  bespricht  er 
die  galvanische  und  die  mechanische  Einwirkung  auf  die  Netzhaut  und  das 
Licht  sowie  die  Farben,  die  aus  innerer  Ursache  entstehen. 

Das  Abwechseln  des  Schwarzen  mit  dem  Weißen  beruhe  auf  einem 
.\nt;igonismus  im  Leben  der  Netzhaut.  Die  Funktionen  der  Netzhaut 
stimmen  mit  keinen  Kräften  der  Natur  mehr  überein,  als  mit  denen  des 
Lichts.  (Man  erkennt  hier  eine  gewisse  Vorahnung  der  HERiNci'schen 
Theorie.) 

§872.    VL)   JuHAN  Storm  Aubert  H.iort  IL  (1835— 1905)i>. 

Zu  Christiania  am  10.  Dez.  1835  geboren,  als  Sohn  von  Jens  Joh.in 
IL,  studirte  Johan  H.  in  seiner  Vaterstadt,  war  seit  1860  in  den  dortigen 
Krankenhäusern  thätig,  machte  1864  den  Feldzug  in  der  dänischen  Armee 
mit;  begab  sich  1865  in's  Ausland,  auch  zu  A.  v.  Graefe,  wurde  1867 
Kompagnie- Chirurg,  1872  Korps-Arzt,  1873  Professor  der  Chirurgie 
und  Augenheilkunde  zu  Christiania  sowie  Oberarzt  der  chirurgischen 
Abtheilung  des  Reichs-Hospitals. 

Außer  mehreren  Abhandlungen  zur  Chirurgie  hat  er  aucii  einige  zur 
Augenheilkunde  im  Norsk  Mag.  veröfTentlicht :  Über  Iris-Mangel.  Norwegens 
Blinden-Statistik.  Über  Sehpurpur,  Über  Glaukom.  Über  Ablösung  der  Ader- 
haut. Über  Magnet-Operation  2).  Der  Arbeit,  die  er,  mit  Hjalmar  Heiberg  III, 
über  die  Bösartigkeit  des  Glioms  verfaßt,  haben  wir  soeben  gedacht. 

In  deutscher  Sprache  schrieb  II.  über  offene  Wund-Behandlung,  C.  Bl. 


1)  Biogr.  Lex.  226;  Pagel's  b.  L.,  S.  751;   C.  BI.  f.  A.  1905,  S.  93.    (Hirsch- 
berg.   Ich  habe  Johan  Hjort  sehr  gut  gekannt.) 
2j  Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1884,  S.  408. 


170         XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800 — 187;>. 

r.  A.  189  7,  S.  138  u.  329,  endlich  »Hundert  Star-Extraktionen  mit  offener  Wund- 
Behandlung«,  ebendas.  1898,  S.  33.  Die  beiden  letztgenannten  Arbeiten  sind  schon 
in  unsrer  Geschichte  des  Augen- Verbands  (§  563,  S.  85)  erörtert  worden. 

Augenärzte  und  Förderer  der  Augenheilkunde  in  Finland. 

§  873.  I.  Jacob  August  Estlander  (1831—1881)1), 
geb.  am  24.  Dez.  1831  zu  Helsingfors,  Lic.  der  Medizin  1858,  Doktor  der 
Medizin  und  Chirurgie  1860,  besuchte  Paris  und  London  1858—1859  und 
erhielt  die  Berufung  zum  Prof.  der  Chirurgie  in  Helsingfors  am  22.  Febr. 
1860.  Er  verwaltete  sein  Amt  sehr  erfolgreich.  Aber  seine  Gesundheit 
begann  zu  leiden,  er  ging  nach  dem  Süden  und  ist  zu  Messina  am  4.  März 
1881    verstorben. 

Seine  bedeutendste  Leistung  auf  unsrem  Gebiet  ist  die  Arbeit 

Über  Chorioiditis  nach  febris  typhosa  iccurrens.  Arch.  f.  Ophth. 
XV,  2,  108—143,   1869. 

Es  ist  eine  der  wichtigsten  Arbeiten  über  diese  Erkrankung,  nach  den 
Andeutungen  von  Wallace  in  Irland  (1825)  und  der  kurzen  Beschreibung 
von  Mackenzie  (1844),  der  sie  nur  als  Ophthalmitis  postfebrilis  be- 
zeichnet 2)^  sowie  nach  der  richtigeren  Darstellung  von  Blesskj^)  jeden- 
falls die  erste  Sonderschrift,  die  Jeder  schätzen  muß,  der,  wie  ich  selber, 
einige  Fälle  dieser  Krankheit  beobachtet  hat.    (Vgl.  §  884,  902,  903.) 

Die  genaue  Darstellung  derselben  und  die  weitere  Literatur  findet  sich 
in  unsrem  Handbuch  XI,  I,  §  294.    (Prof.  Groenouw)^). 

§  874.  II.  Franz  Joseph  von  Becker  (1823—1890)-'^), 
geb.  in  Abo  (Finland)  am  19.  Juni  1823,  studirte  in  Helsingfors,  dann 
weiter  in  Jena  und  in  Göttingen  und  wurde  Licentiat  der  Heilkunde  1850; 
Prof.  der  Pharmokologie  1854  und  dazu  a.  o.  Prof.  der  Augenheilkunde 
1871,  wonach  er  die  Augen-Abtheilung  nebst  Poliklinik  im  Stadtkrankenhaus 
begründete. 

Als  Augenarzt  und  Operateur  stand  er  in  hohem  Ansehen;  dabei 
war  er  wohlwollend  und  bescheiden.  Er  hat  auch  für  Unterricht,  Wissen- 
schaft und  Hygiene,  weiter  über  sein  Fach  hinaus,  viel  geleistet. 

1 885  trat  er  zurück.  In  seinem  stillen  Heim  beschäftigte  er  sich  mit 
Ölmalerei;  in  der  Kunst  fand  er  Trost  für  die  Einsamkeit,  zu  der  er 
durch  seine  zunehmende  Ertaubung  verurtheilt  war. 


1)  Biogr.  Lex.  II,  S.  308.     (D.  Hjelt.) 

2)  Vgl.  unsren  §  681,  S.  34,  10.     Groenouw  citirt  nur  die  französische  Aus- 
gabe a.  d.  J.  1856.  3)  Klin.  M.  Bl.  1867,  V,  S.  291. 

4)  K.  F.  VON  Willebrand,  1856 — 1874  Prof.  d.  Med.  zu  Helsingfors,  hat  1854 
A.  f.  0.  I,  319)  Miosis  durch  Sympathicus-Lähmung  beschrieben. 

3)  Biogr.  Lex.  I,  355;  Pagel's  b.  L.,  144.     Klin.  M.  Bl.  1891,  S.  81—84. 


Finlaiid.    J.  A.  Estlander,  F.  .I.v.  Becker,  M.W.  af  Schulten,  K.B.Wahlfors.     171 

Seine  augenärztlichen  Arbeiten  hat  er  hauptsächlich  in  A.  v.  Graefe's 
Arch.  f.  Uphth.  verülVentlicht: 

1.  Über  den  Bau  der  Linse.     IX,  2,  1—42,  1869. 

2.  Über  Ritter's  Entdeckungen  in  der  Anatomie  der  Linse.  XIII,  I, 
75—83,   1867. 

3.  Kall  von  Dislocatio  bulbi.     XII,  2<S9— 295,  1866. 

4.  Aderhaut- Kolobom    ohne  Iris-Spaltung.    XXIII,  3,  221—228,  1876. 

5.  Ferner  in  den  Klin.  M.  Bl.  (1870,  S.  375—378)  über  Blinden-Stati- 
stik  in  Finland.  (N'gl.  das  Programm  von  1870  »Om  blindhet  och 
trachom  med  lastadt  afseende  pa  fmska  für  hällanden«.) 

Von  seinen  schwedischen  VerülTentlichungen  seien  noch  genannt: 
1868,  Om  när  syndhet;  1870,  Om  gra  starr;  1877  Amyloid-degeneration 
af  tarsi. 

§  875.     IIL  MAXI.MUS  Wedkkind  af  Schulten  (1847—1899)1), 
1883  a.  0.,    1892   o.  Prof.  der  Chirurgie  zu  Helsingfors,  einer  der  bedeu- 
tendsten schwedischen  Chirurgen  des  1*.».  Jahrhunderts,  hat  zwei  wichtige 
Abhandlungen  zur  Augenheilkunde  veröffentlicht: 

1.  Eine  Methode,  um  den  .\ugengrund  unter  hochgradiger  Vergröße- 
rung zu  beobachten.  ^En  metod  alt  under  höggradig  förstoring 
observera  ögonbotten.)  Finska  läkaresällsk.  handl.  XXII,  S.  499. 
Vgl.  C.  Bl.  f.  A.   1881,  S.   174. 

2.  Untersuchungen  über  den  Hirndruck  mit  besonderer  Berücksichti- 
gung auf  seine  Einwirkung  auf  die  Cirkulations- Verhältnisse  am 
Auge.  Arch.  f.  klin.  Ghir.  XXXII;  sowie  Arch.  f.  Ophth.  XXX,  3, 
S.  1—76  u.  4,  S.  61 — 102,  1884.    (Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1884,  S.  618.) 

Auch  dieser  bedeutende  Forscher  ist  in  der  Blüthe  der  Jahre  hinweg- 
gerafl't  worden. 

§  876.     IV.   Von  K.  B.  Wahlfors, 

über  dessen  Leben   und  Wirken    ich  nichts  ermitteln  konnte,    habe  ich  die  fol- 
genden Arbeiten  gefunden : 

1.    Über  die  Pathogenie  der  Stauungs-Papillen.     Acad.  Afh.   Helsingfors  -1880. 
i.    Über  Druck  und  Druck-Messungen  im  menschh  Auge.    Bericht  des  VII.  in- 
ternal. Ophth. -Kongresses  zu  Heidelberg,  S.  268,  1888. 

3.  Stauungs-Papille  mit  ringförmigem  Skotom.    Finska  läkaresällsk.  handl.  XXI, 
S.   425,   1889. 

4.  Ein  Fall  von  Irido-chorio-neuroret.    Ebendas.,  S.  306. 

5.  Bericht  über  130  Star-Ausziehungen.     Finska  L.  H.  XXXIII,  S.  .333,  1891. 

6.  Vom    Schielen   und   den   Ursachen   desselben.     Arch.  f.  A.  XXVII,   S.  207, 
1893.    Auch  Schwedisch,  Finska  L.  H.,  S.  267  u.  321. 


1)  Pagkl's  biogr.  Lex.,  S.  1347. 


172         XXIII.  Hirschberg,  Die  skandinavischen  Augenärzte,  1800— 1875. 

§  877.     Schlußwort. 

An  den  skandinavischen  Universitäten  ist  die  Selbständigkeit  unsrer 
Fachwissenschaft  erst  spät  anerkannt  worden;  die  ordentliche  Professur  der 
Augenheilkunde  wurde  erst  in  den  Jahren  1882 — 1894  eingerichtet. 

Die  Leistungen  der  nordischen  Gelehrten  aus  den  letzten  Jahrzehnten 
des  1 9.  Jahrhunderts  sind,  wie  in  den  andren  Wissens- Zweigen,  tüchtig 
und  gediegen,  sowohl  auf  klinischem  Gebiete,  als  auch  namentlich  auf 
theoretischem,   samt  der  Anwendung  auf  die  Praxis. 


\ 


Kapitel  XXIII. 

*  (Fortsetzung.) 

Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit 

Von 

J.  Hirschberg, 

Professor  in  Lerliii. 

Drittes  Buch. 

Siel  »zehnter  Abschnitt. 
Die  Augenärzte  Rußlands,  1800  —  1875. 

Mit  17  Figuren  im  Text. 


Eingegangen  im  Oktober  lOin. 


Einleitung. 

§  878.  Ursprung  und  Entwicklung  der  Augenheilkunde  in  Rußland. 

Ebenso,  wie  1724,  als  Peter  der  Große >)  die  erste  russische  Univer- 
sität zu  gründen  versuchte,  sowohl  die  17  Professoren  als  auch  die  8  Stu- 
ienten  aus  dem  Ausland  verschrieben  wurden^);  wie  der  erste  Professor 
1er  Chirurgie  in  Rußland,  von  dem  wir,  aus  den  Jahren  1780  und  1783, 
lugenürztlichc  Leistungen  zu  melden  hatten,  J.  J.  von  Mohrenbeim-'),  aus 
Wien  nach  St.  Petersburg  berufen  worden;  so  ist  auch  der  erste  bedeu- 
tendere Vertreter  der  wissenschaftlichen  Augenheilkunde  im 
Elußland   des  19.  Jahrhunderts,  Wilhelm  Lercbe,    1791    in  Braunschweig 


1)  Die  Hof-Okulisten  seines  Vorgängers  Alexei  Michailowitsgh,  der  1645 — 1676 
regierte,  hießen  David  Bruhn  und  Johann  Maiilhorn.  (Dr.  A.  Reutlinger,  Zur 
aesch.  d.  Med.  Rußlands  im  XVII.  Jahrh.  —  Westnik  Ophth.  1907,  S.  117—118; 
C.  Bl.  f.  A.  1907,  S.  128.) 

2)  Minerva  I,  S.  367,  1911. 

3)  §  430.  »Da  die  jungen  Leute,  die  sich  daselbst  (d.  h.  in  St.  Petersburg) 
ier  Wundarzneikunst  widmen,  meistens  Deutsche  oder  von  deutschen  Eltern  ge- 
boren sind;  so  wird  aller  Unterricht  deutsch  gegeben.« 


174  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

geboren  und  1812  in  russische  Dienste*)  getreten;  ihm  ist  die  Gründung 
der  Petersburger  Augen-Heilanstalt  (1824)  zu  danken,  von  der 
eigentlich  in  Rußland  die  Augenheilkunde  ausgegangen  ist. 

Seine  Nachfolger  waren,  bis  zum  Ende  des  Jahrhunderts,  Deutsch- 
Russen  aus  Petersburg  oder  den  Ostsee-Provinzen.  Die  Mittheilungen 
der  Petersburger  Augen-Heilanstalt  (1877 — 1899)  sind  in  deutscher 
Sprache  erschienen. 

Als  erster  Lehrer  der  Augenheilkunde  an  der  militärärztliclien 
Akademie  zu  St.  Petersburg  war  1818  Dr.  Grubi  aus  Erlangen  berufen 
worden.  Der  erste  Professor  der  Augenheilkunde  an  dieser  Akademie 
wurde  der  Deutsch-Russe  Dr.  Junge  aus  Riga,  im  Jahre  1860. 

Den  ersten  augenärztlichen  Unterricht  an  der  Universität  Moskau 
ertheilte  1806  Tu.  Hildebrandt  aus  Worms.  Sein  Nachfolger  wurde  Ewe- 
Nius,  dessen  Vater  aus  Berlin  eingewandert  war.  Der  erste  Professor 
der  Augenheilkunde  an  der  Universität  Moskau,  Gustav  Braun  (1860),  war 
in  Ost-Preußen  geboren.  Der  Gründer  der  Moskauer  Augen-Heilanstalt 
(1824)  war  Dr.  Brosse  aus  Riga. 

Die  ersten  Professoren  der  Chirurgie  und  Augenheilkunde  an  der  Uni- 
versität Dorpat  waren  Kauzmann  aus  Schwabach  in  Franken,  Jociimann 
aus  der  deutschen  Stadt  Pernau  in  Livland,  Balk  aus  Königsberg  in 
Preußen,  Moier  i einer  holländischen  Familie  entstammend)  aus  Reval;  dann 
folgte  der  in  Dorpat  ausgebildete  National-Russe  Pirogoff:  hierauf  Adelmann 
aus  Fulda,  Garus  aus  Leipzig,  Öttingen  aus  Dorpat.  Der  letztere  wurde 
1867  der  erste  Professor  der  Augenheilkunde  zu  Dorpat.  Ihm  folgte 
E.  Rählmann  aus  Westphalen,  1S79 — 1900. 

Zu  Kiew  wirkten  als  Professoren  der  Chirurgie  und  Augenheilkunde, 
von  1844  an,  Dr.  Becker,  ein  sächsischer  Unterthan,  Zilchert  und  Hübbenet, 
Deutsch-Russen  aus  den  Ostsee-Provinzen. 

In  Charkow  hat  der  Italiener  T.  Vanzetti  als  Chirurgie-Professor  der 
Augenheilkunde  den  Weg  gebahnt;  der  erste  Professor  des  Faches  war  der 
Deutsch-Russe  Hirschmann. 

In  Odessa  hat  der  Deutsch-Russe  H.  Stieda  1875  die  Augen- Heilan- 
stalt begründet;  seine  Nachfolger  waren  Dr.  Wa(;nei!,  ein  Bürger  des  deut- 
schen Reiches,  und  Dr.  Walter. 

Zu  Anfang  der  sechziger  Jahre  hatte  die  russische  Regierung  eingesehen, 
daß  sie,  um  russische  Professoren  zu  gewinnen,  junge  befähigte  Russen 
in's  Ausland  zur  Ausbildung  senden  müsse. 


1)  Die  russische  Regierung  gebrauchte  auch  im  19.  Jahrhundert  noch  fremde 
Ärzte  und  forderte  in  ärztlichen  Zeitschriften  (z.  B.  englischen)  zum  Eintritt  in 
die  Armee  auf. 

Von  italienischen  Ärzten,  die  in  Rußland  Stellung  errangen,  kennen  wir 
aus  der  Mitte  des  1 9.  Jahrhunderts  bereits  Florio,  Generalarzt,  und  T.  Vanzetti, 
Prof.  der  Chir.  zu  Charkow.     (Vgl.  §  719,  S.  30  und  §  722,  S.  47.) 


Ursprung  und  Entwicklung  der  Augenheilkunde  in  Rußland.  175 

Zu  den  merkwürdigsten  Erinnerungen  aus  meiner  medizinischen 
Studien-Zeit  der  Jahre  1863 — 1805,  wo  icli  als  Famulus  in  dem  patho- 
logischen Institut  von  Rudolf  Virchow  thätig  war,  gehurt  die  unermüdliche 
Thätigkeit  des  großen  Nicolai  Iwaxow  itsch  Pirogoff  :  im  Beginn  jedes 
Sommer-Semesters  erschien  er  bei  uns  und  brachte  aus  seinem  ausgedehn- 
ten, aber  mit  den  Einrichtungen  zum  Studium  der  Heilkunde  noch  nicht 
genügend  versehenen  Vaterlande  eine  Reihe  von  jungen,  lernbegierigen 
Landsleuten  in  das  Institut,  deren  Eifer  unsre  Bewunderung  erregte. 

Alle  bedeutenden  Lehrer  und  Forscher  Rußlands  auf  dem  Gebiete  der 
Augenheilkunde  aus  dem  letzten  Drittel  des  I  *.».  Jahrhunderts  sind  im  Aus- 
land  ausgebildet   worden,    Woinow,   Krickow,   Adamück,    Iwanokf,    Chodin, 

DOBROWOLSKY,    BkLLARMINOFF. 

Sie  haben  ihre  Arbeiten  zunächst  und  hauptsächlich  in  deutscher 
Sprache  verüfTentlicht. 

Erst  im  letzten  Drittel  des  11).  Jahrhunderts  beginnt  eine  rus- 
sische Literatur  der  Augenheilkunde. 

Im  Jahre  18C8  erscheint  die  erste  Lieferung  von  Braun's  Handbuch 
der  Augenkrankheiten:  sie  ist  kurz,  klar,  zeitgemäß.  18  Bogen,  mit 
20  Abbildungen,  die  Krankheiten  der  Lider,  der  Thränen-Werkzeuge,  der 
Bindehaut  umfassend.  Von  der  Militär-Medizinal-Verwaltung  wird 
das  Buch  herausgegeben;  das  ist  kennzeichnend'. 

Im  Jahre  1871  verülfentlichl  A.  N.  Maklakoff  einige  Abhandlungen 
zur  Augenheilkunde  in  russischen  ärztlichen  Zeitschriften. 

In  den  Jahren  1876  7  erschienen  in  russischer  Spraclie  die  ophlhal- 
mologischen  Beobachtungen  von  Ämilian  Adamück,  1881  der  Kursus  der 
Augen-Operationen  von  Chodin,  1882  dessen  praktische  Ophthalmologie, 
1884  das  Lehrbuch  der  Augenheilkunde  von  A.  Adamück,  zehn  Jahre 
später  das  von  Adrian  Kuückow,  welches  sieben  Auflagen  erlebte.  Auch 
E.  Mandelstamm  schrieb  in  russischer  Sprache  »Klinische  Vorträge  über 
Augenheilkunde«. 

Im  .lahre  1884  wird  die  erste  russische  Zeitschrift  der  Augen- 
lieilkunde,  »der  augenärztliche  Bote«  (Westnik  Ophthalmologij)  von 
TaioDiN  begründet.     Dieselbe  ist  bis  auf  unsre  Tage  gekommen. 

Da  die  russische  Sprache  außerhalb  Rußlands  nicht  verstanden  wird, 
so  hat  das  C.  Bl.  f.  A.  von  1 880  ab  Jahresberichte  der  russischen  augen- 
ärztlichen Literatur  veröffentlicht. 

Zusatz.  Ich  möchte  hier  eine  Liste  derjenigen  Russen,  welche  während 
der  Reform-Zeit  (und  danach  bis  gegen  den  Schluß  des  Jahrhunderts)  in  aus- 
wärtigen Laboratorien  gearbeitet,  sowie  ihrer  Veröffentlichungen    anschließen. 


i)  Ebenso,  daß  der  Vf.  ein  Deutscher.  (Auch  Chr.  Salomon,  der  schon  184  0 
ein  russisches  Handbuch  der  operativen  Heilkunde  verfaßt,  war  ein 
Deutscher.) 


176  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— -l  875. 

(Dies  empfiehlt  sich  um  so  mehr,  als  einige  von  diesen  jungen  Russen  nachher 
in  unsrer  Literatur  nicht  weiter  zum  Vorschein  gekommen   sind.) 

Als  Einleitung  benutze  ich  ein  schönes  Wort  von  Th.  Leber,  aus  der  Fest- 
sitzung zu  Heidelberg,  vom   6.  September   1896^): 

»Die  Einrichtung  von  Arbeits-Laboratorien,  in  welchen  sich  junge  Gelehrte 
jeder  Nationalität  zur  Förderung  der  Wissenschaft  zusammenfinden,  ist  so  recht 
eine  Errungenschaft  unsrer  Zeit,  für  welche  in  Deutschland,  Dank  der  Einsicht 
der  maßgebenden  Kreise,  unstreitig  das  Meiste  geschehen  ist.  Doch  sind  grade 
für  unsre  Wissenschaft  schon  längst  auch  im  Auslande,  insbesondere  in  Hol- 
land 2]  und  später  in  Frankreich 3)  Institute  entstanden,  deren  hervorragende 
Leistungen,  vermöge  der  besondren  Richtung,  welche  sie  vertreten,  die  unsrigen 
in  glücklichster  Weise  ergänzen  und  geradezu   unentbehrlich   zu   nennen    sind.« 

Liste. 
Zu  den  ältesten  russischen  Arbeitern  in  Deutschland  gehört: 

1.  Alexander  Babuchin*).  Geb.  1835  im  Gouv.  Orel,  studirte  B.  in  Mos- 
kau bis  1809  und  wurde  1865  daselbst  Prof.  der  Histologie.  Im  Jahre  18C3 
hat  er  in  der  Würzburger  naturwissenschaftlichen  Zeitschrift  (IV,  S.  71  fgd.) 

Beiträge  zur  Entwicklungsgeschichte  der  Netzhaut 
veröffentlicht;    ebendas.   (V,   4l)    186  4    vergleichend   histologische    Studien;    und 
1871    in  Stricker's  Gewebelehre  das  36.  Kapitel,  die  Linse,  verfaßt. 

1\  In  Heidelberg  bei  Helmholtz,  Kirchhoff  und  Bunsen  und  in  Leipzig  bei 
Ludwig  und  Hupi'Ert  hat  Jan  von  Dogiel  gearbeitet,  später  Prof.  in  Kasan, 
Vf.  wichtiger  Arbeiten  zur  Anatomie  und  Physiologie  des  Seh-Organs.  (Vgl. 
§   924.) 

Im  Archiv  für  Ophthalmologie  I  bis  XX  [und  XXI  bis  L]   finde 
ich  die  folgenden: 

2.  u.  3.  Adamück  und    Woinow   1.  Über   Akkommodation   der   Presbyopen. 

XVI,  1.     (Aus   dem   Heidelberger  physiologischen    Laboratorium    von   Prof. 
H.  Helmholtz.)     2.  Über  negative  Nachbilder.   XVII,  1. 

3.  Über  Pupillen-Veränderungen  bei  der  Akkommodation.  XVII,  1.  (2  und  3 
in  Berlin,  bei  H.  Helmholtz  gearbeitet.) 

4.  A.  Dobrowolsky,  Beitr.  z.  physiologischen  Optik.  XVIII,  1.  (Laborat.  v. 
Helmholtz  zu  Berlin.) 

5.  J.Junge,  Ophth.  mikrosk.  Notizen.    V,  2.     (Bei  A.  v.  Graefe.) 

6.  A.  Iwanoff,  Beitr.  zur  normalen  und  path.  Anatomie  des  Auges.  XV,  1. 
(H.  Müller  in  Würzburg.) 

7.  A.  Krückow  und  Th.  Leber  (Göttingen),  Über  die  Resorptions-Verhält- 
nisse  der  Netzhaut.    XX,  2. 

A.  Krückow,  Angeborenes  Hornhaut-Staphylom.     XXI,  2.    (Unter  Prof. 
0.  Becker  in  Heidelberg.) 

8.  S.  Lamansky,  Grenzen  der  Empfindlichkeit  des  Auges  für  Spektral-Farben. 

XVII,  1.     (Prof.  Helmholtz  in  Heidelberg.) 

9.  E.  Mandelstamm,  Zur  Ophthalmometrie.  XI,  2.  Zur  Physiologie  der 
Farben.     XIII,  2.     (Physiol.  Laborat.  von  Prof.  Helmholtz  in  Heidelberg.) 


I 


1)  Bericht  der  XXV.  Sitzung  der  ophthalmologischen  Gesellschaft,  S.  30. 

2)  Vgl.  Skrebitzky,  No.  16. 

3)  Das  Laboratorium  in  der  Sorbonne  wurde  erst  1877  begründet.  (1909  wie- 
der aufgehoben.)     Vgl.  §  549,  S.  13. 

4)  Biogr.  Lex.  VI,  S.  4  34. 


Ursprung  und  Entwicklung  der  Augenheilkunde  in  Rußland.  177 

10.  L.  Mandelstamm  (und  Schöler),  Bestimmung  der  optischen  Konstanten 
des  Auges.  XVIII,  1.  (Physikalisches  Laboratorium  von  Prof.  Helmholtz 
in  Berlin.) 

L.  Mandelstamm,  Zur  Lage  der  korrespondirenden  Netzhaut-Punkte. 
XVIII,  2.    (Ebendas.) 

11.  Mitrophon  Memorsky,  russ.  Regimentsarzt,  Über  den  Einfluß  des  in- 
traokularen Drucks  auf  die  Blutbewegung  im  Auge;  experiment.  Beiträge 
zur  Diffusion  des  Auges.    XI,  2i). 

12.  M.  Reich,  üphthalmometrische  Messungen.  XX,  ).  (Laboratorium  von 
Prof.  Helmholtz  in  Berlin.) 

Zur  Thränen-Absonderung.  XIX,  .3.    Labor,  von  Prof.  Brücke  in  Wien.) 
Histologie  der  Hecht-Netzhaut.  XIX,  3.  lEbendas.) 

13.  B.  Rosow,  Zur  Ophthalmometrie.  XI,  2.  (Physiologisches  Laboratorium  von 
Prof.  Helmholtz  zu  Heidelberg.). 

14.  C.  Schalygen,  Über  Hornhaut-Epithel.  XII,  1.  (Würzburg,  anatomisches 
Institut  von  Prof.  Kölliker,  pathologisches  Institut  von  Prof.  v.  Reck- 
1  inghausen.; 

15.  J.  Setschenoff,  Über  Fluorescenz  der  Augen-Medien.  V,  2.  (Physiologi- 
sches Laboratorium  von  Prof.  Helmholtz  zu  Heidelberg.) 

16.  A.  Skiebitzky,  Über  Augenbewegungen.  XV^III,  I.  (Prof.  Donders  in  Ut- 
recht.) —  Woinows  weitere  Arbeiten  brauche  ich  nicht  anzuführen. 

17.  A.  Chodin,Das  Weber-Fechner'sche  Gesetz.  XXIII,  l .  (Prof.  Preyerin  Jena.) 

18.  G.  Denisse  nko,  Netzhaut  der  Quappe.     XXVIIl,  i.     (Wien  1881.) 

19.  M.  Gur witsch-;,  Anastomosen  zwischen  Gesichts-  und  Orbital-Venen.  XXIV, 
2.     ^L'nter  Prof.  Leßhaft.i 

20.  L.  Bellarminoff,  Intermittirende  Netzhaut-Reizung.  XXXV,  1.  (Prof. 
Helmholtz,  Berlin.) 

21.  Koslenitsch,  Path.  anatom.  Untersuch,  über  Zündhütchen-Verletzung  des 
Auges.  XXXVII,  4.  (Laborat.  d.  Univ.-Augenklinik  zu  Heidelberg.) 

22.  E.  Neese,  Verhalten  des  Epithels  bei  der  Verheilung  von  Hornhaut- Wunden. 
XXXIIl,  1.      Prof.  0.  Becker  in  Heidelberg.) 

23.  N.  Andogsky,  Das  Verhalten  des  Sehpurpurs  bei  Netzhaut -Ablösung. 
XLIV.  (Labor,  des  Prof.  Tb.  Leber  in  Heidelberg.) 

24.  E.  Niesamoff,  Filtration  und  Sekretion  des  Kammerwassers.  XLII,  4. 
(Labor,  des  Prof.  Th.  Leber  in  Heidelberg.) 

Dies  mag  genügen,  um  eine  Übersicht  zu  gewähren. 

§  879.     Oll  eilen.     Die  Berichte  von  Dr.  von  Poppen,  Dr.  E.  Blessk;, 
Dr.  VON  Krüdener,  Dr.  M.  Reich.  —  Dr.  v.  K.^b.vt's  Bericht  aus 
dem  Jahre  1857. 
Für  eine  Geschichte  der  Augenheilkunde  im  Rußland   des   19.  Jahr- 
hunderts fehlt  es  gänzlich  an  Vorarbeiten. 

A.  Hirsch  (S.  402)  hringt  ganze  acht  Zeilen,  über  W.  Lerche  und  die 
Titel  ^bei  Leibe  nichts  über  den  Inhalt,)  seiner  Abhandlungen. 

P.  Pansier  S.  53)  hat  A,  Hirsch's  Mittheilungen  auf  drei  Zeilen  zu- 
sammengepreßt.    Horstmann  erfreut  uns  (S.  521)   mit  vier   Zeilen    für  die 

1)  Wo  die  Versuche  angestellt  wurden,  ist  nicht  angegeben.  Ich  besinne 
mich  noch  auf  den  Hrn.  Memorsky  aus  dem  Jahre  1864,  wo  ich  als  Student 
Graefe's  Klinik  besuchte.  M.  ließ  sich  schwer  überzeugen  und  hat  oft  die  Geduld 
von  A.  v.  Graefe  auf  die  Probe  gestellt. 

2)  Später  Augenarzt  zu  Rostow  am  Don. 

Handbucli  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VII.)   XXIII.  Kap.  12 


178  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

erste  Hälfte  des  \  9.  Jahrhunderts  und  für  die  zweite  mit  drei  viertel  Seiten 
(S.  550).  H.  Frenkel  erwähnt,  in  ^4  Zeilen,  einige  Namen  russischer  Pro- 
fessoren. 

Es  giebt  auch  keine  Literatur-Nachweise,  aus  denen  ich  die  Entwick- 
lung der  Augenheilkunde,  und  namentlich  die  Einführung  des  augenärzt- 
lichen Unterrichts  an  den  Universitäten,  hätte  entnehmen  können.  Dies 
mußte  neu  geschaffen  werden. 

Ich  wandte  mich  also  rechtzeitig  an  meinen  alten  Freund  Prof.  Bel- 
larminoff in  St.  Petersburg.  Im  Verlaufe  einiger  Jahre  gelang  es  mir,  von 
seinem  Assistenten  Dr.  von  Poppen  zuverlässige  Angaben  über  die  Univer- 
sitäten und  die  Augenkliniken  zu  erhalten,  dazu  noch  die  Berichte  von 
Dr.  E.  Blessig,  Baron  Dr.  von  Krüdener,  Prof.  Bellarminoff,  Dr.  M.  Reicb; 
sie  haben  mir  meine  Arbeit  ermöglicht,  die,  wie  ich  hoffe,  den  Fachge- 
nossen eine  neue  und  durch  das  mir  überlassene  Material  auch  anziehende 
Übersicht  gewähren  wird.  Allen  diesen  Herren  bin  ich  zu  besondrem 
Danke  verpflichtet. 

In  manchen  Paragraphen  bin  ich  sogar  nur  der  Herausgeber,  was 
ich  immer  besonders  und  dankbar  angemerkt  habe. 

Reiseberichte,  wie  für  Deutschland,  Frankreich,  England,  Italien, 
giebt  es  nicht  für  Rußland,  wohl  aber  einen  Bericht  des  russischen 
Militär-Arztes  Dr.  J.  von  Karat  über  den  Zustand  der  Augen- 
heilkunde Rußlands  aus  der  Mitte  des  19.  Jahrhunderts,  den 
ich,  da  er  einzig  dasteht,  hier  wörtlich  übersetzen  werde*). 

»Rußland  besitzt  sechs  Universitäten,  jede  mit  einer  medizinischen 
Fakultät,  in  Moskau,  Kasan,  Charkow,  Kiew,  Dorpat  und  Helsingfors; 
außerdem  in  St.  Petersburg  eine  Akademie  der  Medizin.  An  jeder  Univer- 
sität giebt  es  einen  theoretischen  Kurs  der  Augenheilkunde.  Außerdem 
giebt  es  Sonder-Kliniken  für  den  praktischen  Unterricht^).  Die 
Akademie  zu  St.  Petersburg  hat  eine  Augen-Abtheilung  des  Militär-Hospitals 
zu  ihrer  Verfügung,  mit  jährlich  5000  Kranken  und  200  Operationen. 

Berühmt  durch  ihre  Leistungen  auf  dem  Gebiet  der  Augenheilkunde 
sind  die  Professoren  Grubi,  Salomon,  Savenkoff,  Pirogoff,  Rklitzky(?) 
Zabtotski  zu  St.  Petersburg,  Hildebrandt,  Inozemzoff,  Bp.osse  zu  Moskau, 
Vanzetti  in  Charkow,  Kobrowajeff  (?)  zu  Kiew.  jjjt 

Außer  diesen  Professoren    besitzt  Rußland   noch   die  folgenden  ausge- " 
zeichneten    Augenärzte:    Thielmann,    Froebelius,    Denicke    und    Lerche    zu 
St.  Petersburg,  Süchtchinski  zu  Moskau  u.  a. 


1)  De  l'etat  de  rophthalmologie  en  Russie.    Congres  d'üphthalm.  de  ßruxelles 
1837;  C.  R.  1858,  S.  520. 

2)  Dieser  diplomatische  Satz  muß  richtig  verstanden  werden.    Nicht  an  allen 
sechs  Universitäten  gab  es  damals  solche  Kliniken. 


Kabat's  Bericht  vom  Jahre  1837.  —  Die  Universitäten  Rußlands.         179 

2.  Es  giebt  Sonder-Anst;ilten  für  die  Behandlung  von  Augenkranken 
in  den  großen  Städten,  z.  B.  St.  Petersburg  und  Moskau. 

3,  Wegen  der  Ausdehnung  des  russischen  Reiches  und  der  Verschieden- 
heit des  Klimas  in  den  verschiedenen  Provinzen  ist  es  schwer  die  vor- 
herrschonden  Kranklieiten  festzustellen^.  Doch  könnte  man  sagen,  daß 
die  Einwohner  des  südlichen  Rußlands  mehr  den  akuten  Augen-Entzün- 
dungen und  der  Star-Bildung  unterliegen.  Die  der  nördlichen  leiden  melir 
an  rheumatischen  Entzündungen. 

Unter  den  Dorfbewohnern  des  Nordens  trifft  man  die  Haarkrankheit 
sehr  häufig.  Die  skrofulöse  Augen-Entzündung,  besonders  der  Kinder,  im 
nördlichen  Rußland,  l)ietet  große  Schwierigkeiten  einer  glücklichen  Heilung.« 

Auf  dem  zweiten  Ophthalmologischen  Kongreß,  zu  Paris  18622 ,  sprach 
Dr.  .1.  VON  Kabat  über  die  mihtärische  Ophthalmie,  die  er  in  St.  Peters- 
burg wie  an  den  Ufern  des  schwarzen  Meeres,  in  der  Krim,  in  Warschau, 
Kiew  und  Kateiinoslaw,  in  Moskau  und  Kasan  beobachtet  hatte,  und  von 
der  er  selber  drei  Mal,  zwei  Mal  durch  direkte  Ansteckung,  heimgesucht 
worden. 

§  880.     Die  Universitäten  Rußlands :'. 

Die  erste  russische  Universität  wurde  1724  von  Peter  dem  Großen-* 
an  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Petersburg  begründet.  Sie  be- 
stand bis    !7G:{. 

Im  Jahre  1753  wurde  die  Universität  zu  Moskau  gestiftet.  Dann 
folgten  im  19.  .labrhundert :  Dorpat  IS02,  Kasan  und  Charkow  1804, 
St.  Petersburg  1819,  Kiew  1833,  Odessa  1865,  Warschau  1869,  Tomsk 
1888  und  Saratow  1909. 

Helsingfors  ist  1640  von  den  Schweden  gegründet  worden'^). 

§881.     Die  Gründung   der   Augen-Heilanstalt  zu  St.  Petersburg. 
Das  wichtigste  Ereigniß    zur    Förderung   der  Augenheilkunde   in   ganz 
Ilußland    während    des    19.   .Jahrhunderts    war    die    Gründung    einer 
Augen-Heilanstalt  in  St.  Petersburg^). 

1)  Ich  möchte  als  vorherrschend  das  Trachom  und  als  eigenartig  die 
skorbutischen  Augenleiden  bezeichnen.     Vgl.  §  930  und  §  889,  890. 

■2]  CR.  S.  2-26—229.  Paris   1863.  3)  Minerva  I,  S.  367fgd.,  1911. 

4)  Wie  sehr  Peter  d.  G.  für  Heilkunde,  namentlich  für  Anatomie  und  Chi- 
rurgie, sich  interessirte,  ist  in  der  (deutschen  med.  Zeitung  Rußlands,  1844, 
No.  1,  geschildert  worden. 

Er  trug  stets  ein  chirurgisches  Besteck  bei  sich,  legte  auch  selbst  Hand  an. 
1723  machte  er  einen  Bauch-Stich.) 

1717  ließ  er  zu  Paris,  in  seinem  Hotel,  einen  blinden  Soldaten  durch  Wool- 
housE  am  Star  operiren. 

5;  Ihre  Schicksale  und  Leistungen  haben  wir  bereits  kennen  gelernt.  (§  833, 
§  873.; 

6;  Vgl.   Mitth.   aus  der   St.  Petersburger    Augen-Heilanstalt,    Heft    II,    1888: 

12* 


180  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  -1800— -1875. 

Die  ersten  Versuche,  eine  Sonder-Anstalt  für  Augenkranke  zu  St.  Peters- 
burg zu  gründen,  gehen  bis  auf  das  Jahr  1806  zurück,  und  betrafen,  wie 
ich  finde,  eigenthch  das  erste  Sonder-Krankenhaus  für  Augen- 
leidende: das  zu  London  (Moorfields)  wurde  allerdings  schon  1805  be- 
gründet, aber  für  Augen-  und  Ohrenleidende,  und  erst  1807  auf 
Augenleidende  beschränkt ') ;  das  zu  Gottingen  von  K.  M.  Langenbeck  in's 
Leben  gerufene  klinische  Institut  war  für  Chirurgie  und  Augenheilkunde 
bestimmt 2);  ebenso  das  zu  Berlin  von  C.  F.  Graefe  1817  begründete 3] ; 
die  Augenklinik  zu  Wien  wurde  1812  eingerichtet  und  Joseph  Beer  an- 
vertraut^). Die  ersten  Augen-Heilanstalten  in  der  V.  St.  von  Amerika  sind 
1817  und  1820  eröffnet  worden ^j. 

Also  im  Jahre  1806  hat  die  »medico-philanthropische  Gesell- 
schaft« zu  St.  Petersburg  ein  Augenkranken-Institut  eröffnet,  mit  17  Betten 
und  einem  Ambulatorium.  Aber,  obwohl  der  treffliche  Wilhelm  Lerche, 
sowie  er  1816  zu  St.  Petersburg  sich  niedergelassen,  die  Leitung  über- 
nommen und  seine  ganze  Kraft  dafür  eingesetzt,  ist  die  Anstalt  doch  schon 
im  Jahre  1823  aus  Mangel  an  Mitteln  wieder  eingegangen  ß). 

Da  entschloß  sich  Dr.  Lerche,  den  Kaiser  Alexander  I.  durch  den 
Fürsten  A.  N.  Golitzin  auf  das  dringende  Bedürfniß  einer  solchen  Anstalt 
aufmerksam  zu  machen.  Der  Kaiser  spendete  einen  jährlichen  Zuschuß 
von  3000  Rubeln^);  andre  Mitglieder  der  kaiserlichen  Familie  noch  4800  Ru- 
bel; Adel  und  Bürger  folgten  mit  einmaligen  und  jährlichen  Beiträgen. 

Nachdem  der  Bestand  der  Anstalt  gesichert  war,  bildete  sich  ein  Aus- 
schuß unter  dem  Leibarzt  Dr.  Stoffregen.  In  einer  Miethswohnung  wurde 
die  Anstalt  am  1.  Mai  1824  erülVnet,  mit  10  Betten  und  einem  Ambula- 
torium, unter  Leitung  von  Dr.  Lerche. 

Bereits  im  Jahre  1827  konnte,  dank  der  Überweisung  von  40  000  Ru- 
beln durch  den  Kaiser  Nicolas  I.,  und  der  Sammlung  von  60  000  Rubeln 
im  Schöße  des  Ausschusses,  ein  eigenes  Haus  erworben ,  ausgebaut  und 
mit  40  Betten  eingerichtet  werden. 

Bereits  nach  lOj.  Bestehen  war  die  Jahreszahl  der  A.  K.  auf  5700 
gestiegen,  die  der  B.  Kr.  auf  314.  Obwohl  die  Zahl  der  Betten  um  6  er- 
höht wurde,  entsprach  das  Haus  nicht  mehr  den  Ansprüchen. 


I)  Zur  Gesch.  der  St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt  und  Organisation  der  An- 
stalt, von  Direktor  Dr.  Graf  Magawly. 

(Einer  sehr  ausführlichen  schriftlichen  Mittheilung  von  Dr.  E.  Blessig,  dem 
jetzigen  Direktor,  konnte  ich  einen  Zusatz  entnehmen.  Herrn  Kollegen  E.  Blessig 
bin  ich  auch  für  die  schönen  Bilder  der  St.  Petersburger  Augenärzte  sehr  verbunden.) 

■1)  §  633.  2)  §   484.  3)  §   486.  4)  §  468.  ö)  §  745. 

6)  Den  letzten  Bericht  Lerche's,  über  die  Zeit  vom  1.  Januar  bis  zum  1.  Juli 
i823,  der  das  Eingehen  der  alten  Anstalt  meldet  und  das  Entstehen  einer  neuen 
für  den  I.Mai  1824  verheißt,  finde  ich  in  den  »Vermischten  Abb.  .  .  .  der  Ärzte 
zu  St.  Petersburg«,  III. 

7)  Ein  Rubel  banco  galt  damals  25  Kopeken  Silber,  also  78  Pf. 


Die  Augen-Heilanstalt  in  St.  Petersburg.  181 

Nachdem  der  Kaiser  Nicolas  I.  wieder  40  000  Rubel  gespendet  und 
der  Reichsbank  befohlen,  die  Sumni«^  von  250  000  Rubeln  der  Anstalt  leih- 
weise vorzustrecken,  konnte  der  Neubau  in  der  Mochowaja  1837  begonnen, 
und  im  Oktober  1840  die  neue  Anstalt  mit  60  Betten  eröffnet  werden. 

Das  alte  Haus  wurde  in  einer  Lotterie  für  die  Summe  von  200  000 
Rubeln  verspielt,  und  damit  sowie  mit  andren  Beiträgen  die  Schuld  bis  auf 
15  000  Rubel  gedeckt;  und  dieser  Rest   1846  vom  Kaiser  erlassen. 

Im  Jahre  1847  erlitt  die  Anstalt  einen  herben  Verlust  durch  den  Tod 
ihres  ersten  Leiters  Dr.  W.  Lerche  *). 

Zum  Nachfolger  wurde  Dr.  Salomon,  Prof.  der  medico-chirurg.  Akade- 
mie, gewählt;  schon  1850  folgt  ihm  Dr.  Lerche  jun.,  der  Sohn  des  Gründers. 

In  den  ersten  25  .Tahren  waren  153695  Kranke  behandelt,  darunter 
9Ö2I  unentgeltlich  verpflegt  worden.  Die  Anstalt  erhielt  1857  seitens  des 
Vormundschaftsraths-  eine  jährliche  Unterstützung  von  6000  Silber-Rubeln, 
die  1851   auf  9000  Rubel  erhöht  wurde. 

Nach  dem  Tode  von  Lkrche  jun.  wurde  1863  Dr.  Robert  Blessig,  ein 
Schüler  A.  v.  Graeke's,  zum  Leiter  ernannt.  Unter  Blessig  entwickelte  sich 
die  Anstalt  zu  hoher  IMüthe.  Nach  10  .lahren  (1873)  war  die  Zahl  der  A.  Kr. 
auf  12400  von  0600)  und  die  der  B.  Kr.  auf  673  von  491),  die  Zahl  der 
Star-Operationen  auf  103    von  40)  angestiegen. 

1868  war  ein  NeuJjau  mit  5  Betten  für  zahlende  Kranke  hinzuge- 
kommen. 

In  den  ersten  50  Jahren  waren  349  418  Kranke  behandelt  worden, 
davon  20  745  B.  Kr.  An  Star-Operationen  waren  2312,  Iridektomien  2153 
angeführt;  und  von  1858,  wo  Blessig  in  die  Anstalt  eintrat,  bis  1874  an 
1001   Star-Operationen  und  2038  Iridektomien. 

Im  Jahre  1878  erlitt  die  Anstalt  einen  schweren  Verlust  durch  das 
Hinsclieiden  von  Robert  Blessig.     Sein  Nachfolger   wurde   Graf  Magawlv. 

In  den  letzten  zehn  Jahren  ;I879 — 1888  lietrug  die  Zahl  der 
Kranken  154  000,  davon  II 4  21  B.  Kr.;  die  der  Star-Operationen  1909, 
der  Iridektomien  2936. 

1879  wurde  die  Anstalt,  auf  Befehl  des  Kaisers  Alexander  II,  in  eine 
staatliche  umgewandelt;  Verbesserungen  wurden  1887  vorgenommen,  die 
Zahl  der  Betten  auf  91    erhöht  3). 


1)  Den  Ordinator  Dr.  W.  Fuss  hatte  die  Anstalt  ^838  verloren:  Fuss  war  im 
Jahre  KS31  von  den  in  Folge  der  Cholera  auf  dem  Heumarkt  meuternden  Bauern 
am  Kopf  schwer  verletzt  worden,  erblindete  1838  und  starb  schließlich  im  Irrsinn. 

2)  So  heißt  »die  Verwaltungsbehörde  der  von  den  allerhöchsten  Herrschaften 
unterhaltenen  Wohlthätigkeits-Anstalten«. 

3)  Es  ist  also  eine  der  größten  Augen-Heilanstalten.  Moorfields  in 
London  hatte  1899  an  138  Betten.  (§  633,  S.  98.)  Die  Augenklinik  zu  München, 
1909  mit  MO  Betten  eröffnet,  hatte  170,  im  September  1915.  Die  zu  Tübingen 
(1909)  110  Betten.  Die  Bettenzahl  in  H.  Knapp's  Mem.  Eye  Hosp.  ist  nicht  ange- 
geben.    (§  760,  S.  131.) 


182  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

Die  Einnahmen  für  1887  betrugen  25  718  Rubel  i),  darunter  11  401 
von  der  Verwaltung  der  öffentlichen  Wohlthätigkeits-Anstalten ;  die  Aus- 
gaben 25  557  Rubel,  davon  3400  Rubel  für  ärztliche  Gehälter 2),  5000  für 
Beköstigung  der  Kranken,  1252  für  Unterhaltung  der  Hauskirche. 

Zusatz. 

Wenn  auch  gegenwärtig  die  Anstalt  nicht  mehr  ausschließlich  für 
Unbemittelte  bestimmt  ist,  so  hat  sie  doch  ihren  Grund-Charakter  als 
Wohlthätigkeits-Einrichtung  bewahrt. 

Die  steigende  Besuchs-Ziffer  erhellt  aus  den  Anstalts-Berichten,  die  seit 
den  achtziger  Jahren  in  zwangloser  Folge  erscheinen. 

Gegenwärtig  werden  jährlich  gegen  30  000  A.  Kr.  und  1 500  B.  Kr.  gezählt. 

Seit  Gründung  der  Anstalt  sind  rund  1  000  000  A.  Kr.  und  70  000 
B.  Kr.  behandelt  worden. 

Der  Ärzte-Stab  besteht  aus  einem  Chef-Arzt  (Direktor),  drei  Primär- 
und  drei  Sekundär-Ärzten.  Dazu  kommen  noch  drei  außeretatmäßige  Ärzte, 
außerdem  (in  wechselnder  Zahl)  zeitweilig  mitarbeitende  Volontär-Ärzte. 

Seit  1 885  werden  von  den  Anstalts-Ärzten  fast  regelmäßig  in  jedem 
Jahr,  bezw.  Semester,  ophthalmologische  Fortbildungs-Kurse  für 
praktische  Ärzte  abgehalten.  Jahres-Budget  der  Anstalt  für  die  letzten 
Jahre  durchschnittlich  ca.  50  000  Rubel;  davon  etwa  die  eine  Hälfte  durch 
eigene  Einnahmen,  die  andere  durch  staatlichen  Zuschuß  gedeckt. 

Direktoren  (zugleich  Chefärzte)  der  St.  Petersburger 
Augen-Heilanstalt  waren  : 
1824  —  1847  Leib-Okulist  Dr.  Wilhelm  Lerche  sen.  (f  1847). 
1847 — 1850  Dr.  Salomon,  Professor  an  der  medico-chirurgischen 

Akademie. 

1850—1863  Dr.  Wilhelm  Lerche  jun.  (f  1863). 

1863  —  1878  Dr.  Robert  Blessig  (f  18781 

1878—1900  Leib-Okulist  Dr.  .John  Graf  Magawly  (f  1904). 

1900—1903  Dr.  Theodor  v.  Schroeder  (f  1903). 

1903  — 1905  Prof.  Dr.  Jesofej  W.  KosT/miTSCH,  zugleich  Professor  am 

klinischen   Institut    der  Großfürstin  Helene  Pawlowna 

(i  19051 

Seit  1906  Dr.  Ernst  Blessig. 

Als  Primär-Ärzte  wirkten  u.  v.  A.  längere  Zeit  an  der  Anstalt:  Tu.  Doenicke 

(von  1840—1860),    W.  Froebelius   (1842  —  1846,    später  Oberarzt  des   St. 

Petersburger  Findelhauses,  f  1886),  F.  Weyst  (1862— 1903  f).  Fr.  Sartisson 

1)  Aber  der  Rubel  galt  1886  vielleicht  3  Mal  so  viel  als  1824.  (1914  =  216 
Pfennige.) 

2)  Es  ist  etwas,  aber  ein  bischen  wenig  für  —  Direktor,  drei  ältere  und 
drei  jüngere  Ordinatoren. 


Die  Leiter  der  Anstalt.     W.  Lerche  seil. 


183 


(1868— lS77t ,  H.  DoiiNBERG    1875—1890,   danach  Professor  am  klinischen 
Institut  der  Großi'ürslin  Helene  Pawlowna.   starb    IDüOi. 

Die  Leiter  der  St.  Petersburger  Aug  en-IIeilanstalt. 
§  882.     I.  Theodor  Heinrich  Wilhelm  Lerche    sen.  ^*, 
geboren    am  :?ö.  Februar  1791    zu  Frankenstein  am    Harz  (Braunschweig), 
gestorben  am  9.  Oktober   1817  zu  St.  Petersburg. 

Fiff.  1 . 


Geheimrat  Dr.  W.  von  Lerche. 

Schon  als  Jüngling  (18081  kam  Wilhelm  Lerche  nach  St.  Petersburg. 
Er  studirte  Medizin  von  1809 — 181^  an  der  Universität  zu  Dorpat  und 
erlangte  daselbst  im  Jahre  1812  die  Doktor-Würde. 


1)  L   Biogr.   Lex.  III,   617.     iL.  Stieda.;     II.  Mitth.   der  Petersburger   Augen- 
Heilanstalt,  II,  18S8,  S,  VI.    III.  Schriftliche  Mittheilung  von  E.  Blessig. 


184  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

Sofort  i181i)  trat  er  als  Regiments- Arzt  in  die  russisch-deutsche  Legion 
ein  und  zog  in  den  Krieg.  Nach  dem  Friedens-Schluß  bereiste  er  Deutsch- 
land und  die  Niederlande ;  besuchte  auch  Paris  und  Wien,  um  sich  in  der 
Heilkunde  weiter  fortzubilden. 

In  Wien  schloß  er  sich  besonders  dem  Prof.  Joseph  Beer  an:  da  er 
selbst  in  der  Kindheit  auf  dem  einen  Auge  erbUndet  war'),  hatte  er  der 
Augenheilkunde  stets  besondere  Beachtung  geschenkt. 

Im  Jahre  1816  ließ  er  sich  zu  St.  Petersburg  nieder,  beschäftigte  sich 
vornehmlich  mit  Augenheilkunde  und  wurde  leitender  Arzt  einer  Augen- 
Heilanstalt,  welche  schon  1806  von  einem  »medico-philanthropischen 
Komität«  begründet  worden,  aber  1823,  aus  Mangel  an  Mitteln,  seine 
Thätigkeit  einzustellen  genöthigt  war. 

Sofort  begründete  Lerche  im  Jahre  1821  eine  neue,  die  gegenwärtige 
St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt,  die  seiner  unermüdlichen  Thatkraft  ihre 
rasche  Entwicklung  verdankte.  Von  1824  — 1847,  d.  h.  bis  zu  seinem 
Tode,  hat  er,  zum  Segen  der  augenleidenden  Bevölkerung  von  St.  Peters- 
burg und  von  Rußland  überhaupt,  dieses  Krankenhaus  geleilet. 

Wilhelm  Lerche  wurde  kaiserlicher  »Leib-Okulist«  und  Geheimrath. 
Er  hatte  auch  Verdienste  um  die  Gründung  der  Petersburger  Gesellschaft 
praktischer  Ärzte  und  gehörte  von  1821 — 1835  zu  den  Schriftleitern  der 
»Vermischten  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der  Heilkunde,  herausgegeben 
von  einer  Gesellschaft  praktischer  Ärzte  in  St.  Petersburg«,  welche  in 
deutscher  Sprache  erschienen. 

Wilhelm  Lerche  hat  deutsch  geschrieben. 

1.  (Vermischte  Abb.  .  .  .,  St.  Petersburg.)  Bericht  über  die  private 
Augen-Heilanst.  in  St.  P.,  für  1841—1846,  von  Dr.  W.  Lerche.  32  000  Kr., 
2924  Op.  12  Pupillen-Bildungen,  204  Star-Op.  an  105  Kranken).  —  20  Aus- 
ziehungen durch  unteren  Lappen-Schnitt,  20  Niederlegungen,  142  Zerstück- 
lungen, an  91  Augen;  Versuch  mit  Galvanismus  12  Mal,  an  9  Augen. 
Die  Ligatur a  palpebralis  (3)  wurde  196  Mal  erfolgreich  angewendet 
bei  schwammiger  Wucherung  der  Bindehaut,  chronischer  Hornhaut-Entzün- 
dung, langdauerndem  Lidkrampf,  beträchtlicher  Erschlaffung  der  Lidhaut. 

2.  (St.  Petersburger  Zeitung  1847,  No.  133.1  Dreiundzwanzigster  Jahres- 
bericht über  die  Privat-Heilanstalt  für  Augenkranke  zu  St.  Petersburg, 
1846—1847.  6708  A.  Kr.,  535  B.  Kr.,  681  Operationen,  54  wegen  Star, 
1 42  gegen  Einstülpung  und  Haarkrankheit,  77  Ligat.  plp. 

3.  Die  Ligatura  palpebralis  hat  Lerche   (Vermischte  Abb.  ...  IV 


1)  Wie  William  Hey  (§  694)  und  Pridgin  Teale  d.  V.    (Ebendas.) 


W.  Lerche 's  Schriften.     Der  Galvanismus  bei  Augenleiden.  185 

und  \I  empfohlen  gegen  chronische  Entzündung  des  Augapfels  mit  Er- 
schlalfung  des  Oberlids,  Hornhautgeschwür  und  beginnenden  Pannus  ^i 

Eine  Hautfalte  des  Oberlids  wird  durchstochen,  und  der  doppelle 
Baumwollenfaden  an  die  Stirn  geklebt,  so  daß  der  Augapfel  nicht  mehr 
vom  Lid  berührt  wird. 

4.  Med.  Zeitung  h.  v.  Verein  für  Heilk.  in  Preußen  1841,  No.  i4  und 
No.  37,  S.  109  und  171. i  Über  die  Heilwirkung  des  Galvanismus  in 
einigen  organischen  Augenleiden  2). 

Durch  das  Schreiben  des  Dr.  Crisell  aus  Finnland  an  die  Kaiserliche 
Akademie  der  Wissenschaften  aufmerksam  gemacht,  beabsichtigte  L.  die 
an  (lebenden  Thier-Augen  gemachten  galvanischen  Versuche  zu  wiederholen. 
Da  kam  C.  nach  St.  Petersburg. 

E.  beschloß,  mit  seiner  Beihilfe  die  Versuche  anzustellen.  Der  Appa- 
rat war  eine  einfache  Kette,  aus  einer  Zink-  und  einer  Kupfer-Platte,  die 
in  verdünnte  Schwefelsäure  eintauchten. 

Der  von  der  Kupfer-Platte  ausgehende-Draht  (»Kupl'er-Pol«)  wurde  mit  dem 
centralen  Leukora  eines  68 j.  verbunden,  der  Zink-Pol  mit  der  Zunge,  für  2 
Minuten.  Nach  ,3  Tagen  wurde  der  Versuch  wiederholt.  Vortheilhafte  Ver- 
änderungen des  Leukoma,   vermehrte  Licht-KmpHndung  des  Auges, 

Im  Aiigen-lnncrn  wollte  L.  nicht  gleich  operiren,  ohne  vorhergehende  Thicr- 
Versuche.  Einem  Ferkel  wird  die  am  Zink-Pol  befestigte  Star-Nadel  durch  die 
Hornhaut  in  die  Krystall-Linse  des  r.  Auges  eingestochen,  der  Kupfer-Pol  in 
das  äußere  Ohr.  Nach  4  Minuten  begann  die  Pupille  sich  zu  trüben.  Ebenso 
am  1.  Auge.  Nach  etlichen  Tagen  war  das  Schweinchen  durch  Linsen-Star 
erblindet. 

Bei  entgegengesetzter  Einwirkung  der  Pole  mußte  diese  Trübung  wieder 
aufgehoben  werden.  Nach  \  0  Tagen  wurde  diese  Operation  vorgenommen. 
Nach  3  Minuten  langer  Einwirkung  schien  unter  Entwicklung  von  Gas-Bläschen 
der  Auflösungs-Prozeß  vor  sich  zu  gehen.  iS'ach  4  Tagen  hatten  die  Pupillen 
größtentheils  ihre  Beinheit  wieder  erlangt:  das  Gesicht  des  Thieres  schien 
wiederhergestellt. 

Einem  40 j.  war  der  1.  Star  schon  vor  längerer  Zeit  erfolgreich  operirt 
worden:  auf  dem  r.  war  die  niedergedrückte  Linse  wieder  aufgestiegen,  die 
darnach  versuchte  Zerstücklung  nicht  gelungen. 

Die  am  Kupl'er-Pol  befestigte  Star-Nadel  wurde  in  die  Mitte  des  Stares 
eingestochen,  der  Zink-Pol  auf  die  Zunge  gelegt;  binnen  einer  Minute  blähte 
sich  der  Star  und  zerbarst  in  3  Theile.  Es  erschien  ein  schwarzer,  dreieckiger 
Spalt,  das  Auge  erkannte  die  Finger. 

Der  Versuch,  der  erste  am  lebenden  Menschen-Auge,  wurde  unter- 
brochen. Vielleicht  kann  man  in  solchen  Fällen,  wo  der  Star  bisher  für  nicht 
operirbar  galt,  hiei-durch  doch  noch  Hilfe  schaffen.  —  Die  Aufsaugung  ei'folgte 
langsam,  aber  ziemlich  vollständig. 

1)  Ungefähr  in  derjenigen  Absicht,  in  welcher  man  heute  die  Lidfuge  erwei- 
tert.    Vgl.  übrigens  §  720,  S.  40. 

2  Vgl.  §  505,  S.  209.  (Ph.  V.  Walthers  Versuche  an  den  Augen  eben  guillo- 
tinirter  Menschen,  vom  Jahre  1803.) 


186  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

Bei  dern  Kapsel-  und  Linsen-Star  eines  40j.  mit  hinterer  Verwachsung 
war  die  Discission  ohne  Erfolg  geblieben.  Ein  Becher-Apparat  wurde  verwen- 
det, 2  Minuten  lang;  der  Kranke  klagte  über  Schmerz,  wähi*end  der  Star  sich 
blähte.  Es  erfolgte  entzündliche  Reaktion.  Wiederholung  mit  schwachem  Ap- 
parat. Schheßlich  Durchschneidung  von  Kapsel-Resten  mit  der  Nadel,  und 
befriedigende  Sehkraft.  Ein  dritter  Fall  verlief  ähnhch.  Bei  einem  vierten  hat 
das  Verfahren  wenig  genützt. 

[Das  Verfahren   blieb    unfruchtbar.     Dr.  MansieldI)  erklärte    1841    auf  i 
der  deutschen  Naturforscher-Versammlung  zu  Braimschweig,   man  könne  damit 
Stare  erzeugen,   aber  nicht  auflösen:  ein  Urtheil,  des  Th.  Ruete^)  zu  dem 
seinigen  gemacht.] 

5.  Zahlreiche  kasuistische  Mittheilungen  von  Dr.  W.  Lerche  sen.  linden  sich 
in  V.  Ammons  Zeitschr.  f.  Ophth.  Die  meisten  aus  den  Abh.  von  deutschen  in 
Rußland  lebenden  Ärzten  I,   Hamburg   1825,   wörtlich  abgedruckt. 

a)  Dreifache  Pupille  im  I.Auge  eines    I7j.   I,   258,    1830. 

b)  Extraktion   einer   Cataracta    unter    sehr    complicirten    Erscheinungen. 
V,  S.  329. 

Dicker  Pannus,  Haarkrankheit.  Operation  gegen  Einstülpung,  Klärung  des 
i'annus;  «loch  blieb  reiches  Gefäßnetz.  Während  des  llornhautschnitts  nach 
unten  quoll  Blut  hervor;  Kapsclspaltung  im  Dunklen'').     Guter  Erfolg. 

c)  Cataracta  lactea  punctata.   V,   3  33. 

d)  Symblepharon.   V,   335. 

e)  Cilien  im  Auge.  V,  337. 

Nach  Verletzung.     Die  Ausziehung  gelang  nicht. 
fj  Besondere  Atrophie  des  Auges.    V,   330. 
g)  Schwierige  Kapsel-Extraktion.    V,   340. 

§  883.     II.  Über  Dr.  Lerche  jr.  konnte  ich  nichts  ermitteln. 

III.  Christian  Salomon^) 

zu  St.  Petersburg,  war  Dr.  med.,  Stabsarzt,   Hofrath,  Adjunkt-Prof.,   später 

ord.  Prof.  der  chir.-raed.-ophth.  Klinik  an  der  med.-chir.  Akademie,  Koliegien- 

Rath,  Mitglied  des  Medizinal-Rathes  und  Akademiker. 

1825  1)  erklärt  er,  daß  eine  besondere  Liebe  für  die  Augenheilkunde 
gewonnen  habe.  Er  hat  eine  Studien-Reise  nach  London  gemacht  (1). 
In  russischer  Sprache  verfaßte  er  ein  Handbuch  der  operativen  Heilkunde, 
1840;  seine  Arbeiten  zur  Augenheilkunde  hat  er  deutsch  geschrieben. 


1)  Schmidt's  Jahrb.  XXXIII,  S.  143.  Vgl.  Magnus,  Gesch.  d.  grauen  Staares, 
187G,  S.  129—133.    Ferner  die  Versuche  von  Kabat,  §  892. 

2)  Lehrbuch,  1845,  S.  234. 

3)  Von  ähnlichen  Erfahrungen  aus  andren  Trachom-Ländern,  z.  B.  Ägypten, 
habe  ich  gelegentlich  vernommen  und  Verwandtes  gelesen.  (Vgl.  auch  unsren 
§  983,  Dr.  RiGLER  in  Konstantinopel.)  —  Arlt,  Kr.  d.  Auges,  I,  179,  1851. 

4)  Biogr.  Lex.  V,  S.  156.  (Das  Jahr  seiner  Geburt  und  das  seines  Todes  wird 
nicht  erwähnt.)  Wir  haben  Chr.  S.  schon  (§  527)  mit  einer  Arbeit  über  Melanose 
des  Augapfels  kennen  gelernt. 

Er  ist  wohl  zu  unterscheiden  von  dem  gleichzeitig  wirkenden  und  schreiben- 
den S.Jakob  Salomon  (1801 — 1862)  zu  Schleswig.  In  den  Registern  damaliger 
Journale  werden  beide  zusammengeworfen. 


i 


Christian  Salomoii.     Zur  Anatomie  des  Auges.  187 

1.  Briträue  zur  Anatomie  des  Auges,  von  Dr.  Salosk»,  Adjunkl-I'rof. 
a.  fl.  k.  med.-chir.  Akad,  zu  St.  Petersburg.  (Journal  der  Chir.  und  Augenh. 
V.  C.  V.  Graefe  und  Ph.  v.  Walther,  B(>rlin  1825,  VII,  S.  436— 4()i.) 

Vf.  beginnt  mit  allgemeinen  Bemerkungen.  Einzelne  Organe  erlangen 
bei  niedriger  stehenden  Thieren  bisweilen  eine  höhere  Bildungs-Stufe,  z.  B. 
das  Auge  der  Vögel,  gegenüber  dem  der  Säugethiere.  Die  Entwicklung 
des  menschlichen  Auges  im  Embryon  entspricht  der  des  Organs  in  der 
Thier-Reihe. 

Aus  der  iolgi-nden  Beschreibung  des  menschlichen  Auges  will  ich  nur 
die  Sätze  hervorheben,  in  denen  der  Vf.  eigne  Ansichten  ausspricht. 

Die  Forlsetzimg  der  Bindehaut  über  die  Hornhaut  werde  fälschlich 
geleugnet.  (Macerations-Präparate ,  Pannus.)  Die  Augapfel-Bindehaut  sei 
sowohl  eine  seröse,  als  auch  eine  Schleim-Haut.  Nie  beginnt  in  ihr  die 
Augen-Blennorhöe.  Die  Wasserhaut  setze  sich  nicht  nur  über  die  vordere, 
sondern  auch  über  die  hintre  Fläche  der  Regenbogenhaut  fort;  aber  sie 
verbinde  sich  nicht  mit  der  Linse.  An  der  inneren  (nasalen  Seite)  des 
Augapfels  ist  der  Ciliar-Körper  kürzer,  weil  die  Netzhaut  an  dieser  Seite 
weiter  nach  vorn  sich  erstreckt,  als  an  der  äußeren.  Die  Netzhaut  be- 
steht aus  drei  Schichten,  der  JACOB'schen  Haut,  der  Nerven-Pulpe  und  der 
Ausbreitung  der  Gentral-Arterie. 

2.  Beschreibung  einer  im  .1.  1823  zu  Oranienbaum  beobachteten  kon- 
tagiösen  Augen-Entzündung.  (Mit  Sawenko.)  Petersb.  vermischte  Abh.  d. 
Heilk.  III,  1825.  Die  Zahl  der  aus  dem  militärischen  See-Hospital  nach 
Oranienbaum  überführten  Augenkranken  lietrug  35(8,  die  Mehrzahl  litt  an 
der  sogenannten  ägyptischen  Augen-Entzündung.  Aderlaß,  Brechweinstein, 
kalte  Umschläge,  Adstringentien,  Chinin  waren  die  Heilmittel. 

3.  Beob.  mehrerer  Medullar-Sarkome.     Ebendas. 

i.  Behandlung  der  Syphilis  in  England.     Ebendas. 
ö.  Melanosis  bulbi.    Z.  d.  Chir.  und  Aug.  XXXH,  229,   1848.    (Vgl. 
§  Ö27.) 

§884.     IV.  Robert  Blessig  (1830 — I878)i' 
wurde  am  »s.  Febr.    1830  zu  St.  Petersburg  geboren,  als  Sohn  eines  Groß- 
kaufmanns, der  aus  Straßburg  i.  E.  eingewandert  war;   studirte  in  Dorpat 
(1848 — 1854),  promovirte  daselbst   1855,   unter  Bidders  Leitung,   mit   der 
Dissertation    »De   retinae   textura  disquisitiones  anatomicae«. 

In  dieser  sehr  fleißigen  Arbeit  suchte  B.  die  Stützgewebe  von  den 


0  St.  Petersburger  med.  Wochenschrift  -1878,  No.  H.  fC.  Bl.  f. 
Augenh.  1878,  S.  1 16;  Klin.  M.  Bl.  f.  A.  1878.  S.  240;  Biogr.  Lex.  I,  484.)  Mitth.  aus 
der  St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt,  II,  S.  IX,  1888.  (Graf  Magawly.)  Schrift- 
liche Mittheilung  seines  Neffen,  Dr.  E.  Blessig. 

Ich  habe  Robert  Blessig  ganz  gut  gekannt. 


188 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 


nervösen  Theilen  abzugrenzen,  wobei  er  allerdings  den  ersteren  zu  viel! 
eingeräumt  hat,  und  gab  genaue  Messungen  für  die  Dicke  der  verschiedenen 
Schichten. 

Hierauf  ging  B.  für  3  Jahre  auf  Reisen,  um  sich  in  der  Augenheil- 
kunde auszubilden,  die  damals  grade  in  glänzendem  Aufschwung  begriffen 
war:  er  arbeitete  fleißig  in  Berlin  bei  A.  v.  Graefe,  in  Wien  bei  Arlt,  in 
Paris  bei  Desmarres  und  Sichel;  studirte  auch  in  Würzburg,  wie  in  Ber- 
lin, unter  Virchow  pathologische  Anatomie. 

Fig.  2. 


Dr.  Robert  Blessig. 


So  kam  er  im  Herbst  1858,  mit  vielseitigem,  gründlichem  Wissen 
ausgerüstet,  nach  St.  Petersburg  zurück  und  wurde  sofort  an  der  Augen- 
Heilanstalt  als  Arzt  angestellt. 

Im  Jahre  1863  erhielt  er  die  Leitung  und  widmete  der  Anstalt  seine 
ganze  Kraft  bis  zu  seinem  Tode,  mit  dem  allerbesten  Erfolge. 

Außerdem  war  er  noch  Konsulent  an  den  Wohlthätigkeits-Anstalten 
der  Kaiserin  Maria  und  erfreute  sich  einer  ausgedehnten  Privat-Praxis  aus 
allen  Kreisen  der  Petersburger  Gesellschaft. 

Während  so  die  Tages-Stunden  vollauf  in  Anspruch  genommen  waren. 


Robert  Blessig.  —  Iridochor.  durch  Rückfalls-Fieber.  189 

benutzte  er  die  Abende  zum  Studium  und  zur  Förderung  des  wissenschaft- 
lichen Lebens. 

Im  Jahre  1 8')fl  beiheiligte  er  sich  an  der  Gründung  des  allgemeinen 
Vereins  St.  Petersburger  Ärzte,  in  dem  er  dann  viele  Jahre  als  Schriftführer 
und  als  zweiter  Vorsitzender  thätig  war.  Später  wurde  er  auch  Mitghed 
der  Gesellschaft  Deutscher  Arzte  und  war  gleichfalls  in  dieser  eine  Zeit 
lang  Schriftführer. 

hu  Jahre  1878  wurde  er  vorzeitig  seiner  segensreichen  Thäligkeit 
entrissen.  Durch  einen  seiner  Kranken  war  der  Fleck-Typhus  in  die 
Augen-Heilanstalt  eingeschle|>pt  worden.  Binnen  kurzer  Zeit  wurden  17 
Kranke  auf  der  männlichen  Abtheiiiuig  und  außer  IJlessig  noch  ein  jüngerer 
Arzt,  Dr.  0.  Lan(.e,  befallen.     .\lle  genasen,  —  außer  Blessk;. 

Im  Jahre  1879  ist  auf  Beessig's  Namen  durch  freiwillige  Beiträge  die 
erste  »Anstalt  zur  Ausbildung  erwachsener  Blinder«  in  Rußland 
begründet  worden. 

R.  Blessig  hat  eine  Reihe  von  Aufsätzen  und  Abhandlungen  verülTent- 
licht,  von  denen  einige  unsre  Fachwissenschaft  erheblich    gefördert  haben. 

I.  Dazu  gehören  seine  Beobachtungen  »über  die  Iridochorioiditis 
durch  Rückfalls-Fieber«,  die  er  1867  auf  dem  dritten  Ophthalmologen- 
Kongreß  zu  Paris  vorgetragen  '). 

1:27  Fälle  hat  B.  beobachtet.  Davon  waren  5  Fälle  unmittelbar,  23 
zwei  Wochen,  24  vier  Wochen  nach  dem  Beginn  des  Fiebers  aufgetreten, 
die  meisten  aber  erst  nach  zwei  Monaten.  Die  Krankheit  begann  mit 
Röthung  und  Ilypopyon^  ;  dann  folgten  Glaskörper-Trübungen.  Es  ist  eine 
Iridochorioitis,  die  wohl  auf  Embolie  beruht. 

In  der  Petersburger  Med.  W.  hat  B.   die  folgenden  Arbeiten    veröHentlicht: 

1861,  Glaskörperleiden  bei  konstitutioneller  Syphilis.  1863,  Über  Netzhaut- 
Blutung.  1864,  Vergleichende  Kasuistik  der  einfachen  und  der  mit  Iridektomie 
verbundenen  Star-Ausziehung.  1865,  Bericht  über  die  B.  Kr.  der  St.  P.  Augen- 
Heilanstalt,  für  IS63— 1866;  Sehnerv-Entzündung.  1866,  Xerose  des  Bindehaut- 
Epithels  und  Hemeralopie.  1867,  Kavernöse  Geschwulst  der  Augapfel-Bindehaut, 
geheilt  durch  Einspritzung  von  liquor  ferr.  sesq.  i  868,  Bericht  über  die  1864  bis 
1866  in  der  St.  P.  Augen-Heilanstalt  ausgeführten  Star-Op.  I87,"j,  dgl.  für  1869 
bis  IST,"!.  1877.  Aneurysma  träum,  der  Karotis  int.  sin.,  Unterbindung,  Tod  durch 
Nachblutung. 


1)  CR.  1868,  S.  114 — 117.  Klin.  M.  Bl.  V,  S.  114  —  115.  Vor  Blessig  hatten 
wir  darüber  nur  eine  kurze  Mittheilung  von  W.  Mackenzie  kennen  gelernt.  (§  681, 
S.  340.)  Nach  Blessig  haben  Estlander  1869  und  Logetschnikoff  1870  davon 
gehandelt.  (§  873,  §  902,  §  903.)  Vgl.  unser  Handbuch,  XI,  1,  §  296  und  297 
(Groenouw),   1904. 

2)  Für  mich  war  zur  Diagnose  wichtig  das  reizlose  Hypopyon.  »Sie 
hatten  Rückfallsüeber«,  sagte  ich  einem  Kranken,  der  aus  der  Charite  kam. 
»Nein,  Recurrens«,  erwiderte  derselbe.  Vgl.  übrigens  Trompetter,  1880,  Klin.  M. 
BI.  XVIII,  S.  123 — 131.  (»Hypopyon  neben  dem  Mangel  entzündlicher  Er- 
scheinungen«. .  .  .1 


190  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— -1875. 

2.  Einen  Fall  von  Embolie  der  Netzhaut-Schlagader,  als 
zweiten,  1  Jahr  nachdem  A.  v.  Graefe^>  1859  den  ersten  beschrieben, 
hat  Blessig  (A.  f.  0.  VIII,   1,  216—226)  mitgetheilt2). 

§  885.  Das  Werk  von  R.  Blessig  wurde  fortgesetzt  von  seinem  Nach- 
folger in  der  Leitung  der  Augen-Heilanstalt 

V.   John  Graf  Magawly  (1831—1904)3). 
Geboren  am  7.  Juli  1831   auf  Gummingsdorf  bei  Riga,  woselbst  sein  Vater, 
gebürtig  aus  Irland  und  deutscher  Reichsgraf,  Vice-Gouverneur  von  Livland 
war,  erhielt  J.  Magawly  seine  Schulbildung   auf  der  KRÜMMER'schen  Anstalt  i 
in  Werro  (Livland),   sowie   auf  dem  BiRKENRun'schen  Gymnasium    und  be-  i 
zog  im  Jahre  1849  die  Universität  Dorpat,  um  zuerst  Philosophie  und  vom 
Jahre    1850  — 1855    Medizin    zu    studiren.      185G    wurde    er  zum    Doktor 
promovirt.    Während  seiner  Studienzeit  war  Magawly  Mitglied  der  Dorpater 
Landsmannschaft  Livonia  und  nahm  unter  seinen  Kommilitonen   eine   her- 
vorragende Stelle  ein.     Im  Sommersemester  1 855  war  er  Assistent  an  der 
therapeutischen  Klinik  zu  Dorpat. 

Nach  seiner  Promotion  begab  er  sich  zur  weiteren  Ausbildung  ins 
Ausland  und  setzte  seine  Studien  in  Würzburg,  Wien,  Prag,  Paris  und 
Berlin  fort,  wobei  er  besonders  in  Berlin  unter  Albrecht  v.  Graefe  mit 
großem  Eifer  dem  Studium  der  Ophthalmologie  oblag,  die  sein  vollstes 
Interesse  in  Anspruch  genommen  hatte.  —  1859  kehrte  Magawly  nach 
Rußland  zurück  und  ließ  sich  als  Augenarzt  in  St.  Petersburg  nieder. 
Noch  im  selben  Jahre  wurde  er  als  außer-etatmäßiger  Ordinator  an  der 
St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt  angestellt,  die  schon  damals  ein  polikli- 
nisches Material  von  jährlich  6000,  ein  stationäres  Material  von  450  Patienten 
aufzuweisen  hatte. 

Von  1861 — 1878  war  Magawly  etatmäßiger  Ordinator  der  Anstalt 
und  von  März  1 878,  nach  dem  Tode  Robert  Blessig's,  mit  dem  er  seit 
der  Studien-Zeit  aufs  Innigste  befreundet  gewesen,  Oberarzt  und  Direktor 
derselben.  Seit  1861  war  Magawly  Konsulent  für  Augenkrankheiten  bei 
der  St.  Petersburger  philanthropischen  Gesellschaft,  seit  1 863  an  der  Maxi- 
milian-Anstalt, seit  1865  an  den  Erziehungs-Instituten  des  Ressorts  der 
Kaiserin  Maria.  1874  wurde  er  zum  Leib-Okulisten  des  Kaisers  von  Ruß- 
land ernannt,  1 882  wurde  er  Mitglied  des  Medizinal-Conseils  des  Ministerium 
des  Innern.  Außerdem  war  er  Präsident  des  Komites  der  BLESSiG'schen 
Blindenanstalt. 


^)  A.  f.  0.  V,  1,  S.  -136. 

2)  Der  dritte  Fall  war  von  Schxellfr,  A.  f.  0.  VIII,  1,  271. 

3)  Nach  C.  Bl.  f.  A.  1904,  S.  313—315.  (0.  Lange  in  Braunschweig.)  Vgl. 
Biogr.  Lex.  IV,  93.  Der  NAOEL-MiCHELSche  Jahresbericht  erwähnt  keinen  andren 
Nachruf. 


John  Magavvly, 


191 


Im  Mai  1901  hat  Magawly,  in  Folge  geschwächter  Gesundheit,  —  so 
schwer  es  ilmi  auch  wurde  sich  von  seiner,  durch  ihn  groß  gewordenen 
St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt,  die  er  geliebt,  wie  nur  ein  Vater  sein 
Kind  lieben  kann,  zu  trennen  und  seinem  Beruf  als  Arzt  für  immer  Lebe- 
wohl zu  sagen,  —  alle   seine  Ämter  niedergelegt  und    zog   nach  Leutzsch 

Fig.  a. 


Geheimrat  Dr.  Graf  J.  Magavvly. 

bei  Leipzig,  woselbst  sein  ältester  Sohn  Prediger  ist.  Auf  dem  Friedhof 
in  Leutzsch  hat  er  seine  letzte  Ruhestätte  gefunden,  nachdem  er  am 
29.  August   1904  zu  Salzungen  an  Lungen-Entzündung  verstorben. 

Wie  sehr  die  Zahl  der  in  der  St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt  be- 
handelten Kranken  unter  Magawly's  Direktorat  ständig  wuchs,  trotz  der 
vielen  während  derselben  Zeit  neuentstandenen  Augen-Polikliniken  an  den 
verschiedenen  Spitälern   der  Stadt,   mögen   folgende  Zahlen  beweisen.     Als 


192  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

Magawly  die  Direktor -Stelle  der  Anstalt  im  März  1878  antrat,  betrug 
die  Zahl  der  A.  Kr.  etwa  14  250  im  Jahr,  die  der  B.  Kr.  etwa  730;  bis 
zum  Jahre  1901  war  die  Zahl  der  ersteren  auf  die  gewaltige  Ziffer  von 
etwa  45  000  im  Jahr,  die  der  letzteren  auf  etwa  1  400  gestiegen,  ohne  daß 
die  Zahl  der  Betten  vergrößert  worden  war.  —  In  Folge  der  sehr  um- 
fangreichen, zeitraubenden  Hospitals-Thätigkeit  und  der  ausgedehnten  Privat- 
Praxis,  die  ihn  sehr  bald  nach  seiner  Niederlassung  in  St.  Petersburg 
in  Anspruch  nahmen,  nicht  zum  Geringsten  aber  auch  in  Folge  seiner 
Bescheidenheit,  ist  Magawly  literarisch  nur  wenig  hervorgetreten;  um  so 
mehr  betheiligte  er  sich  aber  an  den  wissenschaftlichen  Diskussionen  in  dem 
Verein  St.  Petersburger  Arzte,  dessen  Schriftleiter  er  durch  eine  Reihe  von  ■ 
Jahren  gewesen  ist. 

Magawly  und  sein  leidernurzu  früh  verstorbener  StudienfreundRoB.BLEssiG 
waren  die  Begründer  der  modernen  Ophthalmologie  in  Rußland^). 

Sie  waren  die  ersten,  die  das  in  Rußland  so  häufig  vorkommende 
Glaukom  durch  Iridektomie  heilten.  Magawly  war  einer  der  populärsten 
Augenärzte,  den  Rußland  je  besessen,  sein  Ruf  hatte  sich  bald  über  das 
große  Reich  verbreitet  und  aus  allen,  auch  den  entferntesten  Theilen  des- 
selben kamen  die  Augenkranken  und  Blinden  mit  der  begründeten  Holfnung, 
bei  ihm  Hilfe  zu  finden. 

Für  die  Jüngeren,  die  als  seine  Assistenten  und  Schüler  das  Glück 
hatten,  lange  Jahre  unter  ihm  und  mit  ihm  zu  arbeiten,  wird  es  stets 
unvergeßlich  bleiben,  in  wie  liebevoller,  eingehender  Weise  er  sich  mit 
jedem  einzelnen  seiner  Kranken  abmühte.  Magawly  war  Aristokrat  des 
Geistes  vom  Scheitel  bis  zur  Sohle,  als  wahrer  Ritter  ohne  Furcht  und 
Tadel  ist  er  durchs  Leben  gegangen:  geehrt  und  geliebt  von  jung  und  alt, 
von  hoch  und  niedrig;  von  der  St.  Petersburger  Ärzteschaft  hoch  verehrt 
und  geachtet  wie  wenige,  von  seinen  zabh-eichen  Patienten  vergöttert; 
überzeugungstreu  bis  zum  letzten  Blutstropfen,  dabei  bescheiden  und  von 
herzgewinnenden,  leichten  Umgangsformen,  ein  echter  Sohn  der  livländischen 
Erde.  — ■  Selbst  begeisterungsfähig  für  alles  Schöne,  Große  und  Wahre 
hat  er  die  Jüngeren  für  unsren  Beruf  begeistert;  sich  seihst  gegenüber 
rücksichtslos  in  der  Pflichterfüllung,  hat  er  sie  zur  Pflicht  erzogen. 

Magawly's  wissenschaftliche  Arbeiten  sind  alle  in  der  (deutschen) 
St.  Petersburger  medizinischen  Wochenschrift  erschienen:  1.  Über  Tarsi- 
tis  syphilitica.  St.  Petersburger  med.  Wochenschrift  Bd.  XII,  Heft  4.  — 
2.  Amblyopie  in  Folge  von  Kontusion  des  Kopfes.  1878,  S.  5.  —  3.  Fälle 
von  Tumoren  des  Auges.  187U,  S.  52.  —  4.  Ein  Fall  von  Eserin-Ver- 
giftung.  1881,  S.  166.  —  5.  Über  Thränenfistel-Operation.  1883,  S.  230.  — 
6,  Über  Antiseptik  in   der  Augenheilkunde.     1884,  S.  200.  —  7.  Lepra - 


1;  Ich  möchte  als  ihren  Vorläufer  doch  noch  W.  Froebelius  (§  887)  anführen. 


Th.  V.  Schröder. 


193 


Knoten  der  Hornhaut.     1885,  S.  9  und  313.  —  8.  Ein  Fall  von  Cysti- 
cercus im  Glaskörper.     1890,  S.  I. 

§  88C.     VI.  Theodor  vo>-  Schröder  (1853 — I903)i). 
Th.v. Schröder  war  am  3.  März  1 853  in  Dorpat  geboren,  begann  1 870  seine 
Studien.    Während  des  Türkenkrieges  war  er  unter  Prof.  v.  Wahl  Assistent 

Fig.  4. 


Dr.  Theodor  von  Schröder. 


-1)  Nach  C.  Bl.  f.  A.  1903,  S.  377    (Th.  Germanx,  St.  Petersburg,)  und  sclirift- 
.  liehen  Mittheilungen  von  E.  Blessig.    Ich  habe  Th.  v.  Schröder  sehr  gut  gekannt. 
I  Im  NAGEL-MiCHEL'schen  Jahresbericht   wird    ein   Nachruf   auf   Th.  v.  Sch.  nicht 
angedeutet. 


Handtuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bil.  (Vn.)   XXIII.  Kap. 


13 


194  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

am  Evangelischen  Hospital  zu  Sistowo;  von  1878  — 1881  Assistent  an  der 
Augen-Heilanstalt  in  St.  Petersburg.     1879  promovirte  er  zu  Dorpat. 

1881  und  1882  unterbrach  Schröder  seinen  Dienst  in  St.  Petersburg, 
um  bei  Dr.  Landolt  in  Paris  i)  zu  assistiren.  Zurückgekehrt,  bekleidete 
er  bis  1888  das  Amt  eines  jüngeren  Ordinators,  und  von  1888 — 1900  das 
eines  älteren. 

Als  Dr.  Magawly  im  Februar  1900  zurücktrat^  wurde  Scbröder,  sein 
Schwiegersohn,  Direktor  und  Oberarzt  der  Augen-Heilanstalt. 

Schröder  war  ein  vornehmer,  offener  und  treuer  Mensch,  dazu  viel- 
fach begabter  und  anregender  Gesellschafter.  Mit  ihm  ist  einer  der  besten 
Vertreter  der  alten  deutschen  Universität  Dorpat  dahingegangen.  Seine 
ganze  Kraft  hat  er  der  Augen-Heilanstalt  gewidmet.  Wissenschaftliche 
Vertiefung  der  praktischen  Arbeit,  Menschenfreundlichkeit  gegen  die  Kran- 
ken, Entwicklung  der  Lehrthätigkeit  an  dem  reichen  Material,  —  das  waren 
seine  Ziele,  die  er  trotz  mehrfacher,  ihm  in  den  Weg  gelegter  Hinder- 
nisse unentwegt  verfolgte. 

Schröder's  wissenschaftliche  Arbeiten  —  es  sind  ilirer  i.  G.  19  —  be- 
handeln Fragen  der  praktischen  Augenheilkunde:  Über  Iritis  syphilitica. 
Über  die  Behandlung  von  Augenleiden  mit  Pilocarpin.  Über  bleibende 
Folge-Erscheinungen  des  Flimmerskotoms.  Über  Amblyopia  saturnina.  Zur 
chirurgischen  Behandlung  des  follikulären  Trachoms.  Augen-Symptome  bei 
Herd-Erkrankungen  des  Gehirns.  Über  Keratalgie.  Über  THiER'sche  Haut- 
transplantation bei  Lid-Operationen.  Die  operative  Behandlung 
hochgradiger  Kurzsichtigkeit.  Über  Aktinomykose  der  Thränen- 
rührchen  u.  a.  m. 

Ausgebreitete  Arteriosklerose  nebst  Thromben-  und  Infarkt-Bildungen 
führten  seinen  vorzeitigen  Tod  herbei,  am   I.Dezember  1903. 

§  887.  Ein  älterer  Zeitgenosse  des  dritten  Direktors  (Robert  Blessig) 
und  eine  Zeitlang  an  der  Augen-Heilanstalt  thätig  war 

AViLHELM  Froebeliüs  (1812—1886)2). 

Am  5.  Februar  1812  zu  St.  Petersburg  deutschen  Eltern  geboren,  be- 
suchte W.  F.  die  Universität  Dorpat  und  begab  sich  darauf,  von  1838  an, 
nach  Paris,  Zürich,  Wien,  Prag,  Berlin. 

Von  April  18i2 — 1846  war  er  im  St.  Petersburger  Augenkrankenhaus 
beschäftigt,  1863  wurde  er  Oberarzt  am  Findelhaus;  auch  Mitglied  des 
Medizinal-Rathes  und  vieler  gelehrten  Gesellschaften. 

Froebeliüs  gehörte  für  Rußland  zu  den  Bahnbrechern    der  Reform 


1)  So  schreibt  er  auch  einiges  französisch:  der  erste,  von  dem  wir  dies 
zu  melden  haben. 

2)  Biogr.  Lex.  II,  451   und  VI,  805. 


Wilhelm  Froebelius. 


195 


in  der  Augenheilkunde:  1852  veröffentlichte  er  die  ersten,  dort  angestellten 
Augenspiegel-Untersuchungen,  ISöT  machte  er  in  Rußland  die  erste  glück- 
liche Glaukom-lridektomie. 

Fig.  ö. 


Dr.  Wilhelm  Froebelius. 

Am  30.  Mai  1886  ist  er  in  Bad  Merrekull  (Estland)  verstorben. 

Auch  Froebelius  hat  deutsch  geschrieben: 

1.  Iridoncus  und  Iridelcosisi).J.d.Chir.u.Augenh.N.F.VII,2. (1848). 


1)  Klemmer,  Diss.  de  iridoncosi,  Dresdae  1836.    [Iqis,  Regenbogenhaut;  oyxos, 


196  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  ^  800— 4  875. 

Vf.  vermochte  bisher  an  Veränderungen  der  Regenbogenhaut  ein 
charakteristisches  Zeichen  der  Syphilis  noch  nicht  zu  entdecken. 

2.  Bericht  über  die  Ophthalmia  neonatorum  in  dem  kaiserlichen 
St.  Pelersburgischen  Erziehungshause  (Findelhause)".  Von  Dr.  Froebelius, 
ord.  Arzt  dieser  Anstalt.     St.  P.  1850.    (8«,  IV  +  33  S.) 

A'om  I.Sept.  1846—48:  882. Fälle,  474  Knaben,  408  Mädchen.  Die 
Krankheit  wird  meist  vom  4. — 8.  Lebenstage  an  beobachtet.  Sie  dauert 
14 — 40  Tage.  Die  Häufigkeit  ist  den  schlimmen  häuslichen  Verhältnissen 
zuzuschreiben.     Die  Einrichtung  der  Anstalt  ist  gut. 

Von  den  88  zu  früh  Geborenen  ließ  »kein  einziger  die  Ophthalmie 
in  ihrer  höchsten  Entwicklung  beobachten  .  .  .,  aber  in  den  bedeutenderen 
Fällen  zeigte  sich  ungewöhnlich  rasch  eine  Erweichung  der  Hornhaut«. 

Hatte  sich  die  Geschwulst  der  Augenlider  vermindert,  aber  dicke  Eiter- 
absonderung eingestellt;  so  wurde  Lösung  von  Höllenstein  (0,05 — 0,1  :  30) 
oder  von  Lap.  div.,  2 — 3  Mal  täglich  angewendet. 

»Von  den  (36)  zugleich  an  Syphilis  leidenden  erblindeten  20  %. 
Obgleich  nur  Y25  ^ller  Kinder  an  Syphilis  litten,  waren  doch  ^/g  aller  Er- 
blindeten von  dieser  Krankheit  heimgesucht.« 

3.  Zweiter  Bericht  über  die  Ophth.  neonat,  und  die  Ophthalmia 
purulenta  der  Ammen.     St.  Petersburg  1855. 

Die  Einträuflung  von  Höllenstein-Lösung,  nebst  wiederholten  Wasser- 
Einspritzungen,  hat  sich  bewährt  bei  beiden  Erkrankungen.  Im  Jahre  1856 
(G.  R.  de  l'Acad.  de  Med.  de  Paris)  ist  F.  hierauf  zurückgekommen  und  legt 
Verwahrung  ein  gegen  den  Verschluß  der  Lider^j. 

4.  Über  Diagnostik  und  Behandlung  der  Hornhaut-Geschwüre. 
(Med.  Zeitung  Rußlands  1852,  No.  15.) 

Das  Reflex-Bild  der  Hornhaut  hilft  dazu,  die  fortschreitenden  Ge- 
schwüre von  den  in  Rückbildung  begriffenen  zu  unterscheiden. 

Bei  den  letzteren  ist  der  Übergang  ganz  allmählich.  Hier  ist  abwar- 
tende Behandlung  angezeigt. 

Das  erstere,  wenn  es  gereizt  ist,  erfordert  schleimige  oder  ölige  Mittel, 
dazu  Kälte,  Blutegel;  wenn  torpid,  Einträuflungen  von  Höllenstein  und 
Sydenham's  Laudanum. 

5.  Über  den  Augenspiegel.     (Ebendas.  1852,  No.  46.) 

F.  fand  den  Spiegel  von  Helmholtz  zu  lichtschwach  und  verwandte 
ein  Prisma  mit  Durchbohrung:   sowie  eine  Dreh-Scheibe   mit  vier  Konkav- 


Wulst;  byxojais-,  Wulstung.  EX7.0;,  Geschwür;  i">.xw(T<>-,  Verschwärung.  Vgl.  mein 
Wörterbuch  der  Augenheilk.  S.  49.) 

\]  Es  war  ein  Findelhaus,  von  der  vorurtheilsfreien  Kaiserin  Katharina  IL 
vortrefflich  ausgestattet;  durfte  aber  nicht  so  genannt  werden! 

2)  Vgl.  §  563,  Zusatz  2,  S.  80. 


Froebelius.    K.  U.  Thielmann.  197 

Linsen.     (Ein  ähnlicher  Prismen-Spiegel  von  Meyerstein  ist   1853,  in  llenle 
und  Pfeuüer's  Z.,  S.  310,  beschrieben. ^ 

ü.  Über  Chalazion.     (Ebendas.  18ö2,  No.  52,  und   1853,  No.  1.) 

7.  Über  intermiltirende  Trübung  des  Kammerwassers.  (Ebendas.  1853, 
Nu.  15.) 

8.  Oculomot.  Lähmung  und  Amaurose  des  linken  Auges;  Durchschnei- 
ilung  des  äußeren  Graden;  Heilung.     (Ebendas.  1853,  No.  28.) 

9.  Über  den  Nutzen  der  stenopäischen  Brillen.   (Ebendas.  1858,  No.  28.) 

10.  Zur  Technik  der  Iiidektomic  bei  Glaukom.  lArch.  f.  Ophth.  VII, 
:',    118—123,   1860.) 

Kontrapunktions-Schnilt  mit  Schmal-Messer,  das  13  mm  lang,  bis 
-'  mm  breit,  am  IlandgrilV  unter  einem  Winkel  von  05"  befestigt  ist. 
Solches  Messer  und  solches  Verfahren  ist  mehrmals  neu  erfunden  worden. 

»Statt  der  Lanze  das  Linear-Messer  zu  verwenden,  entweder  ausschließ- 
li' h,  oder  nur  in  gewissen  Fällen,  haben  empfohlen  A.  v.  Graefe  (1866), 
\  Wix.KEu  (1869),  Zehrxder  (1869),  Mo.xgyer  (1870),  Scherk  (1873),  De- 
III  \NE  (1888)  u.  a.«.  'Czeumak-Elschnk;,  II,  S.  216,  1908.]  —  Mongyer 
\   ilangt  die  Priorität,  da  er  das  Linear-Messer  seit  Mai  1867  benutzt  habe. 

Die  Arbeit  von  Froebelius,  im  A.  f.  0.  1860  verülfentlicht,  hat  keine 
I''  achtung  gefunden. ^ 

I  L  Angeborener  Star.     (St.  Petersb.  med.  Z.  11,  281,    1863.) 

12.  Über  die  Behandlung  des  Glaukoms.     (Ebendas.  III,  155.) 

i<  888.  Ein  sehr  verdienstvoller  Schüler  des  ersten  Direktors 
AV.  Lerche,  aber  heutzutage  fast  ganz  aus  dem  Gedächtniß  der  Fach- 
^>  nossen  geschwunden,  auch  der  russischen,  war 

Kahl  Heinricb  Tiiielmann  (1802—1872)". 

Geboren  zu  Nicolai  in  Oberschlesien,  unter  dürftigen  Verhältnissen 
aufgewachsen,  studirte  Tn.  seit  1820  in  Breslau,  erst  Philologie,  dann 
Medizin;  war  wegen  Betheiligung  an  einem  unglücklichen  Duell  gezwungen, 
vor  Beendigung  seiner  Studien  Breslau  zu  verlassen,  wurde  Hauslehrer  bei 
Geh.  Rath  Dr.  Lercue  in  St.  Petersburg,  bildete  sich  daselbst  weiter  aus, 
namentlich  in  der  Augenheilkunde-),  und  erw^arb  1832  zu  Dorpat  den 
Doktor. 

Hierauf  erhielt  er  die  Stelle  eines  Marine-Arztes  und,  nachdem  er  eine 
epidemische  Augen-Entzündung  in  den  Militär-Hospitälern  mit  Erfolg  behan- 
delt   hatte,   eine   Anstellung  am    Militär-Hospital  zu  Oranienbaum^), 


-1)  Biogr.  Lex.  V,  649. 

2)  Sein  Schicksal  war  also  ähnlich  dem  von  M.  E.  Bloch.     ;§  426,  S.  238. 

3)  Städtchen    im    Gouv.  St.  Petersburg,     Lieblings-Aufenthalt    des    Kaisers 
Peter  III.,  Gemahls  der  Prinzessin  Sophie  Auguste  von  Anhalt-Zerbs t,  späteren 


198  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— 1873. 

wurde  1837  zum  Oberarzt  dee  Peter-Paul-Hospitals,  1850  zum  Ehren- 
Leib-Okulisten  des  Kaiserlichen  Hofes,   später  zum   Geh.-Rath  ernannt. 

Wiederholte  Verdrießlichkeiten  in  der  Verwaltung  seines 
Hospitals  veranlaßten  ihn,   1868  seinen  Abschied  zu  nehmen. 

Weisen  gestörter  Gesundheit  zog  er  sich  mehr  und  mehr  von  der 
Praxis  zurück  und  ist  am  14.  August  1872  verstorben. 

Thielmann  hatte  sich  der  unbegrenzten  Liebe  seiner  Kranken,  Unter- 
gebnen, jüngeren  Fachgenossen  zu  erfreuen.  Trotz  ausgedehnter,  prak- 
tischer Thätigkeit  war  er  auch  literarisch  sehr  fleißig.  Er  gründete  1844 
(mit  Krebel  und  Heine)  die  medizinische  Zeitung  Rußlands  und 
leitete  dieselbe  bis  1860,  indem  er  auch  durch  eigene  Mittheilungen  über 
Augenheilkunde  und  innere  Krankheiten  selbstthätig  mitwirkte. 

§  889.     Für  uns  kommt  eine  Arbeit i)  Th.'s  in  Betracht: 
Über  die   skorbutischen  Augen-Entzündungen.     (Med.  Zeitung 
Rußlands  1844,  No.  1   und  2.) 

Scorbutus  ist  das  latiuisirte  Scharbock;  nicht  aber  von  a-/.eXoTVQl:it], 
Schenkelschwüche,  herzuleiten.  (Plin.  XXV,  20:  stomacacen  medici  vocant  et 
sceloturben.)     Vgl.  mein  Wörterbuch,  S.  94. 

»Scharbock,  eine  Krankheit,  erst  seit  dem  Ende  des  1  6.  Jahrh.  bezeugt, 
=  ndl.  scheurbuik,  engl,  scurvj,  frz.  scorbut.  Als  Quellwort  der  Sippe  gilt  das 
ndl.  scheurbuik  oder  vielmehr  dessen  ältere  Formen  mit  Dental  in  der  Ableitung 
■wie  im  mlat.  scorbutus  (ndl.  scheur,  Riß,  Spalte,  —  bot,  Knochen);  nndl.  scheur- 
buik müßte  auch  Umdeutung  sein  nach  buik,  Bauch,  hin«.  (F.  Kluge,  Etym. 
W.  B.  d.  deutschen  Spr.,   8.  Aufl.  1915,  S.  384.) 

Ob  die  griechischen,  römischen ,  arabischen  Ärzte  den  Skorbut  gekannt, 
ist  keineswegs  ausgemacht.  Während  der  Kreuz-Züge  wurde  das  Leiden  sicher 
beobachtet.  Genauere  Kenntnisse  gewann  man  erst  im  15.  Jahrhundert,  zur 
Zeit  des  Aufschwungs  der  Schiff-Fahrt.  Im  Anfang  des  I  6.  Jahrhunderts  lernte 
man  auch  den  Land-Skorbut  kennen. 

Der  Professor  Exricius  Cordus  aus  Hessen  hat  in  s.  Botanologicon  (Colon. 
1534,  24)  zuerst  das  Wort  Scharbock  gebraucht.  (Vgl.  A.  Hirsch,  Hist.-geogr. 
Pathol.  I,   S.  521  fgd.,   1860.) 

»Seit  Joseph  Beer's^)  Beschreibung  der  skorbutischen  Augen-Ent- 
zündung scheinen  die  augenärztlichen  Schriftsteller  wenig  Gelegenheit  gehabt 


Kaiserin  Katharina  IL),  hat  den  Namen  von  dem  Städtchen  in  Anhalt,  Kreis 
Dessau,  erhalten  und  —  neuerdings  wieder  eingebüßt. 

i;  Wir  haben  sie  schon  §  753  erwähnt.  — Prof.  Groenouw  (in  unsrem  Hand- 
buch, XI,  1,  S.  328)  gedenkt  ihrer  nicht;  seine  Literatur  beginnt  erst  mit  dem 
Jahre  4  871. 

Aber  sie  ist  auch  Hrn.  Dr.  Fialkowski  in  Dünaburg  entgangen,  der  1880  im 
C.  f.  A.  (S.  247 — 252)  über  skorbutische  Augen-Erkrankung  geschrieben. 

(Man  hätte  sie  bequem  auffinden  können,  in  Ruete's  Lehrbuch,  2.  Aufl.,  11, 
S.  373.) 

2)  Vgl.  s.  Lehrbuch,  I,  S.  631—636,  1813,  und  unsren  §  444,  S.  335,  nebst 
meiner  Anmerkung. 


Thielmann,  Über  die  skorbutischen  Augen-Entzündungen.  199 

zu  haben,  diese  Krankheit  selbst  zu  beobachten.  Aber  J.  Beer,  der  diese 
Krankheit  wohl  nur  auf  ihrer  höchsten  Stufe  und  zwar  in  Verbindung  mit 
Land-Skorbut  beobachtet  zu  haben  scheint,  entwirft  ein  so  gräßliches  Bild 
von  ihr,  daß  man  sie  für  das  fürchterlichste  Augen-Übel  zu  halten 
-eneigt  wird.  Ganz  anders  jedoch,  und  zwar  unendlich  milder,  gestaltet 
>irh  die  Krankheit  auf  ihren  niedrigeren  Stufen  und  in  Verbindung 
mit  See-Skorbut,  den  wohl  Beer  nicht  gesehen  haben  mag,  weshalb  der 
Artikel  , skorbutische  .Vugen-Entzündung'  einer  Berichtigung  bedarf.« 

>Der  Verfasser  der  nachstehenden  Arbeit,  welcher  mehr  als  vier  Jahre 
lue  zahlreichen  Augenkranken  der  Kaiserlich  Russischen  Flotte  im  dem  jetzt 
aufgehobenen  Oranienbaumschen  See-Hospital  (300  Betten,  die  fast  stets  mit 
Auirenkranken  besetzt  waren,)  behandelte,  hatte  damals  die  beste  Gelegenheit, 
diese  Krankheit  in  allen  ihren  Nuancen  kennen  zu  lernen,  und  zeichnete  daher, 
um  die  in  den  ophthalmologischen  Handbüchern  befindliche  Lücke 
^  i  gut  als  möglich  auszufüllen,  das  nachstehende  Bild  derselben: 

Beschreibung  der  Krankheit. 

Die  skorbutische  Augen-Entzündung  ist  eine  durch  <lie  skorbulische  Dyskrasie 
ebenso  modificirte  und  eigenthümlich  gestaltete  Augen-Entzündung,  wie  die 
skrofulöse,  arthritische,  syphilitische  u.  s.  w.  durch  die  ihnen  zu  Grunde  liegen- 
den Dvskrasien. 

Sie  kommt  theils  rein,  theils,  und  zwar  am  häufigsten,  mit  den  meisten 
sogenannten  spezifischen  Augen-Entzündungen  komplicirt  vor. 

\.   Skorbutische  Augenlid-Entzündung. 
Oft   ohne   alle    Empfindung,    oft    mit    gelindem   Brennen,    röthet   sich   die 
Lid-Bindehaut. 

Die  Maschen  des  Gefaßnetzes  werden  enger.  Die  Bindehaut  schwillt  auf, 
ihre  Oberfläche  nimmt  eine  gleichmäßig  rothe  Farbe  an,  die  der  Schnittfläche 
des  rohen  Fleisches  sehr  ähnlich  ist. 

Als  charakteristisch  bemerkt  man.  bald  nach  dem  Beginn  der  Entzündung, 
Blut-Ausschwitzungen  aus  den  Wänden  der  Gefäße,  wodurch  dieselben  ein 
zottiges  Aussehen  bekommen,  wie  bereifte  Baum  zweige. 

Von   einem  Tag  zum   andern   bemerkt  man   Vereinigung  mehrerer  Zotten 

benachbarter  Gefäße  zu  kleinen,  theils  rundlichen,  theils  länglichen  Blutflecken, 

(   die,  durch  weitere  Vereinigung,  der  Bindehaut  ein  gestreiftes  oder  geflecktes  Aus- 

I    sehen  geben.    In  seltnen  Fällen  breiten  sich  diese  Blut-Austritte  über  die  ganze 

Bindehaut  gleichförmig  aus;   dann  ist  meist  ein  bedeutender  Grad    der    skorbu- 

^    tischen  Dyskrasie  vorhanden,   die  Farbe  schwärzlich  roth. 

;  Die   geschwollene  Bindehaut  ist  meist  so  mürbe,   daß  schon  bei  Berührung 

oder  durch  Umstülpen  des  Lides  eine  (übrigens  leicht  zu  stillende)  Blutung  entsteht. 

Die  äußeren  Decken  schwellen  nur  in  den  höheren  Graden  der  Entzündung 

des  Augapfels  selbst  an;  nicht  selten  bemerkt  man  dunkel-violette  Blut-Austritte 

an  denselben.      Mitunter  bemerkt  man  fleischwasser-ähnliche  Thränen. 

Beginnt  die  Entzündung  nachzulassen,  so  findet  in  der  Regel  Absonderung 
eines  weißen  Schleimes  statt,  der  zuweilen  durch  Beimischung  von  Blut  eine 
röthliche  oder  bräunliche  Farbe  annimmt.  Die  Kranken  werden  davon  wenig 
oder  gar  nicht  belästigt. 


200  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

2.  Skorbutische  Augapfel-Entzündung. 

A.  Taraxisi)  scorbutica.     Die  Oberfläche  des  Augapfels  wird  entweder    ( 
gleichzeitig  mit  der  Innenfläche  der  Lider  oder  erst  nach  längerer  Zeit  ergrifl'en.    i 
Es  zeigt  sich  in  der  Bindehaut  des  Augapfels  ein  Gefäß-Netz;    bald   darauf  ein 
tieferes,  in  Form  von  Baum-Asten  gegen  die  Hornhaut  zu  gerichtet. 

In  dem  oberflächlichen  entstehen  gleichfalls  zottenförmige  Blut -Aus-  ( 
schwitzungen. 

Die  Blut-Austritte  vereinigen  sich  und  nehmen  die  ganze  Augapfel-Bindehaut  i 
ein.  Meist  aber  beschränken  sie  sich  auf  den  für  gewöhnlich  von  den  Lidern  ; 
bedeckten  Theil;  es  bleibt  beiderseits  von  der  Hornhaut  ein  blasseres  Dreieck,  i 
mit  der  Spitze  nach  dem  entsprechenden  Augenwinkel. 

Mit  den  beschriebenen  Blut-Austritten  verwechsle  man  nicht  jene,  welche  ; 
ohne  Entzündung  eintreten  und  von  der  Farbe  des  hellsten  Roth  bis  zu  der 
des  dunkelsten  Braun  wechseln.  Sie  nehmen  oft  bedeutende  Flächen  der  Aug-  :, 
apfel-Bindehaut  ein  und  geben  dem  Auge,  besonders  wenn  sie  schwärzlich  sind, 
ein  fürchterliches  Aussehen,  ohne  jedoch  seinen  Bestand  je  zu  gefährden. 
Gewöhnlich  verschwinden  sie  ohne  Zuthun  der  Kunst.  Wenn  die  skorbutische 
Entzündung  der  Augapfel-Oberfläche  unkomplicirt  ist,  so  klagen  die  Kranken 
höchstens  über  ein  gelindes  Brennen. 

B.  Chemosis  scorbutica.  Steigert  sich  die  Taraxis,  so  kommt  es  zu 
serösem  oder  Ij'mphatischen  Erguß  in  das  Zellgewebe  der  Augapfel-Bindehaut. 
Diese  bekommt  ein  fleischartiges  Aussehen  und  erhebt  sich  wallartig  über  die 
Hornhaut,  bedeckt  auch  Theile  der  letzteren,  die  sich  rauchartig  trüben. 

Die  geschwollene  Bindehaut  blutet  leicht.  Karunkel  und  halbmondförmige 
Falte  nehmen  immer  Theil.  Die  Lider  schwellen  oft  bedeutend  an ,  bis  zur 
Größe  der  Faust  eines  Neugeborenen;  ihre  äußere  Fläche  verfärbt  sich,  wie 
vorher  beschrieben.  Dabei  besteht  Lichtscheu,  Thränen,  Schleim-Absonderung, 
Spannung  und  Druck,  verminderte  Sehkraft,  auch  Schmerzen. 

Vermindert  sich  die  Entzündung,  so  nimmt  die  Geschwulst  ab,  entweder 
plötzlich  oder  allmählich. 

Die  Blut-Austritte  hinterlassen  noch  lange  einen  gelben  Fleck  auf  der 
Augapfel-Bindehaut.    Steigert  sich  aber  die  Entzündung  noch  mehr,  so  entsteht 

C.  Keratitis  scorbutica.  Das  Bindehaut-Blättchen  trübt  sich  rauchartig. 
Dann  die  Hornhaut  selber;  sie  lockert  sich:  es  entstehen  Phlyktänen,  Keratocele, 
Iris- Vorfall ;  auch  gelegentlich  Hypopyon. 

Es  kommt  auch  zuweilen  vor,  daß  die  ganze  Hornhaut  sich  in  einen 
weißlichen  oder  gelbUchen  Absceß  verwandelt,  welcher  gewöhnhch  mit  völliger 
Vereiterung  derselben  und  Zerstörung  des  Augapfels  endigt. 

Durch  die  Hornhaut-Entzündung  scheinen  die  Schmerzen  nicht  bedeutend 
vermehrt  zu  werden. 

D.  Iritis  (nebst  Capsulitis)  scorbutica.  Auch-  diese  Entzündung  tritt 
entweder  mit  Taraxis  oder  mit  Chemosis  auf  und  zeigt  einige  Eigenthümlich- 
keiten.  Die  Iris  wird  unbeweglich  und  ändert  ihre  Farbe;  die  blaue  wird  grün, 
die  braune  dunkler,  nicht  selten  ins  Röthliche  spielend.  Der  kleine  Kreis  schwillt 
auf,  der  fasrige  Bau  der  Regenbogenhaut  verwischt  sich.'  Die  Pupille  wird 
ungleich  und  winklig;  rothes  Blut  führende  Gefäße  gehen  auf  die  Kapsel  über. 

Dunkelrothe  Klümpchen  sitzen  im  kleinen  Kreis,  selten  an  andren  Stellen. 

1)  VgL  §  236. 


Thielmann,  Über  die  skorbutischen  Augen-Entzündungen.  201 

Aus  ihnen  finden  wirivliche  Bhilungen  statt,  nach  dem  Boden  der  Vorderkammer. 
Das  ergossene  Blut  sieht  violett  aus,   das  Kammerwasser  gelblich  oder  bräunlich. 

Jetzt  klagt  der  Kranke,  über  Sehstörungen,  über  Schmerzen,  die  Abends 
diler  Nachts  heftiger  werden  und  mehrere  Stunden  andauern.  Während  dieser 
Schmerz-Anfälle  bilden  sich  Blut-Austritte  in  der  Iris  oder  freie  Blutung  in  die 
\  Orderkammer. 

Bei  der  Verringerung  der  Entzündung  kehrt  die  natürliche  Faser-Anordnung 
und  Farbe  der  Regenbogenhaut  wieder,  die  Verwachsungen  lösen  sich,  nament- 
lich unter  Einträuflung  von  Belladonna.  Das  ergossene  Blut  saugt  sich  sehr 
rasch  auf,   bei  zweckmäßigem  Veriialten. 

Die  von  uns  beobachteten  unglücklichen  Ausgänge  beschränkten  sich 
auf  theilweise  oder  gänzliche  Verwachsung  der  Regenbogenhaut  mit  der  Linsen- 
kapsel oder  auf  völlige  Verschließung  der  Pupille. 

Diese  Krankheit  findet  sich  nur  bei  Skorbutischen;  aber  nicht  selten 
lici  noch  gesundem  Zahnfleisch  und  bei  Abwesenheit  der  charakteristischen  Flecke 
au  den  unteren  Extremitäten,  als  einziges  Zeichen  der  beginnenden,  skorbuti- 
srlien  Dvskrasie.  Doch  fehlt  dann  selten  die  Abneigung  gegen  körperliclie  An- 
strengungen, die  dunkle  Farbe  iles  aus  den  Venen  gelassenen  Blutes,  die 
si  hmutzige  Farbe  des  Gesichts. 

Bei  der  Behandlung  ist  zunächst  die  skorbutische  Dyskrasie  zu  bekämpfen. 
Dies  geschieht  am  besten  durch  eine  gemischte  Ernährungsweise,  aus  frischem 
fleisch,  (iemüsen,  Früchten,  Milch,  säuerlichen  Getränken  (Kwas  ^'j ,  Bier  und 
ilurch  hinlänglichen,  mit  Bewegung  verbundenen  Aufenthalt  im  Freien,  wobei 
man   den  Kranken  Augenschirme  und   Klappen  gewährt. 

Die  Lid-Entzündung  wird  so  sehr  oft  schon  von  selbst  heilen.  Meist  passen 
kalte  Umschläge,  Einträufelung  von  Höllenstein  (0,05  :  30).  Bei  Chemosis  müssen 
diese  Einträufelungen  häufiger  gemacht,  auch  Ritzungen  hinzugefügt  werden. 
Bei  Hornhaut-Entzündung  Tinctura  opii  crocata,  bei  offenen  Geschwüren  Höllen- 
stein-Stift, bei  drohendem  Durchbruch  Einträufelung  von  Extr.  Belladonn.  oder 
Hyoscyam.  (0,3  :  8,0);  gegen  Iritis  dieselben  Einträufelungen  und  innerlich  Jod- 
kali, gegen  nächtliche  Schmerzen  Chinin.« 

Dies  ist  eine  vortreffliche  Arbeit,  —  die  erste  richtige  und,  wenn  wir 
von  den  damals  (184i)  unerkennbaren  Augengrunds -Veränderungen  ab- 
sehen, auch  ziemlich  vollständige  Beschreibung  der  skorbutischen  Augenleiden. 

Beer  hat  wohl  skorbutische  Kranke  mit  Augenleiden  beobachtet;  aber, 
was  er  als  Hauptform  der  skorbutiscTien  Augen-Entzündung  beschreibt  und 
abbildet,  gehurt  vielleicht  gar  nicht  hierher. 

Es  wäre  nützlich  gewesen,  wenn  die  neuesten  Bearbeiter  der  auf 
Allgemein-Zuständen  beruhenden  Augenleiden 2)  Thielmann's  Arbeit  benutzt 
hätten. 


l)  Alkohol-armes  russisches  National-Getränk ,  aus  Mehl  oder  Brot  unter 
Zusatz  von  Zucker  und  obergäriger  Hefe  bereitet. 

Meine  russischen  Freunde  lobten  es  sehr.  Ich  konnte  ihm  keinen  Geschmack 
abgewinnen. 

2  Groenouw  1904,  a.  a.  0.:  Schmidt-Rimpler  (1905,  S.  423);  Knies  (1893, 
S.  448).  —  Die  Encycl.  fran^.  (IV,  S.  122)  hat  über  skorbulische  Augenkrankheiten 
—  sechs  Zeilen. 


202  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  <  800— -1875. 

In  ältere  Lehrbücher  halte  sie  Aufnahme  gefunden,  allerdings  nur  nach 
dem  Auszug  der  A.  d'Oc.^):  so  in  dasjenige  von  van  Roosbroeck2)  zu  Gent, 
der  hinzugefügt  (1853),  daß  er  diese  Erkrankungen  aus  eigner  Beobachtung 
nicht  zu  schildern  vermöge.  Bei  der  Besprechung  dieses  Werkes  erklärt 
Dr.  Testelin ')  aus  Lille,  daß  z.  Z.  die  skorbutischen  Krankheiten  nur  dem 
Russischen  Reich  eigenthümlich  angehörten. 

In  der  That  stammen  auch  noch  in  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahr- 
hunderts die  meisten  Veröffentlichungen  über  skorbutische  Augenleiden  aus 
Beobachtungen  russischer  Arzte. 

§  890.  Die  skorbutischen  Augenleiden,  hauptsächlich  nach  Mit- 
teilungen russischer  Ärzte. 

A.)  I .  Die  skorbutischen  Augen-Erkrankungen  von  Dr.  Fialkowskv, 
Augenarzt  in  Dünaburg,  Rußland.     (C.  Bl.  f.  A.  1880,  S.  247—252.) 

Seine  Beobachtungen  hat  F.  auf  der  Augen-Abtheilung  des  Dünaburger 
Militär-Hospitals  1877 — 1880  gemacht.  Augenleiden  bei  Skorbut  sind  selten, 
sie  betreffen  3,5^  der  Fälle  von  Skorbut.  Verhältnißmäßig  am  häufigsten 
beobachtete  er  Befallensein  der  Augapfelbindehaut,  danach  des  subkonjunk- 
tivalen  Zellgewebes,  der  Lid-Haut  und  Schleimhaut,  am  seltensten  der  Horn- 
haut und  Regenbogenhaut.  Nur  einmal  Stauung  in  den  Blut-Adern  der 
Ader-  und  Netzhaut,  bei  fast  normaler  Sehkraft.  Niemals  Erkrankung  der 
Krystall-Linse  und  des  Glaskörpers. 

Am  häufigsten  beobachtete  er  d<'n  Blut- Erguß,  sowohl  unter  der 
Haut,  als  unter  der  Schleimhaut,  von  gesättigt  dunkel-violetter  Farbe. 
Zuweilen  nach  geringfügiger  Gelegenheits-Ursache,  Druck,  Schlag,  Husten, 
Pressen  beim  Stuhlgang.  Zuweilen  trat  der  Blut-Erguß  hinzu  zu  hart- 
näckigem Trachom  und  machte  dasselbe  noch  hartnäckiger. 

In  80^  der  Fälle  war  blos  die  Augapfel-Bindehaut  befallen,  in  der, 
meist  an  der  äußeren  Seite,  ein  dunkelvioletter  Blut-Erguß  auftrat.  Reizung 
gering  oder  gar  nicht  vorhanden.     Aufsaugung  binnen  4 — 5  Wochen. 

Bei  der  Lid-Erkrankung  erstreckt  sich  der  Blut-Erguß  gewöhnlich 
unter  die  Haut  des  ganzen  oberen,  sehr  selten  des  unteren  Lids;  und 
unterscheidet  sich  von  dem  gewöhnlichen  nach  Verletzung  nur  durch  die 
längere  Dauer  der  Auflösung. 

Die  Hornhaut-Entzündung  entsteht  entweder  selbständig  oder  in  Be- 
gleitung der  Blut- Austritte ;  und  heilt  binnen  6 — 7  AVochen.  Selten  ist  Mit- 
betheiligung  der  Regenbogenhaut.  (In  zwei  Fällen  schwersten  Skorbuts  kam 
es  5 — 6  Tage  vor  dem  Tode  zu  Vereiterung  beider  Hornhäute.) 


1)  XII,  175;   XIV,  84,  1844,   1845. 

2)  §   753. 

3)  A.  d'Oc.    XXX,  248,  1853. 


Die  skorbutischen  Augenleiden,  hauptsächlich  nach  russischen  Ärzten.     203 

Hemeralopie^)  tritt  zuweilen  auf,  entweder  selbständig,  oder  mit 
skorbutischen  Bindehaut-  und  Hornhaut-Leiden.  Im  ganzen  ist  die  Vor- 
hersage günstig.     Gute  Nahrung  die  Hauptsache. 

»Hinsichtlich  der  Ätiologie  kommen  wir  auf  die  alten  und  doch 
ewig  neuen  schlechten  hygienischen  Verhältnisse  zurück.  Trotz  ihrer  Form- 
verschiedenheit  in  den  verschiedenen  Gegenden  und  Zeiten  bleiben  sie  doch 
in  ihrer  Wirkung  immer  dieselben.  Bald  sind  sie  als  schlechte,  enge  und 
feuchte  Kasernen,  bald  als  schwerer  Soldatendienst  (usw.)  Ursache  des 
Skorbuts.  Im  Jahre  1877  wurde  bei  uns  die  Entwicklung  des  Skorbuts 
auf  ungenügende  Säure  im  eingemachten  Kohl  (einer  Hauptnahrung  unsrer 
Soldaten)  zurückgeführt.  Durch  den  in  diesem  Jahre  zu  früh  eingetretenen 
Frost  erfror  der  Kohl  in  den  Gärten  und  konnte  nachmals,  im  Fasse  ein- 
gemacht, nicht  mehr  recht  sauer  werden.  Auch  stehen  die  Soldaten- 
Löhnungen,  welche  sie  zur  Deckung  ihrer  täglichen  Bedürfnisse  von  Fleisch 
und  dergleichen  Kost  bekommen,  in  einem  grellen  Mißverhältnisse  zu  den 
Theuerungen,  die  seit  den  letzten  Jahren  bei  uns  herrschen.  Jeder  Sol- 
dat bekommt  nämlich  auf  obengenannte  Ausgaben  3,7  Kopeken  für  den 
Tau,  während  ein  Pfund  Fleisch  12^13  Kopeken  kostet.  Fügt  man  nun 
noch  den  schweren  Soldaten-Dienst  hinzu,  das  unbeständige,  windige,  kalte 
und  feuchte  Klima  Dünaburgs,  die  engen  Kron-Kasernen,  die  mangelhafte 
Lüftung  in  den  meisten  Privat-Häusern,  wo  die  Soldaten  zeitweise  einquar- 
tirt  werden :  so  sind  die  meisten  Formen  der  schlechten  hygienischen  Ver- 
hältnisse, welche  nach  allgemeiner  Annahme  Skorbut  in  ihrer  Folge  haben 
können,  in  die  .\ugen  springend.  —  Wer  mit  dem  unerquicklichen  Soldaten- 
Dienst  bei  uns  nur  einigermaßen  vertraut  ist,  wird  wohl  kaum  bei  der 
Angabe  der  Ursache  des  Skorbuts  noch  zu  einem  muthmaßlichen  speci- 
fischen  skorbutischen  Gift  seine  Zuflucht  zu  nehmen  oder  gar  den  Skorbut 
zu  den  Infektions-Krankheiten  zu  zählen  Veranlassung  finden,  wie  es  wohl 
Manche  in  der  letzten  Zeit  zu  thun  ver.suchten.  Bei  uns  mangelt  es  wahr- 
lich an  Verhältnissen  nicht,  welche  Blutmischung  und  Blutbildung  auch  ohne 
specifisches  Gift  zu  verderben  im  Stande  sind.« 

2.  Landschafts-Arzt  I.  P.  Drozdoff  (im  Samara'schen  Gouv.)  fand,  bei 
epidemischen  Skorbut,  unter  200  Skorbut-Kranken  28  Fälle  von  Augen- 
leiden 2). 

3.  BELJ.A.WSKI,  Die  funktionellen  Störungen  im  Auge  bei  Skorbut. 
l  Inaug.-Diss.  St.  Petersburg,  1894  3).  Die  Untersuchungen  waren  an  100  Fällen 
t  von  Skorbut-Krankheit  des  Nikolai'schen  Militär-Hospitals  angestellt. 

4.  EwMEMEw,   Über  die  Einwirkung    der  Miß-Ernten   von    1891    und 


4)  F.  meint  Nacht-Blindheit.     Vgl.  unsren  §  53. 

2)  C.  El.  f.  A.  1881,  488. 

3)  C.  El   f.  A.  4  896,  Suppl.-Heft,  S.  704. 


204  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—4  875. 

1892  auf  die  Augen-Erkrankungen  bei  der  Bevölkerung  des  Ostrogoshski- 
schen  Kreises,  Gouv.  Woronesh').  Die  Zahl  der  Erkrankungen  und  der 
Blinden  vergrößerte  sich;  besonders  merkbar  wurde  es  im  Frühjahr  189'2, 
als  im  Kreise  eine  Skorbut-Epidemie  entstanden  war.  ( 1*^000  Kranke.) 
Bemerkenswerth  war  die  Häufigkeit  der  Hemeralopie  und  einer  bösartigen 
Form  von  Keratitis.  Im  Zentrum  der  Cornea  konnte  man  bei  Beginn  der  t 
Affektion  einen  kleinen  grauen  Punkt  bemerken,  der  die  Tendenz  hatte, 
nach  der  Peripherie  hin  sich  auszubreiten  und  schließlich  mit  einem  Zerfall 
des  Gewebes  zu  enden;  manchmal  kam  Hypopyon  und  PanOphthalmitis 
hinzu;  der  Verlauf  war  ein  kurzdauernder,  in  4 — G  Tagen  war  die  Horn- 
haut vereitert.  Die  Krankheit  befiel  meistens  bleiche,  magere,  herunter- 
gekommene Individuen ;  oft  war  auch  Xerosis  conj.  vorhanden.  Die  Therapie 
war  machtlos. 

5.  Skorbut-Erkrankungen  der  Augen  von  Dr.  Woskresexki'^j.  Charak- 
teristische Merkmale  sind  im  Anfang  der  Erkrankung  kupfer-rothe  Färbung 
der  Lederhaut,  dann  Blut-Ergüsse  in  die  Bindehaut,  hauptsächlich  in  die 
des  Augapfels,  von  dunkelrother,  fast  brauner  Farbe.  Das  Leiden  hält 
4  —  6  Wochen  an,  ohne  daß  die  Hornhaut  oder  das  Sehvermögen  beschädigt 
werden.  Auch  zuweilen  vorkommende  Iris- Veränderungen  heilen  ohne 
schädliche  Folgen.  Die  Prognose  ist  somit  stets  günstig.  Örtliche  Behand- 
lung ist  zu  unterlassen,  weil  sie  nur  verschlimmern  kann ;  auch  allgemeine 
stärkende  Behandlung  ist  nur  von  geringer  Bedeutung.  Auffallend  raschen 
Erfolg  hat  Vf.  damit  erzielt,  daß  er  seine  Kranken  in  einem  nahen  See 
zweimal  täglich  baden  ließ. 

(6.  Über  recidivirende  Orbital-Blutungen  bei  Skorbut  hat  A.  Kp.ückgw 
zu  Moskau  geschrieben.     A'gl.  §  900.) 

B.)  Was  hat  diesen  russischen  Veröffentlichungen  das  übrige 
Europa  gegenüberzustellen? 

1.  Adler  in  Wien  beschreibt  1874  einen  Fall  von  Hämophthalmos 
bei  skorbutischen  Allgemein-Leiden"'). 

2.  H.4.NS  Wegscheider  zu  Berlin  fand  1877  in  einem  Falle  von  spon- 
tan entstandenem  Skorbut  bei  der  Sektion  punktförmige  Blutungen  in  der 
Nähe  der  Papille  ■*). 

3.  Magnus 5)  in  Breslau  sah  1878  bei  einem  schwächlichen  Kind  von 
1  i  Monat  skorbutisches  Zahnfleisch,  Vortreibung  des  rechten  Augapfels  mit 
Blut-Unlerlaufuns;  der  Lidhaut. 


1}  VI.  Kongreß  der  russ.  Arzte  in  Kiew,   1896,  augenärztl.  Abth.  —  C.  Bl.  f.  A. 
4  897,  Suppl.-Heft,  S.  45Ü. 

2)  Med.  Obosrenie  4  897,  No.  ö.     D.  Med.-Ztg.  4  897,  No.  4  02.    C.  Bl.  f.  A.,  Suppl.- 
Heft  4  897,  S.  637. 

3)  Bericht  über  die  Augenkranken  im  Krankenhaus  Wieden,  1874,  S.  22. 

4)  Deutsche  med.  W.  4  877,  No.  4  8. 

5)  Ebendas.  4  878,  No.  29. 


Skorbut.    Augenleiden.  —  Mittheil.  d.  St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt.     205 

4.  Demg'  in  iMünohen  fand  1895  bei  einem  Skorbut-Kranken  ein 
Bild,  ähnlich  der  Netzhaut-Veränderung  bei  Eiweiß-Harnen. 

5.  Generalarzt  Dr.  Seggel  in  München  berichtet  über  einen  Fall  von 
leichtem  Skorbut  mit  Augengrund-Veränderungen  2]. 

Das  sind  ganze  fünf  Fälle  aus  Deutschland  und  Österreich,  von 
1S77— 1899. 

6.  Stephen  Mackenzie  in  London  berichtet  1880  über  einen  tödlichen 
Fall  von  Skorbut  mit  Netzhaut-Blutungen-^). 

7.  Hole  White  fand  1883,  unter  zwanzig  Fällen  von  Skorbut,  in 
einem  Netzhaut-Blutung^). 

Anmerkung. 
»Bei  weitem  am  häuflgsten  trat  der  Skorbut  in  Rußland  auf.  Von  4  43 
Land-Epidemien,  die  A.  Hirsch  aus  den  drei  Jahrhunderten  1556 — 1877  zu- 
siinmenstelite,  fanden  .3.5  in  Rußland  statt.  Die  Ostsee-Provinzen  und  einige 
Histrikte  in  Süd-Rußland  sind  die  Gegenden,  wo  in  Europa  noch  jetzt  der 
"^Iv^rbut  stellenweise  epidemisch  vorkommt.  Im  russischen  Heere  wird  die 
llauligkeit  neuerdings  (1881)  auf   1,8^   veranschlagt.«      (L.  Riess    1899^*.) 

§891.  Ehe  wir  den  Kreis  der  St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt 
verlassen,  müssen  wir  noch  eines  literarischen  Unternehmens  gedenken, 
das  der  Anstalt  zur  Zierde  und  ihren  Leitern  zum  Ruhme  gereicht: 

Mittheilungen  aus  der  St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt. 
Heft  I  bis  VI,    1887— 1899. 

Das  erste  Heft  (1887)  enthält:  \.  Die  Organisation  der  Ambulanz, 
vom  Direktor  (Dr.  Graf  Magawly).  Bericht  über  die  Ambulanz  für  1883 
und  1884,  von  Dr.  Theod.  Gbrhann.  —  Einen  Auszug  dieses  Berichtes 
bringt  das  C.  Bl.  f.  A.  1887,  S.  245—246. 

Das  zweite  Heft  (1888)  enthält:  1.  Zur  Geschichte  der  St.  Petersburger 
Augen-Heilanstalt  und  Organisation  der  Station,  vom  Direktor.  (Vgl.  oben, 
§  881.)  2.  Statistik  der  behandelten  Augenkranken  und  ausgeführten 
Operationen,  von  Dr.  Th.  von  SchrJjder.  3,  Therapeut,  und  kasuist.  Mit- 
theilungen .  .  .  von  demselben.  4.  Zur  Behandlung  der  mit  Entropium 
verbundenen  Trichiasis  und  Distichiasis,  von  Dr.  Th.  Germann.  (Mit  3 
Tafeln.) 

Das  dritte  Heft  (1889)  hat  den  folgenden  Inhalt:  1.  Statistik  der  A.  Kr. 
von  Dr.  E.  Blessig.  2.  Statistik  der  B.  Kr.  und  Operationen,  von  Dr.  Th. 
CiiRMANN.     3.  Behandlung    der   syphilitischen  Augenkrankheiten    mit  intra- 


i)  Münch.  med.  W.   1895,  No.  34—36. 

2)  Klin.  M.  Bl.  f.  A.   -1899,  S.  298. 

3)  Transact.  0.  S.  of  the  United  K.  I,  S.  51—55,  1880. 

4)  Lancet  1883,  I,  346  und  Med.  Times  and  Gaz.  I,  396. 

5)  Eülenburg's  Real.  Encycl.  III.  Aufl..  XXII,  S.  211. 


206  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  4  800—1875. 

muskulären  Injektionen,  von  Dr.  Th.  Germann.  4.  Über  Glaukom,  von  Dr. 
0.  Lange,  Augenarzt  in  Braunschweig,  früher  Assist,  an  der  St.  P.  Augen- 
Heilanstalt.     (Vgl.  C.  BI.  f.  A.  1892,  S.  32.) 

Das  vierte  Heft  (1893)  bringt  Zahlenberichte  über  A.  Kr.  (1889—1891) 
und  über  B.  Kr.  und  Operationen;  sowie  eine  Abhandlung  über  Verletzungen 
des  Auges,  von  Dr.  E.  Blessig.     (Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1893,  S.  182  und  498.) 

Das  fünfte  Heft  (1898)  enthält,  außer  den  zwei  Zahlenberichten: 
3.  Das  Krankheitsbild  imd  die  Behandlung  der  Keratalgia  traumatica  und  der 
recidivirenden  Hornhaut-Erosionen,  von  Dr.  Th.  von  Schröder.  4.  .  .  .  Orbital- 
Erkrankungen  durch  Empyem  der  Nebenhöhlen,  von  Dr.  Tu.  Germann. 
5.  .  .  .  Orbitale  Verletzung  des  Sehnerven,  von  Dr.  E.  Blessig.  6.  Über 
Glaukom  bei  Retinitis  pigmentosa  und  Myopie,  von  Dr.  Alexander  Natanson. 
(Ausführlicher  Bericht  im  C.  Bl.  f.  A.  1898,  S.  377—378.) 

Das  sechste,  das  Jubiläums  Heft  zum  75jährigen  Bestehen  der  An- 
stalt, giebt  nur  die  Beschreibung  der  Anstalt,  Einrichtung,  des  Budgets, 
des  Besuchs,  der  Lehrthätigkeit,  ein  Personal-Verzeichniß  und  eine  Biblio- 
graphie, dazu  Abbildungen,  welche  zeigen,  daß  die  modernen  Regeln  der 
Asepsie  streng  befolgt  sind. 

Gesammtzahl  der  Betten  78,  Ausgaben  33  000  Rubel. 
Warum    haben    diese,    so    wichtigen    und    lehrreichen ,    in    deutscher 
Sprache  verfaßten  Mittheilungen  aufgehört?  Weil  »Deutsch«  gegen  Ende 
des   vorigen   Jahrhunderts    in    den  maßgebenden    Kreisen   Rußlands    nicht 
mehr  —  beliebt  war. 

(Aus  einer  schriftlichen  Mittheilung  vom  Kollegen  E.  Blessig  entnehme 
ich,  daß  1909  wieder  ein  Bericht,  für  das  Jahrzehnt  1899 — 1908,  er- 
schienen ist,  —  in  russischer  Sprache.  Davon  meldet  kein  Jahresbericht, 
keine  augenärztliche  Zeitschrift  in  deutscher,  englischer,  französischer 
Sprache.) 

§  892.     Die  Augenklinik  an  der  Militär-Medizinischen 
Akademie  zu  St.  Petersburg  i). 
Am  1 8.  Dezember  1 798  erließ  Kaiser  Paul  I.  den  Befehl,  in  St.  Peters- 
burs;  eine  medico-chirurgische  Akademie  zu  eröffnen 2). 


1)  Nach  dem  schriftlichen  Bericht  (v.  9.  Nov.  1912;,  für  welchen  ich  Hrn.  Dr. 
VON  Poppen  zu  Dank  verpflichtet  bin,  ist  dieser  Paragraph  ausgearbeitet  und  von 
mir  mit  Zusätzen  versehen.  —  Bis  ISS-l  hieß  die  Anstalt  >medico-chirurgische 
Akademie«.  * 

Aus  Minerva  I  (S.  377—383,  1911)  füge  ich  hinzu:  1.  daß  die  kaiserliche 
St.  Petersburger  Universität  keine  medizinische  Fakultät  besitzt;  2.  daß  schon 
1733  die  beiden  ersten  Medizin-Schulen  an  den  Militär-Hospitälern  von  St.  Peters- 
burg eröffnet  wurden. 

2]  Über  frühere  Anstalten  dieser  Art  fin  Preußen,  Sachsen,  Dänemark,  Üster- , 
reich)  vgl.  §  409.  S.  169. 


Die  Augenklinik  der  Mil.-Med.  Akademie.  —  Kabat.  207 

Der  Chirurgie-Professor  Busen,  der  auch  die  Augenheilkunde  mit  zu 
vertreten  hatte,  drang  auf  SchatVung  einer  besonderen  Prof.  der  Augen- 
heilkunde, die  dann  auch  im  Jahre  1818  dem  Dr.  Grubi  übertragen  wurde. 

Joseph  Ernst  Grubi  (1775?— 1834, D. 
Doktor  der  Medizin  und  Chirurgie,  der  Theologie  und  der  Philosophie, 
Mitglied  der  Erfurter  gelehrten  Gesellschaft,  wurde,  auf  Grund  eines 
Empfehlungs-Schreibens  von  Prof.  J.  Chr.  II.  Harless  (1773  — 1853]  zu  Er- 
langen, am  13.  Dezember  1813  als  Arzt  erster  Kategorie  an  der  ersten 
russischen  Armee  angestellt;  1817  erhielt  er  den  russischen  Doktor,  1828 
den  Titel  eines  Akademikers;  1831,  zur  Zeit  der  Cholera-Epidemie,  das 
Amt  eines  Medizinal-Inspektors.  In  der  Augenheilkunde  vertrat  er  die 
Lehren  von  Joseph  Beer.  Gedruckte  Arbeiten  hat  er  nicht  hinterlassen. 
Er  starb  am  4.  Juli  1834,  kurz  nachdem  er  seinen  Abschied  eingereicht. 

Als  Adjunkt  an  dem  aügenilrztlichen  Lehrstuhl  wirkte  Osip  Kai.inskv  2) 
(geb.  1792)  von  1822  —  1829,  danach  S.wknko  (geb.  1795),  bis  1830:  beide 
4  Jahre  lang  im  Ausland  ausgebildet. 

Als  Grubi  1834  erkrankte,  vertrat  ihn  Peter  Pawlonmtsch  Pblechin, 
der  auch  sein  Nachfolger  wurde,  aber  nur  bis  1835:  dann  wurde  die 
Professur  der  Augenheilkunde  aufgehoben  und  die  Vorlesungen  dieses  Faches 
der  Chirurgie  wieder  zuertheilt. 

1842  erhielt  Prof.  Dibonvitzky  den  Lehrstuhl  für  theoretische  Chi- 
rurgie und  Augenheilkunde;  1852  folgte  ihm  Saboi.otsky-Detjatowsky,  bis 
<860:  wo  ein  besonderer  Lehrstuhl  für  Augenheilkunde  eingerichtet  wurde. 

Seit  1835  mußten  die  Studenten  der  letzten  Semester  einen  prak- 
tischen Kurs  der  Augenheilkunde  am  Militär-Hospital  durchmachen,  unter 
Leitung  des  Oberarztes.     .\ls  solcher  wirkte  seit  1840  Dr.  Kabat. 

Johann  Kabat  (1812— 1884)  »• 
studirte   an   der  medico-chirurgi.schen   Akademie    1827 — 1833    und    wurde 
sogleich   danach   als  Assistent   am  Militär-Hospital  zu  St.  Petersburg  ange- 
stellt; 1835  erhielt  er  den  Rang  eines  Medico-Chirurgen ;    1840    wurde   er 
Oberarzt. 

Kabat  beschäftigte  sich  eifrig  mit  Augenheilkunde  und  hat  großen 
Nutzen  gestiftet,  namentlich  durch  Einrichtung  von  Mihtär-Sanitäts-Stationen 
für  Augenkranke  in  Südrußland. 

Nach  dem  Vorgang  von  Crusel-*)  versuchte  er  die  Elektricität  gegen 
Augenkrankheiten,  zuerst  »ohne  Erfolg«. 


<)  Fehlt  im  biogr.  Lexikon. 

2)  Auf  der  Kiewer  theologischen  Akademie  vorgebildet. 

3)  Biogr.  Lex.  VI,  S.  843.  (O.Petersen.)  Vgl.  §  879A.    Französisch  schreibt 
er  sich  J.  de  Kabath. 

4)  Vgl.  §  882. 


208  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  < 800— 1875. 

In  der  That  sind  die  Versuche i)  nicht  verlockend:  1.  Bei  dem  Kontusions- 
Star  eines  Garde-Soldaten  wurde  die  am  Zink-Pol  befestigte  Star-Nadel  in  die 
verdunkelte  Linse  gestoßen.  Heftiger  Schmerz.  Keine  Veränderung.  2.  Bei 
einem  ameurotischen  Soldaten  wurde  die  Nadel  durch  die  Lederhaut  gestoßen, 
um  sie  der  Netzhaut  zu  nähern.  Schmerz.  Star-Bildung,  keine  Verbesserung 
der  Sehla-aft.    .3.  Gegen  Star  eines  Schwindsüchtigen.    Vereiterung  des  Augapfels. 

Dann  verwandte  er  den  Galvanismus  und  hat  1844  »zufriedenstellende 
Ergebnisse«  mitgetheilt. 

Im  Jahre  1856  begab  Kabat  sich  in's  Ausland,  besuchte  Deutschland, 
Frankreich  und  England,  war  auch  einer  der  drei  Vertreter  Rußlands  auf 
dem  augenärztlichen  Kongreß  zu  Brüssel,  im  Jahre  1807.  Er  brachte  den 
ersten  Augenspiegel)  aus  Deutschland  in  die  Akademie. 

Kabat  hat  auch  A.  v.  Graefe's  Arbeit  über  die  Iridektomie  gegen 
Glaukom,  aus  der  Handschrift,  in's  Russische  übersetzt  und  zugleich  mit 
einem  Briefe  A.  v.  Graefe's  im  militär-medizinischen  Journal  veröffentlicht. 

Am  25.  August  1883  wurde  das  30jährige  Dienst-Jubiläum  Kabat's 
mit  großem  Pompe  gefeiert;  aber  bereits  am  15.  April  1884  ist  er  zu 
St.  Petersburg  verstorben. 

Der  Chirurgie-Professor  Peter  Dubowizki  (1815 — 1867)-^^  der  schon 
1 843  für  die  Nothwendigkeit  einer  besonderen  Lehrkanzel  der  Augenheil- 
kunde sich  ausgesprochen,  wurde  1851  Präsident  der  med. -chir.  Akademie 
und  setzte  1860  die  besondere  Professur,   1861    die  Augenkhnik  durch. 

§  893.     Die   Professur   erhielt  Dr.  Junge,    der  übrigens    schon    1859  s 
dem  Kultus-Minister  Kowalewsky   einen   Bericht  vorgelegt,   in   dem   er  für 
die  Augenheilkunde  das  akademische  Bürger-Recht  beanspruchte. 

Eduard  Junge  (1832—1898)4) 
ein  Deutsch-Russe,  am  12.  Nov.  1832  zu  Riga  geboren,  auf  dem  dor- 
tigen Gymnasium  vorgebildet,  studirte  an  der  medizinischen  Fakultät  der 
Universität  zu  Moskau,  bestand  1 856  das  Arzt-Examen  und  bildete  sich  in 
Deutschland  weiter  aus,  unter  Helmholtz,  R.  Virchow,  H.  Müller;  und 
als  Schüler  A.  v.  Graefe's  in  der  Augenheilkunde. 

1860  nach  Rußland  zurückgekehrt,  erwarb  er  den  Doktor-Titel  mit 
der  Dissertation:  >Beiträge  zur  pathologischen  Anatomie  der  getigerten 
Netzhaut«.  (Diese  Arbeit  war  schon  1859,  in  A.  v.  Graefe's  Arch.  f.  Ophth. 
V,  1,  49 — 95,  deutsch  gedruckt  worden.     Vf.  erklärt:   »Die  Retinal- Ver- 


1)  Gesundheitsfreund  1841,  No.  M;  Schmidts  Jahrb.  XXXIII,  S.  97. 

2)  Aber  schon  1852  hatte  Froebelius,  von  der  Petersburger  Augen-Heilanstalt, 
über  den  Augenspiegel  berichtet. 

3)  Biogr.  Lex.  VI,  715.  (0.  Petersen.) 

4)  l.  Biogr.  Lex.  III,  428.    (0.  Petersen.;    IL   Klin.  M.  Bl.  f.  A.  1898,  8.413— 414. 
(J.  Talko.  Haupt-Quelle.)  HL  Pagel's  Biogr.  Lex.,  S.  831. 


Prof.  Junge.  209 

änderungen  glaube  ich  als  Produkt  von  drei  verschiedenen  pathologischen 
Veränderungen  betrachten  zu  müssen:  einer  durch  die  Chorioiditis  bedingten 
Retinitis,  der  Sehnerven-Atrophie  und  dem  mit  der  allgemeinen  Gefäß-Ent- 
artung zusammenhängenden  Atherom  der  Netzhaut-Gefäße.« 

In  demselben  Archiv  [V,  2,  191—11)9,  1859]  verüfTentlichte  .1.  auch 
noch  ophthalmologisch-mikroskopische  Notizen:  Keratitis  mit  Tri- 
geminus-Parese,   Argyrose   der  Conjunktiva,   Mikrographie   des  Hypopyon.) 

Bereits  im  Dez.  des  Jahres  1860  wurde  E.  Junge  zum  ordentlichen 
Professor  der  Augenheilkunde  ernannt  und  hat  dies  Amt  bis  1882  ver- 
waltet. Er  wurde  auch  Konsulent  der  Ober-Militär-Medizinal-Behörde  und 
Mitglied  des  Mililär-Medizinal-Komitees. 

Die  Akademie  hat  ihm  die  Einrichtung  einer  zeitgemäßen  Augenklinik 
zu  verdanken. 

Im  Jahre  1861  reiste  J.  nach  Ägypten,  um  die  dort  herrschenden 
Augen-Entzündungen  zu  beobachten. 

Als  1869  das  Militär-Hospital  in  die  Verwaltung  der  Akademie  über- 
ging, übernahm  Junge  auch  noch  die  bis  dahin  von  Kabat  verwaltete  Augen- 
Abtheilung  des  Hospitals. 

Jungk  war  ein  tretl'iicher  Lehrer  und  hat  ,:;ute  Augenärzte  ausgebildet. 
(DoBROWOLSKv,  Cbodin,  Reicü  u.  a.) 

Unter  seiner  Beihilfe  entstanden  die  Arbeiten  von  B.  Hosow  über  Augen- 
Pigment  und  von  Pelkchin  über  den  Schlemm'schen  Kanal,  die  in  Graefk's 
Archiv  (IX,  3  und  XIII)  verütTenllicht  worden  sind. 

Aber  Junge  selber  hat  als  Professor  fast  gar  nichts  mehr  geschrieben, 
nur  eine  Arbeit,  in  russischer  Sprache,  über  das  mechanische  (len- 
trum  des  Auges  vcrüffentlicht  ^j. 

Dank  Prof.  Junge's  Einfluß  wurden  an  allen  russischen  Universitäten 
Lehrstühle  für  Augenheilkunde  begründet  und  in  jedem  Militär- 
Bezirk  ein  Kreis-Okulist  angestellt.  Die  Militär-.\rzte  gebrauchen  seine 
Seh-Proben.     (Nach  Snellen.) 

»Aus  unbekannten  Gründen*  gab  Junge  1882  die  Professur  und  Privat- 
Praxis  auf,  übernahm  188.3  die  Leitung  der  PETRowsKi'schen  Akademie  für 
Forst-  und  Landwirthschaft  bei  Moskau;  als  diese  1892  wegen  der  Stu- 
denten-Unruhen geschlossen  wurde,  übersiedelte  er  auf  sein  Gut  Koktebel 
bei  Feodosia  in  der  Krim. 

»Seitdem  bekümmerte  er  sich  nicht  mehr  um  Augenheilkunde,  erschien 
auch  nicht  mehr  in  Heidelberg;  alles  spricht  dafür,  daß  er  vergessen  zu 
sein  wünschte.«  iIL;  Natürlich  war  er  Geheimer  Staatsrath.  Am  27.  Sept. 
1898  ist  er  in  Jalta  gestorben. 


<)  Vgl.  Helmholtz,  Phys.  Optik,  1867.  S.  526. 

HanGltnch  der  AugenheilVnnde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VII.)   XXIII.  Kap.  1  4 


210  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— «873. 

§  894.     Wladimir  Iwanowitsch  Dobrowolsky  (1838 — 1904)i^ 
Sohn  eines  Priesters,  wurde  D,  im  Seminar  zu  Rjasan  vorgebildet,  studirte 
in  Moskau  ein  Semester,  dann  weiter  an  der  medico-chir.  Akademie  zu  St. 
Petersburg,    bis   1865;   erhielt  in    diesem   Jahr   den  Doktor-Titel  und   bald 
auch  die  Privat-Docentur.     Er  arbeitete  in  der  Klinik  von  Junge. 

Dann  wurde  er  zur  Ausbildung  auf  3  Jahre  ins  Ausland  geschickt  und 
arbeitete  hauptsächlich  bei  A.  v.  Graefe,  Ari.t  und  Stellwag,  Snellen,  Don- 
DERS,  Helmholtz  und  Krause. 

Nach  seiner  Rückkehr  wurde  D.  Assistent  Junge's  und  1882  sein 
Nachfolger,  als  o.  Prof. 

Seine  Arbeiten  betreffen  hauptsächlich  die  Anomalien  der  Akkommo- 
dation und  Fragen  der  physiologischen  Optik. 

»In  den  Kreisen  seiner  Kollegen  war  er  als  ehrenwerther  Charakter, 
dessen  inneres  Wesen  .sich  freilich  gerne  unter  einer  rauhen  Außenseite 
verbarg,  allgemein  hochgeschätzt.«     (II.) 

1893  gab  er  sein  Amt  auf.     Sein  Nachfolger  wurde  Bellarminokf. 

Liste  der  hauptsächlichen  Arbeiten  von  Dobrowolsky,  der  sich 
der  deutschen  Sprache  bediente. 

I.  Arch.  f.  Ophth. 

1.  XIV,  3,  51— 105,  1868.  Über  die  verschiedenen  Veränderungen  des  Astigm. 
unter  dem  Einiluß  der  Akkommodation. 

2.  XVIII,  1,  ü3  — 103,  1872.  Beiträge  zur  physiologischen  Optik.  (1.  Über  Rol- 
lung der  Augen  bei  Konvergenz  und  Akkomm.  2.  und  3.  Empfindlichkeit 
des  Auges  gegen  verschiedene  Spektral-Farben,  gegen  die  Licht-Intensit. 
versch.  S.  F.  4.  Über  gleichmäßige  Ab-  und  Zunahme  der  Licht-Int.  ver- 
schied. S.  F.  bei  gleichm.  Ab-  und  Zunahme  der  Lichtstärke  des  Gesamt- 
Lichtes.     5.  Empfindl.  d.  Auges  gegen  Farbentöne.) 

3.  XXXII,  1,  9—32.  Empfindl.  d.  Aug.  gegen  Farbentöne  auf  der  Peripherie 
der  Netzhaut. 

4.  XXXIII,  2,  213—228,  1887.     Über  die  Ursachen  der  Erythropsie. 

II.  Klin.  Monatsbl.  f.  A. 

ü.  Beitr.  z.  L.  von  der  Anomal,  d.  Akk.  und  Refr.    VI.  Band.     (2  Beilage-Hefte.) 

6.  Z.  Behandl.  d.  Iridochor.  VI,  239. 

7.  Hyperästh.  d.  Ciliarmuskels.     VI,  224. 

8.  Größe  und  Beleuchtung  des  G.  F.  im  h.  und  m.  Auge,  bei  der  Unters,  i. 
umgek.  B.  IX,  352. 

9.  Abstand  zwischen  Fovea  und  Centrum  des  blinden  Flecks  bei  verschied. 
Refraktion.    IX,  437. 

10.  Größe  des  G.  F.    X,  139. 

■11.  Operat.  des  latenten  Divergenz-Schielens.     XIX,  61. 

12.  Langjähriges,  einseitiges  Einwärtsschielen  ohne  Amblyopie.     XIX,  120. 

13.  Diffuse  Netzhaut-Entz.  bei  hochgrad.  H.    XIX,  156. 

14.  Neuroret.  durch  Thränendrüsen-Geschwulst.     XIX,  1.">9. 


1)  I.  C.  Bl.  f.  A.  1904,  S.  189—192.  (L.  Bellarminoff.)  Vgl.  11.  Klin.  M.  Bl.  XLIT. 
I,  S.  463. 


Dobrowolsky.    Bellarminoff. 


211 


iS.  Ätzung  der  Bindehaut  mit  Kali  caust.     XIX,  161. 

16.  Entstehung  der  M.     XXIV,  324. 

17.  Verbreitung  der  Erblindung  in  Rußland.     XXIV,  324. 

(Hierüber  hat  er  eine  ausführlichere  Arbeit  in  russischer  Sprache  veröffent- 
licht, und  zwar  auf  Grund  amtlicher  Mittheilungen.) 

»8.  Verschwinden  des  Akkomm. -Krampfes  durch  Eserin-Anwendung.     XXXVII, 
216,  183. 
Die  Gesamtzahl  der  Arbeiten  von  D.  beläuft  sich  auf  40  Veröffentlichungen 
und  umspannt  einen  Zeitraum  von  mehr  als  30  Jahren  (1868 — 1899). 

§  895.     Leomd  GKORGiEwiTSt.H  Bellarminoff'). 
Am    17.  Februar    I8ö!)    wiird(>   B.  als   Sohn    oiiips  Dorfgeistlichen    im 
Saratow'schen  Gouvernement  geboren.    Unter  den  größten  Schwierigkeiten 

Fig.  6. 


1)  Auszug  aus  dem  Lebensbild,  das  zu  seinem  30  j.  Arzt-Jubiläum,  auf  Wunsch 
des  russischen  Ausschusses,  von  J.  Hirschberg  verfaßt  und  im  Westnik  ophth., 
Dez.  1913,  abgedruckt  ist.  —  Von  meinem  Grundsatz  Nil  de  vivis  bin  ich  hier, 
aus  dem  §  732,  S.  80,  angeführten  Motiv,  abgewichen;  und  ebenso  in  §  909. 

14* 


212  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

und    Entbehrungen    konnte     er    das    klassische     Gymnasium    in    Saratoff 
(1870 — 1878)  und  später  die  Akademie  durchmachen. 

Als  er  1 883  seine  Prüfung  cum  eximia  laude  bestanden,  wurde  er 
unter  die  sieben  (von  den  300)  versetzt,  die  zur  Vervollkommung  ihrer 
Ausbildung  bei  der  Akademie  verbleiben  konnten,  und  arbeitete  3  Jahre 
unter  der  Leitung  von  Dobrowolsky  und  vom  Fürsten  Tarciunow.  Nach-  i 
dem  er  1  886  seine  Doktor-Schrift  vertheidigt,  wurde  er  von  der  Regierung 
zu  seiner  weiteren  Ausbildung  in's  Ausland  geschickt  und  genoß  die  Unter- 
Weisungen  von  Helmholtz,  Leber,  Sattler,  Wecker,  Schnveigger,  Schüler, 
Hirschberg  u.  a.,  auch  von  de  Wecker. 

Im  Jahre   1889   wurde    er    zum   Privat-Docenten    gewählt;   im   Jahre 
1893  erreichte  er  das  Ziel  seines  Strebens:  er  wurde  als  Nachfolger  seines 
Lehrers    Dobrowolsky,   der    in    den    Ruhestand    trat,    zum    Professor    der 
Augenheilkunde   an   der   Kaiserlich-Militär- Medizinischen    Akademie    zu    St.  . 
Petersburg  ernannt. 

Bedeutend  war  seine  Lehrthätigkeit:  über  SOOO  Studenten  hat  Bellar-  ! 
MINOFF  unterrichtet  und  genoß  die  reine  Freude,  daß  Männer  bedeutender  ' 
Leistung  aus  seiner  Klinik  hervorgegangen  sind. 

Erfolgreich    war  Bellarminoff  auch    in  der  Leitung  der  wissenschaft- 
lichen Arbeiten  von  Ärzten. 

So   sind   ihm  denn   auch   zahlreiche  Ehrungen   für  sein   wissenschaft- 
liches Wirken  zu  Theil  geworden. 

Sehr  verdienstvoll  war  die  Gründung  einer  besondren  Abtheilung  der 
Blinden-Fürsorge  der  Kaiserin  Maria  Alexandrowna.  In  den  19  Jahren, 
von  1897 — 1912,  sind  in  den  fliegenden  Lazareten  937  284  Augenkranke 
behandelt  und  297  806  Operationen  ausgeführt,  und  in  den  ständigen  i 
Krankenhäusern  3  216  279  Kranke  berathen  und  821  518  Operationen  ver- 
richtet worden.     Die  jährlichen  Ausgaben  betragen  200  000  Rubel. 

Arbeiten  von  Prof.  Bellarminoff. 

1.  Zur  Frage  über  die  Wirkung   des  Cocain   auf  das  Auge.     Klin.  M.  Bl.  f.  A. 
1883;  Russkü  Wratsch  i)  1883,  No.  33. 

2.  Anwendung  der  graphischen  Methode   bei  Untersuchung   der  Fupillenbewe- 
gungen,  Photocoreograph-).     Arch.  f.  d.  ges.  Phys.  1883. 

3.  Über  Brauchbarkeit  und  Genauigkeit  der  Tabellen  zur  Bestimmung  der  Seh- 
schärfe.    Arch.  f.  A.  1886. 

4.  Versuch  der  Utüisirung  der  graphischen  Methode  des  intraoculären  Druckes 
und  der  Pupillenbewegung.     B.  d.  Ophth.  Ges.  zu  Heidelberg  1887. 

3.  Demonstration  von  Injektions-Präparaten  des   Hunde-    und   Katzen-Auges. 

Bericht  über  d.  VII.  period.  internation.  ophth.  Kongreß  1888   und  Russkaja 

Medizina  1888. 
6.  Zur  Technik  der  Corrosion  von  Celloidinpräparaten.  Anat.  Anz.  1888,  No.  :22, 


1)  Wratsch  =  Arzt. 

2)  Von  ^m,  Licht;  xöqt],  Pupille;  yi^ücpM,  ich  zeichne:  eine  nicht  sehr  glück- 
liche Wortbildung. 


Das  klinische  Institut.    Dohnberg.  213 

7.  Demonstration   einer   neuen  Art   der   ophthalmoslcopischen    Untersuchung, 
Berlin  1888. 

8.  Über  intermittirende  Netzhaut-Reizung.  A.  v.  Graef e's  Arch.  f.  Ophth.  1889, 
XXXV,  1. 

9.  Die  kalorimetrische  Methode  der  Untersuchung  über  die  Diffundirung  in  die 
vordere  Kammer.     Russkii  Wratch  1892. 

10.  Pigmentirte  Retinitis  compliciit  durch  Glaukom.     Arch.  f.  A.  1893. 

M.  Über  die  Wirkung  des  Scopolamins   auf  das  Auge.     Russkii  Wratsch  1893. 

12.  Über    die    Organisation    der     Vorbeugungsmittel    gegen    die    Erblindung, 
Petersburg  1893. 

12a.  Über  die  Tluätigkeit  der  fliegenden  Kolonnen.    Russkii  Wratsch  1894. 

12b.  Über  die  Thätigkeit  der  fliegenden  Kolonnen  im  Jahre  1894. 

I2c.  Sur  les   niesures   prises   contre  la  cöcite  en  Russie  par  la  Societe  Marie 

pour  le  bien  des  aveugles.     Internat.  Kongreß  in  Moskau  1897. 
\id.  Statistisches  Material  über  die   bestcändige  oculistische  Hülfe  in  Rußland, 

1901. 

13.  Über  die  Diffundirung  in's  Auge  bei   verschiedenen  pathologischen  Erschei- 
nungen.    Westnik  Ophth.  1894. 

14.  Über  die  Tätowirung  der  Hornhaut  und  der  Conjunctiva.    Internat.  Kongreß 
1897. 

\ö.  Demonstration  des  Projections-Apparates  zu  Unterrichtszwecken,    Moskau 

1897. 
Iß.  Ein  seltener  Fall  von  Verletzung  beim  Kampfe  mit  einem  Bären,  1900. 
17.  Ein  Fall  von  langem  Verbleiben  eines  Fremdkörpers  im  Auge.    Vorträge  d. 

Ophth.  Ges.  1902. 

15.  Neue  Untersuchungen  über  die  Pathogenese  der  sympathischen  Ophthalmie. 
Arch.  f.  A.,  Bd.  44. 

B.  hat  deutsch  und  russisch,  gelegentlich  auch  französisch  geschrieben. 

§  S!>6.     Klinisches  Institut  der  (jiroßfürstin  Helene  Pawlowna 

in  Petersburg!). 

Im  Mai  1S8I3  wurde  ein  Institut  zui'  Fort])ildung  von  Ärzten  gegründet. 
An  der  Einrichtung  nahm  regen  Anlhcil  Prof.  Eiciiwald,  die  Mittel  aber 
stiftete  die  Großfürstin  Helene  Pawlowna.  Anfangs  bestand  nur  eine  thera- 
peutische und  eine  chirurgische  Abtheilung:  jedoch  schon  im  ersten  Semester 
erwies  sich  die  Nothwendigkeit  besondrer  Kurse  in  der  Augenheilkunde. 

Als  Lehrer  wurde  Dr.  Hermann  Dohnberg  berufen  und  für  die  Augen- 
kranken  in  der  chirurgischen  KHnik  vier  Betten  bestimmt.  Trotz  des 
kleinen  Kranken-Materials  war  der  Unterricht  der  Arzte  von  Anfang  an 
sehr  erfolgreich,  zumal  da  man  Dohnberg  erlaubt(!)  hatte,  seine  Privat- 
Augen-Heilanstalt  mit  zu  benutzen. 

Im  Jahre  1890  und  1891  wurde  die  Abtheilung  auf  23  Betten  er- 
weitert. Im  Dezember  1900  nach  dem  Tode  Dohnberg's  wurde  an  seiner 
Stelle  Prof.  Kostenitsch  ernannt,  der  aber  schon  nach  5  Jahren  starb. 

§  896  A.  H.  Doiinberg^)  war  1852  zu  Liebau  in  Kurland  geboren,  wo  er 
auch  das  Gymnasium  1869  beendete.    1874  machte  er  an  der  Dorpater  medi- 

1)  Herrn  Dr.  A.  v.  Poppe  bin  ich  für  die  Nachrichten  des  §  896  zu  Dank  verpflichtet. 

2)  Vgl.  den  Nachruf  im  C.  Bl.  f.  A.  1900,  S.  223.    (Dr.  Germann.) 


214  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

zinischen  Fakultät  seinen  Doktor.  In  seinem  letzten  Studienjahre  wirkte 
er  zu  gleicher  Zeit  auch  als  Assistent  an  der  chirurgischen  Klinik  von  Prof. 
E.  V.  Bergmann.  Nach  Beendigung  seiner  Studien  wurde  er  Volontär-As- 
sistent an  der  Petersburger  Augen-Anstalt,  1877  jüngerer  Arzt  und  1878, 
unter  Magawlv's  Oberleitung,  Ordinator.  1890  wurde  er  als  »Professor«  an 
das  klinische  Institut  berufen.  1900  starb  er  an  den  Folgen  einer  Wunde, 
die  ihm  ein  russischer  Kapitän  Ghekker  zugefügt  halte  ^]. 

Arbeiten  von  Dohnberg. 

1.  Über  Temperatur-Beobachtungen  am  Auge.    Diss.  v.   J.   187(5.     Vgl.  unsern 

§   499,    S.  174. 

2.  Über  Eserin-Gebrauch  in  der  Augenheilkunde.    St.  Petersb.  med.  W.  1881. 
C.  BI.  f.  A.  1881,  S.  6^2. 

3.  Operative    Behandlung  der   Trichiasis.    Westnik  üphth.  1884.    C.  BI.  f.  A. 
1884,  S.  385. 

D.  hat  auch  einen  Trachom-Quetscher  und  ein  Reib-Eisen  gegen  Trachom 
angegeben. 

§  897.     Die  Augenheilkunde  an  der  Universität  Moskau^). 

Die  erste  Nachricht  über  augenärzllichen  Unterricht  am  klinischen  Institut 
zu  IMoskau  stammt  aus  dem  .Jahre  1806  und  ist  an  den  Namen  1Iildei;i!ANDT 
geknüpft.  Derselbe  hielt  hn  Sommersemester  einen  theoretischen  Kurs  über 
Augenheilkunde ;  er  lehrte  auch  Chirurgie :  das  klinische  Material  war  unbe- 
deutend, da  die  chirurgische  Abtheilung  nur  über  sechs  Betten  verfügte. 

Theodor  Hildeurandt  (1773 — 1845)-^', 

1773  zu  Worms  geboren,  erhielt  dort  auch  seinen  ersten  Unterricht.  Nach 
dem  Tode  seines  Vaters  kam  er  nach  Moskau  zu  seinem  Onkel,  J.  Hildebrandt, 
Prof.  der  Anatomie  und  Physiologie  an  der  medico-chir.  Schule^)  zu  Moskau, 
studirte  an  dieser  Schule  1786 — 179  2,  und  wurde  an  derselben  zum  Lehrer 
der  Chemie  und  Botanik  ernannt,  diente  auch  gleichzeitig  als  Wundarzt  am 
Militär-Hospital. 

180  4  wurde  er  als  Prof.  der  Chirurgie  an  die  Univei'sität  berufen,  ohne 
sein  Amt  an  der  Akademie  aufzugeben ,  und  trug  auch  hier  Augenheilkunde 
vor.  An  der  Universität  blieb  H.  bis  1830,  an  der  Akademie  bis  1839  und 
ist   18  45  gestorben. 

Ein  zweiter  Hinweis  auf  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  stammt 
aus  dem  Schuljahr  1823/4;  diese  Sonder- Vorträge  wurden  im  klinischen  Audi- 
torium gehalten   und   dauerten  bis    18  45/6.      Der  Lehrer  war 

1)  Th.  Germann  sagt  in  seinem  Nachruf:  »Er  starb  als  Opfer  einer  feigen 
Rache.«  Nach  meinen  Erkundigungen  war  Kapitän  Ghekker  ein  Hochstapler,  und 
seine  That  als  Mord  zu  bezeichnen.  Ich  habe  D.  gut  gekannt  und  1897  seine 
Gastfreundschaft  erfahren. 

^)  §  897  ist  nach  dem  Bericht  von  Dr.  von  Poppen  gearbeitet,  mit  Zusätzen. 

3)  Nicht  im  Biogr.  Lex. 

4)  >In  den  vierziger  Jahren  wurde  die  Moskauer  medizinisch-chirurgische 
Akademie  mit  der  Universität  verschmolzen.«'     (Minerva  I,  376,  1911.) 


Moskau.    P.  Brosse.  215 

Dr.  med.  Ewenius'). 

Sein  Viller,  ein  Pharinaceut,  stammte  aus  Berlin,  war  in  den  siebziger  Jahren 
des  18.  Jahrhunderts  nach  Nowgorod  übersiedelt  und  hatte  dort  die  ei'ste 
Apotheke  eingerichtet. 

Den  ersten  Unterricht  erhielt  unser  E.  im  väterlichen  Hause;  1811  trat  er 
in  die  medizinische  Fakultät  der  Moskauer  Universität  ein,  beendete  1814  seine 
Studien,  wui'de  Arzt  2.  Klasse  an  dem  Tiraspoler  Jäger-Regiment  und  erwarb 
1818   den  Doktor. 

Hierauf  ging  K.  nach  Deutschland,  Frankreich,  England  zu  seiner  weiteren 
Ausbildung,  wurde  182  3  Adjunkt  an  der  med.  Fakultät  und  trug  Augenheilkunde 
bis    18 46   vor,   ferner  Meclianurgie  u.  a. 

1846  wurde  die  theoretische  Augenheilkunde  von  der  praktischen  getrennt, 
und  die  erstere  dem  Adjunkt  Dr.  Alionsky  zuertheilt,  der  1817  seine  Disser- 
tation De  Kcratonyxide  vertheidigt  hatte. 

1848  wurde  sein  Nachfolger  Dr.  Barsoif,  Adjunkt  der  Chirurgie,  mit  dem 
Auftrage,  Augenheilkunde  vorzutragen:  dies  that  er  bis  1854;  dann  wurde  er 
durcii  Prof.  Matschischenkoii    ersetzt. 

Die  praktische  Augenheilkunde  wurde  dem  Dr.  Bhossk  überwiesen, 
durch  dessen  Bemühung  um  1824,  nach  dem  Beispiel  von  Petersburg, 
auch  in  Moskau  eine  Augen-Heilanstalt  begründet  worden. 

ij897A.  Pkter  Bkosse  (1793— 1857)2' 

1793  zu  Riga  geboren,  studirte  in  Dorpat;  wurde,  nachdem  er  in  den 
Kriegs-Hospitälern  1812  Dienste  geleistet  und  dabei  schwer  am  Hospital- 
Typhus  erkrankt  war,  1814  in  Dorpat  Doktor,  machte  dann  eine  mehr- 
jährige Studien-Reise  nach  Österreich,  Rallen,  Frankreich,  Deutschland, 
kam  1(S20  nach  St.  Petersburg,  war  3  Jahre  lang  Arzt  im  Tschernigow'schen 
Gouvernement,  und  wurde  1 823  als  Ordinator  am  Galitzyn'schen  Hospital 
zu  Moskau  angestellt. 

An  dem  auf  seinen  Betrieb  gegründeten  und  allmählich  sich  vergrößern- 
den Augen-IIospilal  zu  Moskau  wurde  er  1826  Direktor  und  Olierarzt 
und  stand  demscllicn  31   Jahre  lang  vor,  bis  zu  seinem  Tode. 

In  dieser  Zeit  wurden  daselbst  14  216  Augen-Operationen  ausgeführt, 
darunter  2354  Star-Operationen  und  411   Pupillen-Bildungen. 

Im  Jahre  1846  wurde  er  zum  Prof.  der  praktischen  Augenheil- 
kunde ernannt  und  sein  Hospital  zur  Augenklinik  der  Universität  erklärt. 

1849  erhielt  er  den  Rang  eines  wirklichen  Staatsrathes.  Unter  den 
28  Abhandlungen,  die  er  theils  in  deutscher,  theils  in  russischer  Sprache 
verüffentlicht  hat,  sind  auch  einige  augenärztlichen  Inhalts. 

§  898.  Erst  im  Jahre  1860  wurde  an  der  Universität  endlich  ein 
a.  0.  Professor  für  Augenheilkunde  ernannt,  Dr.  Junge,  der  aber  noch 


1)  Nicht  im  Biogr.  Lex. 

2)  Biogr.  Lex.  VI,  S.  556.  (Gürlt.  Sehr  brauchbar.) 


216  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

in  demselben  Jahre  nach  Petersburg  berufen  wurde;  nach  kurzer  Zwischen-  ; 
zeit  wurde  sein  Nachfolger 

i 
Gustav  Braun  (1827—1897)1). 

In  Ostpreußen  1827  geboren,  hat  G.  B.  in  Moskau  1852  seine  Studien 
beendigt;  diente  dann  bis  1856  als  Militär-Arzt,  worauf  er  unter  A.  v.  Graefb 
zum  Augenarzt  sich  ausbildete,  1862  zum  a.  o.  Professor  der  Augenheil-  I 
künde  an  der  med.  Fakultät  der  Universität  zu  Moskau  und  1864  zum 
Oberarzt  des  Moskauer  Augen-Hospitals  ernannt  wurde.  »33  Jahre  lang 
hat  er  in  Moskau  Augenheilkunde  gelehrt.« 

Der  Titel  seiner  Dissert.    (vom  Jahre  1858,  Moskau)  lautet:    De  corneae  j 
fabrica  ac  functione  quaedam. 

Sonstige  Arbeiten  B.'s  sind: 

1.  Bau  und  Funktion  der  Netzhaut,  1861. 

2.  Über  Accommodation  u.  deren  Anomalien. 

3.  tJber  Glaukom.     Arch.  f.  0.  IX,  2,  222—227,  1863. 

4.  Zur  Heilung  des  harten  Stares.     XI,  1,  200—208,  18ßö. 

5.  Beitrag  zur  Nachstar-Operation.  Klin.  M.  Bl.  f.  A.  XI,  142,  1873.  (Quere 
Durchschneidung  des  ganzen  Nachstars.  Eigentlich  genau  nacli  dem  Ver- 
fahren von  Cheselden.     Vgl.  §  342.) 

6.  B.  hat  auch  ein  Lehrbuch  der  Augenheilkunde  in  russischer  Sprache  ge- 
schrieben.    (§  878.) 

3.  Die  Amaurose  mit  Sehnerven-Aushöhlung  ist  eine  besondere 
Form  des  Glaukoms.  B.  beobachtete  zwei  Männer  von  einigen  60  Jahren. 
Bei  jedem  war  ein  Auge  schon  vor  einigen  Jahren  vollkommen  erblindet, 
das  andre  noch  sehfähig.  Die  erblindeten  Augen  steinhart,  die  Hornhaut  |j 
mäßig  getrübt,  mit  ausgefallenen  Epithel-Zellen  u.  s.  w.  Die  Augen  waren 
allmählich  erblindet,  ohne  Verdunklungen,  ohne  Regenbogen-Sehen,  ohne 
akute  Anfälle.  Die  noch  sehfähigen  Augen  zeigten  Sehnerven-Aushöhlung, 
Beschränkung  des  G.-F.,  der  Akkommodation:  Iridektomie  bewirkte  geringe 
Verbesserung,  die  bis  jetzt,  d.  h.  18  Monate  lang,  andauert. 

4.  Bei  der  Star-Operation  mittelst  des  Lappenschnitts  hatte 
B.  45^  Verluste;  diese  wurden  auf  6^'  verringert,  seitdem  er  den 
Kranken  nach  der  Operation  Alkohol  verabreicht. 

§  899.  Von  1864 — 1892  war  der  ganze  ophthalmologische  Universi- 
täts-Unterricht in  der  Moskauer  Augen-Heilanstalt  gehalten  worden;  dann 
aber,  im  Jahre  1892,  wurde  eine  neue  Universitäts-Augenklinik  er- 
öffnet, unter  Leitung  von  Prof.  Maklakoff;  sowie  eine  Augen-Abtheilung 
am  Katharinen-Krankenhaus,  unter  Prof.  Krückow. 


1)  Biogr.  Lex.  I,  563  u.  VI,  548  (kurz);  Pagel,  Biogr.  Lex.  S.  232;  Klin.  M.  BI. 
■1897,  S.  212.  (J.  Talko.  Derselbe  schreibt:  >Wegen  seiner  gütigen  Gesinnung  und 
großen  Liebenswürdigkeit  war  B.  allgemein  behebt.«) 


Braun.     Maklakoff. 


217 


Alexei  NicoLAJEWiTSce  Maklakoff  (1837—1895)*' 

1  wurde  zu  Moskau  als  Sohn  eines  Arztes  im  Jahre   1837   geboren.     Seine 

erste  Ausbildung  erhielt  er  am  I.  Moskauer  Gymnasium,   bezog  darauf  die 

Universität  seiner  Vaterstadt  und  widmete  sich  dem  Studium  der  Medizin. 

Der  Grad  eines  Arztes  wurde  ihm  im  Jahre   1860  verliehen  und  dar- 
auf im  Jahre   1866,  nach  Einreichung  der  Inaugural-Dissertation  Ȇber  die 
traumatische    Entzündung    der    Netzhaut    des  Auges«    der    eines    Dr.    der 
\  Medizin. 

Im  Jahre  lS6i  erhielt  Fig.  7. 

er  einen  Ruf  an  die  Mos- 
kauer Augen-Heilanstalt,  in 
welcher  er  bis  an  sein 
Lebens-Ende  verblieb. 

Außerd<'m  bekleidete 
er  vom  Jahre  1 87 1  das 
Amt  eines  Prival-Docenten : 
im  Jahre  I8U0  wurde  er 
zum  Professor  ernannt. 
Seine  Vorlesungen  trug  er, 
sowie  auch  die  Praktika  mit 
den  Studenten  in  seiner 
Abiheilung  in  obengenann- 
ter Augen-Heilanstalt  vor, 
vom  Jahre  \S9i  an  aber 
in  der  neuerbauten  Augen- 
klinik. 

Auf  die  Organisation 
und  Einrichtung  dieser 
Klinik  verwandte  Prof. 
M.vKi.AKOFF  viel  Arbeit,  Mühe 
und  Sorgfalt  und  widmete 
sich  ihr  mit  ganz  besond- 
rer Liebe. 

Wiederholt  in  der  Woche  verbrachte  er  daselbst  buchstäblich  den 
ganzen  Tag,  wobei  er  sich  mit  dem  einfachen  Mittag- Essen  begnügte,  das 
allen  Kranken  gereicht  wurde,  und  die  Klinik  erst  um  11 — 12  Nachts  ver- 
ließ.    Nach   den  Operationen   und  Vorlesungen  begab   er  sich  gewöhnlich 


Prof.  A.  N.  Maklakoff. 


1)  Nach  C.  Bl.  f.  A.  1893,  S.  331.  (S.  Golowin.)  —  A.  d'Oc.  CXIII,  384.  (Nur 
Todes-Anzeige.)  Auch  die  Arch.  d'Opht.,  denen  er  so  manche  Arbeit  gewidmet, 
bringen  (XV,  400)  auf  9  Zeilen  nur  ein  Paar  Redens- Arten:  »La  Russie  pleure 
en  lui  un  de  ses  professeurs  les  plus  eminents. 


218  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— 1875. 

in  das  Laboratorium  der  Klinik,  wo  er  mit  fieberhaftem  Eifer  seinen  Ar- 
beiten oblag. 

In  wissenschaftlicher  Hinsicht  hatte  für  ihn  die  physikalische  Seite  der 
Ophthalmologie  ein  ganz  besondres  Interesse,  da  die  Physik  (Ijesonders 
die  Lehre  von  der  Elektricität)  sein  Lieblings-Studium  war.  Darum  be- 
handelt auch  der  größte  Theil  seiner  wissenschaftlichen  Arbeiten  dieses 
Thema,  so  z.  B.  von  der  Ophthalmo-Tonometrie  (Arch.  d'Opht.  181)2), 
von  dem  Einfluß  des  Lichtes  des  VoLTA'schen  elektrischen  Bogens  auf  die 
Haut  und  das  Auge,  von  der  Anwendung  des  Elektromagneten  als  Massage 
bei  Augenkrankheiten  u.  s.  w.  (Seine  Arbeiten  veröffentlichte  M.  in  rus- 
sischen Zeitschriften  und  in  den  französischen  Arch.  d'Opht.^') 

Bei  aller  Liebe  zu  seinen  wissenschaftlichen  Arbeiten  im  Laboratorium 
gehörte  Dr.  Maklakoff  doch  nicht  zu  den  Gelehrten,  denen  das  Leben, 
und  die  dem  Leben  fremd  sind. 

Öftere  Reisen  ins  Ausland  und  ein  beständiger  lebhafter  Verkehr  mit 
einem  zahlreichen  Freundes-  und  Bekannten-Kreise,  zu  dem  viele  hervor- 
ragende Gelehrte  Deutschlands,  Frankreichs  und  Italiens  gehörten,  ließen 
ihn  mit  stets  regem  Interesse  allen  beachtenswerthen  Ereignissen  und  Strö- 
mungen des  europäischen  Geisteslebens  folgen. 

Ein  leidenschaftlicher  Naturfreund,  beschäftigte  er  sich  in  seinen  Muße- 
stunden mit  Naturwissenschaften,  mit  der  Bienenzucht  und  mit  der  Malerei. 

Selbst  dem  Gemeinwesen  seiner  Heimat  widmete  er  ein  warmes  Inter- 
esse und  arbeitete  auch  auf  diesem  Felde  nach  Kräften,  als  Glied  der 
Semstwo  (der  Landes-Stände)  und  als  Stadtverordneter  in  der  Duma  (dem 
llath)  von  Moskau.  Hier  erscheint  er  unter  andren  als  kühner  Verfechter 
der  Gerechtsame  der  Abgeordneten  in  den  Epochen,  wo  denselben  eine 
Beschränkung  drohte.  So  machte  seine  feurige  Rede  in  der  Sitzung  der 
Duma  im  Jahre  1 892  einen  tiefen  Eindruck,  eine  Rede,  welcher  seine  De- 
mission auf  dem  Fuße  folgte.  .  .  .  Am  6.  Mai  1895  ist  er  verstorben-). 

Liste  von  A.  N.  Maklakoff's  Arbeiten. 

i81\.     ].  Fall  von  außergewöhnlicher  Excavation.    Russisch.   S.  B.  der  phys.-med. 
Ges.  zu  Moskau. 
2.  Kurzsichtigkeit  bei  Schulkindern.     Russisch.     Ebendas. 
1872.      3.  Natrum  bicarb.  bei  Pannus.     Russisch.     Ebendas. 

1874.  4.  Über  das  Chiasma.    Jahrb.  der  Chir.  Ges.  zu  Moskau.    (R.  Halbblindheit 

und  Anästhesie  d.  r.  Körperhälfte  bei  einem  Syphilitischen.) 

1875.  4  a.  Über  das  Chiasma.     Russisch.     Ann.  d.  chir.  Ges.  zu  Moskau. 

ö.  Cysticercus  im  Auge.     Ebendas. 
6.  Kapsel-Ausziehung.    Ebendas. 


1)  Mein  Freund  Maklakoff  war  der  einzige  russische  Fachgenosse,  mit  dem 
ich  französisch  sprechen  mußte.    H. 

2)  In  Minerva  XXI,  S.  842,  1911/12  ist  sein  Sohn  Alexei  Alexevic  M.  als  a.  o. 
Prof.  der  Augenheilk.  zu  Moskau  verzeichnet. 


Adrian  Krückow.  219 

».S7ü.     7.  Orbital-Geschwülste.    Ebendas. 

1877.  8.  Ätiologie  der  Sehnerv-  u.  Netzhaut-Kr.  ^Seh-Schwund  bei  2 — 1  ajähri- 
gen neben  Hyperostose  an  der  großen  Fontanelle.)  C.  Bl.  f.  A., 
März  1898. 

1882.  9.  La  sphincterectomie  et  le  sphincterectome.  Arcli.  dOphth.,  S.  230.  Fer- 
ner im  C.  Bl,  f.  A.  1882.  S.  122,  aus  dem  franz.  Manuskript  übertragen 
von  J.  IL,  mit  Abbildung. 

Das   Instrument   besteht  aus  der  Iris -Schere   und  einem   Iris- 
Häkchen:  es  ersetzt  einen  Gehilfen. 
1884.    10.  Über    Fixirung    des    Augapfels    bei    Operationen.     Russisch.     Westnik 
Ophth.,  Juli— Okt. 
10  a.  Französisch.     Arch.  d'Opht..  S.  '»65. 

11.  Le  perimütre  de  precision.     Arch.  d'Opht,  S.  83. 

12.  L'ophthalmomyotomie.     Ebendas.,  S.  239. 

13.  Procedö  operatoire  de  la  cataracte.     Ebendas.,  S.  242. 

14.  Pr.  op.  contre  le  tricliiasis.     Ebendas.,  S.  24.3. 

1887.  15.  Notice  sur  la  valeur  du  peroxyde  dhydrogene  comme  remede  therapeu- 
tique  et  diagnostique.  Arch.  d'Upht.  VII,  198.  »Antisepticum.«  Vgl. 
C.  Bl.  f.  A.,  S.  276.     (Auch  Russisch.     Russkaja  Medicina,  No.  'i.) 

1889.  16.  Linfluence  de  la  lumii-re  voltaique  sur  les  teguments  du  corps  humain. 
Arch.  d'Opht ,  S.  97,  (Reizung  der  Hörn-  u.  Bindehaut  durch  die  che- 
mischen Strahlen,  wogegen  gelbe  Gläser  empfohlen  werden.  C.  Bl, 
f.  A,,  S.  248— 2,j0.  —  Auch  Russisch,    Westnik  Ophth.  VI,  3,  S.  -213.) 

1892,  17.  Contribution  ä  rophthalmotonometrie.     Arch,  d'Opht,,  S.  321.     Ausführ- 

lich referiert  im  C.  Bl.  i.  A.  1892,  S,  463,    Abbildung  u,  Beschreibung 
von  M.'s  Tonometer  lindet  sich  in  unsrem  Handbuch  IL  2,  S.  .117 
1903,  Th.  Leber  1. 
18.  Contribution   ä   l'etude  de  lintluence  de  la  lumicre  61eclr.  sur  la  peau. 
Arch.  d'Opht,,  S,  129:  C,  Bl.  l  A.,  S.  4ö9, 

1893,  l'j,  La   plunie    electricjue    d'Edison    dans    I'ophtalmologie,     Arch.  dOphl, 

XIII,  .330,     Auch  Russisch.      Chirurgitscheskaja  Ljeotopissij   HI,  6, 
Ausführlicii  referiert  im  C.  Bl.  f.  A,  1893,  S,  31, 
1893,    20.  Ophthalmoskopische  Bilder  auf  Glas.     Russisch.     Chir.  Ljet.  V,  316, 

21.  Sehnerven -Kolobom.      Westnik  Ophth.   XII,   2,  228;    C.  BL   f.   A.    1.893, 

S.  475. 

22.  Kolobom  der  Macula.     Westnik  Ophth.,  S.  238. 

§900.    Adrian  Krückow  (1849 — 1908)". 

Im  Gouvernement  Saratow  1849  geboren,  studirte  K.  in  Moskau,  be- 
endigte die  Universität  187i  und  vertheidigte  1873  seine  Dissertation 
»Über  die  Farben-Empfindung  in  der  .Netzhaut-Peripherie«,  Hierauf  ging 
er  in's  Ausland,  wo  er  1874 — 1876  in  Güttingen,  Heidelberg,  Berlin  und 
Paris  arbeitete.  Unter  Leber's  Leitung  führte  er  Untersucliungen  über 
Resorptions-Verhältnisse  der  Hornhaut,  über  Keratitis  und  Ilornhaut-Sta- 
phylom  aus,  Otto  Becker  hatte  in  ihm  einen  tüchtigen  Mitarbeiter  bei 
der  Herausgabe  der  »photographischen  Abbildungen  von  Durchschnitten 
gesunder  und  kranker  Augen«. 


1)  Nach  C.  Bl.  f.  A.  190S,  S.  332,     (A,  Natanson,)  —  Vgl.  Klin,  M.  Bl.  XLVI, 
II,  447  u,  639.     Ferner  Clinique  opht.  1908,  S.  365. 


220 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— 1870. 


Seine  Thätigkeit  in  Moskau  begann  Krückow  als  Assistent  des  talent- 
vollen WoiNow.  Nach  dem  Ableben  Woinow's  ging  dessen  Privat-Augen- 
klinik  in  Krückow's  Hände  über.  In  dieser  Anstalt,  die  sich  eines  vor- 
trefflichen Rufes  erfreute,  hielt  Krückow'  seit  seiner  Habilitation  (1886) 
seine  Vorlesungen.  1892  erlangte  er  die  a.  o.  Professur  und  eine  Abthei- 
lung im  Neuen  Katharinenspital  als  Klinik. 

Fig.  8. 


Prof.  Adrian  Krückow. 

1895  wurde  ihm  die  ordentliche  Professur  und  die  Leitung  der  drei 
Jahre  zuvor  von  seinem  Vorgänger  Maklakoff  eröffneten,  neuen  Universi- 
täts-Augenklinik übertragen. 

Als  akademischer  Lehrer  hat  K.  bald  die  führende  Rolle  in  Rußland 
gewonnen  und  bis  zu  seinem  Tode  behauptet:  sein  russischer  »Kursus  der 
Augenkrankheiten«  i)  hat  in  diesem  Zeitraum,  trotz  jahrelanger  Unter- 
brechung jeglichen  akademischen  Lebens  im  Lande,   sieben  Auf- 

1)  Moskau  1894  (320  S.,  152  Fig.).  Dies  Exemplar  be.sitze  ich,  mit  der  Wid- 
mung des  Vf.s. 


A.  Krückow.  221 

lagen  erlebt,  —  ein  für  ein  russisches  medizinisches  Handhuch  ungewöhn- 
licher Erfolg;  auf  sämmtlichen  medizinischen  Fakultäten  Rußlands  haben 
viele  Generationen  von  Ärzten  aus  diesem  Buche  ihre  augenärztlichen 
Kenntnisse  geschöpft. 

Nicht  minder  verbreitet  sind  seine  1907  in  G.Auflage  erschienenen 
Sehproben  mit  Lesebuch  in  russischer,  armenischer,  grusinischer,  hebräischer 
und  tatarischer  Sprache. 

Seine  sonstigen  VerülTentlichungen  sind  in  russischen  und  deutschen 
Zeitschriften  und  in  den  Sitzungsberichten  der  Gesellschaften  erschienen. 
Dieselben  beziehen  sich  auf  verschiedene  Fragen  des  Faches,  u.  a. :  Aus- 
ziehimg von  Eisensplittern  aus  dem  Aug(\  operative  Behandlung  des  Glau- 
koms, intraokulare  Tumoren,  Orbital-Affektionen  (darunter  wiederkehrende 
Orbital- Blutungen  bei  Skorbut),  angeborene  Anomalien  (darunter  Fehlen 
des  M.  rectus  ext.),  Retinitis  proliferans,  Cysten  der  Iris,  knötchenförmige 
Hornhaut-Trübung,  spontane  Aufsaugung  des  Greisen- Stars,  Wiederauf- 
hollung  des  Wundstars. 

Die  üi)erwiegende  Äfehrzahl  der  Mittheilnngen  und  Beobachtungen  aus 
seiner  reichen  Erfahrung  ist  jedoch  in  .Artikeln,  Vorträgen  und  Demonstra- 
tionen seiner  zahlreichen  Schüler  (meist  in  der  Moskauer  augenärztlichen 
Gesellschaft)  enthalten.  Eine  stattliche  Anzalil  großer  Beobachtungs-  und 
Untersuchungsreihen  aus  seiner  Klinik  (Dioptrik,  Ophthalmometrie,  Schiel- 
und  Myopie- Operationen)  gelangte  in  gediegenen  Dissertationen  an  die  Offenl- 
lichkeit. 

Viele  Jahre  hindurch  gab  K.  im  C.  Bl.  f.  .\.  als  ständiger  Mitarbeiter 
systematische  Berichte  über  die  russische  ophthalmologische  Literatur  her- 
aus. 1904  übernahm  er  die  Redaktion  des  von  Prof.  Chodin  in  Kiew  ge- 
gründeten »Wcstnik  Ophthalmologii«  (d.  h.  augenärztlicher  Bote)  und  scheute 
keine  Mühe  und  keine  materiellen  Opfer,  um  dieses  einzige  russische  augen- 
ärzUiche  Blatt  in  seiner  Entwicklung  zu  fördern. 

Eine  lange  Reihe  von  Jahren  waltete  er  mit  Eifer  und  Arbeitsfreudig- 
keit seines  Amtes  als  Vorsitzender  der  Moskauer  augenärztlichen  Gesell- 
schaft. Mit  Genugthuung  konnte  er  auf  seine  organisatorische  Thätigkeit 
beim  internationalen  Kongreß  in  Moskau  1X97  zurückblicken;  seine  J\Iühe- 
waUung  um  den  Erfolg  der  ophthalmologischen  Sektion,  seine  Gastfreund- 
schaft, seine  überaus  einnehmende,  gemüth volle  PersönHchkeit  haben  die 
verdiente  Anerkennung  der  Fachgenossen  aus  dem  Westen  gefunden,  die 
damals  in  der  alten  Hauptstadt  des  Landes  in  großer  Zahl  sich  versam- 
melten. Auch  im  Auslande  war  er  auf  Kongressen  imd  Versammlungen 
ein  gern  gesehener  Theilnehmer:  in  den  letzten  Jahren,  als  zunehmende 
Kränklichkeit  ihn  zwang,  in  deutschen  Heilstätten  zu  weilen,  besuchte  er 
regelmäßig  die  Versammlungen  der  Ophthalmologischen  Gesellschaft  in 
Heidelberg,  der  er  seit  Jahrzehnten  angehörte. 


222  XXIII,  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

Am   19.  Okt.  1908  ist  er  einer  Lungen-Entzündung  erlegen^). 

Die  russische  medizinische  und  wissenschaftliche  Welt  hat  in  Krückow 
einen  um  so  schwereren  Verlust  erlitten,  als  hier  die  Reihen  der  gut  aus- 
gebildeten Gelehrten  und  Ärzte  in  den  letzten  schweren  Jahren  mehr  ge- 
lichtet worden  sind,  als  je.  Die  Menschheit  hat  in  ihm  einen  ihrer  Besten  2) 
verloren. 

§  901.  Neben  den  drei  ordentlichen  Professoren  (Braun,  Maklakoff, 
Krückow)  sind  aus  Moskau  noch  vier  Fachgenossen  als  Förderer  der  Augen- 
heilkunde zu  erwähnen. 

1.  M.  WoiNow'') 
studirte  Heilkunde  in  Rußland,  physiologische  Optik  bei  IIelmholtz  in 
Heidelberg,  Augenheilkunde  bei  0.  Becker,  bei  Arlt  in  Wien  und  auch  ein 
Semester  lang  in  Berlin'*),  ließ  sich  in  Moskau  nieder,  begründete  eine 
Privat-Augenklinik,  erlangte  großen  Ruf  als  Augenarzt  und  Lehrer  (Privat- 
Docent)  unsres  Fachs,  ist  aber  sehr  jung  verstorben,  um  1875. 

WoiNOw  war  ein  sehr  fruchtbarer  Schriftsteller.  In  deutscher 
Sprache^)  hat  er  drei  Sonderschriften  verfaßt: 

1.  Ophthalmometrie.  Wien  1871.  (130  S.)  Die  erste  Sonderschrift 
über  diesen  Gegenstand.  —  Unter  den  40  Nummern  der  Literatur  ist  der 
Name  Javal  noch  nicht  verzeichnet. 

Das  Büchlein  ist  H.  Helmholtz  gewidmet  und  entwickelt  dessen  Art 
der  Ophthalmometrie. 

2.  Vorher  waren  schon  erschienen: 

Ophthalmometrische  Studien  von  Dr.  Aug.  Reuss,  Ass.  an  der  Augen- 
klinik der  Wiener  Univ.  [des  Prof.  Arlt]  u.  Dr.  M.  Woinow  aus  Moskau. 
Wien  1869.    (59  S.,  5  Holzschnitte.) 

Enthält  Untersuchungen  über  Hornhaut-Astigmatismus  nach  Star-Aus- 
ziehung, über  den  Winkel  «  und  einen  neuen  Apparat  von  Woinow  zur 
ophthalmometrischen  Messung. 

3.  Über  das  Verhalten  der  Doppelbilder   bei  Augenmuskel-Läbmungen 


1)  GoLowiN  wurde  sein  Nachfolger. 

2)  Mir  war  Krückow  ein  Freund,  nicht  erst  seit  1897,  wo  wir  sein  Haus  be- 
wohnten, in  seiner  Troika  fuhren,  in  seiner  Datscha  speisten.  Als  meinen  wissen- 
schaftlichen Enkel  liebte  ich  ihn  zu  bezeichnen,  da  er  Schüler  Woinow's,  und 
dieser  der  meinige  gewesen.  Kuückow  war  vor  seiner  Erkrankung  ein  Bild  männ- 
licher Schönheit,  dazu  von  jener  unendUchen  Herzensgüte,  wie  wir  sie  aus  Tur- 
genjew und  Tolstoi  kennen,  von  unerschütterhchem  Pflichtgefühl,  angebetet  von 
seinen  Kranken.     J.  H. 

3)  A.   d'Oc.   1875,  S.  292. 

4)  Hier  hörte  er  meine  Vorlesungen.  (1871/72.)  Ich  war  mit  ihm  gut  be- 
freundet. 

.5)  Die  er  aber  nicht  gut  bemeisterte. 


Woinow.    Logetschnikoff.  223 

in    15   Tafeln    dargestellt.      Wien    IS70.       (Gleichfalls    H.    Helmholtz    ge- 
widmet.) 

Von  WoiNOAv's  Abhandlungen,  die  alle  in  deutscher  Sprache  geschrieben 
sind,   erwähne  ich  die  folgenden. 

A.  Archiv  f.  Ophth. 

1.  Zur  Bestimmung  der  Sehschärfe  bei  Ametropie.    XV,  ä,  U4 — U."),  1869. 

2.  Das  Sehen   mit  dem   blinden  Fleck  u.  seiner  Umgebung.     XV,  2,  153 — 160. 

3.  Über  die  Akkommodation.     XV,  2,  167—172. 

4.  (Mit  ADAMi'iK.;     Über  die  Akk.  des  Presbyopen.     XVI,  1,  144—153. 

5.  Über  den  Wettstreit  der  Sehfelder.     XVI.  1,  194—199. 

6.  Zur  Lehre  vom  binokularen  Sehen.     XVI,  1,  200—211. 

7.  Zur  Farben-Empfindung.     XVI,  1,  212—224. 

8.  Zur  Kenntnis  des  Winkels  «.     XVI,  1,  225—242. 

9.  Über  den  Drehpunkt  des  Auges.     XVI,  1,  243— 2.i0. 

10.  Über  die  Intensität  der  Farben-Empfindung.     XVI,  1,  2:>1 — 264. 

11.  (Mit  Adamük.)     Zur  Lehre  von   den  negativen  Nachbildern.     XVII,  1,  135 
bis  157. 

12.  Über  die  Pupillen-Veränderung  bei  der  Akkommodation.     XVII,  1,  l'iS — 168. 

13.  Zur  Lehre  von  den  Augenbewegungen.    XVII,  2,  233—240. 

14.  Zur  Diagnose  der  Farbenblindheit.     XVII,  2,  241-248. 

15.  Der  Einfluß  der  optischen  Gläser  auf  die  Sehschärfe.     XVII,  1,  349—355. 

16.  Strychnin  bei  Amblyopien.     XVIII,  2,  38  —  48. 

17.  Bemerkung  zum  Brillengebrauch.     XVIII,  2,  49— .15. 

18.  Akkomm.- Vermögen  bei  Aphakie.     XIX,  3,  107 — H8. 

19.  Beiträge  zur  Farbenlehre.     XXI,  1,  223—250. 

B.  Klinische  Monatsbl.  f.  A.»). 

Von  der  Krystall-Linse.     VII,  411. 

Ophthalmometr.  Messungen  der  Linse.     VII,  476. 

Winkel  «.    VII,  482. 

Diagnose  der  Farbenblindh.     IX,  377. 

Rad-Drehung  des  Auges.     IX,  387. 

Astigm.  bei  Slar-Operirten.     IX,  466. 

Ophthalmometr.  Messungen  an  Kinder-Augen.     X,  280. 

Brechungs-Koefücienlen  der  verschiedenen  Linsen-Schichten.     XII,  4u7. 

Kreuzung  der  Sehnerven.    XIII,  424. 

In  französischer  Sprache  veröfTentlichte  W.  eine  Übersicht  russischer 
augenärztlicher  Literatur  aus  dem  Jahre  1871,  A.  d'Oc.  LXVII,  259  fgd. ; 
und  hat  auch   in   russischen  Zeitschriften  über  seine  Arbeiten  berichtet. 

§  902.  2.  S.  N.  Logetschnikoff  (1838—1911)2). 

hii  Jahre  1838  geboren,  bestand  Logetschnikoff  1858  sein  Doktor- 
Examen  und  arbeitete  sodann  in  den  Hochschulen  von  Berlin,  Wien  und 
Paris,  wo  er  Augenheilkunde  bei  v.  Arlt,  v.  Graefe,  v.  Jäger  und  Des- 
MARRES  studirte.      1865  wurde  er  ordinirender  Arzt  und  1897  Direktor  der 


1)  Kürzere  Mittheilungen  über  die  Gegenstände  seiner  Archiv- Arbeiten. 
2]  Nach  C.  Rl.  f.  A.  1911,  August— Sept.     (A.  Natanso.x  jun.,  Moskau.) 


224 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— 1875. 


Moskauer  Augen-Heilanstalt,   mit  welcher   er  in  45 jähriger  Thätigkeit  un- 
unterbrochen verbunden  war. 

LoGETSCHNiKOFF    Veröffentlichte    grundlegende    Arbeiten,    welche    sehr 

wichtige   Fragen   der  Augenheilkunde  berührten.     Seine   erste  größere  Ar- 

p-^  beit  (A.  V.  Graefe's  Archiv  XVI, 

1,  353—363,  1870)  behandelte 
die  Entzündung  des  Giliarkörpers 
bei  Rückfallfieber  1).  In  dieser, 
73  Fälle  umfassenden  Arbeit  gab 
LocETSCHNiKOFF  eine  klassische 
Beschreibung  der  Krankheit.  Als 
sehr  werthvoU  müssen  bezeichnet 
werden  die  Beobachtungen  Lo- 
(iETSCHNiKOFF's  Über  Zusammen- 
hang zwischen  Katarakt  und 
Tetanie,  seine  Arbeiten  über  ein 
neues  Augen- Symptom  der  dif- 
fusen Sklerodermie,  über  ope- 
rative Behandlung  der  Embolie 
der  Gentralarterie,  über  trau- 
matisches Glaukom. 

Alle  Arbeiten  Logetschni- 
koff's  zeichnen  sich  aus  durch 
scharfe  Beobachtungskunst,  ein- 
gehende Beschreibung  des  klini- 
schen Bildes  und  durch  kritisches 
Verhalten  zur  vorhandenen  Lite- 
ratur. 

In   der  Person  Logetsciini- 
koff's  verlor  die  russische  Ophthalmologie  eine  große  Kraft  .  .  . 

Als  Mensch  erfreute  sich Lo(;etschnikoff  einer  allgemeinen  Sympathie 2) ... 


Dr.  S.  N.  Losetschnikoff. 


§  903.  3.  A.  Natanson  senior  (1862—1909)3) 

sludirte  in  Dorpat  1883  — 1888,  war  dann  Gehilfe  an  der  St.  Petersburger 
Augen-Heilanstalt,  danach  an  der  Augenklinik  des  klinischen  Instituts,  hier- 
auf Ordinator  an  der  allgemeinen  Anstalt.  '^ 

Im  Jahre  1896  übersiedelte  er  nach  Moskau  und  wurde  von  der  medi- 
zinischen Fakultät  einstimmig  zum  Docenten  srewählt;    aber  trotz  der  Be- 


ll Vgl.  §  884  (R.  Blessig)  u.  §  903  (A.  Natanson). 

2)  Ich  hatte  zu  ihm  die  besten  Beziehungen.   (Oft  versuchte  er,  mir  die  weiche 
Aussprache  des  g,  das  in  seinem  Namen  vorkommt,  beizubringen.) 

3)  Nach  C.Bl.  f.A.  1910,  S.  94.    (J.  Hirschberg.)    Vgl.  Khn.  M.  BI.  XLVIII,  1, 199. 


A.  Natanson  sen.     Katharina  Kastalsky. 


225 


mühungon  von  A.  Kri'ckow  inulUe  er  volle  zehn  Jahre  warten,  da  wogen 
seines  jüdischen  Glaubens  die  Bestätigung  vom  Kultus- Minister  nicht  zu 
haben  war. 

Endlich  im  Jahre  1896  erlangte  er  die  Möglichkeit  einer  akademischen 
Thütigkeit,  der  er  nur  so  kurze  Zeit  sich  erfreuen  sollte. 

Von  seinen  werthvollen  Arbeiten  seien  die  über  l'rühjahrs-Katarrh  in 
Rußland,  über  Spontan-Auflüsung  des  Stars,  über  Iridochor.  nach  Rück- 
falls-Fieber i)  erwähnt. 

^904.  i.  Katiiarkna  Kastalsky  (1864  — 1899). 

Am  9.  März  1861  zu  Moskau  als  Tochter  eines  Oberpriesters  geboren, 
studirte  sie  am  zweiten  Mädchen-Gymnasium,    das  sie  aber,    ohne  der  Ab- 

Fig.  10. 


Dr.  Katharina  Kastalsky. 


gangs-Prüfung  sich  zu  unterziehen,  im  Mai  'ISSS  verließ,  aus  leidenschaft- 
lichem  Trieb   zur   Wissenschaft;    studirte    dann    vier  Jahre   an    der    natur- 

1)  S.  B.  des  Moskauer  ophth.  V.  1896;    C.  Bl.  f.  A.  -1897,  S.  4  60;   ferner  Klin. 
M.  Bl.  1909,  XLVII,  II,  250. 

Ilimdluich  -ler  Aiigenlieilkuiule.    2.  Aufl.    XIV.  r.d.  (VlI.)  XXIII.  Kap.  -)3 


226  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

wissenschaftlichen  Abtheilung  der  philosophischen  Fakultät  für  Frauen  und 
ging,  da  es  in  Rußland  für  Frauen  damals  keine  Möglichkeit  des  Medizin- 
Studiums  gab,  nach  Bern,  wo  sie  volle  13  Semester  Heilkunde  studirte 
und  \HS'6  ihr  Doktor-Diplom  erhielt,  mit  der  gründlichen  Dissertation  über 
die  Ätiologie  der  Cystitis. 

Hierauf  arbeitete  sie  an  der  Augenklinik  der  Universität  zu  Moskau, 
1897  auch  in  dem  nach  Weliki  Ushüg  (Wologda)  gesandten  fliegenden 
Lazaret,  und  bearbeitete  mit  Erfolg  eine  Reihe  theoretischer  Fragen  der 
Augenheilkunde,  besonders  über  pathologische  Anatomie  und  Bakterio- 
logie. 

Ihr  Wunsch,  vollberechtigter  Arzt  zu  werden ,  stieß  auf  Hindernisse. 
Ihr  Gesuch,  eine  Prüfung  in  der  lateinischen  Sprache  abzulegen  und  später 
dem  Staats-Examen  sich  zu  unterwerfen,  wurde  1896  und  1898  abgelehnt; 
endlich  erzwang  sie,  auf  Grund  der  Gesetze,  die  Zulassung  zum  CoUoquium 
für  auswärtige  Ärzte  und  erhielt  Juli  1 898  die  sehnsüchtig  erstrebte  Be- 
rechtigung. 

Diese  Aufregungen  sowie  anstrengende  Studien  hatten  ihre  Thatkraft 
geschwächt.  Im  Jan.  1899  wurde  sie  von  Unterleibs-Typhus,  mit  nach- 
folgender Endocarditis,  befallen.  Nach  8  monatlichen  Leiden  ist  sie  am 
26.  Sept.  1899  verstorben. 

Vor  mir  liegt  ein  Buch 

»Gesammelte  Abhandlungen  von  Katharina  Kastalsky,  Dr.  med.  Nach 
dem  Tode  der  Verfasserin  herausgegeben.«  Moskau  1900^).  (151  S.  Die 
meisten  Arbeiten  sind  in  deutscher  Sprache;  die  russische  Übersetzung 
ist  beigefügt.) 

Es  ist  eine  Todten- Klage,  aus  warmen  Herzen  der  Freunde,  wie 
Goethe's  Euphrosyne  oder  Schiller's  Naenie.  Die  hauptsächlichsten  Ar- 
beiten sind:  Zur  Ätiologie  der  Panophth.  (Westnik  Ophth.  1897;  C.  Bl.  f.  A. 
1898,  S.  611.)  Aktinomykose  des  Thränen-Rülirchens.  (Deutsciimann's  Beilr., 
H.  30.)  Ein  Fall  von  doppelseitigem  Golobom  der  Macula  lutea.  (Arch. 
f.  A. ,  Bd.  36.)  Über  hyaline  Kugeln  beim  Trachom.  (Ber.  des  Moskauer 
Kongr. ;  C.  Bl.  f.  A.  1898,  S.  43.)  Die  Forscherin  hat  nachgewiesen,  daß 
nicht-pathogene  Bakterien  beim  Menschen  Ursache  der  eitrigen  Pant- 
ophthalmie  sein  können.  Ihr  ist  die  Rein-Kultur  des  Strahlen-Pilzes  aus 
den  Absonderungen  der  Thränen-Röhrchen  zuerst  gelungen.  »Den  Sinn  des 
Lebens  sah  sie  im  uneigennützigsten  Dienst  der  Wissenschaft  und  des 
Nächsten  2).« 

Wir  besitzen  ein  weitschweifiges  Werk: 

Die  Verdienste   der   Frauen  um   Naturwissenschaft,    Gesundheits-  u.   Ileil- 


1)  Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1901,  S.  U.    (J.  Hirschberg.) 

2)  Jeder,  der  Prof.  Krückow's  Klinik  zur  Zeit  des  Moskauer  Kongresses  be- 
sucht hat,  wird  ihr  ein  sympathisches  Gedenken  bewahren. 


Augen-Heilanstalten  zu  Moskau.  227 

künde  .  .  .  von  der  ältesten  Zeit  bis  aui'  die  neueste  .  .  .  von  Dr.  Chr.  Harless 
.  .  .   Güttingen    I8H0.     (XVI  +  296  +  8:3  S.) 

Ferner  Bauuoin,  Les  femmes-medecins,  Paris  1901;  Lu'Inska,  Hisloire  des 
fenimes  medecins. 

Auf  unsreni  Sondergebiet  sind  wir  bisber  Frauen  nur  selten  begegnet.  Vgl. 
tj  2G6,  S.  28;  §  :U9,  S.  330;  §  778,  S.  2  4,  AnmT  3;  §  527,  S.  338  (Rosa 
Kerschbauuier). 

§905.    Augen-Heilanstalten  zu  Moskau  ^). 

1.  Der  Bau  der  Universitäts-Augenklinik  wurde  unter  Prof.  Bratn  be- 
gonnen, unter  Prof.  Maklakoff  beendigt;  die  ErütYnung  fand  statt  am 
4.  Nov.   1892. 

Die  Klinik  besteht  aus  der  Ambulanz,  der  stationären  Abtheilung  (mit 
:Ji  Betten)  und  dem  Laboratorium.  H.  Kr.  (vom  1.  Dez.  1895  bis  zum 
1.  Dez.  189())  =  292;  A.  Kr.  =  3209,  Operationen  335,  darunter  80  typi- 
sche Star-Operationen. 

Eine  Mappe  von  Lichtbildern  erläutert  die  Einrichtung  dieser  treff- 
lichen Anstalt  2). 

2.  Die  Moskauer  Augen-Heilanstalt 
wurde  von  Dr.  Bkosse  (§  897  A)  im  Jahre  1826  gegründet    und    31   Jahre 
lang  geleitet.     Von  18(15 — 1911   hat  Lo(;etschmkoff  ihr  seine  ganze  Kraft 
gewidmet. 

Die  große  und  gut  eingerichtete  Anstalt,  die  ich  aus  eigner  Anschau- 
ung kenne,  hat  auch  zum  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  gedient,  bis 
zum  Jahre  1S92. 

3.  Im  Jahre  1900  wurde,  durch  ein  Vermächtnis  von  250  000  Rubel 
seitens  der  Frau  R.  Alexieff,  das  municipale  Augen-Hospital  zu  Moskau  ge- 
gründet und  von  der  Gemeinde  unterhalten. 

(47  Betten,  und  4  Zimmer  für  zahlende  Kranke.]  In  den  ersten 
3  Jahren  belief  sich  die  Zahl  der  A.  Kr.  auf  45  000,  der  B.  Kr.  auf  2500, 
der  Operationen  an  den  letzteren  auf  2000  3). 


i)  Les  cliniques  de  PUniversite  Imperiale  de  Moscou.  Ouvrage  accomp.  de 
33  Plans.  Moscou  1897.  (234  S.  —  Clinique  ophtalmologique,  par  la  Dr.  S.  S. 
GoLOViNE,  chef  de  clinique,  S.  168—173.) 

2)  Zur  Zeit  des  Kongresses  (Aug.  189")  schrieb  ein  französischer  Fachgenosse 
in  das  neue  Buch  der  Klinik:  »Cette  clinique  est  trfes  belle,  meme  pour  un  Fran- 
gais.c  (Dabei  gab  es  in  Frankreich  damals  keine,  die  mit  ihr  verglichen  werden 
konnte.)  Ein  Deutscher  schrieb  darunter:  »Diese  Klinik  gehört  zu  den  besten  und 
schönsten,  die  ich  in  vier  Erdtheilen  gesehen.« 

3)  L'hOpital  municipal  opht.  d'ÄLExiEFF  de  Moscou,   M.  1903.     Dr.  Adelheim. 
»Dr.  Adelheim,  auf  Lebenszeit  angestellt,  mußte  nach  3  jähriger  Wirksamkeit 

die  von  ihm  geschaffene  Anstalt  verlassen,  —  in  Folge  von  Mißverständnissen  mit 
dem  Hospital-Rath.« 

15* 


228  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1 800— 1875. 

§  906.     Dorpat  (Jurjew). 

Die  Stadt  wurde  1030  von  dem  russischen  Großfürsten  Jaroslow  I.  be- 
gründet und  Jurjew  benannt.  Aber  die  Esthen  machten  sich  wieder  frei,  bis 
1224  die  Esthen-Burg  von  den  Deutschen  erobert  wurde.  Im  demselben  Jahr 
entstand  das  Bisthum  Dörpt.  Die  Stadt  schloß  sich  der  Hansa  an  und  nahm 
1525  die  protestantische  Lehre  an.  1558  wurde  sie  von  Iwan  dem  Schreck- 
hchen  erobert,  mußte  aber  1582  an  Polen  abgetreten  werden.  1625  kam  sie 
an  Schweden,  170  4  wurde  sie  von  den  Russen  erobert,  170  8  fast  zerstört, 
17  63  und  1775  von  großen  Bränden  heimgesucht.  Erst  im  19.  Jahrhundert 
ist  sie  durch  die  Universität  wieder  aufgeblüht. 

1893  erhielt  sie  laut  kaiserlichen  Befehls  wieder  den  Namen  Jurjew. 
Aber  in  der  Geschichte  der  Wissenschaft  lebt  »die  deutsche  Universität 
Dorpat«.  (Vgl.  die  unter  diesem  Titel  1882  zu  Leipzig  erschienene  Sonder- 
schrift von  Neanüer.) 

Die  wechselnden  Schicksale  der  Stadt  sprechen  sich  auch  in  der  Ein- 
wohner-Zahl aus. 

In  der  ersten  Hälfte  des  1 6.  Jahrhunderts,  als  Mitglied  des  Hansa-ßimdcs, 
hatte  Dorpat  mehr  als  30  000  Einwohner. 

1787:  3421. 

1821  :  8088. 

1836:  12  175. 

1867:  207801). 

1897:  42421. 

191  1  :  44  000. 

Die  erste  Universität^)  zu  Dorpat  (Academia  Gusta  vi  an  a)  wurde 
unter  der  scliwedischen  Herrschaft  gegründet  und  die  Stiftungs-Urkunde 
vom  König  Gustav  Adolf  im  Feldlager  bei  Nürnberg  am  30.  Juli  1G32  unter- 
zeichnet. 

Als  1656  die  Russen  der  Stadt  sich  bemächtigten,  zerstoben  Profes- 
soren und  Studenten.  Erst  1690  wurde  die  Universität  als  Academia 
Gustaviana  Carolina  wiederhergestellt;  aber  1699,  wegen  des  nordi- 
schen Krieges,  nach  Pernau  verlegt,  verödete  sie  allmählicli. 

In  der  ersten  Periode  waren  die  Professoren  meist  Deutsche,  in  der 
zweiten  meist  Schweden;  in  der  ersten  von  1016  Studenten  553  Schweden, 
in  der  zweiten  von  586  etwa  230. 

Während  der  nun  folgenden  russischen  Herrschaft,  von  1704  ab, 
hatten  die  Deutschen  der  Ostsee-Provinzen  ihre  akademische  Bildung  auf 
deutschen  Universitäten  erhalten.  Nachdem  im  Jahre  1798  sämtliche  in 
fremden  Ländern  studirenden  russischen  Unterthanen  zurückberufen  worden, 
war  man  darauf  bedacht,  eine  deutsche  Universität  zu  gründen,  die  denn 


1)  Geschichtl.  u.  statistische  RückbUcke  auf  die  Augenklinik  ...  zu  Dorpat 
von  ihrem  Beginn  bis  zum  Jahre  1867,  von  Dr.  Georg  Adelmann,  emerit.  Prof. 
d.  Chir.  u.  Augenheilk.     (Deutsch.    Arch.  f.  Gesch.  d.  Med.  u,  med.  Geogr.  1881.) 

2)  Minerva  I,  S.  372,  1911. 


Dorpat.     Die  Augenheilkunde  in  D.  229 

auch  im  Jahre  IS0''2,  unter  Kaiser  Alexander  1.,  eröffnet  wurde.  In  den 
Jahren  1828  — 1838  bestand  an  der  Universität  zu  Dorpat  ein  besondres 
Institut  zur  Heranbildung  von  Professoren  für  die  übrigen  Universi- 
täten des  russischen  Reiches. 

Bis  zum  Anfang  der  neunziger  Jahre  des  19.  Jahrhunderts  war  die 
Dörpter  Universität  eine  rein  deutsche,  die  Professoren  fast  ausschließlich 
deutscher  Geburt  (etwa  die  Hälfte  von  ihnen  aus  Deutschland).  Seitdem 
machten  sich  Bestrebungen  geltend,  die  Universität  Dorpat  mit  den  üljrigen 
des  Reiches  auf  gleichen  Fuß  zu  stellen.  Verschiedene  deutsche  Professoren 
nahmen  ihren  .\bschied,  weil  sie  nicht  russisch  vortragen  wollten. 

Die  Augenheilkunde!) 
war  in  der  zweiten  Universität  zu  Dorpat,   von   der  Gründung  (1802)  an 
bis  zum  Jahre   I8ü7,  nicht  von  der  Chirurgie  getrennt. 

Derselbe  Professor  lehrte  Chirurgie  und  Augenheilkunde;  die  Augen- 
Kranken  lagen  zusammen  mit  den  chirurgischen. 

Den  Lehrstuhl  für  Chirurgie  und  Augenheilkunde  verwalteten: 

1.  Michael  Ehrexheich  Kauzmann,  von    <803 — 1811," 

2.  Johann  Ludwig  Jochmann,  von   18H  —  18H; 

3.  Daniel  Georg  Balk,    1810,    I8H,    \8\i^); 
i.  Johann  Christian  Mojer,  von    1815 — 1836; 

5.  Nicolas  Pirogoff,  von   1836 — 18  40; 

6 .  Georg   Adelmann,   von    18  41  — -1871. 

Im  Jahre  184  4  wurde  sowohl  für  innere  Medizin  wie  auch  für  Chirurgie 
eine  zweite  Professur  eröffnet,  für  die  letztere  Prof.  Ernst  Carus  (7.)  aus  Leipzig 
berufen;  und  zwischen  ihm  und  Adelmann  die  Abmachung^)  getroffen,  daß  die 
chirurgisch-ophlhalmologische  Klinik  von  den  beiden  Professoren  der  Chirurgie 
abwechselnd,  jährlich  oder  halbjährlich,  geleitet  werden  sollte.  So  wirkte 
zusammen  mit  Prof.  Adelmann  erst  Prof.  Carls  von  1841 — 18  54,  d.  h.  bis  zu 
seinem  Tode;  dann  Prof.  Georc;  von  Öttingen  von  1855 — 1867,  d.  h.  bis  zur 
Abtrennung  der  Augenheilkunde  von  der  Chirurgie. 

Im  Jahre   1867  wurde  eine  neue  Augenklinik  errichtet  und  Geoki; 

VON    Öttingen    zum    Prof.    der  Augenheilkunde    und    Direktor    der 

Augenklinik  ernannt. 

Er  verwaltete  dies  Amt  Ins   1879.     Seine  Nachfolger  waren 

Eduard  Raehlmann,  von  1879  — 1900;  und  Fegdor  Orestowitz  Ewetzky, 

von  1900  —  1909. 

Von  M.  E.  Kalzmanx  (1769 — 1816),  geboren  zu  Schwabach  (in  Mittel- 
franken), von  J.  L.  JocHMANx  (1787  — 1814),  geboren  in  der  deutschen  Stadt 
Pernau  (Livlandi,  von  D.  Balk  (1764 — 1826),  geboren  zu  Königsberg  in  Preußen, 


1)  Nach  Adelmann  a.  a.  0. 

2)  Vgl  Adelmann  a.  a.  0.  —  Von  diesem  ist  der  zweckmäßige  Vorschlag  aus- 
gegangen. 


230 


XXIll.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 


von  J.  Chr.  Mojer  (1786 — 1858),  geboren  zu  Reval,   von  E.  A.  Carus  (1791  bis 
1858)  sowie  endlich  von   dem  großen  Chirurgen  N.  J.  Pirogoff  (1810 — 1881), 
geboren  zu  Moskau,  dem  einzigen  echten  Russen  in  der  ganzen  Reihe,  der  aber    ^ 
in  Dorpat  unter  Mojer   sowie   in  Berlin   und  Göttingen   ausgebildet  worden,   —    1 
von  all'  den  Genannten  sind  augenärztliche  Leistungen  nicht  zu  vermelden. 


§  907.     Georg  Franz  Blasius  Adelmann  (1811 — 1888)i', 

als  Sohn  von  Vincenz  A.,  Mitglied  des  Med.  Kollegiums  zu  Fulda  und  Pro- 
fessor zu  Fulda,  am  28.  Juni  1811  geboren,  erhielt  seine  Erziehung  auf 
dem  Gymnasium  zu  Fulda,  vollendete  seine  klassische  Bildung  und  erwarb 
sich  naturwissenschaftliche  Kenntnisse  auf  der  damals  noch  holländischen 
Universität  zu  Loewen,  studirte  Heilkunde  in  Marburg    seit  1828,  dann  in 


Würzburg;  kehrte  1832  nach  Marburg  zurück 


wo  er  am  22.  August  1832 


Fig.  11. 


zum  Doktor  der  Heilkunde  befördert 
ward.  Dann  wirkte  er  als  Hilfsarzt 
an  der  medizinischen  Klinik,  als 
praktischer  Arzt  zu  Fulda  1835  bis 
1837,  als  Assistent  Ullmann's  an  dci 
chirurgischen  Klinik  zu  Marburg  für 
2  Jahre,  habilitirte  sich  Sept.  1837 
und  wurde  1840  auf  einer  Reise 
mit  Chelius  bekannt,  der  ihn  für 
die  durch  Pirocoff's  Versetzung  er- 
ledigte Professur  der  Chirurgie  in 
Dorpat  empfahl. 

Adelmann  übernahm  diese  Pro- 
fessur im  Jahre  1841  und  hat  die 
chirurgische  Klinik  30  Jahre  lang, 
bis  1871,  verwaltet,  die  damit  ver- 
bundene ophthalmologische  Khnik  bis 
1867.  (1860  wurde  er  Staatsrath.) 
Nach  seinem  Rücktritt  lebte  er  in 
Berlin  2)  und  ist  daselbst  am  6.  Juli 
1888  verstorben. 
Adelmann  ist  der  erste  der  Dörpter  Chirurgie-Professoren  von  dem  wir 
Mittheilungen  zur  Augenheilkunde  besitzen: 

1.  Geschichtliche  und  statistische  Rückblicke  auf  die  Augenklinik  der  k.  Russ. 
Univ.  zu  Dorpat  von    ihrem   Beginn    bis    zum   Jahre    1867    von   Dr.  Georg 


Prof.  Georg  Franz  Blasius  Adelmann. 


1)  Biogr.  Lex.  I,  59 — 60.  (Gurlt.)  Pagel's  biogr.  Lex.  S.  10.  —  Seinen  Vetter 
Heinrich  A.,  a.  o.  Prof.  zu  Würzburg,  haben  wir  im  §  531  kennen  gelernt. 

2)  Bei  seinem  Schwiegersohn  E.  v.  Bergmann  habe  ich  ihn  öfters  getroffen, 
ebenso  in  der  Hufeland'schen  Gesellschaft,  deren  Vorsitz  ich  damals  für  einige 
Jahre  geführt. 


G.  F.  B.  Adelmann.  231 

Adelmann,  emerit.  Prof.  der  Chir.  und  Augenh.    [S.  A.  aus  d.  Deutsch.  Arch. 

f.  Geschichte  der  Med.  und  med.  Geogr.  IV,  1  —  4,  1881.) 
2.  üphthalmologische  Reise  in  Belgien  1858.     (Im  russ.  militär-ärztl.  J.} 
:».  Über  endemische  Augenkrankheiten  der  Esthen  in  Livland  und  verwandter 

Stämme  im  russischen  Reiche.    (Tageblatt  der  51.  V.  deutscher  Naturforscher 

und  Ärzte  zu  Kassel   1878.) 
1.   Aus  den  Tabellen  will  ich  nur  das  Fokende  hervorheben: 


Jahr 

Zahl  der  Mediziner 

Gesamtzahl  der 

Kran 

ken 

Zahl  der 

der 

chir 

.  ophth 

.  Khnik 

Augenkranken 

IS06 

38 

33'J 

200 

1816 

78 

87 

34 

1836 

131 

384 

167 

183G 

1.  313   II.   -J61 

538 

233 

1846 

177           171 

878 

295 

1856 

310           318 

960 

442 

1866 

19-2          184 

968 

599. 

>Die  Studirenden  bestehen  hauptsächlich  aus  l)(nitschredendcn,  vor- 
zügHch  aus  Kurland,  Livland,  Esthland,  aus  Sl.  Petersburg,  aus  den  deut- 
schen Kolonien  in  Rußland,  in  welchen  deutsche  Familien  wohnen.  Auch 
die  Russen,  Polen,  Armenier  unter  den  Studenten  müssen  der  deutschen 
Sprai-he  mächtig  sein,  weil  die  Vorträge  an  der  Universität  fast  nur  in 
deutscher  Sprache  gehalten  werden. 

Die  Kranken  sind  zumeist  E.sthen  und  nur  ihrer  Sprache  mächtig. 
Darauf  folgen  nach  der  Zahl  die  Deutschen,  die  Russen,  und  zuletzt 
die  Leiten,  die  auch  nur  ihrer  Volks-Sprache  mächtig  sind.  .  .  Die  Esthen 
gehören  dem  linnischen  Volksstamme  an,  der  den  Übergang  von  der  mon- 
golischen zur  kaukasischen  l^assc  vermittelt.  .  .  Die  Letten,  im  südlichen 
Theilc  Livlands,  in  Kurland  und  in  einem  Theile  des  Gouv.  Witebsk,  gehören 
dem  indogermanischen  Stamm  an,  was  nicht  nur  aus  dem  Knochenbau, 
sondern  auch  aus  ihrer  dem  Sanskrit  vorwandten  Sprache  hervorgeht.« 

Das  Verhältniß  von  8001  äußeren  Krankheilen  des  Sehorgans  zu  S\H\ 
inneren  hängt  mit  dem  in  den  Ostsee-Provinzen  endemischem  Trachom 
zusammen. 

3.  »Die  Zahl  der  Augenkranken  lieträgl  fast  die  Hälfte  aller  Aufge- 
nommen (Li  000  :  32  000,  von  1805— 1867:  9000  :  19  600  von  1843—1867.) 
Die  Ursache  hegt  in  der  Häufigkeit  des  Trachoms. 

Die  seit  Jahrhunderten  andauernde  Krankheit  hat  unter  dem 
Landvolk  eine  Reihe  von  Gebräuchen  aufkommen  lassen. 

In  den  meisten  Gemeinden  findet  sich  ein  und  die  andre  alte  Frau 
mit  langgewachsenen  Nägeln,  mit  deren  Hilfe  sie  die  Wimpern  bei  Haar- 
krankheit auszieht  oder  abbricht.   .  . 

Die  Granulationen  werden  von  Volks-Ärzten  nicht  selten  mit  einem 
Stück  Zucker  abgerieben.  .  .  Die  Wohlhabenheit  (und  Reinlichkeit)  der  Bauern 
ist  in  den  letzten  20  Jahren  gestiegen.  Doch  ist  die  Prognose  für  das 
Trachom  vorerst  noch  eine  trübe.« 


232  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1873. 

Also  hier  haben  wir  einen  europäischen  Landstrich,  wo  Trachom 
lange  vor  Napoleon's  Kriegszügen  verbreitet  gewesen. 

Bestätigung  liefert,  wenn  es  nöthig  wäre,  eine    alte    Dörpter  Disserta- 
tion, die  ich  in  meiner  Bücherei  besitze:    Dissert.  inaug.  medica  de  praecipuis    ; 
oculorum  morbis    inter  Esthones    obviis   .  .  .  Auetor  Gar.   Joann.  de   Seidlitz^), 
Dorpati  Livonorum    1821. 

Der  Vf.  bringt  eine  ausführliche  Darstellung  der  von  den  esthnischen  Bauern 
selber  geübten  Behandlung  der  Augenkrankheiten : 

»Ebenso  blasen  sie  das  Pulver  von  blauem  Vitriol  in  die  Augen  oder 
tuschiren  mit  einem  Stückchen  desselben  das  Auge  oder  wenden  die  Lösung 
an.  Sogar  einen  Lapis  für  das  Auge  bereiten  sie  sich  selber  aus  Alaun, 
weißem  Vitriol,  Galmei,  Bleiweiß.  .  .  Mit  dem  Rasir-Messer  schaben  sie  die  Lid- 
Innenfläche,  wenn  die  Meibom'schen  Drüsen  angeschwollen  sind  und  zum  Vor- 
schein kommen.  Sie  halten  dieselben  für  Schlacke  und  Schmutz,  die  zu  ent- 
fernen seien.  .  .  Aber  ihre  Haupt-Operation  ist  .  .  .  das  Ausrupfen  der  Wimpern. 
Diese  verrichten  sie  nicht  IjIos  bei  Haarkrankheit  und  Einstülpung,  sondern  auch 
bei  ganz  andren  Entzündungen  und  Leiden  der  Augen. 

Ausgeführt  wird  diese  Operation  hauptsächlich  von  alten  Weibern  und 
von  Schmieden,  mit  Pinzetten,  die  sie  selber  machen,  oder  mit  Hilfe  eines 
Messers  oder  des  Zeigefinger-Nagels,  den  man  zu  diesem  Zwecke  lang  wachsen 
läßt.   .  .« 

Ich  habe  diese  Angaben  aus  dem  Jahre   1821    immer,  und  schon  vor  der 
1881    erschienenen  Arbeit  Adelmann's,   als    sicheres  Zeugniß   fiu'    die  Thatsache 
angesehen,  daß  bei  den  Esthen  in  den   russischen  Ostsee-Provinzen    schon   seit 
Menschengedenken,    d.  h.  lange    ehe    Napoleon    in    der    Welt    erschienen,    das    | 
Trachom  in  endemischer  Verbreitung  geherrscht  hat. 

§  908.  8.  GEOR(i  VON  Öttinoen^), 

entstammt  einer  alt<'n  livländischen  Familie,  wurde  bei  Dorpat  am  24.  Nov. 
1824  geboren,  studirto  zu  Dorpat,  namentlich  unter  Reichert,  Volkmann 
d.  V.,  BiDDER,  wurde  1848  Doktor,  und  nach  wissenschaftlicher  Arbeit  im 
Ausland  (Berlin,  Prag,  Wien,  Paris,  London,  Edinburg,  Dublin,  Nord- 
Amerika)  1854  Docent,  1855  a.  o.  Prof.;  war  dann  1857— 1S78  ordent- 
licher Professor  der  Chirurgie  und  Augenheilkunde:  1867  wurde  er  zum 
Professor  der  Augenheilkunde  und  Direktor  der  Augenklinik  in 
Dorpat  ernannt,  später  zum  wirklichen  Staatsrath.  1877/78  verwaltete 
er  ein  Etappen-Lazaret  in  Bulgarien.  1878  nahm  er  seinen  Abschied  und 
wirkte  als  Stadthaupt  in  Dorpat. 

1)  Am  l7.Märzi798  zu  Reval  geboren,  studirtev.S.  1815—1821  zu  Dorpat  (unter 
MojERj,  wurde  Marine-Arzt,  studirte  1826—1828  weiter  in  Paris,  Montpellier,  Genf 
und  Pisa,  war  1829  während  des  russisch-türkischen  Krieges  Oberarzt  des  Haupt- 
quartiers und  von  1837—1847  Prof.  der  med.  Klinik  an  der  med.-chir.  Akademie  zu 
St.  Petersburg.  Er  schrieb  auch  einen  Beitrag  zur  Geschichte  der  ägyp- 
tischen Augen-Entzündung  in  der  russischen  Flotte.  Nach  seinem 
Rücktritt  zog  er  nach  Dorpat  und  lebte  dort  bis  zu  seinem  Tode,  den  19.  Februar 
1885.     (Biogr.  Lex.  V,  348.    L.  Stieda. 

2)  Biogr.  Lex,  IV,  411. 


Bindehaut-Amyloid.     G.  v.  Öttingen.  233 

Üttinükn  hat  bedculende  Verdienste  um  die  Augenheilkunde  sich  er- 
worben. 

\.  Zusammen  mit  Guido  Hermann  von  Samson-Himmelst.iekna  i] ,  seit 
■1845  Prof.  der  Staats-Arzneikunde  zu  Dorpat,  hat  Ö.  eine  Statistik  der 
Augenkrankheiten  und  Erblindungen  in  Livland  herausgegeben,  —  die 
erste  Arbeit  dieser  Art  in  Rußland, 

2.  Eine  neue  Krankheits-Form,  die  amyloidc  Entartung  der 
Bindehaut,  hat  er  in  seinem  Bericht  über 

Die  ophthalmologische  Klinik  Üorpats 
in    den    3   ersten    Jahren    ihres    Bestehens    (Dorpater   med.  Zeitschrift   II, 
1871)  aufgestellt. 

In  diesem  Bericht  giebt  n.  zunächst  eine  genaue  Schilderung  des  in 
Livland  so  häutigen  Trachoma.  Nach  20j.  Erfahrung  lindet  er  keine  be- 
stimmte Grenze  zwischen  dem  echten  Trachom  und  der  sogen,  ägyptischen 
Ophthalmie,  die  mit  akuter  Hyperämie  einhergeht  und  durch  kontagiöse 
Ursaclien  hervorgerufen  wird:  allen  diesen  Erkrankungen  liegt  die  lym- 
phoide  Wucherung  zu  Grunde. 

Durch  die  Napoleonischen  Feldzüge  ist  Trachom,  bezw.  ägyptische 
Augen-Entzündung  nicht  erst  nach  Europa  eingeschleppt ;  es  ist  eine  uralte 
Erkrankung,  die  nur  durch  besonders  begünstigende  Umstände  zu  unge- 
wöhnlicher Entwicklung  gelangte.  In  Livland  betrugen  die  Trachom-Kranken 
1,3  (bis  2)^  der  Bevölkerung.  (In  sumpfigen  Gegenden  bis  4Y2^-)  Auch 
bei  Kindern  im  ersten  Lebensjahre  wurde  Trachom  beobachtet.  Unter  1640 
Fällen  von  Trachom  binnen  3  Jahren  wurde  das  akute  nur  23  Mal  ver- 
zeichnet.    In  o.'s  Therapie  spielt  Silber- Nitrat  die  Haupt-Rolle. 

Als  ausnahmsweisen  Ausgang  des  Trachoms  bezeichnet  (Jitingkn 
nun  einen  eigenthümUchen,  von  ihm  zuerst  beschriebenen  Zustand  amy- 
loider  Entartung. 

Bei  einem  5öj.  Russen  bestand  eine  starke  Verdickung  des  linken 
unteren  Lid-Knorpels  nebst  der  Bindehaut. 

Die  Verdickung  ist  hart,  gefäßarm,  weißem  Wachs  an  Farbe  und  Härte 
ähnlich,  mit  leicht  körniger  Oberfläche.  Von  der  Bindehaut-Wucherung 
ziehen  ein  paar  flügel feil-ähnliche  Fortsätze  über  die  Hornhaut  fort. 

Am  oberen  Lid  bestand  schrumpfendes  Trachom  und  Haarkrankheit; 
ebenso  am  andren  Auge. 

In  dem  verdickten  Knorpel  und  der  Bindehaut- Wucherung  fand  sich 
amyloide  Entartung  der  Masse,  jedoch  nicht  bis  zum  Papillen-Körper,  und 
auch  die  Meibom'schen  Drüsen  frei  lassend. 


i ;  Biogr.  Lex.  V,   1 62.     (Stieda.) 


234  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— 187Ö. 

Diese  Entartung  fand  sich  bei  zwei  sonst  gesunden  Individuen.  (Wie 
man  sieht,  ist  die  erste  Beschreibung  schon  ganz  vollständig.) 

Über  diese  seltne  Erkrankung  vgl.  Th.  Saemisgh,  in  unsrem  Handbuch  V, 
I,  p.  266 — 275,  1904.  Derselbe  giebt  an,  daß  bis  dahin  70  genauer  mit- 
getheilte  Beobachtungen  vorlagen,  von  denen  die  Mehrzahl  in  Rußland  und  zwar  1 
hauptsächlich  in  den  Ostsee-Provinzen  gemacht  wurden.  (Öttingen, 
Raehlmann,  Kuhli,  —  ferner  Kamocki,  Braun,  Adamück  d.  V.,  Mandelstamm  u.  A.)  ; 
Aber  auch  in  Deutschland,  Österreich-Ungarn,  Italien,  Belgien,  Amerika  wurde 
sie  beobachtet.     (Vgl.  besonders  Tr.  Leber,  A.  f.  0.  XIX,    i    und  XXIV,    1 .) 

Die  Literatur  bei  Saemisch  reicht  bis  190:L  Weitere  Beiträge  bringt  das 
C.  El.  f.  A, :  1903,  S.  56  (Allemann,  Amerika);  1904,  3.3  (bei  Malayen,  Steinei;, 
Java);  1905,  82,  298,  39  4;  1906,  354  (Adamück  d.  S.),  271  (v.  Michel] ; 
1907,  431;  1908,  451  (Schieck,  Göttingen),  395;  1909,  192;  1910,  451; 
1912,    42  3;    409   (Deltschmann)  ;    1913,   410,    183,   345. 

3.  Die  erste  Sonderschrifl  ihrer  Art  ist  das  Buch: 

Die  indirekten  Läsionen 
des  Auges  bei  Schuß-Verletzungen  der  Orbital-Gegend.  Nach  Aufzeichnungen 
aus  dem  russisch-türkischen  Kriege  (1877 — 1878)   von  Dr.  G.  v.  Ottingen, 
Stuttgart   1871)  (85  S.). 

Die  Aderhaut-Risse  werden  eingehend  behandelt. 

Zusatz:  1.  Öttingen,  Observationes  (juaedam  de  cataraclae  operatione, 
cxlractionis  ope  instituenda.  Comment.  veniam  legendi  def.  i)  Dorpali  1854. 
(57  S.,  80.) 

»In  allen  größeren  Kliniken  und  von  den  meisten  Heroen  der  Augen- 
heilkunde wird  die  Ausziehung  als  das  zweckmäßigste  Verfahren  geübt.« 

2.  Von  den  zu  Öttingen's  Zeit  erschienenen  Dissertationen  erwähne 
ich  die  von  P.  Blumberg  Ȇber  die  Augenlider  einiger  Hausthiere  mit  be- 
sondrer Berücksichtigung  des  Trachoms«,  Dorpat   1867. 

Der  Vf.  wirkte  später  in  Tiflis  und  hat  von  dort  186Ü  im  Arch.  f.  O. 
(XV,  1,  129 — 158)  eine  Arbeit  »Über  das  Trachom  vom  cellularpalhologi- 
schen  Standpunkt  aus«  veröffentlicht. 

§  909.  9.  Eduard  Raehlmann^), 

geb.  am  19.  März  1848  zu  Ibbenbüren  in  Westphalen,  studirte  in  NVürz- 
burg,  Halle,  Straßburg  und  an  ausländischen  Hochschulen,  promovirte  1 872, 
war  hauptsächlich  Schüler  Alfred  Graefe's  in  Halle,  von  1875 — 1879 
Privat-Docent  in  Halle,  und  wurde  1879  als  o.  Prof.  und  Direktor  der  Univ. 
Augenklinik  nach  Dorpat  berufen. 


1)  O.Becker  hat  in   der  ersten   Ausgabe  unsres   Handbuches    (V,  1,  S.  400 
No.  754)  die  Schrift  irrthümlich  als  Inaugural-Dissertation  bezeichnet. 

2)  Biogr.  Lex.  IV,  659.     Vgl.  die  Anm.  1  zu  §  895. 


Die  indirekten  Läsioiien.  —  Raelilmann.  235 

■1\  Jahre  lang  hat  er  sein  Amt  verwallet  und  als  Arzt,  Lehrer,  For- 
siher  erfolgreich  gewaltet.  Im  Jahre  1882  wurde  die  Augenklinik  bedeutend 
V  lurüßert,  R.  zum  wirkl.  Staatsrath  ernannt.  Im  Jahre  1900  nahm  er 
seinen  Abschied  »wegen  der  Hussificirung  der  Universität  Dorpati)«,  zog 
nach  Weimar  und  widmete  sich  kunstwissenschaftlichen  Studien.  —  Sein 
Nachfolger  wurde  Ewetzkv.   (§911.) 

E.  Rakblmann  ist  ein  fruchtbarer  Schriftsteller.  Vor  mir  liegt 
die  Liste  seiner  .Arbeiten.  Von  den  172  Abhandlungen  will  ich  nur  die 
wichtigsten  anführen. 

Arbeiten   von  E.  Raeiilmax.n; 

1.  Beiträge  zur  Lehre  vom  Daltonismus  und  seiner  Bedeutung  für  die  Young- 
sche  Farbenllieorie.  A.  v.  Graefe's  Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XIV.  3,  S.  88—106. 
Vgl.  XX.    I,   15;  XX,  1,  233;  XXI,  2,   27;  XXII,  1,  29. 

2.  Über  die  parenchymalüse  Keratitis,  eine  experimentell-pathologische  Studie, 
mit  3  lithogr.  Tafeln.  Arch.  f.  exp.  Path.  v.  Klebs  u.  Schmiedeberg, 
Jahrg.  1877. 

3.  Über  atypische  Augenbewegungen.  Arch.  f.  Anat.  u.  Physiol.  v.  Du  Bois- 
Reymond  1877.  S.  454—471. 

4.  Zur  Histologie  der  Cornea.    A.  v.  Graefe's  Arch.,  Bd.  XXIII,  1,  S.  lf>3— 192. 

5.  Über  das  Verhalten  der  Pupillen  im  Schlafe,  nebst  Bemerkungen  ziu-  Inner- 
vation der  Iris.  Arch.  1.  Anat.  u.  Physich  v.  Du  Bois-R  eymond,  Jahrg. 
1877. 

6.  Über  den  Nystagmus  und  seine  Ätiologie,  eine  vergleichend  klinische 
Studie.    A.  v.  Graefe's  Arch..  Bd.  XXIV,  4,  S.  237—317. 

7.  Hyperbolisch  geschliffene  Linsen  bei  Keratoconus.  Klin.  M.  Bl.  f.  A.,  Jahrg.  1882, 
S.  11—13.  u.  Febr.  -1898. 

8.  Über  die  neuropathologische  Bedeutung  der  Pupillen-Weite.  Samml.  kl.  Vortr. 
v.  Richard  Volkmann,  No.  185. 

9.  Über  hyaline  und  amyloide  Degeneration  der  Conjunctiva  des  Auges.  Vir- 
chow's  Arch.,  Bd.  LXXXXII,  S.  325—370.    Vgl.  Arch.  f.  A.  XI,  402  u.  X,  138. 

10.  Pathologisch-anatomische  Untersuchungen  über  die  follikuläre  Entzündung 
der  Bindehaut  des  Auges  oder  das  Trachom.  A.  v.  Graefe's  Arch.  f.  Ophth., 
Bd.  XXVII,  2,  S.  73—166. 

1 1 .  Über  Trachom.  Deutsche  med.  Wochensch.  1890,  No.  4 1 ;  Ref.,  erstattet  dem  X. 
Internat,  med.  Kongreß  in  Berlin. 

12.  Über  die  ätiologischen  Beziehungen  zwischen  Pannus  und  Trachom,  mit 
Tafeln.     A.  v.  Graefes  Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XXXVIII,  2. 

13.  Über  die  ophthalmoscopische  Diagnose  sclerotischer  Erkrankungen  der  Netz- 
hautgefäße.    Zeitschr.  f.  A..  Bd.  VII,  H.  6  u.  Fortschr.  d.  Med.  1889,  No.  24. 

14.  Über  Marginoplastik  mit  Transplantation  von  Lippenschleimhaut  zur  Be- 
seitigung der  Trichiasis  bei  Trachom.  Bericht  über  d.  27.  Vers.  d.  ophth. 
Gesellsch.  1899  bei  J.  Bergmann.  Wiesbaden. 

15.  Über  die  Nosologie  des  Trachoms  in  Preußen  und  ein  Programm  zur  Aus- 
rottung der  Krankheit.     Klin.  Jahrb.,  Bd.  IX,  1902. 

16.  Ultramikroskopische  Untersuchungen  von  Farbstoffmischungen  und  ihre 
physikalisch-physiologische  Bedeutung.  Verhandl.  d.  deutsch,  physik.  Ges., 
Jahrg.  V,  No.  1 8  u.  1 9. 

17.  Über  Trachom.  Histologische,  ultramikroskopische  u.  physiologisch-chemische 
Beiträge  zur  Entzündungslehre.   Beitr.  z.  Augenh.,  H.  62,  S.  1  —  87  mit  Tafeln. 


1)  Unsere  Zeitgenossen  von  A.  Z.  Degener,  1912,  S.  1253. 


236  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

Besonders  erschienen: 

18.  Über  Mikrophthalmos,   Coloboma  oculi  und   Hemimicrosoma,   mit  "2  Tafehi. 
Bibhotheca  medica  (H.  1 0)  4"  gr.,  Stuttgart,  Verlag  v.  Erwin  Nägele. 

1 9.  Über  den  Heilwert  der  Therapie  bei  Trachom,  mit  9  Abb,  in  2  Tafeln.    Ver- 
lag V.  Fischer's  med.  Buchhandlung,  Berlin  W.  33,  1898. 

20.  Über  Farbensehen  u.  Malerei,  mit  6  farbigen  Tafeln.    München,  Verlag  v.  E. 
Reinhardt. 

21.  Über  relativen  und  absoluten  Mangel  des  Farbensinns.     Verlag  v.   S.  Kar- 
ger, Berlin  1900. 

22.  Zur  vergleichenden  Phsysiologie  des  Gesichtssinns,  mit  1 3  Textfiguren.  Ver- 
lag V.  Gumav  Fischer,  Jena  1907. 

Von  den  Dissertationen,  die  unter  R.  erschienen, 
will  ich  nur  die  letzte  erwähnen: 

Johann  Göldner,  Kasuistische  Beiträge  zu  Farbenblindheit,  1900. 

Die  Promotion  von  Göldner  (6.  April  1900)  war  die  letzte,  welche  in 
deutscher  Sprache  an  der  Universität  Dorpat  stattfand. 

Mit  der  Umwandlung  der  deutschen  Universität  Dorpat  in  die  russische 
Jurjew  hatten  auch  die  auf  russischen  Universitäten  damals  herrschenden 
Studenten-Unruhen  ihren  Einzug  gehallen. 

»An  diesem  Tage  hatten  die  aufrührischen  Studenten  die  Vorlesungen 
verhindert  und  die  Aula  der  Univei-sität  umstellt.  Die  Promotion  mußte  in 
dem  Auditorium  der  Augenklinik  stattfinden. 

Das  Auditorium  war  voll  von  Russen,  besonders  auch  von  Damen. 

In  dem  Hörsal  der  Augenklinik,  während  draußen  der  Tumult  der  studie- 
renden Jugend  hörbar  war,  verklangen  am  6.  April  1900  die  letzten  offiziellen 
deutschen  Laute  an  der  alten  alma  mater  Dorpatensis.« 

§  910.     Zu  den  Dörpter  Schülern  gehören  die  beiden  Jäsghe's. 

1.  Georg  Emanuel  Jäsche  (1815 — 1876)i), 
geboren  am  ib.  Febr.  1815  zu  Dorpat,  wo  sein  Vater  Prof.  der  Philoso- 
phie war,  studirte  von  1835  ab  in  seiner  Vaterstadt,  wurde  1838  Dr.  der 
Heilkunde,  machte  eine  wissenschaftliche  Reise  in's  Ausland  (nach  Paris, 
Wien,  Prag,  Berlin),  ging  erst  als  praktischer  Arzt  nach  Minsk,  dann  nach 
Pensa  als  Oberarzt  am  dortigen  Stadtkrankenhaus,  zuletzt  in  gleicher 
Stellung  nach  Nischni-Nowgorod,  wo  er  eine  reiche  chirurgische  Thätigkeit 
entfaltete.     Hier  ist  er  am  50.  Dez.  1876  verstorben. 

Bekannt  wurde  G.  E.  Jäsche,  der  ältere,  besonders  durch  seine  Opera- 
tion gegen  Haarkrankheit,  die  später  als  ARLx-JÄscuE'sches  Verfahren 
in  die  Lehrbücher  übergegangen  ist. 

Im  Jahre  1844  hat  er,  in  der  medizinischen  Zeitung  Rußlands,  seine 
Operation  beschrieben:  »Ein  neues  Verfahren  bei  der  Operation  von  Disti- 
chiasis  und  Trichiasis«;  und  in  der  Petersburger  med.  Zeitschrift  (Bd.  VHI) 
von  Neuem  besprochen. 


1)  Biogr.  Lex.  VI,  S.  867.    (L.  Stieda.) 


Die  beiden  Jäsche's.  237 

F.  Arlt  hat  1845  das  Verfahren  etwas  abgeändert^). 

Aber  G.  E.  Jäsciik's  jüngerer  Bruder  meinte,  daß  das  JÄscHE'sche  Ver- 
fahren von  dem  ARLx'schcn  wesentlich  verschieden  sei,  und  hat  ersteres 
noch  einmal  1873  2)  genau  beschrieben.  Dasselbe  besteht  in  drei  Akten: 
\ .  Abtrennung  des  Ciliar-Randes  vom  Lide  in  seiner  ganzen  Länge  bis  auf 
zwei  Verbindungsbrücken,  Ausschneiden  eines  bogenfürmigen  Hautstückes 
aus  dem  Lide.    2.  Anheftung  des  getrennten  Lid-Randes  in  der  neuen  Lage. 

Daß  die  Verpflanzung  des  Haarwimper-Bodens  bei  der  Haar- 
krankheit den  Vorzug  verdiene  vor  dem  rohen  Abtragen  der  gesammten 
Dicke  des  haartragenden  Lidrandes,  wie  sie  von  Bartisch  und  Heister 
(1583,  1719)  geübt  worden,  und  vor  der  Abtragung  des  wimpertragenden 
Lidhaut-Streifens,  nach  Fr.  .lÄtiicR  (1818),  Fi.arer  (1828)'^*  u.  a.,  war  ja  leicht 
zu  verstehen. 

Weniger  leicht  verständlich  scheint,  wie  man  so  lange  übersehen 
konnte,  daß  die  Verpflanzung  des  Haarwimper-Bodens  schon  von 
den  alten  Griechen  als  Empornähung  [dvauoaff)])  am  Oberlid  und  als 
Herabnähung  {/.araouaffi])  am  Unterlid  ganz  genau  beschrieben  worden  ist-*). 

Allerdings,  zu  der  Zeit,  wo  gelehrte  Arzte  die  griechischen  Texte 
lasen,  gegen  Ende  des  16.  und  im  17.  Jahrb.,  lag  die  Chirurgie  in  den 
Händen  ungelehrter  Wundärzte.  Als  dann  später  die  studirten  Ärzte  allmäh- 
lich die  (Ihirurgie  sich  zurückerobert  hatten,  im  18.  und  in  der  ersten  Hälfte 
des  19.  Jahrb.,  begnügten  sich  auch  die  Gelehrteren  meistens  —  und  so 
bis  auf  den  heutigen  Tag,  —  mit  den  lateinischen  Übersetzungen. 

Aber,  wer  diese  für  die  betreffenden  Stellen  aus  Paulos  Ag.  oder 
aus  Aetios  zur  Hand  nimmt,  muß  bald  erkennen,  daß  man  danach  die 
Operation  nicht  begreifen  kann. 

Wenn  Einer  jedoch  sowohl  das  Operiren  versteht,  wie  auch  die 
griechische  Sprache,  dann  wird  er  sofort^)  zu  der  richtigen  Ein  sieht 
gelangen,  daß  die  alten  Griechen  ein  vortreffliches,  von  dem  Jäsche-Arlt- 
schen  nicht  wesentlich  abweichendes  Verfahren  besessen,  geübt,  beschrie- 
ben haben. 

2.  Emanuel  Jäsche^'), 
1821    zu  Dorpat   als  jüngerer    Bruder   von   Georü   E.  J.  geboren,   studirte 
gleichfalls  in  seiner  Vaterstadt,  wurde  1847  Doktor,  war  von  1847 — 1856 


1:  Prager  Vierteljahrsschrift  VII.  Vgl.  Lehrb.  1,  S.  I'ifi,  18."jI;  unser  Handbuch, 
I.  Aufl.  III,  S.  447.  1874. 

2)  Klin.  M.  Bl.  XI,  S.  97— lol. 

3)  §  720,   S.  38. 

4)  Vgl.  unsren  §  253  und  234. 

3)  Wie  zuerst  mein  alter  Freund  Anagxostakis  zu  Athen,  von  dessen  Auf- 
fassung die  meinige  nur  in  wenigen  Kleinigkeiten  abweicht.  Vgl.  sein  Werk:  La 
Chirurgie  oculaire  chez  les  Anciens,  Athenes  1872. 

6)  Biogr.  Lex.  VI,  867. 


238  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

im  russischen  Militär-Dienst,  machte  den  Krim-Krieg  mit,  begab  sich  dann 
in's  Ausland  und  besuchte  die  Augenkliniken  von  A.  v.  Graefe,  Arlt  und 
Desmarres.     Von  1858 — 1873  war  er  Arzt  am  Findelhaus  in  Moskau  und 
ließ  sich  dann  als  Augenarzt  in  Dorpat  nieder. 
Seine  Arbeiten  sind: 

A.  i.   Das  räumliche  Sehen,  Stuttgart  1879. 

2.  Das  binokulare  Sehfeld.   Dorp.  med.  Zeitschr.  VI,  8.354,  1877. 

3.  Das  Grundgesetz  der  Wissenschaft,  Heidelberg  188.'i. 

B.  In  A.  V.  Graefe's  Arch.  f.  Ophth.     (X,  2,  16G— 180,  18G4.) 

4.  Zur  Behandlung  der  Thränenschlauch-Verstopfungen. 

C.  In  Zehender's  Klin.  M.  Bl. 

5.  Die  erwärmenden  Umschläge  in  der  Augen-Praxis.     XI,  1 05. 

6.  Zur  Trachom-Behandlung.     XXXIV,  155. 

7.  Trichiasis-Operation.     XIX,  40.  i 
(Bedeckt  die  fieihegende  Wundfläche,  oberhalb   des  Lid-Randes,  mit  Epider- 

mis-Blättchen.) 

8.  Entrop.-Op.     XX,   452. 

(Naht  und  Ausschneiden,  für  das  untere  Lid.) 

D.  Knapp's  Arch.  f.  A.     (XV,  3—5,  1884.] 

9.  Zur  Ruhelage  des  Auges. 

1.  Em.  Jäscbes  Schrift  vom  räumlichen  Sehen  (1879)  ist  in  der  2.  Auflage 
von  Helmholtz's  physiologischer  Optik  (1896)  nicht  berücksichtigt,  nur 
im  Literatur-Anhang  citirt  worden.  Aber  das  begreift  man  schon  aus  dem 
Vorwort  Jäsche's:  »Die  in  dieser  Abhandlung  dargelegte  Auffassung  vom 
Sehen  schließt  sich  nicht  durchweg  den  Ergebnissen  an,  welche  bisher 
durch  die  wissenschaftliche  Forschung  gewonnen  wurden.  Sie  geht  von 
einem  andren  Standpunkte  aus  und  kommt  auch  mehrfach  zu  andren 
Resultaten,  .  .  .  Die  Schrift  sucht  sich  einen  größeren  Kreis.  .  .  .  Deshalb 
mußten  Vergleiche  mit  abweichenden  Ansichten  unterbleiben. c 

4.  Bei  den  Thränenschlauch-Verstopfungen  ist  die  von  Stellwac.  v. 
Carion  noch  in  seinem  Lehrbuch  von  1864  empfohlene  Verödung  zu  ver- 
werfen; angezeigt  sind  Beseitigung  des  Hindernisses  auf  raschem,  sicherem 
und  wenig  verletzendem  Wege  und  möglichst  vollständige  und  dauerhafte 
Wiederherstellung  der  Thränenleitung. 

J.  vervollständigt  das  BowMAN'sche  Verfahren  durch  Anwendung  einer 
Rinnen-Sonde  nebst  Strikturen-Messer  von  1'"  Breite  und  9'"  Länge.  > 

Zu  Einspritzungen  gebraucht  er  übrigens  eine  Ballon-Spritze  i).      y 

5.  Die  warmen  Umschläge  macht  J.  mittelst  des  nassen  Verbandes, 
der  alle  3  Stunden  erneuert  wird,  bei  Gersten-  und  Hagel-Korn,  Vereiterung 
des  Thränensacks,  tiefsitzender  Hornhaut-Entzündung. 

6.  Zum  Ausdrücken  der  Trachom-Kürner  bedient  er  sich  einer  beson- 
dren gefensterten  Zange. 


1)  J.  hat  die  Priorität  vor  Wecker. 


F.  0.  Ewetzky. 


239 


§  i)||.  10.   Feodor  Orestowitscb  Ewetzky  (1851  — 1909)^^ 

1851  im  Gouv.  Jekaterinoslaw  geboren,  begann  E.  seine  Studien  an  der 
med.  Akademie  zu  St.  Petersburg,  setzte  dieselben  aber  schon  vom  i.  Jahre 
an  im  Auslande  fort,  in  Zürich,  Heidelberg,  Halle  und  Wien,  erlangte  den 
Doktor-Grad  in  Heidelberg,  machte  das  russische  Staats-Examen,  ließ  sich 
in  Moskau  nieder;  nachdem  er  1 886  auch  noch  in  Dorpat  promovirt,  habilitirte 
er  sich  in  Moskau  1 893  und  wurde  erster  Assistent  Maki.akokf's  in  der  neu 
erbauten  Augenklinik. 

Fig.  12. 


Prof.  F.  0.  Ewetzky. 


Nach  dem  Ableben  Maklakoff's  zum  a.  o.  Professor  befördert,  über- 
nahm er  die  Leitung  der  Poliklinik  und  des  Laboratoriums  und  ertheilte 
seit  1895  den  klinischen  Unterricht  in  Gemeinschaft  mit  dem  Direktor  der 
Klinik,  Prof.  Krückow,  gab  auch  Kurse  der  pathologischen  Gewebe-Lehre 
des  Auges,  die  großen  Zuspruchs  sich  erfreuten. 

Im  Jahre  1900  wurde  E.  als  Nachfolger  von  Raeblmann  nach  Dorpat 
berufen.    »Seine  Rechtlichkeit,  seine  unabhängige,  parteilose  Stellungsnahme 


1)  Klin.  M.  Bl.  f.  A.  1909,   S.  «47—650.     (Alex.  Natanson.)     C.  B1.  f.  A.  1909, 
S.  185.     (Ich  habe  E.  gut  gekannt.) 


240  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— 1875. 

in  der  bisher  deutschen,  nunmehr  aber  —  nicht  zu  ihrem  Vortheil  — 
russificirten  Alma  mater  Dorpatensis  haben  allerseits  die  verdiente  Aner- 
kennung gefunden ij.«  Leider  ist  er  schon  am  S.Mai  1909  einem  Schlag- 
anfall erlegen. 

EwETZKY  war  ein  unermüdlicher  Forscher.  Sein  Name  ziert  die  Mehr- 
zahl der  russischen  medizinischen  Blätter  und  sämtliche  deutsche  Fach- 
zeitschriften. Auf  dem  Gebiet  der  Entwicklungsgeschichte,  der  angeborenen 
Mißbildungen  und  der  pathologischen  Anatomie  des  Auges  hat  er  Hervor- 
ragendes geleistet. 

A.  Entwicklung   der   Lider,    Arch.  f.  Augenh.  VIIl,    1879;    des    Thränen- ■ 
Nasengangs,  A.  f.  0.  XXXIV,  1888.    Lid-Kolobome,  C.  Bl.  f.  A.  1897.     Kolobom- 
Kysten,    Diss.    Dorpat   188  6.      Teratome    der   Orbita,    Westn.  0.   18  86.     Ilaut- 
Horn,  Moskauer   augeniirztl.    (i.    1900.     Halbmondförmige  Lipodermoide,   G.   Bl. 
i:  A.  1898. 

Hyaline  Entartung,  Westn.  0.  1893.  Sklerom,  Deutscbmann's  Beitr.  1896. 
Sarkome  der  Bindehaut,  Westn.  0.  1886.  Syphilome  des  Ciliarkörpers,  Berlin 
1903.  Dissemination  intraok.  Sarkome,  A.  f.  0.  XLII,  1896.  Sarkome  in 
atrophischen  Augen,  A.  f.  0.  XLV,  1898.  Ret.  pigm.,  Westn.  0.  1890.  Netzhaut- 
Ablüsung  undGlaukom  bei  Ret.  albumin.,  Klin.  M.  Bl.  1  898.  Sehnerven-Geschwülste, 
Ges.  d.  russ.  Ärzte  in  Moskau  1882,  Med.  Obow.  18  83.  Bacilläre  Panophth. 
ebendas.  1896,  mit  Berestnew.  Aktinomykose  des  Thränenröhrchens,  Arch. 
d'Ophth.  1896.   Fliegenlarve  in  Vorderkammer,  Zeitschr.  f.  A.  1904,  mitKennel. 

B.  Von  klinischen  Veröffentliclmngen  seien  erwähnt:  Trachom  im 
Kindes-Alter,  Westn.  0.  1897.  Behandlung  der  Bindehaut-Diphtherie  mit  Serum, 
Berlin.  Klin.  W.  1896.  Intraokulare  Desinfektion  mit  Jodoform,  Klin.  M.  Bl.  1902." 
Bindehaut-Xerose  und  Star-Bildung  bei  Glasbläsern,  Westn.  0.  1890.  Kyklitis 
bei  Affen  nach  Impfung  mit  Recurrens,  C.  Bl.  f.  A.  1897.  Panophth.  und  Chor. 
metast..  Med.  Obow.  1888.  Recid.  Ret.  centr.  syph.,  C.  Bl.  f.  A.  1892.  Sch- 
störung  nach  Kopf-Verletzung,  Med.  Obow.  1883.  Gummöse  Erkr.  d.  Chiasma, 
ebendas.  1895.  Lähmung  der  äuß.  Augen-Muskeln  nach  Diphth.,  Arch.  d'Oplitli. 
1887. 

C.  Die  Mittheilungen  aus  der  Augenklinik  in  Jurjew  hat  Ewkt/jcy  in 
deutscher  Sprache  veröffentlicht. 

Das  erste  Heft  (Berlin   1904)   enthält  seine  eigne  Arbeit  über  das  Syphilom 
des  Ciliarkörpers;  das  zweite  (1905)  Arbeiten  seiner  Schüler:  .T.  Rubert,  Augen- ,i 
grund-Veränderungen  bei  Lepra.     A.  Engelman,  Tonometr.  Untersuchungen. 

Th.  Wernicke,  Zur  Onkologie  des  Auges ;  Beitr.  zur  Aniridie.  G.  Hollmann, 
G.  F. -Veränderungen  im  Alkohol-Rausch.  M.  Sesülinsky,  G.  F. -Veränderungen 
nach  Vergiftung  mit  Nitrobenzol  und  Stickstoff-Oxydul. 

Ewetzky  war  Mitherausgeber  der  russischen  augenärztlichen  Zeitschrift 
Westnik  Ophth.  und  Gründer  der  Moskauer  augenärztl.  Gesellsch.  1899,  die  aus 
dem   bescheidnen  Ophthalmologcn-Kränzchen    vom  .lahre   1888    hervorgegangen. 

1)  Natanson,  a.  a.  0. 


Die  Augenheilkunde  in  Riga.  241 

§  012.  Die  .\ugenheilkunde  in  Riga^). 
Bis  zur  Mitte  des  lU.  Jahrhundeiis  gab  es  in  Riga  keine  Arzte  spe- 
(i'Uer  Ausbildung  für  Augenheilkunde.  Im  Jahre  1857  begann  Dr.  C. 
\\  ALDHAL'Eit  seine  augenärztliche  Thätigkeit  in  Riga  unter  Erüilnung  einer 
l'rivalklinik  mit  einigen  Betten.  Im  Jahre  1K70  Dr.  J.  Stavenhagen  und 
IS74  Dr.  L.  Mandelstamm. 

Stave.nbagen,  Job.  Eugen,  geb.  6.  Okt.  1842  zu  Riga,  studirte  in  Dorpat 
IStil  — 1866;  promovirto  daselbst  zum  Dr.  med.  1868  (mit  der  Dissertation : 
Klinische  Beobachtungen  aus  der  Wittwe  Reime rs'schen  Augen-Heilanstalt 
zu  Riga*):  war  1867 — 1869  Assistenz-Arzt  der  Reimers'schen  Augen-Heil- 
anstalt zu  Riga;  setzte  das  Studium  der  Augenheilkunde  IS6*.) — 1870  in 
ßtrlin  unter  A.  v.  Graefe  und  in  ^^■ien  unter  .\iu.t  fort  und  ließ  sich  1870 
in  Riga  nieder.  Seit  April  1880  Direktor  und  Oberarzt  der  Reimers- 
S(  heu  Augen-Heilanstalt. 

NN'ittwc  W.  Uoimers'schc  .\ugen-Hoilanstalt  für  Unbemittelte 

zu  Riga. 

Frau  Wilhelmine  Reimers  (geb.  1792,  gest.  1858,]  vermachte  testamen- 
tirisch einen  großen  Theil  ihres  Vermögens  zum  Zwecke  der  Begründung 
einer  Augen-Heilanstalt  für  Unbemittelte.  Der  Bau  wai-  im  Sommer  1803 
li'-endet.  Für  den  Betrieb  der  Anstalt  verbliel)  nur  die  Rente  eines  Kapitals 
\<>n  60  000  Rbl.,  so  daß  das  Wohlthätigkeits-Institut  sofort  auf  Erwerb 
durch  zahlende  Kranke  angewiesen  war  und  den  Willensmeinungen  der 
Kiblasserin  nur  durch  einige  Freibetten,  durch  niedrige  Verpilegungspreise 
lind  die  kostenfreie  ambulatorische  Behandlung  entsprechen  konnte. 

Dr.  C.  Waldhauer  eröffnete  den  Betrieb  der  Anstalt  am  4.  Jan.  1864 
und  leitete  sie  mit  bestem  Erfolge  bis  zum  April  1880.  Ihm  folgte  als 
Olierarzt  und  Direktor,  durch  Wahl  der  Gesellschaft  prakt.  Arzte,  der  Dr. 
med.  J.  Stavenhagen.     Zahl  der  Betten  60,  A.  Kr.  6000,  B.  Kr.  400. 

Zusatz.  Klinische  Beobachtungen  aus  der  Wittwe  W.  Reimers'- 
schen Augen-Heilanstalt  zu  Riga  im  Jahre  1 867.  Eine  zur  Erlangung  der  Würde 
eines  Doktors  der  Med.  (zu  Dorpat)  verfaßte  Abhandlung  von  Joiin  Eugen 
Stavenhagen.  Riga  1868.  (95  S.)  Behandelt  die  Kr.  der  Lider,  der  Binde- 
haut, der  Hornhaut  und  die  Verletzungen. 

Unter  den  2135  Kranken   des  Jahres  1867  betreffen  244  d.  i.  11,4^ 


1)  E.  Z.  (1907)  256  000;  46?»  Deutsche,  20X  Russen,  20%  Letten;  den  Rest 
bilden  Esthen  und  andre  Nationalitäten.  1911:  328  000,  so  daß  Riga  jetzt  die 
sechstgrößte  Stadt  des  russischen  Reiches  geworden.  —  In  Riga  wirkten  Herder 
und  Richard  Wagner.  — 

Für  die  Nachrichten  über  Riga  bin  ich  Hrn.  Kollegen  Dr.  H.  Baron  Krüdener 
zu  Dank  verpflichtet.  Der  Paragraph  9i2  entstammt  der  Feder  des  Hrn.  Kollegen 
Stavenhagen,  ist  aber  von  mir  einerseits  gekürzt  und  andrerseits  mit  einem  Zu- 
satz versehen  worden. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VH.)    XXIII.  Kap.  4  6 


242  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  -1 800— 1875. 

die  Augenliderj  und  davon  die  Hälfte,  also  5,5^  die  Haarkrankheit. 
(In  Düsseldorf  nur  0,8^,  in  Heidelberg  0,67^,  in  Wiesbaden  0,6^,  in 
Wien  bei  Arlt  0,33^  der  Gesamt-Krankenzahl.) 

§  913.  Die  Todten  Riga's. 

I.   Carl  Waldhauer   (1820  — 1899)  t). 

Im  Dez.  1820  zu  Sallenen  in  Kurland  geboren,  studirte  W.  in  Königs- 
berg und  in  Halle,  bestand  sein  Examen  in  St.  Petersburg,  wirkte  zuerst  als 
Landarzt  in  Kurland,  unternahm  dann  im  Jahre  1855  eine  Reise  nach 
Berlin  und  nach  Paris,  um  sich  bei  A.  v.  Graefe  und  bei  Desmarres  in  der 
Augenheilkimde  weiter  auszubilden,  ließ  sich  1857  in  Riga  als  Augenarzt 
nieder  und  leitete  von  1863  — 1880  die  Wittwe  Reimers'sche  Augen- 
Heilanstalt. 

Hier  entfaltete  W.  eine  segensreiche,  praktische  Thätigkeit,  hat  auch 
eine  Reihe  von  Augenärzten  herangebildet.  Später  zog  er  nach  Mi  tau, 
mußte  aber  schließlich  wegen  eines  schweren  Augenleidens  der  Thätigkeit 
entsagen. 

W.'s  Veröffentlichungen  beziehen  sich  auf  Fragen  der  praktischen 
Augenheilkunde,  besonders  auf  die  Operation  der  im  trachom-reichen  Kur- 
land so  häufigen  Haarkrankheit  und  auf  interessante  Krankheitsfälle  und 
Augen-Verletzungen.    W.  war  ein  echter  Deutscher,  in  Gestalt  und  Wesen. 

»Seine  markante  Art  sich  zu  geben,  seine  an  längst  vergangene  Tage 
anklingende,  urwüchsige  Natur,  in  der  die  rauhe  Außenschale  ein  treues 
Herz  und  ein  weiches  Gemüth  zu  verbergen  suchte,  machte  ihn,  besonders 
in  seiner  Heimath  Kurland,  zu  einer  im  besten  Sinne  populären  Persön- 
lichkeit.«    (II.) 

Im  Folgenden  gebe  ich  eine  Liste  seiner  hauptsächlichen  Veröffent- 
lichungen : 

Über  Cataract.  punct.,  Arch.  f.  Ophth.  XXXI,  1.  Tumoren  des  Auges  und  der 
Augenhöhle,  Petersb.  med.  W.  -1877  (C.  El.  f.  A.  -1878,  S.  168).  L'Operation  du  trichia- 
sis,  Arch.  d'Ophth.  i882,  Novbr.  bis  Dezbr.  Eine  Iris-Anomalie,  Klin.  M.  Bl.  -1886, 
Mai.  Zur  Op.  der  Ptosis,  Petersb.  med.  W.  1886,  16  u.  17.  Ein  Fall  von  sympath. 
Ophth.,  Klin.  M.  Bl.,  Okt.  1883.  4  Fälle  von  diabet.  Cataract,  St.  Petersb.  med.  W. 
1884,  No.  51  u.  52.  Eine  Augenverletzung,  C.  Bl.  f.  A.  1885,  S.  41.  Fremdkörper 
in  der  Orbita,  D.  Z.  f.  Chir.  XXIX,  C.  Bl.  f.  A.  1889,  S.  433.  Zur  Operation  der 
Trichiasis,  Klin.  M.  Bl.  1897,  S.  377. 

IL    Leopold  Mandelstamm  H  (1839—1913)2), 
geb.  am  16.  Mai  1839  zu  Szagarren  (Gouv.  Kowno),  studirte  erst  in  Dorpat, 


1)1.  C.  Bl.  f.  A.  1899,  S.  254—255.  (J.  HlRSCHBERG.)  II.  Klin.  M.  Bl.  1899, 
S.  229—230. 

W.  hat  mich  öfters  besucht,  ich  habe  ihn  sehr  gut  gekannt. 

2)  C.  Bl.  f.  A.  1913,  S.  332.  (J.  Hirschberg.)  —  Mändelstamm  I  werden  wir  in 
Kiew  kennen  lernen. 


Waldhauer,  L.  Mandelstamm,  Poetschke,  Zwingmann.  243 

dann  in  Berlin  und  Heidelberg.  Er  arbeitete  im  Laboratorium  von  Helm- 
HOi.Tz  und  besuchte  die  Kliniken  von  Lebkr,  Hirschbbrg,  Pagbnstechbb. 
Im  Jahre  4  874  ließ  er  sich  in  Riga  als  Augenarzt  nieder,  entfaltete  eine 
bedeutsame,  praktische  Thätigkeit  und  erhielt  den  Charakter  als  Staatsrath. 
In  den  letzten  Jahren  lebte  er  zurückgezogen  in  Berlin  und  ist  hierselbst 
am  5.  Juli  1913  verstorben. 

V  e  r  ü  f  f  e  n  1 1  i  c  h  u  n  g  e  n. 

1.  Diss.:  Beobachtung  doppelsinniger  Leitung  im  Ram.  lingualis  nervi  trige- 
mini,  Dorpat  1864.  —  2.  Zusammen  mit  Dr.  H.  Schoeler:  Eine  neue  Methode 
zur  Bestimmung  der  optischen  Constanten  des  Auges  am  Lebenden.  Graefe's 
Arch.,  Bd.  XVIII.  —  3.  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Lage  der  korrespondirenden 
Netzhautpuncte.  Graefe's  Arch.,  Bd.  XVIII  u.  XIX.  —  4.  Ein  Fall  von  seltener  und 
schwerer  Augenverletzung  mit  relativ  günstigem  Ausgange.  St.  Petersb.  med. 
Wochenschrift  1884.  No.  22.  —  Casuistische  Beiträge  im  C.  f.  A..  Klin.  M.  Bl.  f.  A. 
:1878)  und  in  der  St.  Petersb.  med.  Wochenschr. 

III.  Otto  Hugo  Poetscbke, 
geb.  zu  Annenhüf  in  Kurland  am  30.  März  1852  als  Sohn  des  dortigen 
preußischen  Bürgers  Gottfried  P.,  machte  seine  Universitäts-Studien  auf 
deutschen  Hochschulen,  1878  Dr.  in  Berlin,  während  er  gleichzeitig  als 
Freiwilliger  bei  den  Gaide-Dragonern  sein  Jahr  abdiente;  1881  hat  er  in 
Dorpat  noch  einmal  den  Doktor  erworben. 

Zunächst  ließ  er  sich  zu  Bershof  in  Kurland  nieder,  wo  er  1883 — 1887 
prakticirte  und  eine  Augen-Heilanstalt  verwaltete.  Von  1888 — 1891  prakti- 
cirte  er  zu  Schlok  in  Livland,  wo  er  ebenfalls  ein  Lazaret  für  Augenkranke 
errichtete,  und  war  vom  April  1892  bis  1.  Oktober  1893  als  Dr.  Wald- 
hauer's  Nachfolger  Augenarzt  am  Diakonissen-Hause  zu  Mitau,  zugleich  all- 
gemeine Praxis  ausübend.     Am  3.  Mai  1894  ist  er  verstorben. 

Berliner  Diss.  (nach  Hirschberg's  Material):  Beiträge  zur  Diagnostik  und 
Prognostik  der  Amblyopien  durch  die  Gesichtsfeldprüfung.  —  Dorpater  Diss.:  Um- 
arbeitung der  ersten  Schrift:  Die  Verwertung  der  Gesichtsfeldprüfung  für  die  Dia- 
gnostik und  Prognostik  der  Amblyopien. 

§914.  Die  Lebenden  Riga's. 

I.  Lothar  Fkiedrich  Zwingmann, 
geb.  in  Riga  am  26.  September  1851,  besuchte  1871  — 1877  die  Universität 
Dorpat,  promovirte  Oktober  1879,  war  1877 — 1879  Assistent  der  Dorpater 
Universitäts-Augenklinik,  lebt  seit  September  1880  als  frei  prakticirender  Augen- 
arzt in  Riga.  In  Folge  eines  Scblaganfalles,  im  März  1913,  hat  er  seine 
Praxis  aufgegeben. 

Veröffe  ntlichungen: 

1.  Diss.:  Die  Amyloid-Tumoren  der  Conj.,  Dorp.  1879.  —  2.  Conjunctivitis  diph- 

therica  mit  tüdtlichem  Ausgange  durch  akute  Lymphdrüsenschwellung  am  Halse. 

St.Petersb.  med.  Wochenschr.  1883,  No.  5.  —  3.  Refraktion  und  Sehschärfe  der  Augen 

'  der  Schüler  des  Stadtgymnasiums.    Im  Programm  des  Stadtgymn.  zu  Riga  1884. 

16* 


244  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  < 800— 1875. 

II.    MiRON  Eliasberc, 
geb.   in  Minsk   186'3,   Doktor    1893,   vom    I .  September  1893   bis   23.  September 
1896    a.  0.  Ordinator    an    der   St.  Petersburger    Augen-Heilanstalt.     Seit    1896 
praktischer  Arzt  in  Riga,   wo   er   1896   eine  Privat-Augenklinik  begründete. 

V  e  r  ö  f  f  e  n  tl  i  c  h  u  n  g  e  n : 
1.  Bericht  über  die  augenärztliche  Expedition  im  Gouvernement  Pensa  1895 
(russisch,  Riga  1896).  —  2.  Chinin -Amaurose.  (Vgl.  G.  Bl.  f.  A.  1898,  S.  44t.)  — 
3.  Offene  Wundbehandlung.  (Ebendas.  1900,  S.  192.)  —  4.  Behandl.  skrof.  Augen- 
Entz.  fKl.  M.  BI.  1904.)  —  5.  Tay-Sachs'sche  Kr.  (Z.  f.  Aug.  190ö.)  —  6.  Augen- 
Verband  (WolfTberg's  W.  1911  und  Petersb.  M.  Z,  1912).  —  7.  Ret.  prolif.  (G.  BI. 
f.  A,  1904,  S.  .383.) 

III.   Heinrich  Emanuel   Baron  Krüdeneh, 
geb.    17.  April    1864   zu  Pujat    bei  Fellin,   studirte    188  4  — 1890   in  Dorpat. 

Arzt  im  Mai  1890,  Dr.  med.  12.  Mai  1892;  war  1890  —  1893  Assistent 
an  der  Universitäts-Augonklinik  zu  Dorpat,  setzte  seine  Studien  bis  Mai  1894 
in  Berlin  fort,  unternahm  im  Sommer  1895,  im  Auftrage  des  St.  Petersburger 
Blinden-Kuratoriums,  eine  okulistische  Expedition  ins  Gouvernement  Smolensk,  im 
Sommer  1895  eine  solche  auf  die  Inseln  Ösel  und  Moon  und  1896  ins  Gou- 
vernement Simbirsk. 

Ein  Jahr  lang  hielt  er  sich  als  wissenschaftlicher  Assistent  an  der  Uni- 
versitäts-Augenklinik in  Königsberg  auf,  ist  seit  1895  praktischer  Augenarzt  m 
Riga,  wo  er  September   1898   eine  Privat-Augenklinik  begründete. 

Veröffentlichungen : 
1.  Diss.:  Zur  pathologischen  Anatomie  der  Amyloid-Tumoren,  Dorpat  1902.  — 
2.  Über  die  Tensionsveränderungen  des  Bulbus  beim  Aderhautsarcom.  Knapp- 
Schweigers  Archiv  1896.  —  3.  Zur  Pathologie  der  Stauungspapille  und  ihrer  Ver- 
änderung nach  der  Trepanation.  Graefe's  Archiv  1907,  Bd.  LXV.  —  4.  Erblindung 
durch  Atoxyl,  Methylalkohol,  Schwefelkohlenstoff  und  Fihx  Mas.  Zeitschrift  für 
Augenheilkunde  1907.  —  ö.  Über  Trachom  und  Zellparasiten  bei  Trachom  1895. 
<908,  No.  52;  1909,  No.  19  u.  24.     St.  Petersb.  med.  Wochenschr. 

Erst  in  Riga,  später  in  Libau  wirkte  als  Augenarzt 

IV.     G.   Isr.HREVT, 

von  dem  zahlreiche  Veröffentlichungen  vorliegen : 

A.  f.  0.  LVI,  677,  1898,  Zur  Mechanik  der  Sclera.  LVIII,  384,  Anatom,  u. 
physik.  Untersuchung  der  Rinder-Scieren;  506,  Faserverlauf  der  menschl.  Liderhaut. 
XLIX,  512.  Elast.  Fasern  der  Sclera.  XLVIII,  694  Tonometrie.  A.  f.  A.  LXIV, 
1009,  Beziehungen  zwischen  Glaukom  u.  Myopie.  St.  Petersb.  med.  Wochensch. 
1910,  Vorstufen  des  primären  Glaukoms  u.  viele  a. 

§  915.    Augenärzte  in  Revali). 

Bis  zum  Jahre  1853  hat  es  in  Reval,  bezw.  in  der  Provinz  Esthland,  keine 
speciahstisch  ausgebildeten  Augenäi'zte  gegeben.     Der  erste  war: 

Eduard  Paul  Hoerschelmann  (183  3  — 1883), 

der   1863   als    frei-practicirender  Arzt^    vorherrschend  Augenarzt,    in    Reval    sich 
niederließ. 


1)  Nach  dem  Bericht  des  Herrn  Kollegen  Dr.  von  Poppen.     (Gekürzt.) 


Eliasberg,  Krüdener,  Ischreyt.  —  Kiew.  245 

Der  zweite 

Theodou  Feriiinanü   Uofkmanx, 

geb.  8.  Mai  18  40  in  Esthland,  seit  1860  practicirender  Arzt,  vorherrscbend 
Augenarzt,  in  Reval. 

Der  erste  Arzt^  der  lediglicli  mit  Augenheilkunde  sich  beschäftigte,  war 

3.   Max  vun   Middendori-, 

[  geb.  am  8.  December  1861  in  Livland,  studirte  Heilkunde  in  Dorpat  1880 — 1888, 
'  -war  als  Student  Volontär-Assistent  an  der  Augenklinik  in  Dorpat  unter  Prof. 
Raehl.ma.nx,  1889  an  der  St.  Petersburger  Augen-Heilanstalt  unter  Graf  Magawly, 
besuchte  verschiedene  Universitäten  Deutschlands.  Seit  1890  Augenarzt  in  Reval. 
Begründete  18  93  im  Verein  mit  mehreren  Ärzten  eine  Ambulanz  für  alle  Disci- 
pHnen  der  Medicin,  in  der  er  die  Abtheilung  für  Augenkranke  übernahm.  Ist 
Ordinator  der  Abtheilung  für  .Vugenkranke   an  der  Diakonissen-Anstalt  in  Reval. 

4.   Frieiihich  Akei., 

geb.  2  4.  August  187  1  in  Livland,  esthnischer  Nationalität.  Seit  1902  Special- 
arzt für  Augenkrankheiten  in  Reval.  Eröffnete  19  12  ein  kleines  Privat-Hospital 
für  Augenkranke, 

§9161).    Djg  Universität  in  Kiew. 

[Nach  der  ersten  polnischen  Empörung  wurde  1831  das  Lyceum  zu  Kreme- 
nentz  und  1832  die  Universität  zu  Wilna  geschlossen;  jedoch,  an  Stelle  der 
med.   Fakultät,   eine  medizinisch-chirurgische  Akademie  belassen.] 

Im  .Jahre  1833  wurde  dann  die  Universität  in  Kiew  gegründet;  doch  die 
medizinische  Fakultät  konnte  erst  1840,  nach  Schließung  der  Wilnaer  Medico- 
Qiirurgischen  Akademie,  eröffnet  werden. 

Bis  zum  Jahre  18  69  war  die  Augenheilkunde  von  der  Chirurgie  nicht  ge- 
trennt und  wurde  der  theoretische  Theil  mit  der  theoretischen  Chirurgie  vor- 
getragen, außer  in  den  ersten  1  '2  Jahren,  wo  Prof.  Kahawa^eff  Augenheil- 
kunde las. 

Von  18  44 — 18  45  trug  Prof.  Becker  die  Ophthalmologie  zusammen  mit 
der  theoretischen  Chirurgie  vor.  Er  war  sächsischer  Unterthan,  in  Reval 
178  8  geboren,  und  hatte  seine  medizinischen  Studien  an  der  Dorpater  Uni- 
versität gemacht.  Nach  Kiew  wurde  er  für  den  Lehrstuhl  für  allgemeine  The- 
rapie  und  Pharmakologie  berufen. 

Seine  Stelle  wurde  dann  von  Prof.  Zilchert  eingenommen.  Zilchert  war  auch 
deutscher  Herkunft  und  in  einer  der  Baltischen  Provinzen  1815  geboren. 
Seine  Studien  machte  er  ebenfalls  in  Dorpat  und  blieb  darauf  als  Prosektor 
daselbst  an  der  Universität  bis  zum  Jahre  1845,  wo  er  als  Extraordinarius  für 
Chirurgie  und  Ophthalmiatrie  nach  Kiew  berufen  wurde.  Leider  konnte  er  nicht 
lange  dieses  Amt  verwalten,  schon   1848   starb  er  am  Typhus. 

Vom  Jahre  1848 — 1850  tritt  eine  Pause  ein,  die  Augenheilkunde  ist  wohl 
in  dieser  Zeit  überhaupt  nicht  vorgetragen  worden;  in  der  zweiten  Hälfte  des 
Jahres    1851    wird  Prof.   vox  HCbbexet  zum   a.  0.   Professor  ernannt. 


1)  §916  ist  nach  dem  Bericht  des  Dr.  von  Poppex,  mit  wenigen  [einge- 
klammerten! Zusätzen  von  mir  gearbeitet.  —  Dr.  von  Poppen  schreibt  Kieff;  wir 
sind  an  Kiew  gewöhnt. 


246  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— 1870. 

Christian  von  Hübbenet  war  1822  in  Livland  geboren.  Seine  medi- 
zinischen Studien  machte  er  an  der  Dorpater  Universität,  bis  1844.  Da- 
nach arbeitete  er  einige  Zeit  in  Kasan  unter  Leitung  Prof.  Blossfeld's  auf 
dem  Gebiet  der  gerichtlichen  Medizin.  1847  wurde  er  als  Adjunkt  nach  Kiew 
berufen  und  \  850  erhielt  er  daselbst  die  a.  o.  Professur  für  theoretische  und 
praktische  Chirurgie,  einschließlich  der  Ophthalmologie,  welche  er  bis  zum 
Jahre  1869,  der  Eröffnung  eines  besondren  Lehrstuhles  für  Ophthalmolo- 
gie, vortrug.  Bei  einer  Studien-Reise,  die  Prof.  Hübbenet  1852  ins  Ausland 
unternahm,  lernte  er  die  Ophlhalmoskjopie  und  brachte  das  erste  Oph- 
thalmoskop^) und  eine  Sammlung  künstlicher  Augen  nach  Rußland  mit. 
Bis  zum  Jahre  1870  blieb  er  auf  seinem  Posten,  darauf  siedelte  er  nach 
Petersburg  über  und  ist  1873  am  Typhus  gestorben. 

Prof.  IICbbenet  hat  keine  großen  wissenschaftlichen  Arbeiten  hinter- 
lassen; aber  mehrere  seiner  Schüler  erlangten  später  einen  weiten  Ruf.  In 
seinen  Vorlesungen  verstand  er  seine  Zuhörer  hinzureißen  und  für  sein 
Fach  zu  interessiren.  Seine  operative  Technik  wai-  keine  hervorragende. 
[Vgl.  Biogr.  Lex.  III,  298.)  —  1854/55,  während  des  Krim-Krieges  war  H. 
in  Sebastopol  äußerst  thätig  und  hat  seitdem  der  Militär-Hygiene  große 
Aufmerksamkeit  zugewendet,  besonders  nach  seinem  Rücktritt:  auch  mehr- 
mals Deutschland  besucht. 

In  der  Gesellschaft  der  Hospital-Ärzte  zu  Paris  sprach  H.  am  26.  Sep- 
tember 1860  über  Hemeralopie.  Er  leitet  diesen  Zustand  von  mangel- 
hafter Ernährung,  z.  B.  während  der  Fastenzeit,  ab  und  sieht  in  der  Rinds- 
leber, welche  die  niederen  Klassen  dagegen  anwenden,  nur  ein  fibrinhaltiges 
Nahrungsmittel:  er  beobachtete  dabei  auch  eine  Trockenheit  der  Ober- 
fläche des  Augapfels,  Schüppchen  in  der  Bindehaut  desselben.  (A.  d'Oc. 
XLIV,  293,  1860.)] 

Die  ophthalmologische  Klinik  befand  sich  vom  Jahre  1844 — 1869 
unter  der  Leitung  von  Prof.  Karawajeff.  Bis  zum  Jahre  1852  war  sie 
von  der  chirurgischen  nicht  getrennt:  zur  Verfügung  für  Augenkranke 
standen  nur  9  Betten. 

Wladimir  Karawa.ieff  war  in  Wjatka  1811  geboren;  1831  beendete 
er  seine  medizinischen  Studien  in  Kasan  und  wurde  zum  Ordinator  an  das 
Petersburger  JMilitär-Hospital  berufen.  Im  Jahre  1834  unternahm  er  zu 
weiterer  Vervollkommnung  eine  Reise  ins  Ausland  und  studirte  Chirurgie 
in  Berlin  und  Göttingen,  dann  von  1835  —  1838  noch  weiter  in  Dorpat, 
machte  auch  dort  seinen  Doktor.  Mit  der  Eröffnung  einer  medizinischen 
Fakultät  in  Kiew  1840  wurde  er  als  Professor  der  Chirurgie  dorthin 
berufen. 


1)  [Dies  hat  wohl  nur  örtliche   Bedeutung.     Von  Kabat  und   Froebelius 
wird  dasselbe  gerühmt.] 


Hübbenet.    Karawajeff.    Iwanoff.  247 

Prof.   Karawajeff  begann  bei  der  Star- Operation  die  Fixations-Pinzette 

/u  benutzen  und  die  Ausziehung  nach  oben  zu  machen.     Dank  seinen  Be- 

I  tnühungen  wurde    ein    besonderer  ophthalmologischer  Lehrstuhl   mit   einer 

Klinik  im  Jahre   1869  an   der  Kiewer  Universität  eröffnet  und    zum  Leiter 

derselben  Prof.  Iwanoff  ernannt. 

[^In  dem  Nachrufe  an  Karawajeff  von  Talko')  heißt  es:  »Bis  zum 
,l;ihre  1859,  als  auf  den  neu  erricliteten  Lehrstuhl  der  Augenheilkunde 
Dr.  Junge  nach  Petersburg  und  Dr.  Braun  nach  Moskau  berufen  wurde, 
hatte  nur  Einer  Ruf  in  ganz  Rußland  als  vorzüglicher  Augenarzt,  das 
war  Karawajeff.  Besonders  berühmt  war  er  durch  Star-Ausziehung  nach 
nhen.  (Jäger's  Verfahren,  mit  dem  BEER'schen  Messer  ausgeführt.)  Seinen 
kiinstgeübten  Händen  hatte  sich  die  Schwester  des  Kaisers  Nicolaus,  Helene 
l'awlowna,  anvertraut;  die  Gattin  des  Kaisers,  Alexandra,  nahm  seinen 
liath  in  Anspruch ...  .  Im  Jahre  1890  feierte  er  sein  50  jähriges  Jubiläum 
und  erhielt  den  Titel  eines  wirklichen  Geheinirathes.  51  Jahre (!'  lang  hat 
er  seiner  Professur  vorgestanden.  Im  Alter  von  81  Jahren  ist  er  (1893) 
an  Lungen-Entzündung  verschieden« ....  —  VerüfTentlicht  hat  er  in  deut- 
scher Sprache  »Chirurgische  Krankheits-Fälle«  Opfenheim's  Z.  f.  d.  ges. 
Med.  XXII)  und  außerdem  kasuistische  Mitteilungen  in  verschiedenen 
nissischen  Zeitschriften 2).] 

§917.     Alexander  Iwanoff  (1836—1880)3). 

Im  Jahre  1836  geboren,  besuchte  J.  anfangs  das  Gymnasium  in  Kursk 
und  studirte  später  bis  1  859  Medizin  in  Moskau.  Schon  zu  dieser  Zeit  litt 
er  am  Blutsturz.  Bald  nach  der  Beendigung  des  Universitäts-Kursus  ging 
er  ins  Ausland,  wo  er  in  Montpellier  die  Bekanntschaft  von  A.  Pagenstecher 
machte,  der  ihn  überredete,  sich  der  Ophthalmologie  zu  widmen,  welche 
damals  Dank  den  Arbeiten  des  unvergeßlichen  Albrecht  v.  Graefe  und 
von  Donders  mit  Riesenschritten  fortzuschreiten  begann. 

In  dem  Laboratorium  des  berühmten  Prof.  H.  MIller  in  Würzburg 
ist  er  auch  mit  den  Fragen  aus  dem  Gebiete  der  pathologischen  Anatomie 
des  Auges  bekannt  geworden,  welche  am  meisten  einer  wissenschaftlichen 
Erforschung  bedurften. 

Was  die  praktische  Ophthalmologie  anbetriftt,  so  hat  er  sich  damit 
schon  in  der  Klinik  von  Knapp  in  Heidelberg  bekannt  gemacht;  darauf 
arbeitete  er  eine  längere  Zeit  in  der  Klinik  von  Pagenstecher  und 
auch  in  den  Wiener  Kliniken  und  zwar  hauptsächlich  in  der  des  Prof. 
Arlt.  Ich  muß  übrigens  hinzufügen,  daß  er,  bei  seinen  häufigen  Reisen, 
nicht   allein    die   Bekanntschaft    der   bedeutendsten   Kliniker   Deutschlands, 


1)  Klin.  M.  ßl.  1892,  S.  327. 

2)  Biogr.  Lex.  III,  494. 

3)  Nach    C.    f.    A.    1881,    S.  125  —  128.      (DOBROWOLSKY.; 


248 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  -1800—1875. 


insbesondere  Berlins'),   machte,   sondern    auch    derjenigen   von  Paris    und 
von  London. 

Im  Jahre  1 867  machte  er  das  Doktor-Examen  zu  Petersburg.  Sein  Wunsch 
aber,  eine  Stelle  an  der  medico- chirurgischen  Akademie  zu  erhalten,  ging 
nicht  in  Erfüllung,  wiewohl  der  verstorbene  Präsident  derselben,  Dubowitzky, 

Fig.  13. 


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Prof.  A.  Iwanoff. 


sich  für  ihn  verwandte.  Derselbe  ernannte  ihn  zum  Ordinator  in  der  Augen- 
Abtheilung  des  Kriegs -Hospitals  in  Kiew  und  sandte  ihn  auf  Kron-Kosten 
für  2  Jahre  ins  Ausland,  um  seine  wissenschaftlichen  Studien  fortzusetzen. 

1869  erfolgte  seine  AVahl  zum  Professor  der  Ophthalmologie  in  Kiew. 

Die  Reichhaltigkeit  des   klinischen  Materials  gab  ihm   die  Müglichkeit, 


<)  Mir  gereichte  es  zu  besondrer  Freude,   daß   er   auch  meine  Anstalt  be- 
suchte und  manches  sich  zeigen  ließ,  was  für  die  Praxis  von  Wichtigkeit  ist.     H. 


Alexander  Iwanoff.  249 

«eine  Vorlesungen  vielseitig  zu  gestalten.  (Kiew  ist  ein  Wallfahrts-Ort, 
wiihin  Pilger  aus  allen  Gegenden  Rußlands  strömen,  unter  denen  auch  viele 
lüinde  sich  befinden.) 

A.  IwANOFK  hatte  sehr  geschickt  dieses  Material  zu  benutzen  verstanden, 
indem  er  auswirkte,  daß  die  Augenklinik  im  Sommer  nur  einen  Monat, 
nicht,  wie  früher  gewöhnlich,  für  die  ganzen  Sommer-Ferien  geschlossen 
wurde.  .Vußerdem  richtete  Iwanuff  theils  auf  Koston  der  Stadt,  an  die  er 
>i(:li  deshalb  gewandt  hatte,  theils  auf  seine  eigenen,  im  Sommer  zeitweilige 
Krankenhäuser  für  diejenigen  Kranken  ein,  welche  einer  operativen  Be- 
h mdlung  bedurften.  Diese  uneigennützige  Thätigkeit  erwarb  ihm  eine 
i;roße  Popularität  im  ganzen  Süden  von   llußland. 

Leider  hatte  in  Kiew  der  Blutsturz  bald  sich  wieder  eingestellt,  so 
(laß  J.  am  Schlüsse  des  Jahres  1871  und  zu  Anfang  1872  seinen  Aufent- 
halt in  einem  wärmeren  Klima  Europas  zu  nehmen  gezwungen  war.  Im 
Allfange  des  Jahres  1876  verließ  er  wieder  Kiew  krankheitshalber  und 
kihrte  nicht  wieder  zurück.  Die  letzten  Jahre  seines  Lebens  brachte  er 
im  Süden  Europas  zu,  meistens  in  Mentone  und  theilweise  in  Nizza. 

Jedes  Jahr  wurde  sein  Urlaub  ins  Ausland  verlängert;  im  Jahre  1880 
erhielt  er  einen  zweijährigen  Urlaub. 

A.  Iwanoff  ist  in  Mentone  am   15.  Oktober  1880  gestorben. 

Wenn  wir  die  Reihe  seiner  wissenschaftlichen  Arbeilen  überblicken, 
können  wir  Iwanoff  unsere  Achtung  nicht  versagen,  besonders  da  er 
an  Blutstürzen  litt  und  des  folgenden  Tages  nie  sicher  war. 

Viele  für  die  Ophthalmologie  wichtige  Fragen  aus  der  pathologischen 
Anatomie  hat  er  bearbeitet,  und  zwar  als  Erster  und  in  einer  gründlichen 
Weise.  So  z.  B.  über  die  Entzündung  der  Netzhaut  und  des  Sehnerven, 
über  den  Pannus  trachomatosus,  über  die  Ablösung  des  Glaskörpers  u.  s.  w. 
\.v  erkannte  zuerst  den  Unterschied  von  Form  und  Struktur  des  M.  ciliaris 
liei  Augen  verschiedener  Refraktion.  Auch  beschrieb  er  zuerst  die  Ver- 
änderungen bei  der  Entwickelung  der  Granulationen  in  der  Binde-  und 
llurnhaut,  welche  von  Andern  übersehen  worden  waren. 

Das  Zutrauen  zu  seinen  Forschungen  war  so  groß,  daß  viele  patho- 
logische Prozesse  im  Auge  von  den  hervorragenden  Handbüchern  im  Geiste 
seiner  Anschauungen  beschrieben  wurden ;  auch  schickten  berühmte  Fach- 
genossen ihm  enukleirte  Augäpfel  zur  Untersuchung  zu.  In  Folge  dessen 
konnte  er  eine  seltene  und  in  ihrer  Art  fast  einzige  Sammlung  anlegen. 
Wie  groß  die  Anerkennung  seiner  Leistungen  bei  den  Gelehrten  war,  be- 
weisen die  Worte,  die  Prof.  0.  Becker  in  Heidelberg  bei  einer  Vorlesung 
im  Jahre  1870  an  seine  Zuhörer  richtete:  »Für  pathologische  Anatomie 
des  Auges  hat  Iwaxoff  mehr  geleistet,  als  wir  Alle  zusammen.« 

Wir  können  der  Meinung  des  Prof.  Hirschberg  in  Berlin  beistimmen, 
die  er  bei  der  Nachricht  vom  Tode  Iwanoff's  aussprach:   »Iwanoff  ist  eine 


250  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

gleiche  Zierde  für  Rußland,  wo  er  geboren,  wie  für  Deutschland,  in  dessen 
Sprache  er  seine  Arbeiten  schrieb.« 

Leider  muß  ich  das  Geständniß  hinzufügen,  daß  die  Ver-  ) 
dienste  des  Verstorbenen  in  Deutschland  unvergleichlich  mehr  \ 
anerkannt  wurden,  als  in  Rußland. 

Wir  führen  die  Arbeiten  Iwanoff's  in  der  Reihenfolge  an,  wie  er  sie  selbst 
für  die  Kiew'sche  Universität  zusammengestellt  hatte,  und  fügen  die  nöthigen 
Ergänzungen  hinzu. 

I.  Cornea.     1.  Beitrag   zur  patholog.  Anatomie  des  Hornhaut-  und  Linsen- 
epithels.    Klin.   Beobacht.   a.   d.   Augenheilanstalt   zu   Wiesbaden,    1866.     2.   Über   , 
Conjunctivitis  und  Keratitis  phlyctaenularis.  Klin.  M.  Bl.  f.  Augenheilk.  1868.    3.  Zur 
patholog.  Anatomie  des  Trachoms.     Ber.  d.  ophth.  Vers.,  1878,  Heidelberg. 

II.  Lens  crystallina.  4.  Zur  normalen  und  patholog.  Anatomie  der  Linse. 
Doktor-Dissertation,  1867,  in  russischer  Sprache;  theilweise  auch  in  deutscher 
Sprache,  in  d.  Klin.  Beobacht.  zu  Wiesbaden  1866,  veröffentlicht. 

III.  Corpus  vitreum.    5.  Zur  Anatomie  des  Glaskörpers.   Klin.  M.  Bl.  1864.    . 

6.  Zur  normal,  und  patholog.  Anatomie  des  Glaskörpers.     Arch.  f.  Ophth.  Bd.  XII. 

7.  Trois  cas  de  decollement  de  l'hyaloide.  Compt.  rend.  du  congrfes  Internat,  d'ophth. 
1868.  8.  Beiträge  zur  Ablösung  des  Glaskörpers.  Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XVII. 
9.  Beitr.  z.  norm,  und  patholog.  Anatomie  des  Frosch-Glaskörpers.  Centralbl.  f. 
d.  med.  Wiss.  1868.  10.  Glaskörper.  Stricker's  Handbuch  d.  Lehre  v.  d.  Ge- 
weben, 1872. 

IV.  Retina  und  Nervus  opticus.  11.  Über  die  verschiedenen  Entzün- 
dungsformen der  Retina.  Klin.  M.  Bl.  1864.  12.  Zur  Pathologie  der  Retina. 
Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XII.  13.  Perivasculitis  retinae.  Klin.  M.  Bl.  1865.  14.  Das  Ödem 
der  Netzhaut.  Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XVII.  i.j.  Bemerk,  zur  patholog.  Anatomie 
des  Glioma  retinae.  Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XV.  11.  16.  Über  Neuritis  optica.  Klin. 
M.  Bl.,  1868. 

V.  Iris,  Corpus  ciliare  und  Chorioidea.  17.  Zur  Ablösung  der  Chorioidea. 
Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XI,  1.  18.  Communication  sur  un  cas  de  Myome.  Congrös 
periodiq.  Internat,  d'ophth.,  1867.  19.  Ein  Fall  von  Sarkom,  der  in  ophthalmiatr. 
Beobachtung,  von  Mooren  1867  beschrieben  ist.  20.  Über  Chorioiditis  dissemi- 
nata. Klin.  M.  Bl.  1869.  21.  Bemerkungen  zur  Anatomie  der  Iris-Anheftung  und 
des  Annulus  ciliaris,  von  A.  Iwanoff  und  A.  Rollet.  Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XV,  i. 
22.  Beiträge  zur  Anatomie  des  Ciliarmuskels.  Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  XV,  1.  23.  Tu- 
nica  vasculosa.  Handbuch,  d.  Lehre  v.  Geweben  Stricker's,  1872.  24.  Uveal- 
Tractus.    Handbuch  d.  ges.  Augenheilk.  v.  Graefe  u.  Sämisch.  1874. 

§  9181).  In  Folge  seiner  beständigen  Reisen  in's  Ausland  mußte 
Prof.  Iwanoff  oft  von  Andren  vertreten  werden,  so  in  den  Jahren  1875 
bis  1880  von  Doc.  Dr.  E.  Mandelstamm,  im  Jahre  1881  von  Doc.  Rusticky: 
erst  mit  der  Ernennung  Chodin's  zum  Professor  (1881)  war  das  Aushilfs- 
Verhältniß  beseitigt. 

A.  Chodin  war  der  Sohn  eines  Don'schen  Kosaken  und  1847  geboren. 
Die  ersten  drei  Semester  studirte  er  Medizin  an  der  Charkower  Universität, 
ging  aber  dann  auf  die  Medico-Chirurgische  Akademie  in  Petersburg  über, 
die  er  1871   verließ.  J 

1)  Nach  Mittheilungen  von   Dr.  A.  von  Poppen.  —Der  Zusatz  ist  von  J.  H. 


Chodin.    Der  augenärztliche  Bote.  251 

Nach  Beendigung  seiner  Studien  wurde  er  als  Assistent  an  der  Aka- 
lemie  belassen.  Seit  der  Zeit  widmete  <'r  sich  ausschließlich  der  Augen- 
heilkunde, arbeitete  unter  der  Leitung  von  Prof.  Junge,  wurde  darauf  i875 
auf  2' 2  Jäl^i'  ^"^  Vervollkommnung  ins  Ausland  geschickt  und  besuchte 
li  na,  Paris,  Wien  und  Heidelberg. 

Im  Jahre  1878  wurde  A.  Ciiodin  zum  Privat-Docent  der  med.-chir. 
Akademie  g«'w;ihlt  und  •'}  Jalire  darauf,   1881,  erhielt  er  den  Ruf  nach  Kiew. 

Wissenschaftlich  beschäftigte  er  sich  mit  theoretischen  und  physio- 
In-ischen  Theilen  der  Augenheilkunde;  so  haben  seine  Arbeiten  über  die 
[•arben-Emplindung,  die  Veränderungen  der  Netzhaut  unter  dem  Einilusse  des 
Lichtes,  über  denj  Drehpunkt  und  andre  mehr  bis  zum  heutigen  Tage  ihr 
Interesse  nicht  verloren.  Eine  besonders  große  Verbreitung  erhielt  aber 
111  Lehrbuch  der  Augenheilkunde,  das  bis  jetzt  schon  in  der  fünften  Auf- 
l.l^e  erschienen  ist,  und  die  Zeitschrift  »Westnik  Ophthalmologii«,  die  er 
IS84  begründet  hat. 

Die  Augenkhnik  verfügte  anfangs  über  einen  äußerst  ungenügenden 
Kaum;  es  standen  ihr  nur  10  Betten  in  der  chirurgischen  Abtheilung  zur 
Verfügung,  der  Hörsaal  diente  zu  gleicher  Zeit  auch  als  Empfangs-  und 
^^  arte- Raum.  Erst  im  Jahre  1880  wurde  die  neue  Klinik  mit  16  Betten 
emirnet:  al)cr  schon  nach  6  Jahren  mußte  sie  um  weitere  1)  Betten  ver- 
gii'ißert  werden. 

Bis  zum  Jahre  l'.)02  verblieb  Prof.  Cbodix  auf  seinem  Posten,  trotz 
finster  Nerven-Krankheit.  Am  18.  März  1905  ist  er  zu  Kiew  verstorben*). 
Sein  Nachfolger  wurde  Prof.  Schimanowsky. 


Zusatz.  Also  gegen  Ende  des  19.  Jahrb.,  1884,  wurde  die  erste 
russische  Monatsschrift  für  Augenheilkunde,  Westnik  Ophthalmologii,  d.  h. 
der  augenärztliche  Bote,  begründet"-).  Dieselbe  hat  zur  Entwickelung  der 
russischen  augenärztlichen  Literatur  mächtig  beigetragen. 

Als  Prof.  GuoDiN  mir  von  seinem  Unternehmen  Mittheilung  machte, 
ersuchte  ich  ihn,  dem  Schluß  jedes  Heftes  eine  kurze  Übersicht  des  Inhalts 
in  deutscher  oder  französischer  Sprache  beizufügen.  Dies  ist  nicht  ge- 
schehen. Wohl  aber  sind,  seit  Prof.  Krickow  die  Leitung  übernahm,  we- 
nigstens die  Titel  der  Abhandlungen  in  französischer  Sprache  am  Schluß 
jedes  Heftes  gedruckt  worden. 


1)  Im  C.  Bl.  f.  A.  1905,  S.  148,  gedachte  ich  der  Freundlichkeit,  die  er  uns 
auf  dem  Kongreß  zu  Moskau  erwiesen.  —  Manches,  was  weniger  schön  war, 
will  ich  mit  seiner  Krankheit  entschuldigen.  —  Michel's  Jahresbericht  erwähnt 
keinen  Nachruf  auf  Chodin.  Doch  ist  ein  solcher  im  Westnik  0.  (März— April 
1905),  aus  der  Feder  seines  Nachfolgers,  erschienen;  ein  zweiter,  allerdings  recht 
kurzer  (von  E.  Blessig)  in  den  Klin.  M.  Bl.  -1905,  I,  518.     H.) 

2)  Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1883,  S.  379.  —  Der  Bericht  über  den  Inhalt  des  ersten 
Jahrgangs  (von  Kkückow    steht  im  C.  Bl.  f.  A.  1884,  S.  385—392. 


252 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  isoo— 1873. 


§  919.  Max  Emanuel  Ma>delstamm  I  (1839—1912)*». 
1839  im  Kowno'schen  Gouvernement  geboren  u.  einer  jüdischen  Kauf- 
manns-Familie entstammend,  erhielt  E.  M.  eine  ausgezeichnete  deutsche  Er- 
ziehung und  Vorbildung,  studirte  auf  der  damals  rein  deutschen  Universität 
Dorpat  und  beendigte  seine  Studien  in  Charkow  1860.  Zuerst  prakticirte  er 
in  Tschernigow,  dann  ging  er  1864  nach  Deutschland,  um  die  Augenheil- 
kunde zu  erlernen;  er  hörte  die  Vorlesungen  von  A.  v.  Graefe  in  Berlin, 
arbeitete  bei  IIelmholtz  in  Heidelberg  und  besuchte  die  Klinik  von  Knapp,  war  i 
dann  Assistent  bei  Alexander  Pagenstecher  in  Wiesbaden  und  kehrte    1 868   | 

in  seine  Heimat  zurück.  , 

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Prof.  Max  Emanuel  Mandelstamm. 


Nachdem  er  mit  einer  Dissertation  über  Ophthalmometrie  zu  St.  Peters- 
burg den  Doktor-Grad  erworben,  habiMtirte  er  sich  in  Kiew  für  Augenheil- 
kunde und  leitete  von  1875 — 1880  den  ganzen  augenärztlichen  Unterricht 
mit  größtem   Erfolg,  —    als  Vertreter   des  kranken    Prof.  Iwanoff.     Nach 

^)  C.  Bl.  f.  A.  1912,  Juni-Heft.     (J.  Hirschberg.) 


Emanuel  Mandelstamm.     Die  Popow'sche  Augen-Heilanstalt.  253 

dessen  Tode  wurde  er  von  der  Fakultät  zum  a.  o.  Professor  »^rwühlt,  aber 
wegen  seines  Glaubens-Bekenntnisses  vom  Universitäts-Hat  nicbt   bestätigt. 

Nunmehr  legte  er   die  Docenlur   nieder,   gründete   eine   Privat-Augcn- 
iHeilanstalt  und  lebt«'  der  Wissenschaft,  Praxis  und  IMenschenliebe  i). 
'  Mandelstamm's    Lehr-Talent    war    höchst    bedeutend.      Davon    zeugen 

.luch  seine  russisch  geschriebenen  ^Klinischen  Vorträge  über  Augenkrank- 
heiten«, die  er  eben  für  die  2.  Auflage  durchsah,  als  ihn  der  Tdd  ereilte. 
S>  ine  wichtigsten  Untersuchungen  hat  er  deutsch  geschrieben  und  in 
A.  V.  (ikaeke's  Archiv  f.  Ophth.  verülVentlicht :  1.  Zur  Ophthalmometrie. 
IM.  XI,  2,  259—265.  2.  Zur  Physiologie  der  Farben.  Bd.  XIII,  2,  39*) 
In-  i06.  3.  Über  Sehnerven-Kreuzung  und  Hemiopie.  Bd.  XIX,  2,  39 — 58. 
1 .  Kin  Fall  von  Ektropium  sarcomatosum ,  nebst  einigen  Notizen  über 
Tiachom.  Bd.  X\\  II,  3,  I  01  — lOS.  .i.  Der  trachomalöse  Prozeß.  Bd.  XXIX, 
I,  "j^ — 102  und  2,  312.  6.  (Mit  Hocuwitscii.)  Amyloid  der  Bindehaut. 
Bd.  XXV,    1,   24H— 253,   18792). 

Nachdem  die  Lehrkanzel  unsrem  Mandelst.\5i.m  versagt  worden,  wart 
er  sich,  ohne  Erbitterung  und  voll  Thatkraft,  auf  die  Praxis  der  Augenheil- 
kunde und  hat  ein  .Menschenalter  hindurch,  zusammen  mit  IIirschmann 
in  Charkow,  in  Süd-Kußland  die  segensn'ichste  Tbätigkeit  entfaltet.  Er  war 
Volks- .\rzt  und  Volks-Freund,  ein  Befreier  und  Better,  der  stets  an  seine 
Kranken,  nie  an  sein  Einkommen  dachte. 

Gleichzeitig  trat  er  für  die  Befreiung  und  Erhebung  seiner  Glaubens- 
Genossen  in  die  Schranken  und  erfreute  sich  ihres  unbedingten  Vertrauens. 

Als  Mensch  war  Mvndei.stamm  nicht  blos  von  den  edelsten  Gesinnungen 
beseelt,  den  höchsten  Zielen  nachstrebend,  sondern  auch  von  der  größten 
Liebenswürdigkeit. 

i^  920.      Die  Poi'ow'sche  .Vun  en-lleilanstalt 
von    1881  —  1884  und  von  1806—1894.     Dreizehn  Jahre  klinischer  Tbätig- 
keit   von  Dr.   E.  Neese^),    dirigirendi-m  Arzte.      Kiew  1896.      Mit    (5  Licht- 
drucktafeln  in  Folio.     188  S.     (KHn.  M.  Bl.   1896,  August-IIeft.) 

In  dem  Vorwort  weist  Verfasser  auf  die  traurige  Thatsache  hin,  daß 
in  seinem  Vaterlande  Rußland  die  Zahl  der  Blinden  (zweimalhunderttausend 
Köpfe!)  nicht  nur  absolut,  sondern  auch  relativ  diejenige  sämtlicher 
übrigen  europäischen  Staaten  übertrifft,  indem  auf  jedes  Zehntausend  Ein- 
wohner gerade  doppelt  so   viele  Blinde  als  im  westlichen  Europa  kommen 

i)  Diese  war  selbst  den  Huligan's  des  Kiewer  Progroms  aufgedämmert. 

2)  Es  sind  fast  36  Jahre  her,  seit  MA^'DELSTAMM  seine  Untersuchung  über 
Trachom  am  lebensfrischen  Material,  das  er  durch  Ausschneidung  gewonnen,  an- 
gestellt und  veröffentlicht  hat.  Noch  ist  mir  die  Erinnerung  lebhaft  an  die 
staunenswerthen  Präparate,  mit  denen  er  mich  damals  erfreut  hat. 

3)  Ich  habe  seine  Bekanntschaft  gemacht,  kann  aber  über  sein  Leben  nichts 
mittheilen.  —  Vgl.  übrigens  §  878,  Zusatz,  No.  22. 


254  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

(20  bis  22  auf  10  000)').  Nichtsdestoweniger  könne  die  Thätigkeit  der  Re- 
gierung, behufs  Bekämpfung  dieses  so  verbreiteten  Volks -Übels  und  zur 
Herabsetzung  dieser  gewaltigen  Blindenzahl,  nicht  als  befriedigend  be- 
zeichnet werden,  indem  die  Augenkliniken  an  den  iO  Universitäten  mit 
ihrer  verhältnißmäßig  höchst  beschränkten  Zahl  von  Betten,  bei  der  un- 
geheuren Ausdehnung  des  Reiches  und  bei  den  großen  Entfernungen  durch- 
aus nicht  genügen. 

Auch  die  von  dem  Marien-Kuratorium  für  Blinde  jährlich  entsendeten 
okulistischen  fliegenden  Kolonnen  können  wegen  ihrer  nur  zeitweisen  Thätig- 
keit nicht  als  taugliche  Mittel  im  Kampfe  gegen  das  furchtbare  Volks-Übel 
betrachtet  werden. 

Somit  bliebe  denn  der  privaten  Wohlthätigkeit  und  Initiative  auf  die- 
sem Gebiete  ein  großes  und  dankbares  Feld  der  Thätigkeit. 

In  der  Entstehungsgeschichte  der  obenerwähnten  Augen-Heilanstalt 
wird  berichtet,  wie  dieselbe  aus  kleinen  Anfängen,  mit  10  Betten  in  einem 
kleinen,  hölzernen  Privathause,  im  Laufe  der  Jahre  zu  einer  Anstalt  von 
54  Betten  in  einem  eigens  erbauten  Steingebäude  sich  entwickelt  hat,  dank 
der  ausschheßUchen  Freigebigkeit  einer  russischen  Kaufmannsfamilie,  des 
Herrn  N.  Popow  nebst  Gemahlin,  welche  die  Anstalt  durch  ein  Kapital  von 
100  000  Rubel  für  alle  Zeiten  sichergestellt  haben. 

In  dem  Abschnitte  »Die  Kranken«  wird  erwähnt,  daß  die  Zahl  der- 
selben in  den  13  Jahren  18  411  Personen  betragen  hat,  davon  14  911  A.  Kr. 
und  3500  B.  Kr. 

§  921.  Ophthalmologie  an  der  Universität  zu  Charkow^). 
Im  Jahre  1804  wurde  in  Charkow  eine  Universität  eröffnet.  Die 
medizinische  Fakultät  konnte  erst  im  Jahre  1811  eröffnet  werden;  1815 
entstanden  die  ersten  Kliniken,  die  therapeutische  und  die  chirurgische.  Über 
den  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  ist  bis  zum  Jahre  1835,  wo  das 
allgemeine  Gesetz  für  die  russischen  Universitäten  eingeführt  wurde,  nichts 
bekannt:  von  diesem  Jahre  an  w^urde  die  Ophthalmologie  zusammen  mit 
der  operativen  Chirurgie  von  Prof.  Vanzetti  vorgetragen. 

Vanzetti  war  1809  zu  Venedig  geboren,  hatte  in  Padua  Medizin 
studirt,  danach  in  Wien  an  der  Medizinisch-Chirurgischen  Joseph-Akademie, 
worauf  er  die  Fürstin  Naryschkin  als  Arzt  nach  Rußland  begleitete.  In 
Odessa  erwarb  sich  Vanzetti  bald  eine  große  Privat-Praxis.  Nach  einigen 
gut  ausgeführten  Operationen  wurde  ihm  vom  General-Gouverneur  von 
Noworossisk,  Grafen  Woronzoff,  vorgeschlagen,  in  die  Krim  zu  reisen  und 
dort  eine  Augen-Heilanstalt  einzurichten.     Im  Laufe  eines  Monats  hatte  er 


1)  Vgl.  §  927. 

2)  §  921    ist  nach   dem  Bericht  von  Dr.  vo:s:  Poppen,  mit  Zusätzen  von  mir, 
gearbeitet. 


Die  Augenheilkunde  in  Charkow.     Vanzetti.  255 

dort  100  Star-Operationen  gemacht.  Zurückgekehrt  nach  Odessa,  erregte 
er  den  Neid  seiner  Kollegen  durch  den  großen  Andrang  von  Kranken.  Nach- 
dem er  das  Doktor-Examen  bestanden,  wurde  ihm  der  unterdessen  frei- 
gewordene Lehrstuhl  für  operative  Chirurgie  und  Ophthalmologie  in  Char- 
kow angeboten,  den  er  auch  annahm. 

Die  chirurgische  Klinik  war  Anfangs  nur  auf  4  Betten  eingerichtet, 
i Vanzetti  gelang  es  1835,  sie  bis  auf  35  Betten  zu  erweitern;  für  die  Augen- 
kranken gab  es  keine  besondren  Räume,  sie  lagen  mit  den  übrigen  zu- 
sammen, nur  durch  einen  schwarzen  Vorhang  verdeckt,  da  nach  der  da- 
maligen Ansicht  die  Einwirkung  des  Lichts  auf  Augenkranke  für  schäd- 
lich galt. 

Vanzetti  war  sehr  für  das  Aderlassen  eingenommen;  er  behandelte 
.  sogar  den  Star  damit.  Als  Arzt  war  er  sehr  aufmerksam  gegen  seine 
I  Kranken. 

Seine  Vorlesungen  hielt  er  in  lateinischer  Sprache,  die  er  vollständig 
beherrschte.  Sein  Vortrag  war  so  interessant,  daß  die  Professoren  und 
Studenten  von  den  andren  Kursen  herbeikamen,  um  ihm  zuzuhören.  In 
dem  Auditorium  machte  er  auch  seine  Operationen,  die  er  mit  großer 
Schnelligkeit  und  Geschicklichkeit  vollführte.  Besonders  gut  gelangen  ihm 
die  plastischen  Operationen  an   der  Nase,  an   den  Augen  und   den  Lippen. 

Im  Jahre  1844  gingen  die  6  Jahre  zu  Ende,  für  welche  er  die  Er- 
laubniß  von  seiner  Regierung  hatte,  in  Rußland  zu  bleiben.  Seine  Gegner 
benutzten  die  Gelegenheit,  um  an  seine  Stelle  Dr.  Naranowitsch  zu  setzen, 
jedoch  nicht  auf  lange,  da  Vanzetti  nach  einem  Jahr  wieder  zurückkehrte. 

Jetzt  heilte  er  den  Star   nicht  mehr,  wie  früher,  durch  Niederlegung, 

sondern  durch  Ausziehung  aus  einem  unteren  Hornhaut-Schnitt.     Bis  zum 

Jahre   1855  bekleidete  V.   den  Lehrstuhl:    als  der  Krim-Krieg  anfing,   und 

Italien    gegen    Rußland    focht,    kehrte    er    endgültig    nach    seiner    Heimat 

'  zurück. 

[Nach  seiner  Heimkehr  übernahm  V.  die  Professur  der  Chirurgie  in 
Padua,  die  er  bis  1884  verwaltete.     1888  ist  er  verstorben. 

Im  Jahre  1857  schlug  er,  auf  der  33.  Versammlung  deutscher  Natur- 
forscher u.  Arzte,  die  Digital- Kompression  als  Normal-Behandlung  der 
äußeren  Aneurysmen  vor,   wofür  er   später  den  Älonthyon-Preis  erhielt. 

V.'s  Veröffentlichungen,  die  unser  Fach  berühren,  sind  die  folgenden: 

i.  Excursion  en  Crimee  faite  dans  l'automne  1835,  Odessa  -1836. 

2.  Annales  scholae  clinicae  chirurgicae  Caesareae  Universitatis  Charcoviensis 

....  T.  Vanzetti,  Chirurgiae  practicae  et  Ophthalmojatriae    Prof.   p.   ord. 

Charcoviaei)  184G.     (8^,  358  S.  mit  2  Tafeln.; 

Die  Zahl  der  Augenkranken  im  letzten  Jahre  betrug  450.     Star-Opera- 


-1)  Die  Stadt  hatte  damals  U  000  Einwohner,  1903  aber  170  000. 


256  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 

tionen  32,  davon  20  durch  Ausziehung,  12  durch  Niederdrückung.  7  Miß- 
erfolge gegen  25  Erfolge, 

3.  Secondo  caso  di  aneurisma   dell'  arteria  ottalmica  guarito   colla  coinpres- 
sione  digitale  della  carotida.    Padova  1862.     (Vgl.  §  722,  S.  47.) 

Vanzetti  schrieb  italienisch,  französisch,  lateinisch;  aber  nicht  russisch.]   i 

Nach  Vanzetti's  endgültigem  Abgang  eihielt  wiederum  Prof.  P.  A.  Narano- 
wiTSCH  den  Lehrstuhl.  Seine  medizinische  Bilduni;-  hatte  er  an  der  Militär- 
Medizinischen  Akademie  in  Petersburg  gewonnen,  an  die  Charkower  Universität 
kam  er  als  Professor  der  Anatomie.  In  Vertretung  Vanzetti's,  während  des 
Jahres  1843,  erwarb  er  sich  den  Ruf  eines  guten  Chirurgen.  Nach  Abgang 
Vanzetti's  hat  er  die   Professur  von    1853   bis    1858   verwaltet. 

Im  Jahre  1853  wurde  die  Ophthalmologie  getlieilt  in  praktische  und  theo- 
retische, letztere  wurde  der  theoretischen  Chirurgie  zugetheilt  und  von  Prof. 
Struve  für  das  vierte  Semester   vorgetragen. 

Im  Jahre  4  8  59  wurde  auf  den  chirurgischen  Lehrstuhl  nebst  Klinik  Pi'of. 
Grube  berufen,  der  auch  die  praktische  Ophthalmologie  vortrug.  Nach  einem 
Jahre  wurde  der  theoretische  Theil  von  Dr.  Sariiun  übernommen. 

Im  Jahre  18G8  hat  dann  Privat-Docent  Hirscbmann  die  beiden  Theile 
vereinigt.  Hirschmann  erhielt  2  Betten  von  den  25  der  chirurgischen 
Klinik.  Erst  1871  gelang  es  ihm,  eine  besondre  Augen-Klinik  mit  10  Betten 
einzurichten,  die  Räume  waren  jedoch  äußerst  beschränkt.  1872  wurde 
er  a.  o.  Prof.,  1880  konnte  er  ein  Haus  für  eine  Klinik  von  20  Betten 
errichten. 

§  922.     Leonard  Hirschmann  i), 

geboren  zu  Tuckum  (Kurland)  am  13.  März  1839,  besuchte  die  Universität  Char- 
kow,  bestand  die   Arzt-Prüfung   18  60   und    ging    in's  Ausland    zur    Fortbildung. 

H.  arbeitete  in  den  Laboratorien  von  Brücke  in  Wien,  von  du  Bois  Rey- 
MOND  u.  Kühne  in  Berlin,  von  Helmholtz  in  Heidelberg,  besuchte  die  Kliniken  von 
E.  Jäger,  A.  v.  Graefe  u.  H.  Knapp  und  wirkte  auch  als  Assistenz-Arzt  in  der 
Augen-Heilanstalt  von  A.  Pagenstecher  zu  Wiesbaden. 

Heimgekehrt  erwarb  er  1868  den  Doktor  der  Heilkunde  und  habilitirte 
sich  in  dem  nämlichen  Jahr  als  Privat-Docent  der  Augenheilkunde  an  der  Uni- 
versität Charkow,  wurde  1872  zum  a.  o.,  1884  zum  o.  Professor  der  Augen- 
heilkunde und  zum  Direktor  der  Augenklinik  ernannt. 

Leonard  Hirschmann  hat  wichtige  Arbeiten  zur  theoretischen  und  prak- 
tischen Augenheilkunde  veröffentlicht  (zur  Wirkung  der  pupillenerwciternden  u. 
verengernden  Mittel,  zur  Physiologie  der  Farben-Empfindung,  zur  Behandlung 
des  Trachoms,  1863  bis  1873);  er  hat  zahlreiche  Schüler  gebildet:  aber  seine 
Haupt-Bedeutung  liegt  darin,  Helfer  und  Retter  seines  Volks  zu  sein.  Uner- 
müdlich und  mit  ungeschwächter  Kraft  steht  er  an  jedem  Tag,  bis  tief  in  die 
Nacht  hinein,  den  Armen  und  Ärmsten  zur  Verfügung,  —  von  Allen  verehrt, 
ja  fast  angebetet  2). 


i;  Biogr.  Lex.  III,  220;  Pagel's  b.  L.,  S.  746.  —  Ich  habe  seine  persönliche  Be- 
kanntschaft in  Berlin  gemacht. 

2)  In  Minerva  XXI,  f.l9ll/l2,  S.  300  steht:  Prof.  emerit.  L. Hirschmann;  Pavel 
NiKOLAJEvic  Barabasew,  Prof.  d.  Ophthalmologie. 


Leonhard  Hirschmann.    Kasan.  257 

i?  923.     Die  Augenheilkundo  in  Kasan*). 

In  Kasan,  das,  bei  den  damaligen  Verkehrs- Verhältnissen,  in  last  uner- 
leichharer  Ferne  lag,  wurde  180  2  eine  Iniversität  gegründet:  aber  erst  18.'{0 
war   die  medizinische  Fakultät  einigermaßen   in  Ordnung. 

Im  Jahre  1807  kam  nach  Kasan  Johann  Baptist  Huavn  als  Prof.  der 
Anatomie,  Physiologie  und  gerichtlichen  Medizin;  später  trug  er  auch  Chirur- 
i:ie  und  Ophthalmologie  vor:  konnte  aber  nicht  viel  bieten,  da  nicht  einmal 
1  liinirgische  Instrumente  vorhanden  waren. 

Das  gleiche   gilt  von  Adam   Aknmoi-d,   seit    ISIO   Prof.   der  Chirurgie. 

1832  trug  der  IS2i  angestellte  (Ihirurgie-Prof.  Fogel  Augenheilkvmde  vor; 
.1  war  aber  wohl  nur  Theoretiker:  denn  in  den  17  Jahren  seiner  Lehrthätig- 
ktit  ist  keine   Augen-Operation  in  der  Klinik  verrichtet  worden. 

FoGEi.'s  Nachfolger  wurde  18;^i  F.latschicii,  ein  guter  Chirurg,  der  aber 
Aiii.'en-Operationen  nur  ungern  verrichtete  und  den  Star  immer  nur  niederlegte. 
1838 — 1839  wurde  Augenheilkunde  von  Prof.  Di  howitzky  gelehrt,  1839 — 1841 
wieder   von   Ei.ATsr.Hic.ii    und    18il  — 1843    von   Kvteh. 

Im  Anfang  der  fünfziger  Jahre  erhielt  Prof.  Beketofk^j  den  Lehrstuhl 
der  Chirurgie  un«l  Augenheilkunde.  Er  gewann  große  Praxis,  wodurch  seine 
i,ilirlhätigkeit  zu  kurz  kam. 

Augenheilkunde  trug  er  nach  Jünckkn's  Lehrbuch  vor.  Bis  1870  wirkte 
er  an  der  Universität. 

Doch  schon  18G7  wurde  ein  besondrer  Lehrstuhl  der  Augenheilkunde 
eingerichtet  und  zeitweilig  vom  Chirurgie-Prof.  Nikoi.skv  verwaltet,  da  der 
dazu  ausersehene  Privat-Docent  .Adamick  zu  seiner  Vervollkommnung  im 
Ausland  verweilte •'). 

Adamück  hatte  ungeheure  Schwierigkeiten  zu  überwinden,  um  sich  eine 
Klinik  und  das  nüthige  Personal  zu  schaffen. 

Er  w'ar  ein  beliebter  und  erfolgreicher  Lehrer.  Im  Jahre  1900  mußte 
er  wegen  geschwächter  Gesundheit  zurücktreten.     1906   ist  er  gestorben. 

§  924.  ÄMii-iAN  Adamück  (1839—1906)41. 
Geboren  am  23.  Juni  1839  in  Litthauen  (Gouv.  Grodno),  studirte  A.  in 
Kasan  1858 — 1863  und  war  1863 — I86K  Assistent  an  der  chirurgischen 
und  Augen-Abtheilung  des  Landschafts-Krankenhauses  daselbst.  1 867  mit 
einer  Dissertation  »Zur  Lehre  vom  intraokularen  Blutkreislauf  und  Druck« 
promovirt,  wurde  er  1868  zum  Privat-Docenten  ernannt  und  ins  Ausland 
>abkommandirt«,  wo  er  in  den  Laboratorien  und  Kliniken  Deutschlands, 
Österreichs,  der  Schweiz,  Frankreichs  und  der  Niederlande  arbeitete.  1871 
zum  a.  0.,  1872  zum  o.  Prof.  der  Augenheilkunde  befördert,  setzte  Adamück 

1)  §  923  ist  nach  dem  Bericht  von  Dr.  v.  Poppen  gearbeitet,  mit  Abkürzungen. 

2)  Biogr.Lex.  VI,  472.  Er  war  auch  literarisch  thätig,  aber  nicht  auf  unsrem  Gebiet 

3)  V.  Poppen  sagt  >I870<;  aber  im  Winter-Semester  1871/72  hat  Adamück 
meine  Vorlesungen  und  klinischen  Demonstrationen  besucht. 

4    Nach  C.  Bl.  f.  A.  190  6,  S.  380—382.   (A.  Natanson.) 

Vgl.  ferner  ebendas.  S.  316.  J.  Hirschberg.)  Biogr.  Lex.  I,  56.  Pagel's 
biogr.  Lex.  S.  8.  —  Die  russischen  Fachgenossen  schreiben  »Adamjuk«. 

Haiidljufli  der  Augenheilkunde.    2.Anfl.    XIV.  Bd.  (VII.I    XXIIL  Kap.  /(  7 


258 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—1875. 


die  Einrichlung  einer  Augen-Klinik  an  der  Universität  Kasan,  zunächst  mit  G, 
hierauf  mit  10  und  mit  15  Betten  durch,  in  der  er  volle  30  Jahre  wirkte. 
1900  trat  er  in  den  Ruhestand.  (Sein  Nachfolger  ist  Prof.  Agababow.)  — 
Ungemein  fleißig  und  rege,  vermochte  A.  neben  seiner  ausgedehnten  kli- 
nischen und  wissenschaftlichen  Thätigkeit  noch  eine  enorme  Privat-Praxis 
zu  besorgen,  als  erste  augenärztliche  Autorität  für  Ost- Rußland,  mit  Einschluß 
des  ganzen  Wolga-Gebietes,  und  für  Sibirien. 

Fig.  15. 


Prot.  Ämilian  Adamück. 


Die  Früchte  seiner  wissenschaftlichen  Arbeiten  und  reichen  praktischen 
Erfahrung  hat  Adamück  in  seinem  »leider  nur  in  russischer  Sprache«*) 
herausgegebenen  »Praktischen  Handbuch  der  Augenkrankheiten«  (Kasan 
1884  und  1897),  sowie  in  seinen  »Ophthalmologischen  Beobachtungen« 
(Kasan  187G,  1878,   1880)  niedergelegt. 

Von  seinen  übiügen  Veröffentlichungen  in  russischer,  deutscher  2),  franzö- 
sischer, enghscher  und  holländischer  Sprache  seien  hier  die  wichtigsten  in 
chronologischer  Reihenfolge  aufgezählt. 


1)  Dies  sind  die  Worte  des  russisclien  Facbgenossen ! 

2)  Auch  im  C.  f.  A. 


Ämilian  Adamück.  259 

I.  Über  die  Wirkung  des  N.  sympathicus  auf  den  Intraokular-Druck.  Centralbl. 
f.  d.  med.  Wissensch.  I8»)6. 

i.  Manometrische  Bestimmung  des  intraokularen  Druckes.  Ebendas.  186G;  Zu- 
satz i8G9. 

3.  De  Tetiologie  du  glaucome.    A.  d'Oc.  1867. 

4.  Einige  Bemerkungen  über  den  Intraokul. -Druck.  Zehender's  Klin.  M.  Bl. 
1868. 

3.  Over  de  innervatie  de  oogbewegingen,  Utrecht  1869. 

6.  De  laction  de  l'atropine  sur  la  pression  intraoculaire.     A.  d'Oc.  1870. 

7.  Zur  Frage  über  den  Mechanismus  der  Akkomodation.  Centralbl.  f.  d.  med. 
Wissensch.  I87ü. 

8.  Zur  Frage  über  die  Akkommodation  der  Presbyopen.  In  Gemeinschaft 
mit  Woinow.     Zehender's  Klin.  M.  Bl.  1870. 

9.  Beiträge  zur  Lehre  von  den  negativen  Nachbildern.  In  Gemeinschaft  mit 
Woinow.    Graefe's  Archiv  1870. 

IG.  Über    die    Pupillen -Veränderungen   bei    der   Akkommodation.      In  Gemein- 
schaft mit  Woinow.    Ebendas.  1870. 

11.  Zur  Frage   über   die   Kreuzung    der  Nervenfasern    im   Chiasma  n.  opt.  des 
Menschen.     Ebendas.  187ä. 

12.  Über  die  Gültigkeit  der  Katarakt-Extraktionsmethoden.     Zehender's   Klin. 
M.  Bl.  1873. 

13.  Einige   Bemerkungen   in  Beziehungen   der  Arbeit  von   Mensen  und   Völ- 
ckers   »Über   den   Ursprung   der  Akkommodations-Nerven«.     C.  f.  A.  1878. 

14.  Beiträge  zur  Pathologie  der  Linse.     Arch.  f.  A.  1878. 

15.  Über  das  Glaukum.     Ebendas.  1878. 

16.  Ein  Fall  motorischer  Innervations-Abwesenheit  der  Augen.    C.  f.  A.  1878. 

17.  Ein  Fal!  von  Ru})tur  der  Chorioidea.     Ebendas.  1878. 

18.  Amyloid-Erkrankung  des  Auges.     Ges.  d.  Arzte  in  Kasan  1879. 

19.  Das  Chinin  bei  Glaukom.     C.  f.  A.  U80. 

20.  Zur  oj)erativen  Behandlung  der  Skleritis.    Ebendas.  1881. 

21.  Zur  Ätiologie  der  Chorioiditis  disseminata.     Ebendas.  1881. 

22.  Einige  Beobachtungen  über  Geschwülste  des  Auges.    Arch.  f.  A.  1881. 

23.  Jequirity-Ophthalmie.     Gesellsch.  d.  .Vrzle  in  Kasan  1883. 

24.  Zur  Frage  der  Schul-Kurzsichtigkeit.     Westnik  Ophth.  1886. 
2ö.  Zur  Ätiologie  des  Trachoms.     Wratsch  1887. 

2G.  Zur  Frage  über  die  Transplantatio  corneae.     Klin.  M.  Bl.  1887. 

27.  Zwei  Fälle  von  Glaukom  in  aphakischen  Augen.     Westnik  Ophth.  1888. 

28.  Über    eine    merkwürdige  Motilitäts-Anomalie  der  Lider  und  Augen.     Klin. 
M.  Bl.  1888. 

29.  Über  einen  Fall  von  Retinitis  haemorrhagica  albuminurica  mit  Ausgang  in 
Genesung.     C.  f.  A.  1889. 

30.  Drei  Fälle  von  knöchernen  Orbitaltumoren.    Ebendas.  1889. 

31.  Zur  Pathologie  der  Tabes  dorsalis.     Arch.  f.  A.  1889. 

32.  Zur  Kasuistik  der  Amaurosis  transitoria.     Ebendas.  1890. 

33.  Trauma   und  Eiterung   bei  der  Star-Extraktion.    Klin.  M.  Bl.  189o. 

34.  Behandlung  der  Tränensack-Erkrankungen.     Wratsch  1812. 

35.  Hornhautnaht.     Westnik  Ophth.  1892. 

36.  Heilbarkeit  der  Netzhautablösung.    Ebendas.  1892. 

37.  Ätiologie  der  Hemeralopie.     Ebendas.  1892. 

38.  Zur  Frage  über  den  Einfluß  der  Chorioidea  auf  die  Ernährung  der  Netz- 
haut.    Arch.  f.  A.  1893. 

39.  Zwei  Fälle   von  Neubildung  des  N.  opticus  und  der  Orbita.    Ebendas.  1894. 

40.  Etwas  zur  Pathologie  des  N.  opticus.     Ebendas.  1894. 

41.  Über  Augen-Affektionen  bei  typhösen  Prozessen.     Wratsch  1894. 

42.  Zwei  Fälle  von  (ilaucoma  malignum.     Ebendas.  1896. 

4  3.  Zur  Kasuistik  der  Fremdkörper  in  der  Orbita.     Khn.  M.  Bl.  1896. 

17* 


260  XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— -ISTo. 

44.  Über  traumatische  Netzhaut-Degeneration.     Arch.  f.  A.  1897. 

4.5.  Über  die  sog.  Jäsche- Arlt'sche  Operation.     Westnik  Ophth.  1898. 

46.  Über  Neuritis  retrobulbaris.     Ebendas.  1898. 

47.  Über  die  rezidivierende  Keratitis.     Ebendas.  1898. 

48.  Zur  Trachom-Frage.     VII.  Kongreß  russ.  Ärzte,  Kasan  1899. 

49.  Geschichte   des  ophthalmologischen  Unterrichts   an   der  Universität  Kasan. 
(Im  Druck,  1 906.) 

Der  letzte  im  Mai — Juni-Heft  des  Westnik  Ophth.  1906  veröilentlichte 
Artikel  »In  Anlaß  der  Äußerungen  Dr.  Wyijouski's  über  die  Behandlung  des 
Glaukoms«  erklärt  zum  Theil  Adamück's  besondres  Interesse  für  diese  Krankheit. 
Er  litt  seit  dem  36.  Jahre  an  Glaukom-Anfällen,  welche  durch  Eserin  rasch  ge- 
hoben wurden;  er  ließ  sich  nicht  operiren  und  hat  bis  an  sein  Lebensende 
normales  Sehvei'mögen  bewahrt. 

Mit  Adamück  ist  einer  der  begabtesten  und  gewissenhaftesten  russischen 
Hochschul-Lehrer  dahingegangen.  Von  seinen  zahlreichen  Schülern  wirken  die 
meisten    erfolgreich    im    Osten   Rußlands   und   in   dem  riesigen  Gebiel   Siljiricns. 

Zusatz.     In  Kasan  wirkte 

Jean  von  Do(JIEL^). 
Geboron  1830  zu  Zalesco  (Litthauen),  1863  Doktor  der  Medizin  zu  Mos- 
kau, 1865  vom  Unterrichts-Minister  in's  Ausland  abkommandirt<:.  D. 
arbeitete  zuerst  unter  Helmholtz,  Kirchhoff  und  Bunsen,  dann  2  Jahre  in 
Leipzig  unter  G.  Lmwn;  sowie  unter  Huppeut;  wurde  1868  Privat-Docent 
der  Physiologie  in  St.  Petersburg,  1869  Prof.  der  Pharmakologie  in  Kasan 2). 

Von  seinen  zahlreichen  Arbeiten  sind  für  unser  Fach  wichtig:  1.  Zur 
Lehre  der  Iris-Bewegung  (mit  Bernstein).  Verhdl.  des  Naturhist.-med.  V. 
zu  Heidelberg  1866.  2.  llber  den  Muse,  dilatator  pupillae  bei  Säugethieren, 
Menschen  und  Vögeln.  Arch.  f.  mikrosk.  Anat.  1870  u.  1886.  3.  Die 
Betheiligung  der  Nerven  an  Schwankungen  der  Pupillen-Weite.  Pflüger's 
Arch.  LVI,  1899.  4.  Von  dem  Verhalten  des  Albumin  der  lichtbrechenden 
Medien  des  Auges.  Pflü(;er's  Arch.  XIX,  1879.  5.  Die  Neuroglia  in  der  ] 
menschlichen  Netzhaut.  Arch.  f.  mikrosk.  Anat.  XLI,  1873.  6.  Über  die 
Netzhaut  des  Menschen.  Internat.  Monatsschr.  f.  Anat.  u.  Hist.  1884. 
7.  u.  8.  Über  die  nervösen  Elemente  in  der  Netzhaut  des  Menschen.  1.  Tb. 
Arch.  f.  mikr.  Anat.  XXXVIII,  1891.  2.  Th.  Ebenda.s.  XL,  1892.  (Vgl. 
übrigens  §  956,  Ramon  y  Gajal.) 

§  925.     Die  neurussische  Universität  zu  Odessa, 
1864  begründet,  hat  erst  1897  eine  medizinische  Fakultät  erhalten 3). 


1)  Biogr.  Lex.  von  Pagel,  S.  403,  1901. 

2)  1900  schrieb  Pagel,  daß  er  jetzt  noch  thätig  ist.  In  Minerva  von  190G 
finde  ich  seinen  Namen  nicht  mehr. 

3)  1911  nannte  Minerva  (I,  944)  Sergei  Selivan  Golovin  als  Prof.  der  Augen- 
heükunde.  Doch  ist  derselbe  inzwischen  nach  Moskau  versetzt.  Die  Universität 
Tomsk  (West-Sibirien)  wurde  1888  begründet.  TuEOpmL  Jeropheph  war  Prof.  der 
Augenheilkunde.     1905  ist   derselbe   61  jährig  verstorben.     Lobanoff  wurde  sein 


Dogiel.  —  Odessa.    Stieda.    W.  Wagner.  261 

Odessa  gewann  erst  \Hßl  einen  geübten,  in  Deutschland  ausgebildeten 
Augenarzt,  Heinrich  Stieda;  durch  seine  Bemühung  und  mit  Unterstützung 
des  General -Gouverneurs  Kotzebue  wurde  die  städtische  Augen-Heil- 
anstalt zu  Odessa   1875  begründet. 

Nach  Stieda's  Tode  (1889)  wurde  Doktor  Wagner  sein  Nachfolger, 
und  die  Anstalt  auf  80  Betten  erweitert. 

Das  April-Heft  1915  des  C.  Bl.  f.  A.  bringt  über  W.  die  folgende 
Nachricht : 

Am  Palmsonntag  d.  J.  ist  zu  Berlin  im  79.  Lebensjahre  verstorben 
Dr.  med.  Wilhelm  Wac.ner,  Oberstabsarzt  d.  L.  a.  D.,  Ritter  des  Eisernen 
Kreuzes  von  1870/71.  Als  deutscher  Staatsbürger  hat  er  Jahrzehnte  lang 
zu  Odessa  eine  hervorragende  Stellung  als  Augenarzt  eingenommen  und  von 
1889  ab  viele  Jahre  hindurch  die  dortige  Augen-Heilanstalt  geleitet,  bis  das 
hereinbrechende  Alter  ihn  vcranlaßte,  seine  Thätigkeit  aufzugeben  und  nach 
Berlin  zu  übersiedeln. 

Im  Jahre  1 896  hielt  er  auf  dem  Kongreß  zu  Moskau  einen  Vortrag 
über  Glaukom.  Nach  600  ausgeführten  Iridektomien  erklärt  er  diese 
Operation  für  das  sicherste  Heilmittel,  wenn  sie  frühzeitig  gemacht  wird. 
Als  Beispiel  führt  er  sich  selbst  an.  Vor  19  Jahren  bei  vollem  Sehver- 
mögen links  iridektomirt,  sieht  er  auch  heute  normal  und  ist  von  Anfällen 
ganz  verschont  geblieben  i'.     (C.  Bl.  f.  A.  1898,  S.  435.) 

Als  jetziger  Leiter  der  trefflichen  Augen-Heilanstalt  zu  Odessa,  die  ich 
aus  persönlicher  Anschauung  kenne,  wirkt  Dr.  Walter. 

Der  Jahresbericht  für  1890  ergiebt  A.  Kr.  4134,  B.  Kr.  444,  Opera- 
tionen 304:  darunter   139  Iridektomien,  95  Extraktionen  mit  3  Verlusten 2), 

§  926.    Warschaus). 

Die  Universität*)  wurde  1816  gestiftet,  nach  der  Revolution  (von  1830) 
aber  im  Jahre  1832  wieder  aufgehoben.  1857  Errichtung  einer  med.-chir. 
Akademie;  1861  einer  »Hauptschule«,  die  1869  in  eine  russische  Uni- 
versität mit  russischer  Vortrags-Sprache  umgebildet  wurde. 

Professor  der  Augenheilkunde  wurde  1871  Rudnew,  Assistent  von  Prof. 
Jun(;e.     Derselbe  trat  bereits    1872  zurück. 

Sein  Nachfolger  war  E.  von  Wolfring,  der  im  Jahre  1885  es  durch- 
setzte, daß  die  bis  dahin  ganz  unzulängliche  Augenklinik  in   dem  ophthal- 

Nachfolger)     Die  Univ.  zu   Saratow  wurde   1909   begründet.     Minerva   (19H,  I, 
S.  M95)  nennt  keinen  Professor  der  Augenheilkunde. 

1)  Aber  doch  nicht  für  die  Dauer. 

2)  Westnik  Ophth.  4891;  C.  Bl.  f.  A.  1891,  S.  4G1. 

3)  Vgl.  den  folgenden  Abschnitt. 

4)  Minerva  I,  S.  378,  1911. 


262 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800  —  1875. 


mologischen  Institut  des  Fürsten  Ljubomirski   untergebracht  wurde.     1906 
ist  er  verstorben. 

1911  wird  Emeljan  Andrej.  Neznamow  als  Prof.  der  Augenheilkunde 
genannt  i). 

Emil  von  Wolfring  (1832—1906)2). 

Kollege  Wolfring's  ragende  Gestalt  und  ausdrucksvolles  Antlitz  war 
uns,  da  er  häufig  von  seiner  Universität  Warschau  nach  Berlin  und  Heidel- 
berg kam,  ebenso  wohlbekannt,  wie  seine  eingehenden  Arbeiten,  die  kli- 
nische Erfahrung  mit  anatomischer  Kunst  vereinigten. 

Fig.  16, 


Prof.  Emil  von  Wolfring. 


Bereits  der  erste  Band  des  C.  Bl.  f.  A.  (1877,  S.  68)  brachte  seine  Arbeit 
über  die  Ätiologie  des  Pannus.  Von  seinen  weiteren  Veröffentlichungen  wollen 
wir  die  folgenden  hervorheben: 

Über  Ciliarneuralgie  und  Bedeutung  des  Morphin  für  die  Therapie  der  Augenkrank- 
heiten.    C.  BL  f.  A.  1879,  S.  368. 

1;  Minerva  II,  S.  1.S3Ö. 

2i  C.  Bl.  f.  A.  1906,  S.  30.    (J.  Hirschberg. 


Warschau.     Wolfring.  —  Die  tiiegenden  Kolonnen.  263 

Über  die   Wirkung   des    fein    zertheilten   (Quecksilbers    auf   die  Bestandtheile    des 
Auges.     Ebendas.  1880,  S.  378. 

Physiologische  Beziehungen   der  Blutgefäße  zu  den  Muskeln   des  Oberlids.     Pam. 
Towarz.  Lek.  Warschau  LXXX. 

Zur  Lehre  von  den  Drüsen  des  Lidknorpeis.    Westnik  Ophth.  1885. 

Zur  Anatomie  der  akuten  infekt.  Katarrhe  der  Bindehaut.     C.  Bl.  f.  A.  1886,  S.  95. 

Anatomischer  Befund   bezüglich   der  KuAUSE'schen  Drüsen  und  ihre  Betheiligung 

an  pathologischen  Prozessen.    VII.  internationaler  Ophthalmologenkongreß, 

Heidelberg  ISS8,  S.  -298,  und  C.  Bl.  f.  A.  1880,  S.  167. 
i  Ijcr  den  Mechanismus  des  Ectrop.  sarc.     Arch.  f.  A.  XXX.  3  und  C.  Bl.  f.  A.  1895, 

S.  iiO. 

§  '.127.  Um  das  Bild  der  Augonheilkunde  in  Rußland  zu  vervoilstän- 
liigen,  muß  ich  noch  drei  Gegenstände  erörtern,  die  diesem  Reich  eigen- 
Ihümlich  sind,  die  fliegenden  Kolonnen,  die  Militär-Augenheilkunde 
und  das  Trachom  in  Rußland. 

I.  Apercu  des  mesures  prises  contre  la  cecite  en  llussie  par  la  »So- 
ciete  Marie  pour  Ic  bien  des  aveugles«.     Prof.  L.  Bei.i.aumingh- i). 

Die  Gesellschaft  für  das  Wohl  der  Blinden  wurde  1881  begründet. 
Dieselbe  hat  folgende  Leistungen  aufzuweisen: 

1.  Errichtung  von  Schulen  für  blinde  Kinder,  :i2  in  lö  Jahren,  mit 
600  Schülern. 

2.  Errichtung  von  Werkstätten  und  Zufluchts-Orten  für  erwachsene 
Blinde:  zwei  Anstalten  dieser  Art  sind  in  Wirksamkeit. 

3.  Unterstützung  von  erwerbsunfähigen  Blinden ;  drei  Zulluchts-Stätten 
für  sehr  alte  Blinde  sind  eingerichtet. 

I.  Druck  von  Büchern  mit  erhabenen  Buchstaben  (System  Braille) 
für  Blinde:  30  Bücher,  i.  G.    10000  Bände. 

5.  Druckschriften  über  die  Blinden,  zur  Aufklärung  des  Publikums. 

6.  Blinden-Statistik. 

7.  Maßregeln  zur  Verhütung  der  Blindheit. 

1886  wurde  vom  Ministerium  festgestellt,  daß  in  Rußland  20  Blinde 
auf  10  000  Einwohner  kommen,  d.  i.  mehr  als  das  Doppelte  des  Verhält- 
nisses im  übrigen  Europa.  (^  10:  10  000.)  Aber  diese  Statistik  war  un- 
genau, weil  man  bei  ihrer  Erhebung  die  Ärzte  nicht  hingezogen  hatte. 

Seitdem  haben  Arzte  Untersuchungen  angestellt,  die  folgende  Ergeb- 
nisse lieferten. 


1  Vortrag  in  der  augenärztlichen  Sektion  des  internal,  med.  Kongresses  zu 
Moskau  1897.    Vgl.  die  Verhdl.  der  a.  S.,  S.  -247—2(31. 

Prof.  Bellari\u.\off  hat  in  dankenswerther  Weise  die  Tabellen  bis  zum  Jahre 
1911  fortgeführt  und  mir  zur  Verfügung  gestellt.  Das  vollständige  Material  ist 
also  an  dieser  Stelle  zum  ersten  Mal  veröfTentlicht. 


264 


XXIII.  Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—18' 


Name  des  Arztes  und  des  Gouvernements 


Zahl  der  unter- 
suchten Personen 


Zahl  der  Zahl  der 

doppelseitig  Blinden  auf 

Blinden  10000  Einwohn. 


Aliantchikoff,  Gouv.  Twer  . 
J.  S.  IsATCHiK,  Nowgorod  .  . 
M.  J.  IsATCHiK,  Kalouga  .    .    . 

RouDiNE,  Jaroslaw 

BoNDAREV,  Kiew 

Weinstein,  Samara 

Beivel,  Orenburg 

KoMARoviTCH,  Nijni-Nowgorod 


23392 

74 

11423 

34 

4177 

13 

6762 

13 

27012 

68 

12979 

28 

10238 

55 

14320 

100 

31 
30 
30 
19 
25 
21 
55 
69 


Summe 


110289 


385 


35 


Die  Abtheilung  zur  Verhütung  und  Behandlung  der  Blindheit  hat  schon 
von  1881 — 1891    einiges  geleistet. 

1891 — 1892  erüHnete  die  Gesellschaft  auf  ihre  Kosten  eine  Ambulanz 
in  Taschkent  und  ein  Hospital  in  Tiflis.  Man  erkannte  aber,  daß  die  Zahl 
der  Augenärzte  in  Rußland  ungenügend  war,  es  kam  1892  (bei  115  Mil- 
lionen Einwohnern)  ein  Augenarzt  auf  272  000  Einwohner  M. 

Dabei  fanden  die  oben  genannten  Arzte,  daß  in  der  Landbevölkerung 
20^    (ja  30 — iO)   an  Augenkrankheiten   leiden.      Nach    Ma<;nus,    Bremkr, 


Jahr 

Zahl  der  Ent- 
sendungen 

Zahl  der  Kranken 

Krankheits-Forraon 

<893 

7 

7  694 

11  935 

1894 

21 

35  053 

58  477 

1895 

24 

41  696 

64  990 

4  896 

21 

30  350 

44  221 

1897 

33 

53  828 

90  903 

1898 

36 

50  222 

89  028 

1899 

32 

56  795 

105  304 

4900 

32 

57  195 

122  507 

1901 

31 

.■)5  075 

1  29  21  7 

1902 

2<J 

48  830 

104  607 

1903 

30 

65  762 

14  499 

1904 

16 

39  557 

50  870 

1905 

8 

4  7  922 

33  038 

1906 

49 

51  737 

97  340 

1907 

28 

56  467 

106  557 

1908 

31 

68  471 

123  657 

1909 

32 

63  401 

411  986 

4910 

34 

70  039 

134  830 

1914 

30 

67  193 

128  941 

Ges. -Summe 

in  1 9  Jahren 

491 

937  284 

1  652  917 

1)  Also  420  A.A.  —  596  in  Deutschlands  Groß-Städten,  1913. 


I 


Die  fliegenden  Kolonnen. 


265 


Jahr 

Zahl 
der  Operationen 

Zahl  der 
nnheilhar  Blinden 

Zahl  der  Ärzte  und 
Studirenden,  die 
Theil  genommen 

1893 

1  4G6 

517 

10 

64  Ärzte 

• 

6  Stud. 

1894 

9  554 

2  925 

70 

67  Ärzte 
15  stud. 

1S9Ö 

12  334 

3  188 

82 

80  Ärzte 
14  Stud. 

1896 

9  193 

2  320 

94 

1897 

16  0-29 

4  813 

150 

1898 

17  092 

3  702 

135 

1899 

16  467 

3  871 

87 

1900 

iO  469 

4  404 

107 

1901 

17  853 

3  635 

112 

1902 

18  155 

2  738 

11  1 

1903 

30  374 

3  365 

1                 87 

1904 

12  337 

1  387 

'                 47 

1905 

ö  093 

898 

22 

1906 

13  288 

1  973 

84 

1907 

18  656 

2  397 

i                 '''^ 

1908 

21  902 

2  554 

\                 91 

1909 

18  564 

3  122 

85 

1910 

20  237 

3  003 

86 

1911 

18743 

2  399 

7.'? 

Ges.-Summe 
in  19  Jahren 


297  866 


53  21 1 


1590 


Stefian,  Fuchs  waren  iO^  der  unheilbaren  Blindheit  vermeidbar  gewesen; 
für  viele  Gegenden  Rußlands  ist  jedoch  die  heilbare  Erlilindung  identisch 
mit  der  unheilbaren,  wegen  der  Unmöglichkeit  sachgemäßer  Behandlung. 

Im  Jahre  1893  entschloß  sich  die  Gesellschaft  zur  Aussendung  von 
fliegenden  Kolonnen,  mit  je  einem  erfahrennn  Augenarzt. 

Die  Tabellen  auf  S.  264  und  265  geben  die  Übersicht  über  das  bisher 
Geleistete. 

Also  haben  während  19  Jahren  491  Entsendungen  in  die  verschiedenen 
Gouvernements  stattgefunden: 

937  284  Kranke  sind  behandelt,  297  806  Operationen  ausgeführt  und 
53  211  unheilbar  Blinde  festgestellt  worden.  Es  hat  sich  auch  heraus- 
gestellt, daß  in  Rußland  über  60^  der  Blindheiten  vermeidbar  ge- 
wesen wären;  die  schlimmste  Ursache  war  Neugeborenen-Eiterung. 

Auch  die  stationären  Einrichtungen  wurden   allmählich  vermehrt  und 


266 


XXIII.    Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,   ) 800— 1875. 


erweitert,  von  1894 — i9IO  wuchs   die  Zahl   derselben  auf  138:    darunter 
sind  21   große  Augenkliniken  i). 


Jahr 

Zahl  der 

ständigen 

Einrichtgn. 

Zahl  der 
Kranken 

Krankheits- 

Formen 

• 

Zahl  der  Ope- 
rationen 

Zahl  der  un- 
heilbar Erblin- 
deten 

Zahl  der 

Ärzte  und 

Studironden 

1893 

4 

4  021 

_ 

597 

_ 

5 

1894 

11 

3  938 

— 

490 

— 

6 

1895 

14 

10  785 

— 

1  998 

261 

28 

1896 

24 

24  386 



4  322 

— 

33 

1897 

37 

35  181 

36  OÜO 

G  334 

733 

37 

1898 

46 

40  835 

43  369 

7  327 

1  133 

48 

1899 

70 

82  304 

78  689 

18  630 

1  778 

110 

1900 

98 

105  207 

107  914 

22  782 

1  846 

121 

1901 

M8 

133  596 

153  338 

29  257 

2  657 

131 

1902 

127 

144  335 

167  74  3 

31  257 

2  733 

155 

1903 

141 

141  700 

161  127 

33  363 

2  586 

155 

1904 

14-2 

130  514 

169  611 

37  240 

2  '.84 

149 

1903 

1 1  •■) 

160  932 

183  741 

36  200 

2  765 

137 

1906 

119 

181  888 

202  838 

39  334 

3  139 

136 

1907 

112 

177  043 

200  808 

42  193 

2  624 

142 

1908 

1 1  9 

187  293 

218  ir.3 

4  4  627 

2  507 

137 

1909 

130 

211  243 

234  290 

4  6  444 

2  871 

.    152 

1910 

188 

238  027 

265  990 

47  499 

3  263 

162 

18  Jahre 



2  033  250 



432  133 

33  402 



§  928,    Zur  Geschichte  der  Militär-Augenheilkunde  in  Rußland, 
von  Dr.  M.  Reich 2). 

»Es  ist  höchst  wahrscheinUch,  daß  epidemische  Augenkrankheiten  im 
russischen  Heere  schon  vor  1782  sehr  bekannt  waren.  Divisionsarzt 
ScBULLEu  schrieb  1824  3)^  daß  die  ,Blepharophthalmia  Grimensis  mucosa'  in 
der  Infanterie  viel  häufiger  war,  als  in  der  Flotte,  und  zwar  in  den  Truppen, 
die  in  der  Krim  noch  vor  dem  Feldzuge  nach  Frankreich  sich  befanden. 

Seidlitz^)  schrieb,  daß  schon  1808  starke  Augen-Epidemien  in  Kron- 
stadt herrschten. 

1819 — 1824  erkrankten  im  Krim-Gebirge  unter  den  Truppen  8260 
Mann,  von  denen  75  (0,9  ^)  ganz  erblindeten,  auf  einem  Auge  100  (1,2^). 


1)  Vgl.  §  711,  Augen-Heilanstalten  in  Deutschland  und  in  England;  §  768, 
Augen-Heilanstalten  in  den  Vereinigten  Staaten. 

2)  Den  §  928  hat  Dr.  M.  Reich,  a.  o.  MitgUed  des  wissenschaftlichen  Komitees 
der  Haupt-Militär-Sanitätsverwaltung  in  St.  Petersburg,  ein  alter  Bekannter  von 
mir  aus  unsren  jungen  Tagen  (1871),  mir  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt. 

3)  Im  russischen  militärärztlichen  Journal  1824,  III.  Theil,  S.  208. 

4)  Vermischte  Abhandl.  aus  d.  Geb.  d.  Augenheilkunde.     3.  Samml.  1825. 


Geschichte  der  MiUtär-Augenheilkunde  in  Rußland.  267 

Ansteckende  Augenkrankheilen  wüthelen    in  Pelcrshurg   (IS3.") — 1837, 
Fi.oi!io):   im   Warschauer  Garnison-Lazaret   erblindeten  (1819 — 1821)  von 

Fig.  17. 


2096  Augenkranken  auf  beiden  Augen  58,    d.  h.  2,8^;   auf  einem  Auge 
56,  d.  h.  2,7  % ;  im  ganzen  5,5  %  ! 

1837  fand  Kabat  öOOO  Augenkranke. 

In  das  Petersburger  Militär-Hospital  sind,  von  1835  bis  Sept.  1838,  9863 


268  XXIII.   Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800—187  5. 

Augenkranke  aufgenommen.  [Von  diesen  sind,  unter  Florio,  nur  9  blind 
geworden  und  12  haben  ein  Auge  verloren.  Vgl.  §  719,  S.  31.  Der  ita- 
lienische Chef-Arzt  hatte  gute  Erfolge!] 

Sogar  noch  1 873  waren  im  Warschauer  Ouyazdow-Spital  von  832 
Augenkranken  90  mit  Diphtherie! 

1872  fand  Reutlinger  in  der  Odessaer  Garnison  bis  34^  Augen- 
kranke, in  Beßarabien  31  ^,  und  entwarf  uns  die  traurigsten  Schilderungen. 

1874  erkrankten  von  den  Krim-Truppen  40,3^,  von  denerv  328  mit 
,eitertriefender  Entzündung'.   (Damalige  Nomenklatur  der  Augenblennorrhöe.) 

Der  allerhöchst  kommandirte  Leib-Okulist  Rabat  empfahl  Zerstreuung 
der  Augenkranken  aus  verseuchten  Gegenden  in  gesunde  und  Isolirung 
Augenkranker  in  speciellen  sanitären  Sommer-Augen-Stationen  (zu  Odessa, 
Eupatoria,  im  Baidar-Thal  u.  a.),  zum  Theil  im  schönen  bewaldeten  Hügel- 
land der  Krim.  (Diese  Maßnahme  wurde  im  Karabinier-Regiment  in  Peters- 
burg schon  J832  angewandt,  in  dem  von  100  Blenorrhöe-Kranken  i3  ganz 
oder  fast  ganz  erblindeten.   [Lerche.]) 

187Ö  in  die  Krim  kommandirt,  fand  ich  persönlich  verschiedene 
Truppentheile  mit  24—36  %  Augenkranker,  abgesehen  von  den  nach  Heil- 
anstalten Gesendeten. 

Bei  den  damaligen  hygienischen  Zuständen  in  den  Truppen  und  der 
oft  hilflosen  Stellung  der  Militär-Ärzte,  deren  augenärztliche  Kenntnisse  nur 
unbedeutend,  war  das  oben  Beschriebene  ziemlich  verständlich  *). 

Eine  besondere  Lehrkanzel  für  Ophthalmologie  erhielt  die  Militär- 
Medizinische  Akademie  erst  am  Ende  der  60  er  Jahre  des  19.  Jahrhunderts 
(Prof.  Junge)  2>;  aber  Lehrkanzel  und  Armee  waren  einander  fremd. 

Von  praktischer  Ausbildung  der  Militär-Ärzte  in  der  Augenheilkunde 
oder  von  besondren  Fortbildungs-Kursen  war  noch  keine  Rede. 

Die  in  verschiedenen  Theilen  Rußlands  unter  den  Truppen  immer 
währenden,  nicht  selten  epidemischen  Augenkrankheiten  in  hoher  Zahl  (bes. 
Trachom  und  Conj.  folHcul.)  bewog  1876  die  militär-medizinische  Haupt- 
verwaltung zur  Einführung  von  speciellen  Bezirks-Okulisten  in  vier 
der  am  stärksten  befallenen  Militär-Bezirke  [Kaukasus-Bezirk  —  Dr.  Reich; 
Odessaer  Bezirk  —  Dr.  Mitkewitsch;  in  Warschau  und  Wilna  —  Wolf- 
ring und  ZiwiNSKYj.  —  Laut  einer  ausführlichen,  vom  militär-medizinischen 
wissenschaftlichen  Komitee  bearbeiteten  Instruktion  wurden  die  Bezirks- 
OkuHsten  verpflichtet,  wenigstens  einmal  im  Jahre  den  Augen-Zustand  in 
allen  Truppen  und  Heilanstalten  persönlich  zu  kontrolliren,  darüber  ge- 

1)  Noch  bis  1907  wurde  in  die  Armee  jeder  mit  Trachom  (einschließlich  Conj. 
follicul.)  eingestellt,  so  lange  der  Augenzustand  noch  keinen  ersichtlichen  Einfluß 
auf  die  Sehschärfe  ausgeübt  und  keine  unheilbaren  Folgen  nach  sich  gezogen  hatte. 

[2)  Vielmehr  1860.  (Vgl.  §893.)  Im  Jahre  1869  ging  das  MiUtär-Hosp.  in  die 
Verwaltung  der  Mü.-med.  Akademie  über.] 


Militär-Augenheilkunde.  269 

iiaue  Berichte  einzureichen  und  für  Hebung  des  augenärztlichen 
Wissens  unter  den  Militär-Ärzten  des  Bezirkes  zu  sorgen. 

Die  vier  jungen,  wissenschaftlich  auch  im  Auslande  ausgebildeten  Augen- 
äizte  waren  die  ersten  Pioniere  der  Augen-Hygiene,  Prophylaxe  und  The- 
iMpie  im  Heere  (durch  Beispiel,  Wort  und  Abhandlungen  in  Zeitschriften) 
und  in  den  Heilanstalten,  was  auch  aus  ihren  Berichten  zu  ersehen  ist. 

Sofort  wurden  als  außerordentlich  wichtig  anerkannt : 

1 .  Besondere  Beachtung  hygienischer  Maßregeln  in  den  Truppen- 
llieilen. 

2.  Einführung  monatlicher  Augen-Untersuchung  der  ganzen  Mannschaft 
iiiies  jeden  Truppentheiles  und  genaue  Notirung  des  Zustandes  eines 
l'MJen  Mannes  in  besondren  Augen-Listen. 

3.  Womöglich  strenge  Isolirung  ansteckender  Augenkranker.  (Auch 
diT  Verdächtigen.) 

4.  Sofortige  Entlassung  aus  den  Beihen  in  die  Heilanstalten  aller,  die 
nicht  im  llevier  behandelt  werden  können. 

5.  Hebung  der  praktischen  augenärztlichen  Ausbildung  der  Militär-Arzte 
ilurch  periodische  Kommandirungen  derselben  zu  größeren  Hospitälern,  wo 
die  Bezirks-Augenärzte  die  Leitung  hatten. 

Die  Thätigkeit  der  vier  Bezirks-Augenärzle  war  auch  aus  ihren  Druck- 
arbeiten ersichtlich ')  und  hatte  augenscheinliche  Erfolge. 

Im  Laufe  der  Jahre  wurde  die  Zahl  der  Be/.irks-Augenärzte  vermehrt, 
so  daß  gegenwärtig  ein  solcher  in  jedem  der  12  Militär-Bezirke  thätig 
ist.  Alle  liefern  in  die  militärische  Haupt-Medizinalverwaltung  ihre  aus- 
führlichen Jahresberichte,'  über  welche  ein  besondres  Mitglied  des 
wissenschaftlichen  Komitees  der  Haupt-Medizinalvervvaltung  dem  Komitee 
einen  Bericht  erstattet,  aus  dem  Auszüge  auch  gedruckt  werden. 

Durch  Hebung  der  augenärztlichen  Professor-Leistung  an  der  Kaiserl. 
Militär-Medizin.  Akademie  und  durch  Specialisirung  an  großen  Militär-Heil- 
anstalten der  Militärbezirke  bekommt  die  Armee  mit  jedem  Jahre  eine  An- 
zahl neuer,  sehr  gut  ausgebildeter  Augenärzte. 

Eine  sehr  große  Anzahl  von  Hospitälern  und  Lazareten  hat  heutzu- 
tage in  den  Augen -Abtheilungen  eine  gute  Einrichtung  für  Augen- 
Behandlung.  Die  Augen -Abtheilungen  der  zentralen  Militär -Heilanstalt 
eines  jeden  Bezirkes  haben  eine  wissenschaftliche  Ausstattung  an  Appa- 
raten und  Instrumenten  zu  Untersuchungsmethoden,  zu  Operationen  und 
zur  Therapie,  welche  der  einer  Klinik  nicht  nachsteht. 

Diese  Augen -Abtheilungen  stehen  unter  der  Leitung  ausgebildeter 
Augenärzte,  mit  häufiger  Konsultation  des  Bezirks-Augenarztes. 


V  Theils  im  russischen  >Militärärztlichen  Journale   theils  aucli  in  ausländi- 
schen Zeitschriften. 


270  XXIII.   Hirschberg,  Die  Augenärzte  RulSlands,  1800  —  1875. 

Der  Prozent-Satz  der  Trachomatösen  in  den  Reihen  verschiedener  Heeres-  | 
theile  ist  zwar  noch  ziemlich  bedeutend  (0,5 — 3,8^),  der  Zugang  zu  den 
Heilanstalten  mit  Conjunctivitis  trachomatosa  i)  aber  nur  0,2  —  0,95^. 

Die  kolossalen  Erkrankungs-  und  Erblindungs-Zahlen,  die  noch  im 
dritten  und  vierten  Viertel  des  '1 9.  Jahrhunderts  in  den  Truppen  beobachtet 
wurden,  sind  vergessen.  Der  allgemeine  Zugang  aller  Augenkranken  ist 
im  Mittel  für  die  Armee  auf  1,6^  der  Ist-Stärke  gesunken;  kleine  Epide- 
mien von  Augenkrankheiten,  —  meist  katarrhalischer  oder  follikulärer  Con- 
junctivitis, —  gehören  zu  den  seltenen  Ereignissen  und  werden  genau  stu- 
dirt  und  bald  bekämpft. 

Die  starke  Trachom- Verseuchung  einiger  Theile  Rußlands  (der  westlichen 
und  östlichen  Gouvernements,  des  Wolga -Gouvernements  u.  a.),  die  sehr 
primitive  Volks-Aufklärung  über  Hygiene  überhaupt  und  über  Augen- 
Hygiene  im  besondren,  und  die  sehr  ungenügende  beständige  ärztliche 
Hilfe  —  das  sind  Ursachen,  vermöge  welcher  Einstellung  Augenkranker 
und  überhaupt  der  Augenkranken-Zugang  in  der  russischen  Armee  größer 
ist,  als  in  den  meisten  europäischen  Armeen. 

Der  ziemlich  große  okulistische  Aufschwung  in  Rußland  und  die  Thätig- 
keit  der  fliegenden  Kolonnen  der  auch  für  Blindheit- Prophylaxe  wirken- 
den Abtheilung  des  Blinden-Patronats  der  Kaiserin  Marie  sichern  uns,  unter 
Bedingung  genügender  Volks-Aufklärung,  auch  im  Kampfe  gegen  die  Augen- 
krankheiten im  Volke  eine  baldige  erfolgreiche  Zukunft.« 


§  929.  Ich  möchte  die  wichtigen  Erörterungen  des  Herrn  Kollegen 
M.  Reich  durch  einige  Zahlen  ergänzen. 

A.)  Behandlung  der  Blepharophth.  purulenta  im  Militär-Hosp.  zu  Uias- 
dow  in  Warschau,  m.  v.  Oberarzt  desselben,  AVirkl.  Staatsrath  Dr.  von 
Magazinek.     (Med.  Z.  Rußlands  1844,  No.  26.) 


IS;}?  erblindeten  von    0019  Augenkranken   auf  beiden  Augen  53 

1838  4890  59 

1839  2106  23 

1840  3742  31 

1841  2485  10 

1842  2138  6 

1843  2966  5 


1)  Die  Statistik  über  Trachom  ist  natürlich  nicht  sehr  genau,  denn  nicht 
alle  Ärzte  und  sogar  nicht  alle  Augenärzte  sind  reine  Dualisten;  vielmehr  rechnen 
sie  zum  Trachom  auch  jede  follikuläre  Bindehaut-Veränderung. 


Trachom  in  Rußland.  271 

Die  glücklicheren  Erfolge  der  letzten  beiden  Jahre  wurden  der  neuen 
lUJKindlung  zugeschrieben,  mit  Einstreuen  von  Kalomel  'j. 

B.)  Aus  dem  Jahresbericht  des  Warschauer  Militärbezirks- Augenarztes, 
\nn  Dr.  Tai.ko.     (Gazela  Lekarska   1880;  C.  Bl.  f.  A.    1880,  S.  379.) 

hn  ganzen  Bezirk  waren  1878  an  131242  Soldaten,  darunter  5646 
Aiii;enkranke  (319  blennorrhoTsche) ;  von  diesen  genasen  5186,  wurden  an 
ht  iden  Augen  beschädigt  50,  verloren  ein  Auge  60,  beide  Augen  30. 

Im  Jahre  1879  waren  unter  122  557  Soldaten  5713  Augenkranke,  von 
welchen  5126  genasen,  an  beiden  Augen  beschädigt  wurden  124,  ein  Auge 
verloren  49,  beide  Augen   13. 

C.)  1 890  betrug  die  Gesanuntzahl  der  Trachomatüsen  in  der  russischen 
Armee  62  955  =  75,7  pro  Mille  des  Bestandes.  (Talko,  Kl.  M.  Bl,  f.  A. 
IS93,  S.  147.) 

§  930.    Über  die  V'erbreitung  des  Trachoma  in  Rußland-). 

...  Da  uns  absolute  Zahlen  nicht  zur  Verfügung  stehen,  müssen  wir 
uns  mit  relativen  begnügen:  sie  geben  die  Zahl  der  Kürnerkranken, 
die  unter  je  1000  Augenkranken  in  den  Augen-Heilanstalten  der 
verschiedenen  Bezirken  gefunden  sind.  Die  Fehlerquellen,  die  solchen 
Zahlen  anhaften,  sind  einleuchtend  und  auch  schon  öfters  hervorgehoben  .  .  . 

Ich  nenne  eine  Gegend  trachomfrei  (0),  wenn  die  einheimische  Be- 
völkerung nicht  mehr  Trachom-Fälle,  als  I — 2%q  (pro  mille)  der  Augen- 
kranken  für  die  betreuende  Augen-Heilanstalt  liefert;  dagegen  leicht  be- 
haftet (1),  wenn  die  Zahl  der  Trachom-Kranken  (möglichst  nur  aus  der 
einheimischen  Bevölkerung)  auf  lO^lö^oo  der  Augenkranken  ansteigt.  Die 
mittlere  Erkrankung  (II)  rechne  ich  bis  zu  50%q;  die  starke  (III)  ver- 
bleibt den  noch  höheren  Zahlen,  100%o,  2000/(,q  und  darüber.  Diese 
Eintheilung  ist  eine  künstliche,  wegen  des  allmählichen  Übergangs;  doch 
scheint  sie  mir  nützlich  zur  ersten  Übersicht. 

Am  besten  steht  es  in  Europa  mit  der  Schweiz.  Frankreich  und  Eng- 
land sind  ähnlich  daran,  wie  Deutschland,  daß  nämlich  einige  Bezirke 
oder  Provinzen  mehr  oder  weniger  an  Körnerkrankheit  leiden,  Österreich 
zeigt  in  Galizien  und  Ungarn  starke  Erkrankung,  Rußland  in  vielen  Gou- 
vernements, von  denen  ich  Nachricht  erhielt;  stark  leiden  die  drei  süd- 
lichen Halbinseln  Europas.  Wenig  erkrankt  sind  die  drei  nordischen  Reiche: 
Dänemark,  Schweden,  Norwegen.  Sehr  stark  Belgien,  theilweise  auch  Hol- 
land.    Die  Vereinigten  Staaten    von  Nord-Amerika,    Brasilien  in  Süd-Ame- 

1)  Diese  Kalomel-Behandlung  rührt  von  Dupuytren  her,  was  v.  M.  nicht  an- 
gemerlct  hat.     Vgl.  unsren  §  55-2,  S,  24,  und  §  334,  S.  378. 

2)  Nach  J.  Hirschberg,  Die  Bekämpfung  der  Volkslcr.  Trachoma.  Referat  in 
der  3.  Sitzung  der  ophth.  Sektion  des  XII.  internal.  Kongresses  zu  Moskau,  den 
9.  Aug.  1897.  Bericht  der  Sekt.  XI,  S.  76— 81.  (Vgl.  m.  Gesammelten  Abh.  1913, 
S.  760  llsd. 


I 


272  XXIII.   Hirschberg,  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800— 1875. 

rika,  die  englischen  Kolonien  in  Australien,  alle  sind  von  der  Plage  der 
Kürnerkrankheit  heimgesucht.  .  .  . 

Als  drittes  und  letztes  Beispiel  wähle  ich  das  große  Reich,  dessen 
Gastfreundschaft  wir  uns  auf  diesem  Kongreß  zu  erfreuen  haben. 

Mit  gewohnter  Liebenswürdigkeit  haben  die  russischen  Herren  Kollegen 
mich  mit  ihrem  Zahlen-Material  versehen,  so  daß  ich  in  der  Lage  bin, 
Ihnen  die  folgende  Übersicht  zu  geben.  Moskau  24 — 40 %o,  Rostow  6O0/00, 
Petersburg  96  %o,  Helsingfors  102  0  00,  Saratow  M  4  0/00,  Lodz  H  6  0/00, 
Warschau  124  0/00,  Libau  121  0/00,  Reval  146  0/00,  Dorpat  ISO  -350 0/00,  Riga 
2000/00,  Odessa  1580/00,  Charkow  200  0/00,  Kasan  180— 220  0/00,  Kiew  250o/(,o. 

Landstriche,  die  gar  nicht  oder  wenig  behaftet  sind,  konnte 
ich  aus  Rußland  nicht  in  Erfahrung  bringen,  obwohl  sie  doch  vor- 
kommen, wie  ich  durch  mündliche  Nachrichten  erfahren. 

Also  mittlere  Erkrankungs-ZifTer  zeigt  diese  alte  Hauptstadt  des  Reiches. 
Alle  andren  Zahlen  gehören  der  starken  Erkrankung  an.  Ich  weiß,  daß 
ich  den  russischen  Fachgenossen  damit  nichts  Neues  sage. 

Aber  eine  so  vollständige  Zusammenstellung,  wie  die  oben  erwähnte, 
habe  ich  in  der  Literatur  nicht  gefunden. 

Zusatz  1.  Für  die  Trachom-Durchseuchung  Rußlands  ist  der  tata- 
rische Antheil  der  russischen  Bevölkerung  zu  berücksichtigen  ^j.  Vgl. 
P.  Lang,  Über  die  in  der  Krimm  herrschende  Augen-Entzündung.  (Ver- 
mischte Abb.  .  .  .  pr.  Ärzte  zu  St.  Petersburg  III,  1825.)  A'on  1782—1805 
zeigten  sich  2  Mal  ansteckende  Augen-Entz.  in  der  Krimm,  haupts.  bei  den 
Soldaten.  Sporadisch  kommt  die  Augen-Entz.  immer  vor,  besonders  in  der 
ärmeren  Klasse  der  Tataren.  Sie  lassen  sich  von  ihren  Weibern  be- 
handeln.« Vf.  will  die  Augenkrankheit  von  den  Mekka-Pilgern  ableiten,  die 
über  Ägypten  reisen.  Aber  »die  ägypt.  Augen-Entz.  verdient  eher  den 
Namen  der  asiatischen,  da  sie  in  ganz  Asien  herrscht«.  (Adams,  1818;  vgl. 
unsren  §  631.) 

2.  Über  die  seit  Jahrhunderten  bestehende  Trachom-Durchseuchung 
der  finnischen  Esthen  vgl.  oben  §  907,  3. 

3.  Über  Finnland  haben  wir  die  lapidaren  Sätze  von  F.  J.  von  Becker 
zu  I lelsingfors  2j :  Ende  des  Jahres  1865  betrug  in  Finnland  die  Zahl  der 
Blinden  5187,  d.  i.  1  :  348  und  der  Halbblinden  7617,  d.  i.  1  :  237  .  .  . 
Bekanntermaßen  ist  es  das  Trachom  mit  seinen  Folge-Krankheiten,  wo- 
durch am  allerhäufigsten  hier  zu  Lande  das  Sehvermögen  verloren  geht. 
Es  kommt  in  manchen  Gegenden  so  häufig  vor,  daß  man  kaum  eine 
Bauern-Stube  findet,    wo   nicht  Jemand    daran    leidet.  .  .  .     Das  Trachom 


1)  »Im  europäischen  Rußland  bilden  die  Tataren  mit  I9.'i3l55  Köpfen  nach 
den  Russen  und  den  Polen  die  stärkste  Bevölkerungs-Gruppe.«  (Meyer's  Konvers. - 
Lex.  XVI,  S.  294,   1907.) 

2)  Zeiiender's  Klin.  M.  El.  f.  A.  1870,  i?.  37."). 


Schluß-Betrachtungen.  273 

wird  am  häufigsten  von  Quacksalbern  unter  den  Bauern  behandelt,  am 
meisten  durch  reizende  Mittel  (Einblasen  von  pulverisirtem  Zucker,  Alaun), 
sowie  auch  durch  Umkehren  der  Lider  und  Reiben  mit  scharfen  Gegen- 
ständen, gewöhnlich  mit  Hopfen-Blättern  i).  ... 

§  931.     Schluß-Betrachtungen. 

Die  .\ugenheilkunde  in  Rußland  beginnt  mit  der  Gründung  der  Augen- 
Heilanstalt  zu  St.  Petersburg,  im  Jahre   1824. 

Von  den  Leitern  der  Anstalt  im  19.  Jahrhundert  war  der  erste 
(W.  Lerciib)  ein  Deutscher,  die  folgenden  (Salomon,  Lkrche  jun.,  R.  Blessig, 
Magawly)  Deutsch-Russen.     Sie  haben  deutsch  geschrieben. 

Von  den  ersten  Professoren  der  Augenheilkunde  war  Braun  in  Moskau 
ein  Deutscher,  Junge  in  Petersburg,  v.  Üttingen  in  Dorpat,  Hirschmann  in 
Charkow  Deutsch-Russen,  Iwanoff  in  Kiew,  Adamück  in  Kasan  Russen :  sie 
schrieben  deutsch,  auch  russisch. 

Die  Russen,  welche  im  letzten  Drittel  des  1 9.  Jahrhunderts  auf  dem 
Plan  erschienen,  Maklakoff,  Woinow,  Krlckow,  E.  Mandklstamm,  Iwanoff, 
Chodin,  Dobrowolsky,  Bellarminoff,  Adamück  u.  A.,  sind,  vielleicht  mit 
Ausnahme  des  ersten,  alle  im  Auslande  ausgebildet.  Sie  betheiligten  sich 
rüstig  am  Ausbau  der  theoretischen  und  praktischen  Augenheilkunde. 

Mit  Ausnahme  des  ersten,  welcher  russisch  und  französisch  schrieb, 
haben  sie  alle  deutsch,  (gelegentlich  französisch,)  und  russisch  geschrieben. 

Eine  national-russische  Literatur  der  Augenheilkunde  entwickelt  sich 
erst  in  den  siebziger  Jahren. 

Wirkliche  Genies  unter  den  Russen,  wie  Iwanoff,  sind  auf  unsrem  Gebiet 
sparsamer,  als  in  dem  der  Poesie,  der  Musik  und  der  bildenden  Künste. 

Professuren  der  Augenheilkunde  an  den  russischen  Universitäten  wur- 
den von  1860 — 1872,  also  verhältnißmäßig  früh,  eingerichtet.  Aber  die 
Gründung  von  brauchbaren  Kliniken  ließ  länger  auf  sich  warten. 

In  praktischer  Hinsicht  waren  diese  Augenkliniken,  selbst  zusammen 
mit  den  weil  größeren  Augen-Heilanstalten  der  Städte  (St.  Petersburg, 
Moskau,  Odessa,  Kiew,  Riga  u.  a.),  für  die  Bedürfnisse  des  ungeheuren 
Reiches  nicht  ausreichend. 

Beklagenswerth  ist  auch  der  Mangel  an  Ärzten,  der  in  Folge  der 
Unterdrückung  der  Selbständigkeit  der  Universitäten  seit  1 884  beobachtet  wird. 

Rühmende  Anerkennung  verdient  aber  die  eifrige  Thätigkeit  zur  Her- 
abminderung von  Augenkrankheit  und  Erblindung  in  Volk  und  Heer,  wie 
sie  während  der  letzten  Jahrzehnte  des  19.  Jahrhunderts  im  russischen 
Reich  zu  Taee  getreten  ist. 


4)  Vgl.  §  907,  3. 


Handbuch  der  Angenheilknnde.  2.  Aufl.  XIV.  Bd.  (VH.)    XXIII.  Kap.  m 


Sach- Register. 


Alle  Namen  von  Krankbeiten,  Operationen,  Instrumenten  finden  sich  unter  Nomenklatur.    Dem  Sach- 
Register  folgt  ein  Namen-Register.    In  letzterem   bedeutet  die   fettgedruckte  Zahl  immer  die  Haupt- 
Stelle. 


Aktinomykose  des Thränenröhrchens 
§  904,  S.  226. 

Amyloid  der  Bindehaut  §  908,  S.  233. 

Augenärztlicher  Bote  §  918,  S.  251. 

Augen-Heilanstalt  zu  St.  Petersburg 
§881,  S.  IW.  Die  größten  A.-H.  §881, 
S.181;  A.-H.  zu  Moskau  §  905,  S.227; 
zu  Riga  §  912,  S.241 ;  P  opow'sche  in 
Kiew  §  920,  S.  253;  zu  Odessa  §  925, 
S.  261. 

Augenheilkunde,  moderne,  in  Ruß- 
land §  885,  S.  192.  Geschichte  der 
militärischen  Augenheilkunde  §  928, 
S.  266. 

Augenklinik  der  milit.-med.  Akad.  zu 
St.  Petersburg  §  892,  S.  206;  des  klin. 
Instituts  Helene  -  Pawlowna  §896, 
S.  213;  der  Univ.  Moskau  §  899,  905, 
S.  227 ;  zu  Dorpat  §  906,  S.  229 ;  Mitteil, 
ders.  §  911,  S.  240. 

Augenkrankheiten,vorherrschendin 
Rußland  §  879,  S.  179. 

Augenspiegel  §  887,  S.  196. 

B. 

Blindheit  in  Rußland  u.  ihre  Bekämpfung 

§  927,  S.  263. 


Charkow  §  921,  S.  254. 

D. 

Deutsche  Sprache  §878,  S.  175. 
Dorpat  §  906,  S.  228.  Die  letzte  deutsche 
Promotion  §  909,  S.  236. 


Elektricität  vgl.  Galvanismus. 
Embolie  §  884,  S.  190  (R.  Blessig). 
Esthen,  trachom  -  durchseucht  §907, 
S.  231. 


Finnland's  Trachom  §  930,  S.  272. 


Galvanismus  in  der  Augenheilk.  § 882, 

S.  185;  §  892,  S.  208. 
Glaukom  §  898,  S.  216. 

H. 

Haarwimperboden  -  Verpflanzung  §910, 
S.  237. 

I.  (J. 

Indirekte  Läsionen  des  Augapfels  §  908, 
S.  234. 

Iridektomie  §  887,   S.  197;   §  892,  S.  208. 

Iridochorioiditis  durch  Rückfalls- 
Fieber  §884,  S.  189  (R.  Blessig); 
§  902,  S.  224  (Logetschnikoffi; 
§  903,  S.  225  (A.  Natanson  sen.;. 

Jurjew  s.  Dorpat. 

K. 
Kasan  §  923,  S.  257. 
Kiew  §  916,  S.  245. 

Krimm'sche  Augen-Entz.  §  930,  S.  272. 
Kyklitis  nach  Recurrens  §  902,  S.  224. 

L. 

Ligatura  palpebralis  §  882,  S.  184. 

M. 

Militär-Augenheilk.  §  928,  S.  267. 
Moskau  §  897,  S.  214. 

N. 
Netzhaut  (vgl.  Retina),  Textur  §884, 
S.  187  (R.  Blessig).    Getigerte  §  893, 
S.  208  (Junge;. 
Neugeborenen- Augen-Eiterung  § 887, 
S.  196. 

0. 
Odessa  §  925,  S.  260. 
Ophthalmometrie  §  901,  S.  222. 


Pantophtalmie,  Ätiologie  §  904,  S.  226. 
St.  Petersburg,   Augen -Heilanstalt 
§  881,  S.  179. 


1 


Sach-Register. 


275 


R  e  (■  u  r  r  e  n  s-Iridochorioiditis  §  884,  S,4  89 
(K.Blessigi;  §902.  S.  224  (Lo- 
ge tschnikoff. 

Retinae  textura  §  884,  S.  187  (R. 
Blessig). 

Riga  §  91  i,  S.  24i. 

Russische  Literatur  §  878,  S.  175. 

S. 
St.  Petersburg  s.  Petersburg. 
Sehen,  das  räumhche  §  9H,  S.  238. 
Skurbutische  Augen-Entz.  §  889,  890. 
Star.  Ausziehung  §  896,  S.  216  Braun;. 

T. 
Tatarischer    Antheil    am    russischen 

Trachom  §  930,  S.  272. 
Thränen  röhrchen  -  Aktinomykose 

§  9ii;.  S.  226. 


Thränenschlauch-  Verstopfung  § 9 1 0, 

S.  238. 
Tonometrie  §  899,  S.  218. 
Trachom,  in  Livland  §  907,  S.  231 ;  in 

Rußland  §  930,  S.  271. 


Universitäten  Rußland  s  §880, S.179. 
St.  Petersburg  Militär-Akad.'  §  892; 
Moskau  §  897;  Dorpat  §  906,  S.  228; 
Kiew  §916,  S.  245;  Charkow  §  921, 
S.  254;  Kasan  §  923,  S.  257;  Odessa 
§  925.  S.  260;  Tomsk  §  92.i,  S.  260; 
Warschau  §  926,  S.  261. 


W. 

Warschau  §  926,  S.  261. 

Westnik  Ophthalmologii  §918,  S.  251. 


Namen -Register 


A. 
Adamück  §  924,  S.  2.17. 
Adelmann  §  907,  S.  230. 
Alexander  II.  §  88«,  S.  181. 
Alfonsky  §  897,  S.  215. 
Andogsky  §  878,  S.  177. 
Arnhold  , Kasan)  §  923,  S.  257. 

B. 

Babuchin  §  878,  S.  176. 
Balk  §  906,  S.  228. 
Barsoff  §  897,  S.  215. 
Becker  (Kiew)  §  916,  S.  245. 
Bekeloff  §  923,  S.  257. 
Beljawski  §  890.  S.  20  3. 
Bellarminoff  §879,  8.178;  §  927,8.26.} 
Blessig,  E.  §  179,  8.  178;  §  881,  S.  180 
Blessig.  Robert  §  884,  S.  187. 
Braun  [Moskau;  §898,  S.  216. 
Braun,  ;Kasan)  §923,  8.257. 
Brosse  §  897,  8.  215. 


Chodin  §  918,  8.  250. 

Crusell  §  882,  S.  185;  §  892,  S.  207. 


Denissenko  §  878,  8.  179. 
Dobrowolsky  §  894,  S.  210. 
Dogiel  §  878,  8.  176:  §  924,  8.  260. 


Dohnberg  §  896  A,  S.  213. 

Drozdoff  §  890.  S.  203. 

Dubowitzki  §  892,  8.  207-       923.    S.  257. 

E, 
Elatschich  §  923,  8.  257. 
Ehasberg,  M.  §  914,  8.  244. 
Ewenius  §  897,  8.  215. 
Ewetzky  §  911,  8.  239. 
Ewmenieff  §  890,  S.  203. 


Fialkowski  §  890,  8.  202. 
Florio  §  878,  8.  174;  §  928,  8.  267. 
Fogel  §  923.  8.  257. 
Froebelius  §  887,  S.  196. 

G. 

Germann  §  891.  8.  205. 
Golowin  §  924,  S.  260. 
Grubi  §  892,  8.  207. 
Gurwitsch  §  878,  8.  177. 

H. 

Hildebrandt  §  897,  8.  214. 

Hirschberg  (Berlin),    über    Trachom   in 

Rußland  §  930,  S.  271. 
Hirschmann  §  922,  8.  256. 
Hoerschelmann  §  915,  S.  244. 
Hoffmann  §  915,  245. 
Hübbenet,  von,  §  916,  8.  245. 

•IS* 


276 


Namen-Register. 


I.  (J.) 
Jaesche,  G.  E.  §910,  S.  236. 
Jaesche,  E.  §  910,  S.  237. 
Jeropheph  §  925,  S.  260. 
Jochmann  §  906,  S.  229. 
Ischreyt  §  914,  S.  24  4. 
Junge  §  893,  S.  208. 
Iwan  off  §917,  S.  247. 


Kabat  §  879,  S.  178;  §  892,  S.  207;  §  828, 

S.  268. 
Kalinski  §  892,  S.  207. 
Karawajeff  §  916,  S.  245,  246. 
Kastalsky,  Katharina,  §904,  S.  225. 
Kauzmann  §  906,  S.  228. 
Kostenitsch  §  878,  S.  177. 
Krückow§890,   S.  204;   §900,  S.  219. 
Krüdener,  von,  §  1 79,  S.  1 78 ;  §  914,  S.  244. 
Kyter  §  923,  S.  257. 


Lamansky  §  876,  S.  176. 

Lange,  0.  §  891,  S.  206. 

Leber  §  878,  S.  i76. 

Lerche,  Wilhelm  §  878,  S.  173;  §  881, 

S.  180;  §  882,  S.  183. 
Lerche,  jun.  §  883,  S.  186. 
Lobanoff  §  925,  S.  260. 
Logetschnikoff  §  902,  S.  223. 

H. 
Magawly  §885,  S.  190. 
Magaziner  §  928,  S.  270. 
Maklakoff  §899,  S.  217. 
Mandelstamm  I.,    E.,    §918,   S.  250  ; 

§  919,  S.  252. 
Mandelstamm  IL,  L.,  §  913,  S.  242. 
Matschuschenkoff  §  897,  S.  215. 
Memorsky  §  878,  S.  177. 
Middendorf,  von,  §915,  S.24Ö. 
Mitkewitsch  §  928,  S.  268. 
Moier  §  906,  S.  229. 


Natanson,  AI.  §  891 ,  S.  206;  §  903,  S.  224. 
Neese,  §  878,  S.  177;  §  920,  S.  253. 
Neznamoff  §  926,  S.  262. 
Niesamoff  §  878,  S.  177. 
Nikolaus  L  §  881,  S.  180  u.  181. 
Nikolsky  §  923,  S.  257. 


0. 

Öttingen,  von,  §  908,  S.  233. 

P. 

Pelechin  §  892,  S.  207. 

Peter  d.  Gr.  §  878,  S.  173;  §  880,   S.  179. 

Pirogoff  §  878,  S.  174,  175;  §  906,  S.  229. 

Poetschke  §  913,  S.  243. 

Poppen,  von,  §  879,  S.  178. 

■R. 
Raehlmann  §  909,  S.  234. 
Reich  §  878,  S.  1  77  ;  §  879,  S.  1  78 ;  §  928, 

S.  266,  268. 
Reutlinger  §  928,  S.  268. 
Rogowitsch  §  919,  S.  253. 
ROSOW  §  878,   S.  177. 
Rudnew  §  926,  S.  261. 
Rusticky  §  918,  S.  250. 

S. 

Sabolowski- Detj  atowski     §    892, 

S.  207. 
Salomon,  Chr.  §  883,  S.  186. 
Schalygen  §  878,  S.  177. 
Schimanowsky  §  918,  S.  251. 
Schroeder,  von,  §  886,  S.  193. 
Schuller  §  928,  S.  266. 
Seidlitz,  von,  §907,  S.232;  §966,  S.266. 
Setschenoff  §  878,  S.  177. 
Skrebitzky  §  878,  S.  177. 
Stieda  §  925,  S.  261. 


Talko  §  929,  S.  278. 
Thielmann  §  888,  S.  197. 


Vanzetti  §  878,  S.  174;  §  921,  S.  254. 

W. 

Wagner,  W.  (Odessa)  §  925,  S.  261. 

Waldhauer  §  913,  S.  242. 

Walter  (Odessa)  §925,  S.  261. 

Woinow  §  901,  S.  922. 

Wolfring,  von,  §  926,  S.  261;  §  928,  S.  268. 

Woskresenski  §  890,  S.  204. 


Zilchert  §  916,  S.  245. 
Ziwinsky  §  968,  S.  268. 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 

Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 

Von 

J.  Hirschberg, 

Professor  in  Berlin. 

Drittes  Buch. 

Achtzehnter  Abschnitt. 
Polnische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 

Mit  3  Figuren  im  Text. 


Eingegangen  im  März  1916. 

§  932.     Einleitung. 

Die  polnische  Literatur  ist  unter  den  slawischen  die  reichhaltigste  und 
dabei,  während  sie  der  westeuropäischen  Kultur-Entwicklung  un- 
unterbrochen sich  anschließt,  von  nationaler  Eigenart. 

Somit  hatte  ich  mich  bemüht,  im  C.  Bl.  f.  A.  regelmäßig  Jahresberichte 
der  polnischen  augenärztlichen  Literatur  zu  bringen^). 

Somit  beabsichtigte  iclj  auch,  den  polnischen  Augenärzten  des 
19.  Jahrhunderts  ein  besondres  Kapitel  meiner  Geschichte  zu  widmen. 

Aber  die  Ausführung  meiner  Absicht  verdanke  ich  meinem  alten 
Freunde  Prof.  Boleslaus  Wicherkiewicz  in  Krakau,  der  mir,  auf  meine 
Bitte,  am  9.  Mai  1913  das  von  ihm  selber  (und  zum  Theil  von  seinen 
Assistenten]  zusammengestellte  Material  freundlichst  zur  Verfügung  ge- 
stellt hat. 

Die  übersandten  Nachrichten  habe  ich  geordnet,  hier  gekürzt,  dort 
erweitert;   und  somit  theil  weise  nur  als  Herausgeber  gewirkt. 

1)  Vgl.  CHI.  f.  A.  1880,  S.  378  —  381  (Narkiewicz  JoDKO);  1881,  S.  378  —  387; 
1882,  S.  399—403;   1882,  S.  403—408   (M.  v.  Kepinski);  1884,  S.  402—408,  USW. 


278  XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

Allerdings  die  Inhalts-Angaben  der  zugänglichen  Werke  und  die  aus- 
führlichen Lebensbeschreibungen  entstammen  nicht  der  Handschrift  von 
Prof.  WicHERKiEWicz,  soudem  sind  von  mir  selber  zusammengestellt  ^). 

Ein  Paar  Worte   über  die  älteren  Zeilen   mögen  hier  am  Platze  sein. 

Andeutungen  über  Augenkrankheiten  und  ihre  Behandlung  finden  sich  be- 
reits in  polnischen  Werken  vom  Ende  des  15.  und  vom  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts (Falimierz,  Oczkoj. 

Gegen  das  Jahr  1503  war  Michael  aus  Wola  von  einem  Juden  Abraham 
wegen  Augenweh 2]  behandelt  worden.  Um  1G60  lebte  in  Krakau  Wryt  (Friedrich); 
und  um  1748  Dr.  med.  Gine  (Just,  Gotoi-red),  Hofarzt  des  polnischen  Königs 
August  III.:  beide  höchstwahrscheinlich  deutscher  Herkunft,  beide  Chirurgen,  die 
sich  jedoch  mit  der  Augenheilkunde  befaßten.  Der  letztere  schrieb  sogar  ein 
Werk:    »Disp.  de  Staphjlomate«.     (Lipsiae   1778.) 

Nicht  bloß  im  17.  und  18.  Jahrhundert,  sondern  auch  noch  in  der  ersten 
Hälfte  des  I  9.  war  die  Augenheilkunde  ein  Theil  der  Chirurgie,  in  Lehre  wie  in 
Kunst-Übung. 

In  Warschau  trug  um  1809  Dr.  Joseph  Czekierski  Chirurgie,  Frauen- 
leiden und  Ophthalmologie  vor.  Dann  Andreas  Janikowski  [i  820 — I  831)  Chirurgie 
und  Ophthalmologie.     Später  Kaminski,  Dybek,  Nowicki,  Dr.  A.  Le  Bhrs. 

Außerdem  hinterließ  der  Zeitgenosse  Le  Brix's,  Dr.  Johann  Ossakowski,  zwei 
ophthalmologische  Werke. 

1.  Joseph  Czekierski,  1777 — 18-26,  geb.  zu  Warschau,  Lehrer  der  Hebeammen- 
Schule.  einer  von  den  Gründern  der  dortigen  medizinischen  Fakultät,  Vf.  einer 
4 bändigen  Chirurgie.  (Biogr.  Lex.  II,  i-20.)  —  2.  Andreas  Janikowski,  1799 — 1864, 
1826  Professor  der  Chirurgie  in  Warschau.  (Biogr.  Lex.  III,  383.)  —  3.  A.  Le  Brün, 
4  803  zu  Warschau  geboren,  1868  daselbst  verstorben,  1827  Doktor  in  Paris  (Essai 
medical  sur  la  plique  polonaise),  1860  Professor  der  Chirurgie,  der  bedeutendste 
polnische  Chirurg  des  19.  Jahrh.,  ein  fleißiger  Schriftsteller.  .'Biogr.  Lex.. III,  640.;  — 
4.  Johann  Ossakowski,  1886  Doktor  in  Krakau,  1842  Primarius  am  Heiligengeist- 
Hosp.  zu  Warschau,  starb  1859.     (Biogr.  Lex.  IV,  4  4  5.) 

Als  V.  SzoKALSKi  im  Jahre  1853  in  sein  Vaterland  zurückkehrte,  fand 
er  die  Ophthalmologie  noch  auf  einer  niederen  Entwicklungsstufe,  so  daß 
man  ruhig  sagen  kann,  Szokalski  war  der  erste,  welcher  der  modernen 
Augenheilkunde  in  Polen  den  Grundstein  legte.  Deshalb  tragt  er  auch  mit 
Recht  den  Namen  des  Vaters  polnischer  Ophthalmologie. 

§933.     Victor  Felix  Szokalski  (1811 — 1891). 

I.  Biogr.  Lex.  V,'60l.    (Diese  ausgezeichnete  Biographie  ist  K.  +  P.  gezeichnet. 
II.  Pagel's  Biogr.  Lex.,  S.  1684. 
lU.  C.  Bl.  f.  A.  1891,  S.  78.    (J.  Hirschberg.) 
IV.  A.  d'Oc.  CV,  203—206.    (Boleslaus  Wicherkiewicz.) 
V.  Klin.  M.  Bl.  1891,  S.  78—81.     (J.  T.  Talko.) 

VI.  Talko  hat  auch  1884  eine  Jubiläums-Schrift  »Prof.  Dr.  Szokalski«  142  S.; 
mit  Bild,  sowie  mit  vollständiger  Liste  der  Arbeiten),  in  polnischer  Sprache 
verfaßt.   (Vgl.  Klin.  M.  Bl.  XXII,  S.  426.) 


t)  Dieser  Abschnitt  ist  im  Jahre  1913  fertig  gestellt. 

2)  'Odi'vag  ocp&c.lf^wt' . .  .,  Aphorism.  VI,  31    der  Hippokratischen  Sammlung. 
Vgl.  unsren  §  38. 


Szokalski. 


279 


Geboren  am  lo.  Dezember  I8M  zu  Warschau,  bezog  Sz.  bereits  1827 
die  medizinische  Fakullät  in  seiner  Vaterstadt,  trat  1831  als  Unterarzt  in 
die  polnische  Armee,  zeichnete  sich  auf  dem  Schlachtfelde  aus  und  erhielt 
den  polnischen  Orden  virtuti  militari;  mußte  aber  nach  dem  für  Polen 
so  unglücklichen  Ausgange  des  Krieges  sein  Vaterland  verlassen  imd  nahm 
in  Gießen  seine  Studien  wieder  auf,  die  er  1834  abschloß. 

Fig.  1 . 


Victor  Felix  Szokalski. 


Die  folgenden  beiden  Jahre  verbrachte  er  in  Heidelberg  und  Würzburg 
und  widmete  sich  ganz  dem  Studium  der  Augenheilkunde. 

Nachdem  er  1838  sich  vermählt,  begab  er  sich  mit  einem  Empfehlungs- 
Schreiben  Ph.  V.  Walther's  nach  Paris  i),  um  Assistent  an  Sichel's  Privat- 
Augen-Heilanstalt  zu  werden.  Zu  diesem  Behuf  mußte  er  einer  neuen  Prüfung 
sich  unterwerfen  und  eine  zweite  Doktor-Schrift  verfassen.  ^>La  diplopie 
unioculaire  ou  la  double  vision  d'un  oeil«.) 


1)  Über   SzoKALSKi's   Wirksamkeit  in  Frankreich   (1S36 — 1848)    und    seine 
französischen  Veröffentlichungen  vgl.  unseren  §  390. 


280  XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

In  Paris  begann  Sz.  auch  Privat-Vorlesungen  über  Augenheilkunde  zu 
halten,  wurde  ferner  Arzt  des  7.  Arrondissement  sowie  der  Schule  von 
BatignoUes  und  entwickelte  eine  rege  wissenschaftliche  und  literarische 
Thätigkeit. 

Mit  SALVATorE  FüRNARi^)  gab  er  die  Zeitschrift  l'Esculape  heraus.  Auf 
sein  Anstiften  wurde  1844  die  Pariser  Gesellschaft  deutscher  Ärzte^) 
begründet:  ihn  selber  wählte  man  zum  1.  Vorsitzenden 3). 

Im  Jahre  1848  begab  er  sich  nach  Alice-Sainte-Reine  (Burgund), 
übernahm  die  Leitung  des  dortigen  Krankenhauses  und  wurde  Arzt  an 
der  damals  im  Bau  begriffenen  Eisenbahn  von  Lyon.  In  dieser  Stellung 
verblieb  er  5  Jahre. 

Um  diese  Zeit  bot  ihm  die  Universität  zu  Krakau  die  Professur  der 
Augenheilkunde  an;  jedoch  versagte  das  österreichische  Ministerium  die 
Bestätigung. 

Im  Jahre  1 853  wurde  ihm  von  der  russischen  Regierung  die  Rück- 
kehr in  sein  Vaterland  gestaltet.  Er  kam  nach  WarsQ^iau,  wurde  bald  Ober- 
arzt an  dem  Fürstlich  Lub  omirski'schen  augenärztlichen  Institut^), 
übernahm  1 858  die  Oberleitung  desselben  und  hat  dieser  Anstalt  fast 
20  Jahre  lang  seine  Thätigkeit  gewidmet.  (In  der  letzten  Zeit  überließ  er 
die  B.  Kr.  und  die  Operationen  dem  Dr.  Jodko  und  behielt  sich  nur  die 
Leitung  der  Poliklinik  vor.) 

In  der  (1857  errichteten)  medizinisch-chirurgischen  Akademie^) 
zu  Warschau  lehrte  Szokalski  die  Physiologie,  in  Vertretung,  ein  Jahr 
lang.  An  der  (1861  begründeten)  Haupt  schule  zu  Warschau  wurde  er 
sofort  0.  Professor  der  Augen-  und  Ohrenheilkunde  und  verwaltete 
dieses  Amt  10  Jahre  lang.  Als  aber  1869  die  Hauptschule  in  eine  russische 
Universität  umgew^andelt  worden,  nahm  er  bald  seinen  Abschied. 

Übrigens  war  er  auch  bereits  1  857  zum  immerwährenden  Schriftleiter 
der  Warschauer  ärztlichen  Gesellschaft  ernannt  worden  und  hat  um  deren 
Entwicklung  und  Hebung  sich  unvergängliche  Verdienste  erworben. 

Nachdem  die  Entwicklung  eines  Lipomyxoms  in  der  Schultergegend 
seine  Gesundheit  schon  längere  Zeit  untergraben  hatte,  ist  Szokalski  im 
Alter  von  80  Jahren  am  7.  Januar  1891    verstorben. 


1)  §  569. 

2)  Dieselbe  bestand  lange  Zeit.  A.  v.  Graefe  hat  hier  1859  über  Stauungs- 
papille bei  Gehirn -Leiden  einen  Vortrag  gehalten.  (Veröffentlichung:  A.  f.  0. 
VII,  2,  58,  1860.)     R.  Liebreich  hat  1865  ihre  Geschichte  veröffenthcht. 

3)  >Etudiant  des  universites  allemandes  et  enfant  adoptif  en  quelque  sorte 
de  la  France,  il  revait  un  rapprochement  des  deux  nations  et  essaya  de  la  produire 
sur  son  terrain  ä  lui,  celui  de  la  science  ophtalmologique.«     (IV.) 

4)  Vgl.  §  937. 

5)  Vgl.  §  926. 


Szokalski.  281 

Aus  der  Begräbniß-Rede  von  Dr.  Kramsztyk  will  ich  nur  einen  Satz 
hervorheben;  »So  schön  war  dieses  frische  Gesicht  bei  den  weißen  Ilaaren, 
solche  Weisheit  funkelte  in  seinen  lebhaften,  beinahe  jungen  Augen,  so  mild, 
giitmüthig  und  nachsichtig  war  er,  daß  jeder,  der  mit  ihm  in  Berührung 
kam,  ihn  lieben  mußte.« 

33  gelehrten   Gesellschaften  und  Akademien   hat  Szokalski   angehört; 
große   Ehrungen  wurden   ihm  zu  Theil   (auch   der  Orden   d.  h.  \Madimir), 
eine  Reihe   von  Jubiläen   konnte  er  feiern,   so    1884   das   50 jähr.  Doktor- 
Jubiläum'). 
!  Daß   er   bis   in's    höchste  Alter   ansehnliche  Praxis   und  bedeutenden 

I  Ruf  sich  bewahrt,   habe  ich  selber  in  Berlin  durch  polnische  Kranke  viel- 
1  fach  erfahren. 

Über  die  operative  Thätigkeit  von  Sz.  habe  ich  keine  Nachrichten 
gefunden.  Doch  hat  er  ein  Verfahren  angegeben,  die  krampfhafte 
Einstülpung  des  Unterlids  zu  beheben:  ein  viereckiger  Haut-Lappen  wird 
vom  Lidrand  an  nach  unten  (5 — 8'")  abpräpariert  und  dann  unten  ver- 
kürzt (um  2  —  3'"),  endlich  der  untere  Rand  des  Lappens  mit  dem  oberen 
des  Defekts  vernäht,  und  so  das  Lid  verkürzt,  sein  Rand  nach  außen 
gewendet. 

Ferner  Iteschrieb  er  ein  Verfahren  zum  .Abbinden  des  Flügelfells. 

.Als  Lehrer  war  Sz.  sehr  erfolgreich,  was  bei  seiner  Vielseitigkeit 
und  seinem  tiefgründigen  Wissen  ja  leicht  begreiflich  ist. 

Zu  seinen  Mitarbeitern  und  Schülern  gehören:  Dr.  X.  Jasinski,  später 
Arzt  in  Charkow;  Dr.  Z.  Gy\viSski2),  der  später  in  Wilna  praktieirte; 
Dr.  E.  WoLFRiNd^),  Dr.  B.  Gepner  ;  ferner  Dr.  W.  Jodko-Narkiewicz, 
Dr.  Kamocki  und  Likieiimk. 

IP       §.933A.    Die  literarische  Leistung  von  Szokalski  ist  sehr  reichhaltig 
und  dabei  vielseitig. 

In  der  Augenheilkunde  hat  er  über  die  wichtigsten  Fragen  mit- 
gearbeitet; außerdem  über  Hvgiene  und  über  naturwissenschaftliche  Gesen- 


<)  Im  C.  Bl.  f.  A.,  1884,  S.  603  steht  das  folgende:  »Bericht  der  Heidelberger 
ophth.  G.,  1884,  S.  138.  ZEHE^'DER:  ,Soll  ich  mit  einem  Vorschlag  vorausgehen, 
so  wäre  es  der,  daß  wir  eine  Adresse  an  den  Jubilar  Szokalski  richten,  und  zwar 
in  feierlicher  Form,  in  lateinischer  Sprache;  denn  das  Deutsche  würde  dem 
Polen  gegenüber  nicht  angemessen  sein,  und  eine  andre  internationale  Sprache 
als  das  lateinische  besitzen  wir  nicht.'  Wäre  ich  im  Saale  gewesen,  so  hätte  ich 
mir  erlaubt,  zu  widersprechen.  Die  Geschäfts-Sprache  des  Heidelberger  Kongresses 
ist  die  deutsche.  Szokalski,  der  Abhandlungen  und  Bücher  in  unsrer  Sprache 
geschrieben,  wird  sie  verstehen.  Mein  Glückwunsch-Schreiben,  das  ich  in  Folge 
einer  Aufforderung  des  polnischen  Komitee's  absandte,  war  deutsch.«     H. 

2)  Im  Jahre  1839  gründete  C.  zu  Wilna  eine  Augen-Heilanstalt,  welche  vom 
Grafen  Tyzenhaus  materiell  unterstützt  wurde. 

3)  Vgl.  §  926. 


282  XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

stände  geschrieben.    Er  bediente  sich  für  seine  VeröffentUchungen  der  deut- 
schen, französischen,  russischen,  hauptsächlich  aber  der  polnischen  Sprache. 

\.  Sein  Hauptwerk  ist  das  Lehrbuch  der  Augenkrankheiten,  1869 — 70, 
2  Bände,  in  polnischer  Sprache,  auch  in's  Russische  übersetzt.  Ein  gutes  natio- 
nales Lehrbuch  ist  ja  stets  ein  großer  Vortheil  für  die  Nation,  da  es  die  Über- 
setzungen entbehrlicher  macht.  2.  Das  wichtigste  Werk  aus  seiner  französischen 
Zeit^)  ist:  Essai  sur  les  sensations  de  couleur  dans  l'etat  physiologique 
et  pathologique ,  Paris  1840.  Die  zweite  Auflage  erschien  1841.  Diese  Ab- 
handlung, welche  der  Pariser  Akademie  der  Wissenschaften  vorgelegt  wurde, 
hat  der  Vf.  selber  in  deutscher,  vermehrter  Bearbeitung  1842  herausgegeben. 
(Gießen,  192  S.)  Ebenso  auch  polnisch.  3.  Über  phantastische  Sinnes-Erschei- 
nungen,  polnisch,  2  Bde.,  Krakau  1861.  4.  Ursprung  und  Entwicklung  der 
psychischen  Sphäre,   polnisch,  Warschau   1885. 

Ferner  zahlreiche  Abhandlungen  zur  Augenheilkunde. 

2.  In  der  Vorrede  erklärt  Sz.,  daß  er  die  Farben  rein  als  Empfin- 
dungen betrachtet,  welches  auch  die  Ursache  ihrer  Erzeugungen  sein 
möge,  und  theilt  seine  Arbeit  in  drei  Abschnitte:  i .  Perception  der  Farben, 
im  normalen  und  physiologischen  Zustande  des  Auges.  2.  Angeborene 
Anomalien  dieser  Perceptionen.    3.  Krankhafte  Zustände  dieser  Perceptionen. 

Er  hat  kein  Werk  entdeckt,  welches  den  fraglichen  Gegenstand  voll- 
ständig enthielt.     Die  Darstellung  ist  lebhaft  und  gewählt. 

»W^ir  vergessen,  daß  es  der  Mensch  ist,  welcher  dieses  geheimniß- 
voUe,  dieses  grenzenlose  Weltall  belebt;  daß  es  der  Mensch  allein  ist, 
welcher  die  Formen  für  das  Gefühl,  die  Farben,  das  Licht  und  die  Finsterniß 
für  sein  Auge  und  die  Töne  für  sein  Ohr  erschafft 2)  .  .  . 

Wenn  das  Licht  kein  Auge  fände,  um  ihm  entgegen  zu  wirken,  so 
würde  das  Weltall  auf  ewig  von  der  tiefsten  Finsterniß  eingehüllt  sein  .  . 
Wenn  das  Ohr  nicht  wäre,  so  würde  es  keinen  Donner  geben«   .  .  . 

Aus  seinen  Versuchen  über  Ermüdung  der  Netzhaut  schließt  Vf.: 

I .  Die  Wahrnehmung  der  Farben  hängt  durchaus  und  ausschheßlich 
vom  Gehirn  ab.  (Determinirende  Wirkung.)  2.  Die  Netzhaut,  nur  bestimmt, 
uns  mit  der  Außenwelt  in  Beziehung  zu  setzen ,  spielt  in  der  Hervor- 
bringung der  Farben  nur  eine  untergeordnete  Rolle.  (Hervorrufende 
Wirkung.) 

Für  die  Farbenblindheit  hat  sich  Sz.  bemüht,  Klassen^)  aufzustellen: 
Die  erste  Klasse  imifaßt  diejenigen,  die  weder  Gelb  noch  Roth  noch  Blau 
zu  unterscheiden  vermögen.  Die  zweite  Klasse  begreift  in  sich  diejenigen, 
welche  neben  Weiß  und  Schwarz  noch  Gelb  unterscheiden;  aber  der  einzige 
Fall   dieser  Klasse  hatte   dazu  noch  eine  schwache  Blau-Empfmdung.     Bei 


1)  Vgl.  §  590. 

2)  Vgl.  §  1009  (Troxler,   1804). 

3)  Mit   den  Namen   hat   er   kein  Glück.     Akyanoblepsie   leitet  er  ab  von 
f'xvni'os,  ßksijjüi.    Vgl.  m.  Wörterbuch,  S.  19,  sowie  unsren  §  1010. 


Szokalski's  Leistungen.  283 

'  d(M-  dritten  Klasse  kommt  noch  eine  Farbe  hinzu,  welche  bei  einem  wohl- 
niganisirten  Auge  der  Wahrnehmung  des  Blauen  und  Rothen  entsprechen 
Nviu-de:  sie  können  Grün  nicht  von  Purpur  unterscheiden.  Der  vierten 
Klasse  fehlt  die  Empfindung  des  Rothen,  dasselbe  erscheint  ihnen  aschgrau. 
Der  fünften  Klasse  fehlen  nur  die  feineren  Nuancen. 

Farbenblindheit  pflanzt  sich  mehr  durch  die  Frauen  fort,  obwohl  diese 
-eiber  dem  Fehler  weniger  unterworfen  sind,  als  die  Männer. 

Seebeck's  Einlheilung'j    in   solche,    die    für   die  brechbareren  Strahlen 

Violett,  Blau,  Grün)  unempfindlich  sind,  und  in  solche,  welche  die  weniger 

iiiechbaren  Strahlen   (Roth,  Orange)   unvollkommen   fühlen,    will  Sz.   nicht 

zulassen,  da  es  Fälle  gäbe,  die  in  diese  beiden  Klassen  nicht  hineinpassen; 

uml  da  sie  auf  der  Ubjektivität  der  Farbe  beruhe. 

Die    angeborene  Farbenblindheit   und   die  angeborene  Amblj'opie   sind 

zwei    analoge  Zustände  des  Auges;    beide  beruhen  auf  Stumpflieit  des  un- 

I  mittell>aren  Gesichts-Organs;   die  erste  läßt  auf  qualitative,  die  letztere  auf 

quantitative   Abnahme   der  Thätigkeit  des  unmittelbaren   Gesichts-Organes 

schließen. 

Im  3.  Abschnitt  behandelt  Sz.  die  pathologische  Beziehung  zwischen 
Amblyopie,  Achromatopsie  und  Chrupsie  (Farbensehen],  den  wahrhaften 
Sitz  und  die  Natur  der  Skotome  und  den  nosologischen  Werth  aller  dieser 
Erscheinungen. 

§  933  B.  .Augenärztliche  Abhandlungen  von  V.  F.  Szokalski.  (Aus  der 
Liste  von  Talko's  Jubiläumsschrift  entnommen' 21. 

De  facie  hippocratica.  Diss.  inaug.  pro  gradu  doctoris  in  universitate  Giessensi. 

dessen  1834.) 
De  roplithalmie  pöriodique  chez  Thomme.  Annales  d'ophthalmologie  de  Flo- 

rent  Cunier,  Bru.xelles  1837,  Vol.  I. 
La   diplopie  unioculaire   ou  la  double  vision   dun  oeil.     Diss.  inaug.  ä  l'uni- 

versite  de  Paris.     Paris,  Rignaux  <839,  4",  1  tabl. 
De  rinfluence  des  muscles  obliques  de  Toeil  sur  la  vision  et  de  leur  paralysie. 

Annales  de  la  sociale  medicale  de  Gand  -1840. 
Sur  Temploi  th^rapeutique  et  hygienique  des  lunettes  et  des  conserves.   Exa- 

minateur  m^dical,  Paris  1842. 
Von   dem   Gebrauch    der  Augengläser   in  therapeutischer  und  hygienischer 

Hinsicht.    Prager  Vierteljahrschrift  1842. 
Von  der  Abtragung  des  Pterygiums  vermittelst  der  Ligatur.    Archiv  für  physio- 

log.  Heilkunde,  1843. 
Compte-rendu   de   1 2  Operations  de  la  pupille  artificielle.    La  Revue  medicale 

de  Paris,  1844. 
De  laspecificite  dans  les  ophthalmies.     Gazette  medicale,  1844.    (Vgl.  §  579.) 
Von   den  Trübungen   der  Hornhaut  in  histologischer  Hinsicht  mit  Bezug  auf 

Augenpraxis.     Archiv    der  physiologischen   Heilkunde   von   Roser  und 

Wunderlich,  1844. 


4)  Vgl.  unsren  §  1014. 

2)  Die  polnischen  mußte  ich  nothgedrungen  fortlassen. 


284  XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  4  9.  Jahrhundert. 

De  la  structure  du  cristalhn  dans  Tcbü.     Memoire  presente  ä  la  Sociöt^  me- 

dicale  de  Gand.    Annales  de  la  societe  de  Gand  1845. 
Demonstrations    cliniques    des    maladies    congenitales    et  acquises   de  l'oeil 

humain  et  de  ses  annexes.     Edition  fran^aise  de  l'ouvrage  allemand  de 

Fr.  d'Ammon,  Paris  etJBerhn  1846. 
Das  Abschaben   der  Hornhautflecken.    Archiv  für   physiolog.  Heilkunde   von 

Roser  und  Wunderlich,  1847. 
Sur  la  structure  des  staphylomes.    Gaz.  möd.,  1847. 
Das  Anpassungsvermögen  des  Auges  vom  pathologischen  Gesichtspunkte  aus 

betrachtet.  Archiv  der  physiolog. Heilkunde  von  Roser  und  Wunderlich, 

1848.  —  Nimmt  eine  Form -Veränderung  des  Augapfels  an. 
Briefe   über   die  Behandlung   chronischer  Augen-Entzündungen.    Allgemeine 

Berl.  med.  Central  Zeitung,  März  1848.  I 

Über  den  Einfluß  des  fünften  Nervenpaares  auf  das  Sehvermögen.    Archiv) 

für  physiolog.  Heilkunde  von  Roser  und  Wunderlich,  1849. 
Sur  la  rotation  de  Foeil  autour  de  son  axe.     (Observation.)    Gaz.  de  höp.  1853,^ 

No.  53,  S.  218,  No.  60,  S.  242.   —   Glaubt  noch,  mit  Johannes  Müller, 

daß  der  Drehpunkt  des  Augapfels  in  der  Mitte  seiner  Hinterfläche  liegti). 
Lettre  ä  M.  Larrey:  Sur  l'abrasion  de  la  cornöe  transparente  de  l'oeil.    Gaz. 

d.  höp.  1853,  No.  55. 
Sur   la  cauterisation   externe    des  paupiferes   avec   nitrate  d'argent  dans  le 

traitement  des  conjonctivites.    Communication  ä  TAcademie  de  mödecine 

de  Paris.    Bulletin  de  cette  Academie  (S6ance  27  Octobre  1853). 
Von  den  unmittelbaren  Seh-Organen  mit  Rücksicht  auf  die  Cerebral-Störungen 

der  Gesichts-Funktion-).   Prager  Vierteljahrschrift.   LIV,  I,  S.  65 — 108,  1854. 
§  1.    Von  der  Licht-Empfindung. 

§  2.   Von  den  Bewegungen  des  Auges,    a)  Reflex-,  b)  absichtliche  Be- 
wegungen, c)  instinktive. 
§  3.    Von  der  Mitwirkung  des  Sensorium  beim  Sehen. 
Aneurysma  trauniaticum  diffusum  in  der  Augenhöhle.    Klin.  Monatsblätter  für 

Augenheilkunde  von  Zehen  der.  1864,  427. 
Von  der  elektrisch-gymnastischen  Behandlung  der  Augenmuskelparesen.   Eben- 

das.   1865,   S.  226—236. 
GUoma  malignum  retinae.    Ebendas.  1865,  S.  396 — 406. 
Papillome  de  la  cornee.     A.  d'O.  1865. 
Observations  cliniques.   Ebendas.  1865,  ser.  IV,  209. 
Phosphene    besondrer    Art.      Aus  dem   Polnischen.      Klin.  M.  Bl.  f.  A.    1870, 

S.  146  —  147. 

§  934.     WiTHOLD  Narkiewicz  Jodko  (1834— 1899) 3J. 

Im  Jahre  1834  geboren,  .studirte  J.  Medicin  an  der  Universität  Dorpat; 
den  Doktor-Grad  erhielt  er  für  die  Dissertation  »Über  sympathische  Augen- 
entzündung« im  Jahre  1859  zu  Warschau. 

Nach  einer  längeren  wissenschaftlichen  Reise  ließ  er  sich  1860  in 
Warschau  nieder,    wo  er  bald  (1862)  die  Leitung  der  augenärztlichen  Ab- 


1)  Vgl.  A.  d'O.  IX,  S.  191.    B.  WicHERKiEwicz ,   CV,  S.  105,  hat  einen  kleinen 
Irrthum  begangen. 

2)  Bei  Talko  unrichtig  citirt. 

3)  l.  C.  Bl.  f.  A.  1899,   S.  223  —  224.   ;Dr.  Gepner  jun.).    IL  Klin.  M.  Bl.   1898, 
S.  453.    (J.  Talko.) 

Ich  hatte  Jodko  gut  gekannt. 


Jodko.     Gepner.  285 

theilung  des  jüdischen  Krankenhauses  übernahm  und  einen  Ruf  als  tüch- 
ti::er  Augenarzt  und  Operateur  gewann. 

Im  Jahre  I860  vertheidigte  er  die  Habilitations-Schrift  Ȇber  normale 
vlvkommodation,  ihre  Breite  und  die  Methoden  ihrer  Messung«,  bekam  die 
Piivat-Docentur  und  hielt  Vorlesungen  über  den  Gebrauch  des  Augen- 
s[iiegels  und  über  augenärztliche  Operationen.  Als  1861)  die  polnische 
iinchschule  in  eine  russische  Universität  umgewandelt  wurde,  verließ  er 
lim  Lehrstuhl.  Ein  Jahr  darauf  wurde  er  zum  Ordinator  an  dem  Warschauer 
Fiirstlich  Lubomirski'schen  Ophthalmologischen  Institute  ernannt  und  wirkte 
in  dieser  Anstalt  bis  1883. 

Die  Berichte  über  diese  Anstalt,  welche  er  alljährlich  veröflentlichle, 
zoii^t^n  in  den  immer  steigenden  Zahlen,  welch'  fruchtbare  Thätigkeit  er 
•Mit faltete.  Innerhalb  \'.i  Jahren  vollführte  er  daselbst  907  Starausziehungen: 
uelangte  er  zu  einer  großen  Übung  und,  Geschicklichkeit. 

Wegen  schwacher  Gesundheit  hat  er  im  Jahre  1885  auf  sein  Land- 
siut  Bobownia  (Gouv.  Minsk)  sich  zurückgezogen  und  dort  noch  mehrere 
Jilire  eine  ausgedehnte  augenärztliche  Thätigkeit  geleistet. 

Er  verfaßte  über  80  Arbeiten,  die  er  in  den  polnischen  Archiven  und 
Zritungen  veröffentlichte.  Unter  diesen  sind  zu  erwähnen  mehrere  Ab- 
handlungen über  Geschwülste  des  Augapfels  und  seiner  Umgebung,  über 
Cysticercus,  über  amyloide  Entartung  der  Lider,  über  Verletzungen,  über 
Embolie  der  Gentral-Arterie,  über  pathologische  Anatomie  der  albuminurischen 
Netzhaut-Entzündung,  über  Favus  der  Lider  u.  a. ;  dann  vier  Berichte  über 
'  die  Wirkung  der  augenärztlichen  Abtheilung  des  jüdischen  Krankenhauses 
j  in  Warschau  und  neun  gleiche  Berichte  aus  dem  Ophthalmologischen 
I  Institute. 

Ihm  verdankt  die  polnische  Literatur  die  Übersetzung  des  »Trait6« 
von  Wecker,  in  2  Bänden  (1868/69),  mit  eigenen  Bemerkungen. 

Er  hat  auch  im  G.  Bl,  f.  A.  Jahresberichte  über  die  polnische  Fach- 
Literatur  verfaßt. 

§  935.     BoLESLAw  Gepner^), 
am  1.  November  1835  zu  Warschau  geboren, 
£L  am  26.  Januar  1913  ebendaselbst  verstorben. 

*  B.  G.  studirte  Heilkunde  an  der  medizinischen  Akademie  zu  St.  Peters- 
burg, erwarb  den  Doktor-Grad  zu  Warschau  1859  und  trat  sogleich,  als 
Assistent  von  Prof.  Szokalski,  in  die  Fürstlich  Lubomirski'sche  Augen-Heil- 
anstalt ein,  welcher  er,  mit  einer  Unterbrechung  von  3  Jahren,  1865 — 1867, 
wo  er  zu  seiner  Fortbildung  in  A.  v.  Graefe's  Augenklinik  weilte,  sein  ganzes 
Leben  geweiht  hat.    Vom  Jahre  1887  ab  war  er  leitender  Arzt  der  Anstalt, 


1)  C.  El.  f.  A.  1913,  Februar-Heft.     (J.  Hirschberg. 


286 


XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 


welche  für  ihre  Landsleute  eine  überaus  wichtige  Kultur-Aufgabe  in  muste| 
hafter  Weise  erfüllt. 

Die    wissenschaftlichen   Veröffentlichungen   Gepner's    finden    sich   (von  \ 
1867  an)  in  den  polnischen  Zeitschriften  Gazeta  lekarska  und  Medicyna^ ! 


Fig.  2. 


Boleslaw  Gepner. 


Es  sind  klinische  Beobachtungen  und  Jahresberichte  der  Warschauer 
Augen -Heilanstalt.'  (Vgl.  G.  Bl.  f.  A.  1878,  S.  14;  1881,  S.  385.)  Ein  be- 
sonderes Verdienst  erwarb  sich  Gepner  auch  durch  eine  polnische  Über- 
setzung von  DoNDERs'  Werk  über  die  Anomalien  der  Akkommodation  und 
Refraktion.     (C.  Bl.  f.  A.  1877,  S.  214.) 


Kamocki.  287 

Sehr  bedeutend  war  seine  Wirksamkeit  in  der  augenärztlichen 
Privatpraxis:  Szokalski,  *Dobczenski,  Jodko  und  Gepner  bildeten 
ein  Viergestirn,  auf  das  vor  30  Jahren  die  Augen  ihrer  Landsleute  ge- 
richtet waren.  Oft  genug  wirkten  alle  vier  zusammen,  für  den  näm- 
lichen Fall. 

B.  Gei'nkr  hat  seinen  Ruf  als  sorgsamer  und  geschickter  Augenarzt 
bis  in  sein  höchstes  Alter  bewahrt. 

Als  Mensch  war  er  von  feinstem  Benehmen  und  größter  Liebens- 
würdigkeit, von  der  ich  selber,  seit  wir  1867  in  A.  v.  Graefe's  Khnik 
Freundschaft  geschlossen,  durch  die  Jahrzehnte  hindurch  zahlreiche  Be- 
weise erfahren '). 

§  1)36.  Von  den  Lebenden  möchte  ich,  zur  Vervollständigung 
des  Bildes,  einige  kurz  anführen: 

Im  augenärztlichen  Institut  war  Gepnek's  Milarheiler 

V.  Kamocki, 

dessen  Arbeiten,    namentlich   auf  histologischem   Gebiet,   zur   Förderung   unsrer 
Wissenschaft  beigetragen  haben. 

V.  K.  hat  seine  Arbeiten  in  deutschen  Fach-Zeitschriften  veröffentlicht  (A.  f.  A. 
A.  f.  0.,  Zeitschr.  f.  A.,  C.  Bl.  f.  A.,  Deutschmann's  Beitr.  z.  pr.  A.);  und  auch 
in  polnischen  Zeitschriften: 

i.  Adenoma  chor.  aberratum.    Gaz.  lek.  V,  545,  18S5. 

2.  Über  die  Bermann'schen  tubulösen  Drusen  von  V.  K.,  Assist,  am 
physiol.  Inst,  zu  Warschau.     C.  Bl.  f.  A.  1883,  S.  352. 

3.  Zur  Kenntniß  der  liyalinen  Bin  dehaut-En.tzündung.  C.  Bl.  f.  A. 
1886,  S.  68:  D eutschm ann's  Beiträge  VIT,  I,  1893. 

4.  Patholog.  anatomische  Untersuchungen  über  diabetische  Augen 
(C.  Bl.  f.  A.,  1886,  S.  275  u.  1887,  S.  216.)  Hydrops  der  Zellen  iu  der  hinteren 
Pigment-Schicht  der  Iris.  Wichtig  für  Operation  des  diabetischen  Stars! )  — 
Vgl.  Bericht  der  Heidelberger  Ges.  1886,  S.  103  u.  A.  f.  A.  XVII,  3,  mit  6  Fig. 
auf  2  lithogr.  Tafeln.    Endlich  »Weitere  Beitraget  XXV,  209. 

5.  Über  die  gegenwärtige  Star-Ausziehung.  Gazeta  lekarska  1886, 
No.  34. 

6.  Selbst-Heilung  einer  Lederhaut-Entzündung  und  Netzhaut-Ab- 
lösung.    C.  Bl.  f.  A.  1892,  S.  15. 

7.  Fett-Entartung  der  Hornhaut  mit  intermittirendenReizerscli ei- 
nungen.    A.  f.  0.  XXXIX,  4,  S.  209,  1893. 

8.  Metastatisches  Adenosarkom  der  Hornhaut.  A.  f.  A.  XXVIl,  S.  'i6, 
1893. 


1)  Sein  Sohn  wirkt  auch  als  Augenarzt  in  Warschau.    Er  ist  in  Deutschland 
ausgebildet  und  war  längere  Zeit  in  Hirschberg's  Augen-Heilanstalt  thätig. 


288  XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  ^  9.  Jahrhundert. 

9.  Über  amyloide  Bindehaut-Entartung.    Deutschmann's  Beitr.  XXU. 
S.  69,   1896.  • 

10.  Disseminirtes  U veal-Sarkom.     Zeitsclir.  f.  A.  111,32,  1900. 

Zygm.  Kramsztyk, 

geboren  1849  in  Warschau,  wirkt  in  seiner  Vaterstadt  nicht  nur  als  Augenarzt, 
sondern  auch  als  Gelehrter.  Seine  erste  Arbeit  (in  polnischer  Sprache)  betraf. 
»Augen -Erkrankungen  im  Verlaufe  von  Cholera«.  Nicht  nur  über  Kasuistik,, 
sondern  auch  über  therapeutische  Fragen  hat  er  berichtet  und  im  Jahre  1907 
ein  ophthalmologisches  Lehrbuch  unter  dem  Titel:  »Objawy  kliniczne  choröb 
ocznych«    in  2  Bd.   veröffentlicht. 

Dr.  ZiEMiSsKi, 

Schüler  von  X.  G.\lf;zonvski,  hat  einen  Grundriß  der  Okulistik  (Zarys  okulistyki) 
im  eigenen  Verlage   1909  herausgegeben. 

§  937.     Augenärztliche  Institute  in  Warschau. 

1.  Die  Augenklinik  der  llauptschule  und  der  russischen  Universität 
war  ganz  unzulänglich  i). 

2.  Das  ophthalmische  Institut  in  Warschau,  gegründet  durch  den 
Fürst  Eduard  Lubomirski  im  Jahre  1827,  halte  anfangs  12  Betten,  später 
3ü,  dann  76,  Hier  wirkten  Szokalski,  Cvwinski,  Jodko,  Gep.ner,  Ka- 
MOCKI   u.  A. 

Alljährlich  erschienen  statistische  Berichte,  aus  welchen  man  ersieht, 
daß  jährlich  durchschnittlich  4000  Kranke  behandelt,  mehr  als  200  Ope- 
rationen, darunter  gegen  80  Extraktionen  gemacht  wurden. 

3.  Die  Augen-Abtheilung  des  Jesukindes-Krankenhauses  wird 
von  Le  Brux  zum  ersten  Male  im  Krankenhausbericbte  aus  dem  Jahre  1841 
erwähnt.     Später  wirkten  hier  Dr.  MChlhavsen,  Gepxer,  Talko  u.  A. 

4.  Die  Augen-Abtheilung  im  jüdischen  Krankenhaus  zu  Warschau 
erhielt  erst  im  Jahre  1861  zum  Leiter  einen  Augenarzt,  Dr.  Jodko-Narkiewigz, 
welchem  Dr.  Dobrzanski  und  Dr.  Z.  Kramsztyk  folgten. 

5.  Privatklinik  des  Dr.  Dobrzaxski  in  Warschau  (gegründet   1869. 

6.  Ophthalmische  Abtheilung  im  Warschauer  Kinderspital  (Dr.  Ko>- 
Mi.NSKi  und  Dr.  Przybylski). 

§  938.  Von  den  polnischen  Ärzten,  welche  in  der  russischen  Armee 
dienten,  verdient  besondere  Berücksichtigung 

Joseph  Talko  (1838  —  1906)2'. 
Geboren  am   17.  März   1838,    studirte  T.   zu  Kiew  1856—1861.     Die  voll- 


1)  Vgl.  §926. 

2)  Biogr.  Lex.  V,  609.  —  Klin.  M.-Bl.  1907,  S.  95.    'Neesen.)    Dr.  Jözef  Talko. 
(Wspomnienie  posmiertne.     Prof.  Wicherkiewicz,  Krakau,  1907,  9.  S.) 


Augenärztliche  Institute  in  Warschau.  —  Talko.  289 

«iidele  Technik  des  damaligen  Direkturs  der  chirurgisch- ophthalniologischon 
(niversitäts-Klinik,  Prof.  W.  Kauawajew,  dem  Talko  als  Sludont  öfters  mit 
großem  Geschick  >)  assistirle,  weckte  in  diesem  das  Interesse  für  die  ope- 
rative Augenheilkunde.  Die  erste  Anleitung  im  Augenspiegeln  erhielt  Talko 
vom  Professor  der  theoretischen  Chirurgie  und  Augenheilkunde,  Chr.  Uüb- 
I  BENFT,  unter  dessen  Mithilfe  auch  Talkos  Doktorschrift  vom  Jahre  1864 
»De  luxatione  et  ectopia  lentis*  entstanden  ist.  Das  meiste  hatte  Talko 
aber  seinem  eigenen  Fleiß  zu  danken. 

Als  Militür-Arzt  wirkte  er  in  Stawropol  und  in  Tiflis,  wurde  dann 
Oberarzt  am  Militär- Hospital  zu  Lublin  und  schließlich  Generalarzt  des 
Warschauer  Militär-Bezirks,  woselbst  er  auch  an  der  Augen-Abtheilung  eines 
städtischen  Hospitals  wirkte. 

Talko  war  sehr  angeregt  und  auch  vielfach  anregend,  ein  fleißiger 
Sciiriflsteller.  Leider  verfiel  er  in  den  letzten  Jahren  seines  Leb^'.ns  in 
Geisteskranklieit  und  endigte  im  Irrenhaus. 

Zahlreiche  Arbeiten  augenärztlichen  Inhalts  hat  er  in  polnischen,  rus- 
sischen und  deutschen  Fach-Zeitschriften  veröffentlicht,  namentlich  m  den 
Klin.  M.  ßl.  die  folgenden,  welche  wohl  das  Wichtigste  von  seinen  Veröffent- 
lichungen in  sich  fassen: 

1.  Trauraat.    Netzhaut -Anästhesie,    Heilung    durch   subkutane   Strychnin-Ein- 
spritzungen.     VI,  79,  1868. 

2.  Kolobom  der  Regenbogen-  und  Aderhaut,  mit  ständiger  Pupillen-Haut.  VI,  1 19 
und  IX,  230.     Vgl.  XIII,  202;  XXIX,  202. 

3.  Aderhaut-Riß.     VI,  629. 

4.  Sehstörung,  geheilt  durch  Strychnin.     VII,  U5. 

5.  Farbenverschiedenheit  der  Regenbogen-  und  der  Lederhaut,   dunkle  Flecke 
der  letzteren.    VII,  204. 

6.  Augenlid-Krämpfe,  Nerven-Durchschneidung.     VllI,  129. 

7.  Kolobom  der  Aderhaut.     VIII.  i65. 

8.  Xanthelasma.     VIII,   187. 

9.  Doppelter  Aderhaut-Riß.     IX,  48. 

10.  Thränen,  geheilt  durch  Entfernung  der  Thränen-Drüse.     X,  17. 

11.  Fisteln  der  Thränen-Röhrchen.     X,  23. 

12.  Einstülpung,  operirt  nach  Szokalski.    X,  25.    (Vgl.  oben  §933.) 

13.  Traumatische  Entleerung  des  Augapfels,  Enukl.     X,  29. 

14.  Tätowirung  gegen  Leukom.     X,  26ö. 
13.  Monophthalmos.     X,  268. 

16.  Ektrop.  sarcomat.,  geheilt  durch  Ausschneiden.     XI,  321. 

17.  Sarkom  der  oberen  Bindehaut.     XI,  326. 

18.  Epitheliom  der  Bindehaut.     XI,  330. 

19.  Teleangiektasie  der  Bindehaut.     XI,  335. 

1)  Talko  selber  rühmt  sich  dessen  (Nachruf  auf  Karawajeff,  Klin.  M.  Bl.  1892^ 
S.  328):  »Niemand  verstand  dem  Professor  bei  seinen  (Star]-Operationen  die  Augen- 
lider seiner  Kranken  so  gut  zu  halten,  als  ich.«  —  Über  Karawajeff  vgl.  §  916, 
S.   246. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VIL)    XXIIL  Kap.  1  9 


I 


290  XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

20.  Blut-Austritt   in   Sehnerven- Scheide   und   Glaskörper   durch    Schädelbruch. 

XI,  341. 
2t.  Cysticercus  unter  der  Bindehaut.     XIII,  299. 

22.  Mikrophthalmos.     XV,  137;  XVII,  105. 

23.  Sehschärfe  der  Soldaten  im  Warschauer  Bezirk.     XVIII,  139. 

24.  Exophthalmus.     XIX,  471. 

25.  Ständige  Pupillen-Haut.     XX,  346. 

26.  Augen-Verletzungen  der  Konskribirten  und  Rekruten.     XX,  403 1). 

27.  Verletzung  des  Augapfels  durch  BIutegel2).     XX,  405. 

28.  Lipo-chondro-adenoma  der  Augapfel-Bindehaut.     XXVI,  20. 

29.  Die  Sehschärfe  des  Auges,  während   der  vollkommenen   Sonnenfinsterniß , 
(1887)  untersucht.     XXVI,  4  81. 

30.  Kolobom  des  Sehnerven.     XXX,  134. 

31.  Zur  Optographie.  —  Ophthalmoskopische  Glasbilder.  —  Transplantation  von 
Fischhaut.     XXX,  356.     Vgl.  XXXI,  179. 

32  u.  33.  Einfluß  des  Hängens  [mit  100  Pfund  Belastung,  bei  Tabischen]  auf 
Verbesserung  der  Sehschärfe.  Über  Augen-Erkrankungen  in  der  russischen 
Armee.     XXXI,  143. 

34.  Die  Brillen  der  russischen  Patriarchen.    XXXI,  217,  1893. 

Dazu  die  Nekrologe  von  Karawajeff^(XXX,  327),  von  Szokalski  (XXIX, 
78),  von  Braun  (XXXV,  212),  von  Jodko  (XXXVI,  453).' 

§  939.  Von  den  im  Auslande  wirkenden  Augenärzten  polnischer  Ab- 
stammung ist  vor  allem  Xaver  Galezowski  (1852 — 1907)  zu  erwähnen,  der' 
1865  in  Paris  zum  zweiten  Mal  promovirt,  als  >der  polnische  Doktor« 
rasch  großen  Ruf  sich  erwarb.  Doch  gehört  er  nach  dem  Ort  seiner 
Wirksamkeit  und  der  Sprache  seiner  Veröffentlichungen  dem  französischen 
Kreise  an  3)  und  soll  dort  seine  Besprechung  finden. 


Abriß  einer'Geschichte  der  Augenheilkunde  in  Galizien. 

§  940.     Krakau4) 

besitzt  die  1364  von  König  Kasimir  d.  G.  gestiftete  Universität^),  die, 
nach  ihrem  Verfall,  vom  König  Wladislaw  Jagello  1400  wiederhergestellt 
wurde. 

Gegen  Ende   des  15.  Jahrhunderts  erstarkte  die  Jagelionische  Uni- 
versität  in   Folge    der   eifrig  gepflegten  astronomischen    Studien;    durch 


1)  Vgl.  §  568,  S.  114;  §  488,  S.  73;  §  947;  §  682,  S.  351;  §  983. 

2)  Vgl.  §"488,  S.  73. 

3)  Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  1907,  S.  122.     (J.  Hirschberg.) 

4)  Von  1815— 1849  Freistaat  (1836  mit  12  000  Einwohnern);  seit  1849  als  The il 
der  österreichischen  Monarchie  dem  Königreich  Galizien  einverleibt.  E.  Z.  der 
Stadt  Krakau  1900:  91  000;  1913:  152000. 

5j  Minerva  I,  107,  1911. 


Kiakau.     Bierkowski.  291 

Jahrhunderte  hindurch  bildete  sie  den  Mittelpunkt  des  wissenschaftlichen 
Lebens  in  Polen  und  that  sich  besonders  durch  ihre  freie  Gesinnung  und 
einen  langwierigen  Kampf  mit  dem  Jesuiten -Orden  hervor,  verfiel  jedoch 
später  vollständig.  Erst  am  18.  Oktober  1817  wurde  die  Universität  in 
neuer  Organisation  wieder  eröffnet.  Seit  1 833  erfreut  sie  sich  stetigen 
Aufschwungs. 

Am  29.  Oktober  1853  war  Deutsch  zur  Unterrichts-Sprache  in  der 
medizinischen,  philosophischen  und  juristischen  Fakultät  erklärt  worden; 
seit  1861  wurde  nach  und  nach,  seit  1870  vollständig  die  polnische  Unter- 
richts-Sprache eingeführt. 

§  941.     Augenheilkunde 
wurde  theoretisch  vorgetragen  von 

Ludwig  Jözef  Bierkowski  (1801 — I860)i', 

der  seit  1 83 1  der  medizinischen  Fakultät  als  Professor  der  Chirurgie  an- 
gehörte. 

Derselbe  war  von  1821  ab  auf  deutschen  Universitäten,  besonders 
auch  in  Berlin,  ausgebildet;  hatte  zu  Berlin  auch  schon  1827  ein  Werk 
»Anatomisch-chirurgische  Abbildungen  nebst  Darstellung  und  Beschreibung 
der  chirurgischen  Operationen  nach  den  Methoden  von  Gr.\efe,  Kluge  und 
Rlst«  erscheinen  lassen,  das  mit  einer  Vorrede  von  J.  .\.  Rust  versehen 
war  und  von  uns  bereits  im  §  563  (S.  88)  erwähnt  worden  ist. 

Im  Jahre  1828  wurde  er  in  Jena  Doktor  der  Philosophie,  im  Jahre 
1829  in  Leipzig  Doktor  der  Medizin. 

Im  Jahre  1847  veröffentlichte  er,  gleichfalls  in  deutscher  Sprache: 
»Chirurgische  Erfahrungen«.  In  demselben  Jahre  schrieb  er  einen  kurzen 
Leitfaden  der  Augenheilkunde  lloz  poznanie  zopal(5n  ocznych)  in  polnischer 
Sprache  und  hat  auch  seine  Abhandlungen,  unter  denen  einige  augenärzt- 
liche, in  polnischen  Zeitschriften  erscheinen  lassen. 

§  942.  Nachdem  1849  der  Freistaat  Krakau  der  österreichischen 
Monarchie  einverleibt  worden,  stellte  das  Professoren-Kollegium  der  medi- 
zinischen Fakultät  den  Antrag  an  das  Ministerium,  eine  Lehrkanzel  für 
Augenheilkunde  zu  schaffen.  Der  von  der  Fakultät  vorgeschlagene  V.  Szo- 
KALSKi  wurde  aus  politischen  Gründen  von  der  Regierung  nicht  berück- 
sichtigt, vielmehr  zum  ersten  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Univer- 
sität ein  anderer  ernannt, 

Anton  Slawikowski^). 


1)  Biogr.  Lex.  I,  4  54  und  VI,  493. 

2)  Biogr.  Lex.  V,  432.    (K.  u.  P.) 

19* 


292  XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

Derselbe  war  1796  zu  Lemberg  geboren,  studirte  in  Wien,  promovirte 
daselbst  1819,  wurde  1821  Assistent  an  der  medizinischen  Klinik  zu  Lemberg, 
später  a.  o.  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Lemberger  Chirurgen- 
Schule  und  verwaltete  dies  Amt  bis  1851:  übrigens  war  er  auch  von  1838 
bis  1851  Arzt  der  Lemberger  Blinden- Anstalt,  von  1840 — 1851  Landes- 
Okulist  von  Galizien,  sowie  Augenarzt  des  allgemeinen  Krankenhauses. 

Im  Jahre  1851  wurde  er  als  o.  Professor  der  Augenheilkunde  nach 
Krakau  berufen  und  wirkte  als  solcher  18  Jahre  lang,  bis  1869,  trotz 
allen  Schwierigkeiten,  mit  denen  er  zu  kämpfen  hatte. 

Eine  klinische  Abtheilung  wurde  ihm  nicht  zuertheilt;  er  las  zunächst 
theoretisch  Augenheilkunde  und  lehrte  die  Praxis  an  seinen  Privat-Kranken : 
bis  er  1858  eine  Abtheilung  im  klinischen  Institut  und  endlich  1866  eine 
eigene  Augenklinik  von  zehn  Betten  erhielt. 

Schon  im  Jahre  1 852  hatte  er  die  pflichtmäßige  Prüfung  in  der  Augen- 
heilkunde beim  Staats-Examen  (Rigorosum)  durchgesetzt. 

Am  1 0.  Juli  1 870  ist  er  verstorben. 

Literarisch  konnte  er  sich  nur  wenig  bethätigen.  Wir  haben  von  ihm 
einige  polnisch  geschriebene  Abhandlungen: 

1.  Über  Geschwüre  der  Hornhaut  des  menschlichen  Auges. 

2.  Über  Augen-Instrumente. 

3.  Conj.  diphth. 

4.  Differential-Diagnose  zwischen  Star,  sog.  schwarzen  Star  und  Glaukom.! 

5.  Über  Pustula  maligna  des  Lides. 

6.  Über  Lid-Chondrom. 

Ferner  in  deutscher  Sprache  eine  Arbeit:    >Über  die   epidemische 
Auge^n-Entzündung  in  Galizien«.     (Österr.  med.  Jahrb.,  Aug.  1845.) 

Im  Jahre  1832  u.  1833  begann  die  Krankheit  mit  geringer  Heftigkeit; 
plötzlich  wurden  dann  zahlreiche  Personen  gleichzeitig  befallen,  besonders 
in  Anstalten,  wo  viele  Menschen  zusammen  leben. 

1837  u.  1838  verbreitete  die  Krankheit  sich  ganz  allgemein,  überschritt 
die  Grenzen  der  Kasernen,  Gefängnisse,  Erziehungshäuser;  im  Lager  von 
Kaiisch  wurden  vom  24.  April  bis  zum  25.  Juni  1835  an  8156  Soldaten 
ergriffen:   »die  Augen-Entzündung  verbreitet  sich  miasmatisch.« 

Das  feste  Kontagium  wird  zweifellos  von  der  Absonderung  geliefert. 
Zu  Zeiten  ist  der  Verlauf  gutartig,  zu  andren  schwerer.  Die  Krankheit 
gewinnt  an  Ausdehnung  gegen^Ende  des  Sommers  und  im  Frühjahr  1838. 
Dieselbe  ist  im  ganzen  nicht  so  gefährlich,  wie  man  glaubt.  Aber  die 
erysipelatöse  Form  bedroht  die  Hornhaut,  besonders  bei  den  mit  Skrofeln, 
mit  Weichselzopf  Behafteten,  bei  den  Lymphatischen.  In  der  Behandlung 
verwirft  S.  die  Blut- Entziehungen  und  die  kalten  Umschläge^  verordnet  im 
Anfang  Abführen,  Schwitzen  und  bei  erysipelatuser  Lidschwellung  flüssiges 


SJawikowski.     Blumenstock.     Rydel.  293 

Laudanum  mit  Kreosot  (1  Tropfen  auf  3,5);   bei  Dyskrasischen  das  Ein- 
blasen von  Kalomel,  alle  zwei  Tage,  abwechseUid  mit  obiger  Einträuflung. 
Von  den  Assistenten  an  der  Augenklinik  erwähne  ich 

Leo  Blumenstock, 
der    1863   eintrat,   aber   1867  verzichtete,    da  alle  Anträge  auf  »Systemi- 
sirung«    der    mit    150  Gulden   dotirten)  Assistenten-Stelle  vom  Ministerium 
abschläglich  beschieden  wurden. 

L.  B.,  1838  zu  Krakau  geboren,  studirte  daselbst  und  in  Wien  und 
hatte  besonders  Dietl,  Bryk  und  Arlt  zu  Lehrern,  promovirte  1862,  diente 
als  Assistent  an  der  Augenklinik  zu  Krakau,  wandte  sich  dann  der  gericht- 
lichen Medizin  zu  und  wurde  1869  a.  o.  Prof.  dieses  Faches  an  der  juri- 
dischen, 1881  0.  Prof.  desselben  an  der  med.  Fakultät:  später,  mit  dem 
Beinamen  von  Halben,  geadelt. 

Während  seiner  Assistenten-Zeit  hat  er  einige  Abhandlungen  ver- 
öffentlicht: 

A;  In  polnischer  Sprache: 
<.  Über  Brighf  sehe  Netzhaut-Entzündung. 

2.  Paralys.  abd.  d. 

3.  Paralys.  oculom.  sin. 

4.  Paralys.  part.  ocul.  sin. 

5.  Zwei  Fälle  von  Augen-Atrophie  mit  nachfolgender  Aderhaut-Entzündung  des 
andren  Auges. 

6.  Hyperm.  c.  sclerectasia  d.,  Glaucoma  fulminans  s. 

7.  Ober    den   heutigen  Stand   unseres  Wissens  betreffend  die  Basedow'sche 
Krankheit. 

B)  In  deutscher  Sprache: 

8.  Ein  Fall  von  schwerer  Augenverletzung. 

9.  Faustschlag  in  die  Schläfengegend,  Erblindung. 

10.  Einige  gerichtsärztliche  Fälle  von  Augenverletzungen. 

11.  Bleibende  Schwächung  der  Sehkraft. 

12.  Sehnerven-Entzündung,  hervorgerufen  durch  Schläge  in  die  Seitenwand  und 
Jochbeingegend. 

l:^.  Schlag  in  die  Stirn.  Kerato-Iritis. 
1  4.  Einige  gerichtsärztliche  Fälle  von  Augenverletzungen. 

15.  In  der  »Real-Encyklopädie  der  gas.  Heilkunde«  hat  er  den  Artikel  >Augen- 
scheinbefuudt  bearbeitet. 

§  9i3.     Si.ANviKowsKi's  Nachfolger  wurde  der  bisherige  Docent 
LüCYAN  Rydel  1). 

Geboren  1838,  studirte  R.  in  Wien,-  wurde  später  Assistent  von 
Prof.  Arlt,  1866  Docent  der  Augenheilkunde  in  Krakau,  1870  o.  Prof.  und 
Direktor  der  Augenklinik. 

1)  I.  Biogr.  Lex.  V,  133.  IL  Pagel's  biogr.  Lex.  S.  1454.  (Wenige  Zeilen.) 
III.  C.  Bl.  f.  A.  1895,  S.  285.  (J.  Hirschberg.)  Vgl.  IV.  A.  d'Oc.  CXIII,  S.  384.  (Zwei 
Zeilen.)     V.  Recueil  d'Opht.  1895,  S.  319. 


294  XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

Aus  seiner  Wiener  Zeit  ist  zu  erwähnen:  Bericht  über  die  Augen- 
klinik der  Wiener  Universität  1863 — 1865.  Unter  Mitwirkung  des  Prof. 
Dr.  Ferdinand  Arlt  herausgegeben  von  Dr.  Max  Tktzer,  Dr.  Lucian  Rydel 
und  Dr.  Otto  Becker.  Wien  1867.  (195  S.)  In  diesem  Bericht  findet  sich 
eine  Arbeit  von  L.  R.  »über  Glaukom«  (S.  132 — 154);  sie  bringt  genaue. 
Mittheilungen  über  die  79  Fälle  dieser  Erkrankung. 

In  Krakau  hat  Rydel,  welcher  bereits  vor  Slawikovski's  Tode  während, 
dessen  Krankheit  mit  der  Leitung  der  Klinik  beauftragt  gewesen,  sofort 
nach  seiner  Ernennung  die  weitere  Ausgestaltung  der  Klinik  sich  zur  Auf- 
gabe gemacht;  es  ist  ihm  auch  gelungen,  die  Bettenzahl  bis  zu  24  zu  er- 
höhen und  neben  einem  systemisirten  Assistenten  noch  einen  Hilfs- Assistenten 
für  die  Dauer  von  2  Jahren  zu  erlangen.  Rydel  war  ein  gediegener 
Lehrer,  der  auch  auf  die  Reinheit  der  polnischen  Sprache  großes  Gewicht 
legte:  er  hat  verschiedene  Arbeiten  theils  polnisch,  theils  deutsch  ver- 
öffentlicht. 

Von  den  ersteren  sind  zu  erwähnen: 

1.  Über  Schichtstar. 

2.  Über  Glaukom  und  Iridektomie. 

3.  Über  die  operative  Behandlung  der  Netzhaut -Ablösung. 

4.  Erklärung  einiger  Glaukom-Erscheinungen  auf  Grund  anatomischer  Verhält- 
nisse und  physiologischer  Bedingungen. 

5.  Beobachtungen  über  Star  und  dessen  Operation. 

6.  Über  Augenuntersuchung,  ein  klinischer  Vortrag. | 

7.  Über  Netzhaut-Ablösung. 

Seine  bedeutendste  Arbeit  in  deutscher  Sprache  ist  ein  »Beitrag 
zur  Lehre  vom  Glaukom«.  A.  f.  0.  XVIII,  1,  1—17,  1872.  (In  den  Annal. 
der  k.  k.  literar.  G.  zu  Krakau  schon   1871   polnisch  verüfTenllicht.) 

Rydel  betont,  daß  für  die  Sehstürung  bei  Glaukom  hauptsächlich  die 
Cirkulations- Behinderung  in  Betracht  komme.  (A.  v.  Graefe  sprach  schon 
1869  von  ischämischer  Netzhaut-Lähmung.) 

Ein  4 5 jähr,  verliert  in  einer  Nacht  durch  akuten  Glaukom-Anfall  die 
Sehkraft  seines  einzigen  Auges;  nach  3  Wochen  kommt  er  zur  Iridektomie, 
keine  Wiederherstellung  der  Sehkraft,  keine  Dfuck-Aushöhlung.  Auch  bei 
dem  chronischen  und  selbst  beim  einfachen  Glaukom  spielt  das  erwähnte 
Moment  eine  wichtige  Rolle. 

Die  typische  Gesichtsfeld-Beschränkung  nach  innen  beruht  darauf,  daß 
die  äußere  Netzhaut-Hälfte  weniger  mit  großen  Gefäßen  versehen  ist. 

Später  hat  Prof.  Rvdel  noch  die  Leitung  einer  Abtheilung  des  Landes- 
spitals zu  Krakau,  mit  22  Betten,  übernommen,  die  ihm  das  spärliche  kli- 
nische Material  vermehrte. 

Rydel  starb  im  besten  Mannesalter,  am  27.  April  1895,  also  kurz  vor 
seinem  25jährigen  Professoren-Jubiläum. 


Rydel.     Machek.  295 

>Rydel  gehörte  zu  den  Säulen  der  polnischen  Universität  und  hat  als 
Lehrer  wie  als  Operateur  eine  segensreiche  Wirksamkeit  entfaltet.  Er  be- 
herrschte die  deutsche  Sprache  in  gleicher  Meisterschaft,  wie  die  polnische*  ^). 


Zu  Hvdel's  Assistenten  zählten  Dr.  Kil.\rski  und  Dr.  Buczek. 

Dr.  Josef  Kilarski,  geboren  zu  Dukla,  wurde  in  Krakau  zum  Dr.  med.  pro- 
movirt  und  erhielt  von  der  Wiener  Fakultät  den  Grad  eines  Magisters  der  Augen- 
heilkunde. 

Alsdann  war  er  1  ^ji  Jahr  Assistent  Slaavikowkis  und  3  Jahre  Ryuel's. 
Nach  Lemberg  übergesiedelt,  wurde  er  dort  Chef  der  Augen-Abtheilung  des  Landes- 
spitals und  erlangte  eine  sehr  bedeutende  Augenpraxis.  Veröffentlicht  hat  er 
nur  wenig. 

Dr.  Buczek,  geboren  <84ö  in  Muszyna,  war  Rydel's  Privat-Assistent  und 
■wurde  später  Stadt-Physikus  von  Krakau.  Er  hat  Arlt's  Leitfaden  »Über  Augen- 
Verletzungen«   ins  Polnische  übersetzt. 

Dr.  Wurst,  geboren  1848  in  Roniaowie,  war  ^^J-^  iahvQ  lang  klinischer 
Assistent  und  lebt  jetzt  in  Ciesanüw. 


I 


W.'s  Veröffentlichungen,  in  polnischer  Sprache: 

1.  Einige  Betrachtungen  über  Stauungs-Papille. 

2.  Beiderseitiger  angeborner  Iris-Mangel. 

3.  Retinitis,  geheilt  durch  Strychnin-Einspritzung. 

4.  Fall  von  Pigment-Entartung  der  Netzhaut. 

5.  Eserin -Wirkung  beim  Glaukom. 


§  944.  Dr.  Macoek,  Zögling  der  ARLTSchen  Klinik,  seit  1878  Rydel's 
Assistent,  hat  unter  Leitung  desselben  sich  hahilitirt  und  ist  kurze  Zeit 
darauf  nach  Lemberg  übersiedelt  und  seit  1898  Professor  der  Augenheil- 
kunde der  neugegründeten  Fakultät  der  dortigen  Universität.  (Über  Lem- 
berg vgl.  §  481,  S.  594.) 

Machek's  Veröffentlichungen    in  polnischer  Sprache   sind  die  folgenden: 
\.  Fall  von  Hypertrophie  der  plica  semilunaris. 
i.  Über  Pigment-Entartung  der  Netzhaut. 

3.  Über  ophthalmoskopische  Befunde  an  Kaninchen -Augen  bei  allg.  Milzbrand- 
Erkrankung. 

4.  Zwei  seltene  Netzhaut-Erkrankungen. 

5.  Beitrag   zur  Lehre  vom  Zusammenhang  der  Augenkrankheiten  mit  Genital- 
Leiden  beim  Weibe. 

In  Lemberg  wirkt  auch  Dr.  Theodor  Ballab.^n,  der  lange  Zeit  .\ssistent  von 
Borvsiekiewicz  in  Graz  gewesen  ist. 

Außer  verschiedenen  Arbeiten,  theils  kasuistischen,  theils  histologischen  In- 
halts, im  Post^p  okulistjcznij,  hat  er  eine  größere  Schrift  über  praktische  Augen- 
.heilkunde  verfaßt. 

1}  C.  Bl.  f.  A.,  a.  a.  0. 


296 


XXIII.  Hirschberg,  Polnische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 


In  Lemberg  ist  der  Docent  Dr.  Reiss,  ehemaliger  Assistent  von  Prof.  Maschek, 
wissenschaftlich  thätig;  ferner  Dr.  Gbuber,   Prof.  Dr.  Bednarski  und  Dr.  Zion. 


§  945.  Am  5.  Dezember  1895  erfolgte  die  Ernennung  von  Dr.  Boles- 
LAw  WicHERKiEwicz  ^j ,  der  von  der  medizinischen  Fakultät  als  einziger  Kan- 
didat vorgeschlagen  worden,  zum  o.  Professor  der  Augenheilkunde  in  Krakau. 

Am  7.  Mai  1913  erhielt  ich  die 
'^'    ■  folgende    Selbst- Biographie    —    von 

herber  Einfachheit: 

» B.  WiGHERKiEwiGz,  Schülcr 
Hirscükerg's,  Schweigger's  und  dann 
Assistent  Fürster's  in  Breslau,  spä- 
ter Alexander  Pagenstecher's,  hatte 
außerdem  in  Paris  bei  Wecker,  Sichel, 
in  London  bei  Bo^vMAN,  Gritchett, 
SoELBERG  Wells  seine  Studien  er- 
weitert. Gründete  hierauf  zu  Posen 
eine  später  von  der  Provinz  unter- 
stützte) Armen-Augenheilanstalt,  aus 
der  er  Jahresberichte  mit  klinischen 
Beiträgen  verüffentlichte. 

Außerdem  hat  er  sich  in  ver- 
schiedenen Fach-Zeitschriften  litera- 
risch betätigt.  Im  Jahre  1890  wurde 
er  zum  Künigl.  Preuß.  Sanitätsrath 
ernannt  und  im  Jahre  1894  mit  dem  Professor-Titel  vom  preußischen  Kultus- 
Minister  ausgezeichnet. 

Die  Annahme  des  Rufes  nach  Krakau  halte  Wicherkiewicz  davon  ab- 
hängig gemacht,  daß  die  bereits  vom  Ministerium  zugestandene  neue  Augen- 
klinik thatsächlich  in  kürzester  Zeit  errichtet  werde.  Es  gelang  ihm  denn 
auch,  den  Bau  in  Angriff  genommen  zu  sehen,  in  wissenschaftlicher  Richtung 
zu  leiten  und  mit  Beginn  des  Winter-Semesters  1898  feierlich  zu  eröffnen. 
Auch  wurde  eine  dritte  Assistenten-Stelle  beantragt  und  durchgeführt, 
was  bei  einer  Kranken-Zahl  von  über  9000  neuen  Fällen  im  Jahr  noch 
unzureichend  ist. 

Außer  verschiedenen  kasuistischen  Mittheilungen  hat  W.  polnisch, 
deutsch    und  französisch   Abhandlungen    veröfTentlicht.      So    unter    andren 


B.  Wicherkiewicz. 


1)  Geboren  am  T.Juli  1847  als  Sohn  des  Sanitäts-Raths  A.W.  zu  Exin,  in 
der  preußischen  Provinz  Posen.  Eine  ausführliche  Lebens -Beschreibung  findet 
sich  in  Pagel's  biogr.  Lex.,  S.  1846—1847.  Am  7.  Dez.  1915  ist  W.  zu  Wien  (im 
Sanatorium  Loeb  am  Gallenkrebs  verstorben.  (Dies  hat  mir  »auf  seinen  aus- 
drücklichen Wunsch«  die  Wittwe  am  9.  Dez.  1915  angezeigt.; 


Wicherkiewicz.  297 

liier  optische  Iridektomie,  Trichiasis- Operation,  Operation  unreifer  Stare 
ilmch  Ausspülung,  Epicanthus-Lidcolobom-Operation,  über  Lid-Plastik,  über 
Auto -Plastik  des  durch  Geschwülste  zerstörten  Oberlides  aus  dem  Unter- 
lide, über  die  Sclerotomia  cruciata  multiplex  gegen  glaukomatöse  Zustände, 
ferner  Mittheiiungen  über  Versuche  mit  neuen  Medikamenten,  Pilokarpin, 
Kokain,  Novokain,  Xeroform,  Novojodin,  Pyoktanin,  Dionin  u.  s.  w.  Die 
Zahl  der  Veröffentlichungen  beträgt  nahezu  300. 

Vor  15  Jahren  hat  WiceEUKiEwicz  die  erste  polnische  ophthalmo- 
logische Monats-Schrift  Post(,^p  okulistiycznij^  im  eigenen  Verlage  ge- 
gründet und  leitet  sie  ständig.« 

Zusatz. 

Jeder,  der  Wicherkiewicz  näher  getreten,  wird  seiner  Liebenswürdigkeit 
ein  bleibendes  Angedenken  zollen.  Jeder  Fachgenosse,  der  die  Literatur  verfolgt, 
muß  seiner  unermüdlichen  Arbeitskraft,  welche  die  durch  längere  Erkrankungen 
gesetzten  Störungen  siegreich  überwand,  die  grüßte  Anerkennung  gewähren. 

Füi'  seine  Landsleute,  für  die  polnische  Literatur  unsres  Faches,  für  die 
polnische  Kultur  überhaupt,  hat  W,   Großes  geleistet. 


Sach-Register. 


A. 

Augen  ärztliche    Institute    in    Warschau 

§   937. 
Augenärztliches  Institut,  fürstlich  Lubo- 

mirskisches,  S.  280. 
Augen-Entzündung,  epidemische,  in  Ga- 

lizien,  S.  292. 


Diabetische  Augen,   anatomisch  unter- 
sucht, S.  287. 


Epidemische  Augen-Entzündung  in  Ga- 
lizien,  S.  292. 


Farben-Blindheit,  S.  282. 
Farben-Empfindungen,  S.  282. 


Glaukom,  S.  294. 


Krakau,  §  940. 


K. 


L. 


Lehrbuch  d.  Augenh.,  polnisches,  von 
Szokalski,  S.  282;  von  Kramsztyk, 
S.  288;  von  Zieminski,  S.  288. 

Lemberg,  S.  295. 

Lubomirskisches  Institut,  S.  280. 

U. 

Übersetzungen,  von  Wecker's  Lehrbuch, 

S.  283;  von  Donder's  Werk,  S.  286. 
Universität,  Jagelionische,   zu  Krakau, 

§  940. 

W. 
Warschau,  §  930  fgd.;  §  937    Institute). 


Namen -Register. 


B. 

Ballaban,  S.  295. 
Bierkowski,  §  941. 
Blumenstock,  S.  293. 

G. 

Galezowski,  §  939. 
Gepner,  §  935. 

J. 

Jodko,  §  934. 


Kamocki,  §  936. 
Kramsztyk,  S.  288. 

M. 

Machek,  §  944. 

R. 

Rydel,  §  943. 


»  Slawikowski,  §  942. 
Szokalski,  §  933. 

T. 

Talko,  §  938. 

W. 

Wicherkiewicz,  §  945. 

Z. 

Zieminski,  S.  288. 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 

Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit, 

Von 

J.  Hirschberg, 

Professor  in  Berlin. 


Drittes  Buch. 

Neunzehnter  Abschnitt. 
Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

Mit  1   Figur  im  Text. 


Eingegangen  im  März  1916. 


§  '.»46.     Vorbemerkungen. 

Die   Geschiebte   der  Augenheilkunde  im   Spanien  des  achtzehnten 
Jalirhunderts  haben  wir  in  §  408  betrachtet. 

Für    die    Schilderung    des    neunzehnten   Jahrhunderts    standen    mir 
hauptsächlich  zur  Verfügimg: 

\ .  Resümen  historico  de  la  oftalmologia  en  Espaiia.    (Tratado  teörico- 

präctico   de   las   enfermedades  de  los  ojos por  el  excmo.  e 

ilmo  dr.   Don  Ca-jetano   del  Toro  y  Quartilliers,    Doctor  en  med. 

y   cirujia,    Gadiz  1903,  II,   S.  602— 621.     Wichtige  Angaben  habe 

B  ich  aus  dieser  Quelle  geschupft.     Leider  hat  Dr.  D.  Gay.  del  Toro 

B  die  Lebensbeschreibungen  etwas  stiefmütterhch  behandelt.    Das 

■  biographische  Lexikon  von  Hirsch -Gurlt   schweigt  fast  vollständig 

von  den  Männern,  die  hier  in  Betracht  kommen. 

Ä         2.  De  l'ophthalmologie  el  de  Tophthalmie  militaire  en  Espagne 

^  par    le    docteur    Raphael   Gervera    de  Madrid.     (G.   R.   du   congres 

d'ophth.  de  Bruxelles,  1858,  S.  382—396.) 


I 


300     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

3.  Auf  meiner   Reise    durch   Spanien,    im    Frühjahr    1898,    habe   ich 

persönlich  einige  Nachrichten  gesammelt  und  dann  in  der  Deutschen 

med.  Wochenschrift  1898,  No,  23,  auch  im  C.  Bl.  f.  A.  1898,  S.  314 

bis  318,  veröffentlicht. 

Da   das  ophthalmologische  Leben   in  Spanien   erst  seit  der  Mitte   des 

19.  Jahrhunderts    etwas  lebhafter  pulsirt,    so   werde  ich   auch   für   diesen 

Abschnitt,  wie  für  den  über  die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika  u.  a.,  das 

gesamte  Jahrhundert   in  Betrachtung  ziehen   müssen,    um  überhaupt  ein 

vollständigeres  und  anziehenderes  Bild  zu  gewinnen. 

§  947.     Universitäten!). 

Maßgebend  ist  für  Spanien  das  Gesetz  vom  5.  Sept.  1857.  An  der 
Spitze  jeder  Universität  steht  ein  Rector,  an  der  jeder  Fakultät  ein 
Decano. 

Die  Professoren  (catedraticos)  werden  auf  Grund  von  Prüfungen 
(oposiciones)  ernannt  und  theilen  sich  in  numerarios  und  auxiliares. 

Für  die  Aufnahme  in  die  Universität  ist  der  Grad  des  Bacchillerato 
erforderlich,  d.  h.  sechsjähriges  Studium  in  einer  der  Mittelschulen.  Die 
Studien-Dauer  in  der  medizinischen  Fakultät  beträgt  sieben  Jahre.  Der 
Grad  des  Licenciado  genügt,  um  einen  praktischen  Beruf  auszuüben. 
(Gebühr  850  Pesetas.) 

Später  kann  man  den  Grad  des  Doktor  erwerben  (Gebühr  1000  Pesetas), 
aber  nur  zu  Madrid,  auf  Grund  einer  Dissertation,  deren  Thesen  man  zu 
vertheidigen  hat. 

1.  In  Barcelona  wurde  die  Universität  1450  vom  Magistrat  errichtet, 
vom  König  und   vom  Papst  bestätigt;    1714   nach   Gervera  verlegt,    1837 
wieder  zu  Barcelona  neu  eröffnet.    Diese  Hochschule  ist,  seit  der  Neuordnung    i 
von  1857,  in  die  erste  Reihe  der  spanischen  Universitäten  getreten. 

Im  Jahre  1911  wird  als  Professor  der  Ophthalmologie  Don  Josß 
A.  Barraquer  Roviralta  verzeichnet. 

2.  Bald,  nachdem  Granada  den  Mauren  entrissen  worden,  regte  sich 
der  Gedanke,  hier  eine  Hochschule  zu  gründen;  1540  scheint  sie  eröffnet 
zu  sein.  Gegen  Ende  des  18.  Jahrhunderts  sanken  die  spanischen  Uni- 
versitäten in  Folge  der  politischen  Wirren.  Erst  seit  1847  sind  erfreu- 
lichere Zustände  wieder  eingetreten. 

Im  Jahre  1911  war  die  Professur  der  Augenheilkunde  in  Granada 
nicht  besetzt.  ^ 

3.  In  Madrid  wurde  1786  das  Golegio  de  San  Carlos  zum  Studium 
der  Medizin   und   Chirurgie   eröffnet,    aber   erst  1836   die  Hochschule  von 


1)  Minerva,  Handb.d.  gelehrt.  Welt,  I,  S.  351— 358,  1911.  — Oviedo  besitzt 
nur  eine  juristische  Fakultät. 


Universitäten.  301 

Alcaki  endgültig  nach  Madrid  verlegt  und  die  Central-Universität  in 
der  Hauptstadt  des  Reiches  geschaffen. 

1911  ist  als  Professor  der  Ophthalmologie  und  Augenklinik  Don  Manuel 
Marques  Rodriqubz  verzeichnet'). 

Um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  gah  es  zu  Madrid  eine  medizi- 
nische Akademie  der  spanischen  Armee.  Serra  y  Ortega  sprach 
Okt.  1851  daselbst  über  die  Verstümmelung  eines  Auges  seitens  solcher 
Soldaten,  die  sich  dem  Militär-Dienst  entziehen  wollen,  und  räth  zur  Bei- 
behaltung   der  Einäugigen,    d.  h.  zur  Verwendung   in  geeignetem  Dienst^).) 

4.  Den  Ruhm  Spaniens  bildete  durch  fünf  Jahrhunderte  die  Universitä.t 
Salamanca.     1230  ward  das  »Studium«  begründet. 

Im  Jahre  14Si  befragte  Columbus  persönlich  die  Ilocbsehule  um  Rath 
über  seine  Entdeckungs- Pläne.  Ein  freier  Geist  herrschte  in  Salamanca. 
Im  16.  Jahrh.  wurde  dort  schon  das  Kopernikanische  System  gelehrt. 
Antonio  de  Lebiuxa  schrieb  hier  das  erste  spanische  ^^'ürterbuch. 

Im  lö.  Jahrhundert  betrug  die  Zahl  der  Studenten 3)  10  000,  am  Ende 
des  16.  noch  über  5000.     (1835/6:  776!) 

1769 — 1777  wurde  die  Universität  neu  eingerichtet  und  1857  auf  die 
heutigen  Grundlagen  gestellt. 

1911    war  der  Lehrstuhl  der  Augenheilkunde  unbesetzt. 

5.  Zu  Santiago  gab  es  seit  1501  ein  Studium,  seit  1544  eine 
Hochschule,  die  unter  den  Händen  der  Jesuiten  zu  bedeutender  Größe 
anwuchs,  aber  seit  dem  Anfang  des  19.  Jahrh.  in  Verfall  gerieth  und  erst 
seit  den  Reformen  von  1847 — 1857  sich  wieder  gehoben  hat. 

Der  Lehrstuhl  der  Augenheilkunde  war  1911   unbesetzt.   \ 

6.  Zu  Sevilla  wurde  1502  die  Universität  gestiftet,  die  wechselvolle 
Schicksale  durchmachte  und  erst  seit  1847/57  wieder  sich  gehoben  hat. 

Der  berühmte  Arzt  Pedro  Virgili  begründete  1748  die  medizinische 
Schule  zu  Cadiz^^j  besonders  zur  Erziehung  von  Wundärzten  für  die 
Marine.  Die  Schule  erwuchs  allmählich  zu  einer  medizinischen  Fakultät 
und  trat  in  innigsten  Zusammenhang  mit  der  Universität  zu  Sevilla. 

Im  Jahre  1911  war  zu  Cadiz  wie  zu  Sevilla  das  Fach  der  Augenheil- 
kunde unbesetzt. 

7.  Zu  Valencia  wurde  1345  vom  Bischof  eine  Schule  für  Theologie, 
bald  danach  vom  Stadt-Rath   eine  solche  für  Arte s,  Heilkunde  und  die 


1)  Den  Besuchern   der   internationalen  Kongresse  ist  Don  Manuel  bekannt, 
ebenso  seine  Gattin,  die  gleichfalls  studirt  hat  und  als  Augenärztin  thätig  ist. 

2)  A.  d'Oc.  1851,  XXVI,  S.  158. 

3)  Das  ausgelassene  Leben  der  Studenten  schildert  die  Novelle  des  Cervantes 
»Tia  fingida«. 

4]  Vgl.   §  408,  S.  161. 


302     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

beiden    Rechte   errichtet,    dann    1411    die    Schulen   vereinigt,    aber   erst 
1500  eine  eigenthche  Universität  begründet. 

Seit  1585  ging  es  mit  derselben  immer  mehr  abwärts,  die  Scholastik 
siegte  auf  allen  Linien:  immerhin  wurden  im  18.  Jahrb.  die  medizinischen 
und  mathematischen  Wissenschaften  mehr  gepflegt,  als  auf  den  andren 
spanischen  Hochschulen.  Seit  1847 — 1857  hat  sich  das  Ansehen  der  Uni- 
versität wieder  stetig  gehoben. 

8.  Zu  Valladolid  bestand  schon  1260  ein  Studium,  das  1346  zum 
St.  generale  erklärt  wurde  und  1418  auch  eine  theologische  Fakultät 
erhielt. 

Im  15.  Jahrb.  nahm  die  Universität  großen  Aufschwung.  Im  18.  Jahrh. 
sank  sie  immer  tiefer  und  hat  sich  erst  seit  1847 — 57  einigermaßen  er- 
holt. Zu  7  und  8  hat  Minerva  für  1911  den  Vermerk:  > Ophthalmologie, 
vacat.« 

9.  Die  Universität  zu  Zaragossa  wurde  1474  begründet,  1583  neu 
eingerichtet.  Im  Anfang  des  18.  Jahrh.  gelangten  die  Jesuiten  zur  Herr- 
schaft, doch  erhielten  sich  das  ganze  Jahrhundert  hindurch  die  medizi- 
nischen Fächer  in  einigem  Ansehen. 

Seit  1847/57  nimmt  sie  unter  den  spanischen  Hochschulen  einen  ge- 
achteten Platz  ein. 

Don  Vincente  Lafüerza  y  Euro  ist  1911  als  Professor  der  Ophthal- 
mologie nebst  Klinik  (und  der  anatomischen  Technik)  verzeichnet. 

Somit  finden  wir  für  das  Jahr  1911  nur  in  dreien  von  den  neun 
Universitäten  Spaniens  den  Lehrstuhl  für  Augenheilkunde  besetzt,  nämlich 
zu  Barcelona,  zu  Madrid,  zu  Zaragossa. 

§  948.  Um  die  Wende  des  18.  Jahrhunderts  zum  19.  war  der  größte 
Chirurg  Spaniens 

I.  Don  Antonio  de  Gimbernat*)  zu  Madrid,  der  den  Star -Schnitt  mit 
hoher  Kunstfertigkeit  übte:  damals  war  natürlich  in  Spanien  ebenso,  wie 
in  den  meisten  Ländern,  die  Augenheilkunde  mit  der  Chirurgie,  in  Übung 
wie  in  Lehre,  verbunden. 

Von  den  Chirurgen  seiner  Zeit,  welche  der  Augenheilkunde  Aufmerk- 
samkeit zuwandten,  verdienen  Erwähnung 

II.  Don  Josfi  Rives  y  Major,  der  1806  den  76j.  Gimbernat  am  Star 
operirt  hat,  sowie  fl 

III.  Don  Leonardo  de  Galli,  Direktor  des  Vorstands  vom  Colegio  de 
San  Carlos  und  Leib- Wundarzt,  seit  1801. 

IV.  Mexia,  Professor  zu  Valladohd,  veröfTenthchte  1814  (in  zwei  Bänden 
zu  je  234  S.)   ein  Lehrbuch  »Tratado  teörico  prätico  de  las  enfermedades 

1,'   §  408,   S.  164. 


Universitäten.    Augenheilkunde  1800—1850.    Die  erste  Professur.        303 

de  los  ojos«,  dessen  Vollständigkeit  und  gutes  Urtheil  gerühmt  wird.  Das 
Werk  gab  eine  leidliche  Beschreibung  der  hauptsächlichen  Operationen  und 
der  wichtigeren  Augen -Krankheiten  sowie  ihrer  Behandlung,  Am  Schluß 
brachte  es  ein  Geheim-Mittel,  das  König  Karl  III.  1777  hat  veröffent- 
lichen lassen  und  das  heute  noch  in  Kastilien  behebt  ist,  eine  Salbe  aus 
4  Unzen  Ziegenfett,  4  Quentchen  Zink-Asche  und  11/2  Q-  Eidechsen-Koth. 

V.  Don  Jaimb  Isbrn  y  Jener  hat  einerseits  zu  Barcelona  1828  eine 
Übersetzung'  des  Werkes  von  Antonio  Scarpa,  mit  Zusätzen,  andrerseits 
18^9  zu  Madrid  eine  »Memoria  sobre  un  proceder  de  blefarosplastia 
temporo-facial  <  herausgegeben. 

VI.  Dr.  D.  Manuel  Montaut^)  hat  184S  bei  der  Behandlung  der  Körner- 
kranklieit  im  Expeditions-Korps  zu  Rom  sich  ausgezeichnet  und  ließ  sich 
dann  zu  Madrid  nieder,  wo  er  einen  großen  Ruf  als  Augenarzt  erlangte. 
Im  Jahre  1874  zog  er  nach  Sanlücar  de  Barrameda  und  ist  daselbst  nach 
wenigen  Jahren  verstorben. 

Anmerkung. 

Viel  ist  es  also  nicht,  was  wir  aus  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
zu  melden  haben.  Wir  begreifen  das  Urtheil,  welches  18  43  Hr.  R.  Fari\  de 
Maltos 3)   gefällt  hat: 

»Die  Augenheilkunde  ist  in  Spanien  sehr  vernachlässigt.  Beweis,  —  keine 
wichtige  Arbeit  über  dies  Sonderfach  wird  dort  veröffentlicht;  von  Zeit  zu  Zeit 
stoßen  in  Spanien  reisende  Augenärzte  auf  ihre  Beute  und,  so  unwissend  und 
ungeschickt  sie  sein  mögen,   —  sie  erregen  unerhörte  Bewunderung.« 

§  949.  Die  erste  Professur  der  Augenheilkunde  ^und  der  Sy- 
philis! wurde  1850  von  der  Regierung,  und  zwar  nur  in  Madrid  be- 
gründet; aber  schon  1858  wieder  unterdrückt. 

Dies  Amt  hat  mit  Ehren  verwaltet 

VII.  Dr.  Calvo  y  Martin,  der  einen  »Tratado  de  enfermedades 
de  los  ojos«  verfaßte,  von  dem  aber  nur  der  erste  Band  erschienen  ist. 
Der  Inhalt  umfaßt  die  Anatomie  des  Seh-Organs,  einige  Betrachtungen  über 
Pathologie  und  Therapie  der  Augenkrankheiten  und  die  Lid-Krankheiten. 

VIII.  Don  Jos£  Maria  Gonz.\les  y  Morillas  hat  um  diese  Zeit  (1856) 
in  der  Habana  eine  zweibändige  »Monografia  oftalmica«  veröffentlicht, 
das  zweite  oder  dritte)  spanische  Lehrbuch  unsres  Faches  aus  dem  1  9.  Jahr- 
hundert. 


1)  Cervantes  hat  zwar  angedeutet  (Don  Quixote  X,  10),  es  sei  kein  großes 
Verdienst,  ein  Werk  aus  dem  Toskanischen  ins  Kastellanische  zu  übersetzen. 
Aber  auch  der  Spanier  muß  Italienisch  lernen,  wenn  er  es  gut  verstehen  will. 

2    Keiner  der  von  II  bis  VI  Genannten  steht  im  biogr.  Lex. 

3)  Aus  Maranho  in  Brasilien.     Vgl.  A.  d'O.  X,  185. 


304     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

§  950.     »Die  erste  Augen-Heilanstalt« 
Spaniens  wurde   1857  zu  Madrid  begründet *)  von 

IX,  Dr.  D.  Rafael  Gervera,  einem  Schüler  von  Sichel  und  Velpeau. 
Es  war  eine  Poliklinik  mit  einem  kleinen  Saal  für  operative  Fälle,  in  der 
Casa  di  Misericordia. 

Im  Jahre  1865  begründete  C.  eine  neue  Poliklinik  in  seinem  eignen 
Hause. 

Im  Jahre  1868  ließ  sich  (X.)  Dr.  Delgado  Jugo,  ein  Schüler  von 
Desmarres,  in  Madrid  nieder  und  begann  (erst  in  seiner  Wohnung,  dann 
im  Instituto  oftälmico]  seine  freien  Kurse  der  Augenheilkunde :  Professoren 
und  Studenten  der  medizinischen  Fakultät  waren  seine  Zuhörer. 

Gervera  und  Delgado  Jugo  sind  die  Lehrer  der  Augenheilkunde 
für  Spanien  geworden^). 

Um  diese  Zeit  hatten  ferner  großen  Ruf  als  Augenärzte  zu  Madrid: 

XI.    Don  Rafael  de  Güardia. 

XII.    Don  Antonio  Saez^). 
XIII.    Doctor  Nadal  May,  Augenarzt  am  Hospital  der  Prinzessin,  (f  1875.)* 

Im  Jahre  1872  wurde  das 

Instituto  oftälmico  (>Asilo  Amadeo«) 
von  der  Königin  Donna  Maria  Victoria  begründet. 

§  951.     Delgado  Jügo  (1830—1875)*) 

wurde  am  4.  Okt.  1830  von  spanischen  Eltern  zu  Maracaibo  in  der  Republik 
Venezuela  geboren. 

Seine  Studien  in  der  Heilkunde  begann  er  zu  Lima,  begab  sich  aber 
schon  1850  nach  Paris,  vollendete  seine  Studien  unter  großen  Schwierig- 
keiten, da  er  gleichzeitig  durch  seine  Arbeit  den  Lebensunterhalt  gewinnen 
mußte,  und  wurde  Arzt  sowie  Ghef  der  Klinik  von  Desmarres. 

In  dieser  Stellung  verblieb  er  acht  Jahre  und  machte  sich  vortheilhaft 
bekannt  durch  zwei  Sonderschriften,  über  die  Granulationen  und  über  die 
Leiden  der  Thränenwege. 


1)  So  heißt  es  bei  Toro,  bei  Camuset;  aber  die  erste  Poliklinik  für 
Augenleidende  in'Spanien  war  schon  1836  zu  Cadiz  eröffnet  worden.  Vgl.  §  960. 

2)  >Nach  Delgado  und  Cervera  ist  in  unsrem  Lande  kein  Genie  entstanden, 
das  als  Haupt  der  Schule  betrachtet  werden  kann.<  (Don  Cayetano  del  Toro  y 
QuARTiLLiERS,  in  s.  Lehrbuch,  II,  S.  620,  1903.) 

3)  Über  GüARDiA  u.  Saez  vgl.  §  964. 

4)  Klin.  M.  Bl.  1876,  S.  57 — 62.  (Don  Gregorio  Saez  y  Domingo,  zu  Madrid.) 
Ann.  d'Oc.  1876,  S.  202 — 204.  (Dr.  Carreras  y  Aragö,  zu  Barcelona.)  Das  biogr. 
Lex.  (II,  145)  enthält  nur  einige  Zeilen. 


Die  erste  Augen-Heilanstalt.  —  Delgado  Jugo. 


305 


Entschlossen  in  der  Augenheilkunde  sich  voll  auszubilden,  benutzte  er 
die  Pariser  Ferien  und  die  Honorare  für  seine  Vortrüge  und  literarischen 
Arbeiten,  um  hervorragende  Augen-Heilanstalten  Europas  zu  besuchen. 

hn  Juli  1 868  ließ  er  sich  in  iMadrid  als  Augenarzt  nieder,  eröffnete  eine  be- 
scheidene Privat-Augenheilanstalt  und  begann  freie  Kurse  in  der  Augenlieilkunde. 

Im  Jabre  1869  wurde  vom  Stadtratb  Madrids  in  der  Casa  di  So- 
corro    des  VI.  Distrikts   eine  Poliklinik   für  Augenkranke,    im  Jahre   1872 


Delgado  Jugo. 


von  der  Königin  ein  großes  ophthalmo  logisch  es  Institut  begründet: 
die  Leitung  beider  Anstalten  erhielt  Delgado  und  leistete  die  Arbeit  voll 
Begeisterung  und  ohne  die  geringste  Entschädigung  anzunehmen. 

Delgado  war  ein  ausgezeichneter  Kliniker  und  Operateur.  Tausende 
verdankten  ihm  das  Sehvermögen.  Als  Lehrer  war  er  bewunderungswürdig; 
er  ist  der  eigentliche  Gründer  einer  spanischen  National-Schule  der 
Augenheilkunde. 

Dazu  mußte  er  eine  spanische  Fach-Literatur  schaffen.  Er  begann  mit 
Übersetzungen,   erstlich   von  L.  Wecker's   französischem  Lehrbuch,   das 

Handbuch  der  Augenheilknnde.   2.  Aufl.   XIV.  Bd.  (VIL)   IXIIL  Kap.  20 


306     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

er  allerdings  gleich  mit  einem  Band  eigner  Zusätze  ausstattete,  und  zweitens 
von  Liebreich's  ophthalmoskopischem  Atlas,  dem  er  gleichfalls  eine  Ein- 
leitung über  Ophthalmoskopie  hinzufügte. 

Schon  sah  er  zwei  Ideale  der  Erfüllung  nahegerückt:  einmal  die 
Herausgabe  eines  nationalen  Lehrbuchs  der  Augenheilkunde,  zweitens  die 
Einverleibung  des  ophthalmischen  Instituts  in  die  Fakultät  und  die  Auf- 
nahme des  Sonderfachs  in  den  allgemeinen  Universitäts-Unterricht. 

Da   wurde   er    in    der   Blüthe    des   Lebens,    erst    45   Jahre    alt,    am 
19.  August  1875,    zu   Vichy   hinweggerafft.     Sein    Denkstein    im    Ophthal-, 
mischen  Institut  trägt  die  Inschrift : 

AI  Doctor  Delgado  Jugo, 

Director  y  Fundador  del  Instituto  oftälmico 

Sus  Ayudantes  y  Discipulos 

1.  Settiembre  1875. 

Zusatz. 
Veröüentlichungen  von  Delgado  Jugo: 
1.  Hygiene  des  Seh-Organs.     (Erst  nach  seinem  Tode  herausgegeben. i 
i.  Das  Auge   als  Werkzeug  zur  Entwicklung   der  Intelligenz.     Vortrag  in   der 
med.-chir.  Akademie  zu  Madrid. 

3.  Klassification  der  Augenkrankheiten.     Med.  Kongreß  Spaniens,  1861. 

4.  Exophthalmie  durch  Gehirn-Geschwulst.    Zweiter  Internat.  Ophth.  Kongreß, 
1862,   S.  199. 

5.  Ätzmittel-Träger  zur  Verödung  des  Thränensacks.     A.  dO.  LV,  236. 

6.  Autopsie  eines  Augapfels  mit  Chorioiditis.     Ebendas.  LVII,  184. 
Dazu  kommen  noch  verschiedene  Abhandlungen  in  El  Pabellön  Medico  und 

La  Crönica  oftalmolögica. 

Endlich  Berichte  aus  spanischen  Zeitschriften  der  Heilkunde.  A.  d'O.  LV,  130.. 
Bericht  über  das  Supplement  zu  Mackenzie's  Lehrbuch.     Ebendas.  LVI,  333. 

*§  952.  Über  Gervera's 
Leben  vermochte  ich  keine  Angaben  aufzufinden.  Er  hat  1857  die  erste 
Augen-Heilanstalt  zu  Madrid  begründet,  wurde  1877  zu  Delgado's  Nach- 
folger am  Instituto  oftälmico  ernannt;  als  ich  1898  in  Spanien  weilte, 
hatte  er  sich  von  der  Praxis  zurückgezogen,  da  er  Politiker  geworden. 
Auch  Arbeiten  von  ihm  vermochte  ich  nicht  aufzufinden. 

Trotzdem  hat  er  durch  die  Übung  und  Lehre  unsrer  Kunst  in  den 
fünfziger  und  sechziger  Jahren,  und  vielleicht  noch  später,  großen  Einfluß 
ausgeübt  und  Gutes  geleistet. 

§  953.     Zur  Geschichte   des   ophthalmischen    Instituts   in 

Madrid 
will  ich  zwei  Spaniern  das  Wort  lassen. 

1.  Mein  alter  Freund,  Dr.  Carreras  y  Aragö  zu  Barcelona,  hat  1876 
im  Nekrolog  von  Delgado  das  Folgende  veröffentlicht: 


Cervera.    Das  ophthalmische  Institut  zu  Madrid.  307 

»Als  Delgado  1872  vom  König  Amadeo*)  und  der  Königin  Victoria  berufen 
wurde  zur  Gründung  und  Leitung  eines  ophthalmischen  Instituts,  da  übernahm 
er  den  Auftrag  nur  unter  der  Bedingung,  daß  keine  Entschädigung  oder  Ehrung 
mit  dein  Amt  verknüpft  würde.  Wer  mit  den  ungeheuren  Schwierigkeiten  ver- 
traut ist,  auf  die  in  Spanien  Jeder  stößt^  der  irgend  ein  neues  Institut  begründen 
will;  der  wird  bef.'reifen,  wie  viel  Zuversicht,  Beharrlichkeit,  Thätigkeit,  Einsicht, 
Entsagung  unser  Freund  brauchte,  um,  in  Verbindung  mit  der  hochherzigen 
Königin,  das  ebenso  schwierige  wie  verdienstvolle  Unterneiimen  durchzusetzen. 

Wie  viel  Bitterkeit  und  Kümmerniß  mußte  er  erfahren,  als  er  die  Dvnastie 
Savoven  scheitern  und  sein  Institut  mit  dem  Untergang  bedroht  sah!  Zum  (Jlück 
rettete  eine  mächtige  Unterstützung  von  Seiten  der  Regierung  sein  Werk  aus 
dem  Schiffbruch.« 

2.  Don  Cayetano  del  Toro  y  Quartiiliers  schreibt  1903  in  s.  Gesch. 
der  spanischen  Oiihthalmologie    Enferm.  de  los  ojos,  II,  607): 

.  .  .  ^Das  iustitut,  für  welches  die  Königin  Victoria  die  Mittel  bereit  gestellt, 
hatte  einen  prachtvollen  Operations-Saal,  ein  Dunkelzimmer  zu  Untersuchungen, 
zwei  Säle  für  Kranken,  8  Betten  für  Männer,  i  G  für  Frauen,  —  eine  Zahl,  die 
später  vergrößert  wurde.  Warte-  u.  Abfertigungs-Saal  usw.  Zahl  der  Kranken 
jährlich   2  0  0  0,   der  Operationen   400  2^. 

.  .  .  Am  19.  März  1875  wurde  das  Institut  für  eine  Wohlthätigkeits-Anstalt 
des  Staates  der  damaligen  Republik)  erkläi't.  .  .  .  Nach  dem  Tode  von  Delgado 
folgte  eine  kritische  Zeit.  .  .  .« 

Im  Jahre  1 877  ernannte  die  Regierung  des  Königs  Alfons  zum 
Direktor  den 

Dr.  D.   Rafael  Cervera 

und  zu  Hilfs-Professoren 

die  Doktoren  Lopez  Diaz  und  L<'tPKz  Ocana. 

Auf  Grund  eines  Vermächtnisses  wurde  1899  ein  neues  Gebäude  für 
das  Institut  errichtet,  mit  einem  Kosten-Aufwand  von  850  000  Pesetas.  Der 
Staat  trägt  jährlich  95  000  P.  zur  Unterhaltung  bei. 

1903  war  der  Director  Don  Miguel  de  Santa  Cruz,  als  Nachfolger  von 
Cervera;  dazu  5  Hilfs-Professoren. 

Am  10.  Juli  1903  wurde  der  Neubau  feierlich  eingeweiht. 


1)  Nach  der  Revolution  vom  18.  Sept.  1868  gegen  die  Königin  Isabella  von 
Spanien  wurde  der  Herzog  Amadeo  von  Aosta,  aus  dem  Hause  Savoyen,  am 
4  6.  Nov.  1870  zum  König  gewählt;  am  11.  Febr.  1873  legte  er  die  Krone  nieder; 
am  14.  Jan.  1875  hielt  König  Alfons  XII.,  der  Sohn  Isabellens,  seinen  Einzug  in 
Madrid. 

2)  Camuset  (1874)  hat  folgende  Zahlen:  8000  Augenkranke  jährlich,  600  Ope- 
rationen (230  der  Katarakt).  Er  hat  für  die  Einrichtung  außerordenthches  Lob. 
>Jeder  der  geätzten  Granulösen  hat  einen  eignen  Wasch-Apparat  aus  Marmor  und 
eine  numerirte  Serviette.  ...  *  (Das  konnte  gemischte  Empfindungen  in  ihm 
wecken,  wenn  er  die  damaligen  Zustände  in  Paris,  Marseille  u.  a.  a.  0.,  wie  ich 
auch  selber  sie  aus  eigner  Erfahrung  kennen  gelernt,  in  Vergleich  zog.) 

20* 


308     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

§  954.    Versuche,  die  Augenheilkunde  in  den  officiellen  Univer- 
sitäts-Unterricht einzufügen. 

1.  Im  Juli  1873  versuchte  der  Minister  der  öffentlichen  Arbeiten  (m.  de 
fomento)  Dr.  D.  Ramön  P£rez  Gostales  das  ophthalmische  Institut  der 
medizinischen  Fakultät  der  Central -Universität  zu  Madrid  einzufügen,  — 
ohne  jeden  Erfolg. 

2.  In  den  Jahren  1873  4  und  74/5  wurden  Versuche  gemacht,  im 
Staatshaushalt  Mittel  zur  Gründung  von  Professuren  der  Augenheilkunde 
anzuweisen,  ^  ohne  jeden  Erfolg. 

3.  Im  Jahre  1902  wurde  der  Unterricht  in  der  Heilkunde  erweitert 
durch  Professuren  der  Augenklinik  (sowie  der  Oto-rhino-laryngologie  und 
der  Syphilis  nebst  Dermatologie  . 

Diese  Neuerung  war  nicht  genügend  vorbereitet  und  (wie  wir  im  §  947 
gesehen  haben,)  bis  zum  Jahre  1911  erst  in  drei  von  den  neun  Universi- 
täten Spaniens  ^nämlich  in  Madrid,  Barcelona  und  Zaragossa)  durchgeführt. 

§  955.     Madrid. 
In  den  letzten  zwei  Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts  wirkte  zu  Madrid 

XIV.  Don  Manuel  IsiDORO  Osio  (1840— 1900)  ^J. 

Oktober  1840  zu  Caracas  (Venezuela)  geboren,  1865  promovirt,  besuchte 
er  die  Kliniken  von  Sicbel,  Desmarres,  Wecker,  Galezowskj  in  Paris,  von 
Critchett  in  London,  von  A.  v.  Graefe  und  Hirschberg  in  Berlin,  von 
MAtiNüs  in  Breslau,  von  Arlt  und  Fuchs  in  Wien. 

1869  ließ  er  sich  in  Barcelona  als  Augenarzt  nieder  und  entfaltete 
auch  eine  große  wissenschaftliche  und  organisatorische  Thätigkeit,  als  Mit- 
arbeiter der  Independencia  Medica,  als  Gründer  der  Revista  de  Ciencias 
Medicas,  sowie  des  Hospital  del  Sagrado  Corazen,  des  ersten  zum  Studium 
der  Specialitäten  in  Spanien  gegründeten  Krankenhauses,  woselbst  der  aus- 
gezeichnete Chirurg  Dr.  Cardenal  sein  Werk  fortgesetzt  und  weiter  ent- 
wickelt hat. 

Hier  begann  Osio  seine  Vorlesungen  über  Augenheilkunde,  die  er  als 
freier  Professor  der  medizinischen  Facultät  zu  Barcelona  fortsetzte  und  vom 
Jahre  1881  ab  an  der  zu  Madrid,  woselbst  er  eine  unermüdliche  Thätigkeit 
entfaltete.  Als  warmer  Menschenfreund  verfaßte  er  ein  Büchlein  über 
l'oftalmia  purulenta  del  recien  nascido  (Madrid  1886),  als  Kenner 
und  Vermittler  der  verschiedenen  Schulen  übersetzte  er  Mooren's  Werk 
Relacion  entre  los  padecimientos  uterinos  y  las  afeciones  de  los 
ojos  (Madrid  1884).     Seit  einigen  Jahren  kränkelte  er,  doch  harrte  er  wie 


1)  C.  Bl.  f.  A.  1900,  S.  316.    (M.  Menacho,  Barcelona.; 


Osio.    Calderon.    Ramon  y  Cajal.  309 

ein  tapferer  Soldat  auf  seinem  Posten  aus,  bis  zu  seinem  Tode,  am  21.  Juli 
lOOO'). 

Sein  Zeitgenosse  war 

XV.     Don  Andres  Garci'a  Calderon  (1845— I90r  21. 
Kubaner  von  Geburt,  kam  er  früh  nach  Europa,   studirte  in  Wien  (unter 
Arlt  und  Jägkr),  in  Paris  und  Berlin  und  wirkte  zu  Madrid  als  Augenarzt 
an   mehreren  Hospitälern   sowie  als  »Profesor  del  Institute  di  Terapeutica 
operatoria«. 

Abgeselien  von  seiner  Pariser  Dissertation  aus  dem  Jahre  1875  (des  irido- 
choroiditesj  hat  er  eine  Reihe  von  Arbeiten  veröilentlicht :  Über  Antisepsie  und 
Cocain  bei  der  Star -Operation.  Über  angeborenen  Star.  Orbital-Ent- 
zündung durch  Zahnleiden.  Hemiachroma topsia  dextra.  (Durch  Blut-Cyste 
im  linken  Hinterhaupts-Lappen.)  Hämorrhagischer  Star.  Knochen -Bildung 
im  Auge  und  sympathische  Kyklitis.  Star- Delirium.  Myopie.  Thränen- Leiden, 
üeschichtliches  zur  Star- Operation.  Behandlung  der  Hornhaut -Abscesse.  Fremd- 
körper der  Orbita.     Uterine  Sehnerven-Entzündung. 

Also  drei  Fachgenossen  aus  dem  früher  spanischen  .\merika 
haben  in  der  alten  Ileimaih  sich  ausgezeichnet,  Del<;ado,  Osio, 
Garcia  Calderon. 

§  956.  XVI.  Santiacjo  Ramon  y  (^a.ial3), 
die  Zierde  von  Spanien,  wurde  am  1.  Mai  1852  zu  Petilla  (Aragonien)  ge- 
boren, studirte  in  Zaragossa,  hauptsächlich  unter  Leitung  seines  Vaters, 
Prof.  d.  prakt.  Anatomie,  promovirte  1873,  wurde  1873  Prof.  der  Anatomie 
in  Valencia,  188(5  Prof.  der  Histologie  in  Barcelona  und  ist  seit  1892  in 
gleicher  Eigenschaft  zu  Madrid  thätig. 

Ramon  v  Cajal  hat  die  Verfahren  von  Golgi  zur  Färbung  der  Nerven- 
Elemente  weiter  ausgebaut,  indem  er  auf  die  Bromsilber- Färbung  die  Re- 
duktions- Methode  der  photographischen  Technik  anwandte. 

Hohe  Ehrungen  sind  ihm  zu  Theil  geworden,  aus  Deutschland  die 
Helmholtz- Medaille',  1915  der  Orden  pour  le  merite;  1906  halte  er 
mit  GoLGr  den  medizinischen  Nobel-Preis  erhalten. 

llauptschriften:    Textura   del    sistema   nervoso    del    hombre    y    de  los 
vertebrados,  Madrid   1899.     La  rötine  des  vertebres,  1894. 

Wir  besitzen  eine  deutsche  Übersetzung  seiner  Arbeiten  über  die 
Netzhaut : 

Die  Retina  der  Wirbel thiere.  Untersuchungen  mit  der  Golgi- 
CAJAL'schen  Ghromsübermethode  und  der  EuRLice'schen  Methylenblau- 
färbung.    Nach  Arbeiten  von  Prof.  S.  Ramon  y  Cajal.     In  Verbindung  mit 

i;  Jeder,  der,  wie  ich  selber,  das  Vergnügen  hatte,  ihn  bei  sich  zu  empfangen 
und  zu  Madrid  zu  besuchen,  wird  ihm  eine  dauernde  Erinnerung  bewahren. 

2)  Archivos  de  oftalm.  Hispano-Americanos  I,  430—433.    (Dr.  M.  Marquez.) 

3)  Biogr.  Lex.  von  Pagel,  S.  1343. 


310     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

dem  Verfasser  zusammengestellt,  übersetzt  und  mit  Einleitung  versehen  von 
Dr.  Richard  Greeff,  Privatdocent  für  Augenheilkunde  zu  Berlin.  Mit  7  Tafehi 
und  3  Abbildungen  im  Text.    Wiesbaden,  J.  F.  Bergmann.     1894.^) 

In  der  Einleitung  und  Literatur- Übersicht  giebt  Verf.  zunächst  einen 
kurzen  Überblick  über  die  Geschichte  der  beiden  Methoden:  der  Färbung 
des  lebenden  Gewebes  mit  Methylenblau  von  Ehrlich  und  der  Osmium- 
Bichromat- Silber-Methode  von  Golgi-Gajal.  Hierauf  schildert  er  die  Ent- 
wicklung der  Lehre  vom  Bau  der  Netzhaut,  in  welcher  seit  1887  durch  die 
Untersuchungen  von  Tartcferi,  Dogiel  und  Gajal  eine  neue  Periode  begann. 
Das  Problem  von  dem  Zusammenhang  der  lichtpercipirenden  Elemente  mit 
den  Nerven,  welche  den  Lichtreiz  den  nervösen  Centren  direkt  zuleiten, 
ist  jetzt  als  gelöst  zu  betrachten ,  und  zwar  nach  R.  y  Gajal  in  folgender 
Weise:  Jedes  Stäbchen  verlängert  sich  zu  einem  feinen  Fädchen,  welches 
eine  in  der  äußeren  Körnerschicht  gelegene  kernartige  Anschwellung  bildet 
und  dann  weitergeht,  bis  es  frei  mit  einem  Knötchen  endet.  Die  Zapfen- 
faser zeigt  eine  solche  Anschwellung  nicht,  sondern  geht  gerade  durch  die 
äußere  Körnerschicht  hindurch  und  bildet  in  der  angrenzenden  äußeren 
plexiformen  (reticulären)  Schicht  ein  sogenanntes  Endbäumchen.  Die  Knötchen 
der  Stäbchen  und  die  Endbäumchen  der  Zapfen  werden  von  den  feinen 
Ausläufern  der  für  sie  bestimmten  Zellen  der  inneren  Körnerschicht  um- 
sponnen. Diese  Zellen  werden  bipolare  Zellen  genannt,  da  sie  auch  nach 
der  anderen  Seite,  also  nach  innen  und  den  Ganglien-Zellen  zu,  Ausläufer 
entsenden.  AVährend  sich  die  bipolare  Zelle  eines  Stäbchens  direkt  auf 
eine  Ganglien-Zelle  aufsetzt  und  dieselbe  mit  fingerförmigen  Zweigen  um- 
klammert, enden  die  bipolaren  Zellen  der  Zapfen  in  verschiedener  Höhe 
in  der  inneren  plexiformen  Schicht  mit  Endbäumchen,  welche  sich  mit 
den  Ästchen  bestimmter  (schichtenbildender;  Ganglien-Zellen  verflechten.  Die 
Ganglien-Zellen  entsenden  nach  innen  einen  Fortsatz,  welcher  direkt  in  die 
Nervenfaser  übergeht.  —  Wir  haben  also  zwei  Arten  von  Leitung,  die  der 
Stäbchen  und  die  der  Zapfen;  eine  jede  von  ihnen  ist  in  ihrer  Kontinuität 
zweimal  unterbrochen. 

Der  Weg,  welchen  der  Lichtreiz  durch  die  Netzhaut  einnimmt,  ist  nun- 
mehr klargelegt;  über  die  Art  und  Weise  jedoch,  wie  die  Nervenzellen  mit 
einander  in  Verbindung  stehen,  ob  kontinuirlich  oder  durch  Kontakt,  sind 
die  Meinungen  zur  Zeit  noch  getheilt.  Als  Grundregel  gilt  R.  y  Gajal  die 
Lehre  von  der  völligen  Unabhängigkeit  der  Nervenzellen,  deren  Endästchen 
alle  frei  auslaufen  und  nicht  mit  einander  anastomosiren.  Er  stellt  daher 
den  Satz  auf,  daß  ein  Reiz  von  einer  Zelle  auf  die  andre  sich  nur  dadurch 
überträgt,  daß  die  Fortsätze  beider  Zellen  sich  aneinander  legen.  Der 
heftigste    Gegner    dieser    fast   allgemein    anerkannten    Theorie   ist    Dogiel, 


1)  C.  El.  f.  A.  4  89Ö,  S.  42—44.     (Dr.  Küthe.) 


Barcelona.     Soler.  311 

welcher  auf  Grund  seiner  nach  der  EHRLica'schen  Methode  hergestellten 
Präparate  an  der  alten  Netztheorie  festhält. 

R.  Y  C.Kj.vLs  Untersuchungen  der  Netzhaut  beschränken  sich  auf  einzelne 
Familien  und  Arten  von  5  verschiedenen  Thiergattungen ;  I.  der  Knochen- 
fische, i.  der  Frösche,  3.  der  Reptilien,  i.  der  Vögel  und  5.  der  Säuge- 
thiere.  Am  einfachsten  sind  die  Verhältnisse  bei  den  niederen  Thieren. 
Im  Allgemeinen  herrscht  in  dem  Bau  der  Netzhaut  bei  allen  5  Klassen 
eine  merkwürdige  Ibereinstimmung.  »Man  kann  behaupten,  daß  die  einzigen 
anatomischen  Abweichungen,  welche  sich  auffinden  lassen,  sich  auf  die 
relative  Dicke  der  einzelnen  Schichten  der  Netzhaut  und  auf  die  Form  und 
die  Dichtigkeit  der  Stäbchen  und  Zapfen  beziehen.  —  Es  hat  nicht  den 
Anschein,  als  ob  der  Aufbau  der  Netzhaut,  wenn  man  in  der  Wirbelthier- 
Reihe  nach  oben  geht,  vollkommener  würde.  Es  kommen  in  ihrem  Bau 
nur  einige  Abänderungen  vor,  die  sich  hauptsächlich  auf  die  Stäbchen  und 
Zapfen  beziehen  und  der  Eigenarligkeit  des  Gesichts- Sinnes  eines  jeden 
Thieres  entsprechen.« 

§   \)öl.     Die  Provinzen. 
Barcelona 
ist   zwar  nach   der  Einwohner-Zahl')  die   zweite  Stadt  Spaniens,   aber  an 
Betriebsamkeit  wohl  die  erste. 

P'       Aus   dem   Barcelona   von    184  2    erzählt   uns    Dr.   Antonio   Mendoz.\2;    eine 
k  (IS  tu  che  Geschichte. 

Kine  sehr  schöne,  junge  Dame  bekam  eine  Cysten -Geschwulst  auf  dem 
inken  Oberlid.  Erst  auf  die  Bitten  mehrerer  ihrer  Bewunderer  willigte  sie  in 
die  Operation.  Doch  mußte  diese  geheim  gemacht  werden.  Der  Assistent,  den 
M.  nicht  wählen  konnte,  sondern  nehmen'  mußte,  fiel  in  Ohnmacht.  Nach  dem 
Hautsolmilt  zog  M.  einen  Faden  durch  die  Cyste,  den  er  mit  seinen  Zähnen 
fest  hielt,  exstirpirte  von  der  Cyste  soviel,  als  möglich  war,  und  brachte  einen 
Cylinder  von  Höllenstein  in  die  Tiefe.  Nach  1  4  Tagen  war  die  Wunde  mit  einer 
linienförmigen  Narbe  geheilt.     Die  entzückende  Senorita  erstaunte  ihre  Freunde. 

XVII.      DOCTOR    D,    lOAQUlN    SOLER, 

der  das  Souderfach  zu  Paris  studirt  hatte,  begründete  1855  eine  Augen- 
klinik zu  Barcelona.  Er  wurde  ein  ausgezeichneter  Praktiker  und  ge- 
schickter Operateur.  Sein  frühzeitiger  Tod  bedeutete  einen  großen  Verlust 
für  die  spanische  Augenheilkunde. 

Von  seinen  Schülern  haben  zwei  sich  besonders  ausgezeichnet:'."  j^'; 


11  Einwohner-Zahl  in  Tausenden,5l  914:  Madrid  600,  Barcelona  587,  Valencia  233, 
Sevilla  4  58,  Zaragossa  412,  Valladolid  74,  Cadiz  67. 

2  Repertorio  medico,  periodico  mensual  de  la  Sociedad  de  Emulacion  de 
Barcelona.     A.  d'O.  X,  4  85. 


312     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

1.    XVIII.    D.  Eduardo  de  Torres, 
unter   dessen  Arbeiten    die  merkwürdigste  den  Titel  führt:    La  iridectomia 
en  el  tratamiento  de  la  miopia  progresiva.     Er  starb   1874. 

2.  XIX.    D.  Luis  Garreras  v  Aragö, 
Präsident  der  Augen-Abtheilung  im  medizinischen  Institut  zu  Barcelona,  gleich 
verdient  um  unser  Sonderfach,  wie   um  die  allgemeine  Heilkunde:    er  hat 
das  erste  bakteriologische  Laboratorium  in  Spanien   begründet  und  unter- 
halten. 

G.  Y  A.  war  ein  fruchtbarer  Schriftsteller  auf  unsrem  Gebiete. 

t.  Memoria  sobre  el  oftalmoscopio. 

2.  Cisterco  celluloso  de  la  retina. 

3.  Escala  tipografica  (Schriftproben). 

4.  Estudios  oi'talmolögicos  1875.     ,80,  280  S.) 

5.  Clinica  oftalmologica  .  .  (1875  y  1876),  con  .  .  .  observ,  clinicas  notables  .  .  . 
iridectomia  en  el  glaucoma,  por  el  Dr.  Luis  Carreras  y  Aragö,  Profesor 
übre  de  oftalm.,  Barcelona  1878.  '209  S.,  mit  4  farbigen  Tafeln.  Die  letzteren 
stellen  dar:  1.  Das  klinische  Bild  des  Netzhaut-Markschwamms.  2.  Augen- 
spiegelbilder vom  Aderhaut-Spalt,  von  chronischem  Glaukom,  von  nephritischer 
Netzhaut-Entzündung,  von  Pigment-Entartung  der  Netzhaut.) 

6.  La  ceguera  en  Espana,   Barcelona  1881.     Die   Blindheit  in  Spanien.    Vgl. 
C.  Bl.  f.  A.   1881,  S.  499—501    u.  §  964.) 

Ein  großes  Verdienst  um  die  internationale  Verbreitung  unsrer  Fach- 
wissenschaft hat  D.  Llis  (Jarreras  y  Aragu  sich  erworben  durch  die  Jahres- 
berichte über  die  Fortschritte  der  Augenheilkunde  in  Spanien,  welche  irk 
dem  C.  f.  A.  (1879—1881)  erschienen  sind'). 

X.\.    D.  Antonio  Anet 
ließ  sich   1860  in  Barcelona  nieder  -und  wurde  Vicepräsident  der  genannten. 
Augen-Abtheilung. 

XXI,    Dr.  C.  J.  SoRiGUBR 
praklicirte  zuerst  in  Barcelona,  dann  von  1874  zu  Sevilla.    Er  schrieb  über 
die  Massage  und  über  die  Behandlung  der  Granulationen  mittelst  der  Queck- 
silber-Präparate. 

XXII.    Unter  den  jüngeren  ist  zu  nennen 

Manuel  Menacho, 
der  1901,  zusammen  mit  Andren,  die  Archivos  de  Oftalmologia  Hispano- 
Americanos  begründet  und  darin,  sowie  in  französischen  Fach-Zeitschriften ,^ 
zahlreiche  Abhandlungen  veröffentlicht  hat.     (Vgl.  §  961.) 


1)  Mir  persönlich  ist  er  ein  lieber  Freund  gewesen,  dessen  Andenken  ich  stets 
hochhalten  werde. 

Auch  sein  Sohn  hat  sich  in  unsrem  Fach  ausgezeichnet. 


Toires.    Carreras  v  Aragö.    Menacho.  —  Cadii.  313 

• 

§  1)58.     Zu  Valencia 
erütVnete  J)r.  Armkt    XXIII)  die  Reihe  der  Augenärzte. 

D.  Josf.  Iborra  (XXIV)  begründete   1863  eine  Augen-Heilanstalt. 

I'ber  die  des  ü.  Jos£  Ai'aricio  y  Quijarro  (XXV)  hat  Camüset  aus  Paris 
in  den  A.  d'üc.    1874   sehr  vortheilhaft  sich  geäußert. 

§  il59.     Zu  Sevilla 
wirkte  in  der  eisten  Hälfte  des   I'.).  Jahrhunderts 

Ur.  D.  Enrique  FIo>iero  (XXVI), 
der  einen  Älzstiil  für  die  Thränen-Fisteln  angegeben  und  die  Operation  des 
Flügelfells  zu  Sevilla  eingeführt. 

1877  ließ  in  Sevilla')  sich  nieder 

Dr.   D.  Vincente  Guirai.t    XXVII). 

Sofort  nach  Beendigung  seiner  Studien  war  er  in  den  militärischen 
Sanitäts-Dienst  eingetreten,  hatte  anfänglich  zu  Madrid  gewirkt  und  in  der 
freien  Medizin-Schule  Vorlesungen  über  .\ugenheilkunde  gehalten. 

Wir  haben  von  ihm: 

Tratado    de    higiene   ocular    (1868  2)  und    eine   Abhandlung   über   den 
t  Quer-Schnitt  durch  die  Hornhaut,  zur  Star-Ausziehung. 

f^'  Hie  Rivista  de  med.  vcirugia  practicas  1890,  .Januar  bis  August,  ent- 

hält:   Clinica   of  talmolögica ,   diez   anos   de   mi   consultorio,  por  el 
Dr.  D.  Vincente  Chiralt. 

§  960.     Zu  Cadiz 
haben  schon  im  ersten  Drittel  des  19.  Jahrhunderts  einige  Professoren  der 
Chirurgie  mit  großem  Erfolg  auf  dem  Gebiete  der  Augenheilkunde  gearbeitet: 

D.  Antonio  Esi'Ana  (XXVHI)  und  D.  Serafin  Sola  (XXIX). 

Im  Jahre  1836  gründeten  sie  eine  Poliklinik  für  Augenkranke:  hier 
wurde  in  Spanien  wieder,  vielleicht  zum  ersten  Mal  seit  den  Zeiten  der 
.Araber,  Sonder- Unterricht  in  der  Augenheilkunde  ertheilt.  Cervera  theilt 
uns  1857  mit,  daß  die  Anstalt  damals  noch  bestand,  unter  Joseph  Zurita. 

1842  wurde  Sola  nach  Fez  (Marocco/  berufen,  um  die  Tochter  des 
Sultans  von  einer  Thränen-Fistel  zu  befreien. 

1839  erschien  zu  Cadiz  die  spanische  Übersetzung  von  Sichel's  Ab- 
handlung über  Ophthalmie,  Katarakt  und  Amaurose 3);  1850  die  von  der 
Augen-Hygiene  des  Dr.  REVEiLLt-P.\Ris^). 


1)  Dort  fanden  wir  i  898  bei  ihm  und  seiner  Familie  die  freundlichste  Aufnahme. 

2)  Vgl.  §  470,  S.  533,  92. 

3)  Vgl.  unseren  §  559,  9. 

4)  Vgl.   470,  S.  532,  71. 


314    XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

,|845_'I846  hat  Dr.  Ceballos  (XXX)  und  1848  Dr.  D.  Federico  Ben- 
jüMEDA  (XXXI)  einen  theoretisch-praktischen  Kurs  der  Augenheilkunde  in 
der  medizinischen  Fakultät  von  Gadiz  gehalten. 

Don  Cayetano  del  Toro  y  Quartilliers  (XXXII),  ein  Schüler  von  Dei  - 
GADoJuGO,  ließ  sich  1870  in  Cadiz  nieder,  gründete  1871,  in  einem  Ge- 
meindehaus, eine  Augenklinik;  begann  freie  Kurse  der  Augenheilkunde  und 
schuf  die  erste  augenärztliche  Zeitschrift  Spaniens, 

La  cronica  oftalmolögica,  sowie  ein  treffliches  Lehrbuch  der 
Augenheilkunde. 

§  961.    Augenärztliche  Zeitschriften  in  Spanien. 

1.  La  crönica  oftalmolögica,  örgano  oficial  del  instituto  oftälmico  de 
Madrid  y  de  la  clinica  oftalmolögica  de  Cadiz.  Director  Dr.  D.  Gayetamj 
DEL  ToRO  (Cadiz).  Von  1871 — 1883.  —  Dann  erschien  als  Fortsetzung  der 
Crönica  und  der  Gaceta  de  Higiene 

Crönica  de  especialidades  medico-quirurgicas,  unter  Leitung  von  Caye- 
tano uel  Turo  und  Benito  Alcino,  Cadiz,  1884. 

2.  La  oftalmologia  practica,  revista  mensual,  Director  A.  de  la  Pena, 
begann  1882  ihr  Erscheinen,  konnte  sich  aber  nicht  lange  behaupten. 

3.  Archivos  de.  oftalmologia  Hispano-Americanos.  Revista  mensual 
publicada  por  los  doctores  Demicberi  de  Montevideo,  Santos  Fernandes  de 
la  Habana,  Menacho  de  Barcelona. 

I.,   1.  Madrid  1901. 

»Dies  Archiv  soll  ein  Bedürfniss  befriedigen,  das  lange  in  der  ärztlichen 
Literatur  Spaniens  und  des  lateinischen  Amerika  gefühlt  wurde.  «2  Es  ent- 
hält Originalien  und  Referate. 

Das  erste  Heft  bringt  die  Arbeiten  über  die  Exenteratio  ignea  von 
de  Lapersonne  in  Paris,  über  die  Iridektomie  bei  Star-Operation  von 
Dr.  Juan  Santos  Fernandes  in  Habana,  über  muskuläre  Dynamik  des 
Auges  von  Prof.  Dr.  Manuel  Marquez  in  Madrid,  über  Behandlung  des  ein- 
fachen Glaukoms  von  Dr.  Menacho  in  Barcelona.  Bald  folgt  eine  große 
Abhandlung  von  S.  Ramon  y  Cajal  über  den  Bau  des  Chiasma.  (Über  den 
Bau  des  Thalamus  opticus  handelt  er  im  IV,  Band.  Von  emer  neuen 
Seite  erscheint  uns  der  berühmte  Professor  in  seinen  »Stereoskopischpii 
Ergötzungen«,  B.  II,  S.  262  fgd.,  1902.) 

Von  weiteren  Veröffentlichungen  aus  dem  ersten  Bande  nenne  ich:  Die 
Sonnen-Finsterniß  von  1910  und  das  Seh- Werkzeug,  von  Dr.  Agüilar  Blanch, 
Valencia.  Einpflanzung  von  Fettgewebe  nach  der  Exenteration  von 
Dr.  Barraquer  in  Barcelona. 

Zerstörung  des  Sinus  frontalis  und  Heilung  per  primam,  von  dem- 
selben.    Augenstörungen   durch    Beobachtung    der   Sonnen-Finsterniß    von 


Augenärztliche  Zeitschriften.    Literatur  zur  Augenheilkunde.  315 

Di    M.vnuel  Menacho,  Barcelona.    Trachoma  von  Dr.  Vinzente  Gomez.    Werth 

(l.r  Iridektomie  bei  Glaukoma,  von  L.  de  Wecker. 

Sehnerven -Entzündung    durch    Uterin -Leiden,    von    Garcia  Calderon, 

M  i<lrid.  Embolie  der  Netzhaut- Arterie,  von  Dr.  Manuel  Marquez.  Zur 
I  Giaukoni-Lehre  von  Dr.  Rochox-Duvigneaud  in  Paris.  Histologie  des  Chala- 
I  zion,  von  Dr.  Jl'ax  Santos  Fehnandes,  Habana. 

'  Kreuzung  der  Bewegungs-Nerven  des  Seh-Organs,  von  Dr.  Mancel  Mar- 

qlez,  Madrid.    Sehr  große  Aderhaut-Blutung,  von  Dr.  L.  Demic.heri  in  Monte- 
video.   Neue  Siegel  gallorömischer  Augenärzte,  von  Dr.  Rudolfo  del  Castillo 

Ol'ARTILLIERS. 

4.  Anales  de  Oftalmologia.  Periodico  niensual  de  Clinica  y  Tera- 
peutica  ocular  publicado  por  les  Doctores  Manuel  Uribe  Troncoso,  Mexico, 
Daniel  M.  Vklez,  Mexico,  J.  Santos  Fern.^ndes,  Habana,  Cuba,  Charles 
A.Oliver,  Philadelphia,  Mexico,   1898. 

Von  Original-Arbeiten  aus  dem  ersten  Bande  nenne  ich :  Demichbri, 
Optisches  Studium  der  Linsentrübungen.  Urihe  Troncoso,  Myopie-Behand- 
lung durch  Linsen-Ausziehung.  De.micheri  und  Lamac,  Sympathektomie  bei 
Basedow.  Josk  de  Jesus  Gonzales,  Augen -Komplikationen  der  Intluenza. 
Juan  Santos  Fernandes,  Einfache  Ausziehung  bei  Star  mit  Glaukom. 

§962.    Spanische  Literatur  zur  .Vugenheil künde, 
aus  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts. 

A.  Übersetzungen  1). 

1.  D.  M.  Baldiviesco  hat  das  Lehrbuch  von  W'iiahton  Jones  übersetzt, 
und  zwar  nach  der  französischen  Ausgabe  von  Fouchkr:  Tratado  practico 
de  las  enferniedades  de  los  ojos  por  T.  Wharton  Jones  .  .  ,  Madrid  1862. 
(Vgl.  §  671.) 

2.  Dr.  Gin£  y  Partagas    die  Ophthalmoskopie   von   Follin.     (§  549  u. 

§  1029,  No.  14.) 

3.  D.  Pedro  Brün  die  bekannte  Augenheilkunde  von  Dr.  Eduard  Meyer. 

4.  D.  Enrique  Uraijon  die  sympathischen  Gesichts-Störungen  von 
Mooren.     (§  683.) 

5.  D.  Rafael  Ameller  y  Romero  die  oculare  Hygiene  von  Reveille- 
Paris.     (§  470,  No.  71.) 

6.  Dr.  Castillo  y  Quartilliers  die  Optometrie  von  Armaignac  und  die 
Augenheilkunde  von  Soüs.     (§  1029,  29;  §  622.) 


^)  Cervera  erwähnt  (§  9641  die  Übersetzung  der  Werke  von  Scarpa,  SRihel 
und  Desmarres. 


316    XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  hii  neunzehnten  Jahrhundert. 

B.  Lehrbücher  der  Augenheilkunde. 

1.  L.  Barö,  Manual  de  las  enfermedades  de  los  qjos.  (Dies  Buch  war  mir 
nicht  zugänglich.) 

2.  Tratado  de  las  enfermedades  de  los  ojos  y  sus  accessorios,  por  el 
Dr.  D.  Gayetano  del  Toro  y  Quartilliers,  Cadiz  1879.  fZ weite  Ausgabe, 
2  Bände^  mit  zahlreichen  Abbildungen.) 

Der  erste  Theil  beginnt  mit  einer  Geschichte  der  Augenheilkunde,  be- 
sonders Spaniens.  Dann  folgt  Anatomie  des  Seh-Organs,  Ophthalmoskopie, 
allgemeine  Behandlung  der  Augenkrankheiten. 

Im  zweiten  Theil  handelt  der  Vf.  von  den  Augenkrankheiten  und  ihrer 
Behandlung,  wobei  er  im  wesentlichen  die  Eintheilung  von  Delgado  Jüüo 
in  sieben  Klassen  beibehält.  Die  erste  Klasse  umfaßt  die  Mißbildungen 
und  zwar  1)  die  mit  dem  Leben  unvereinbaren,  2)  die  mit  dem  Leben  ver- 
einbaren, aber  das  Sehen  ausschließenden,  3)  die  das  Leben  und  das  Sehen 
nicht  ausschließenden. 

Die  zweite  Klasse  enthält  die  entzündlichen  Leiden  und  ihre  Folgen: 
1)  die  der  Orbita,  2)  der  Lider.  3)  des  Thränen-Apparats,  4)  des  ganzen 
Augapfels,  5)  jeder  einzelnen  Haut  des  Augapfels. 

Die  dritte  Klasse  bilden  die  nervösen  Leiden,  Neurosen  und  Neur- 
algien. 

Die  vierte  Klasse  umfaßt  die  Störungen  der  Refraktion  und  Akkom- 
modation, die  fünfte  die  des  binokularen  Sehens;  die  sechste  enthält  die 
Neubildungen,  die  siebente  endlich  die  Verletzungen. 

Das  Werk  ist  eine  gute  Darstellung  des  bisher  bekannten,  dazu  be- 
reichert durch  eigene  Beobachtungen.  Es  ist  das  beste  der  bisher  ei- 
schienenen  spanischen  Lehrbücher  der  Augenheilkunde  >). 

Die  dritte  Ausgabe  führt  den  Titel: 

Tratado  teurico-practico  de  las  enfermedades  des  los  ojos  y  de  sus 
accessorios  por  el  excmo.  e  ilmo.  Sr.  Don  Gayetano  del  Toro  y  Quartilliers. 
Doctor  en  medicina  y  cirujia,  Gadiz  1903.     (2  Bände,  904  +  682  S.)^' 

In  der  Vorrede  erklärt  der  Vf.,  daß  er  einige  Kapitel  verbessert,  andre 
hinzugefügt  und  viele  vollständig  umgearbeitet  habe. 

Mit  großer  Kühnheit  hält  er  der  Fachwissenschaft  den  Spiegel  vor: 
> Immerhin  müssen  wir  die  Thatsache  beherzigen,  daß  die  Augenheilkunde, 
welche  vor  20  Jahren  den  Gipfel  des  Fortschritts  erreicht  zu  haben  schien, 
in  der  letzten  Zeit  stationär  geblieben  ist  und  sogar  den  Anfang  des  Verfalls 
zu  zeigen  beginnt^). « 

1)  So  urtheilt  Carreras  y  Aragö,  C.  El.  f.  A.  1879,  S.  337. 
•2)   Vgl.  C.  Elf.  A.  1904,   S.  74. 
3)  Hierin   hat   er  sich  zum  Glück  getäuscht. 


Lehrbücher,  Kongresse.  Gesellschaften.  317 

Di*'  Einllieilung  ist  im  Wesentlichen  die  gleiche  geblieben,  nur  die  An- 
ordnung etwas  geändert:  die  Geschichte  der  Augenheilkunde,  die  natürlich 
weiter  fortgeführt  ist,  nimmt  jetzt  nicht  den  Anfang  sondern  das  Ende 
des  Buches  ein. 

C.  Sonderschriften. 

Dr.  Ferdinand  Weiler,  Über  die  militärische  Ophthalmie  i). 

Dbi.gado  Jugo,  Higiene  ocular. 

Chiralt,  Higiene  ocular. 

Queratomia  media. 
(Iarreras  y  Arauü,    Memoria   sobre   es    oftalmoscopio.     Estudios  oftal- 

mologicos.  —  La  ceguera  en  Espana.    (Vgl.  §  96 i.) 
Dr.  (Iastillo  y  Quartilliers. 

La  epigrafia  oftälmica. 

La  oft.  en  tiempo  de  los  Romanos  y  de  los  Galo-romanos. 

El  proccder  de  cataratas  de  Liebreich. 

La  hemerolopia. 

El  tratamiento  de  la  sifilis  ocular. 
Dr.  Dias  Rocakull,  La  extension  dd  campo  visual. 

Gki.i'i  y  Jokre,  Tratado  iconogr;ifico  de  las  enfermedades  externas 
del  urgano  de  la  vision.  Barcelona  1885.  (108  farbige  Original-Zeichnungen 
des  A'fs.  auf  20  Tafeln,  aus  der  Klinik  von  Schöler,  von  Panas  u.  a.)  Vgl. 
§  375,  S.  80,  4. 

Dr.  MoRii.LAS,  medicd  militar  en  la  Habana,  Tratado  iconol<')gico  de 
oftalmologi'a. 

Osio,  Oftalmia  purulenta,  Madrid   1880. 

Santiago  Uamon  y  Ga.ial,  La  nHine  des  vertebres,    1894. 

§  963.  Kongresse,  Gesellschaften. 

1 875  auf  dem  Congreso  medico-andaluz  wurde  die  Behandlung  der 
ThränenfisteP)  und  die  moderne  Star-Operation  erörtert.  (Del  Toro  y  Quar- 
tilliers sprach  über  Ausziehung  des  Stars  in  der  Kapsel.) 

Der  Kongreß  zu  Cadiz  1 879  behandelte  das  Glaukom,  die  Anästhesie  bei 
Augen-Operationen  u.  a.  Der  zu  Sevilla  1 882  die  Neurotomia  optico-ciliaris, 
die  Staphylom-Operation,  das  Schielen  der  kleinen  Kinder.  Der  zu  Valencia 
1891  die  Tarsektomie,  die  Augen-Lepra,  den  erblichen  Star,  die  Vorlagerung, 
die  Augen-Diphtherie. 

l;  Das  Werk  war  mir  nicht  zugänglich. 

2)  Rija,  von  rictus  (lat.),  welches  Öffnung  des  Mundes,  auch  des  Auges,  bedeutet. 


318     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

1903  fand  der  XIV.  internationale  medizinische  Kongreß  zu  Madrid 
statt.     Die  officiellen  Fragen  waren: 

Chirurgische  Behandlung  der  Thränenleiden.  Vereinheitlichung  der 
Schriftproben.  Neuritis  optica  bei  akuten  Krankheiten.  Arznei-Mittel,  welche 
auf  Pupille,  Akkommodation  und  Augendruck  wirken.  Augenleiden  durch 
angeborene  Lues^).     Quantitative  Prüfung  der  Farbenblindheit. 

In  Folge  des  Kongresses  bildete  sich  zu  Madrid  eine  Sociedad  Oftal- 
molögica  Hispano-Americana,  mit  jährlicher  Versammlung  zu  Madrid.  ' 

§  964.     Die  Reiseberichte  und  kritischen  Besprechungen 
habe  ich  dies  Mal  an's  Ende  der  Betrachtung  gestellt,  weil  sie  hauptsächlich 
auf  die  zweite  Hälfte  des  Jahrhunderts  sich  beziehen. 

I.  De  l'ophthalmologie  et  de  lophthalmie  militaire  en  Espagne  et  en 
particulier  a  Madrid,  par  le  Dr.  Raphael  Cervkra  de  Madrid.  (Gelesen  in 
der  Sitzung  vom  13.  Sept.  1857  auf  dem  augenärztlichen  Kongreß  /u 
Brüssel.     CR.  1858,  S.  382— 396.) 

Bis  jetzt  giebt  es  keine  Spezialisten  in  Spanien,  also  auch 
keine  Augenärzte. 

Die  inneren  Wirren,  die  Abneigung  der  Kranken,  jungen  Ärzten  sich 
anzuvertrauen,  die  Schwierigkeit  der  Verbindungen  waren  die  Hinderungs- 
Ursachen. 

Diejenigen  Praktiker,  welche  die  Augenheilkunde  betreiben,  haben  in 
der  Fremde  ihre  Studien  vervollständigt. 

Wir  besitzen  die  Übersetzungen  der  Werke  von  Scarpa,  Sichel  und 
Desmarres.  Wer  den  Fortschritt  kennen  lernen  will,  muß  ihn  in  den 
fremden  Literaturen  suchen.  Jeder  Professor  der  Chirurgie  trägt  auch 
gelegentlich  Augenkrankheiten  vor,  die  Augenkranken  werden  in  die  chirur- 
gischen Kliniken  aufgenommen. 

Aber  im  Jahre  1850  hat  die  Regierung  eine  Augenklinik  zu  Madrid 
begründet  und  die  Professur  Hrn.  Calvo  y  Martin  anvertraut.  Doch  kann 
er  nur  die  Hälfte  des  Jahres  diesem  Fach  widmen,  da  er  auch  Syphilis 
lehren  muß. 

Sein  Kurs  dauert  31/2  Monat  und  umfaßt  70—80  Vorlesungen.  Dreißig 
Betten  hat  er  zu  seiner  Verfügung.  Sowie  der  Augen -Kurs  zu  Ende  ist, 
werden  Augenkranke  fast  gar  nicht  mehr  aufgenommen. 

In  der  chirurgischen  Klinik  von  Prof.  Saxchez  de  Toga,  der  übrigens 
auch  ein  ausgezeichneter  Augenarzt  ist,  werden  Augen -Operationen  regel- 
mäßig verrichtet.  Er  zieht  alle  Verfahren  in  Anwendung,  —  gelegentlich 
auf  dem  einen  Auge  die  Ausziehung,  auf  dem  andren  die  Niederdrückung 
oder  Zerstücklung. 


1)  Sitzungs-Bericht,  Klin.  M.  El.  4  903,  S.  546  fgd. 


Reiseberichte  und  kritische  Besprechungen.  319 

Das  Militär-Hospital  zu  Madrid  hat  eine  große  Augen-Abtheilung,  unter 
Dr.  Serr.v. 

Im  alliremeinen  Krankenhaus,  dem  grüßten  des  Königreichs,  richtet 
man  alljährlich  gegen  Mai  und  gegen  September  Säle  zur  Aufnahme  von 
Star- Kranken  ein.  R.vphael  Guardia  und  Antonio  Saez  operiren  daselbst, 
lediglich  durch  unteren  Lappenschnitt,  etwa  hundert  Fälle  im  Jahr. 

Auch  in  andren  Städten  giebt  es  Arzte  und  Wundärzte,  welche  mit 
Erfolg  die  Augenheilkunde  betreiben. 

Das  Haupt-Verfahren  der  Star-Operation  in  Spanien  ist  die 
untere  Ausziehungi). 

Gegen  Augen -Entzündungen  gebraucht  man  in  der  akuten  Periode 
erweichende  Mittel,  in  der  subakuten  auflösende;  die  Anwendung  von 
Silber-Nitrat,  Zink-Sulfat,  Blei-Acetat  ist  sehr  verbreitet.  Kupferstift  wird 
allenthalben  gegen  Granulationen  angewendet.  Die  militärische  Ophthalmie 
behandelt  man  mit  Silber-Nitrat;  auch  wohl  durch  Skarifikation  und  Aus- 
schneidung: besonders  Montaut  zieht  dieses  letztgenannte  Verfahren  vor. 
Die  Pupillen- Bildung  wird  nicht  häufig  in  Spanien  verrichtet.  Die  Thränen- 
fistel  häufiger  operirt,  meist  nach  Dui'uytren. 

Die  Schiel -Operation  war  vor  einigen  Jahren  in  Mode,  hat  aber  z.  Z, 
ihren  Ruf  eingebüßt. 

Die  Verwendung  des  .\ugenspiegels  zur  Diagnose  der  inneren 
Krankheiten  des  Auges  fehlt  fast  vollständig.  Die  Arbeiten  von  Helmholtz, 
RuETE,  E.  Jäger  u.  a.  sind  kaum  bekannt  geworden. 

Unsre  Literatur  zur  Augenheilkunde  muß  also  hinter  der  der  übrigen 
Zweige  des  menschlichen  Wissens  zurückstehen. 

»Aber  dieser  Theil  der  Wissenschaft  war  von  unsren  Vorgängern  er- 
folgreich bearbeitet  worden.« 

Hier  hätte  C.  eher  die  Araber  in  Spanien  anführen  können,  als,  aus  \w&h 
(1785),  die  Erfindung  der  Doppel-Nadel  von  Don  Lor-enzo  Roland.  (Vgl.  unsren 
§  408,   S.  163.) 

Oder,  wenn  er  als  gläubiger  Spanier  von  den  Maui'en  nichts  .wissen  mochte, 
konnte  er  doch  den  Notar  der  heiligen  Inquisition  zu  Sevilla,  Benito  Daqa  de 
Valdes,  und  sein  Buch  vom  Gebrauch  der  Brillen,  aus  dem  Jahre  I  623,  rühmend 
hervorheben  2).     ^§  303.) 

Eine  Statistik  der  Augenkrankheiten  giebt  es  noch  nicht  für  Spanien. 
In  der  Armee  betrug  die  Zahl  der  Augenkranken  5,7^  :  1852;  6^  :  1856. 


1)  Das  spricht  doch  zu  Gunsten  der  spanischen  Wundärzte  und  gegen  Camuset's 
Annahme,  daß  sie  nur  französische  Augenheilkunde  betreiben.  Denn  bis  gegen 
die  Mitte  des  Jahrhundert  war  in  Frankreich  die  Niederlegung  vorherrschend 
gewesen. 

2)  Beiläutig  möchte  ich  hier  bemerken,  daß  im  Don  Quixote  (1.  c.  8,  1605)  die 
Reise-  oderSchutz-B  rillen  als  etwas  ganz  Bekanntes  erwähnt  werden.  (Traian 
sus  antojos  de  Camino  y  sus  quitasoles.) 


320    XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

Die  militärische  Ophthalmie  ist  recht  häufig.     Augenkrankheiten  sind  auch 
in  den  andren  Bevülkerungs- Klassen  sehr  zahlreich. 

Die  Blinden-Ziffer  ist  stark,   doch    fehlt   noch   eine  Statistik. 

II.    L'ophthalmologie   en  Espagne  par  le  Dr.  George  Camuset. 

(A.  d'Oc.  LXXII,  195 — 199,  1874.) 

G.  hat  die  Monate  Juni  und  Juli  des  Jahres  1874  in  Spanien  zugebracht. 

Die  Temperatur   stieg  gewöhnlich   bis    35,  ja   bis    40"  im  Schatten.     Das 

Sonnenlicht,  von  den  weißgetünchten  Häusern  Andalusiens  zurückgestrahlt, 

ist  fast  unerträglich. 

Die  Zahl  der  Blinden  scheint  beträchtlich  zu  sein.  Dabei  ist  Spanien" 
nicht  hinter  dem  Fortschritt  der  letzten  1 0  Jahre  zurückgeblieben.  Fast  in 
jeder  Stadt  giebt  es  einen  Augenarzt,  eine  Klinik  und  Privat-Unterricht. 

III.    Die  Blindheit  in  Spanien,  von  J.  Hirschberg. 
(Deutsche  med.  Wochenschr.  1898,  No.  23;  G.  Bl.  f  A.  1898,  S.  314—318.) 

Spanien  gilt  dem  Deutschen,  besonders  durch  Goethe's  Einfluß,  seit 
lüO  Jahren  als  das  schöne  Land  des  Weins  und  der  Gesänge;  je  weniger 
besucht,  um  so  mehr  wird  es  in  Liedern  und  Romanen  gepriesen. 

Natürlich  hat  es  in  unsrem  Jahrhundert  nicht  an  solchen  Reisenden 
gefehlt,  welche  außer  Bildern,  Kirchen,  Ruinen,  schönen  Gegenden  und 
Stierkämpfen  auch  die  große  Zahl  von  Blinden  in  Spanien  beobachtet 
haben.  Es  ist  fast  ein  viertel  Jahrhundert  her,  daß  ich  selber  in 
einer  Arbeit  über  da.<  Auge  in  forensischer  Hinsicht i)  mit  diesem 
Gegenstand  mich  beschäftigt  hatte.  Die  eigne  Anschauung,  die  ich  kürzlich 
bei  einer  sechswüchentlichen  Reise  in  Spanien  gewonnen,  hat  diese  alten 
Erinnerungen  wieder  wachgerufen  und  mich  veranlaßt,  die  Blindheit  in 
Spanien  etwas  genauer  zu  beschreiljen,  zumal  ich  in  der  Lage  gewesen, 
über  eine  der  Hauptursachen  der  Blindheit,  die  einheimische  Körner- 
krankheit, nach  den  mir  von  spanischen  Augenärzten  gelieferten 
Zahlen,  eine  ausführlichere  Zusammenstellung,  als  bisher  in  der  Literatur 
vorhanden  gewesen,  auf  dem  internat.  demograph.  Kongreß  von  Madrid  vor- 
zulegen. Ich  habe  diesen  Vortrag  in  spanischer  Sprache  gehalten,  weil 
es  sich  um  die  Zahlen  spanischer  Ortschaften  handelte  und  weil  ich  gerade 
auf  die  spanischen  Arzte  einzuwirken  und  möglicherweise  eine  gewisse 
Besserung  der  Zustände  anzubahnen  beabsichtigte^). 


4)  Eulenberg's  Vierteljahresschrift  für  gerichtliche  Medicin  N.  F.,  iBd.  XXIII, 
Heft  2. 

2)  Wegen  dieser  Arbeit  bin  ich  von  einigen  spanischen  Fachgenossen  an- 
gegriffen worden.  Aber  andre  haben  meine  menschenfreundliche  Absicht  besser 
erkannt.  Einer  hat  sogar  in  einer  spanischen  Revue  einen  Artikel  über  mich 
veröffentlicht,  in  welchem  er  mich- als  >verdadero  amigo  della  Espana«  bezeichnet. 
(Espaiia,  20.  Jan.  1900.) 


Die  Blindheit  in  Spanien.  321 

Ich  beginne  mit  den  Reiseberichten. 

Zuerst  erwähne  ich  aus  dem  (im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  ge- 
schriebenen) Buchi]  eines  Nichtarztes  -A  year  in  Spain  -  das  Folgende: 
»Die  zahlreichste  Klasse  der  Bettler  in  Madrid  sind  die  Blinden.  Aber 
auch  aus  den  besseren  Klassen  sieht  man  täglich  sehr  viele  Blinde  auf 
dem  Paseo  lustwandeln.« 

Sodann  betrachte  ich  den  Bericht  des  französischen  Augenarztes 
George  Camuset,  der  in  den  A.  d'Oc.  1874,  Bd.  LXXII,  S.  195,  veröffent- 
licht ist:  »Erschreckend  ist  die  Zahl  der  Augenkranken,  sowie  man  den 
Fuß  auf  spanischen  Boden  setzt.  Die  völlige  Sorglosigkeit  des  Volkes  läßt 
die  Augenübel  einen  Grad  erreichen,  welchen  man  in  Frankreich  nicht 
kennt.  Ein  bhnder  Fatalismus  veranlaßt  sie,  die  Krankheit  gleichgiltig 
hinzunehmen.  Meist  suchen  sie  nur  Hilfe  bei  der  heiligen  Lucia,  deren 
Altar  in  jeder  Kirche  mit  Gelübde- Geschenken  bedeckt  ist.  Der  Mangel 
an  Augenärzten  hat  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  diesen  schlimmen  Zu- 
stand aufrecht  zu  erhalten.  Die  Straßen  der  großen  Städte  sind  in  wahrem 
Sinne  des  Wortes  belagert  von  den  Blinden;  sie  betteln  in  Haufen  von  fünf 
und  sechs  und  rollen  ihre  entarteten  Augäpfel  in  den  Höhlen.  Die  über- 
große Mehrzahl  der  Erblindungen  rührt  her  von  der  Augen -Entzündung 
der  Neugeborenen  oder  von  der  granulösen.  Ich  habe  im  Vorübergehen 
alle  Blinde  untersucht;  unter  mehr  als  300  habe  ich  nur  drei  bis  vier 
Fälle  von  Amaurose  (durch  Leiden  der  inneren  Theile  des  Auges)  vor- 
gefunden.   . 

Ich  will  nicht  unerwähnt  lassen,  daß  mein  Freund  Carreras  y  Arago 
aus  Barcelona,  der,  unmittelbar  nachdem  diese  Mittheilung  gedruckt 
war,  mich  in  Berlin  besuchte,  die  Angaben  Camüset's  für  übertrieben 
erklärte. 

Camlset  schildert  des  weiteren  die  Gründung  der  ersten  Augenklinik, 
die  Cervera  1 852  zu  Madrid  bewerkstelligt  hat,  und  der  andren,  zu  Barce- 
lona unter  Carreras,  zu  Valencia  unter  Armet,  zu  Sevilla  unter  Ghiralt, 
zu  Cadiz  unter  Toro  ;  namentlich  auch  der  prachtvollen,  welche  dem  König 
Amadeo  und  seiner  Gemahlin  zu  verdanken  war,  und  die  unter  Leitung 
von  Delgado  de  Jügo  stand.  Er  rühmt  endlich  mit  Stolz,  daß  alle  spa- 
nischen Augenärzte  in  Paris  gebildet  seien. 

Das  war  wohl  damals  schon  nicht  ganz  richtig  und  gilt  heute  erst 
recht  nicht  mehr.  Ich  habe  in  der  Sitzung  der  medizinischen  Akademie 
zu  Barcelona,  die  mir  zu  Ehren  veranstaltet  wurde,  sowie  in  Madrid  mehrere 
in  Deutschland  gebildete  Augenärzte  und  einige  Schüler  von  mir  selber 
angetroffen. 

lj  Leider  habe  ich  in  meiner  vorher  erwähnten  Arbeit  nichts  über  den  Ver- 
fasser und  den  Druckort  des  Buches  mitgetheilt. 

Handbuch  der  Angenheilknnde.   2.  Aufl.   XIV.  Bd.  (VII.)   XXIII.  Kap.  21 


322     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

Leider  hat  die  Pflege  der  Augenheilkunde  in  der  letzten  Zeit  nicht 
diejenigen  Fortschritte  in  Spanien  gemacht,  die  wir  wünschen  und  er- 
warten sollten.  Cervera  ist  Politiker,  Carreras  und  Chiralt  haben  sich 
von  der  Praxis  zurückgezogen,  Delgado  ist  gestorben;  die  prachtvolle 
Klinik  des  Königs  Amadeo  ist  nach  dessen  Rücktritt  in  Schwierigkeiten 
gerathen.  Es  giebt  keinen  Professor  der  Augenheilkunde  in  Spanien,  keine 
staatliche  oder  gemeindliche  Augen-Heilanstalt ;  nur  Abtheilungen  für  Augen- 
kranke in  den  öffentlichen  Krankenhäusern  und  kleine  Privat- Augenheil- 
anstalten. Es  giebt  keine  spanische  Vereinigung  der  Augenärzte,  obwohl 
mein  Freund  Dr.  Menacho  in  Barcelona  verschiedene  Versuche  gemacht 
hat,  eine  solche  zu  gründen.  Der  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  liegt 
völlig  darnieder.  Sogar  in  Madrid  wird  weiter  nichts  geboten,  als  dif 
Möglichkeit  eines  ergänzenden  Kursus  in  der  Augenheilkunde'). 

Hoffen  wir  eine  Besserung  von  der  binnen  zwei  .Jahren  zu  er- 
wartenden Fertigstellung  der  überaus  prächtigen  und  geräumigen  medi- 
zinischen Fakultät  zu  Barcelona,  die  mir  im  Rohbau  gezeigt  wurde 
von  dem  Herrn  Dekan  Dr.  E.  Bertran  Rübio,  der  seit  40  Jahren  an  der 
Regeneration  des  medizinischen  Unterrichts  in  Spanien  mit  Einsetzung  aller 
seiner  Kräfte  arbeitet,  mit  der  Übersetzung  von  Virchow's  Cellularpathologie 
begonnen  hat  und  jetzt  eine  Einrichtung  fertig  stellt,  in  der  jede  Art 
von  klinischer,  anatomischer,  experimenteller  Unterweisung  ge- 
währleistet ist,  während  in  der  alten  medizinischen  Fakultät  zwar  ein 
sehr  malerisches  Theater  für  Anatomie  besteht,  aber  der  Unterricht 
vielfach  nur  durch  Modelle  und  Zeichnungen  geleistet  wird,  trotz  der 
schönen  Präparate  aus  älterer  Zeit  und  der  Büste  des  würdigen  Gimbernat. 

Wenn  ich  nunmehr  zu  meinen  eigenen  Reise-Beobachtungen 
übergehe,  so  muß  ich  zunächst  hervorheben,  daß  Camusbt  einiges  Recht  hat 
zu  behaupten,  daß  in  Spanien  die  Straßen  von  blinden  Bettlern  wimmeln. 
Die  nördlichen  baskischen  Provinzen,  die  als  besser  gerühmt  werden, 
habe  ich  allerdings  nicht  kennen  gelernt.  Aber  schon  in  Madrid  ist  es 
recht  arg  und  wird  immer  ärger,  je  weiter  man  nach  Süden  kommt.  Im 
schönen  Andalusien  ist  es  nur  noch  wenig  besser,  als  an  der  Nordküste 
von  Afrika,  z.  B.  in  Tanger  oder  Tunis;  allerdings  sichtlich  besser,  als  in 
Ägypten,  das  ja  den  Höhepunkt  der  Blinden-Ziffer  erreicht,  wenigstens 
nach  dem,  was  ich  bisher  in  vier  Erdtheilen  zu  sehen  Gelegenheit  fand. 

Schon  in  Madrid  sah  ich  eine  Musik-Bande  von  neun  erwachsenen 
Blinden  durch  die  Straßen  ziehen;  acht  von  ihnen  hatten  geschrumpfte 
Augäpfel,  einer  litt  an  Amaurose. 


I)  Guia  redactada  con  occassiön  del  XI.  congreso  internacional  de  Hygiene 
y  Demografia,  Madrid  ^898,  S.  211.  Facultad  de  Medicina  de  Madrid  ...  Este 
programa  de  estudios  autoriza  igualmente  cursos  complementarios  con  caräcter 
oficial  de  Sifilografia,  de  Dermatologia,  de  Oftalmologia. 


Die  Blindheit  in  Spanien.  323 

Aber  hier  ist  eine  Thatsache  anzuführen,  daß  nämlich  die  Behörden 
überaus  nachsichtig  gegen  die  Bettler  sind  und  ihnen  erlauben,  ihr  Gewerbe 
frei  auszuüben,  ohne  Beschränkung  der  Freizügigkeit.  So  strömen  in  die 
Städte  die  blinden  Bettler  der  Umgegend  zusammen,  wenn  auch  nicht  an- 
zunehmen ist ,  daß  sie  sehr  weite  Reisen  unternehmen,  rmmerhin  kann 
man  aus  der  einfachen  Beobachtung  die  Zahl  der  Blinden  überschätzen. 

Was  die  Ursache  der  Blindheit  anbetrifft,  so  findet  man  verhältniß- 
mäßig  häutiü  vollständige  Schrumpfung  beider  Augäpfel.  Nirgends  in  der 
Welt  habe  ich  mehr  so  stark  verkleinerte  Augäpfel  gesehen. 

Vielleicht  liegt  dies  in  einer  Besonderheit  der  Volks -Heilkunde  oder 
.Unheilkunde,  die  mir  verborgen  blieb.  Die  Hauptursachen  sind  Eiterung 
der  Neugeborenen,  ägyptische  Augen- Entzündung  und  Pocken.  Die  letzteren 
bildeten  ja  im  vorigen  Jahrhundert  eine  Hauptquelle  der  Erblindung  in 
ganz  Europa;  in  diesem  Jahrhundert  und  gegen  die  Wende  desselben 
findet  man  diese  Ursache  hauptsächlich  nur  noch  im  Osten  und  im  Süden 
unsre.'«  Erdtheils. 

Ferner  muß  ich  bestätigen,  daß  man  zahlreiche  gut  gekleidete  Menschen 
in  Spanien  sieht,  die  auf  beiden  oder  auf  einem  Auge  in  Folge  äußerer  Ent- 
zündung erblindet  sind.  Das  zeigt  sich  auf  jedem  Paseo.  Das  zeigte  .•^ich 
sogar  in  den  Haupt  Sitzungen  des  Kongresses. 

Blinde  findet  man,  wo  man  sie  am  wenigsten  sucht.  Auf  dem  herr- 
liihen  Wacht-Thurni  zu  Cadiz,  wo  die  unbeschränkte  Aussicht  uns  am  ehesten 
das  Hohelied  des  Scharfsehens  aus  Goelhe's  Faust  ins  Gedächtniß  ruft'), 
fand  ich  einen  nahezu  blinden,  körnerkranken  Thürmer^),  der  auf  meine 
Fragen  nichts  zu  erwidern  halte,  als  daß  man  Geduld  üben  müsse. 

Vergleicht  man  nun  mit  diesem  allgemeinen  Eindruck  die  Ziffern 
der  Blindenzählung,  daß  in  Deutschland,  Frankreich,  England  etwa  acht 
bis  neun  Blinde  auf  10  000  Einwohner  kommen,  in  Spanien  H  ^);  so  kann 
man  nicht  umhin,  die  für  Spanien  ermittelte  Zahl  als  unverläßlich  zu  be- 
zeichnen. Sie  entstammt  der  Volkszählung  von  1860.  Auch  die  späteren 
Zählungen  scheinen  mir  noch  nicht  vollständig  gewesen  zu  sein.  Nach  der 
Zusammenstellung  von  Gorr.vdi,  die  Prof.  Cohn  in  seinem  vortrefllichen  Werk 
über  Hygiene  des  Auges'*)  wiedergiebt,  kommen  in  Frankreich,  Deutschland, 
England 5)  84,  85,  88  Blinde  auf  100  000  Einwohner,  in  Spanien  148,  im 
europäischen  Rußland  210. 


1)  II.  Theil,  5.  Act,  4.  Scene. 

2)  Zum  Signalisiren  der  Schiffe  muß  natürlich  ein  Andrer  angestellt  sein. 

3)  Prof.  V.  Mayr,  Die  Verbreitung  der  Blindheit  u.  s.  w.,  München  1877;  Bhnden- 
statistik  von  Prof.  Cohn,  Eulenburg's  Real-Encyclopädie.   -2.  Aufl.,  III,  139. 

4)  Wien  1892,  S.  758. 

5)  Außer  Irland,  das  120  zählt. 

21* 


324    XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

Sehr  interessant  und  für  unsre  Zwecke  wichtig  ist  das  1881  erschienene 
Werk  von  Carreras  y  Aragö  über  die  Bhndheit  in  Spanien  i),  von  dem  das 
C.  Bl.  f.  A.  1881,  S.  499 — 501,  einen  vollständigen  Auszug  liefert.  Carreras 
stützte  sich  auf  die  erwähnte  Volkszählung  von  1860,  welche  11,09  Blinde 
auf  10  000  Einwohner  ergab.  Im  Süden  von  Spanien  ist  das  Mittel  14,78; 
im  Norden  9,06.  Bezüglich  der  Blindheits- Ursachen  findet  Carreras  an 
seinem  eignen  Beobachtungsmaterial  auf  1000  Fälle  von  Augenerblindung 
56  Augen-Eiterung  der  Neugeborenen,  91  Trachom,  43  Pocken,  96  Glau- 
kom, 241  Sehnerven-Leiden.  (Trachom  und  Pocken  spielen  in  meiner  eignen 
Statistik  [aus  Berlin]  eine  sehr  geringe  Rolle.) 

Zum  Schluß  betont  Carreras  die  Nothwendigkeit,  1 .  den  Unterricht  in 
der  Augenheilkunde  obligatorisch  zu  machen;  2.  den  Elementar -Unterricht 
zu  heben;  3.  Blinden-Asyle  zu  gründen;  4.  vier  Inspektoren  für  die  vier 
Hauptbezirke  Spaniens  zu  ernennen,  welche  den  Ursachen  der  Blindheit  und 
den  Mitteln  ihrer  Abhilfe  nachzuforschen  hätten.  Die  Forderungen  des  un- 
ermüdlichen, menschenfreundlichen  Arztes  sind  noch  bis  heute  fromme 
Wünsche  geblieben. 

Bezüglich  der  einen  so  wichtigen  Erblindungs-Ursache,  der  Xcv- 
breitung  der  Kürnerkrankheit  in  Spanien,  verdanke  ich  die  folgenden  stati- 
stischen Mittheilungen  meinen  Freunden  Carreras  y  Aragö  (1)  und  Menacho  [2) 
in  Barcelona  und  Osio  (3)  in  Madrid,  welche  mir  ihre  eignen  Zahlen  und 
die  der  hauptsächlichsten  Augenärzte  Spaniens  gesammelt  haben. 

I.  Im  Norden  von  Spanien  ist  die  Krankheit  gering  oder  mittelstark'-^): 
San  Sebastian  (Dr.  Usierez,  2)  12%o.  Bilbao  (Dr.  Somonte,  2)  Klinik  96,5, 
Privat  32,  zusammen  64,47  o  oo- 

II.  In  den  mittleren  Provinzen  ist  meist  mittelstarke  Erkrankung  zu 
finden:  In  der  (650  m  ü.  M.  gelegenen)  Hauptstadt  Madrid  (Dr.  Pena,  2) 
50  %o-     Madrid  (Dr.  Osio,  3)  80  "/oo- 

Dagegen  hatte  in  Valladolid  (in  der  Ebene  am  Pisuerga  und  Kanal 
von  Castilien  679  m  ü.  M.  gelegen!)  Dr.  Alvarado  (3)  nicht  weniger  als 
266,5 %0)  sogar  in  der  Privatsprechstunde  183,1  %o-  Er  schätzt  das 
Trachom  in  Lugo  und  Orense  auf  200  %0)  i"  Burgos,  Palencia,  Logrono 
und  Leon  auf  60 — 80  %o- 

III.  In  den  östlichen,  am  Mittelmeer  gelegenen  Provinzen  herrscht 
starke  Erkrankung  vor:  Barcelona  (Dr.  Menacho,  2)  Klinik  101,8%o>  Privat- 
sprechstunde  32,8,  zusammen  67,3^00-  Barcelona  Dr.  Carreras  y  Aragö, 
1   und  2)    1 1 9,8  o/oo-     Barcelona   (Dr.  Baraquer)    1 20  o/oo-     Castellon    de   la 


4)  La  ceguera  en  Espana,  Barcelona  4  881. 

2)  Vgl.  meine  Arbeit  in  der  Deutschen  med.  Wochenschrift  1897,  No.  27: 
Trachomfrei  ^  20/oo  (2  Trachomfälle  auf  1000  Augenkranke),  leicht  behaftet  10  bis 
» 50/00,  mittlere  Erkrankung  SOO/qq,  starke  Erkrankung  IOOO/qo,  2000/00  u.  m. 


Die  Körnerkrankheit.  325 

Plana  Dr.  FoRfes,  2)  200,0  o/oo-  Valencia  (Dr.  Blanco,  2)  Klinik  333,8  %o, 
I  Privatsprechstunde  125''/oo;  zusammen  229,9  %o-  Valencia  (Dr.  Aüuiler,  2) 
I  Klinik  266,5  %o»  Privatsprechstunde  183,1  o/oo;  zusammen  238,8  ^qq. 

Die  Zunahme   nach   dem  Süden   zu  ist  deutlich.     Die  südlichen 
!  Bezirke  waren  auch  länger  unter  arabischer  Herrschaft. 

IV.  In  den  südlichen  Provinzen  herrscht  wohl  fast  durchgehends  starke 
I  Erkrankung,  doch  habe  ich  bisher  nur  zwei  Zahlen  erlangen  können:  Gadiz 
iDr.  ToRO,  3)  90  %o-     Sevilla  iDr.  Chiralt,  3)    l02,5%o- 

Die  Zahlen  sind  immerhin  beträchtlich  geringer,  als  die  von  Valencia. 
Dr.  Chiralt^)  betont,  daß  in  der  armen  Bevölkerung  von  Sevilla  die  Krank- 
heit durch  augenärztliches  Wirken  verringert  sei,  daß  aber  in  die  Minen- 
Provinz  Iluelva  immer  neue  Trachom-Familien  eindringen,  aus  den  ärmsten 
Gegenden  von  Spanien  und  Portugal. 

Die  genaueste  Statistik  besitze  ich  von  Carreras  y  Arac;»,')  (1). 
1875  hatte  Barcelona  216  000  Einwohner.  Unter  2459  Kranken  seiner 
Poliklinik  waren  273  Fälle  von  Trachom,  und  zwar  28  akute  und  248  chro- 
nische; das  giebt  11 6,60  %o.  1876  hatte  Barcelona  237  (»00  Einwohner. 
Unter  2443  Kranken  seiner  Poliklinik  waren  311  mit  Trachom,  und  zwar 
33  akute  und  281   chronische;  das  giebt  128  0ojj. 

Unter  395  Fällen  von  Erblindungen  hatte  das  Trachom  die  Erblindung 
von  36  Augen  verursacht.  Männer  12;  5  rechts,  7  beide  Augen;  zusammen 
19  Augen.  Frauen  1 1 ;  3  rechts,  2  links,  6  beide  Augen;  zusammen  17  Augen. 
Unter  1000  blinden  Augen  hatte  das  Trachom  91  mal  die  Erblindung  ver- 
iirsacht! 

Zum  Schluß  dieser  Statistik  erwähne  ich  noch,  daß  Prof.  da  Gama 
Pinto  in  Lissabon  1891  auf  1000  Augenkranke  120  Fälle  von  Trachom 
beobachtete. 

§  965.  Die  Jahres-Berichte  über  die  ophthalmologische 
Literatur  Spaniens, 
die  ich,  mit  Hilfe  meines  Freundes  Dr.  D.  Luis  Carreras  v  Aragö,  in  meinem 
C.  Bl.  f.  A.,  von  seinem  ersten  Beginn  an,  veröffentlicht  habe,  können  uns 
ein  Bild  von  dem  wissenschaftlichen  Leben  gewähren,  das  auf  unsrem 
Gebiet  während  des  letzten  Viertels  vom  19.  Jahrhundert  in  Spanien  ge- 
herrscht hat. 

I.  1877  2).  Thränensackieiden.  Del  Toro  hatte  bei  Ätzung  mit 
salpetersaurem  Uuecksilber-Oxyd  90  %  Heilungen,  Creus  wendet  Jod-Ein- 
spritzung an.     Del  Toro  übt  die  Star-Ausziehung  in  der  Kapsel  bei  modi- 

\)  Revista  de  med.  y  cir.  pract.  XIV,  330  (Marzo  1890,  S.  284). 
2)   C.  Bl.  f.  A.   \  878,  S.  1  5  f.  U.   63  f. 


326     XXIII.  Hirschberg,  Spanische  Augenärzte  im  neunzehnten  Jahrhundert. 

ficirtem  Linear-Schnitt.   Aus  der  Statistik  der  Augenklinik  von  Gaureras 

Y  Aragö  erfahren  wir,  daß  durch  den  KarHsten- Krieg  einige  Ortschaften, 
die  bis  dahin  ganz  frei  gewesen,  mit  Trachom  angesteckt  worden  sind. 

Del  Toro,  Peripherische  Adhärenzen  der  Iris.  Santos  Fernanües,  über 
Augengeschwülste.  Roldan,  Gesichts- Lähmung  mit  Hornhaut-Entzündung. 
DoMiNGüEZ  Medero,  Gliosarkom  bei  4].,  mit  Sarkom  der  Thränen- Drüse. 
DiAZ  RocAFüLL,  Cholestearin  in  der  Linse,  nach  der  Zerstückelung.  Lopez 
DiAz,  Jod-Einspritzungen  in  den  Thränenschlauch.  Garreras  y  Aragö,  Meter- 
Linsen.  Del  ToRO,  Balg-Geschwulst  der  Hornhaut.  Garreras  y  Aragö,  Irid- 
ektomie  bei  Glaukoma.  »Ehre  und  unsterblichen  Ruhm  A.  v.  Graefe  für 
seine  Entdeckung.« 

H.  1879^).  Tratado  de  las  enfermedades  de  los  ojos  .  ,  .  per  el 
Dr.  D.  Gayetako  del  Toro  y  (Jüartilliers.  (Vgl.  962.)  Monographie  über 
die  Entzündung  der  Hornhaut,  von  Dr.  Julian  Lopez  Ocaxa.  Vf.  legt 
großen  Werth  auf  Allgemein -Behandlung  und  verwendet  Chrysophan- 
Säure  (0,15  auf  Gummi  6,  destill.  Wasser  15,)  zur  Einträufelung  bei  pannöser 
Hornhaut-Entzündung,  wenn  der  Reiz-Zustand  nicht  zu  heftig.  Angeborene 
Amaurose,  spontan  geheilt  beim  Auftreten  der  ersten  Menstruation,  von 
Dr.  Santos  Fkrnaxdes'-.  Bericht  über  die  Augenklinik,  von  Dr.  Albitos, 
Madrid  1879.  Metrisch-decimale  Schriftproben,  von  Garreras  y  Arago, 
Hyperästhesie  der  Netzhaut,  besonders  nach  der  Sonnen -Finsterniß 
vom  29.  Juni  1879,  von  Dr.  Santos  Fernandes. 

III.  18803).  Angeborene  Amblyopie  durch  rudimentären  Zustand 
beider  Papillen,  von  Dr.  Santos  Fernandes.   Hypermetropie,  von  Dr.  Garreras 

Y  Aracüi.  Ghinin  als  antiseptisches  Mittel  in  der  Augen-Ghirurgie  (innerlich 
und  äußerlich),  von  Dr.  Lopez  Ocaxa.  Augenleiden  bei  Pellagra,  von  Dr.  Fer- 
RADAS  in  Madrid.  (Im  3.  Stadium  tritt  Phlegmone  der  Augen  auf.)  Die 
Septicämie  des  Auges,  von  Dr.  def,  Toro. 

IV.  1881^).  Über  Kauterisation,  von  Dr.  del  Toro.  Amaurose  nach 
Verletzung  der  Periorbital-Gegend,  von  Dr.  Santos  Fernandes.  (Es  ist  Gehirn- 
Verletzung^*.)  Amaurose  durch  Hysterie,  von  Dr.  Mas.  Pilocarpin,  von 
Dr.  Garreras  y  Aragö.  Brennung  des  Hornhaut-Kegels,  von  Dr.  del  Toro. 
Eserin  bei  Hornhaut-Geschwüren,  von  Dr.  Ghiralt.  Erfolgreiche  Ausziehung 
eines  Zündhut -Splitters  aus  der  Linse,  von  Dr.  Garreras  y  Aragö.  Mono- 
graphie über  die  Krankheiten  der  Thränen -Wege,  von  Dr.  Lopez  Ocaxa, 
Madrid   1881.     (Auch  er  ätzt  mit  salpetersaurem  Ouecksilber.) 


1)  C.  El.  f.  A.  4  879,  S.  336  f. 
2  Ebendas.  S.  338. 

3)  C.  Bl.  f.  A.  4880,  S.  381  f. 

4)  Ebendas.,  1881,  S.  339  f. 

5)  Vgl.  unsren  §  506. 


Jahresberichte.    Rückschau.  327 

§  U6().     Rückschau. 

Das  entsagungsvolle  Urtheil  über  die  spanischen  Beiträge  zur  augen- 
ärzllichen  Wissenschaft,  das  Dr.  Cervera  1857  ausgesprochen,  ist  zwanzig 
Jahre  später  durch  die  fortschreitende  Entwicklung  außer  Kraft  gesetzt 
worden. 

Die  Ausbildung  der  Praxis,  besonders  auch  der  operativen,  ist  der 
Bevölkerung  zu  Gute  gekommen,  obwohl  noch  viel  zu  thun  übrig  bleibt, 
da  die  ausübenden  Ärzte  noch  öfters  über  Gleichgültigkeit  und  Nachlässig- 
keit der  Augenleidenden  klagen.  Die  wissenschaftlichen  Arbeiten  haben 
hauptsächlich  örtliche  Wichtigkeit,  für  Spanien  selber;  einige  aber  erheben 
sich  schon  zu  allgemeinerer  Bedeutung  für  die  Welt-Literatur.  Ein  brauch- 
bares, nationales  Lehrbuch  der  Augenheilkunde  wird  von  Dr.  del  Toro 
geschaffen. 

Die  im  Anfang  des  2ti.  Jahrhunderts  begründeten  Archive  und  Pro- 
fessuren der  Augenheilkunde  an  den  Universitäten  sind  sowohl  Zeichen, 
als  auch  Hebel  des  Fortschritts. 


I 


Anliaug. 

Die  außer- europäischen  Länder  spanischer  Zunge, 
^das  lateinische  Amerika^)   . 

Mit  <  Figur  im  Text. 

§  907.      1.  Kuba. 
Die  herrliche  Colunibus- Säule  im  Hafen  von  Baicelona^)  lenkt  unsren 
Blick  nach  Kuba,  der  Perle  der  Antillen. 

In  der  Habana,  der  Hauptstadt  der  Insel,  haben  vier  Männer  während 
des  neunzehnten  Jahrhunderts  Bemerkenswerthes  in  der  Augenheilkunde 
geleistet: 

I.  Der  Savoyarde  Carron  du  Villards^). 

II.  Don  Jose  Maria  Gonzales  v  Morilla,   Verfasser   einer   zweibän- 
digen Monografia  oftalmica'*). 

III.  Dr.  MoRiLLAS,  Militär-Arzt  in  der  Habana,  Verfasser  von  Tra- 
tado  iconologico  di  oftalmologia. 

IV.  Dr.  Juan  Santos  Fern.\ndes,  Schüler  von  Galezowski,  ein  un- 
ermüdlicher Arbeiter,  Mitbegründer  der  Archivos  de  oftal- 
mologia Hispano-Americanos,  sowie  der  Annales  de 
Oftalmologia^). 

Sehr  tüchtig  ist  sein  klinischer  Bericht: 

i;  Spanisch  wird  gesprochen,  —  außer  in  Spanien  mit  18  Millionen  Ein- 
wohnern, —  in  Mexiko,  Central-  und  Süd-Amerika  von  20  Millionen. 

2)  Wenige  Wochen,  nachdem  ich  dort  geweilt,  erfolgte  die  Kriegs-Erklärung 
Spaniens  an  die  Vereinigten  Staaten.  (23.  April  1898.)  Spanien  verlor  seine  letzte 
Kolonie  in  Amerika.  Am  20.  Mai  1902  hat  der  erste  Präsident  der  Republik  Kuba 
sein  Amt  angetreten.  Bevölkerung  von  Kuba:  (im  Jahre  1836)  730  000;  (1912) 
2  473  600.     Einwohner-Zahl  der  Hauptstadt  Habana:  (1836)  170  000;  (1912;  320  000. 

3)  Vgl.  §  568,  sowie  den  Nachruf  in  den  A.  d'O.  CI,  S.  10,  1889. 

4)  §  949. 

5)  §  961. 


330        XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder  spanischer  Zunge. 

Clinica  de  enfermedados  de  los  Ojos  por  el  Dr.  J.  Santos  FernÄxdes, 
membro  numerario  de  la  Real  Acad.  de  ciencias  medicas  de  la  Habana, 
publicado  por  el  Dr.  D.  Domingo  Madan,  ex-ayudante,  y  el  Dr.  D.  Enrique 
AcosTA,  ayudante  actual.     Habana   1887.     (S",  455  S.) 

Aus  dem  reichen  Inhalt  erwähne  ich  die  folgenden  Kapitel : 

Sehstörung  bei  gelbem  Fieber^),  Antisepsie.  Anästhesie.  Tetanos 
bei  Augen -Verletzungen.  Star-Operation.  Augen-Verletzungen.  Jequirity, 
Bienorrhöe.     Inokulation. 

Sehstörung  bei  Sumpf-Fieber.  Ptosis.  Parasiten  in  den  Wimpern. 
Gliom.  Enukleation.  Flügelfell.  Cocain.  Ophthalmologische  Anthropologie. 
(Refraktion  von  Indianern  und  Negern.) 

Seltenheit  der  Tabaks-Amblyopie  in  der  Ilabana.  Thränen- 
Absonderung,  Vergleichende  Ophthalmologie,  Augenkrankheiten  bei  Thieren. 
Star-  und  Glaukom-Operation. 

Augen-Eiterung  der  Neugeborenen  in  der  Ilabana. 

Auf  allen  Gebieten  der  Augenheilkunde  hat  S.  F.  Wichtiges  geleistet; 
und  namentlich  auch  die  Kenntniß  »der  Augenkrankheiten  in  den 
tropischen  Ländern«   (1903)2'  gefördert. 

Für  Norris  und  Oliver's  System  of  diseases  of  the  eye  (1900)  hat  er 
ein  wichtiges  Kapitel  bearbeitet,  »die  Augen -Störungen  durch  Influenza. 
Dysenterie,  Cholera,  Malaria,  Dengue  und  Gelb -Fieber «3). 

In  der  14.  Jahres- Sitzung  der  Academy  of  Ophthalmology  N.  Y. 
Okt.  19  09;*'  hielt  Dr.  .Juan  Santos  Fernandes  einen  Vortrag  über  einige 
augenärztliche  Beobachtungen,  die  ihm  seine  35jährige  Praxis  in  Kuba  ge- 
liefert hat.  Augenkrankheiten  sind  dort  nicht  heftiger,  sondern  milder,  als 
in  gemäßigten  Klimaten.  Augen-Erkrankungen  durch  AUgemein-Störungen 
hängen  hauptsächlich  von  Anämie  ab.  Sonst  besteht  kein  Unterschied  in 
der  Entwicklung  von  Augenkrankheiten  gegenüber  den  milderen  Klimaten. 
Syphilis  verläuft  'in  Kuba  meist  milde. 

Zusatz. 

Die  Univers  i  da  d  de  la  Hab  an  a  wurde  1721  von  den  Mönchen  des 
Dominikaner-Klosters  San  Juan  de  Leträn  begründet,  1842  verstaatlicht;  und  ent- 


4)  Vgl.  J.  Santos  Fernandes,  Über  Erblindung  beim  gelben  Fieber.  A.  f.  A. 
Xn.  S.  92  —  96,  und  Revue  generale  d'Opht.  1891,  S.  352. 

2)  Internat,  med.  Kongreß  zu  Madrid.  Clinique  opht.  1903,  S.  170;  Münchener 
med.  W.  1903,  S.  878. 

3)  Ich  selber  habe  mit  Don  Juan  Santos  Fernandes  seit  Jahrzehnten  gute 
Beziehungen  unterhalten.  Im  Jahre  1907  hat  er  über  den  Katalog  meiner  Bücher- 
Sammlung  eine  Mittheilung  veröffentlicht.  Sein  Assistent  Dr.  Francisco  Maria  Fer- 
nandes hat  über  seine  wissenschaftliche  Reise  nach  New  York  und  durch  Europa 
ausführhchen  Bericht  erstattet.     (Correspondencias  scientificas,  64  S.) 

4)  Ophthalmie  Record  1909,  S.  51  ö. 


Kuba.     Mexico.  331 

hält  eine  Escuela  de  medicina,   die  nach  5 jährigem  Studium  4fn  Doctor  en 
mediciua  verleiht '). 

i[)\i  wird  als  Professor, der  Augenheilkunde  Carlos  Fixlay  y  Shine  genannt  -). 

§  968.     2.  Von  Mexico ^'j 
ist  mehr  /u  melden: 

Daniel  M.  Vfir.Ez  und  Manuel  Urihe  Troncoso,  beide  aus  Mexico,  zeich- 
nen ah  Herausgeber  der  Annales  de  Oftalmologia   1898.     (§  962.) 

Die  beiden  genannten  nebst  Dr.  Chavez  bilden  1 903  den  Organisations- 
Ausschuß  (Comision  de  organizacion)  der  augenärztlichen  Gesellschaft  von 
Mexico  (Societad  oft.  Mexicana),  wie  im  Jan. -Heft  1003  der  genannten 
Annales  zu  lesen. 

Vor  mir  liegen: 

1)  Memorias  de  la  primera  reunion  anual  de  Soc.  oft. 
Mexicana,  veriücada  en  la  ciudad  de  Mexico  dal  27  al  31  de 
Mayo  de  1903.     (Mexico   1903,  232  S.)  —  Ferner 

2)  Memorias  de  la  secunda  reunion  ...  del  2  al  6  de  Mayo 
1905.     (M.   1906,  204  S.) 

In  1.  (S.  9 — 1ö)  giebt  der  Vorsitzende,  Dr.  L.  Cha>ez,  einen  Bericht 
über  die  Augenheilkunde  in  Mexico: 

Nach  dem  Zeugniß  eines  deutschen  Jesuiten  wurde  im  1 8.  Jahrhundert 
die  N'iederdrückung  des  Stars  mit  Geschick  in  Mexico  verrichtet,  im 
19.  Jahrhundert,  nach  der  Erlangung  der  Unabhängigkeit,  wirkte  Dr.  Miquel 
MuNGz,  welcher  in  Mexico  die  erste  Star-Ausziehung  verrichtete.  Dr.  Josfi 
Maria  V£rtiz,  der  die  erste  (auf  Grund  eines  Vermächtnisses  errichtete 
Augenklinik  verwaltete,  hat  stets  die  Ausziehung  geübt,  —  trotz  der  An- 
griffe, welche  gegen  ihn  1852  Garron  di  Villards*),  entschiedener  Anhänger 
der  Niederdrückung,  gerichtet  hat. 

Im  Jahre  1856  brachte  Dr.  D.  iManuel  Carmona  y  Valle  den  Augen- 
spiegel aus  Europa  und  verbreitete  auch  die  Forschungen  eines  A.  v.  Graefe 
und  DoNDERS  in  Mexico.  In  der  Augen -Abtheilung  des  Jesus-Hospitals 
gründete  er  eine  wirkliche  Schule  der  Augenärzte,  aus  der  die  Dok- 
toren D.  Jos£  Maria  Bandera,  D.  Ricardo  VfiRiiz  u.  A.  hervorgegangen 
sind.     R.  VfeRTiz  gab  seine  große  Allgemein-Praxis  auf,  widmete  sich  aus- 

ij  Minerva  1911,  I,  öl  8. 
21  Minerva  II,  S.  309. 

3)  1319  von  den  Spaniern,  unter  Cortez,  in  Besitz  genommen;  seit  1823  bundes- 
staatliche Republik.  Im  Jahre  1912  betrug  die  Einwohnerzahl  der  Republik  15  Mil- 
lionen, die  der  gleichnamigen  Hauptstadt  471  000. 

Minerva  (I,  S.  316)  bringt  nur  die  folgenden  Worte :  »Universitäten  in  Gua- 
dalajara und  Merida;  escuela  de  medicina  in  Mexiko«. 

4)  Vgl.  §  583. 


332     XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder  spanischer  Zunge. 

schließlich  der  Augenheilkunde  und  ist  als  der  erste  wirkliche  Augen- 
arzt in  Mexico  zu  bezeichnen.  Ihm  ist  die  Gründung  der  Augenklinik 
(1 883)  und  eines  Augen-Krankenhauses  (1 886)  zu  verdanken.  Er  entfaltete 
eine  reiche  Lehrthätigkeit. 

Im  Jahre  1888  erlangte  er  von  der  Regierung  die  Schaffung  einer 
Professur  der  Augenheilkunde  in  der  Medizin-Schule,  wurde  selber 
für  dieses  Amt  ausersehen,  starb  aber  in  dem  nämlichen  Jahre.  Im  fol- 
genden wurde  D.  Jost  Ramos  zum  Professor  ernannt.  Die  Augen-Heil- 
anstalt ging  nach  dem  Tode  von  V£rtiz  ein,  wurde  aber  neu  begründet, 
Oktober  i  898,  im  Hospital  de  Nuestra  Senora  de  la  Luz,  auf  Grund  neuer 
Vermächtnisse. 

Durch  die  private  Klinik  von  V£rtiz  und  die  amtliche  von  Ramos 
wurde  der  Unterricht  in  der  Augenheilkunde  erleichtert,  die  Liebe  zum 
Fach  gestärkt.  Die  Zahl  der  Augenärzte  wuchs  so  an,  daß  1893  die  Ge- 
sellschaft, Sociedad  de  Oftalmologia,  gegründet  werden  konnte. 

Vier  Jahre  hintereinander  hielt  sie  ihre  Sitzungen.  Dann  kam  eine 
Unterbrechung,  hierauf  eine  neue  Sitzung  1901,  welcher  Dr.  Galezowski  aus 
Paris  beiwohnte. 

Mit  der  Gründung  der  Annales  de  Oftalmologia  (1898)  sind  die 
Arbeiten  der  Gesellschaft  auch  im  Auslande  bekannt  geworden. 

Jetzt  zählt  die  Gesellschaft  30  Mitglieder  in  der  Republik  und  6  Auswärtige. 

Unter  den  Arbeiten,  welche  in  1  veröffentlicht  sind,  nenne  ich  die  folgen- 
den: Ersatz-Operationen  der  Enukleation  (Dr.  Fernando  Lopez).  Verbrennuni: 
des  Auges  mit  Potasche  und  traumatische  KurzsichtigReit  (Dr.  Antonio  Alonso, 
San  Luis  Potosi).  Flügelfell  (Dr.  P.  de  Obbario^',  San  Salvador,  Central-Anierika). 
Über  Schriftskalen,  Farben  der  Signal-Lichter.  —  Dr.  Uriue  Troncoso  :  Über 
Skiaskopie,  über  Verbesserung  des  Javal'schen  Ophthalmometers,  über  die  Zu- 
sammensetzung des  Kammerwassers  bei  Greisen-Star.  Dr.  Rafael  Silva  :  Über 
optische,  über  operative  Behandlung  der  Myopie. 

Aus  2.  erwähne  ich  nur  die  Mitlheilungen  von  Dr.  Josfi  Ramos  (I)  und 
Dr.  M.  P.  Colmenores  (II)  (Orizaba):  »Über  die  eitrige  Augen-Entzündung  als 
Erblinduugs-Ursache  in  Mexico«  2).  Die  Blindenziffer  für  Mexico  ist  10:  10000 
(15  im  Staat  Aguascalientes;  7,8  in  Mexico);  49<*/'q  der  Insassen  des  Blinden- 
Asjls  haben  durch  Augen-Eiterung  der  Neugeborenen  die  Sehkraft  verloren. 
Eine  Kommission  muß  geschaffen  werden,  um  Besserung  zu  erzielen. 

Der  erste  Professor  der  Augenheilkunde  in  Mexico, 

Dr.  Josfi  Ramos  (1858—1909)3). 

Geboren  im  August  1 858  zu  San  Luis  Potosi,  hatte  J.  R.  große  Schwierigkeiten 

zu  überwinden,    studirte  Heilkunde  von  1876 — 1881,  wurde  sofort  Lehrer 


1)  Derselbe  hat  in  Berhn  gearbeitet,  auch  bei  mir. 

•2)  Weder   in  Nagel's  Jahrbuch,    noch    in    E.  Jackson's  Jahrbuch,    noch   im 
C.  Bl.  f.  A.  1906,  angedeutet. 

3)  Anal,  de  oftalm. IX,  9.  März  1909.  (Emilio  F.  Montano.)   C.  Bl.  f.  A.  1 909,  S.  -l  85. 


Mexico.     R.  Vörtiz.     Jose  Ramos. 


333 


Pathologie 
die  er  bis 


der  Physik  und  Geographie  an  dem  wissenschaftlichen  Institut  von  Toluca, 
konnte  eine  Reise  nach  Europa  unternehmen  und  studirte  zu  Paris  unter 
Jaccoid,  Panas  und  Galezowski.  Bei  dem  letzteren  gewann  er  die  Stelle 
eines  Assistenten. 

Heimgekehrt,   erhielt  er  zuerst  die  Professur  der  inneren  Pathologie, 
übernahm   auch  die  Vertretung  von  Dr.  Ricardo  VrcRTiz  und  bekam  nach 
dessen  Tode  (1889)  die  Professur  der  Augenheilkunde,  die  er  9  Jahre  lang 
ruhmreich  verwaltete;  dann  wurde 
er  durch  besondere  Umstände  ge- 
nöthigt,  diese  Stellung  zu  verlassen 
und   die    Professur  der 
wieder  zu  übernehmen, 
zu  seinem  Tode  leitete. 

(893  wurde  erbei  der  Gründung 
der  augenärztlichen  Gesellschaft  zum 
Vorsitzenden  gewählt.  Wiederholt 
hat  er  Mexico  amtlich  vertreten  auf 
Kongressen,  z.  B.  1890  in  Berlin, 
woselbst  er,  als  erster,  über  die 
Häufigkeit  von  Refraktions-Fehlcrn 
in  Mexico  Bericht  erstattete  i).  (Un- 
ter den  Eingeborenen  von  Mexico 
fehlt  die  Kurzsichtigkeit  fast  voll- 
ständig; unter  den  Mischlingen 
kommt  sie  vor,  aber  nicht  in  dem 
Betrage,  wie  unter  den  dort  leben- 
den Europäern.)  Auf  einer  seiner 
Reisen  nach  den  Vereinigten  Staaten 

wurde  er  zum  Ehren-Doktor  der  Universität  Havard  gewählt  und  kurz 
vor  seinem  Tode  zum  Vorsitzenden  des  Instituto  Medico  Nacional 
ernannt. 

Seinen  ärztlichen  Beruf  hat  er  verwaltet,  wie  ein  Priesterthum.  Über- 
anstrengung hat  seinen  vorzeitigen  Tod  herbeigeführt. 

Seine  Dissertation  behandelt  »Die  Augen-Erscheinungen  bei  der  Diagnose 
von  Nervenkrankheiten « . 

Die  Erscheinungen  des  Cysticercus  im  Augen-Innern  hat  er,  als  erster  in 
seinem  Lande,    1889  beschrieben. 

Er  schrieb  über  nervöse  Erblindung,   über  Astigmatismus. 

Er  schuf  einen  Apparat  zur  Messung  des  Lichtsinns  und  decimale  Schrift- 
tafeln, nach  dem  psychophysischen  Gesetz  von  Fechner. 


Dr.  Jose  Ramos. 


1)  Vgl.   C.  Bl.   f.   A.   1890,   S.  228. 


334     XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder  spanischer  Zunge. 


Uribe  Troncoso 

hat  sich  hauptsächhch  bekannt  gemacht  durch  seine  experimentellen  Arbeiten 
über  die  Filtration  salzhaltiger  und  albuminöser  Flüssigkeiten  durch  die  Vorder- 
kammer und  ihre  Wirksamkeit  in  der  Entstehung  des  Glaukoms  (A.  d'Oc. 
CXXXIII,   3,    1905:   ferner  CXXXIV,   S.  250,   GXXXVII,   S.  132,   1907)  D. 

Wir  haben  von  ihm  auch  Versuche  über  den  intraokularen  Dinick  in 
Mexico.  (La  clinique  ophtb.  VII,  No.  20,  1901.)  Die  Stadt  M.  liegt  2265  m 
über  dem  Meer  (Barometer-Druck  58  cm\  Der  Blutdruck  ist  daselbst  =  I  5  cm 
gegen  1 9  cm  in  Paris.  Der  Augendruck  beim  Kaninchen  =  2 1  mm  Queck- 
silbei*,  gegen  25  bis  26  in  Heidelberg  (Th.  Leber). 

Diese  Arbeit  ist  nirgends  referirt  und  auch  in  unsrem  Handbuch  (a.  a.  U. 
nicht  angeführt. 

Ferner  schrieb  U.  T.  >Über  Pathogenie  des  Glaukoms«.  (A.  d'Oc.  CXXVI, 
S.  401 — 454.  Das  systematisch  allen  Glaukom- Augen  entnommene  Kammer- 
wasser ergab  verhältnißmäßig  große  Mengen  Eiweiß.) 

Endlich   »Zur  Schul -Hygiene«.     (Annales  de  oftalmologia,  Jan.   1901.) 

§  909.      3.   Venezuela 

besitzt  in  Caracas  eine  Central-Universität,  welcbe  1721  begründet,  1825  er- 
öffnet wurde.  Aus  Venezuela  stammten  Delgado  Jugo  (§  951)  und  Osio  (§  955), 
die  beide  zu  Madrid  ihren  Wirkungskreis  gefunden  haben. 

4.   Über  Demicheri  in  Montevideo  vgl.   §  961. 

5.   In  Uruguay 

besteht  die  Universität  zu  Montevideo  seit   18  49,  die  medizinische  Fakultät  seit 
1876 2).      Für    1911    wird    als    Leiter    der    ophthahnologischen    Klinik    genannt., 
Alberto  Vasquez  Barriere.  J 

6.   In  Argentinien  3)  1 

wurde  die  Universität  zu  Buenos  Aires  1621  eingeweiht.  Die  medizinische 
Fakultät  hat  siebenjährigen  Kursus.  Leiter  der  ophthalmologischen  Klinik  ist 
Pedro  Lagleyze  (1911).  Die  Universität  zu  Cordoba,  1613  vom  Bischof  be- 
gründet, wurde  185  4  unter  den  Schutz  der  Nation  gestellt,  1878  die  medi- 
zinische Fakultät  eingerichtet.  Ophthalmologie  lehrt  Manuel  Vidal  Pena  (191  1), 
(Die  Universität  von  la  Plata  besitzt  keine  medizinische  Fakultät.)  .■ 

Im  Jahre  1906  erschien:  Clinica  ophthalmolögica*),  Servicio  del  Professor 
P.  Lagleyze.  Jefe  de  clinica,  A.  Nocetti,  Jefe  del  Laboratorio,  E.  B.  Demaria. 
Buenos  Ayres   1906.    (72   und   15  S.) 

1)  In  unsrem  Handbuch  (2.,  II.  Th.  Leber,  1903)  natürlich  noch  nicht  er- 
wähnt.   Gewiß  aber  in  der  dritten  Auflage,  die  demnächst  erscheinen  wird. 

2)  Minerva  I,  S.  332,   1911. 

3)  Minerva  I,  S.  521  fgd.,   1911. 

4)  Kurz  angezeigt  im  C.  Bl.  f.  A.  1907,  S.  110. 


Venezuela.    Uruguay.    Argentinien.    Peru.     Chile.  335 

Sehr  benierkenswerth,  sowohl  durch  die  Statistik  als  auch  durch  seltene 
Fälle  (Sehnerven-Geschwulst,  Hydatiden  der  Orbita),  sowie  durch  zwei  Abhand- 
lungen:  <)  Über  das  Auge  der  Albinos;   2)  Über  Influenza-Conjunctivitis. 

Erwähnung  verdient  das  folgende  Werk:  Dr.  Pierre  Lagleyze,  Prof.  d'Opht. 
ä  l'Univorsite  de  Buenos  Avres,  President  de  TAcademie  de  Medecine  etc.  Du 
Strabisme,  Recherches  etiologiques,  Pathogenie,  Mecanisme  du  traitement. 
Paris    1913.    (409  S.)!'. 

hn  Jahre  1914  erhielt  ich  Boletin  de  la  Sociedad  de  Oftalmologia 
de  Buenos  Aires  (Anno  I,  Nüin.  1,  Enero  de   1914)2). 

Unter  den  3  1  Mitgliedern  der  neuen  augenärztlichen  Gesellschaft 
konnte  ich  drei  gute  Bekannte  begrüßen  (Demaiu'a,  Lagleyze,  Wernicke).  Die 
wissenschaftlichen  Mitthe ilungen  dieses  ersten  Berichtes  sind  die  folgenden : 
Myiasis  palpebrae:  Prof.  Dr.  P.  Lagleyze.  Leontiasis  ossea:  Prof.  Dr.  P.  La- 
GLEVZK.  Iritis  especilica  y  Tabes:  Dr.  Otto  Wernicke.  Tumor  hipofisario  sin 
acromegalia  y  con  sintonias  oculares:  Dootores  A.  Noceti  y  B.  A.  Houssav. 
Quistes  dermoideos  orbitarios :   Dr.   Lionel  Dods. 

hii  folgenden  Jahre  erschien:  Boletin  de  la  Sociedad  de  Oftalmologia 
de  Buenos  Ayres.  II,  2.  Januar  1915-^).  (Vorsitzender  Dr.  Pedro  Lagleyze  .  .  . 
Vorales  l^d.  h.  Räthe  mit  Sitz  und  Stimme],  Dr.  Adolfo  Noceti,  Dr.  Otto  Weh- 
nicke.) Inhalt:  Hyalin-amyloide  Entartung  von  Lid-Bindehaut  und  Knorpel: 
Prof.  Pedro  Lagleyze.  Iris-Kondylome ;  Dr.  Juan  Santos  Ferxandes.  Osteom 
in  der  Orbita:  Dr.  P.  B.  Ferro.  Metastatischer  Aderhaut-Krebs:  D'res.  Enriquc 
B.  Demari'a  und  Raul  ArgannarÄz.  Lid-Bildung :  Dr.  Fr.  Belgeri.  Einige 
Gegen-Anzeigen  des  Salvarsan:  Dr.  R.  Argannaraz.  Fremdkörper  in  der  Orbita: 
Dr.  Al.  Gowland.  Ursprung  des  Pigments  in  den  Aderhaut-Sarkomen:  Dr.  R. 
AhgannarÄz. 

i?  970.      7.   In   Peru 

wurde  die  Universität  zu  Lima  1551  begründet,  1861  neu  eingerichtet ;  sie  be- 
sitzt eine  medizinische  Fakultät*).  Ricardo  L.  Flores  lehrt  Augenheilkunde 
(1911). 

8.   Die  Universidad  de  Chile 

zu  Santiago  (1743  von  den  Jesuiten  gegründet),  besitzt  eine  medizinische  Fa- 
kultät, die  6jährigen  Sludiengang  vorschreibt^). 

Professor  der  Augenheilkunde  war  1906  Maxi.mo  Cienfuegos,  1911  Ale- 
jandro  Mujica. 

Im  Jahre  1885  erschien  zu  Santiago  de  Chile:  Clinica  oftalmolögica  de  la 
Dispensaria  Santa  Rosa  por  el  Doctor  J.  Camo  M.,  Profesor  extraordinario  di 
oculistica  de  la  Universidad  de  Chile.  (88  S.)  Handelt  vom  Flügelfell,  vom 
Jodoform  in  der  Augenheilkunde,  von  der  streifigen  Keratitis  bei  sekundärer 
Syphilis,  von  der  Behandlung  des  Schielens. 

I]  C.  Bl.  f.  A.  1943,  S.  11;  1914,  S.  1-24. 

2;  Ebendas.  1915,  S.  11. 

3)  Ebendas.,  S.  207. 

4)  Minerva  I,  S.  529,  1911. 
5;  Minerva  I,  S.  531,  1911, 


336     XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder  spanischer  Zunge. 

Maximo  Cienfuegos  hatte  im  Jahre  1880  unter  meiner  Obhut  seine  Disser- 
tation über  die  senilen  Veränderungen  des  Auges  verfaßt.  In  seiner  Heimath 
gelangte  er  bald  zu  hohen  Würden  und  hat  30  Jahre  lang  in  Lehre  und  Praxis 
der  Augenheilkunde  zu  Santiago  die  hervorragendste  Stellung  eingenommen  und 
außerdem  um  den  medizinischen  Unterricht  und  die  Hygiene  seines  Vaterlandes 
große  Verdienste  sich  erworben  i). 

Ein  jüngerer  Zeitgenosse  von  Cienfuegos  ist  Dr.  Manuel  J.  Barrenechea 
aus  Santiago,  der  gleichfalls  zu  Berlin  studirte  und  (aus  meinem  Material)  Bei- 
träge zur  Geschwulst-Lehre  des  Auges  im  C.  Bl.  f.  A.  1889  (S.  101  — 106) 
veröffentlicht  hat. 


i)  C.  Bl.  f.  A.  1911,  S.  61.  (J.  Hirschberg.)  1910  hatte  er  noch  mit  Frau  und 
Tochter  die  Stätte  seiner  Studien  wieder  besucht  und  fröhlich  mit  mir  alte  Er- 
innerungen ausgetauscht. 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 

Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 

Von 

J.  Hirschberg, 

Professor  in  Berlin. 

Drittes  Buch. 

Zwanzigster  Abschnitt. 
Portugiesische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 


Eingegangen  im  Juli  19I6. 


ft 


§  971.    Portugal, 


das  bis  zu  unsren  Tagen  nicht  wieder  so  große  Arzte  in  seinen  Grenzen  er- 
stehen sah,  als  diejenigen  gewesen,  die  es  vor  Jahrhunderten  wegen  ihres  jüdi- 
schen Glaubens  von  sich  gestoßen  i),  erhielt  gegen  Ende  des  1 8.  Jahrhunderts 
ein  Lehrbuch  der  Augenheilkunde,  das,  ohne  Originalität  zu  zeigen,  doch  immer- 
hin erheblich  besser  war,  als  die  gleichzeitigen  spanischen  Werke  von  Vidai. 
und  Naval^]^   nämlich 

Elementes  de  cirurgia  ocular  offrecidos  a  Sua  Altezza  Real  0  Senhor 
D.  Joäo  Principe  de  Bresil  por  Joaqui.m  Jose  de  Santa  Anxa,  Lente  Oculista  do 
Hospital  Real  de  S.Jose  desta  Corte.      Lisboa   179-3.     (295  S.j^> 


4)  Amatüs  Lüsitanüs,  1511  bei  Coimbra  geboren,  nach  1361  zu  Saloniki  ge- 
storben. Schrieb  »In  Dioscur.  de  medica  materia  libros  quinque  enarrationes« 
(1533);  >Curat.  medic.  centuriae  septem«  (1563;.     Biogr.  Lex.  I,  119. 

Z.^cuTus  LusiTANUs,  geb.  1573  zu  Lissabon,  gest.  1642  zu  Amsterdam,  ver- 
faßte »De  medicorum  principum  historia«  (1629),  >Praxis  niedicae  admiranda«  (1634), 
»Introitus  ad  praxin  et  pharm acopce am«  (1641).  Biogr.  Lex.  VI,  333.  — Wir  hatten 
bereits  im  §  359,  S.  äl,  seinen  Fall  von  »Ophthalmia  Gallica  Mercurii  ope  curata« 
zu  erwähnen. 

2,  Vgl.  §  408. 

3)  Der  Freundlichkeit  des  Herrn  Kollegen  Pinto  de  Gama  zu  Lissabon  hatte 
ich  dies  seltene  Buch  zu  verdanken.     Vgl.  §  4  80. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.   2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VII.J    XXIJI.  Kap.  ,  22 


I 


338         XXIII.  Hirschberg,  Portugiesische  Augenärzte  im  -i  9.  Jahrhundert. 

Der  Vf.  erklärt  offen,  daß  er  Plenck"s  doctrina  de  morbis  oculi  zur 
Grundlage  genommen,  doch  gelegentlich  etwas  verbessert  habe,  nach  andren 
Verfassern  oder  nach  eigner  Erfahrung.  Für  die  theoretische  Einleitung  stütze 
er  sich  auf  L.  Flohexs  Deshais-Gexdron  i).  Übrigens  kenne  ich  aus  dem 
19.  Jahrhundert  nur  ein  Lehrbuch  unsres  Faches  in  portugiesischer  Sprache,  das 
aber  nicht  in  Portugal,  sondern  in  Brasilien  erschienen  ist: 

De  Azevado,  Manual  des  molestias  dos  olhos,  Rio  Janeiro   184  4. 

Die  Augenheilkunde  in  Portugal,  um  die  Mitte  des  19.  Jahr- 
hunderts, schildert  uns  der  Bericht  des  Dr.  J.  A.  Marques,  aus  dem  Jahre 
1857  2). 

»Portugal  hat  die  Ophthalmologie  noch  nicht  von  der  allgemeinen 
Praxis  abgetrennt.  Man  studirte  in  Portugal  die  Augenheilkunde^  man  ver- 
richtete die  Augen -Operationen;  aber  es  gab  keinen  Arzt,  der  sich  aus- 
schließlich dem  Augenleiden  widmete. 

Seit  einigen  Jahren  folgt  Portugal  den  Spuren  der  übrigen  Länder 
Europas.  Heutzutage  beweist  es  unablässig  sein  Interesse  für  den  Fort- 
schritt der  Augenheilkunde  als  Fach-Wissenschaft. 

Es  giebt  zwar  noch  keine  Augen-Meilanstalt  in  Portugal,  aber  doch  in 
einigen  Krankenhäusern  besondere  Säle  für  Augenkranke. 

Der  erste  Saal  für  Augenleidende  wurde  im  Militär-Hospital  zu  Lissa- 
bon unter  Sa  Mendes  eingerichtet,  nachdem  die  Abnahme  der  militärischen 
Ophthalmie  die  Schließung  der  Sonder-Hospitäler  ermöglicht  hatte. 

Im  Hospital  St.  Jos6  wirkt  J.  G.  Loureiro,  der  seit  1846  3)  jn  Portugal 
mit  Augenheilkunde  sich  beschäftigt. 

Die  beiden  genannten  Herren  haben  zu  Lissabon  für  Augenleidende  eine 
Poliklinik  errichtet,  die  jetzt  von  dem  letztgenannten  verwaltet  wird. 

Arbeiten  über  Augenheilkunde  sind  sparsam,  abgesehen  von  denen  über 
die  militärische  Ophthalmie. 

In  Lissabon,  Porto  und  andren  Städten  giebt  es  geschickte  Chirurgen, 
welche  erfolgreich  Augenheilkunde  betreiben  und  Augen -Operationen  aus- 
führen,  ohne  jedoch   Spezialisten    zu   sein.      Einige   von    ihnen   haben   die 


4)   §  376. 

2)  De  rophthalmologie  an  Portugal.  Congrös  d'Ophth.  du  Bruxelles.  (C.  R. 
4858,  S.  419 — 490.)  Der  Vf.  war  Brigade-Wundarzt  (Chirurgien  du  brigade  graduö, 
Adjoint  au  commandement  en  chef  de  Tarmee  portugaise). 

3)  Schon  etwas  früher,  wie  ich  finde.  Denn  im  Jahre  1844  ist  zu  Lissabon 
gedruckt: 

Recueil  de  quelques  ecrits  ophthalmologiques  publies  dans  difförents  journaux 
fran(;ais  et  beiges,  par  J.  G.  Loureiro,  Dr.  en  m6d.  et  chir.  de  la  Facultö  de  Bruxelles, 
m^d.  et  chir.  de  l'Ecole  medico-chirurgicale  de  Lisbonne,  ancien  möd.  adjoint  de 
l'Inst.  ophth.  de  Bruxelles.     (98  S.,  80.) 

Es  möge  genügen,  die  Titel  der  einzelnen  Abhandlungen  hier  anzuführen: 
1.  Blausäure  gegen  Lichtscheu.  2.  Pfriemen -Verletzung.  3.  Unvollständige  Läh- 
mung beider  dritten  Nerven.  4.  Staphylom- Operation.  5.  Absceß.  6.  Flecken 
der  Hornhaut. 


Augenheilkunde  in  Portugal.  339 

Augenkliniken  in  Frankreich  besucht,  so  der  Baron  Kekeler  und  Magalhäes 
CoüTiNHu;  andre  die  von  Belgien,  so  Glerreiro,  Lolreiro  und. May  Fk.ueira. 

§  972.     Die  militärische  Ophthalmie  in  Portugal 
erörtert  derselbe  Dr.  Marques  •). 

Beginn  1849.  Von  1840 — 1848  war  das  Verhältniß  der  Augen-Leiden 
zu  den  übrigen  Krankheiten  für  die  Aufnahme  in  die  Militär-Hospitäler  wie 
2,187:  147,273  d.h.  1:70.  Aber  1849  wie  1  :  28;  1850  wie  1:7;  noch 
1855  wie  1:19. 

Man  hat  sich  eifrig  mit  der  Ausrottung  der  militärischen  Ophthalmie 
beschäftigt,  aber  dieselbe  noch  nicht  durchgesetzt.  Von  den  I  0  000  Fällen, 
die  bis  April  1857  in  die  Militär-Hospitäler  Aufnahme  gefunden,  sind  152 
dienstuntauglich  geworden;  davon  55  auf  beiden  Augen  erblindet. 

In  den  Jahren  1809 — 1814  hatte  weder  die  portugiesische  Armee  noch 
die  englische  in  Portugal  erheblich  an  der  Ophthalmie  gelitten.  Auch  nicht 
die  belgischen  Truppen,  die  183^  Porto  besetzten  und  bis  1834  unter 
D.  Miguel  fochten. 

Unter  den  Zöglingen  der  Casa  pia  hat  die  Ophthalmie  seit  Jahrzehnten 
sich  endemisch  gezeigt,   1835y6  in  der  eitrigen  Form. 

Endemische  Körner-Krankheit  in  den  Seestädten  Portugals  leug- 
net der  Vf. 

Auf  dem  zweiten  internationalen  Kongreß  der  Augenärzte  zu  Paris  hat 
Marques  seine  Erörterung  fortgesetzt  2). 

§  973.     Augenärztliche  Dissertationen 
sind  in  den  Jahren  1876  — 1878  an  der  Escola  Medico-Cirurgica  zu  Lissabon 
vertheidigt  worden,  und  zwar  die  folgenden: 

Atrophia  do  nervo  optico,  por  F.  L.  da  Fonseca  junior,   1876. 
Conjunctivite  diphtherica,  por  A.  J.  do  Garmo  Borges,   1876. 
Parasitismo  ocular,  por  J.  A.  Alfredo  de  Sousa,   1877. 
Ophthalmia  sympathica,  por  Vicente  Galväo,   1878. 
Glaucoraa  e   seu  tratamento   (dissertagäo   de  concurso),   por  Gregorio 
RoDRiGUES  Fbrnandes,  1878. 

Eine  portugiesische  Zeitschrift  für  Augenheilkunde 
hat  erst  20  Jahre  nach  der  Zeit,   wo  Marques  den  Beginn   des  Interesses 
für  dieses  Fach  in  seinem  Vaterlande  feststellen  konnte,  das  Licht  des  Tages 
erblickt. 


1)  A.  a.  0.   S.  193—228. 

2)  CR.,  S.  127.     Man  ist  aber  über  seine  Erörterungen  zur  Tages-Ordnung 
übergegangen. 

22* 


340         XXIII.  Hirschberg,  Portugiesische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 
Vor  mir  liegt 

Periodico  de  ophthalmologica  pratica 

editado  por  Dr.  van  der  Laan  e  F.  L.  da  Fonseca  junior,  medicos-oculistas, 
em  Lisboa,  Numero  I,  Janeiro  1878,  Lisboa.  Das  Programm  erklärt  als 
Ziel  der  Zeitschrift,  dem  praktischen  Arzt  den  gegenwärtigen  Zustand  der 
Augenheilkunde,  so  vollständig  und  so  einfach,  wie  möglich,  vorzuführen. 
>Como  norma  escolhemos  a  Folha  central  de  ophthalmologia  pratica 
do  doutor  Hirschberg  de  Berlin«  .  .  .  Jeden  zweiten  Monat  ist  ein  Heft 
erschienen. 

Aber  die  Vereinigung  der  beiden  Herren  ist  bald  in  die  Brüche  ge- 
gangen. Der  zweite  Jahrgang,  übrigens  vom  Jahre  i881,  ist  von  Dr.  van 
DER  Laan  allein  herausgegeben.  Bald  danach  scheint  das  Blatt  eingegangen 
zu  sein. 

Hingegen  erschien   1880 

Archivo  ophthalmotherapico  de  Lisboa.  Editor  L.  da  Fonseca,  Medice 
Oculista  da  Real  Casa  Pia.  Dies  Archiv  scheint  es  auch  nicht  auf  viele 
Jahre  ^)  gebracht  zu  haben,  obwohl  es  Dr.  May  Fiüüeira  und  Maria  Barbosa 
aus  Lissabon,  A.  Glerra  aus  Porto,  Carreras  y  Aragu  aus  Barcelona,  Gama 
Pinto  aus  Heidelberg,  Wecker  und  Landoi.t  aus  Paris,  Scellingo  aus  Rom, 
Rky.mond  aus  Turin  und  Moura  Brazil  aus  Rio  de  Janeiro  zu  Mitarbeitern 
gewonnen  hatte. 

Ich  habe  die  beiden- Herausgeber  gut  gekannt  und  sie  auch  veranlaßt, 
ihren  Zeitschriften  ein  »Bulletin  pour  l'Etranger«  beizufügen. 

Van  der  Laan  war  Niederländer,  der  wegen  schwacher  Gesundheit  den 
Süden  aufsuchte,  Schüler  von  Donders^)  und  seinerseits  Lehrer  von  Fonseca 
und  von  Placido.     Leider  ist  er  nicht  alt  geworden, 

Fonseca  jr.  stammt  aus  einer  alten  Arzt-Familie.  Er  hat  Augenkliniken 
in  Frankreich  und  Deutschland  besucht,  auch  die  meinige. 

§  974.  Berichte  über  die  ophthalmologische  Literatur  Por- 
tugals, deren  ersten  Herr  Kollege  J.  R.  da  Gama  Pinto  aus  Goa,  damals 
in  Heidelberg,  mir  geliefert,  sind  im  C.  Bl.  f.  A.  (seit  1878)  erschienen. 

Aus  dem  Begleit -Brief  von  Dr.  da  Gama  Pinto  ist  der  folgende  Satz 
abgedruckt:  »Vous  rendrez  un  service  a  la  science  et  au  Portugal  qui,  si 
pres  de  l'Afrique,  a  peut-etre  la  renomm6e  d'un  pays  africain.    Sans  doute 

1)  Der  VI.  Jahrgang  wird  erwähnt  in  Nagel's  Jahresbericht  1885,  Bibl.  S.  23. 
(Subsidios  para  a  historia  da  ophthalmologia  em  Portugal.)  Der  VIII.  Jahrg.,  eben- 
das.  1887,  Bibl.  S.  23. 

2)  Van  DER  Laan,  Over  gezigtstoorniß  bij  albuminurie,  im  1 0.  Jahresbericht 
von  DoNDERs'  Gasthuis  voor  ooglijders,  1865,  S.  163. 


i 


Portugiesische  Zeitschriften  für  Augenheilkunde.  341 

nous  sorames  tres-  arrieres,  mais  cela  n'emp^che  pas,  que  nous  puissions 
produire,  de  temps  en  temps,  iin  travail  digne  d'etre  appr^cie  par  les 
nations  plus  avancees.« 

I.  Periodico   1878/79.     (C.  Bl  f.  A.   1878^8.364.) 

^ .  Über  die  Innervation  der  Lider,  von  Prof.  M.  B.  de  Souza. 

1.  Strychnin  bei  Erkrankungen   der  Netzhaut  und   des  Sehnerven,   von  Dr. 

van  der  Laan. 
3.  Über    Cysticercus    des   Auges,    von    Dr.  L.  da  Fonseca.    ;ln    Portugal 

1  :  20  000  Augenkr.) 
*.  Über  Behandlung  der  Netzhaut-Ablösung,  von  Dr.  van  der  Laan. 

5.  Über  Heilung  der  sympathischen  Ophthalmie,  von  demselben. 

6.  Über  Drainage  des  Auges   bei  absolutem  Glaukom,  von  Dr.  A.  Guerrer. 

7.  Über  Behandlung  der  Skleritis,  von  Dr.  van  der  Laan. 

8.  Über  Auskratzen   der  Bindehaut-Körner  mit  dem  Daumen-Nagel    nach 

ScellingO;,  von  Dr.  da  Fonseca. 

9.  Versuche  mit  Duboisin,  von  Dr.  van  der  Laan. 
<0.  Klinische  Fälle,  von  demselben. 

II.  Periodico   1880.     (C.  Bl.  f.  A.   1880,  S.  158  u.  448.) 

Die  7jährige  Statistik  von  Dr.  van  der  Laan  umfaßt  8698  Kranke  und 
1 960  Operationen.  Die  Granulationen  linden  :<ich  ausschließlich  bei  den 
armen  Klassen,  besonders  aus  der  Provinz  Algarve '). 

Das  Flügelfell  ist  sehr  häufig  (1  :  139).  Bei  angeborenem  Star  wird 
die  hintere  Kapsel  eröffnet,  die  weiche  Masse  in  den  Glaskörper  entleert, 
und  mit  einer  andren  Nadel  die  Vorderkapsel  gespalten. 

Statistik  von  150  Star-Ausziehungen,  nach  A.  v.  Graefe  und  nach  Lieb- 
reich, mit  6  %  Verlusten. 

Symmetrische  Gummigeschwulst. 

Placido,  Crystalloconus  polaris  anterior  congenitus. 

^Die  Beobachtung  rührt  von  Placido  her,  nicht  von  van  der  Laan,  wie 
man  nach  unsrem  Handbuch,  VI,  2,  §  126,  annehmen  könnte.  Er  hielt 
sie  für  ganz  neu.  Aber  Dr.  Webster  in  New  York  hatte  schon  1874,  in 
Knapp's  Arch.  IV,  2,  S.  262,  einen  Fall  von  Lenticonus  beschrieben.) 

Retinitis  proliferans,  von  van  der  Laan. 

Behandlung  der  diphth.  Bindehaut- Entzündung  (mit  warmen  Um- 
schlägen der  4  %  Borsäure -Lösung,)  von  Gama  Pinto,  Ass.  d.  Augenklinik 
zu  Heidelberg. 

Das  wichtigste,  was  die  Zeitschrift  van  der  Laan's  gebracht 
hat,  ist  das  Keratoskop  von  Placido. 

(Periodico  1880,  o  u.  6,  und  besonders  1881,  No.  1  u.  2 :  Alteragoes 
de  symetria  da  superficie  da  cornea.  Estudos  praticos  feitos  com  o  auxilio 
do  nosso  »Astigmatoscopio  explorador«.  In  unsrem  Handbuch,  IV,  1,  §  48, 
woselbst  das  Instrument  auch  abgebildet  ist,  wird  als  erste  Veröffentlichung 


r  Es  ist  die  südlichste.    Bis  1251   stand  sie  unter  maurischer  Herrschaft. 


342         XXIII.  Hirschberg,  Portugiesische  Augenärzte  im  4  9.  Jahrhundert. 

C.  Bl.  f.  A.  1882,  S.  30,  angegeben,  wo  ein  französischer  Brief  von  Dr.  Pla- 
ciDO  aus  Porto  über  sein  Keratoskop  sich  findet.) 

Mr.  le  Professeur  Hirschberg,  et  tres  hoaore  Confrere. 
La  lettre  de  Mr.  le  Dr.  Javal,  de  Paris  (qui  se  trouve  dans  le  dernier  No. 
de  votie  Journal,  page  122),  pouvant  insinuer  quelque  doute  sur  la  legitimite 
de  mon  droit  d'invention  de  ma  methode  keratoscopique  et  de  mon  keratoscope, 
je  tiens  ä  vous  declarer  que  mon  petit  instrument  ä  ete  employe  dans  la  cli- 
nique  du  Dr.  van  der  Laan  (ä  Lisbonne)  ä  partir  du  mois  de  fevrier  de  1880; 
par  consequent  —  sept  mois  avant  le  congres  ophthalmologique  de  Milan, 
et  dixhuit  mois  avant  le  congres  de  Londres  —  oü  Mr.  le  Dr.  Javal  a 
annonce   son  ophthalmometre  ä  disque. 

Dr.  A.  Placido  i). 

III.  Archivio  ophth.    1880. 

Fonseca,  Hysterische  Amaurose. 

Derselbe,  Behandlung  der  Thränensack-Entzündung. 

Derselbe,  Amblyopie  durch  Nikotin  und  Alkohol. 

Gama  Pinto  (Heidelberg,,  Diagnostischer  Werth  der  Röthung  der  Netzhaut 

und  des  Sehnerven. 
Moura  Brasil,  Behandlung  der  Netzhaut-Ablösung. 
Derselbe,  Star-Operation    mit  radiärer  Spaltung  der  Iris). 

IV.  Archivio  ophth.  1881.    (G.  Bl.  f.  A.  1881,  S.  447.) 

At  rop  in -Vergiftung  (nach  Einträufelung),  von  Dr.  A.  Guerra,  aus  Porto. 
Hysterische  Amaurose,  von  Fonseca. 
Ret.  proliferans,  von  demselben. 

Jequirity-Behandlung  der   Granulöse,    von   Dr.  Moura  Brasil,   zu    Rio 
de  Janeiro.     (Dies  ist  die  wichtigste  Abhandlung  des  Archivio. 

§  975.     Ein  Institute  ophthalmologico 
wurde  1891   zu  Lissabon  begründet  und  Herrn  Prof.  Gama  Pinto  anvertraut. 

In  Goa  (Portugies.  Indien)  geboren,  begann  derselbe  seine  augenärzt- 
lichen Studien  bei  mir  in  Berlin,  war  dann  Assistent  an  der  Universitäts- 
Augenklinik  zu  Heidelberg,  wurde  daselbst  a.  o.  Professor  und  hat  nicht 
nur  an  0.  Becker's  »Anatomie  der  gesunden  und  kranken  Linse«  (1883) 
mitgearbeitet,  sondern  auch  eine  eigne  Sonderschrift  »Netzhaut- Gliome« 
(Wiesbaden  1886)  herausgegeben. 

Das  vom  Staat  ihm  zur  Verfügung  gestellte  Haus  ist  nicht  ganz  dem 
Zweck  entsprechend,  enthält  aber  1 00  Betten.  Zahl  der  Kranken  alljähr- 
lich 3500,  der  Operationen  500.  Assistent  ist  Dr.  Meyer,  gleichfalls  ein 
Schüler  von  0.  Becker. 

In  seiner  Lissabonner  Zeit  hat  Gama  Pinto  für  die  Encyclopedie 
frangaise  d'Opht.  die  beiden  Abhandlungen  über 

Glaukom  und  über  sympathische  Ophthalmie  geliefert.  (V, 
S.  1—365,  1906.) 

-1)  Herbst  1915  habe  ich  von  ihm  noch  ein  Paar  freundliche  Zeilen  erhalten. 


Instituto  ophthalm.  zu  Lissabon.     Die  Blindheit  in  Portugal.  343 

Bei  Gelegenheit  des  XV.  internationalen  medizinischen  Kongresses,  der 
April  1906  zu  Lissabon  stattfand,  berichtete  Prof.  Axbnfeld  (Klin.  M.  Bl.  f.  A. 
XLIV,  S.  533)  das  folgende: 

»Portugal  hat  bisher  keinen  obligatorischen  Unterricht  in  der  Augen- 
heilkunde. Die  Universität  Coimbra  entbehrt  deshalb  eines  klinischen 
Lehrstuhls  für  dieses  Fach.  Nur  in  der  von  Gama  Pinto  aus  eigner  In- 
itiative errichteten,  sehr  besuchten  und  wohl  eingerichteten  Klinik  zu  Lissa- 
bon werden  Kurse  in  der  Augenheilkunde  gehalten.  Aber  dieser  Unter- 
richt ist  nur  fakultativ!« 

Die  Universität, 
welche  der  Papst  eigentlich  für  Lissabon  1 290  bestätigt  hatte,  wurde  nach 
dem  ruhigeren  Uoimbra  verlegt,  wechselte  aber  Jahrhunderte  lang  zwischen 
beiden  Städten;  seit  1537  ist  sie  dauernd  in  Coimbra  verblieben.    Es  giebt 
lentes',  cathedraticos  und  c.  substitutos.     Studien-Dauer  6  Jahre. 

In  Lissabon  besteht  also  keine  Universität,  wohl  aber  eine  Escola 
medico-cirurgica,  die  schon  1556  gegründet  und  1836  neu  gestaltet 
worden. 

Ein  Professor  der  Augenheilkunde  fehlt  in  der  Liste  2). 

§  976.     Die  Blindheit  in  Portugal 

ist  auf  dim  erwähnten  Kongreß  (1906)  von  Dr.  F.  Meyer  (Lissabon)  erörtert 
worden. 

Drei  amtliche  Volkszählungen  (1870,  1890,  1900)  ergaben  die  Blinden- 
zifl'ern  20,  121-2)  '  '  :  10  000  und  eine  private  (1904,  von  Branco  Kodrigues) 
13'  2'.  10  000. 

Jetzt  wurde  eine  Sonder-Er  hebung  veranstaltet,  durch  Fragebogen, 
um  auch  die  Ursachen  der  Erblindung  festzustellen.  Das  Ergehniß  war 
622-2  Blinde  auf  5  166841  Einwohner,  d.i.  12:10000.  (Doch  dürfte  die 
wirkliche  Blindenziffer  höher  sein.)     Dazu  kommen  6320  Einäugige. 

Angeborene  Blindheit  wurden  für  9,1%  der  Blinden  angegeben,  Ver- 
letzungen für  8,6^0,  Pocken  für  7ö„.  (Erst  seit  1901  ist  die  Schutz- 
pocken-Impfung pflichtmäßig.) 

Bei  den  533  Blinden,  die  im  Institut  untersucht  worden,  fanden  sich 
noch  als  wichtige  Ursachen:  Erkrankung  des  Gentral-Nervensystems  17%, 
Trachom  3,2%,  Gonokokken-Conjunctivitis  4,5  »o,  Myopie  3,75%,  GlanJiom 
35,17%.  Die  Glaukom-Kranken  kommen  zu  spät,  wegen  der  man- 
gelnden Ausbildung  der  Ärzte.  Vermeidbar  erscheinen  50  ^'q  der  Blind- 
heiten.    Die  Regierung  könnte  viel  thun. 

I    »Lesende«,  d.  h.  Lehrer. 
2;  Minerva  1906.  S.  602. 


344         XXIII.  Hirschberg,  Portugiesische  Augenärzte  im  <  9.  Jahrhundert. 

In  der  Diskussion  betonte  da  Gama  Pinto,  die  hohe  ßlinden-ZifYer  werde 
auch  dadurch  verursacht,  daß  Blindheit  für  Bettler  und  ihre  Angehörigen 
ganz  einträglich  sei. 

Mit  Unerfreulichem  begann  und  schließt  leider  unsre  Betrachtung  der 
augenärztlichen  Verhältnisse  Portugals.  Der  Menschenfreund  möchte  den 
Wunsch  nach  einem  neuen  Pombal  hinzufügen,  der  auch  auf  unsrem  Ge- 
biet Wandel  schaffen  könnte. 

§977.     Anhang.     Brasilien  i). 

Eine  Fakultät  der  Medizin,  Chirurgie  und  Pharmacie  wurde  zu  Bahia 
1808  gegründet  und  wiederholentlich  verbessert  2),  Studien-Dauer  6,  bezw. 
5  Jahre.  Für  19H  ist  als  Direktor  der  ophthalmologischen  Klinik  in  Bahia 
S.  Pereira  und  in  Rio  de  Janeiro  A.  Fialho  genannt  3). 

In  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts  haben  einige  Augenärzte 
Brasiliens  Bedeutendes  geleistet. 

1.  HiLARio  DE  GouvJ^A  aus  Rio  begann  1 867  seine  augenärztlichen 
Studien  in  der  Klinik  von  A.  v.  Grakfe*)  und  wurde  später  Assistent  in  der 
Augenklinik  unter  0.  Becker;  dann  kehrte  er  nach  seiner  Heimath  zurück 
und  hat  eine  bedeutende  praktische  und  Lehr-Thätigkeit  entfaltet. 

Aus  den  Fährlichkeiten  politischer  Wirren  ist  er  gesund  und  munter 
hervorgegangen,  lebte  lange  in  Paris,  ist  später  nach  seiner  Heimath  zu- 
rückgekehrt und  hat  auch  noch  im  20.  Jahrhundert  seine  Thatkraft  bewahrt. 

H.  de  G.  hat  deutsch,  französisch,  portugiesisch  geschrieben. 

A)  1.  A.  f.  0.  XV,    1,  247—274,    1869.     Versuche  über  die  Entstehung  von  Glas- 

körper-Ablösung in  Folge  von  Glaskörper-Verlust.     (In  Heidelberg,   auf 
Vorschlag  von  Prof.  Iwan  off,  1868  gearbeitet.) 

2.  Ebendas.  XXIX,  167—300,  1883.    Beiträge  zur  Kenntniß  der  Hemeralopie  und 

Xerophthalmie  aus  Ernährungs-Störungen.    (Bei  Negersklaven,  die  schwer 
arbeiten  mußten  und  ungenügende  Nahrung  erhielten,  entstand  Kerato- 
malacia    cachectica.     Vgl.    auch    unser  Handbuch   XI),   I,   §  217,    1004. 
A.  Groenouw.) 
8.  A.  f.  A.  I,  I,  106.    Kalkverbrennung  der  Hornhaut. 

B)  4.  Ebendas.  CXI,  363.     Amaurose  quinique.     (In  Rio  ist  Malaria  die  häufigste 

Krankheit,  der  Chinin -Verbrauch  ein  ungeheurer.    Fall  von  bemerkens- 
werter Heilung.     Vgl.  C.  El.  f.  A.  1894,  S.  233.) 

.5.  Ebendas.  CXIV,  472.     Sur  Fop^ratlon  de  l'entropion  granuleux. 

6.  Ebendas.  CXV,  471.     Sur  les  manifestations  oculaires  de  la  lepre. 


1)  4  500  von  Cabral  entdeckt  und  für  Portugal  in  Besitz  genommen,  1822 
unabliängig,  Kaiserreich  unter  Dom  Pedro  I.,  dem  Sohn  des  Königs  von  Portugal. 
Dom  Pedro  II.  wurde  1889  gestürzt  und  die  Repubhk  verkündigt.  Landes-Sprache 
ist  natürlich  das  Portugiesische, 

2)  Minerva  I,  S.  525,  1911. 

3]  Minerva  XXI,  S.  63  u.  1132. 

4)  Er  war  hier  sehr  beliebt.  —  Wir  wurden  und  blieben  gute  Freunde;  1894 
in  Rom  (Internat.  Kongr.)  habe  ich  ihn  wieder  gesehen. 


Brasilien.  345 

7.  Ebeiidas.  CXVII,  334  u.  CXVIII,  96.    Manifestations  oculaires  de  Tepilepsie. 

8.  Ebendas.    CXIX,  360    u.    CXXI,    298,    Traitement    op^ratoire    du    leucome 

adh^rent  et  du  staphylome  partiel  qui  en  resulte. 

9.  Ebendas.  CXXI,   298,   <899,   La  eure   radical  du   lupus  palpebral  par  ex- 

cision  .  .  . 
C    10.  A  Cocaina  na  chir.  e  therap.  oculare.     Rio  de  Janeiro  1885. 

II.  Dos  estados  patologicos  do  organismo  e  suas  manifestacönes  ocu- 
lares  pelo  Dr.  J.  Correa  db  Bittencourt,  Ophthalmologista  do  Rio  de  Janeiro, 
Ex-chefe  de  clinica  ophth.  do  professor  L.  de  Wecker  .  .  .   Maranhäo   1889. 

(488  S.l 

Es  ist  die  dritte  Sonderschrift  dieses  Inhalts  in  der  Welt-Literatur.  (Vgl. 
§  I  M  1.1 

BiTTENcovRT  schricb  auch  1896  über  die  Augenstörungen  bei  Beriberi, 
ebenso  wie  sein  Landsmann  .Jose  Laurenco  zu  Bahia,  <872.  (Vgl.  unser  Hand- 
buch XI,  1,   §  340,   A.  Groenouw.) 

III.  G.\M.v  LoBO  aus  Rio  de  Janeiro 
hat   1872  auf  dem  IV.  internationalen  Ophthalmologen-Kongreß  zu  London^) 
neue  Messungen  des  Abstandes  der  hinteren  Linsenfläche  von  der  Horn- 
haut mitgetheilt,  wobei  er  sich  auf  Helmooltzs  Rath  des  durch  einen  Spalt 
in  ein  dunkles  Zimmer  geleiteten  Sonnenlichtes  bediente. 

IV.  MouRA  Brasil  aus  Rio  de  Janeiro 
brachte  September  1882  eine  Mittheilung 2)  über  Jequirity-Behandlung  der 
granulösen   Bindehaut-Leiden,  wie   sie    seit  langer  Zeit   in  Brasilien   volks- 
thümhch  ist. 

L.  DE  Wecker,  der  in  der  JuU- August- Nummer  der  A.  d'Oc.  1882 
über  denselben  Gegenstand  geschrieben,  macht  jenem  die  Priorität  streitig 3). 

Tu.  Saemisch's  gründliche  Abhandlung  über  Jequirity  möchte  ich  durch 
einige  geschichtliche  Bemerkungen  vervollständigen^). 

Jequirity^)  ist  der  brasilianische  Name  für  die  Erbsen  eines  Strauches 
(Abrus  praecatorius ,  Leguminos.\  der  in  Ostindien  seit  uralter  Zeit  bekannt, 
über  Asien,  Afrika,  Weslindien  und  Brasilien^)  sich  verbreitet  liat.  Die  glatten, 
harten  Erbsen  fühi-en  wegen  ihrer  hauptsächlichen  Verwendung  zu  Rosenkränzen 
den  Volksnamen  Paternostei'-Erbsen.  In  Ostindien  wurden  sie  seit  alter  Zeit 
zum  Wägen  der  Perlen  und  auch  zum  Vergiften  des  Viehes  der  Feinde  benutzt. 
Denn  sie   enthalten,  wie  wir  jetzt  wissen,    ein  Toxalbumin,    das  Abrin   genannt 

1)  C.  R..  S.  14  6— U8.  —  Vgl.  auch  Kl.  M.  El.  X,  288. 

2;  Archivio   ophthalmotherapico  de  Lisboa,   Sept.   1882.      Vgl.  §974.;     Nicht 
erwähnt  bei  Th.  Saemisch.  in  unsrem  Handbuch,  IV,  I,  S.  206. 
3;  A.  d'Oc.  1883,  S.  99. 

4)  Vgl.  meine  Abhandlung  über  die  Körner-Krankheit,  1904,  Khn.  Jahrb.,  S.  23. 

5)  Wohl  aus  einer  brasihanischen  Indianer -Sprache,  ebenso  wie  das  Wort 
Jaborandi.  Letzteres  finde  ich  schon  im  Nachtrag  der  letzten  -13.)  Ausgabe  des 
Wörterbuches  der  spanischen  Akademie,  vom  Jahre  1899;  Jequirity  noch  nicht. 

6)  Die  Pflanze  soll  auch  autochthon  in  Brasiliens  Urwäldern  vorkommen. 


346         XXIII.  Hirschberg,  Portugiesische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

wird  1).  Schon  1746  hat  James  in  seinem  medizinischen  Wörterbuch  diese 
Erbsen  gegen  Augen-Entzündung  und  zur  Aufhellung  der  Sehkraft  empfohlen ; 
und  im  Anfang  des  t9.  Jahrhunderts  Gay  in  seinem  Supplement  zu  den  Phar- 
makopoen sie  als  Augenmittel  erwähnt.  Auf  der  Welt- Ausstellung  zu  Phila- 
delphia (1876)  waren  sie  in  der  brasilianischen  Abtheilung  als  Volks-Heilmittel  j 
gegen  chronische  Augen-Entzündung  vertreten. 

In  Europa    gebrauchte    auf  Rath    eines    seiner  Kranken    zuerst    v.   Wecker  , 
in  Paris    1882   die  volksthüraliche   Vorschrift. 

Der  Ausspruch  v.  Wecker's,  daß  beim  Gebrauch  dieses  Mittels  die  Hornhaut 
keine  Gefahr  läuft,   und  daß  dabei  nicht  bloß  die  Körnerkrankheit,   sondern  auch 
das  Hornhaut-Fell   geheilt   werde,   hat  sich   als   irrig   herausgestellt.     Während 
einige  Fachgenossen  das  Mittel  in  den  Himmel  erhoben,  hatte  J.  Jacobson  1886    j 
in    einem    sehr    scharfen    Artikel    über    die    Jequiritiy-Reklam  e^]    die  Fach-  ■ 
genossen  dringend  vor  dem  Mittel  gewarnt.     Sein  damaliger  Assistent  Vossius^)   I 
hatte    aus    50    therapeutischen  Versuchen   den  Schluß    gezogen,    daß   das  Mittel 
wegen    der    ihm    anhaftenden    Gefahren    unerlaubt    sei   für   die  noch  sehfähigen 
Augen.      Auch   A.    v.    Hippel   erkläi-t,    daß    dabei    die   Hornhaut    gefährdet   sei,   , 
wenn   nicht    starke    pannöse   Trübung    derselben   bestand.     H.   Knapp ■•)    schließt 
sich    den  Warnungen   an,    da    er   in  einem  Falle  von  chronischer  Körnerkrank- 
heit   mit   dichtem  Pannus  nach  Anwendung  des  Jequirity  Diphtherie   der  Binde- 
haut, Zerstörung  der  Hornhaut  und  Pan tophthalmie  in  beiden  Augen  be- 
obachtete. 

Noch  eines  immerhin  merkwürdigen  Irrthums  ist  bei  Gelegenheit  des 
Jequirity  zu  gedenken.  Sattler^)  fand  in  dem  Jequirity-Aufguß  eine  nach 
seiner  Ansicht  charakteristische  und  pathogene  Bacillus-Art,  die  im  Kampf  um's 
Dasein  die  »Mikrokokken  des  Trachom«  vernichte.  Diese  moderne,  mit  Dah- 
wix's  Grundsätzen  und  den  heutigen  Überzeugungen  von  der  Wirksamkeit  der 
Klein-Lebewesen  so  schön  stimmende  Lehre  hat  sich  nicht  bestätigt.  A.  v. 
Hippel •*)  fand  in  Heu-  und  Erbsen-Aufgüssen  den  gleichen  Bacillus,  leugnet 
seine  pathogene  Bedeutung  und  leitet  die  Wirkung  des  Jequirity  von  einem 
ungeformten  Ferment  ab.  Neisser  '')  zeigte,  daß  bakterienfreie  Aufgüsse  ebenso 
wirksam  sind,  wie  bakterienhaltige,  dagegen  Impfungen  mit  Reinkulturen  der 
Bakterien  wirkungslos  bleiben;  in  der  Absonderung  der  Jequirity- Ophthalmie 
sowie  in  dem  Gewebe  der  geschwollenen  Lider  werden  die  Bacillen  nicht  ge- 
funden. Gleichzeitig  haben  E.  Salomonsen^)  in  Kopenhagen  und  Christian 
DiRKiNCK-HoLMFELD  durcli  eine  gleich  gründliche  IJntersuchungsreihe  die  folgenden 
Thatsachen  erhärtet: 

r   Die  Jequirity-Ophthalmie  wird  nicht  durch  Baktei'ien  verursacht.     2)  Sie 
wird  dagegen  dui'ch  ein  in  dem  Jequirity-Samen  enthaltenes  Gi  ft  hervorgerufen,    ■ 
welches  in  Wasser  und  Glycerin  löslich,  in  Alkohol,  Äther,  Benzin  und  Chloro- 
form unlöslich  ist  und  durch  einstündige  Erwärmung  auf  65 — 7  O"  C  vollständig 


1)  Warden  und  Wadek,  Pharmaz.  Zeitschr.  1884,  No.  73. 

2)  Deutsche  med.  Zeitschr.  1884,  S.  568. 

3)  Berl.  klin.  Wochenschr.  1884,  No.  7;  C.  El.  f.  A.  1884,  S.  127. 

4)  Arch.  of  Ophth.,  Bd.  13,  No.  i,  1884. 

5)  Wien.  med.  Wochenschr.    1883,    No.  17,    18,19,    20,   21;    C.  Bl.  f.  A.   1883, 
S.  227  u.  523. 

6)  Arch.  f.  Ophth.,  Bd.  19,  No.  4;  C.  Bl.  f.  A.  1883,  S.  463. 

7)  Fortschr.  d.  Med.  1884,  No.  3|;  C.  Bl.  f.  A.  1884,  S.  51. 

8'  Fortschr.  d.  Med.  1884,  No.  3;  C.  Bl.  f.  A.  1884,  S.  91   u.  124. 


Brasilien:  Jequirity.  347 

unwirksam  wird.  3)  Schon  die  Giftnienge,  welche  in  ^  looooo  §  Jequirity-Samen 
enthalten  ist,  reicht  hin,  um  eine  deutliche  Conjunctivitis  beim  Kaninchen  her- 
vorzurulen.  —  Auf  Mäuse  und  Frösche  wirkt  das  Gift,  subcutan  injicirt,  schnell 
tötend.  Auch  E.  Klein  in  London  hat  nachgewiesen  i),  daß  der  SATTLER'sche 
Hauptsatz,  der  Jequirity-Aufguß  verdanke  seine  entzündungs-erregende  Eiiien- 
schafl  einem  Bacillus,  unhaltbar  ist.  Endlich  gelang  in  demselben  Jahre,  18  84, 
den  Herrn  Brcvlams  und  Vknnemann  '-)  der  Nachweis,  daß  das  wirksame  Princip 
des  Jequirity  ein  Ferment  ist,  welches  während  der  Keimung  sich  bildet.  Sie 
nannten  dasselbe  Jequiritin  und  fanden  beim  Kaninchen  '/looo  "^g  genügend, 
um  eine  Augen-Entzündung  zu  erzeugen.  Der  Mensch  braucht  ^/^  mg  und 
darüber. 

Danach  hat  auch  Sattler ■')  zugegeben,  daß  in  der  Jequirity-Maceration 
ein  eigenlhümliches  Gift  enthalten  ist,  wahrscheinlich  ein  ungeformtes  vegetabi- 
lisches Ferment,  welches  allein  ausreicht,  die  bekannten  Wirkungen  zu  erzeugen. 
Damit  hat  dieser   merkwiu-dige   Irrthum  seinen  Abschluß  gefunden. 

Die  praktische  Verwerthung  des  Mittels  hat  dann  doch  einen  Fort- 
schritt gemacht,  durch  die  Arbeiten  von  P.  Römer'*).  Ehrlich  hatte  gefunden, 
daß  der  thierische  Organismus  eine  bestimmte  Immunität  gegen  das  den  bak- 
teriellen Toxinen  verwandte  Jequirity-Gift  (Abrin)  erlangen  kann;  im  Blut  der 
immunisirtiMi  Thiere  kreist  ein  specifisches  Antitoxin  (Antiabrin),  das  man  aus 
dem  Serum  derselben  gewinnen  kann.  Die  Gegenwirkung  (Neulralisirung)  er- 
folgt  auch   im   Bindehautsack,   durch   direkte  Mischung  von  Toxin  und  Antitoxin. 

Abrin-Entzündung  geht  nun  auf  örtliche  Anwendung  des  Anti- 
abrin sofort  zurück.  Hiermit  ist  die  Gefahr  des  Mittels  herabgemindert. 
Das  Abrin  hatte,  wie  alle  Toxalbuminosen,  den  Nachtheil,  daß  es  mit  der  Zeit 
an  Giftwerth  verlor,  und  daß  seine  Lösungen  sich  schlecht  hielten.  Neuerdings 
ist  von  Merck  ein  neues  Präpai-at,  Jequiritol,  sowie  ein  Jequiritol-Serum  her- 
gestellt worden,   das  vollkommen   steril   und  haltbar  ist 5). 

Über  die  gleiche  Anwendung  des  dem  Jequirity  ähnlichen  (oder  identischen) 
Chichm  hat  bereits  der  persische  Arzt  Arü  Mansur  um  970  u.  Z.  sowie  die 
europäischen  Ärzte  Ludwig  Frank  (1820)  und  C.  F.  Graefe  (182  4)  ausführhch 
gehandelt.     Vgl.  §  48  8,  Zusatz,   u.   §  98  4. 

1  C.  El.  f.  med.  Wiss.  1884,  No.  8. 

2  Bull,  de  l'Acad.  r.  de  M6d.  de  Beige,  3.  S6r.,  Bd.  18,  No.  1 ;  C.  Bl.  f.  A.  1884, 
S.  170. 

3  Fortschr.  d.  Med.  1884,  No.  <5;  C.  Bl.  f.  A.  1884,  S.  445. 

4)  A.  f.  Ophth.,  Bd.  52,  No.  1,  1901;  C.  Bl.  f.  A.  1901,  S.  242. 

5)  Vgl.  DE  Lapersonne,  Clinique  ophth.  1901;  Hummelsheim,  Zeitscbr.  f.  A., 
Bd.  7,  S.  209  und  die  Dissertation  von  Kaltwinkel,  Bonn  1902;  sowie  C.  Bl.f.  A.  1902, 
S.  223.  Überhaupt  ist  die  ganze  Jequirity -Literatur  im  C.  BLf.  A.,  1882  —  1902 
zu  finden. 


¥ 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 

Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit, 

Von 

J.  Hirschberg, 

Professor  in  Uerliii. 


Drittes  Biicli. 

Eiiiimdzwaiiziiister  Al)>;chnitt. 
Griechische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 

Mit  i   Figur  im  Text. 
EinpreRanKen  im  Juli  1916. 


§  978.     Einleitung. 

Als  die  Griechen  nach  einer  Knechtschaft  von  mehr  als  drei  Jahr- 
hunderten ihre  Freiheit  wieder  erlangten,  —  übrigens  trotz  großer  Helden- 
thaten  und  trotz  des  in  Strömen  vergossenen  Blutes  nicht  aus  eigner  Kraft, 
sondern  durch  das  Eintreten  der  Großmächte,  die  aber  dabei  nur  ihren 
selbstsüchtigen  Interessen  frühnten:  als  dann  der  bayrische  Fürst  und  seine 
deutschen  Beamten  ein  geordnetes  Staatswesen  und  eine  wirkliche  Regierung 
eingerichtet  hatten :  da  war  eine  der  erfreulicheren  Erscheinungen  der  große 
Bildungsdrang,  der  zur  Gründung  von  Tausenden  von  Schulen  führtei). 

Schon  4  Jahre  nach  seiner  Landung  in  Nauplia,  am  15.  Mai  1837, 
eröffnete  König  Otto  die  Universität2)  in  Athen,  die  seinen  Namen  führte, 
bis  er  (1862)  gezwungen  wurde,  [dem  undankbaren  Volk  den  Rücken  zu 
kehren;  und  die  seitdem  als  National-Universität  bezeichnet  wird. 


1)  Julius  Hirschberg,  Hellas-Fahrten,  1910,  S.  54. 

2)  Minerva  19H,  I,  416. 


350  XXIII.  Hirschberg,  Griechische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

Th  Iv  Idd-rivaig  Id^vrAor  napeiriarrjuioi' 

hat  5  Fakultäten  {axo?Mi),  eine  theologische,  juristische,  medizinische,  philo- 
sophische, mathematisch-physikalische;  ordentliche,  Honorar-,  außerordentliche 
Professoren  und  Privat-Docenten  {TC(7.Tr/.oi  ymd-iiyrjrai,  STtirif^iot  /..,  iy.Tcr/.TOL 
z.,  v(ft]yt]TUi).  Der  Unterricht  ist  frei.  Die  Grade  sind  Doktor  [diöcr/.TioQ) 
und  Lizentiat. 

Bei  dem  25jähr.  Jubiläum  (1912)  wurde  die  mit  reichen  Mitteln  ausge- 
stattete Kapodistrias-Universität  angegliedert.  [Tu  td-VL/.hv  y.cu  KujtodLOTQLay.hv 
7tave7tLarrif.iiov  ist  der  jetzige  Name.) 

Die  erste  Einrichtung  für  Augenleidende  verdankt  Griechenland 
einem  Deutschen,  dem  Dr.  Roeseh,  erstem  Arzt  des  Königs:  dieser  hat  im 
Jahre  1842  eine  Augen-Heilanstalt  zu  Athen  in's  Leben  gerufen  i). 
Dieselbe  wurde  durch  freiwillige  Beiträge  erhalten  und  stand  unter  dem 
besonderen  Schutz  der  Königin  Amalie,  Prinzessin  von  Oldenburg. 

Die  Anstalt  diente  auch  als  Augenklinik  der  Universität,  nachdem  die 
medizinische  Fakultät  185  4  drei  Lehrstühle  für  Sonderzweige  geschafl'en, 
darunter  einen  für  Augenheilkunde,  welcher  dem  Dr.  Anagnostakis  an- 
vertraut wurde.  Von  Juli  1854  bis  Ende  1856  wurden  daselbst  1372 
A.  Kr.  nebst  B.  Kr.  behandelt. 

Trotz  der  großen  Verdienste,  die  Anagnostakis  nicht  blos  um  unser 
Fach,  sondern  um  die  gesamte  Heilkunde,  ja  um  die  ganze  wissenschaft- 
liche Entwicklung  des  neuen  Hellas  sich  erworben,  wurde  er  bei  dem  Sturz 
seines  Freundes  Trikupis,  von  dessen  Gegner  Delyannis  buchstäblich  aus 
der  Augenklinik  hinausgeworfen 2)  und  durch  einen  Kandidaten  der  Gegen- 
partei ersetzt. 

Minerva,  Jahrbuch  der  gelehrten  Welt,  nennt  1906  G.  Gaz^pis  als 
o.  Professor  der  Augenheilkunde;  1911  N.  Dellaporta,  dazu  mehrere  Privat- 
Docenten    (AVAZOS,    SVORONOS,    KOSMETTATOS,    BiSTIs). 

§  979.     Andreas  Anagnostakis ^j, 
geb.  1826  auf  Kreta,  gest.  1897  zu  Athen. 

In  einem  Gebirgsdorf  Kretas  wurde  A.  Anagnostakis  im  Jahre  1826 
geboren,  mußte  aber  früh  mit  den  Seinigen,  die  einer  durch  Kühnheit  und 
Freiheits-Sinn  ausgezeichneten  Sphakioten-Familie  angehörten,  vor  den  Türken 

\)  De  l'ophthalmologie  en  Grece  et  en  Egypte.  Par  le  Dr.  Anagnostakis, 
d'Athenes.     Congrös  d'Ophthalmologie  de  Bruxelles.     CR.  1858,  S.  411. 

2)  Dies  weiß  ich  aus  seinem  eignen  Munde.  In  der  Lebensbeschreibung  von 
Campanajotis  (1907)  ist  davon  nicht  die  Rede.  Vielleicht  wurde  A.  später  wieder 
eingesetzt. 

3)  Nach  J.  Hirschberg,  C.  El.  f.  A.  1897  ,  S.  158.  —  Vgl.  auch  Notice  bio- 
graphique  sur  Anagnostakis  par  M.  Campanajotis  (d'Athönes).  A.  d'Oc.  CXVII, 
S.  401—408, 1897.  Ferner  ANAGNOSTAKIS  (Ann.  di  Ottalm.  XXVI,  S.  415—416.  Guaita.) 
Endlich  Pagel's  Jaiogr.  Lex.  S.  33. 


Anagnostakis. 


351 


und  den  Schaaren  Mehemet  Ali's  nach  Syra  flüchten,  das  auch  heute  noch, 
nächst  Athen,  den  zweiten  Bildungs-Mittelpunkt  von  Griechenland  darstellt. 
Hier  besuchte  A.  das  Gymnasium,  dann  studirte  er  Heilkunde  zu  Athen, 
erwarb  1847  den  Doktor  und  wirkte  zunächst  als  Landarzt.  Wegen  seiner 
großen  Begabung  wurde  er  1851  auf  Kosten  der  Königin  Amalie  nach  Berlin 
und  Paris  gesandt  und  arbeitete  hier  unter  A.  v.  Graefe,  dort  unter  Desmarres 
und  Sichel. 

Mit  gleicher  Vollendung  beherrschte  er  die  französische  und  die 
deutsche  Sprache,  wie  das  klassische  Griechisch.  Im  Jahre  1854  wurde  er 
Vorsteher  der  Augenklinik  zu  Athen 
und  a.  0.  Professor,  1  85(3  o.  Profes- 
sor der  Augenheilkunde  und  ent- 
faltete als  Lehrer  und  Augenarzt 
eine  segensreiche  Wirksamkeit:  ja 
er  ist  einer  der  Hauptbegründer  der 
neueren  hellenischen  Bildung  auf 
dem  Gebiet  der  Heilkunde  und  Natur- 
wissenschaft geworden,  nicht  blos 
Rektor  der  Universität,  Vorsteher 
der  ärztlichen  und  gelehrten  Gesell- 
schaften, sondern  auch  Präsident 
der  Akademie,  die  allerdings  ja  ein 
herrliches,  altklassisches  Marmor- 
haus (von  einem  Wiener  Baumeister 
errichtet),  aber  —  noch  keine  Aka- 
demikerbesaß. Entsprechend  seinen 

Idealen  eines  großgriechischen  Reiches  ei'streckte  er  seine  Praxis  bis  auf 
die   griechischen  Kolonien  in  Byzanz  und  in  Alexandrien. 

Der  Augenklinik  zu  Athen  hat  er  seine  ganze  Liebe  und  Thätigkeit 
gewidmet:  er  sorgte  für  den  Neubau,  er  wußte  reiche  Mittel  zum  Unter- 
halt herbeizuschaffen  und  verzichtete  auf  sein  eignes  Gehalt.  Anagnostakis 
blieb  der  erste  Augenarzt  Athens,  bis  zum  Ende  seiner  Tage,  —  »Nestor«  der 
griechischen  Fachgenossen,  Vertreter  der  morgenländischen  Ophthalmologie. 

Anagnostakis  war  ein  prachtvoller,  liebenswürdiger  Mensch.  Seit  1867, 
wo  er,  um  A.  v.  Graefe's  Star-Schnitt  bei  dem  Meister  zu  studiren,  wiede^ 
nach  Berlin  gekommen  war,  verband  uns  Gastfreundschaft,  die  er  in 
echt  hellenischer  Weise  1886  wie  1890,  als  ich  ihn  zu  Athen  besuchte, 
mir  zu  Theil  werden  ließ. 

Bei  seinem  Hinscheiden  habe  ich  ihm  und  den  Seinen  das  folgende 
Distichon  gewidmet: 

Falrjvov  dt]  oiph  (pavelg  didöoxog  rjld-eg 
'Elldöi  xcd  d^QY^vEl  /.lolQav  eXcop  d-avarov. 


Andreas  Anagnostakis. 


352  XXIII.   Hirschberg,  Griechische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

A.'s  hauptsächlichsten  Schriften  sind  die  folgenden: 

1.  Essai  sur  l'exploration  de  la  retine  sur  le  vivant  au  moyen  d'un  nouvel 
ophthalmoscopei),  Paris,  1854. 

2.  Remarques  pratiques  sur  le  traitement  chirurgical  de  l'entropium  et  du 
trichiasis,  1857. 

3.  De  l'ophthalmologie  en  Grece  et  en  Egypte,  Bruxelles  1858. 

4.  Melanges  ophthalmologiques,  Athenes  1861. 

5.  Apercu  g6neral  des  nouvelles  doctrines  ophthalmologiques.  A.  d'Oc.  LIII, 
267,   1865. 

6.  Contributions  ä  l'histoire  de  la   Chirurgie   oculaire   chez  les  anciens,  1872. 
6a.  Encore  deux  mots  sur  l'extraction  de  la  cataracte  chez  les  anciens,  1878. 

7.  rfeo't  Tior  orf,'Hc'/.u(xüjf  rra&iöi',  1871.  Drei  Hefte  seines  Lehrbuchs  der 
Augenheilkunde  hat  er  1871  und  1874  herausgegeben,  —  über  Diagnostik, 
Ophthalmoskopie,  Refraktion,  Augen-Muskeln;  doch  konnte  er,  aus  Gründen, 
die  nicht  von  ihm  abhingen,  dies  Werk  nicht  vollenden. 

8.  Me'/.iTcci   nein   rr;  ottti/J:;  tiZv  iKoyc.uoi',   1878. 

9.  IIbqi  T^f  ni'tv/JUTi/.r;  nooöö'ov  tov  E'O.r^^vixov  if^roiw,  1875. 
10.  '77  uitiar^nxixr  /jü^odog  naotc  toT;  <<i)X((tots,   h'  ^i'h]i'(Us    1889. 

\^.  '1/  i('.TO(/.\  iiiv  Uniaxoffi'.rov;.  1891.  Wie  man  sieht,  hat  A.  in  der  ersten 
Hälfte  seiner  literarischen  Wirksamkeit  meist  französisch,  in  der  zweiten 
griechisch  geschrieben. 

Die  Schriften  von  Anagnost.vkis,  die  für  uns  wichtig  sind,  zerfallen  in 
zwei  Gruppen:  I)  solche,  die  von  der  Erkenntniß  und  Heilart  der  Augen- 
krankheiten handeln;  II)  solche,  die  sich  auf  die  Geschichte  unsres 
Faches  beziehen. 

I.  1.  Augenspiegel.  ^Febr.  1854,  A.  d'Oc.  XXXI,  S.  6-1,  S.  107. 
Vgl.  Gaz.  des  h..p.,  Dez.  1853.) 

In  Berlin,  in  A.  v.  Grakfe's  Klinik,  hat  A.  die  Handhabung  des  Augen-  \ 
spiegeis  erlernt;  in  Paris,  bei  (und  mit)  Desmarres,  seine  Versuche  an  einem 
reichen  Material  fortgesetzt. 

Die  bisherigen  Instrumente  fand  er  zu  komplicirt  und  hat  ein  ein- 
facheres hergestellt.  Dasselbe  besteht  aus  einem  gestielten  Konkav-Spiegel 
von  5  Ctm.  Breite  und  5"  Brennweite,  mit  einem  Loch  in  der  Mitte. 

Wie  man  sieht,  ist  Rüete's  feststehender  Spiegel  (aus  dem  Jahre  1852)  zu 
einem  handlichen  verkleinert. 

Dr.  Campanajotis  erklärt  2)^  die  von  Anagnostakis  bewirkte  Veränderung 
im  Augenspiegel  habe  solches  Aufsehen  erregt,  daß  man  sie  zunächst  Albrecht 
V.  Graefe  zuschrieb. 

'  Als  ich  (1866)  als  Assistent  in  A.  v.  Graefe's  Klinik  eintrat,  wurde  der 
kleine,  bewegliche,  durchbohrte  Hohlspiegel,  der  in  den  Kursen  üblich  war,  als 
»kleiner  Liebreich«   bezeichnet. 

Liebreich  selber  hat  1855^)  angegeben,  daß  er  >für  das  umgekehrte  Bild 
eines  frei  in  der  Hand  gehaltenen  Konvex-Glases  und  eines  beliebigen  Reflektors 


1)  Der  Name  Ophthalmoskop  ist  dem  deutschen  Augenspiegel  in  Frank- 
reich von  einem  Griechen  gegeben  worden.     Wir  kommen  darauf  noch  zurück. 

2)  a.  a.  0.,  S.  40i. 

3)  A.  f.  A.  I,  2,  3  48. 


Anagnostakis.  353 

(einfachen  Hohlspiegels,  Coccius'  oder  ZEHENOER'schen  Spiegels),  zum  Zeichnen, 
zur  genaueren  Messung  .  .  .  eines  stabilen  Instruments  sich  bediene«;  1857  1) 
wiederholte  er  ganz  kurz  die  Beschreibung,  die  Anagnostakis  von  seinem  In- 
strument gegeben :  er  hat  dem  letzteren  die  Priorität  nicht  streitig  gemacht, 
da  es  eben  keine  Entdeckung  war,  den  RuEXE'schen  Spiegel  zu  verkleinern. 

Die  Fälle,  welche  A.  beschreibt,  sind  Trübungen  der  Linse,  des  Glas- 
körpers, Blutungen  und  Flecke  in  der  Netzhaut,  Ablösung  sowie  Verdickung 
derselben. 

Die  Abbildungen  erscheinen  noch  recht  unvollkommen,  wenn  man  sie 
mit  denen  von  Liebreich  aus  demselben  Jahre  1854  und  gar  mit  denen 
von  E.  Jäger  aus  dem  Jahre  1855  vergleicht. 

2.  Trichiasis.     (A.  d'Oc.  XXVIII,  S.  5,  1857.) 

Die  Haarkrankheit  ist  im  Morgenlande  überaus  häufig,  sie  umfaßt  7  % 
der  Augenkranken  zu  Athen,  lO^/o  in  einigen  kleineren  Städten  Griechen- 
lands, 160  0  in  Ägj'pten.  In  2^2  Jahren  hat  A.  350  Operationen  gegen 
Haarkrankheit  verrichtet. 

Hautschnitt,  Ausschneiden  des  Schließmuskels  auf  dem  oberen  Theil 
des  Lidknorpels,  Vernähung  der  unteren  Haut-Wunde  mit  dem  Zellgewebe 
auf  dem  Lidknorpel. 

3.  Die  Augenheilkunde  in  Griechenland  und  in  Ägypten^). 
(1857.) 

Von  den  äußeren  Augen-Entzündungen  sind  in  Griechenland  am 
häufigsten  die  katarrhalische  Bindehaut-  und  die  phlyktänuläre  Horn- 
haut-Entzündung. 

Die  erstere  erscheint  bisweilen  epidemisch,  sie  ist  gutartig;  aber  ver- 
nachlässigt, führt  sie  zu  Granulationen. 

Die  akute  eitrige  Augen -Entzündung  ist  selten,  auch  bei  den  Neu- 
geborenen, und  auch  bei  diesen  nicht  heftig. 

Unter  den  3222  Soldaten,  die  1855  im  Militär-Hospital  zu  Athen  be- 
handelt wurden,  waren  nur  37  Fälle  von  katarrhalischer  Bindehaut-Ent- 
zündung und  nur  42  Fälle  von  Lid-Granulationen. 

Allerdings,  als  (1 825)  die  ägyptischen  Armeen  in  die  Peloponnes  ein- 
gedrungen waren,  hatte  die  eitrige  Augen-Entzündung  daselbst  ge- 
wüthet;  ist  aber  bald  danach  erloschen,  —  nicht  ohne  in  dem  Waisen- 
Institut  auf  Ägina,  wo  man  die  aus  den  Händen  der  Ägypter  befreiten 
Waisen  untergebracht,  ganz  schreckliche  Verheerungen  anzurichten. 

Aber  Granulationen  bestanden  schon  im  alten  Griechenland,  fanden 
sich  auch  schon  vor  den  Befreiungskriegen  und  finden  sich  jetzt  noch  an 
einigen  Orten,  wohin  sie  von  den  Ägyptern  nicht  eingeschleppt  worden  sind. 

In  Griechenland  sind  sie  übrigens  nicht  so  verderblich,  wie  in  Ägypten. 


1)  Im  Traitö  pr.  des  mal.  des  yeux  p.  W.  Mackenzie  II,  S.  XI. 

2)  Die  zweite  Hälfte  dieser  Arbeit  werden  wir  später  berücksichtigen. 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    XIV.  Bd.  (VU.J   XXULKap.  23 


I 


354  XXIII.   Hirschberg,  Griechische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 

Die  phlyktänuläre  Hornhaut-Entzündung  ist  sehr  häufig  in  Griechen- 
land, aber  die  skrofulöse  Kachexie  sehr  selten. 

Iritis  hat  meist  den  rheumatischen  Charakter.  Amaurose  ist  selten, 
aber  nicht  der  Star,  dessen  chirurgische  Behandlung  durch  Folgsamkeit 
der  Kranken  erleichtert  wird. 

II.  Die  geschichtlichen  Schriften  von  Anagnostakis  sind  von  uns 
bereits  voll  gewürdigt  worden. 

In  6  behandelt  er  A)  die  Operationen  gegen  Haarkrankheit,  —  in  der 
hippokratischen  Sammlung  (vgl.  unsren  §  79) ,  bei  Paulus  von  Ägina  und 
Aetiüs  (§  253).  B)  Die  Operation  des  Ektropium  (§  255).  C)  Die  der 
Thränen- Fistel  (§  i75  u.  258).  D)  Die  des  Staphyloma  (§  258).  E)  Die 
Star-Operation  (§  214  u.  259). 

Über  10  (Asepsie  bei  den  Alten;  vgl.  §  259,  Zusatz,  und  über  8  (Optik 
der  Alten)  s.  §  104  sowie  §  297. 

Anagnostakis  hat  große  Verdienste  auf  diesem  Gebiete  sich  erworben ; 
er  vereinigte  eben  treffliche  Kenntnisse  in  der  Augenheilkunde  mit  vollem 
Verständniß  der  altgriechischen  Sprache,  die  vielen  andren,  welche  über 
diese  Gegenstände  geschrieben,  stets  fremd  geblieben.  Wenn  ich  in  ein- 
zelnen Punkten  von  den  Ansichten  meines  alten  Freundes  abweiche,  so 
gilt  hier 

Amicus  Plato,    sed   magis  amicus  veritas. 

§  980.  Nachfolger  von  Anagnostakis,  als  o.  Professor  und  Leiter  der 
Augenklinik  {0Q)QAA311ATPE10N)  wurde  1897 

Nicolas  S.  Dellaporta, 

der,  1848  zu  Kephalonia  geboren,  1872—1876  in  Pisa,  Neapel  und  Wien 
studirt  und  Augenheilkunde  bei  E.  Jäger  und  F.  Arlt  erlernt  hatte.  »Jetzt 
leitet  er  eine  der  Augen-Abtheilungen  der  Universität^).« 

Veröffentlichungen  von  Dellaporta  : 
\.  Über  Schielen.    (Italienisch,  1872;  1877  griechisch.) 

2.  Über  Tabak-  und  Alkohol-Amblyopie. 

3.  Lehrbuch  der  Augenheilkunde,  1915.    (Griechisch.)    Vgl.  §981. 

Georges  Gaz£pis, 

1859  zu  Ghalkis  geboren,  studirte  Heilkunde  in  Athen,  Augenheilkunde  bei 
Prof.  Panas  in  Paris,  wurde  1899  Professor  der  Heilkunde  und  Leiter  der 
Augenklinik  zu  Athen,  die  er  vollkommen  neu  eingerichtet  hat. 


1)  »Actuellement  il  dirige  un  des  Services  ophthalmologiques  de  l'Uni- 
versit6.»     (Selbst-Bericht.) 


Dellaporta,  Gazepis,  Kosmetattos,  Kostomiris.  355 

Veröffentlichungen  von  G.  Gazepis: 

Schriftproben,  1893. 

Alkohol-  und  Tabaks-Amblyopie,  hysterische  Amblyopie,  Hemeralopie.    An- 
geborene Augenleiden.    A.  d'Oc.  1893. 
Kanthoplastik.     Arch.  d'Opht. 

Georg  Kosmetattos, 
<876  zu  Kephalonia  geboren,  studirte  Heilkunde  zu  Paris  und  gewann  da- 
selbst  IS98   den    Doktor   mit  der   Dissertation  >Cber  die  Entwicklung  der 
Thränen-Wege«. 

Sein  Lehrer  in  der  Augenheilkunde  war  Ph.  Panas,  in  der  Gewebe- 
lehre Mathias  Düval. 

Hierauf  setzte  K.  seine  Studien  fort  an  deutschen  Augenkliniken  und 
ließ  sich  1903  zu  Athen  nieder,  woselbst  er  1906  zum  Privat- Docenten 
und  zum  Chef  des  Universitäls-Laboratorium  ernannt  wurde  und  kürzlich 
zum  Professor  der  Histologie. 

K.  verfaßte  zahlreiche  Abhandlungen,  hauptsächlich  über  Embryologie, 
Teratologie  und  palhologische  Anatomie  des  Auges,  die  meisten  in  französischer 
Sprache,   einige  auch  in  deutscher  (.\.  f.  0.)  sowie  in  griechischer. 

Ferner  eine  Therapie  der  Augenkrankheiten,  Athen  1909.  (28S  S. 
Vgl.  §  1090,  gegen  Ende.; 

§  980  A.     Georg  A.  Kostomiris. 

»Kein  Lied,  kein  Heldenbuch«,  d.  h.  kein  biographisches  Werk,  keine 
Geschichte  der  Heilkunde  meldet  uns  das  geringste  von  dem  Leben  und 
Leiden  dieses  ebenso  fleißigen  wie  unglücklichen  Gelehrten.  Ich  kann  nur 
aus  eigner  Erinnerung  berichten. 

Im  Jahre  1886  traf  ich  Gpuirg  Kostomiris  zu  Athen;  er  prakticirte 
kümmerlich  in  Augen-  und  Ohrenkrankheiten  und  studirte  eifrig  die  Ge- 
schichte dieser  Fächer  bei  den  alten  Griechen.  Mit  Anagnostakis  wußte 
er  sich  nicht  zu  stellen ;  ich  bemerkte  unverhohlenen  Gegensatz,  ja  Feind- 
schaft zwischen  beiden. 

In  seinen  Schriften  bezeichnet  K.  sich  1 887  als  Augen-  und  Ohren- 
arzt,   1889  als  a.  o.  Professor   der  Augen-   und  Ohrenheilkunde   in  Athen. 

Aber  um  1889  befand  er  sich  in  Paris  und  studirte  in  den  Schätzen 
der  National -Bibliothek.  Die  griechische  Regierung  hatte  ihm  ein  kleines 
Stipendium  zu  diesem  Zweck  verliehen. 

Leider  wurde  ihm  dies  sofort  wieder  entzogen,  als  die  Gegenpartei 
an's  Ruder  kam.  So  fiel  er  in  bitteres  Elend  und  versuchte  durch  Praxis 
sich  und  seine  Familie  zu  erhalten. 

Hierbei  verfehlte  er  gegen  die  Sitten  und  Satzungen  der  französischen 
Ärzte,  wurde  aus  der  ärztlichen  Gesellschaft  ausgestoßen  und  ist  in  der 
Blüthe  der  Jahre  verstorben. 

23* 


356  XXIII.  Hirschberg,  Griechische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

Dies  alles  erfuhr  ich  erst  nach  seinem  Tode,  als  es  sich  darum 
handelte,  den  zweiten  und  Haupttheil  seines  geschichtlichen  Lebenswerkes 
zu  drucken,  für  den,  wegen  der  Unverkäuflichkeit  des  ersten  Theiles,  kein 
Verleger  sich  finden  wollte  i). 

Das  auf  12jährigen  Studien  aufgebaute  Werk 
nEPI  OOQAAMO.lOriA^  KAI  nT0A0riA2  TQN  ÄPXAWN 
EAAHNnN  AnO    TQN    ÄEXAIOTATÜN   XPONQN   MEXPI2 

innoKPATOY^  Yno  rEnpriOY  a.  ko^tobioiph  omQAA- 

MIKOY  KAI  QTIKOY,  EN  AQHNAI2  1887,  (248  S.), 

ist  für  den  Philologen  weit  interessanter,  als  für  den  Arzt,  da  es  von  der 
Augenheilkunde  bei  Homer,  den  Lyrikern,  den  Dramatikern,  den  Philo- 
sophen u.  s.  w.  handelt;  übrigens  aber  für  jeden  Arzt,  der  nicht  sofort 
sein  Griechisch  über  Bord  geworfen,  bequem  lesbar,  weil  es  nicht  in  neu- 
griechischer Sprache,  sondern  in  der  alten  koivi]  verfaßt  ist  2). 

In  der  Vorrede  verspricht  K.  noch  zwei  weitere  Werke,  2.  über  die 
Augen-  und  Ohrenheilkunde  der  Hellenen  von  Hippoerates  bis  auf  unsre 
Tage ;  3.  über  die  hellenische  Augenheilkunde  unsrer  Tage.  Das  letztere 
sollte  in  der  heutigen  Landes-Sprache  erscheinen;  es  wäre  wohl  vollstän- 
diger ausgefallen,  als  der  kurze  Abschnitt,  den  mir  Zeit  und  Raum  ver- 
statten. 

Von  weiteren  geschichtlichen  Arbeiten  des  Verfassers  erwähne  ich  noch 

2.  Sources  primitives  de  l'histoire  de  l'ophtalmologie  et  de  l'otologie 
grecques  et  textes  completement  inedits  ou  incorrectement  publies,  qui  traitent 
des  yeux  et  des  oreilles,  recueiliis  et  corriges  ä  l'aide  des  manuscripts  par 
M.  le  Dr.  G.  A.  Costomiris,  Prof.  agrege  ä  Athenes.  (Societe  fr.  d'Opht.  1889, 
10  S.3') 

3.  Sur  les  ecrits  encore  inedits  des  anciens  medecins  Grecques  et  sur 
ceux  dont  le  texte  original  est  perdu,  mais  qui  existent  en  latin  ou  en  arabe. 
Memoire  lu  ä  l'Academie  de  med.  de  Paris  par  le  Dr.  G.  A.  Costomiris  .  .  . 
Paris   1889.     (U  S.) 

Die  Schriften  von  K.  zur  Pathologie  und  Therapie  der  Augenkrank- 
heiten sind  unbedeutend.  Sie  sind  ebenso,  wie  die  beiden  letztgenannten,  in 
französischer  Sprache  geschrieben  und  finden  sich  in  den  A.  d'Oc. 

4.  (A.  d'Oc.  IXC,  228.  C.  Bl.  f.  A.  1888,  S.  169.)  Über  das  Ablecken 
der  Augen. 

Es  ist  eine  Volks- Praxis  in  Griechenland.  Bei  Hornhaut-Flecken  hat  K. 
gute  Erfolge  davon  gesehen. 

Aristophanes  schildert  das  Lecken  der  Schlangen  im  Tempel  des  Asklepios. 
(Vgl.  unsren  §  30,  S.  60.) 


1)  Ich  erbot  mich,  den  Druck'  auf  meine  Kosten  zu  übernehmen ;  doch  scheiterte 
mein  Anerbieten  an  der  Höhe  der  Honorar-Forderung. 

2)  'El'  uQxa'iCovaij  ntas  cpwi'ij  yiyqumai.    Das  mir  gewidmete  Exemplar  trägt 
die  Aufschrift:   Tä  ayanr^Ko  uoi  (piXio  xcu  Siddaxälo)  x.  Hirschberg  . .  . 

3)  Über  einen  Irrthum  von  K.  vgl.  §  204. 


Griechische  Lehrbücher  der  Augenheilkunde.  357 

ö.  (A.  d'Oc.  eil,  S.  U8.  Bull,  de  l'Ac.  de  med.  de  Paris,  10.  Sept.  1889. 
Aichives  d'Ophth.    1890,  Jan.— Febr.   C.   Bl.   f.   A.    1890,   S.  459.) 

Über  die  Massage  des  Auges. 

K.  hat  in  mehr  als  4000  Fällen  die  direkte  Massage  der  Bindehaut  und 
Hornhaut  mit  gutem  Erfolge  angewendet  und  empfiehlt  dieselbe  auf  das  an- 
treiegentlichste. 

Er  unterscheidet  zwischen  starker  und  schwacher  Massage.  Durch  direkte 
Massage  der  Bindehaut  hat  er  besonders  viele  Fälle  von  Körnerkrankheit  so- 
wohl von  akuter,  wie  von  chronischer,  zur  Heilung  gebracht. 

Der  Referent  in  A.  d'Oc.  (CIV,  S.  254)  fügt  hinzu:  »Diese  Erfolge  er- 
wecken unser  Staunen.  Wir  haben  bei  diesem  Verfahren  nicht  so  wunderbare 
Heilungen  erlebt.« 

§981.     Das  griechische  Lehrbuch  der  Augenheilkunde, 
welches   Anagnostakis    1871    angestrebt,    ist   mehr    als   ein  Menschenalter 
später  geschaffen  worden. 

ErxEiriJiON   ooQAyiMOAOriA:^  rno   inANNOY  a. 

3ini:^THi).     EN  AGHNAi:^   \90S.     (583  S.) 

Dr.  Johann  Bfstis,  Docent  der  .\ugenheilkunde  zu  Athen,  hat  das  erste 
moderne,  zeitgemäße  Lehrbuch  der  Augenheilkunde  in  neugriechischer 
Sprache  verfaßt  und  damit  nicht  nur  seinen  Landsleuten  einen  wichtigen 
Dienst  erwiesen,  sondern  auch  uns  eine  große  Freude  gemacht,  —  we- 
nigstens denjenigen  unter  uns,  die  Hellas  nicht  hinter  sich  gelassen,  die 
Schule  zu  hüten.  So  wenig  ich  für  die  Alleinherrschaft  griechischer  Kunst- 
ausdrücke begeistert  bin,  so  muß  ich  doch  sagen,  daß  es  sehr  angenehm 
ist,  hier  einmal  alle  in  einwandsfreiem  Griechisch  vor  sich  zu  haben.  Den- 
jenigen, die  sich  im  Griechischen  üben  wollen,  ist  das  Werk  besonders  zu 
empfehlen.  Als  Beispiel,  wie  leicht  verständUch  die  neugriechische  Schrift- 
Sprache  ist,  idie  Unterhaltungs-Sprache  des  Volkes  muß  allerdings  be- 
sonders gelernt  werden,)  —  füge  ich  den  folgenden  Satz  der  Vorrede 
hier  bei:  .  " 

Qg  ßäoLV  y.ara  rr^v  avyyQacpi]v  tov  TVOvrjiiiaTog  tovtov  tO-tf-iev  rb 
tQyor  TOV  6V  Biirvi]  y.aO-rjyr^Tou  Tfjg  öcpd^alf.ioloyLag  Ernst  Fuchs,  rot 
■/.cd  r^LUTtQov  didaG-zidlov,  XaßövtEg  aua  vir  oipiv  vtal  alSka  soya  rfjg 
rsQuavtKfjg,  FaXÄrx^e,  JiyykiKfjg  /.al  ciXlrjg  cpiXoXoylag,  e^  wv  rjQvaS-r]- 
iitr  o,  Ti  y.aT£OTad-T]  y.vQiwg  ysyovbg  er  rrj  eTTiGTrjiiir],  ^  öe  TtslQU  fjuLov 
TtQuoifOQOP  diä  r«  ögia  tov  eoyou  tovtov  e/.Qivev.  >Zur  Grundlage  für  die 
Abfassung  dieser  Arbeit  wählte  ich  das  Werk  des  Wiener  Professors  der 
Augenheilkunde  Ernst  Fuchs,  der  ja  auch  mein  Lehrer  gewesen,  und  faßte 
gleichzeitig  auch  die  andren  Werke  der  deutschen,  französischen,  englischen 
und   andren  Literatur   in's  Auge,    aus  welchen   ich  das  entnahm,    was  als 


1,  Die  Griechen  sprechen  .^  wie  das  deutsche  w;  un  wie  b. 


358  XXIII.  Hirschberg,  Griechische  Augenärzte  im  1 9.  Jahrhundert. 

bewährte  Schöpfung  in  der  Wissenschaft  begründet  ist  und  was  meine  eigne 
Erfahrung  als  passend  innerhalb  des  Rahmens  dieser  Arbeit  ansieht  i).« 
Das  zweite  Lehrbuch  ist  bald  danach  erschienen: 

NIKOAAOY  211.  JE^ylAnOPTA, 

■A.'kivv/.ov  y.ad^rjyr]Tov   rf^^g   öfpd^aXiiohoyiag  /.cd  d(pd-c('Ai^io?.oyf/j]g  /J.D'c/.r^ 
Iv  rq)  e&vi/.^  TtaveTtiOTi^nio). 

^Ocpd-akiioXoyLa  dvaTOfiiy.rj,  (pvaioXoyici,  /j.ii'r/.r;  liiTaaig  /.cd 
voöokoyki  tCov  öcpiyccluCov.      Ev  JiO^rjvaig,    1915. 

Es  ist  ein  stattlicher  Band  von  726  S.,  mit  331  Text-Figuren  und  8  far- 
bigen Tafeln.  Zwar  sind  die  Augengrund-Bilder  mangelhafter,  als  man  heut- 
zutage gestatten  möchte ;  aber  das  Buch  ist  vollständig  und  klar,  olVenbar  ganz 
nützlich  füi"  die  Studenten. 

In  der  Vorrede  heißt  es:  Jlövl  (nptlUo  ii£rd  Tivog  dvad^vaiag  u.roa- 
■/.uKviirvjg  vu  nnoXcryl^OLO^  otl  ol  rckelovoL  twv  r^utTtQLOi'  rpoLTtjvjv 
^ityiaci]v,  Cog  iii^  ütptXsv ,  hiiötL/.vvovai  o/.iyiooiav  ttsqI  ti^v  Ir  ra/c 
d(pd-a/aiioXoyr/.cdg  yj.n'r/.aig  zov  UciveriLaTr^iiov  liöy.i]Oiv  c(vrw)'  .  .  . 
»Denn  ich  muß  voll  Mißmuth  unverhohlen  bekennen,  daß  die  meisten  unsrer  Stu- 
denten die  größte  Nachlässigkeit,  wie  es  wahrhaftig  nicht  sein  sollte,  bezüglich 
ihrer  Übung  in  den  Augenidiniken  der  Universität  an  den  Tag  legen.« 

»Thörichter  Weise  halten  sie«,  fährt  D.  fort,  »die  Augenheilkunde  für 
einen  ganz  eignen  und  unabhängigen  Zweig,  den  nur  die  Fachärzte  zu  studiren 
haben;  weshalb  sie  auch  beim  .\bgang  von  der  Universität  und  in  die  prak- 
tische Laufbahn  losgelassen  sehr  wenige  Kenntnisse  von  der  Augenheilkunde 
mitbringen,  —  ein  Mangel,  dessen  schlimme  Folge  ich  nicht  ausführlich  zu  er- 
örtern brauche. « 

(Diesem  Mangel,  meine  ich,  läßt  sich  abhelfen.  Man  lasse  die  Studenten 
in  den  Prüfungen  durchfallen,  bis  sie  das  nöthige  Mindestmaß  von  Kenntnissen 
in  der  Augenheilkunde  nachweisen  können.) 


Johann-  Bistis, 
1864  zu  Andros  geboren,  studirte  in  Wien,  promovirte  daselbst  1889  und 
arbeitete  an  der  Augenklinik  von  Prof.  Flchs,  wirkte  dann  zu  Konstantinopel 
und    seit    1903   zu   Athen,    wo    er  Privat-Docent   wurde  und   eine  Augen- 
Abtheilung  an  der  Universitäts-Poliklinik  einrichtete. 

Von  seinen  zahlreichen  Abhandlungen  erwähne  ich  die  folgenden: 
Nucleare  Oculomotorius-Lähmung.     C.  f.  A.  1  897. 

Heterochromie  und  Star-Bildung.     Ebendas.  1898  (und  A.  f.  A.  LXXV). 
Chorioret.  leprosa.     Ebendas,M899. 
Kerat.  neuroparalyt.     Ebendas.  1901. 
Traumat.  Exophth.    Ebendas.  1902. 
Star-Bildung  nach  elektr.  Schlag.     Z.  f.  Aug.  XVI. 
Oberflächl.  Iris-Kolobom.     A.  f.  A.  LXIX,  191. 
Glaukom  im  Orient.     A.  d'O.  1898. 
Enophthalmie.    Arch.  d'Opht.  XXV. 
u.  a. 

1)  Vgl.  CHI.  f.  A.  1909,  S.  7. 


Griechische  Augenärzte  in  der  Diaspora.  359 

Zusätze. 

\ .  Wie  aus  den  Lebensbeschreibungen  hervorgeht,  studirten  mehrere  der 
Genannten  zu  Paris,  einige  zu  Wien,  oder  an  beiden  Orten.  Obwohl  eigentlich 
das  Französische  fast  die  zweite  Landes-Sprache  der  gebildeten  Hellenen  darstellt, 
hat  doch  neuerdings  das  Universitäts-Studium  im  deutschen  Sprachgebiet  die  Ober- 
hand gewonnen,  wie  ich  auf  meinen  mehrfachen  Reisen  und  namentlich  bei  der 
Jubel-Feier  der  Universität  zu  Athen  (1912)   festzustellen  in  der  Lage  war. 

2.  In  meinen  Hellas-Fabeln  (1910,  S.  65 — 70)  habe  ich  einen  kleinen 
Abschnitt:  ^Praxis  in  Griechenland«  veröffentlicht,  der  einiges  über  das 
Verhältniß  der  heutigen  Griechen  zu  den  Ärzten  und  über  Pfuscher  in  der 
Augenheilkunde   enthält. 

§  982.     In  der  Diaspora 

finden  wir  viele  griechische  Augenärzte:  zu  Konstantinopel  Gabrielidics  und 
Trantas,  zu  Smyrna  Issic.oxis  und  Eleutheriades,  zu  Alexandria  Demetriades, 
Jacoviuks.  Ihre  Veniffentlichungen  sind  meist,  jedoch  nicht  ausschließlich,  in 
französischer  Sprache  ^j. 

Alexis  Trantas  2), 

1867  in  Epirus  geboren,  promovirte  1891  zu  Athen.  Hier  arbeitete  er  unter 
Anagnostakis,  danach  1891  — 1893  zu  Paris  bei  Panas,  Wecker,  Galezowski 
und  gründete  dann  1893  in  Konstantinopel  die  Augenklinik  am  griechischen 
Hospital  (das  500  Betten  enthält);  seit  i  .lahren  besteht  ein  besonderer  Pavillon 
i^KOWlOYJElOy  Oax-JÄ^dMIATFElON). 

Traxtas  hat  mit  Vorliebe  die  Augen-Erscheinungen  der  Allgemeinkrank- 
heiten (Lepra,  Syphilis  u.  a.^i  studirt,  die  weißen  Punkte  des  Frühjahr-Katarrhs 
als  pathognoniisch  erkannt,  die  hippokratische  Behandlung  der  Nachtblindheit 
rehabilitirt;  vor  allem  aber  das  Mittel  geliefert,  um  die  vorderste  Partie  des 
Augengrundes  mit  dem  Augenspiegel  zu  studiren  (A.  d'Ophth.  1900,  1907, 
A.   d'Oc.    1902). 

Die  Zahl  seiner  Abhandlungen  beträgt   114.     (Bis  Anfang   1916.) 

Anamas  Gabrielides  2), 

geb.  1867  zu  Baffra  in  Klein-Asien,  studirte  Heilkunde  erst  zu  Lyon,  dann  zu 
Paris,  wo  er  den  Doktor  1895  erlangte,  bildete  sich  in  der  Augenheilkunde  aus 
unter  Panas  und  ließ  sich  189ü  in  Konstantinopel  nieder,  wo  er  als  Augen- 
Arzt  und  Bakteriologe  am  französischen  und  am  russischen  Ki-ankenhaus  thätig  ist. 

Veröffentlichungen  von  A.  Gabrielides: 

Embryogenie  und  vergleichende  Anatomie  des  V.  K.-Winkels.    Dissert.    Paris 

1895  u.  Arch.  d'O.  1895. 
Augen-Lepra,  1906. 
Diabet.  Sehstörungen,  1897. 
Aktinomykose  des  Auges,  1898. 

Medizinische  und  augenärztliche  Begriffe  der  Byzantiner,  1900. 
Trachom-Statistik,  1904. 
Ophthalmologie  microbiologique,  Constant.  1907.      491  S.,  160.) 

1)  »Die  augenärztlichen  Arbeiten  aus  den  Kolonien  sind  zahlreicher  und 
wichtiger,  als  die  aus  dem  eigentlichen  Hellas.«     ;Trantas.) 

2)  Nach  brieflicher  Mittheilung. 


360  XXIII.  Hirschberg,  Griechische  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 


Mi.  A.  Issigonis 

aus  Smyrna  hat  im  deutschen  Sprachgebiet  studirt  und  1880  zu  Basel  den 
Doktor  erworben  mit  der  Dissertation  über  die  Theorie  des  Sehens  und  der 
Sinne  überhaupt'). 

Über  die  griechischen  Fachgenossen  in  Ägypten  vgl.   §  1000. 

Übrigens  reicht  der  Aktions-Radius  der  modernen  Griechen,  sowohl  der 
Kaufleute  als  auch  der  Ärzte,  weit  hinaus  über  das  eigenthche  Gebiet  des  alten 
Hellenismus,  d.  h.  den  östlichen  Theil  des  Mittelmeer-Beckens.  Aber  Metaxas  in 
Marseille  und  Panas  in  Paris  sind  Franzosen  geworden,  nicht  nur  in  gesetz- 
licher, sondern  auch  in  literarischer  Beziehung. 


1)  1886  hat  er  mir  in  Smyrna  einen  gastlichen  Empfang  bereitet. 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 


Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 

Von 

J.  Hirschberg, 


Professor  in  Borlin. 

Drittes  Buch. 

ZAveiundzwanzigster  Abschnitt. 

Augenärzte  in  der  Türkei  und  in  den  Balkan-Staaten 
während  des  19.  Jahrhunderts. 


Eingegangen  im  Juli  1916. 


§  983.  Die  Türkei 
befand  sich  wäiirend  der  ersten  Hälfte  des  19.  Jatirhunderts,  ebenso  wie 
die  andren  mohamedanischen  Länder,  auf  unsrem  Gebiet  noch  ganz  und 
gar  im  Mittelalter.  Ali  den  Isa's  Buch  vom  Jahre  1000  erfreute  sich  der 
Hochschätzung  und  einer  türkischen  Übersetzung;  die  unwissenden  Em- 
piriker, denen  die  Augenkranken  ausgeliefert  waren,  wirkten  nach  arabi- 
schen Vorschriften.     (Vgl.  §  886.) 

Aus  eigner  Kraft  konnten  die  Türken  keine  Fortschritte 
machen.  Sie  bedurften  fremder  Hilfe  und  erbaten  solche  1842  von  der 
österreichischen  Regierung. 

In  unsren  Tagen  haben  die  Türken  Lehrer  für  ihre  militärische 
Medizin-Schule  und  Leiter  ihrer  Spitäler  aus  Preußen  erbeten^).  Diese 
Medizin-Schule  vertritt  die  medizinische  Fakultät  an  der  seit  1901  im 
Werden  begriffenen  Universität 2)  in  Konstantinopel,  die  endlich  1915  das 
Licht  der  Welt  erblickt  hat. 

1)  Robert  Rieder,  geb.  I86t,  1898  a.  o.  Prof.  der  Chir.  zu  Bonn,  ging  nach 
der  Türkei,  um  als  General-Inspektor  der  türkischen  Medizin-Schule  den  medizini- 
schen Unterricht  nach  deutschem  Muster  umzugestalten  und  gründete  die  Ak.  f. 
pr.  Medizin  daselbst.     (RiEDER-Pascha.) 

-2)  Minerva  1911,  I,  S.  4  20. 


362    XXIII,  Hirschberg,  Augenärzte  in  der  Türkei  usw.  während  des  19,  Jahrh. 

§  984.  Lorenz  RiGLER  1815—1862)1», 
am  20.  Sept.  1815  zu  Graz  geboren,  1833  — 1837  Zögling  der  Josephs- 
Akademie  zu  Wien,  1838  Doktor,  1839  Assistent  an  Friedrich  Jäger's  Augen- 
klinik, wurde  18i2,  auf  Ersuchen  der  türkischen  Regierung,  zusammen  mit 
Dr.  EnER,  nach  Konstantinopel  gesandt,  um  die  dortigen  Militär- Kranken- 
häuser neu  einzurichten.  Er  übernahm  das  für  600  Kranke  eingerichtete  Spital 
Malt6pe  und  hatte  gegen  die  Mißstände  einen  erbitterten  Kampf  zu  führen. 

Es  gelang  ihm  aber,  sechs  neue  große  Militär-Spitäler  zu  erbauen  und 
einzurichten.  Im  Jahre  1849  wurde  er  Lehrer  an  der  Medizin-Schule  zu 
Galata-Serai  und  Vorsteher  des  österreichischen  Krankenhauses  zu  Pera. 
Seine  Beobachtungen  und  Abhandlungen  vereinigte  er  1 852  in  dem  zwei- 
bändigen Werke  »Die  Türkei  und  ihre  Bewohner«. 

Im  Jahre  1855  verrichtete  er  an  dem  Sultan  Abdul-Mejid  mit  Glück 
eine  Augen-Operation,  wurde  18ö6  nach  Graz  als  Professor  der  medizinischen 
Klinik  zurückberufen,  ist  aber  bereits  am  16.  Sept.  1862,  im  Alter  von 
47  Jahren,  vom  Tod  hin  weggerafft  worden. 

L.  RiGLER  hat  einige  bemerkenswerthe  Beiträge  zu  unsrer  Fach-Wissen- 
schaft geliefert 2  ,  die  natürlich  nicht  zur  türkischen  Literatur  gerechnet 
werden  können. 

1.  Seine  Preisschrift  über  das  Glaukom 
haben  wir  bereits  kennen  gelernt  3), 

2.  Seine  Abhandlung  über  die  pathologische  Anatomie  des  Stars 
(A.  d'Oc.  X,  S.  220—226,  1843)  enthält  zu  viele  Einzel- Beobachtungen, 
als  daß  man  sie  in  Kürze  wiedergeben  könnte. 

3.  Die  Türkei  und  ihre  Bewohner  in  ihren  naturhistorischen,  phy- 
siologischen und  pathologischen  Verhältnissen  vom  Standpunkt  Constan- 
tinopels  geschildert,  von  Dr.  Lorenz  Rigler,  k.  k.  österreichischem  Pro- 
fessor, derzeit  Lehrer  der  med.  Klinik  an  der  Schule  zu  Constantinopel. 
Wien  1852.  (2  Bände,  413  -f  584  S.)'») 

II,  S.  499 — 550,  werden  die  Augenkrankheiten  geschildert.  Wäh- 
rend seines  Aufenthaltes  in  Konstantinopel  ist  R.  nie  einer  »Epidemie  der 
sogenannten  ägyptischen  Augen-Entzündung  begegnet;  er  sah  wohl  die 
Folgen  derselben  an  den  aus  Syrien  und  Kandien  gekommenen  Regimentern 
sowie  sporadische  Fälle.« 

1)  Biogr.  Lex.  V,  S.  30. 

2)  Ich  selber  habe  schon  1868  einen  Fall  von  vollständiger  traumatischer 
Lähmung  des  linken  Trigeminus  citirt,  den  R.  brieflich  an  Rombekg  mitgetheilt  hatte. 
(Nervenkr.  in.  Aufl.,  S.  262.;  Vgl.  meine  Neurolog.  Beobachtungen,  Berlin,  klin. 
W.  ises,  No.  4  8fgd. 

3)  §  521,  S.  310.  Die  französische  Übersetzung  dieser  Arbeit  findet  sich  A. 
d'Oc.  XIV,   103,   128,   254  fgd.,    1843. 

4)  Eine  kurze  Darstellung,  nach  Rigler,  giebt  Helfft  in  den  Augenkr.  im 
Orient,  Deutsche  Klinik  1854,  No.  31.    Unsre  ist  nach  Rigler's  Original  gearb. 


Lorenz  Rigler  zu  Konstantinopel.  363 

Durch  Einleiten  eines  Stückchens  ungelöschten  Kalk  suchten  sich  ein- 
zelne Mohaniedaner  dem  Militärdienst  zu  entziehen  i). 

»Die  Bindehaut  zeigt  in  Konstantinopel  noch  nicht  jene  vorherrschende 
Neigung  zu  pathologischen  Processen,  wie  sie  schon  in  Smyrna  gegeben, 
in  Syrien  höher  gesteigert  ist  und  in  Ägypten  die  höchste  Stufe  erreicht.« 

»Augen-Eiterung  der  Neugebornen  ist  seltner;  auch  durch  Über- 
tragung des  Trippor-Schleimes  hervorgerufene  Augen-Eiterungen  sind, 
wegen  der  großen  Reinlichkeit  der  Bewohner,  seltner,  als  in  Europa.« 

»Die  akute  granulöse  Augen-Entzündung  ist  ansteckend,  die  chronische 
scheint  es  nicht  zu  sein.« 

Bei  Chemosis,  Ausschneidung  imd  Höllenstein  als  Abortiv-Methode; 
sonst  Laudan.  liquid.  Sydenh. 

Gegen  Granulationen,  Höllenstein-  oder  Kupfer-Stift. 

»In  Konstantinopel  und  im  ganzen  Orient  hat  bei  allen  Augen-Leiden 
der  Same  von  Cassia  Absus  einen  großen  Ruf  erlangt.  (Zerpulvert,  mit  gl. 
Theilen  des  feinsten  Zuckers,  eingeblasen.  2>)« 

R.  fand  es  nützlich  bei  dünnem  Pannus,  Flügelfell,  Granulationen; 
schädlich  bei  Entzündung  der  Hörn-  oder  Regenbogenhaut. 

Unter  den  Hornhaut-Entzündungen  beschreibt  R.  die  ringförmige,  — 
wohl  die  spätere  sogenannte  disciformis. 

Unter  den  Entzündungen  der  Regenbogenhaut  beobachtete  R.  die  rheu- 
matische und  die  syphilitische. 

Glaukom,  auch  akutes,  kam  häulig  zur  Beobachtung. 

Stare  gehören  zu  den  seltnen  Krankheiten  des  Morgenlandes.  Ver- 
hältnißmäßig  häufig  sind  sie  mit  Haarkrankheit,  Einstülpung  u.  dgl.  kom- 
plicirt  und  bleiben  dann  gewöhnlich  ungeheilt,  da  sich  nur  Wenige  zu 
wiederholten  Eingriffen  herbeilassen.  Die  Star-Operation  soll  man  in  den 
drei  heißen  Monaten  Juni,  Juli,  August;  unterlassen.  Daß  die  Ausziehung 
wegen  der  Tieflage  der  Augen  nicht  passe,  gilt  nicht  für  die  Türken. 

Die  einheimischen  Star-Stecher  verlieren,  trotz  ungünstiger  Er- 
folge, nicht  das  Vertrauen  des  Publikums,  da  sie  üblen  Ausgang  durch 
religiöse  Gründe  entschuldigen. 

Für  künstliche  Pupillen-Bildung  ist  im  Orient  wegen  der  größeren 
Häufigkeit  der  Blattern  mehr  Gelegenheit. 

Der  Orient  zählt  wenige  Kurzsichtige.  Das  Brillen-Tragen  wurde  bis 
jetzt  nicht  Mode. 

Nachtblindheit  beobachteten  wir  1843  epidemisch  während  der  Lager- 
Zeit.  Seitdem  öfters  sporadisch.  Die  Soldaten  simuliren  häufig  diesen  Zu- 
stand.    Die  Krebsformen  sind  im  Orient  selten. 


\)  Vgl.  §  682,  S.  351. 
2)  §  486,  S.  37;  §  977, 


gegen  Ende. 


364    XXIII.  Hirschberg,  Augenärzte  in  der  Türkei  usw.  während  des  1 9,  Jahrh. 

Thränen-Fisteln  sind  verhältnißmäßig  selten.  Sehr  wenige  Kranke 
haben  die  Geduld,  der  langdauernden  Behandlung  sich  zu  unterziehen. 

Schielen  ist  in  Konstantinopel  seltener,  als  in  Syrien  und  Ägypten. 
Das  Vertrauen  auf  die  Operation  ist  durch  die  traurigen  Resultate  durch- 
reisender Augen-Operateure  stark  erschüttert. 

§  985.  Gleichzeitig  mit  Dr.  Rigler  und  nach  ihm  wirkte  zu  Kon- 
stantinopel, auch  im  Hospital  Gülhane, 

Dr.  Hübsch, 
über  dessen  Herkunft  und  Lebens-Schicksale  ich  in  den  zugänglichen  Quellen 
nicht  die  geringste  Andeutung  gefunden. 

Er  hat  französisch  geschrieben  und  zwar  in  den  A.  d'Oc,  auch  in 
der  Gaz.  med.  de  Paris  und  in  der  Gaz.  m6d.  de  l'Orient  zu  Kon- 
stantinopel, welche  für  die  Entwicklung  der  Heilkunde  (und  auch  unsrer 
Fachwissenschaft)  im  Morgenlande  einige  Wichtigkeit  erlangt  hat. 

Die  folgenden  Abhandlungen  von  Dr.  Hübsch  vermochte  ich  zusammen- 
zustellen : 

i.  Da  meilleur  mode   de  traitement  du   chalazion.     A.  d'Oc.  XVIII,  269,  1847. 

2.  Du  ramollissement  de  la  cornee  qui  survient  dans  les  maladies  consomptives. 

xxin,  101,  1850. 

3.  über  die  zu  Konstantinopel  herrschenden  Augenkr.  Gaz.  hebd.  1855,  No.  l) 
u.  4  0.  —  Unter  20  Ouo  kranken  Soldaten,  die  binnen  6  Jahren  im  Hospital 
Gülhane  behandelt  wurden,  waren  6  Blennorrhöen  des  Auges,  ISO  katarrha- 
lische Bindehaut-Entz. ,  15  F.  syphilitischer  Iritis,  8  Stare,  5  F.  v.  Pannus, 
eine  mäßige  Zahl  von  Lidkrankheiten  (Trichiasis  u.  s.  w.);  Granulationen 
sind  aber  selten.  Im  Volk  kommen  viele  Blinde  vor,  und  auch  zahlreiche 
Granulationen. 

4.  Clinique  ophthalmologique  de  Constantincple:  I.  Blessure  par  une  bayonnette, 
section  du  nerve  optique,  blepharoptose,  cöcitö.  IL  Apoplexie  oculaire, 
glaucöme.    XXX,  283. 

3.  Tumeur  de  rOrbite.    XXXI,  4  02. 

6.  De  la  Ifepre  des  Grecs.     XXXVI,  140. 

7.  Observations  de  nevralgie  ciliaire.    XLIV,  99. 

8.  Herpes  zoster  generale;  atrophie  des  papilles  des  deux  yeux  ...  LXVII, 
237,   1872. 

§  986.  Eigne  Augen-Ärzte  suchten  die  Türken  schon  1867  zu  ge- 
winnen.   Die  folgende  Geschichte  gehört  zu  meinen  Jugend-Erinnerungen. 

Der  Phanariote  Aristarchi-Bey,  Gesandter  des  Sultans  bei  dem  König 
von  Preußen,  erklärte  seinem  Souverain,  daß  er  der  Heim-Berufung  nicht 
Folge  leisten  könne,  da  er  wegen  seines  Augenleidens  in  Behandlung  bei 
A.  V.  Graefe  stehe,  in  Konstantinopel  aber  keinen  einzigen  Augenarzt  an- 
treffen würde.  Staunend  vernahm  der  Beherrscher  der  Gläubigen,  daß  seinem 
Reiche  etwas  mangele,  was  andre  Herrscher  besäßen;  und  befahl  sofort,  drei 
junge  Militär-Ärzte  behufs  Ausbildung  in  der  Augenheilkunde  nach 
Berlin  zu  senden,  und  zwar  —  mit  einer  alle  christlichen  Staaten  zur  Zeit 


Praxis  der  türkischen  Augenärzte.  3ß5 

Ijt'schämenden  Parität,  —  einen  mohaniedanischen  Türken,  einen  syrischen 
Christ,  einen  Israeliten  aus  Konstantinopel  ij  auszuwählen. 

Ich  selber  hatte  1867,  als  Assistent,  die  Aufgabe,  ihnen  vor  A.  v.  Graefe's 
Vorlesung  immer  die  Fälle  zur  Untersuchung  zu  geben  und  dabei  behilf- 
lich zu  sein. 

Auch  später  wurden  noch  türkische  Militär-Arzte  zum  Studium  der 
Augenheilkunde  nach  Europa  gesendet.  Einen  habe  ich  selber  ausgebildet, 
mit  ihm  danach,  am  22.  IV.  1886,  zu  Konstantinopcl  eine  küstliche  Stunde 
türkischer  Praxis  verlebt^). 

§  987.  Europäische  Augen-Ärzte  wirkten  vorübergehend,  und 
levantinlsche  dauernd  in  Konstantinopel  und  auch  in  andren  großen 
Städten  des  türkischen  Reiches. 

Aj  Die  ersteren  fühlten  sich  auch  veranlaßt,  die  Praxis  der  türki- 
schen Augen-Ärzte,  die  ihnen  so  fremdartig  gegenübertrat,  ihren  euro- 
päischen Fachgenossen  genauer  zu  schildern. 

I.   Über  türkisch-persische  Ophthalmiatrik  von  Dr.  Phirk^j  in  Brussa. 

(J.  der  Chir.  u.  Augenh.  h.  von  Dr.  Philipp  F.  von  Walther  u.  Dr.  Fr.  A. 

VON  Ammon,  XXXVI,  S.  439—457,  1847.) 

Seit  Jahrhunderten  erhält  und  verpflanzt  sich  in  Klein-Asien  die  tür- 
kische Augenheilkunde,  von  welcher  gegenwärtig  noch  zwei  Brüder  leben, 
die  einen  weit  verbreiteten  Ruhm  unter  den  reisenden  Kahals^),  als  deren 
Meister,  und  unter  dem  Volk  Asiens  besitzen.  Sie  bewohnen  ein  Dorf  und 
senden  noch  heutzutage  ihre  Schüler  nach  allen  Gegenden  aus. 

Viele  Augenkranke  besuchen  jenes  Dorf  oder  lassen  sich  Arznei  von  dort 
schicken.  Reiche  entbieten  auch  den  Meister  selbst,  wofür  dieser  sich  be- 
deutend honoriren  läßt. 

Die  türkischen  Augen-Ärzte  sind  zumeist  rohe,  ganz  unwissende  Leute, 
die  kühn,  und  gewöhnlich  mit  Glück,  an  die  Operation  gegen  Star,  Haar- 
krankheit, Flügelfell  herangehen. 

> Beachtung  verdient  die  fast  ohne  Ausnahme  glückliche  Operation  des 
Stars 5)«,  mittelst  der  Niederdrückung  durch  die  Lederhaut. 

(Ausführung  sowie  Nachbehandlung,  ferner  das  Abschnüren  der  Lid- 
haut-Falte  bei  Einstülpung,   endlich   das  Abtragen   des  Flügelfells,  —  alles 


i)  Elias,  später  E.-Bey,  schließlich  E.-Pascha.     Vgl.  §  988. 

2)  Die  Schilderung  würde  mich  zu  weit  führen. 

3)  Über  Leben  u.  Wirken  des  Vf.s  vermochte  ich  nichts  zu  ermitteln. 

4)  Vgl.  §  266. 

5)  »Sie  nennen  denselben  Ak  Su,  d.  h.  weißes  Wasser;  —  im  Gegensatz  zu 
Bara  Su,  d.  h.  schwarzes  Wasser,  womit  sie  die  Amaurose  bezeichnen.«  Vgl. 
§  -280,  III. 


366    XXIII.  Hirschberg,  Augenärzte  in  der  Türkei  usw.  während  des  i9.  Jahrh. 

dies  stammt  aus  dem  arabischen  Kanon  der  Augenheilkunde  ",  den  Phirk 
allerdings  noch  nicht  kannte:    sonst  hätte  er  sich  wohl  kürzer  gefaßt.) 

II.  Klinische  Mittheilungen  aus  Konstantinopel  von 

Dr.  Mannhardt^  . 

(A.  f.  0.  XIV,  3,  26—50,   1868.) 

1 .  P  t  e  r  y  gi  u  m  ist  hier  sehr  häufig  und  ausschließlich  Folge  der  Episcleritis. 

2.  Trachom,  Trichiasis,  Symblepharon. 

Trachom  findet  man  hier  sehr  häufig,  unter  den  armenischen  Last- 
trägern endemisch.  Unter  den  türkischen  Soldaten  ist  es  sehr  häufig,  na- 
mentlich unter  denen  aus  Syrien,  aber  nie  zur  Kalamität  geworden,  wegen 
der  häufigen  Waschungen  an  laufendem  Wasser.  Übergänge  von  Trachom 
in  Blennorrhoe,  oder  umgekehrt,  hat  M.  nie  gesehen. 

Entspannende  Einschnitte  in  die  äußere  Lidfuge  und  den  Schließmuskel 
bilden  das  wichtigste  Mittel  bei  akutem  Trachom.  Bei  chronischem  eine 
Kupfer-Glycerin-Salbe  (0,1    bis  0,2:4,0). 

Die  unzweckmäßige  Behandlung,  die  im  Morgenland  üblich^  zerstört 
viele  Augen.  Volkslhümlich  ist  es,  die  kranke  Bindehaut  mit  den  scharfen, 
behaarten  Blättern  einer  Pflanze  zu  skarificiren,  sodann  kleine  Stückchen 
von  Kupfer-Sulfat  oder  Blei-Acetat,  die  in  den  Höfen  der  Moscheen  ver- 
kauft werden,  in  den  Bindehaut-Sack  zu  bringen  und  dort  zu  belassen, 
ferner  auch  die  Bindehaut  mit  gepulvertem  Zucker  zu  ätzen.  Die  hiesigen 
Praktiker  pflegen  entweder  den  Tarsaltheil  der  oberen  Bindehaut  auszu- 
schneiden und  dann  scharf  zu  ätzen,  oder  nur  einige  Male  diesen  Theil 
der  Bindehaut  bis  zur  Zerstörung  zu  ätzen. 

Dadurch  entsteht  Haarkrankheit,  welche  hier  die  Hälfte  der  Trachom- 
Kranken  behaftet. 

In  600  Fällen  hat  M.,  Sommer  1867,  Snellen's  keilförmige  Ausschnei- 
dung des  Lidknorpels  mit  Erfolg  dagegen  verrichtet. 

2.  Die  Star-Ausziehung  nach  v.  Graefe  hat  hier,  trotz  ungünstiger 
äußerer  Verhältnisse,  ein  fast  sicheres  Ergebniß  geliefert.  >Die  Kunst  des 
Star-Stechens  ist  im  Morgenland  noch  ziemlich  ausschließlich  in  den  Hän- 
den von  Empirikern.  In  Stambul  genießt  ein  alter  Türke,  der,  in  einem 
Cafe  sitzend,  seine  Klienten  empfängt  und  operirt,  das  meiste  Vertrauen. 
Diesen  Operateuren  dient  zur  Ausführung  eine  stumpfe  silberne  Nadel  oder 
konische  Sonde,  die  sie  in  drehender  Bewegung  durch  die  Lederhaut  führen, 
um  dann   den   Star   nieder   zu  drücken,    worauf  der  Kranke    nach  Hause 


1)  Vgl.  unsren  §  277. 

2)  Julius  Mannhardt  (1834 — 1893)  verließ  1867  aus  Gesundheits-Rücksichten 
seine  Augen-Praxis  in  Hamburg,  ging  nach  Konstantinopel,  1869  nach  Florenz 
und  kehrte  1878  in  seine  Heimath  zurück.  Vgl.  §  1134.  (Ich  habe  ihn  ganz  gut 
gekannt.) 


Mannhardt  zu  Konstantinopel,  Preindlsberger  in  Sarajewo.  367 

ueht  und  sich  selbst  überlassen  bleibt.  Gewöhnlich  tritt  Entzündung  mit 
starker  Ciliar-Neuralgie  ein,  und  die  Augen  gehen  an  Cyklitis  oder  dgl.  zu 
(iiiinde  .  .  . 

Sehr  selten  sind,  so  viel  ich  beobachtet  habe,  die  Erfolge,  aber  doch 
nicht  seltener,  als  die  der  mit  Pariser  Diplomen  und  Instrumenten  ver- 
sehenen levantinischen  Arzte,  welche  lleklinationen  verrichten.  Zu- 
weilen sah  ich  bei  ganz  klarer  Pupille  nach  der  obigen  Operation  Erblin- 
dung durch  Netzhaut- Ablösung  .  .  .« 

Zusätze. 

1.  3  0  Jahre  später,  nachdem  die  Ustreicher  1878  die  nordwestlichste  Pro- 
vinz der  Türkei,  Bosnien  mit  der  Herzegowina,  besetzt  und  in  Verwaltung  ge- 
nommen, erhielten  wir  noch  genauere  Mittlieilungen  über  die  Erfolge  der  tür- 
kischen  Star-Steclier,   in  den 

Miltheilungen   aus   der   chirurgischen  Abtheilung   des  Bosn.-Herzeg. 

Landes-Spitales   in  Sarajewo   (l.  Juli    1894  bis   31.December   1896),   von 

Primararzt  Dr.  J.  pREiNDr.sBEROEH,   Landes-Sanitätsrath.      (Wien   1898.) 

in  dem  Lande,  in  welchem  die  westliche  Kultur  sich  erst  seit  Kurzem 
Bahn  bricht,  finden  sich  noch  heute  die  dem  Orient  eigenthümlichen  Sonder- 
Heilkünstler,  die  Star-Stecher.  Vf.  hat  deren  Verrichtung  nicht  selbst  beob- 
achtet, wohl  aber  lernte  er  die  traurigen  Folgen  des  Verfahrens  kennen.  (Er 
citirt  ans  Prof  HiRscHBEnr.'s  Werke  »Um  die  Erde«  den  Abschnitt,  der  vom 
Star-Stich,  seiner  Geschichte  und  Ausführung  handelt.) 

Vf.  theilt  1 6  beobachtete  Fälle  mit,  die  alle  von  demselben  Star-Stecher 
operirt  waren.  In  1 5  Fällen  trat  wesentliche  Herabsetzung  des  Sehvermögens 
bezw.  Amaurose  ein,  in  dem  einzigen  Falle,  der  Sehvermögen  behielt  (^/js),  ist 
die  Prognose  sehr  ungünstig,  da  chronische  Entzündung  und  deutliche  Druck- 
steigerung besteht. 

Ein  Fall  wurde  von  dem  6.  Tage  nach  der  Reklination  an  bis  zur  Er- 
blindung beobachtet.  Stephan  K.,  6 '2  Jahre  alt,  beiderseits  vor  6  Tagen  mit 
Reklination  behandelt,  zeigt  bei  der  Aufnahme:  An  beiden  Schläfen  4  qcm  große 
Pflaster.  Die  Augen  sind  mit  einer  dicken,  zähen  Salbe  verschmiert.  Beider- 
seits starke  Conjunctival-  und  Ciliar-Injektion.  Rechts:  Hornhaut  matt,  Kammer 
sehr  tief,  Iris  verwaschen,  schlottert.  Bei  seitlicher  Beleuchtung  im  Glaskörper 
innen  unten  eine  grauweiße,  flottirende  Masse,  die  Linse ;  T  -|-  1 .  S  mit  Star- 
gläsern =  Yi6-  Ophthalmoskopie:  flockige  Glaskörpertrübungen.  Linse  ge- 
schrumpft sichtbar.  Augengruud  verwaschen.  Links  ist  der  Befund  ähnlich, 
die  Linse  nicht  sichtbar,   S.  mit  Stargläsern  =  ^y^g. 

In  der  Klinik  wurde  zunächst  Besserung  des  Sehvermögens  erzielt,  aber 
bereits  I  Jahr  später  kommt  der  Kranke  mit  stärkster  Reizung  des  linken 
Auges  bei  Hypopyon  wieder.  Das  Sehvermögen  ist  links  erloschen,  das  rechte 
Auge  unverändert. 

Ein  w^eiteres  Jahr  darauf  ist  das  linke  Auge  atrophisch,  sieht  noch  Hand- 
bewegung in  4  m,  T  —  1 .  Der  rechte  Augapfel  ist  blaß,  Vorderkammer  auf- 
gehoben, Iris  atrophisch,  Pupille  unregelmäßig,  gesperrt,  T  =  —  1 ,  Sehkraft 
Handbewegung  in   2  m,  Projektion  nicht  aufzunehmen. 

Vf.  glaubt,  daß  man  die  Zeit  von  der  Reklination  bis  zur  Erblindung 
durchschnittlich  mit  2   Jahren  anzunehmen  hätte. 


368    XXIII.  Hirschberg,  Augenärzte  in  der  Türkei  usw.  während  des  1 9.  Jahrh. 

Weitere  Beiträge  zur  Kenntniß  der  End-Ergebnisse  nach  Re- 
klination hat  Dr.  M.  Mader,  Assistent  am  Landes-Spital  in  Sai*ajewo  (Wiener 
klin.  Wochenschrift   1898,  No.  50)  veröffentlicht. 

In  Bosnien  wurden  bis  in  die  jüngste  Zeit  die  Star- Operationen  nur  von 
Star-Stechern  vorgenommen;  eine  Anzahl  derartig  Operirter  hat  Yf.  zu  unter- 
suchen Gelegenheit.  Die  End-Ergebnisse  der  Reklination  waren  überaus  un- 
günstig. Die  beste  Sehkraft  in  3  Fällen  war  f'/i5  ;  in  allen  3  Fällen  bestanden 
jedoch  so  bedeutende  Veränderungen,  daß  für  den  weiteren  Verlauf  eine  un- 
günstige Prognose  gestellt  werden  mußte. 

In  den  vom  Vf.  zusammengestellten  39  Fällen  von  Reklination  endeten  bis 
zum  Zeitpunkte  der  Beobachtung  (l — 4  Jahre  nach  dem  Eingriff]  15  Fälle  40  *^/o) 
mit  Amaurose.  In  9  Fällen  (23  ^/o)  war  mit  Konfektion  noch  eine  Sehkraft  zu 
erzielen,  die  wenigstens  Fingerzählen  ausmachte.  In  2  Fällen  konnte  die  in 
die  vordere  Kammer  luxirte  Linse  extrahirt  werden.  In  einer  Anzahl  der  Fälle 
waren  Zeichen  chronischer  Iridocyklitis  mit  Ausgang  in  Netzhaut-Ablösung  und 
Schrumpfung  des  Augapfels  vorhanden,  andre  boten  das  Bild  eines  Secundär- 
Glaukoms  dar.  In  3  Fällen  wurde  an  dem  nicht  reklinirten  Auge  die  Aus- 
ziehung eines  reifen  Stars  vorgenommen,  ohne  daß  es  zu  sympathischen  Er- 
scheinimgen  gekommen  wäre. 

2.  Im  Gegensatz  hierzu  hat  im  Jahre  1903  Herr  F.  T.  Maynard,  damals  Major 
im  indischen  Arztdienst  zu  Kalkutta,  der  Übersetzer  meines  Artikels  über  den  Star- 
Stich  der  Inder,  die  Ergebnisse  von  63  Fällen,  die  von  indischen  Star-Stechern 
operirt  wurden,  in  dem  Aprilheft  der  Ophthalmie  Review  veröffentlicht.  Von  den 
6  3  Augen  hatten  39  oder  6  1 ,9  ^  o  S^^^  Sehkraft  erlangt,  für  verschiedene  Perioden  ; 
bei  29   oder  46%  war  die  Sehkraft  nach  5  Jahren  noch  gut  gebHebeni). 

Somit  waren  die  Erfolge  der  indischen  Star-Stecher,  wenn  sie  gleich 
gegenüber  unsren  Erfolgen  der  heutigen  Star-Aus ziehung  nur  als  kläglich  zu 
bezeichnen  sind,  doch  unvergleichlich  viel  besser,  als  die  der  türkischen: 
wenigstens  nach  den  Beobachtungen  von  Mannhardt  und  Preindlsberger,  während 
Phirk  einen  günstigeren  Eindruck  gewonnen,  aber  Zalilen  nicht  beigebracht  hatte. 

§  988.  Unter  den  levantinischen  Augen-Ärzten,  die  im  letzten 
Viertel  des  vorigen  Jahrhunderts  zu  Konstantinopel  ihren  Haupt-Wohn- 
sitz hatten,  —  denn  sie  sind  alle  Wandervögel,  —  war  unstreitig  der 

tüchtigste 

Edwin  van  Millingen, 
ein  echter  Levantiner,  nach  Abstammung  2)  und  nach  Art,  der  in  Deutsch- 
land studirt,  in  europäischen  Kliniken  3)  sich  fortgebildet  hatte,  eifriger  Be- 

■I )  P.  Breton  ;Tr.  med.  and  phys.  S.,  C  a  1  c  u  tt  a  ,  II,  1 826)  hatte  die  Star-Operation 
der  Eingeborenen  mit  Lanzette  und  Kupfer-Nadel  beobachtet  und  unter  100  Opera- 
tionen nur  iO  mißglückte  gesehen,  so  daß  er  diesen  Eingriff  für  gefahrloser  hält, 
als  die  Operationen  der  europäischen  Ärzte.  Doch  spricht  er  nicht  von  längerer 
Beobachtung  der  Ergebnisse. 

2)  Sein  Vater  war  holländischer  Abkunft  und  enghscher  Unterthan;  seine 
Mutter  eine  Levantinerin;  seine  Frau  eine  Polin,  deren  Vater,  ein  Oberst,  nach 
der  verunglückten  Revolution  von  1863  in  der  Türkei  Zuflucht  gefunden. 

3)  Er  hat  auch  in  der  meinigen  einige  Zeit  verweilt.  Ich  habe  ihn  in  Kon- 
stantinopel besucht,  1886  u.  1890.  —  Um  die  Wende  des  Jahrhunderts  ist  er  ge- 
storben; einen  Nachruf  vermochte  ich  nicht  aufzufinden. 


Levantinische  Augenärzte:  E.  van  Millingen  369 

Sucher  der  internationalen  Kongresse,  geschickt  und  rührig,  auch  auf  wissen- 
schaftlichem Gebiet  erfolgreich. 

Seine  Haupt-Leistung  ist  die  Einpflanzung  eines  stiellosen 
Lappens  aus  der  Mundschleimhaut  zwischen  den  emporgenähten  Lid- 
haut-Lappen und  den  Lid-Rand,  bei  Haarkrankheit  und  ihren  Folgen. 

E.  V.  M.  hat  im  Marine-Hospital  gewirkt  und  eine  Privat-Augenheilanstalt 


Ö 


eleitet. 


\ 


Er  schrieb  französisch,  in  ärztlichen  Zeitschriften  von  Konstantinopel 
und  von  Paris,  auch  im  Arch.  d'Opht.  und  in  A.  d'Oc;  ferner  deutsch, 
hauptsächlich  im  G.  Bl.  f.  A,;  gelegentlich  auch  englisch,  besonders  in 
Ophth.  Review. 

Veröffentlichungen  von  Edwin  van  Millingen: 

i.  Über  Insufficienz  der  Interni  und  muskuläre  Asthenopie.  Inaug.-Diss.  Würz- 
burg 1871. 

2.  Le  trachome  h  Constantinople.  Gazette  möd.  de  l'Orient  1874,  S.  122  — Ii4. 
(i2?o   der  Augenkranken.) 

3.  Sur  la  röhabilitation  de  la  röclinaison  dans  l'operation  de  la  cataracte.  Eben- 
das.  1S73,  S.  76.  (Gegen  Elias  aus  Konstantinopel,  der  in  derselben  Zeit- 
schrift, April  1S75,  die  Indikationen  zu  weit  ausgedehnt  hatte.) 

4.  Tubercule  de  la  choroide,  nevrite  optique,  meningite  primaire  luberculeuse ; 
mort  et  autopsie.     Ebendas.  XXUI,  S.  H,  1880. 

5.  Ein  Fall  von  Bindehaut-Tuberkulose.     C.  Bl.  f.  A.,  Juli  1882,  S.  193—195. 

6.  Bericht  über  die  Augenheilanstalt  in  Constantinopel  für  1880  u.  1881.  Salz- 
burg 1.S83.  {Vgl.  C.  Bl.  f.  A.  U83,  S.  125.)  184  Operationen,  36  Star-Aus- 
ziehungen nach  v.  Graefe,  mit  2  Verlusten,  2  unvollkommenen  Erfolgen; 
36  Lid-,  eine  Schiel-Operation.  Die  klein-asiatischen  Türken  sind  fast  ganz 
frei  von  Kurzsichtigkeit.  Ein  kavernöses  Angiom  der  Orbita,  das  so  groß 
wie  ein  Straußen-Ei  war  und  über  die  Wange  herab  hing,  wurde  einer 
25jährigen  Bäuerin  aus  Klein-Asien  erfolgreich  exstirpirt. 

7.  Ein  seltner  Fall  von  Neuritis  optica  retrobulb.     C.  Bl.  f.  A.,  Jan.  1884. 

8.  Cocain.  Sitzungsbericht  der  K.  Gesellsch.  f.  Heilkunde  zu  Constantinopel, 
vom  19.  Dez.  1884,  C.  Bl.  f.  A.  1885,  S.  18. 

9.  Sur  un  cas  de  contraction  des  muscles  droits  internes  avec  miosis.  Union 
med.  1884,  S.  443, 

10.  Partielle  Chiasma-Erkranli«ng.     C.  Bl.  f.  A.  1886,  S.  167. 

11.  The  tarsocheiloplastic  Operation  for  the  eure  of  trichiasis. 
Ophth.  Review  1887,  S.  309.  Vgl.  Arch.  d'Ophtalm.  VIII,  S.  60  u.  Ophth. 
Rev.  1898,  März.  —  Bemerkungen  über  100  Fälle  von  Trichiasis, 
operirt  nach  meiner  Methode  der  sogenannten  Tarsocheilo- 
plastiki).     C.  Bl.  f.  A.  1889,  S.  193—200. 

12.  Über  eine  eigenthümliche  Form  von  Keratitis  bei  Intermittens.  C.  Bl. 
f.  A.  1888,  S.  7.     (Ähnlich  der  dendritischen.) 

13.  Toxic  amblyopia.     Ophth.  Review  1888,  S.  63. 

14.  L'oz^ne  et  les  ulceres  infectieux  de  la  corn^e.     Arch.  d'Opht.  IX,  526,  1889, 

15.  Über  Trachom.     B.  des  Internat,  med.  Kongresses  zu  Berlin,  1890. 

16.  Les  anomalies  de  la  convergence.   A.  d'Oc.  CVI,  103,  1891,  u.  CVII,  12,  1892. 


1)  Das  schöne  Wort,  das  in  meinem  (2  Jahre  vor  seiner  Bildung  erschie- 
nenen) Wörterbuch  noch  nicht  vorkommt,  ist  zusammengesetzt  aus  b  xa^aö?,  der 
Lid-Knorpel;  xo  x^t^o^,  die  Lippe,  und  t/  nXaaxixr],  die  Bildnerei.  Es  findet  sich 
übrigens  weder  bei  Roth  (1914)  noch  bei  Güttmann  (1913),  noch  bei  Magennis  (1909,) 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.   XIV.  Bd.  (VII.)   XXUI.  Kap.  24 


370    XXIII.  Hirschberg,  Augenärzte  in  der  Türkei  usw.  während  des  19.  Jahrh. 

4  7.  Erythropie.    Ebendas.  CVIII,  417. 

<8.  Beitrag  zur  operativen  Behandlung  des  Auf-  und  Abwärtsschielens.    C.  Bl. 

f.  A.  1892,  S.  327. 
19.20.  Versuche  über  Keratoplastik.     Über  die  Maßregeln,  um  Irisvorfall  nach. 

einfacher  Star-Ausziehung  zu  vermeiden.     XI.  Internat.  Kongreß  zu  Rom. 
2t.  Statistique  sur  le  trachome.   Revue  medicopharm.   Oct,  1895,  Constantinople 

XII.  Internat.  Kongreß  zu  Moskau,  XI.  Sect.,  S.  8-2.    A.  d'Oc.  CXIV,  171. 

22.  Observ.  cliniques.     A.  d'Oc.  CXX,  202. 

23.  Über  endo-okuläre  Galvano  causis.     C.  BI.  f.  A.  Juni  1899. 

E.  V.  M.'s  wissenschaftliche  Arbeit  umspannt  25  Jahre,  von  1874 — 1899. 

Zusatz. 

Die  griechischen  Augenärzte  zu  Konstantinopel  sind  bereits  im  §  98St 
berücksichtigt  worden. 

Die  Balkan -Staaten. 

§  989.  In  Rumänien  giebt  es  zwei  Universitäten.  Die  zu  Bukarest 
wurde  1864  gegründet  und  besitzt  eine  medizinische  Fakultät;  die  1860  zu 
Jassy  begründete  Universität  hat  1876  (bzw.  1879)  eine  medizinische  Fa- 
kultät erhalten.  Zu  Bukarest  war  1906  Nicolao  3Ianolescü,  1911  Gh. 
Stancüleanu  Prof.  der  Augenheilkunde;  zu  Jassy  hatte  (1906,  1911)  Prof.. 
G.  SocoR  die  Physiologie  und  die  Augenheilkunde  zu  vertreten*). 

§  990.  Das  wissenschaftliche  Leben  auf  unsrem  Gebiet  wurde  zu 
Bukarest  um  1863  eröffnet  mit  einer  (in  Wien  angefertigten)  Arbeit  von 

Dr.  Leopold  2)  Kugel. 

Eine  Lebensbeschreibung  dieses  Pioniers  der  Balkan-Staaten  auf- 
zufinden ist  mir  nicht  gelungen.  Ich  muß  mich  mit  den  Angaben  begnü- 
gen, die  mir  meine  eigne  Erinnerung  an  die  Hand  giebt  und  die  ich  aus 
seinen  gedruckten  Abhandlungen  schöpfen  kann. 

Leopold  Kugel  ist  zu  Bukarest  um  das  Jahr  1840  geboren  und  hat 
seine  praktische  wie  wissenschaftliche  Thät%keit  auch  in  Bukarest  be- 
gonnen. In  der  zweiten  Hälfte  der  sechziger  Jahre  hat  er  eine  Augen- 
Abtheilung  am  Krankenhaus  geleitet  und  war  auch  als  Militär-Arzt  thätig. 
1870  weilt  er  in  Konstanlinopel  und  hat  daselbst  in  den  siebziger  Jahrea 
eine  Augen-Abtheilung  verwaltet. 

Dann  kam  eine  lange  Unterbrechung  seiner  ärztlichen  (und  wissen- 
schaftlichen) Wirksamkeit  durch  kaufmännische  Unternehmungen 3). 

1890  ist  er  wieder  Augenarzt  und  zwar  am  Alexander-Hospital  zui 
Sofia,  1894  Primär-Arzt  daselbst. 


1 


1)  Minerva  1911,  I,  S.  411  —  413;  1906,  1911/12. 

2)  2.C.  Kugel«,  A.  f.  0.  X,  1,  89  ist  Druckfehler. 

3)  Vielleicht  ging   es   ihm  dabei    ebenso   schlecht,  wie   dem   Belgier  Josep» 
Bosch  (§  794). 


i 


Rumänien:  Dr.  Leopold  Kugel.  37I 

1899  ist  er  wieder  Augenarzt  in  Bukarest,  1900  Prof.  daselbst;  1906 
zeichnet  er  »Dr.  L.  Kugel,  derzeit  Augenarzt  am  Caritas-Hospital  zu  Bu- 
karest«; 1914   »Prof.  Dr.  L.  Kugel  in  Bukarest«. 

Im  März  1915  ist  er  hochbetagt  zu  Bukarest  verstorben  und  wurde 
viel  betrauert. 

Aus  seinen  Schriften  ergiebt  sich,  daß  er  selber  mit  Astigmatismus 
und  Insufficienz  der  inneren  graden  Augen-Muskeln  behaftet  gewesen. 

Das  Arch.  f.  Ophth.  enthält  die  folgenden  Arbeiten  von  L.  Kugel: 

1.  Über  Collateral-Kreisläufe  zwischen  Ader-  und  Netzhaut.  IX,  3,  1^9,  1863. 
(Versuche  am  lebenden  Hunde  ergeben,  daß  thatsächlich  Collateral- 
Kreisläufe  zwischen  Netz-  und  Aderhaut  bestehen;  daß  diese  jedoch  nicht 
genügen,  die  Netzhaut  in  ihrem  physiologischen  Zustande  zu  erhalten.) 

2.  Über  die  Wirkung  schief  vor's  Auge  gestellter  sphärisclier  Gläser  beim  Astigma- 
tismus.    X,  1,  89—96,  1864. 

3.  Über  Sehschärfe  bei  Astigmatikern.     XI,  i,  106— HS,  1865. 

4.  Fall  von  Insufficienz  der  äußeren  und  inneren  Augen-Muskeln.   XII,  1,  66—75. 

5.  Notiz  über  Nystagmus.     XIII,  «,  4  13— 4ää. 

6.  Theoretische  und  praktische  Miltheilungen.  XVI,  1,  3il — 352.  (Über  die 
Bewegungen  des  hypermetropischen  Auges.  Über  akute  Entwicklung  der 
Kurzsichtigkeit.  Über  den  Einfluß  des  Krystall-Körpers  auf  Spannung  der 
Regenbogenhaut.  Über  Trichiasis-Operation.  Simulation  einseitiger  Amau- 
rose zu  entlarven.  Fall  von  akuter  Attopin- Vergiftung.  —  Datirt,  Konstanti- 
nopel, April  1870.) 

7.  Zur  Diagnose  der  Muskel-Insufficienzen.    XVIII,  2,  165—199. 

(Die  Bände  XX— XXXV  enthalten  nichts  von  L.  K.) 

8.  Über  die  Auslöschung  der  Netzhaut-Bilder  des  schielenden  Auges.  XXXVI, 
2,  66 — 128,   18W0. 

9.  Über  die  pathologische  Wirkung  der  Konturen  beim  einäugigen  Sehen  der 
Astigmatiker  und  über  Blendung  als  Ursache  des  Nystagmus.  XXXVI,  2, 
129—162,  1890. 

10.  Über  Ätzung  der  Scleral-Bindehaut.    XL,  3,  293—298,  1894. 
H.  Über  Wiederkehr    der   Licht-Empfindung   nach   Iridektomie    bei    Amaurose 
in  Folge  von  Glaucoma  simplex.    Ebendas.  299—301. 

12.  Über   ein    operatives  Verfahren    zur  Heilung   von  Lid -Verdickung   bei   ge- 
schwüriger Lid-Entzündung.     XLVIII,  959,  199. 

13.  Über  ein  neues  operatives  Verfahren  zur  Beseitigung  des  Ectropium  senile. 

L,   647,   1900. 

14.  Zur  Tätowirung  von  Hornhautnarben.    LXII,  376—377. 

15.  Neue  Nachstar-Operation.    LXIII,  557—572. 

16.  Über  die  Beseitigung  der  ungenügenden  Adaptation  nach  der  Operation  der 
Knorpel-Ausschälung.    LXXXVIII,  3,  442-451,  August  1914. 

Von  Vladescü, 
dem  Vorgänger  Manolescu's,  ist  nur  soviel  zu  ermitteln  (aus  Ann.  di  Ottalm. 
XII,  1883,  S.  1941),  daß  er 

über  die  häuflgsten  Ursachen  der  Amblyopie  in  Rumänien 
geschrieben  hat  und  1883  verstorben  ist. 

24* 


372     XXIII.  Hirschberg,  Augenärzte  in  der  Türkei  usw.  während  des  19.  Jahrh.       x 

NicoLAO  Manolescu  (1850— 1910)1). 
Im  Jahre  1850  als  Sohn  armer  Bauersleute  geboren,  studirte  M.  in 
Bukarest,  dann  weiter  bei  Wecker  in  Paris  und  bei  Arlt  in  Wien  und 
wurde  1883  zum  o.  Professor  an  der  Universität  zu  Bukarest  und  zum 
Direktor  der  Augenklinik  ernannt.  Seine  Arbeiten  beziehen  sich  haupt- 
sächlich: 1.  auf  die  Behandlung  des  Trachom  durch  Ausbürsten  (1891), 
wofür  am  3.  Mai  1892  die  französische  augenärztliche  Gesellschaft  ihm  die 
Priorität  zuerkannt  hat 2);  2.  auf  die  Operation  des  Stars,  den  er  mit  der 
Entfernung  der  ganzen  Kapsel  (1902,  1910)  und  mit  Iritomie  (statt 
Iridektomie)  ausgezogen,  wie  er  auch  den  Nachstar  von  hinten  zu  durch- 
schneiden sich  bemüht  hat,  gleich  Coeselden,  (1904).  Auch  als  Sanitäts- 
Direktor  und  als  Politiker  hat  Manolescu  sich  ausgezeichnet. 

Zusatz. 

Während  Manolescu  der  französischen  Sprache  sich  bediente,  hat  sein 
Nachfolger  Stanculeanu  auch  deutsch  geschrieben. 

Vgl.  St.  und  Rasvan,  Über  Mjdriatica  und  Miotica.  XXVI.  V.  d.  Ophth.  G. 
zu  Heidelberg,  S.  259. 

St.  und  Mihail,  Pathologisch-anatomische  Befunde  an  der  extrahirten  Vorder- 
kapsel.    Ebendas.   S.  32  8. 

Eine  deutsche  »Gesundsheitspflege  der  Augen«,  von  Dr.  Georg  Craniceanu, 
Stabsarzt  zu  Bukarest,  aus  dem  Jahre  1900,  haben  wir  schon  im  §  470,  S.  532, 
No.  66,  kennen  gelernt. 

§  991.  Die  1904  (aus  der  1888  begründeten  Hochschule)  hervor- 
gegangene Universität  zu  Sofia  (Bulgarien)  hat  keine  medizinische  Fakultät. 

Die  1905  zu  Belgrad  (Serbien)  begründete  Universität  hat  noch  keine 
medizinische  Fakultät  3). 

Montenegro  ist  in  Minerva  überhaupt  nicht  genannt. 


1)  Nach  J.  HiRscHBERG,  C.  El.  f.  A.  1910,  S.  348.  Vgl.  A.  d'Oc.  CXLIV,  231,  und 
Klin.  M.  Bl.  XLVIII,  II,  489.  (Stanculeanu.)  —  1886  wurde  ich  von  M.  zu  Bukarest 
sehr  freundlich  aufgenommen.  .9 

2)  Nicht  dem  Aegineta?    Vgl.  unsre  §§  53—77. 

3)  Minerva  1911,  I,  S.  415. 


Kapitel  XXIII. 

(Fortsetzung.) 

Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 

Von 

J.  Hirschberg, 

Professor  in  Berlin. 

Drittes  Buch. 

Dreiiindzwaiizigster  Abschnitt. 
Die  außer-europäischen  Länder. 

Mit  2  Figuren  im  Text  und  i  Tafel. 
Eingegangen  im  Juli  1916. 

Von  den  außereuropäischen  Ländern  sind  bereits  die  Vereinigten 
Staaten  und  auch  das  lateinische  Amerika  berücksichtigt;  bleiben  nur  noch 

Kanada,  Japan,  Ägypten. 

§  99-2.     Kanada 
haben  wir  bereits  zwei  Mal  berührt. 

1.  Wir  erwähnten  (§  750,  S.  40)  das  vollständige  Lehrbuch  unsres 
Faches,  aus  der  Mitte  des  1 9.  Jahrhunderts: 

The  anatomy,  physiology  and  pathology  of  the  eye.  By  Henry  Ho- 
ward, M.  R.  C.  S,,  Surgeon  to  the  Montreal  Eye  and  Ear  Institution.  London 
and  Montreal  1850.     (518  S.,  8».) 

Ich  habe  das  Buch  nicht  zu  Gesicht  bekommen,  auch  in  der  englischen 
Literatur  nicht  citirt  gefunden,  so  daß  sein  Einfluß  wohl  nur  als  gering  zu 
veranschlagen  ist.  A.  A.  Hubbel^)  erklärt,  daß  es  eine  gute  Kompilation  sei, 
aber  nichts  Neues  enthalte,  und  fügt  aus  der  Vorrede  hinzu,  daß  Howard, 


1)  The  development  of  Ophthalmology  in  America  1800  to  1870,  1908. 


374  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

ein  Schüler  von  Arthur  Jacob  in  Dublin i),  »in  den  letzten  vier  Jahren,  als 
Wundarzt  an  der  Montreal  Eye  and  Ear  Institution  seine  Thätigkeit 
ausschließlich  der  Behandlung  von  Krankheiten  dieser  Organe  gewidmet 
habe«. 

Weiteres  über  das  Leben  von  Henry  Howard  konnte  ich  nicht  in  Er- 
fahrung bringen 2),  und  über  andre  Schriften  desselben  nur  die  folgende  Be- 
merkung der  A.  d'Oc.  XXI,  S.  93,  1849  (aus  Montreal  med.  and  surg.  J.): 

»AugenärztlicheAnwendungderCyanogen -Präparate 3).  Wenn 
man  dem  Vf.  glauben  sollte,  gäbe  es  so  zu  sagen  keine  Hornhaut-Trübung, 
welche  der  Anwendung  dieser  Präparate  widerstände;  er  zögert  nicht  zu 
versichern,  daß  er  12  Fälle  von  Albugo  geheilt  aus  der  Zahl  von  18,  die 
von  seinen  Fachgenossen  für  unheilbar  erklärt  worden  waren;  von  7  Leu- 
komen  hat  er  6  geheilt.  Damit  man  nicht  die  Wahrheit  seiner  Behaup- 
tungen bezweifele,  hat  er  ein  Zeugniß  hinzugefügt,  das  ihm  als  freiwilliger 
Erguß  (a  voluntary  effusion)  von  Dankbarkeit  zur  Verfügung  gestellt  worden. « 

2.  Wir  haben  bereits  (§  712)  gesehen,  daß  Kanada  in  einer  Beziehung 
dem  Mutterlande  überlegen  ist,  —  es  besitzt  Universitäts-Professoren  der 
Augenheilkunde. 

3.  Eines  bleibt  mir  noch  zu  erwähnen,  die  Geschichte  desjenigen 
Mannes,  der  die  moderne  Augenheilkunde  in  Kanada  einge- 
führt hat. 

§993.     Frank  Buller  (1844—1905). 

In  dem  biographischen  Lexikon  von  A.  Hirsch  sowie  in  dem  von  Pagel 
Ist  sein  Name  nicht  zu  finden;  auch  nicht  in  der  amerikanischen  Ausgabe  von 
Baas'  Gesch.  der  Medizin  noch  in  derjenigen  des  Amerikaners  Garrison.  Im 
NAGEL-MiCHEL'schen  Jahresbericht  fehlt  jede  Andeutung  eines  Nachrufes  für 
F.  Buller. 

Doch  war  eine  kurze  Anmerkung  im  C.  Bl.  f.  A.  1906,  S.  94,  veröffent- 
licht, ferner  in  The  Ophthalmoscope  III,  644,  1905  (I);  sowie  eine  »Würdigung« 
von  Dr.  J.  Gardner,  aus  Montreal,  ebendas.  IV,  S.  53  —  54  (II). 

Ausführliche  Mittheilungen  fand  ich  (III)  in  Kelly's  American  med.  biogra- 
phy  (I,  S.  131  — 132,  19  12,  von  Andrew  MacPhäil)  und  (IV)  in  American 
Encycl.  and  Dict.  of  ophthalm.  (Bd.  II,  S.  1330—1336,  1913,  Tho.  Hall 
Shastid),  die  mir  meine  Darstellung  ermöglichten. 

Frank  Buller,  am  4.  Mai  1844  zu  Campbellford  in  Ontario  geboren, 
erlangte  1869  den  Doktor  am  Victoria  College  und  reiste  sofort  nach  Eu- 
ropa, um  die  Krankheilen  des  Auges,  des  Ohres  und  des  Kehlkopfes  zu 
Studiren.     In  Berlin   genoß   er   den   Unterricht  von  A.  v.  Graefe  und   von 


1)  §   706. 

2)  Die  American  Medical  Biography  von  Howard  A.  Kelly  (1912)  er- 
wähnt ihn  nicht,  während  sie  von  Frank  Buller  (§  994)  eine  ausführliche  Lebens- 
beschreibung bringt. 

3)  Vgl.  §  632,  S.  96;  §  689,  S.  384  No.  6;  §  849,  S.  134   (nutzlos). 


Kanada:  Frank  Buller.  375 

H.  V.  Helmholtz.  Im  Kriege  von  1870/71  diente  er  in  deutschen  Lazareten 
und  war  danach  in  der  Augenklinik  von  Ewers  zu  Berlin  thätig.  Im  Jahre 
1872  ging  er  nach  London  und  blieb  4  Jahre  am  R.  London  Ophth.  Hop., 
in  den  beiden  letzten  Jahren  als  oberster  Hausarzt.  (Nach  HI  hätte  er 
zuerst  die  Kenntniß  und  Übung  der  aufrechten  Netzhaut-Bilder  nach  Lon- 
don gebracht*'. 

B.  wurde  auch  M.  R.  C.  S. 

Im  Jahre  1876  kehrte  er  nach  Kanada  zurück  und  wirkte  in  Mon- 
treal nahezu  dreißig  Jahre,  bis  der  Tod  seiner  Thätigkeit  ein  Ende  setzte; 
er  starb  den   II.  Okt.   1905,  an  perniciüser  Anämie. 

Nach  III  hat  Dr.  Ruller  zuerst  in  Kanada  der  Augenheilkunde  eine 
selbständige  Stellung  verschaflt,  da  er  1877  als  Augen-  und  Ohren-Arzt 
am  allgemeinen  Krankenhaus  zu  Montreal  angestellt  wurde :  nach  IV  war 
er  der  erste  Augenarzt,  der  am  allgemeinen  Hospital  angestellt  wurde,  — 
so  ganz  jung  sei  die  Entwicklung  der  Augenheilkunde  in  der  neuen  Welt. 

Aber  beide  Vf.  irren  sich. 

Schon  1846  gab  es  ein  Augen-  und  Ohren-Hospital  zu  Montreal  unter 
Henry  Hovnard^  ^  der  übrigens  auch  (um  1852)  eine  Abtheilung  für 
Augen-  und  Ohrenkrankheiten  am  allgemeinen  Hospital  Saint- Patrick 
leitete  und  auch  als  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  St.  Lawrence- 
Medizin-Schule  zu  Montreal  thätig  war. 

Dr.  BuLLER  hat  das  Verdienst,  die  moderne  Augenheilkunde  in  Kanada 
eingeführt  und  emporgebracht  zu  haben. 

Nach  17 jähriger  Wirksamkeit  am  allgemeinen  Hospital  zu  Montreal 
nahm  er  die  gleiche  Stellung  (eines  Augen-  und  Ohren-Arztes)  am  Royal 
Victoria  Hospital  zu  Montreal  an. 

Als  dann  im  Jahre  1883  der  Lehrstuhl  der  Augen-  und  Ohren-Heil- 
kunde an  der  M'cGill  Universität^)  begründet  ward,  hat  Dr.  Buller 
dies  Amt  erhalten  und  22  Jahre  lang  mit  Eifer  und  Erfolg  verwaltet.  Er 
war  auch  Vorsitzender  der  medizinisch-chirurgischen  Gesellschaft  von  Mont- 
real und  Mitglied  der  englischen  wie  der  amerikanischen  augenärztlichen 
Gesellschaft. 

Seine  Veröffentlichungen  umfassen  75  Abhandlungen*)  und  erstrecken 
sich  über  einen  Zeitabschnitt  von  mehr  als  dreißig  Jahren;  sie  betreffen 
mehr  die  praktischen,  als  die  theoretischen  Fragen. 


1)  Das  möchte  ich  doch  bezweifeln:  1861  ist  Hulke's  Sonderschrift  vom  Augen- 
spiegel, 1864  die  englische  Übersetzung  von  Zander's  »Augenspiegel<  erschienen, 
worin  das  aufrechte  Netzhaut-Bild  ausführlich  abgehandelt  ist.  Vgl.  §  630, 
S.  229. 

2)  §  995.     Vgl.  A.   d'Oc.  XXVIII,  S.  66,   1852. 

3)  §  712. 

4)  Die  vollständige  Liste  s.  in  IV.  S.  1332—1336. 


376  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

i.  Seine  erste  Arbeit  (1874,  Lancet  I,  690)  erörtert  den  Schutz- Ver- 
band des  gesunden  Auges,  bei  Eiterung  des  andren,  aus  einem  Uhrglas  und 
Heftpflaster  hergestellt  (Bulle r's  Eye-shield). 

A.  V.  Graefe  hat  Jan.  1854  (A.  f.  0.  I,  1,  248)  einen   solchen  Schutz-Ver- 
band  aus  Charpie  und  CoUodion  angegeben;  Warlomont  Sept.  1854 
(A.  d'Oc.  XXXII,  S.  129)  einen  aus  Goldschlägerhaut  mit  CoUodion. 
Die  Charpie  wurde  durch  Baumwolle  ersetzt. 

H.  Knapp  hat  das  Verfahren  von  Graefe  und  das  von  Bull  er  vereinigt, 
ich  selber  das  Uhrglas  durch  eine  gewölbte  Schale  aus  Glimmer  (nach 
H.  Cohn),  Bisalsky  (1897)  durch  eine  Celluloid-Kapsel  ersetzt.  Vgl. 
auch  unser  Handbuch,  V,  1,  S.  280  (Th.  S  aemisch),  wo  aber  die  beiden 
ersten  Arbeiten  nicht  erwähnt  sind. 

Ein  verbessertes  Brillen-Gestell  hat  B,  1892  angegeben.    (Tr.  Am. 

0.  Soc.  VI,  456.)  MuLEs'  Operation  suchte  er  durch  senkrechte  Lederhaut- 
Naht  zu  verbessern.  (Ophth.  Rev.  XVI,  282,  1 897.)  Über  Störungen  der 
äußeren  Augenmuskeln  schrieb  er  1896.  (Ophth.  Rev.  XVI,  363 — 382.) 
Durch  zeitweise  Ligatur  der  Thräncn-Rührchen  suchte  er  die 
Wund-Infektion  bei  Augen-Operationen  auszuschließen.    (Tr.  Am.  0.  Soc.  IX, 

1,  633.)  Von  der  Haut-Einpflanzung  in  der  Augenheilkunde  handelte  er 
1903  (Montreal  Med.  J.  XXXII,  721  und  Tr.  Am.  0.  Soc,  39.  Sitzung, 
S.  131),  von  der  Vergiftung  durch 

Methyl-Alkohol  Okt.  1904.  (J.  Am.  Med.  Ass.;  Ophth.  Rec,  S.  331.) 
Dr.  Mac  Phail  erklärt  (III),  daß  B.  diese  Blindheit  zuerst  beobachtet 
habe^);  das  ist  ja  ein  Inthum;  in  IV  wird  angegeben,  daß,  nach  Dr.  de 
ScHWEiNiTZ,  diese  Miltheilung  die  wichtigste  über  den  Gegenstand  darstelle. 
In  seinen  Operationen  sowie  bei  der  Nachbehandlung  war  Dr.  Buller 
von  unendlicher  Geduld  und  blieb  öfters  die  ganze  Nacht  im  Krankenhaus, 
um  die  Operirten  zu  überwachen.  Für  viele  Jahre  war  er  in  Kanada  der 
einzige  Spezialist  von  allgemein  anerkanntem  Ruf;  seine  Praxis  war  sehr 
groß:  aber  er  hatte  ein  besonderes  Vergnügen,  (a  whimsical  pleasure,  heißt 
es  in  III),  die  Hospital-Patienten  zuerst  zu  berücksichtigen 2). 

Seinem  Leichenzug  folgte  die  Ärzteschaft  von  Montreal  und  —  die 
Armen  der  Stadt. 

§  994.     Japan 

haben  wir  schon  berührt  (§  27),  in  der  Geschichte  des  Alterthums; 
wenn  wir  jetzt  die  Einführung  der  modernen  .Augenheilkunde  uns 
klar  machen  wollen,  so  müssen  wir  zuvörderst  einen  Blick  werfen  auf  die 
allgemeine 

Geschichte  der  Heilkunde  in  Japan. 


1)  Vgl.  J.  Hirschberg,  Über  Methylschnaps- Vergiftung.     Berlin,  Klin.  VV.  1912, 
No.  6. 

2)  Wie  A.  v.  Graefe  u.  Andre. 


Japan.  377 

•  A.  Bibliographie. 

\ .  Dr.  Hoffmann,  Über  die  japanische  Heilkunde.  (Millheilungen  der  Ge- 
sellschaft für  Natur-  und  Völkerkunde  Ostasiens.  I.Band,  1873  —  1876.  Yoko- 
hama.) 

2.  Dr.  Wernich,  Zur  Geschichte  der  Medizin  in  Japan.  (Arch.  f.  Gesch.  d. 
Med.  u.  Geogr.,  Leipzig  (8  78.) 

3.  Dr.  Norton  Whitney,  Notes  on  the  history  of  medical  progress  in  Japan. 
(Transact.   of  the  Asialic  Society  of  Japan  XII.,   IV.,  Juli  1883.) 

Alle  drei  Herren  haben  längere  Zeit  als  Ärzle  in  Japan  gewirkt,  die  beiden 
ersten  auch  als  Professoren  an  der  medizinischen  Fakultät  in  Tokyo,  zu  deren 
Mitbegründern  sie  gehörten.  Sie  haben  den  Übergang  vorn  alten  Japan  zum 
neuen  mit  eigenen  Augen  gesehen  und  klar  beschrieben. 

Dr.  Whitney,  der  seit  1  ü  Jahren  in  Japan  weilte,  gleichzeitig  als  Dolmetscher 
für  die  amerikanische  Gesandtschaft  thätig,  war  in  der  Lage,  japanische  Quellen  ') 
in  der  Ursprache  zu  studiren.  Seiner  Schrift,  die  allerdings  mehr  eine  Stoff- 
sammlung als  eine  Geschichte  darstellt,  sowie  seiner  mündlichen  Belehrung  habe 
ich  vieles  zu  verdanken. 

4.  Ärztliche  Bemerkungen  über  eine  Reise  um  die  Elrde.  Von  Prof.  Dr. 
J.  HiRSCHBEiu;  in  Berlin.  S.  A.  aus  der  deutschen  med.  W.,  1  893,  39  S.  —  (I.  1 .  Ein- 
leitung.    2.  Deutschland  in  Japan.     3.  Geschichte  der  japanischen  Heilkunde.) 

5.  Wir  besitzen  jetzt  von  einem  europäisch  gebildeten  Japaner,  in  deut- 
scher Sprache,  ein  ganz  neues  Buch:  Geschichte  der  Medizin  in  Japan  .  ,  .  von 
Dr.  med.  Z.  Fujikaw.\.  Herausgegeben  vom  KaiserUch-Japanischen  Unterrichts- 
Ministerium.     Tokyo    1  9  H  .      ( H  ö  S.) 

Aber,  obwohl  dieses  Buch  sehr  wichtiges  Material  beibringt,  sogar 
über  die  Augenheilkunde  in  Japan  vor  der  neuen  Zeit;  so  steht  es  doch  mit 
seiner  Eintheilung  'in  mythische  Zeit,  Nara-Zeit,  Ileian-Zeit,  Kamakuru-Zeit,  Muro- 
machi-Zeit,  Azuchi-Monoyaura-Zeit,  Yedo-Zeit,  Meij-Zeit)  uns  so  fremdartig  gegen- 
über und  ist  in  den  starren  Panzer  der  Chronik  so  sehr  eingezwängt,  daß  ich 
es  doch  für  ersprießlicher  halte,  mich  auf  meine  eigne  Darstellung  (4)  zu  stützen. 

B.  Reise-Erinnerungen.     (1892.) 

Der  Einleitung  meines  zweiten  Kapitels  (Deutschland  in  Japan)  möchte 
ich  zunächst  einige  Sätze  entnehmen): 

Der  deutsche  Arzt,  welcher  nach  der  zweiwöchenllichen  Seereise  über  den 
stillen  Ozean,  wo  er  keinem  einzigen  Schiffe  begegnete,  seinen  Fuß  auf  den 
Boden  des  japanischen  Reiches  setzt,  sieht  vor  sich  ein  liebliches  Märchenland, 
wo  alles  ungewöhnlich  und  seltsam,  aber  in  seiner  Eigenart  doch  anmuthig  und 
gefällig  erscheint.  Um  so  freudiger  ist  er  überrascht,  daß  sogleich  an  sein  Ohr 
der  Laut  der  Heimath-Sprache  klingt,  die  er  auf  der  Fahrt  über  den  nord- 
amerikanischen Kontinent  und  über  den  stillen  Ozean  nur  selten  vernommen. 
Deutsch  ist  Lieblings-Sprache  japanischer  Ärzte. 


i]  Die  Hauptgrundlage  seiner  Veröfl'entlichung  war  eine  Handschrift  des  Herrn 
KocHi  Zensetsu:  Skizze  der  japanischen  Heilkunde.  Doch  erwähnt  er  noch  sieben 
japanische  Druckwerke  über  diesen  Gegenstand.  —  Die  Bibliotheken  in  Japan 
enthalten  1594  japanische  (und  chinesische)  Schriften  zur  Heilkunde,  deren  Titel 
Dr.  WiHT>-EY  mitgetheilt  hat. 


378  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

Von  Deutschen  vernahmen  sie  zuerst  die  frohe  Botschaft  einer  neuen  Heil- 
kunde, die  sie  aus  den  verknöcherten  Formeln  ostasiatischer  Grübelei  erlöste. 
Deutsche  Professoren  wirkten  an  ihrer  Universität  zu  Tokyo.  Deutsch  sprechen 
deren  japanische  Nachfolger.  Deutsch  lernt  schon  auf  dem  Gymnasium  der  zu- 
künftige Student  der  Heilkunde;  und  glücklich  wird  von  seinen  Freunden  ge- 
priesen, wem  es  vergönnt  ward,  in  Deutschland  seine  Studien  zu  vollenden. 
Deutsch  spricht  so  mancher  General-Arzt  der  Armee,  nur  die  der  Flotte  ziehen 
das  Englische  vor.  Mit  der  deutschen  Lese-Fibel  werden  sogar  diejenigen  Sol- 
daten unterrichtet,  welche  im  Lazaret  des  rothen  Kreuzes  zu  Heilgehilfen  heran- 
gebildet werden  sollen  .... 

Zufällig  war  ich  der  erste  Universitäts-Lehrer  aus  Deutschland,  welcher  eine 
Vergnügungsreise  nach  dem  fernen  Reich  der  aufgehenden  Sonne  unternommen: 
so  hatte  sich  ein  Sonder-Ausschuß  gebildet,  welcher  in  jeder  japanischen  Stadt 
mich  empflng  und  geleitete.  Auf  diese  Weise  lernte  ich  Land  und  Leute,  die 
heimische  Kunst,  sowie  auch  den  Zustand  der  Heilkunde  besser  kennen,  als 
es  sonst  dem  gewöhnlichen  Reisenden  beschieden  ist. 

Auf  dem  ersten  Festessen  zu  Tokyo,  in  Koyo-kan,  dem  Haus  des  rothen 
Ahorn,  hielt  mein  ehemaliger  Zuhörer,  der  Augenarzt  Dr.  Miyashita,  eine  An- 
sprache, deren  ersten  allgemeinen  Theil  ich  hier,  nach  seiner  eigenen  Hand- 
schrift, einige  Sätze  entnehmen  möchte, 

»Unser  Vaterland  Japan  war  lange  Zeit  verschlossen.  Erst  seit  dem  Jahre 
1854,  wo  wir  mit  den  europäischen  und  amerikanischen  Staaten  Verträge  ge- 
schlossen, ist  der  Verkehr  mit  den  Fremden  allmählich  rege  geworden.  Vor 
dieser  Zeit  hatten  allein  die  Holländer  das  Vorrecht,  in  Nagasaki  vor  Anker 
gehen  und  Handel  treiben  zu  dürfen.  Ohne  Zweifel  gebührt  den  holländischen 
Ärzten  das  große  Verdienst,  die  damaligen  Ärzte  von  Japan ,  welche  theils  der 
chinesischen,  theils  der  altjapanischen  Schule  angehörten,  aus  dem  tiefsten  Traum 
aufgeweckt  und  ihnen  ein  ganz  neues  Heilverfahren  in  die  Hände  gegeben  zu 
haben.  Aber  erst  mit  der  Eröffnung  der  drei  Häfen  siedelten  verschiedene  Ärzte 
aus  Amerika  und  Europa  in  Japan  sich  an.  Damals  hörte  man  bei  uns  noch  sehr 
wenig  von  Deutschland  und  man  glaubte,  England,  Frankreich  und  Holland  seien 
die  einzigen  Länder,  wo  die  moderne  Medizin  in  voller  Blüthe  steht. 

Mit  dem  bekannten  Kriege  von  1870 — 1871,  den  Deutschland  glorreich 
erfochten,  ist  dieses  mächtige  Kaiserreich  weit  und  breit  bekannt  geworden. 
Kurz  darauf  kamen  zwei  Doktoren  aus  Deutschland  hierher,  es  waren  Mülleh 
und  HoffmaxnI).  Nachdem  diese  Herren  glänzende  Erfolge  gehabt,  sah  man  ein, 
daß  Deutschland  in  der  Medizin  mit  an  der  Spitze  steht.  Darauf  kamen  ver- 
schiedene andre  Ärzte  aus  Deutschland  narh  Japan,  und  die  medizinische  Fa- 
kultät der  Universität  Tokyo  wurde  nach  dem  deutschen  Muster  reorganisirt. 
Wie  viele  jüngere  Kollegen  fahren  heutzutage  Jahr  aus  Jahr  ein  nach  Deutsch- 
land, die  sich  bald  in  diesem,  bald  in  jenem  Fache  ausbilden  wollen!  Wohl 
giebt  es  jetzt  keine  einzige  Universität  in  Deutschland,  wo  nicht  ein  Japaner 
gewesen  war.  Überall,  wo  wir  nur  hingehen,  werden  wir  mit  offenen  Armen 
empfangen.  Wie  viele  medizinische  Werke  sind  aus  dem  Deutschen  in  das  Ja- 
panische übersetzt,  die  so  viel  Nutzen  gebracht  haben!     Genug,   das  Verhältniß 


1)  Die  japanische  Regierung  hatte  bereits  1869  die  preußische  gebeten, 
ihr  einige  tüchtige  militärärztliche  Kräfte  zu  überlassen.  Die  Herren  Oberstabs- 
arzt Dr.  MiJLLER  und  Stabsarzt  Dr.  Hoffmanx  kamen,  da  ihre  Abreise  durch  den 
Krieg  um  ein  Jahr  verzögert  ward,  im  August  1871  in  Yedo  an.  Vgl.  Wernich, 
BerUn.  klin.  Wochenschr.  1875,  S.  4  47. 


Japan.  379 

zwischen  Deutschland  und  Japan  ist  ein  so  inniges,  wie  es  wohl  sonst  nirgends 
der  Fall  sein  wird.  Wir  haben  Deutschland  sehr  viel,  unendlich  viel  zu  ver- 
danken.« 

C.  Zwei  Vorbemerkungen 

sind  zum  Verständnis  des  Gegenstandes  unerläßlich:  nämlich  über  den  Volks- 
Stamm  der  Japaner  und  über  ihre  Staatsgeschichte. 

1.  Die  Japaner  selber  hielten  sich  für  Ureinwohner  eigener  Rasse. 
Die  europäischen  Forscher  erklären  sie  für  eine  mongolische  Bevölkerung, 
welche  aus  der  Tatarei  über  Korea  auf  die  Inseln  vorgedrungen  sei  und  mit 
den  unterworfenen  Ur-Einwohnern,  den  mongoloiden  Aino's,  sich  vermischt  habe, 
sowie  mit  zahlreichen,  vom  Süden  her  eingewanderten  Malayen.  Ihre  Sprache 
gehört  zu  der  Ural-Altai'schen  Gruppe. 

Die  Schriftzeichen  Imben  sie  von  den  Chinesen  übernommen,  aber  auch 
eigene  dazu  erfunden '). 

II.  Die  japanische  Geschichte  reicht  nicht  zui'ück  über  das  6.  Jahr- 
hundert nach  Chr.;  erst  seit  dieser  Zeit  erhielt  Japan  die  Schrift;  das  älteste 
japanische  Buch,  welches  bis  auf  unsere  Tage  gekommen,  eine  Geschichts- Auf- 
zeichnung,  ist  vom  Jahre  712,   der  älteste  Buchdruck  vom   Jahre  770   nach  Chr. 

Alles  frühere  ist  Mythe.  Wir  übergehen  die  japanischen  Sagen  von 
4ler  Weltschöpfung  und  von  dem  göttlichen  Zeitalter,  in  dem  Götter 
über  Japan  herrschten. 

Der  erste  menschliche  Kaiser  (Mikado)  Jim-mu  Tenno,  ein  Abkömmling 
der  Sonnengöttin  (Amaterasu),  soll  600  vor  Chr.  gelebt  haben.  Ein  Sproß 
seiner  Familie  sei  der  heutige  Herrscher. 

I  Die  Japaner  zählen  12  1  Mikados  und  neun  Kaiserinnen  in  zweiundeinhalb 
Jahrtausenden;  daß  die  Herrscher-Familie  nicht  ausgestorben,  exklärt  sich  aus 
der  Einrichtung  der  Nebenfrauen.) 

\.  Sicher  ist,  daß  der  Buddhismus  um  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts 
nach  Chr.  von  Korea  aus  nach  Japan  kam,  dann  chinesische  Schrift  und  Ein- 
richtungen angenommen  wurden.  Der  göttlich  verehrte  Mikado,  der  Schützer 
des  alten  Ahnendienstes  (Shinto \  lebte,  dem  Volke  unsichtbar,  zu  Kyoto. 

2.  Nach  langen  Kämpfen  zwischen  zwei  eifersüchtigen  Clans  wurde  n92 
nach  Chr.  Yoritomo  zum  Hausmeier  (Shogun'  oder  welllichen  Herrscher  er- 
nannt. 1274  — 1281  wurden  die  Einfälle  der  Mongolen  zurückgeschlagen,  ihre 
Heere  und  Flotten  vernichtet.  1-342  landeten  die  Portugiesen,  1587  begann 
ihre  Austreibung. 

3.  1603  kam  die  kraftvolle  Tokugawa-Farailie,  die  den  Buddhismus 
förderte,  zum  Shogunat  und  regierte  bis  1868.  Die  drei  ersten  Herrscher  waren 
Jeyasu,  f-IGIG;  Hidetada,  f  1632;  Jemitsu,  f  <651.  Von  1614  —  1854 
war  Japan  den  Fremden  verschlossen.  (Nur  die  Holländer  durften  in 
Nagasaki  eine  Handels- Faktorei  halten.)  Ackerbau  und  Kunst  standen  in  hoher 
Blüthe.  Es  herrschte  eine  Feudal- Verfassung  mit  Fürsten  (Daimio)  und 
Rittern  (Samurai). 

4.  Im  Anschluß  an  die  (durch  die  Flotte  des  amerikanischen  Commodore 
Percy  1854  erzwungenen'  Verträge  mit  amerikanischen  und  europäischen  Staaten 
kam  es  zu  einer  Revolution,  aus  welcher  der  Mikado  1868  siegreich  hervorging. 

1)  Es  herrscht  das  Bestreben,  die  einfacheren  europäischen  Buchstaben  ein- 
zuführen. 


380  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder, 

Das  Feudal-System  wurde  abgeschafft,  das  Tragen  der  Schwerter  verboten, 
neue  Gesetze  eingeführt  und  eine  Verfassung  mit  Volksvertretung  nach  preußischem 
Muster  gegeben. 

Es  besteht  Religionsfreiheit,  doch  wurde  neuerdings  Shinto  wieder  mehr 
begünstigt.  ,A 

Die  Geschichte  der  japanischen  Heilkunde  kann  zwanglos  in 
vier  Zeitabschnitte  eingetheilt  werden: 

I.  Die  älteste,  altjapanische  (mythische)  Zeit  vom  unbekannten 
Ur- Anfang  bis  etwa  400  (?)  vor  Chr. 

II.  Die  alte,  chinesische i)  Zeit  von  400  vor  Chr.  bis  zur  Mitte  des 
1 6.  Jahrhunderts  nach  Chr. 

III.  Die  neue  Zeit,  in  welcher  europäischer  Einfluß  gegen  den 
chinesischen  ankämpfte,  ohne  ihn  zu  besiegen,  von  der  Mitte  des 
1 6.  Jahrhunderts  bis  über  die  Mitte  unsres  Jahrhunderts. 

IV.  Die  neueste,  europäische  Zeit,  etwa  von  der  Mitte  unsres 
Jahrhunderts  (oder  eigentlich  erst  vom  Jahre  1871)  bis  zum  heutigen  Tage. 

Die  beiden  ersten  Perioden  brauche  ich  hier  nicht  zu  erörtern^). 

III.  Die  vereinzelten  europäischen  Ärzte,  welche  von  der  Mitte  des 
16.  Jahrhunderts 3)  bis  zu  der  des  19.,  Iheils  wirkend,  theils  lehrend, 
längere  oder  kürzere  Zeit  in  Japan  verweilten,  vermochten  den  chinesischen 
Grundzug  der  japanischen  Heilkunde  ebenso  wenig  zu  ändern,  als 
es  den  spärlichen  europäischen  Ansiedlern  gelungen,  die  Rassen-Eigen- 
thümlichkeit  des  Volkes  umzugestalten. 

Zum  Beweis  mügen  zwei  Thatsachen  angeführt  werden. 

1.  Erst  1771  hat  der  japanische  Arzt  Sügita  Genpaku  bei  der  Zer- 
gliederung einer  hingerichteten  Japanerin  sich  selbst  und  einige  seiner 
Landsleute  davon  überzeugt,  daß  die  Lage  und  BeschafTenheit  der  inneren 
Organe  gar  nicht  mit  den  alten  chinesischen  Überlieferungen,  sehr 
genau  aber  mit  den  Beschreibungen  und  Abbildungen  eines  holländischen 
Buches  über  Anatomie  übereinstimmte;  während  man  bis  dahin  bei  sieben 
bis  acht  Zergliederungen^)  ähnlicher  Veranlassung  den  Widerspruch  zwischen 


1)  Über  chinesische  Heilkunde  vgl.  §  26. 

2)  Einige  Mittheilungen  darüber  finden  sich  in  meinen  oben  erwähnten  >Ärzt- 
lichen  Bemerkungen«  vom  Jahre  ia23. 

3)  Oder  etwas  früher. 

4)  Die  erste  Leichen- Öffnung  hat  438  n.  Chr.  stattgefunden.  —  »Prinzessin 
Takuhata  verübte  Selbstmord,  in  Folge  der  Verleumdung,  daß  sie  in  Buhlschaft 
schwanger  geworden  sei.  Auf  Befehl  des  Kaisers  wurde  der  Leichnam  geöffnet. 
Im  Bauch  befand  sich  aber  keine  Leibesfrucht,  sondern  eine  große  Menge  Wasser 
und  ein  Stein.«  (Fujikawa,  S.  96.)  Seltsamer  Weise  wird  uns  von  Pausanias  eine 
ähnliche  Geschichte  (oder  Sage)  aus  dem  ersten  messenischen  Kriege  (720  v.  Chr.) 
erzählt.  Vgl.  Pausanias  ,  Beschreibung  von  Griechenland  IV,  ix,  8.  —  (Hirsgh- 
BERG,  Hellas-Fahrten,  1910,  S.  236;  Goethe- Jahrbuch  XXXII,  S.  193.) 


I 


Geschichte  der  japanischen  Heilkunde.  38 !• 

Lehre  und  Befund  durch  die  Annahme  zu  erklären  pflegte,  daß  der  anato- 
mische Bau  hei  den  verschiedenen  Rassen  grundverschieden  sei! 

Nach  Überwindung  unsäglicher  Schwierigkeiten  gelang  es  Sügita,  in 
4  Jahren  das  holländische  Buch  zu  übersetzen  und  unter  dem  Titel  »Neues 
Werk  über  Anatomie«  (Kai-tai-shin-shoj  herauszugeben.  Wenn  ich  den  be- 
scheidenen Mann  als  Vesal  der  Japaner  bezeichnet  habe,  so  weiß  ich  sehr 
wohl,  daß  sein  Verdienst  an  das  des  großen  Brüßlers  nicht  heranreicht. 

2.  Noch  im  Jahre  1818  erschien  eine  Verfügung  des  Shogun,  daß  die 
Heilkunde  der  westlichen  Völker  in  Japan  nicht  ausgeübt  werden 
dürfe,  und  ebenso  die  fremden  Heilmittel  verboten  seien,  da  so 
große  physikalische  Verschiedenheiten  zwischen  Fremden  und 
Japanern  beständen,  daß  dieselben  Heilmittel,  welche  in  den  Krankheiten 
der  Fremden  sich  wirksam  erwiesen  hätten,  nicht  nolhwendig  auch  die 
Krankheiten  der  Japaner  heilen  müßten,  sondern  dieselben  eher  ver- 
schlimmern könnten. 

Obwohl  die  europäische  Heilkunde  auf  japanischem  Boden  bis  zur  Mitte 
unsres  Jahrhunderts  nur  kärgliche  Frucht  hervorbrachte,  wollen  wir  doch 
die  wenigen  Samenkörner  und  die  Männer,  von  denen  sie  ausgestreut  wurden, 
einer  kurzen  Betrachtung  unterziehen. 

1.  Die  Portugiesen,  von  den  Japanern  derzeit  als  Nam-ban  oder 
südliche  Barbaren  bezeichnet,  landeten  1543  n.  Chr.  in  Japan  und  sandten 
bald  danach  zwei  Ärzte,  welche  zu  Kyoto  lebten,  Heilpflanzen  anbauten, 
Krankenhäuser  gründeten,  die  Armen  behandelten  und  auch  operirten  — 
mit  größerem  Erfolge,  als  die  japanischen  Ärzte.  Es  ist  bekannt,  daß  die 
Portugiesen  schon  1589  aus  Japan  wieder  vertrieben  wurden  i). 

2.  Zu  derselben  Zeit  erschienen  in  Japan  die  Holländer,  welche  mit 
großer  Klugheit  und  Zurückhaltung  auftraten  und  1634  die  Erlaubniß  er- 
hielten, allein  von  allen  Europäern  auf  der  kleinen  Insel  Deshima  bei  Na- 
gasaki eine  Handels-Faktorei  zu  unterhalten.  Sie  waren  an  sich  gebildeter, 
als  die  Portugiesen,  und  ferner,  durch  den  mächtigen  Fortschritt  jener  Zeit, 
im  Besitz  einer  weit  besseren  Heilkunde.  Aber  trotzdem  blieb  ihr  Einfluß 
gering,  da  den  Japanern  jeder  unbefugte  Verkehr  mit  den  Europäern  bei 
Todesstrafe  untersagt  war.  Mehr  als  ein  wißbegieriger  Japaner  soll  den 
unerlaubten  Besitz  eines  europäischen  Buches  wirklich  mit  dem  Tode  ge- 
büßt haben. 

In  aller  Kürze  will  ich  die  holländischen,  bzw.  deutschen  Ärzte 
erwähnen,  von  denen  es  bekannt  geworden,  daß  sie  als  Lehrer  der  Ja- 
paner thätig  waren. 


1)  Kämpfer,  welcher  die  Abschließung  Japans  mit  eignen  Augen  gesehen 
(1690 — 1692)  und  sogar  aufs  höchste  gepriesen  hat,  sagt:  Gentiles  certe  nuUi  ullam 
religionem  prius  damnant  aut  ejus  doctores  arcent,  quam  ab  iis  damna  et  publicae 
tranquülitatis  pericula  experti  sint.    (Amoen.  exot.,  fasc.  V.,  Lemgov.  <712,  S.  490.) 


382  XXIII.  Hirschberg,  Die  aulier-europäischen  Länder. 

Danner  und  Arumans  lehrten  im  ersten  Drittel  des  17.  Jahrhunderts 
zu  Nagasaki;  Caspar  i),  der  1643  mit  einem  holländischen  Schiff  an  die 
japanische  Küste  geworfen  wurde,  zuerst  2 — 3  Jahre  zu  Yedo  und  später 
zu  Nagasaki.  Die  japanischen  Studenten  durften  nicht  mitschreiben;  sie 
mußten  nach  der  Vorlesung  das  Gehörte  aus  dem  Gedächtniß  aufzeichnen; 
ihre  Kenntnisse  im  Holländischen  waren  gering;  Besitz  holländischer  Bücher 
war  ihnen  derzeit  verboten. 

Nach  Fujikawa  (S.  51)  gründeten  seine  Schüler  eine  neue  Schule  der 
Wundarzneikunst,  Caspar-ryü-Geka,  d.  h.  CASPAR'sche  Schule  der  Chirurgie. 

Ein  sehr  merkwürdiger  Mann  war  Engelbrecdt  Kämpfer,  der  nach 
seinen  eignen  Aufzeichnungen 2)  einige  Japaner  in  der  Anatomie  und  Heil- 
kunde unterrichtet  hat. 

Wenn  Marco  Polo  die  erste  Kunde  von  der  Existenz  Japans  den  Euro- 
päern übermittelt,  Mendez  Pinto  als  erster  Europäer  seine  Gestade  betreten ; 
so  kann  unser  Landsmann  E.  Kämpfer  als  der  erste  wissenschaftliche  Ent- 
decker von  Japan  gepriesen  werden.  Geboren  zu  Lemgo  in  Lippe  1751, 
machte  er  während  und  nach  Vollendung  seiner  Studien  Reisen  durch 
Deutschland,  Holland,  Polen;  er  studirte  Philosophie,  Naturwissenschaften 
und  Heilkunde;  ging  mit  einer  schwedischen  Gesandtschaft  durch  Rußland 
und  die  Tatarei  nach  Persien;  segelte  dann  im  Dienst  der  holländisch- ost- 
indischen Gesellschaft  von  Ormuz  nach  Batavia,  von  da  nach  Slam  und 
Japan.  Zwei  Jahre  (1690  — 1692)  verblieb  er  als  Wundarzt  auf  Deshima 
zu  Nagasaki  und  hat  zweimal  die  vorgeschriebene  alljährliche  Huldigungs- 
reise nach  Yedo  zum  Shogun  mitgemacht.  In  seinen  beiden  Werken 
Amoenit.  exot.  und  Geschichte  von  Japan  hat  er  zum  ersten  Mal 
über  Geographie,  Geschichte,  Naturgeschichte,  Religion  und  Sitte  des  merk- 
würdigen Landes  und  Volkes  berichtet. 

Es  scheint,  daß  die  Absperrung,  je  länger  sie  dauerte,  um  so  strenger 
gehandhabt  wurde.  Denn  erst  150  Jahre  nach  Kämpfer  kommt  wiederum 
ein  großer  Arzt,  ein  Deutscher,  welcher  den  Dienst  bei  der  holländischen 
Kompanie  benutzt,  um  Japan  zu  studiren. 

Es  war  der  Enkel  des  berühmten  Carl  Caspar  v.  Siebold  3)  und  Sohn 
des  Professors  der  Geburtshilfe  und  Physiologie  zu  Würzburg  J.  G.  Coristian 
V.  Siebold  (1767—1798),  nämlich  Ph.  F.  v.  Siebold  (1796—1866),  der  Ver- 
fasser des  ausgezeichneten  Werkes  »Nippon,  Archiv  zur  Beschreibung  von 
Japan«.  Von  1823 — 1830  weilte  er  in  Japan,  zunächst  auf  Deshima.  Ihm 
gelang  es,  die  Pocken-Impfung  in  Japan  einzuführen. 

1)  Er  hieß  wohl  Caspar  Schamberg  oder  Schambergen  und  war  ein  Deutscher. 
(Nachod,  Die  Beziehungen  der  Niederländ.-ostind.  Kompagnie  zu  Japan  im  1 6.  Jahrb., 
4897.) 

2)  Geschichte  und  Beschreibung  von  Japan,  Lemgo  1777,  Vorrede.  —  Vgl. 
erner  Things  Japanese  by  B.  Hall  Chamberlain,  London  1891,  S.  242—244. 

3)  §  531, 


Geschichte  der  japanischen  Heilkunde.  383 

Die  den  japanischen  Ärzten  ganz  unbekannten  Star-Operationen, 
durch  die  so  manchem  Erblindeten  die  Sehkraft  wiedergegeben  wurde, 
stempelten  den  »Meester«  zu  einem  Wunder- Doktor.  Viele  Menschenleben 
hat  er  durch  seine  Geschicklichkeit  gerettet.  Die  »holländische  Schule« 
wuchs  jetzt  mächtig  an,  im  Gegensalz  zu  der  chinesischen. 

Im  Jahre  1826  erhielt  er,  bei  der  Huldigungsreise  nach  Yedo,  die  Er- 
laubniß,  allein  als  einziger  Europäer  in  der  ungeheuren  Hauptstadt  des 
asiatischen  Reiches  zu  verweilen,  Heilkunde  zu  lehren  und  sich  selber  über 
das  Land  und  Volk  zu  unterrichten.  Als  er  aber  von  dem  Hof-Astronomen 
eine  Karte  des  japanischen  Reiches  erworben,  wurde  jener  im  Gefängniß 
zum  Selbstmord  (Harakiri)  gezwungen  und  Siebold  für  immer  des  Landes 
verwiesen  1). 

Ein  andrer  Märtyrer  der  Wissenschaft  war  der  Augenarzt  und  Leib- 
arzt des  Shogun  Yk>seki  Habu,  der  1829  die  Enthüllung  der  mydriatischen 
Wirkung  des  japanischen  Scopolia-Krautes  von  Siebold  nur  gegen  die  streng 
verbotene  Auslieferung  eines  Kleidungs-Stückes  mit  dem  Wappen  des  Shogun 
erhalten  hatte  und  für  diesen  Taut^ch-Handol  mit  Verlust  seines  Vermögens 
und  neunjähriger  Haft  bestraft  wurde  ^). 

Im  Jahre  1854  wurde  das  Verbannungs-Urlheil  aufgehoben,  1859 
SiEBOLD  als  Beauftragter  der  Niederländischen  Handelsgesellschaft  wieder 
nach  Japan  gesendet.  Aber  die  Niederländische  Regierung  hatte 
kein  Verständniß  für  seine  Ideen.  Er  mußte  nach  Europa  zurück- 
kehren und  ist  am   18.  Okt.   1866  verstorben. 

So  wertvoll  Kämpfer  und  Siebold  für  Europa  waren,  für  Japan  konnten 
sie  und  ihre  kleineren  Mitstreber  nur  wenig  leisten. 

Bis  über  die  Mitte  des  19.  Jahrb.  gab  es  doch  fast  nur  chine- 
sische Heilkunde  in  Japan. 

Zwei  Arten  von  Ärzten  waren  vorhanden:  1.  Ärzte  des  Shoguns  und 
der  Fürsten  (Daimio),  die  zur  Kriegerkaste  (Samurai)  gerechnet  wurden  und 
also  zwei  Schwerter^)  trugen,  —  wie  bei  uns  in  der  Zopfzeit  der  Arzt 
seinen  Degen.  Sie  bezogen  ein  bestimmtes  Gehalt,  in  Reis-Lieferung  oder 
dem    entsprechenden   Geldwerth.     Die    höher    gestellten    hatten   außerdem 


4)  Ich  besitze  die  S.Ausgabe  seines  Werkes  vom  Jahre  1897.  (2  Bde.,  421  u. 
342  S.,  mit  zahlreichen  Abbildungen.)  Es  ist  eine  Pracht- Ausgabe,  welche  durch 
die  vom  Kaiserlichen  Hof  von  Japan,  sowie  von  Fürsten  und  edlen  Herrn  bewilligten 
Beiträge  ermöglicht  wurde. 

KÄMPFER,  v.  SiEBOLD  Und  Rein  (Prof.  in  Marburg  und  Bonn,  Vf.  von  Japan,. 
Leipzig  1881—1886,  2  Bde.)  sind  die  drei  Männer,  denen  die  Welt  die  beste  Belehrung 
über  Japan  verdankt. 

3)  Khn.  Mon.  Bl.  1906,  II,  S.  546.     (H.  Gamguchi,  Tokyo.) 

4)  Vom  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  bis  1.  Januar  1877  bestand  dies  Vorrecht 
der  Samurai. 


384  XXIII.  .Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

noch  erblichen  Landbesitz.  2.  Volks-Ärzte  (Matchiisha),  die  zu  den  gewöhn- 
lichen Leuten  (heimin) i)  gerechnet  wurden. 

Der  ärztliche  Stand  ergänzte  sich  seit  alter  Zeit  aus  den  Söhnen  der 
Ärzte.  Doch  bestand  kein  gesetzlicher  Zwang.  Häufig  nahm  aber  der 
Lehrherr  den  Lehrling  als  Sohn  2)  an.  Es  war  guter  Ton,  daß  die  Ärzte 
gegen  jedermann  eine   ausgesuchte,  ja  unterwürfige  Höflichkeit  bezeigten. 

Für  die  gesellschaftliche  Stellung  der  Ärzte  blieb  maaßgebend  die  Ver- 
ordnung des  Jeyasu  (Gongensama).  Unter  den  Gesetzen,  durch  welche 
der  Gründer  der  Tokugawa-Herrschaft  zweiundeinhalb  Jahrhunderte  hin- 
durch Macht  und  Ordnung  im  Reiche  aufrecht  erhalten,  heißt  es 3):  32.  Weil 
die  Menschen  dieser  Welt  nicht  frei  von  Krankheiten  sein  können,  haben 
die  Weisen  des  Alterthums  voll  Mitleid  die  Heilkunde  geschaffen.  Wenn 
deren  Jünger  nun  auch  die  Krankheiten  geschickt  heilen  und  Erfolge  haben, 
so  dürft  Ihr  ihnen  doch  keine  großen  Einkünfte  verleihen;  denn  sie  wür- 
den dann  nothwendigerweise  ihren  Beruf  vernachlässigen.  Ihr  sollt  ihnen 
daher,  so  oft  sie  eine  Kur  gemacht  haben,  eine  der  Grüße  ihres  Erfolges 
entsprechende  Belohnung  geben. 

Der  Schüler,  welcher  Chinesisch,  das  Latein  Ostasiens,  gelernt,  ging 
zu  einem  Arzt  in  die  Lehre  und  wohnte  in  dessen  Hause.  Er  las  ein  oder 
mehrere  Bücher  ärztlichen  Inhalts, .  sah  zu,  lernte  mit  Kranken  umgehen, 
schrieb  Verordnungen  und  bereitete  Arzneien;  nach  2  Jahren  hatte  er 
ausgelernt,  eine  Prüfung  fand  nicht  statt. 

Die  nothwendigsten  Heilmittel  (z.  B.  eine  Mischung  von  Moschus,  Cam- 
pher u.  dgl.)  trug  der  Arzt  stets  bei  sich  in  einer  Büchse. 

Drei  japanische  Spezialitäten  sind  zu  beachten:  i)  das  Nadel- 
stechen, 2)  das  Brennen,  3)  das  Kneten. 

i .  Das  Nadelstechen  ist  sehr  alt,  geschieht  mitltels  feiner,  nui'  ^/4^  Zoll 
dicker,  scharfer  Nadeln  aus  Silber,  auch  aus  Gold  oder  Stahl,  mit  scharfer 
Spitze:  acht  bis  zehn  werden  in  regelmäßigen  Figuren,  Y2 — V4  ^°'^  ^'^^»  ^^^" 
gestochen,  oft  an  Stellen,  wo  die  Nerven  nahe  an  die  Oberfläche  treten,  — 
gegen  Krampf,  Schmerz  und  sonstige  Nervenkrankheilen.  Es  giebt  kleine  Büch- 
lein mit  Abbildungen,  welche  die  Regeln  für  das  Nadelstechen  enthalten. 

Das  Verfahren  ist  von  China  eingeführt,  wurde  bereits  in  der  japanischen 
Universität  vor  zwölfhundert  Jahren  gelehrt,  gerieth  dann  in  Vergessenheit  und 
wurde  1682  n.  Chr.  auf  Veranlassung  des  Shogun  Tsunayoshi  wiederbelebt  durch 
den  blinden  Sugiyama  Waichi*). 


I 


i)  Hierzu  gehörten  alle,  außer  den  Fürstendienern  und  Priestern,  nämlich: 
1.  Ackerbauer,  2.  Handwerker,  3.  Kaufleute. 

2)  Das  scheint  sich  bis  heute  erhalten  zu  haben:  ich  fand,  daß  M.  Inouye 
seine  Assistenten  adoptirt  hatte. 

3)  Mitth.  d.  Deutsch.  Gesellsch.  f.  Natur-  u.  Völkerkunde  Ostasiens,  I,  1,  <2 
(1873—1876). 

4)  Der  Shogun,  sehr  zufrieden  mit  seiner  Behandlung,  forderte  ihn  auf,  eine 
Belohnung  zu  verlangen.  >Möge  es  Ew.  Hoheit  belieben,  daß  ich  ein  Auge  wieder- 
erlange.« —  Der  Shogun  schenkte  ihm  ein  Haus  in  der  Ein  Auge-Straße  zu  Yedo. 


Geschichte  der  japanischen  Heilkunde.  385 

2.  Das  Brennen  geschieht  mittels  dünner  Walzen  oder  Kegel  aus  Zunder 
(von  den  Blättern  der  Artemisia,  Beifuß,  japanisch  Moxa).  Mehrere  Kegel  wer- 
den an  derselben  Körperstelle  abgebrannt,  und  das  Verfahren  vielfach  wiederholt, 
nicht  bloß  zur  Heilung  von  Krankheiten,  sondern  auch  zur  Verhütung.  Ärzte  be- 
zeichnen die  Stelle,  Laien  (Weiber)  führen  das  Brennen  aus,  und  zwar  recht  ge- 
schickt und  schnell,  wie  ich  selber  beobachtet.    Es  ist  nicht  sonderlich  schmerzhaft. 

Einen  Japaner  zu  sehen,  der  nicht  an  den  Waden  und  an  der  Wirbel- 
säule Narben  von  Moxen  hatte,  gehörte  zu  den  seltensten  Beobachtungen  in 
Wernicu's  Poliklinik  (1874 — 1876);  denn  an  erstei-er  Stelle  bildeten  sie  angeb- 
lich einen  Schutz  gegen  Kakke,    an  letzterer  gegen  Lepra  und  Ilirnkrankheiten. 

Die  Hippokraliker  brannten  gelegentlich  bei  Hüftschmerz  und  Podagra 
mit  einem  Ballen  aus  Flachsfasern  (w//oÄn7_'>)  oder  mit  Feuerschwamm  {/tiVArjai). 
—  nt()i  jiciO^Cov  29,  31,  :ieql  tCjv  trrog  7cl(Dv)V,  18,  und  a,  0.  Vgl. 
auch  Cael.  Aur.  cliron.   V,   \. 

Prosper  Alpinus  (l  580 —  1  58  i,  de  med.  Aegjpt.  III,  12)  hat  uns  eine  genaue 
Beschreibung  des  von  den  mohainedanischen  Ärzten  in  Ägypten  geübten  Bren- 
nens überliefert.  Aber  der  Name  Moxa  erscheint  nicht  vor  der  zweiten  Hälfte 
des  17.  Jahrhunderts.  Das  Wort  ist  japanischen  Ursprungs  (muksa  =  Brenn- 
kraut) und  nicht  von  den  Portugiesen  nach  Europa  gebracht,  sondern  von  Hol- 
ländern und  Deutschen.  Vgl.  Valentini'),  Histor.  moxae,  Leiden  1086,  12*'. 
Ferner  Kämpfer  (1690  in  Japan),  Amoen.  exot.  fasc.  V,  Lemgov.  1712,  p.  592: 
»Sub  communi  appellatione  Moxae  non  modo  Sina  domesticam  habet  sed  omnes 
Sinensium  literis  et  doclrina  cruditae  nationes,  Japonii,  Coraecnses,  Quinamenses, 
Luconienses,  Formosani,  Coccincincses,  Tonkinenses.  .  .  .  Moxa  lanugo  est.  Con- 
hcitur  ex  Artemisiae  .  .  .  foliis  exsiccalis. «  —  Kämpfer  fügt  auch  einen  » Brenn- 
spiegel <  bei,  nach  einem  chinesisch-japanischen  Di"uck,  worauf  der  Mensch  von 
vorn  und  von  hinten  abgebildet  ist,  nebst  den  zu  brennenden  Stellen  und  den 
Anzeigen.  —  »I,  3.  Bei  Bauchschmerz  brennt  man  zu  beiden  Seiten  des  Nabels. 
I,  5.  Bei  schweren  Geburten  muß  die  äußerste  Spitze  des  kleinsten  Zehen  am 
Unken  Fuße  mit  drei  Kegeln  gebrannt  werden.  *      U.  s.  w. 

3.  Das  Kneten  wird  geübt,  und  zwar  von  oben  nach  unten,  nicht  bloß  zur 
Heilung  von  Krankheiten,  sondern  auch  zur  Erfrischung  des  Körpers;  haupt- 
sächlich von  den  Blinden  2)^  (amma),  welche  abends  die  Straßen  durchwandern 
und  mit  der  Pickelflöte  sich  ankündigen.  So  ernähren  sie  ihre  Familien 3),  statt 
wie  bei  uns  der  Gemeinde  zur  Last  zu  fallen,  und  gewinnen  so  viel,  daß  sie 
oft  im  Nebenamt  Geld  verleihen.  Bis  1870  machten  sie  eine  besondere  Gilde 
aus,  für  deren  höchste  Stufe  nebst  der  Prüfung  eine  Baarzahlung  von  tausend 
Dollars  (yen)  zu  leisten  war! 


\]  Dieses  seltene  Büchlein,  das  weder  in  Berlin  noch  in  Holland,  wohl  aber 
in  der  Göltinger  Universitäts-Bibliothek  vorhanden  ist,  beweist,  ^.  daß  kurz  vor 
dem  Jahre  1681  Herman  Buschoof,  ehemaliger  Pastor  in  Holländisch-Indien,  den 
Deutschen  die  Moxa  bekannt  gemacht  hat;  2.  daß  man  schon  damals  an  mit- 
gebrachten Exemplaren  mit  dem  Mikroskop  Theile  der  Artemisia  latifolia  erkannt 
hatte.  —  Hiermit  stimmen  Kämpfer's  Angaben  überein. 

2)  Etwa  50^  der  Blindheit  war  durch  Pockenkrankheit  bedingt  (35X  in  Eu- 
ropa), vor  Einführung  der  Schutzpocken-Impfung.  Vgl.  meine  Mittheilung  ,  Berl. 
klin.  Wochenschr.  1873,  No.  5).  —  Nach  der  Volkszählung  vom  Jahre  1875  waren 
in  Japan  unter  33  110  825  Einwohnern  101  587  blind,  taub  oder  verkrüppelt;  es 
ist  wahrscheinlich,  daß  die  meisten  blind  waren. 

3)  Heirathen  zwischen  zwei  Blinden  war  streng  verboten. 

Handbuch  der  AugenheUkunde.   2.  Aufl.   XIV.  Bd.  (VII.)  XXUI.  Kap.  25 


3gg  ■    XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

Die  japanische  Massage  besteht  in  sanften  Reiben  der  Körperoberfläche 
mit  der  Hand,  passiven  Bewegungen  der  Gelenlte  und  Kneten  der  oberfläcli- 
lichen  Muskel. 

Japanische  Äi'zte  empfehlen  die  Massage  bei  Rüclienmarks-Schwind sucht  und 
bei  Lähmung,  bei  Hysterie  und  Kopfschmerz,  bei  Hüftweh  und  Muskelschwäche, 
auch  bei  schwerer  Entbindung  und  nach  der  Entbindung,  um  die  Brüste  weich 
zu  machen. 

Die  Geschickhchkeit  und  Kenntniß  der  Blinden  ist  überraschend.  — 

Was  früher  den  Inhalt  der  wissenschaftlichen  Heilkunde  bildete,  wird  später 
Inbe^^riff  der  Volks-Medizin,  in  Europa  wie  in  Asien.  Nadelstechen,  Brennen, 
Kneten  sind  heute  noch  für  das  Volk  in  Japan  die  Allheilmittel.  Als  ich  einen 
größeren  Spaziergang  im  Gebirge  gemacht,  wurde  mir  das  Kneten  von  dem  höf- 
hchen  Wirth  sofort  angeboten,  von  mir  aber  mit  ebenso  höflichem  Danke  ab- 
gelehnt. 

Aberglauben  auf  dem  Gebiete  der  Heilkunde  ist  weit  verbreitet,  in  Japan 
und  —  auch  anderswo. 

Als  ich  an  der  fichtenbekränzten  Seeküste  bei  Suma  das  mit  aufgehäng- 
ten Papierstreifen  und  brennenden  Kerzen  verehrte  Steindenkmal  des  im  Jahre 
H84  gefallenen  jugendlichen  Helden  Atsumori  besuchte,  fand  ich  dort  ein  Pil- 
gerpaar, eine  ältliche  Mutter  mit  ihrem  2 "jährigen  Sohne;  und  da  ich  fragte, 
weshalb  sie  die  Pilgerfahrt  unternommen,  hob  die  Mutter,  ohne  ein  Wort  zu 
sagen,  den  weißen  Leinwandrock  des  Sohnes  auf  und  zeigte  mir  bekümmei't 
seine  Elephantiasis  des  Hodensacks.  Und  als  ich  ihr  sagte,  daß  gerade  diese 
Krankheit  nicht  von  dem  göttlichen  Helden,  sondern  von  dem  Arzt  in  Kobe 
geheilt  werde,  machte  sie  eine  recht  ungläubige  Miene. 

Während  meines  Aufenthalts  in  Japan  wurde  ein  Bauer  zu  9  Jahren 
Gefängniß  verurtheilt,  der  in  der  festen  Überzeugung,  daß  die  Blindheit  seiner 
geliebten  Mutter  nur  durch  Verzehren  eines  frischen  Menschenherzens  geheilt 
werden  könne,  seine  freiwillig  und  mit  Freuden  sich  darbietende  Frau  zu  diesem 
Behufe  getödtet  hatte. 

In  buddhistischen  Tempeln  steht  die  Holzbildsäule  eines  Heiligen  oder  Heil- 
gottes (Binzuru,  eines  der  16  Hakan  oder  Sendboten  des  Buddha,)  —  außer- 
halb der  Kanzel,  weil  er  die  Schönheit  eines  Weibes  bemerkt  hatte.  Die  Gläu- 
bigen reiben  die  Bildsäule  an  dem  Theile,  der  ihnen  selber  weh  thut. 

IV.  Aber,  nachdem  in  Folge  des  1853  von  dem  Commodore  Percy 
erzwungenen  Vertrages,  die  Dämme  der  Absperrung  durchbrochen  waren, 
da  flutheten  die  Wogen  europäischen  Könnens  mit  Macht  über  das  Land  und 
zerstörten  in  kurzer  Frist  die  schwachen  Werke  altchinesischer  Grübeleien. 

Zuerst  waren  es  japanische  Gelehrte  von  holländisch- medizinischer 
Ausbildung,  die  1857,  also  noch  unter  dem  Shogunat,  eine  Medizin-Schule 
zu  Yedo  einrichteten,  die  dann  1860  als  »europäisch-medizinische  Anstalt« 
von  der  Regierung  übernommen  wurde,  in  Ryöjun  Masumoto  ihren  Leiter 
erhielt  und  als  Vorläufer  der  medizinischen  Fakultät  zu  Tokyo  angesehen 
werden  kann. 

Auf  Befehl  des  Shogun  errichtete  dann  Ryöjun  Matsumoto  1860  ein 
Hospital  in  Nagasaki,  in  welchem  ärztlicher  Unterricht  ertheilt  wurde, 
theils  von  holländischen,  theüs  von  japanischen  Ärzten.    Unter  den  ersten 


Anfänge  der  europ.  Aiigenheilk.  in  Japan.  387 

war  Dr.  Pompe  van  Meerdervort,  ein  Marine-Arzt,  der  die  jungen  Japaner 
ganz  nach  europäischer  Art  unlcrrichlele.  Zur  theoretischen  Unterweisung 
benutzte  er  die  holländische  Übersetzung  von  Virchow's  Cellular-Pathologie, 
zur  praktischen  das  Handbuch  der  Pathologie  und  Therapie  von  Wunderlich. 
Zwei  Schüler  aus  dem  Nagasaki-Hospital  gingen  1862  nach  Holland  zur 
weiteren  Ausbildung,  —  die  ersten  Japaner,  die  europäische  Universitäten 
besuchten.  In  demselben  Jahre  trat  Baudüin  an  die  Stelle  von  Pompe 
VAN  Meerdehvort,   1  8Go  wurde  iMansfeld  zum  Direktor  ernannt. 

Um  I8G7  errichtete  die  japanische  Regierung  eine  zweite  Medizinschule, 
in  Osaka,  zur  besonderen  Ausbildung  von  Militär-Ärzten,  und  stellte  den 
genannten  Dr.  Baudüin  und  später  Dr.  Ermerins  als  Lehrer  an. 

187t  wurde  von  der  Regierung,  jetzt  des  Mikado,  der  preußische 
Oberstabsarzt  Dr.  ÄRller  und  Stabsarzt  Dr.  Hoffmann  an  die  Spitze  der 
Medizin-Schule  zu  Tokyo  (Yedo)  gestellt,  welche  den  Namen  einer  medi- 
zinisch-chirurgischen Akademie  erhielt,  mit  einer  Vorbereitungs-Schule  ver- 
sehen und    I8TG  mit  der  Universität  von  Tokyo  vereinigt  wurde. 

Unglaublich  waren  die  Schwierigkeiten,  mit  denen  die  opfermuthi- 
gen  Lehrer')  zu  kämpfen  halten.  Es  galt,  ganz  neue  Einrichtungen  in's 
Leben  zu  rufen;  es  galt,  Schüler  zu  unterrichten,  welche  weder  der  deut- 
schen Sprache  mächtig,  noch  an  das  ärztliche  Denken  gewöhnt  waren. 

Sehr  bald  ist  es  besser  geworden.  Die  genauere  Darstellung  interessirt 
mehr  die  Japaner;  mir  schienen  sie  voll  Dankbarkeit,  nach  dem  alten 
Wort:    Unsere  Lehrer,  sie  leuchten  wie  die  Sterne. 

§  995.     Die  Anfänge  der  europäischen  Augenheilkunde 

in  Japan. 

\.  Die  europäische  Augenheilkunde  wurde  den  Japanern  erst  1815  be- 
kannt durch  die  japanische  Übersetzung  des  Werkes  von  Plenck^),  die 
Kiuciio  SuGiTA  herausgab  mit  dem  Titel  Ganko  Shinsho,  d,  h.  neues 
Werk  über  Augenheilkunde.  (Bald  danach  erschien  ein  Werk,  welches  einen 
Vergleich  zwischen  der  europäischen  und  der  chinesischen  Augenheilkunde 
darstellt,  nämlich  Ganka  Kinnö,  von  Fuichi  Honjö.) 

2.  Zwei  Schüler  Siebold's  haben  als  Augenärzte  Ruf  erlangt:  Genseki 
Habu  (1768 — 1854)  Leibarzt  am  Hofe  der  Shogun,  und  Ryösai  Ko  (1799  bis 
1846),  der  später  in  Osaka  wohnte. 

3.  Der  Niederländer  Baudüin,  der  1861  nach  Nagasaki  kam,  brachte 
den  Augenspiegel,  das  Atropin  und  andre  Heilmittel  nach  Japan;  Schiel- 
Operation  und  Lid-Bildung  hat  er  zuerst  in  Japan  ausgeführt. 


1)  MÜLLER,  Hoffmann,  Doenitz,  Wernich,  Disse,  Langgaard,  Scriba,  Balz. 

2)  Vom  Jahre  1777.  (Vgl.  §  427,  §  48o.)  —  Einer  holländischen  tJbersetzung 
bin  ich  nicht  begegnet;  doch  mag  das  kurze  und  klare  Buch  eine  solche  schon 
gefunden  haben. 


388  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

4.  Der  englische  Marine-Arzt  Dr.  Willis,  1869  zum  Professor  an  der 
medizinischen  Akademie  zu  Yedo  und  zum  Direktor  des  Krankenhauses  er- 
nannt, trug  die  Augenheilkunde  im  Rahmen  der  Chirurgie  vor. 

§  996.     Die  Einrichtung  des  augenärztlichen  Unterrichts 
wird  in    dem   folgenden   Brief  geschildert,    den  Prof.  Komoto^)  aus  Tokyo 
am  17.  Nov.   1912  an  mich  gerichtet  hat: 

»Herr  Stahsarzt  Müller,  seit  1871  hier  als  Chirurg  angestellt,  unter- 
richtete nehen  seinem  Fach  auch  Augenheilkunde.  Er  war  hier  k  Jahre 
tätig;  danach  kam  an  seine  Stelle  Herr  Dr.  Schulze  aus  Stettin;  auch  er 
unterrichtete  neben  Chirurgie  noch  Augenheilkunde  2).  Er  blieb  von  1875 
bis  1880.  Da  ich  damals  sein  Schüler  war,  weiß  ich  noch,  wie  ein  Aus- 
zug aus  dem  großen  Graefe-Saemiscb  als  Lehrbuch  benutzt  worden  ist.  Da- 
mals waren  der  alte  Herr  Inouye  und  Suda  (beide  schon  gestorben)  Assi- 
stenten bei  ihm. 

Nachdem  Herr  Dr.  Schulze  uns  verlassen  hatte,  wurde  Herr  Dr.  Scuiba 
hier  als  Professor  der  Chirurgie  angestellt  und  lehrte  unser  Fach  von  1880 
bis  1886;  allerdings  hat  2  Jahre  hindurch  (1883-1885)  Herr  Dr.  Ume, 
welcher  in  Deutschland  Augenheilkunde  studirt  hatte,  unsren  Fach-Unter- 
richt ertheilt;  aber  er  starb  jung  und  somit  mußte  Herr  Dr.  Scuiba  wieder 
den  Unterricht  übernehmen ;  danach  gab  Herr  Dr.  Kono,  welcher  Assistent 
bei  Scriba  war,  2  Jahre  Unterricht  in  unsrem  Fach  (1887 — 1889).  Erst 
seit  September  1889  wurde  ich  Professor  der  Augenheilkunde  und  nahm 
diese  Stelle  bis  jetzt  ein. 

Außer  in  Tokio  giebt  es  jetzt  noch  zwei  Universitäten,  die  eine  in 
Kioto  (Prof.  der  Augenheilkunde  Assajama)  und  die  andere  in  Fukuqka 
Prof.  Omshi). 

Neben  den  Universitäten  bestehen  noch  medizinische  Akademien:  Na- 
gasaki (Prof.  MuRAKAMi),  Okajama  (Prof.  Inoüje),  Osaka  (Prof.  Mizüo),  Nagoja 
(Prof.  Kako),  Kanasawa  (Prof.  Takajasu),  Ziba  (Prof.  Ogiu),  Sendai  (Prof. 
Kodama),   Kumamoto  (Dr.  Tojoda),  Kioto  (Dr.  Itoh),  Niigata  (Dr.  Suganuma). 

Da  unser  Erziehungs-System  Deutschland  zum  Muster  nahm,  so  ist 
unser  Fach  von  Anfang  an  obligatorisch  neben  der  inneren  und  äußeren 
Medizin  und  der  Gynäkologie  gewesen.  Unser  Unterricht  besteht  in  Vor- 
lesung und  in  der  praktischen  Übung.  In  der  Poliklinik  werden  die  Kranken 
an  Praktikanten  vertheilt  und  in  der  Klinik  die  Operation  vorgezeigt. 

In  hiesiger  Universität  sind  jedes  Jahr  15 — 20  Ärzte  zugelassen,  welche 
speziell  unser  Fach  studiren ;  sie  kommen  jeden  Tag  und  helfen  bei  der 
Untersuchung  der  Kranken  mit.    So  können  sie  innerhalb  eines  Jahres  fast 


i)  Seine  Veröffentlichungen   gehören   hauptsächlich  dem  20.  Jahrhundert  an. 
2)  Augen-Operationen  am  lebenden  Kaninchen  hat  er  bei  mir  geübt.      H. 


Einführung  der  europ.  Augenheilk.  in  Japan.  389 

jede  Art  der  Krankheiten  und  der  Operationen  beobachten.  Solche  Ärzte 
haben  sich  als  Spezialisten  schon  überall  niedergelassen;  aber  doch  in  den 
nördlichen  Provinzen  weniger,  als  in  den  südlichen,  wo  der  Spezialisten  oft 
zuviel  sind. 

Hier  und  da  giebt's  noch  durch  mehrere  Augenärzte  berühmte  Familien, 
so  z.  B.  Maruo  in  Shizuoka,  Tawar.y  in  Fukuoka,  Giotoka  in  Kümamoto.« 

Zusätze. 

1.  Nach  ijährigem  Studium  wird  durch  Prüfung  der  Titel  eines  Dr.  med. 
(Igakushi)  erlangt.  Zur  Praxis  bedürfen  die  Ärzte  einer  Approbation,  die  durch 
ein  Staats-Exanien  erlangt  wird.  Wer  aber  das  Diplom  einer  Universität  oder 
Medizin  Schule  besitzt,   ist  von  dieser  Prüfung  entbunden.     (Fujikawa,  S.  91.) 

2.  MiCHiYASU  Lnouyi  zu  Tokjo  hat  1906  ')  eine  kurze  Bemerkung  über  Augen- 
heilkimde  in  Japan  veröffentlicht.  Darin  zählt  er  die  Professoren  und  im  ganzen 
29  Spezialisten  in  Japan  auf.  »Von  diesen  haben  die  meisten  in  Deutschland 
studirt.    Deshalb  schuldet  die  japanische  Augenheilkunde  Deutschland  ihren  Dank.« 

Als  die  Einlührer  der  modernen  Augenheilkunde  nennt  er  die  folgenden 
drei:  U.me,  Suda,  Tatsuya  Inouve.  Es  giebt  eine  japanische  Zeitschrift  für 
Augenheilkunde,  Nippon  Gankwa-Gakkuai  Zasshi,  veröffentlicht  von  Onishi  in 
Fukuoka. 

3.  Kurze  Bemerkungen  über  den  Charakter  der  Augenkrankheiten 
in  Japan. 

Die  Körnerkrankheit  (Trachoma)  ist  ziemlich  verbreitet  in  Japan,  auch 
im  Innern,  wohin  Europäer  kaum  vorgedrungen;  und  sicher  nicht  erst  von  den 
Europäern  in's  Land  gebracht.  Es  ist  genau  dieselbe  Krankheit  wie  bei  uns, 
wovon  ich  mich  persönlich  überzeugt  habe.  \i^/u  der  Augenkranken,  welche 
pie  Universitäts-Augenklinik  zu  Tokyo  besuchen,  leiden  an  Trachom. 

Star^)  kommt  in  Japan  verhällnißmäßig  seltner,  Drucksteigerung  (Glau- 
koma)  häufiger  zur  Operation.  Syphilitische  Netzhaut-Entzündung  ist  verhällniß- 
mäßig häufig  in  Japan,  ebenso  der  Augentripper. 

4.  Aus  Hirschberg,   ärzll.  Bemerk,  über  eine  Reise  um  die  Erde,    1893: 
Am  23.  September  1892  war  eine  Hauptversammlung  der  ophlhalmologischen 

Gesellschaft  anberaumt  worden,  im  Hause  ihres  Gründers  T.  Inouye.  Der  letztere 
hat  vor  einigen  Jahren  eine  Studien-Reise  durch  Europa  gemacht  und  in  Berlin 
einen  längeren  Aufenthalt  genommen. 

Die  von  ihm  tSSi  zu  Tokyo  gegründete  Gesellschaft  zählt  200  Mitglieder, 
die  ziemlich  vollständig  erschienen  waren,  und  hat  deutsche  Vortrags-Sprache, 
die  allerdings  im  Munde  einzelner  Japaner  rührend-kindlich  sich  ausnimmt,  und 
natürlich  auch  deutsche  Berichte,  von  denen  bisher  elf  Hefte  erschienen  sind. 
Das  letzte  Heft  enthält,  außer  der  Begrüßungsrede,  verschiedene  Vorträge,  so 
über  Diplococcen  der  Bindehaut,  über  Keratitis  parenchymatosa  propria,  über 
ein  neues  Instrument  zur  Untersuchung  des  Augengrundes,  über  ein  neues  Star- 
Messer,    sowie   meinen    eigenen   Vortrag    über   Asepsie   in   der   Augenheil- 


1)  Ophthalmology  II,  41—42. 

2)  In  den  älteren  chinesischen  Büchern,  welche  die  Japaner  früher  be- 
nutzten,  heißt  der  Star  das  weiße,  innere  Hinderniß;  also  schwarzer  Star 
iCataracta  nigra)  das  schwarze,  weiße,  innere  Hinderniß. 


390  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

künde,  den  ich  in  dieser  Sitzung  auf  Wunsch  und  nach  Wahl  der  japanischen 
Kollegen  gehallen.  Mein  Vortrag  ist  so  fehlerfrei  zu  Tokyo  gedruckt,  wie  ich 
es  vielleicht  in  London  oder  Paris  nicht  hätte  erzielen  können'). 

(Ich  glaube,  daß  die  deutsche  Vortrags-Sprache  später  aufgegeben  wurde. 
Vielleicht  ist  auch  die  Gesellschaft  wieder  eingegangen. 

Jedenfalls  wui-de  1896  die  Japanische  Gesellschaft  für  Augenheil- 
kunde [Nippon  Ganka  Gakkai]  zu  Tokyo  begründet.     Der  Vorsitzende  ist  Prof. 

KOMOTO.J 

§  997.     T.  Jnouye, 
gesL   15.  Juli  1895  zu  Tokyo  2). 

Unter  den  Augenärzten  von  Japan,  das  bekanntlich  erst  i8G8  plützlich 
den  Übergang  von  einem  mittelalterlichen  Feudalsystem  zu  einer  ganz 
modernen  Staats-Einrichtung  vollzogen,  ist  einer  der  hervorragendsten  und 
bekanntesten  T.  Inouye  in  Tokyo. 

Geboren  um  das  Jahr  1839,  erhielt  er  zunächst  den  klassisch-chine- 
sischen Unterricht  seiner  Heimalh;  aber,  von  brennender  Wißbegier  ge- 
trieben, wurde  er  ein  Schüler  des  holländischen  Arztes  Bauduin,  der  zuerst 
an  der  1857,  also  in  der  Zeit  des  Übergangs,  (noch  von  dem  Shogunat) 
in  Nagasaki  errichteten  Medizinschule,  später  in  Tokyo  wirkte.  Noch  als 
verheiratheter  Mann  und  beschäftigter  Augenarzt  hat  Inouyb  durch  Studien- 
reisen in  Europa  sich  fortzubilden  gesucht  und  an  verschiedenen  Universitäten, 
wie  Berlin  und  Heidelberg,  längere  Zeit  zugebracht.  Sept.  1 892  zu  Tokyo 
fand  ich  ihn  in  seiner  Privat-Augenheilanstalt  inmitten  eines  gewalligen 
Kranken-Materials,  das  er  mit  rührender  Geduld  von  Morgens  5  bis  Abends 
6  Uhr  abfertigte;  umgeben  von  zahlreichen  Hörern,  Studenten  wie  Ärzten, 
obwohl  er  keine  Professur  an  der  Universität  bekleidete;  in  seinem  asep- 
tischen Operations-Saal,  in  dem  eine  Glaswand  den  Wundarzt  von  den 
Zuhörern  scheidet;  als  Vorsitzenden  der  von  ihm  gegründeten  ophthal- 
mologischen Gesellschaft.  Diese  Gründung  ist  L\ouye's  Hauptverdienst. 
Sein  zweites  besteht  darin,  daß  er,  als  erster  in  Asien,  einen  Atlas  der 
Ophthalmoskopie  herausgegeben,  worin,  neben  vielem  Bekannten,  auch 
seltene  Fälle,  wie  Netzhaut-Blutungen  bei  Kakke  (Beri-beri)  abgebildet  sind. 

Jnouye's  Charakter  zeigte  eine  Mischung  von  rührender  Naivität,  hoher 
gesellschaftlicher  Bildung  und  tiefer  Herzensgüte.  Als  ich  von  Tokyo  abreiste, 
brachte  er  mir  zum  Bahnhof  ein  große  Papier-Rolle,  auf  welcher  er  die  Namen 
und  Wohnorte  seiner  hauptsächlichsten  Schüler  in  den  von  mir  zu  durch- 
reisenden 13  Provinzen  Japans  deutsch  und  japanisch  verzeichnet  hatte, 
damit  ich  mich  an  den  nächsten  wende,  wenn   »Gefahr«   droht. 

Nach  den  ersten  großen  Erfolgen  Japans  im  letzten  chinesischen  Kriege 
sandte  er  mir  seine  Photographie,   »hoch  zu  Roß«.     Ich  ahnte  nicht,  daß 


1)  Das  beistehende  Bild  ist  nach  einer  Photographie,  welche  die  augenärzt- 
liche Gesellschaft  sofort  nach  meiner  Ankunft  zu  Jokohama  anfertigen  ließ. 

2)  Nach  Hirschberg,  C.  B1.  f.  A.  1895,  S.  286. 


Grncfe-Saemisch,  Handbuch,  2.  Aufl.,  XIV.  Bd.  ^VII),  XXllI.  Kap. 


Tafel  1. 

Zu  S.  390. 


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-^     o 


Verlag  von  Julius  Springer  in  Berlin. 


Japan:  T.  Inouye.  391 

der  SL-hlanke  Renner  sein  Verderben  sein  sollte.  Am  10.  Juli  1895  stürzte 
er  mit  dem  Pferde  auf  die  linke  Seite  und  erlitt  einen  komplicirten  Bruch 
des  linken  Unterschenkels;  am  15.  trat  plötzlich  Meningitis  dazu,  an  der 
er  Vorm.  1  1  Uhr  sanft  entschlafen  ist:  wie  mir  sein  Schwieger-  und 
Adoptiv-Sohn,  der  auch  sein  erster  Assistent  war,  Hr.  Tatsushichi  Inouye, 
am  20.  Juli  d.  J.  geschrieben. 

Zusätze 

1.  Im  Januar  18  83  hat  T.  Inouye  das  folgende  Schriftstück  veröffentlicht 
und  versandt. 

Mein  Lebenslauf. 

Meine  Vorfahren  lebten  seit  200  Jahren  als  Arzte  in  Sbikoku  und  behandelten 
seit   70  Jabron  jährlich   2000  —  iOOO   Kranke  aller  Art. 

Als  ich  33/4  Jalu-e  alt  wurde,  begann  ich  Japanisch  und  Chinesisch  zu  lernen. 
Vom  12.  Lebensjahr  an  sludirte  ich  Mathematik  und  vom  18.  an  japanische 
und  chinesische  Arznei-Wissenschaft.  In  meinem  22.  Lebensjahr  fing  ich  an 
«uropäiscbe  Medizin  zu  sludircn,  und  zwar  zunächst  aus  übersetzten  Büchern, 
nachher  beim  Herren  Bauduin  (einem  holländischen  Arzt)  mit  Hilfe  eines  Dol- 
metschers. 

In  1869  war  ich  Assistenz-Arzt  abwechselnd  bei  den  Herren  Dr.  Müller 
und  Dr.  Hofk.mann  und  lernte  dabei  die  deutsche  Sprache.  Vom  25.  Lebensjahr 
wurde  ich  Assislenz-Arzt  beim  Herrn  Dr.  Schulze.  Seit  1877  behandelte  ich  Privat- 
kranke,  und  zwar: 

Im  Jahre   1877 360   neue  Patienten. 

»  1878 930  » 

1879 1159 

»  1880 2000 

.  1881 2600  » 

»  1882 2700 

»  1883 2700  » 

>  188  4 3170  » 

In  Tokyo  sind  ungefähr  13 — 20  Ophthalmologen,  aber  ich  behandle  jetzt 
^4  sämtlicher  Augenkranken. 

Ich  stehe  augenblicklich  im  37.  Lebensjahr  und  vom  30.  Lebensjahr  bis  vor 
^  Jahren  hielt  ich  Augenklinik  in  der  Akademie  zu  Tokyo. 

2.  Vor  mir  liegen  die  »Jahresberichte  der  Privat-Augenkhnik,  erstattet  von 
T.  Inouye«,   für   1883,    1884,    1883/6,    1887/8. 

Die  Augen-Heilanstalt  ist  1881  errichtet,  1883  erweitert  und  umgebaut: 
»nach  europäischem  Maßstab  füi-  35  Betten  eingerichtet;  kann  aber  mit  50  Kranken 
belegt  werden,  da  die  Japaner  nicht  in  Bettstätten  schlafen.  .  .  Die  Abtritte 
sind  gut  ventilirti).  .  .  Auf  der  Mitte  des  Daches  steht  ein  kleiner  Wart-Thurm, 
um  die  in  Tokyo  so  häufigen  Brände  genügend  vorbeachten  zu  können«. 

Der  Bericht  für    1883    vermeldet    13  Star-Ausziehungen,    82  Iridektomien. 

1)  Wasserspülung  (-klosets)  gab  es  1892  nicht  in  Japan,  da  der  Roth  zum 
Düngen  unentbehrlich  schien. 


392 


XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 


Der  Bericht  für  188  4  bringt  eine  eigenartige  Ausführung  des  peripheren 
Linear-Schnitts  zur  Star-Ausziehung.  (Oberhalb  der  Hornhaut  .wird  die  Binde- 
haut mit  einer  besonderen  Fixir- Pinzette  erfaßt,  unterhalb  der  Hornhaut  die 
Druckstange  angelegt). 

Fig.  4. 


Lederhaut-Schnitt  zur  Star-Ausziehuug. 

Der  Bericht  für  die  beiden  Jahre   1887  und   1888  vermeldet: 

A.  Kr 5570  -}-  4973. 

B.  Kr 366  +  420. 

Star-Ausziehung  27  +  44. 

Ein  sehr  eigenlhümliehes  Star-Messer  hat  T.  J.  im  C.  Bl.  f.  A.  1888,  S.  24  2 
veröffentlicht  und  hinzugefügt:  »Der  Japaner  hat  einen  niedrigeren  Nasenrücken.  .  . 
Daher  berührt  man,  nach  dem  Ausstich,  den  Nasenrücken  nicht«. 


mmmmmmmsmi 


Star-Messer. 

§  998.     Schluß-Betrachtung. 

Junge  japanische  Ärzte  haben  in  Europa  und  namentlich  in  Deutsch- 
land, unter  der  Obhut  unsrer  Professoren,  manche  fleißige  und  auch 
nützliche  Arbeit  geliefert. 

Aber  neue,  selbständige  Entdeckungen  japanischer  Arzte  waren  im 
19.  Jahrhundert  auf  unsrem  Gebiet  noch  nicht  zu  verzeichnen. 


§  999.     Ägypten 
ist   so    häufig  in   der  Geschichte   der  Augenheilkunde   des  1 9.  Jahrhunderts 
genannt  worden,   namentlich  als  Quelle  der  sogenannten   ägyptischen  oder 


Ägypten.  393 

militärischen  Augen-Entzündung,  daß  mir  eine  Sonder-Betrachtung  über  die 
augenärztlichen  Verhältnisse  Ägyptens  während  des  1 9.  Jahrhunderts  ge- 
boten scheint. 

Ich  glaube,  meine  Leser  werden  mir  dankbar  sein,  daß  auf  meine 
Bitte  mein  Freund  Dr.  Max  Meyerhoff,  der  so  viele  Jahre  in  Ägypten  als 
Augenarzt  gewirkt,  diesen  wichtigen  Paragraphen  geschrieben  hat. 

§  1000.     Die   augenärztlichen  Verhältnisse  in  Ägypten 
während    des    19.  Jahrhunderts    von    Dr.  Max  Meyerooff, 

z.  Zt.  Hannover.  (September  1915.) 
Nach  dem  Abzüge  der  Franzosen  aus  Ägypten  Ende  1801  wurden  die 
von  ihnen  geschaffenen  militärischen  und  gesundheitlichen  Einrichtungen 
von  Türken,  Mameluken,  Beduinen  und  Fellachen  mit  gleicher  Wut  zerstört. 
Ihre  Dammwege  zerfielen,  ihre  Alleebäume  wurden  abgehauen,  ihre  Kranken- 
häuser, auch  das  Augen hospital  in  Giza,  dem  Verfall  oder  den  früheren 
Besitzern  der  Gebäude  überlassen. 

Als  der  deutsche  Forschungsreisende  Seetzen  1807 — 1810  in  Ägypten 
weilte  1),  war  von  den  französischen  Einrichtungen  nichts  mehr  vorhanden. 
Das  arabische  Hospital  Murisldn,  welches  der  Mameluken-Sullan  Qalaun  im 
13.  Jahrhundert  so  glänzend  eingerichtet  hatte,  war,  wie  es  Desgenettes 
beschrieben 2),  ein  schmutzstarrendes  Loch,  in  welchem  einige  zwanzig 
Wahnsinnige  an  Ketten  gehalten  und  mit  der  Peitsche  kurirt  wurden. 
Dennoch  begann  die  europäische  Medizin  damals  in  Ägypten  einzudringen : 
der  deutsche  Arzt  Dr.  Ritz  aus  Mainz  führte  die  Pockenschutz-Impfung 
Jenner's  ein,  und  Mohammed  ALi-Pascha  gab  selbst  das  gute  Beispiel  des 
Fortschritts,  indem  er  eine  seiner  Töchter  impfen  ließ.  Ein  jüdischer  Arzt, 
Dr.  Marpurg  aus  Friaul,  kam  schon  damals  in  Ruf  und  wurde  später  unter 
dem  Namen  Morpurgo  der  gesuchteste  Praktiker  Ägyptens  ^j.  Seetzen  hat 
selbst  im  September  1807  in  Kairo  eine  heftige  Augen-Entzündung  durch- 
gemacht, die  er  in  seinem  Tagebuch  beschrieben  und  durch  die  bekannten 
Theorien  zu  erklären  gesucht  hat.  Weder  Dr.  Morpurgo,  noch  der  ita- 
lienische Arzt  Brocchi   aus   Bassano^),    noch  die   deutschen   Naturforscher 


i)  Ulrich  Jasper  Seetzen's  Reisen  durch  Syrien,  Palästina,  Phönizien,  die 
Transjordan-Länder,  Arabia  Petraea  und  Unter-Ägypten.  Herausgeg.  und  com- 
mentirt  von  Fr.  Kruse,  Hinrichs,  Fr.  H.  Müller  u.  A.  Bd.  III.  Berlin  1853.  Seetzen, 
von  Geburt  Oldenburger,   kam  1811   auf  einer  Forschungsreise  in  Südarabien  um. 

2)  R.  D.  Desgenettes,  Rapport  sur  le  Möristan  ou  höpital  du  Kaire.  In  Me- 
raoires  sur  I'Egypte,  T.  II,  An  IX  (1801),  p.  49—33. 

3)  Er  starb  1826.     Seine  Nachkommen  leben  noch  heute  in  Alexandrien. 

4)  Giornale  delle  osservazioni  fatte  ne'  viaggi  in  Egitto,  nella  Siria  e  nella 
Nubia,  opera  inedita  postuma  dell  Dott.  G.  B.  Brocchi  ecc.  Bassano  1841 — 43. 
5  vol.  in-8,  con  atlante. 

Brocchi  starb  1826  in  Sennaar  an  einem  Tropenfieber, 


394  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

Ehrenberg  und  Hemprich  i),  welche  in  den  -1 820  er  Jahren  bei  dem  erstgenannten 
aus  dessen  Erfahrungen  gelernt  haben,  vermochten  über  die  alten  Hypothesen 
der  Entstehung  der  Ophthalmie  durch  Sonne,  Staub,  Schweiß,  Nachtkühle 
u.  dgl.  sich  zu  erheben.  Ehrenbrrg  hat  später  einen  kurzen  Vortrag  über 
die  ägyptische  Augen-Entzündung  gehalten 2)^  in  welchem  er  berichtet,  daß 
er  selbst,  Hemprich  und  andre  seiner  Gefährten  mehrmals  an  derselben  ge- 
litten hätten,  und  daß  ein  italienischer  Graf  zu  seiner  Zeit  in  Kairo  an 
Ophthalmie  erblindet  sei. 

Der  irische  Arzt  R.  R.  Madden^)  weilte  1825 — 1827  in  Ägypten  und 
hat  dessen  ärztliche  Einrichtungen,  Krankheiten  und  Volksmedizin  an  vielen 
Stellen  seiner  Reisebeschreibung ^j  besprochen.  Schon  auf  Kandia  traf  er 
die  ägyptische  Augen  Entzündung  unter  den  Truppen  IßRAUiM-Pascha's;  fast 
keiner  der  zum  Heeresdienst  gepreßten  Fellachen  hatte  zwei  gesunde  Augen. 
In  Ägypten  fand  er  die  Hospitäler  in  einem  traurigen  Zustand,  besonders 
das  schon  erwähnte  Irrenhaus  Murislun  Qalaün.  Von  den  zehn  Plagen  w^ar 
die  »Finsterniß«  als  Folge  der  Augen-Entzündungen  und  des  Despotismus 
die  verbreitetstc.  Im  Frühjahr  1827  erkrankten  Madden  und  sein  Reise- 
begleiter auf  ihrem  Nilschiff  an  Augen-Entzündung.  Obwohl  aber  die  Lehre 
von  der  Ansteckungsfähigkeit  dieser  Krankheit  schon  seit  zwei  Jahrzehnten 
in  Großbritannien  zu  Hause  war,  behandelte  sich  der  Arzt  mit  Blutent- 
ziehung bis  zur  völligen  Entkräftung,  und  wurde  das  Leiden  nur  schwer 
los.  Seine  guten  Rathscbläge  (Bd.  I,  S.  392)  für  Reisende  haben  daher 
nicht  gerade  viel  Wert. 

Inzwischen  hatte  Mohammed  ALi-Pascha  (1769 — 1848),  der  Stammvater 
der  heutigen  Dynastie  von  Ägypten,  nachdem  er  sein  Land  mit  starker 
Hand  von  inneren  und  äußeren  Feinden  befreit,  begonnen,  europäische 
Kultur  und  Technik  im  Nil-Lande  einzuführen.  Er  wandte  sich  zunächst 
fast  ausschließlich  an  Franzosen:  die  Generalkonsuln  de  Lesseps  und  Dro- 
vETTi  beeinflußten  seine  Politik  und  Zivil- Verwaltung,  der  Oberst  SfevE  (als 


1)  Naturgeschichtliche  Reisen  durch  Nord-Afrika  und  West- Asien  in  den  Jah- 
ren 1820 — 25  von  Dr.  W.  F.  Hemprich  und  Dr.  C.  G.  Ehrenberg.  Historischer  Teil. 
Berlin,  Posen  und  Bromberg  1n28. 

Hemprich  starb  am  30.  Juni  1825  in  Massaua  am  Wechselfieber;  Ehrenberg 
wurde  später  als  Mikroskopiker  berühmt,  starb  als  Professor  zu  Berlin  am 
27.  Juni  1876. 

2)  Über  die  Krankheiten  in  Ägypten  und  die  jetzige  arabische  Heilkunde. 
Von  Dr.  Christian  Gottfried  Ehrenberg.  In  Hecker's  Litterarischen  Annalen  der 
gesammten  Heilkunde,  Bd.  VII,  Berlin  1826,  S.  1—24. 

3)  Richard  Robert  Madden  (1798 — 1886)  aus  Dublin,  Arzt  und  Publizist,  Vor- 
kämpfer für  die  Freiheiten  Irlands  und  gegen  den  Sklavenhandel.  184  0 — 41  war 
er  ein  zweites  Mal  in  Ägypten.     (Dict.  of  Nat.  Biogr.  XII,  1909,  p.  739—40.) 

4)  Travels  in  Turkey,  Egypt,  Nubia,  and  Palestine,  in  1824,  1825,  1826  and 
1827.    By  R.R.  Madden,  Esq ,  M.  R.  C.  S.     In  two  volumes.     London  1829.   80. 


Die  augenärztl.  Verhältnisse  in  Ägypten  während  des  19.  Jahrh.  395 

Renegat  SonMAN-Pascba  genannt,)  schuf  sein  Heer,  der  Ingenieur  de  Cerisy- 
Bey  reorganisirte  seine  Flotte  nach  ihrer  Vernichtung  bei  Navarino.  1825 
berief  der  Herrscher  den  jungen  Dr.  Glot  aus  Marseille,  um  das  europäische 
Medizinal-Wesen  in  Ägypten  einzuführen  ^].  Dasselbe  sollte  zunächst  nur  der 
Armee  zu  gute  kommen,  zu  deren  Chefchirurgus  Clot  ernannt  wurde.  Er 
schuf  zuerst  einen  Gesundheitsralh,  Regiments-Ärzte  und  -Lazarele,  sorgte  für 
Sanitäts- Material,  und  konnte  schon  1827  mit  der  Einrichtimg  einer  Medizin- 
schule zum  Zwecke  der  Erziehung  brauchbaren  Sanitäts-Personals  beginnen 2). 
Dieselbe  wurde  in  Abü-Zaabel  nahe  dem  großen  Militärlager  von  el-Ghanqa, 
nürdüch  von  Kairo,  eingerichtet;  sie  erzog  100  eingeborne  Schüler,  welchen 
französische,  italienische  und  deutsche 3)  Professoren  Vorträge  in  ihrer 
Landes-Sprache  hielten  und  mit  Hilfe  von  Übersetzern  verständlich  machten. 
Ferner  wurde  18-27  ein  Dutzend  Ägypter  zur  weiteren  Ausbildung  in  der 
Medizin  nach  Paris  geschickt.  Die  sprachlichen  Schwierigkeiten  und  die 
religiösen  Vorurteile,  welche  CLOT-Bey  zu  überwinden  hatte,  waren  nicht 
gering;  wurde  doch  sogar  von  einem  fanatischen  Schüler  im  Sezier-Saal  ein 
Dolchstich  gegen  ihn  gerichtet,  als  Protest  gegen  die  dem  Muslim  verhaßte 
Leichenöffnung!  Nachdem  das  Lager  von  el-Ghanqa  aufgehoben  war,  wurde 
die  Medizin-Schule  1 8:n  nach  dem  alten  Palast  Qasr  el-Aini  im  südlichen 
Kairo  am  Nil -Ufer  verlegt,  dessen  Bauten  noch  heutzutage  dem  gleichen 
Zwecke  dienen.  Dort  konnten  300  Schüler  und  1000—1500  kranke  Sol- 
daten untergebracht  werden.  Das  bisherige  Militär- Lazaret  am  Esbekije- Platz 
in  Kairo  wurde  zugleich  in  ein  Civil-Krankenhaus  umgewandelt.  In  den 
Provinzen  gab  es  nur  einzelne  Krankensäle  für  die  Givil-Bevölkerung.  Die 
Irren  aus  dem  Muristän  wurden  in  das  Esbekije-Hospital  überführt  und  dort 
menschenwürdig  behandelt.  Außerdem  begründete  GtoT-Bey  eine  Gebär- 
Anstall  mit  Hebammenschule  und  eine  Tierarzneischule.  In  der  neuen 
Staatsdruckerei  zu  Buläq  bei  Kairo  wurden  zum  ersten  Male  moderne  Lehr- 
bücher der  Medizin  nach  den  Übersetzungen  französischer  Werke  durch 
die  Brüder  Ahmed  und  Ilüssfix  er-Uasciudi  arabisch  gedruckt,  darunter 
auch  die  Augenheilkunde  von  Sicbel*).    Zahlreiche  Ägypten-Reisende  haben 


1)  Antoine  CLOT-Bey,  geb.  zu  Grenoble  i793,  studirte  in  Marseille  und  Mont- 
pellier. 1823—50  Leiter  des  ägyptischen  Sanitätsdienstes,  wurde  er  durch  den  frem- 
denfeindlichen Vizekönig  Abbas  I  zurückgesetzt,  nach  dessen  Ermordung  1  834  von 
S\iD-Pascha  wieder  berufen,  verließ  Ägypten  endgültig  1860  und  starb  in  Mar- 
seille 1868. 

2)  Apercu  g^neral  sur  l'Egypte,  par  A.-B.  CLOT-Bey  etc.  Paris  1840.  T.  11, 
Chap.  XI,  p.  340—448. 

3)  Die  beiden  Bayern  Dr.  Pruner  und  Dr.  Fischer. 

4)  Übersetzt  von  Ahmed  Hassan  er-Raschidi  unter  dem  Titel  dijä'  an-nairaih 
fi  'iläg  amräd  al-'ainain  (Die  Lichter  der  beiden  Leuchtenden  über  die  Behandlung 
der  Krankheiten  der  beiden  Augen).  Buläq  1841.  80.  Die  Übersetzung  der  tech- 
nischen Ausdrücke  aus  dem  Französichen  ist  wohlgelungen.  Die  eigenen  Zusätze 
des  Raschidi  über  Ophthalmie  sind  ohne  Wert. 


396  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

die  von  GLOT-Bey  geschaffenen  Einrichtungen  besucht  und  bewundert i)^ 
unter  ihnen  der  schwäbische  Arzt  Dr.  J.  v.  Röser,  der  1834  in  Ägypten 
war,  und  der  seine  ärztlichen  Erfahrungen  in  einer  kleinen  Schrift 2)  nieder- 
gelegt hat.  Recht  ausführlich  hat  er  (S.  I — 23)  die  ägyptische  Augen-Ent- 
zündung abgehandelt,  von  der  er  selbst  befallen  wurde  und  die  er  mit 
Pru.ner  nachher  bei  zahlreichen  Kranken  des  Esbekije-  Lazarets  in  Kairo 
beobachten  konnte.  Keiner  der  damals  in  Ägypten  prakticirenden  euro- 
päischen Ärzte  hielt  die  Krankheit  für  kontagiüs,  keiner  hatte  im  An- 
schluß an  dieselbe  Granulationen  entstehen  sehen,  wie  denn  auch  v.  Röser 
selbst  bei  den  augenkranken  Ägyptern  in  Alexandrien  und  Kairo  keine 
körnigen  Wucherungen  der  Bindehaut  antraf,  wohl  aber  bei  den  türkischen 
Zöglingen  der  Offiziers-Schule  in  Damiette^),  Der  dortige  Stabsarzt  Dr.  Jamas 
wandte  übrigens  den  Hüllensteinslift  sehr  energisch  gegen  die  Granulatio- 
nen an. 

Die  Augenheilkunde  wurde  an  den  neugeschaffenen  Instituten  von  Clot- 
Bey  und  PßUNER-Bey  gelehrt  und  ausgeübt.  Beide  haben  ihre  Erfahrungen 
niedergelegt;  CLor-Bey  zuerst  kurz  in  seinem  Hauptwerk  (Bd.  II,  S.  360 — 
368),  und  gegen  Ende  seines  Lebens  in  einer  kleinen  Sonderschrift'*).  Sie 
bietet  Interesse  nur  durch  einige  geschichtliche  Bemerkungen;  im  übrigen 
war  Clot,  wie  für  die  Pest  so  auch  für  die  Ophthalmie  ein  eifriger  Gegner 
der  Ansteckungs- Theorie.  Dagegen  hat  er  das  Verdienst,  eine  energische 
örtliche  Behandlung  der  Augen-Entzündung  zuerst  in  Ägypten  eingeführt  zu 
haben;  1831  in  Gestalt  einer  gesättigten  Zink-Alaunlösung,  des  sogenannten 
Luxor-Kollyrs ;  1833  in  Form  der  Ilöllenstein-Salbe,  deren  Anwendung  er  bei 
Guthrie  in  London  gesehen  hatte;  später  ging  er  auch  zum  Gebrauch  des 
Stiftes  und,  bei  der  Augen-Entzündung  der  Neugebornen,  einer  Höllenstein- 
lösung über.  Clot  hat  selbst  während  25  Jahren  in  Ägypten  17  Anfälle 
von  Augen -Entzündung  durchgemacht;  seine  Gattin  erkrankte  erst  nach 
ihrer  Rückkehr  nach  Frankreich.  Er  hat,  wie  er  meint,  durch  diese  Anfälle, 
die  Sehkraft  des   rechten  Auges  verloren;    doch  scheint   es   sich  um  eine 


4)  Z.  B.  der  Marschall  Marmont  (Voyage   du  Duo  de  Raguse  en  Hongrie  ,  . 
et  en  Egypte.     T.  III,  p.  234— 239.     Bruxelles  1837)  und  der  bekannte  Reiseschrift- 
steller Fürst  PücKLER-MusKAu.    ;Aus  Mehemed  Ali's  Reich.   Stuttgart  1844.    S.  351 
bis  368. 

2)  über  einige  Krankheiten  des  Orients.  Beobachtungen,  gesammelt  auf  einer 
Reise  nach  Grinchenlanu,  in  die  Türkei,  nach  Ägypten  und  Syrien  von  Dr.  Jacob 
Ritter  v.  Röser.     Augsburg  1837. 

3j  Dieser  Widerspruch,  der  auch  Pruner  (S.  458)  aufgefallen  ist,  erklärt  sich 
sehr  einfach  dadurch,  daß  die  Ägypter  in  frühester  Kindheit  vom  Tracliom  be- 
fallen zu  werden  pflegen,  und  im  Pubertäts-Alter  schon  ganz  vernarbte  Bindehäute 
haben,  während  die  türkischen  Zöglinge  erst  in  Ägypten  infiziert  und  von  v.  R. 
im  floriden  Stadium  gesehen  wurden. 

4)  De  l'ophthalmie,  du  trychiasis  (!),  de  Tentropion  et  de  la  cataracte  obser- 
ves  en  Egypte.     Paris  (ohne  Datum,  wahrscheinlich  1864).     54  S. 


Die  augenärztl.  Verhältnisse  in  Ägypten  während  des  19.  Jahrh.  397 

Netzhaut-Ablösung  gehandelt  zu  haben.  Von  1825 — 1832  sah  er  zahllose, 
in  Ägypten  als  Sklaven  verkaufte  Griechenkinder  an  Ophthalmie  erkranken 
und  teilweise  erblinden.  Die  1832  als  Rekruten  eingezogenen  Syrier  er- 
krankten in  Ägypten  alle  an  Ophthalmie  oder  inneren  Leiden,  und  waren 
4  Jahre  später  meistens  gestorben  oder  erblindet.  1836  erkrankte  ein 
zweiter  Schub  syrischer  Rekruten  in  Kairo  so  heftig  an  Augen-Entzündung, 
daß  stets  3000  gleichzeitig  in  den  Lazareten  lagen,  und  im  ganzen  20  000 
behandelt  wurden.  Dank  der  Anwendung  des  Luxor- Wassers  verlor  keiner 
das  Augenlicht,  und  nur  30  (nach  Pruner  19)  behielten  Hornhautflecken 
zurück!).  Gleich  Larrey,  v.  Röser  und  andren  behauptet  Clot,  daß  auch 
die  Hausthiere  in  Ägypten  an  der  Ophthalmie  litten 2). 

PRUNER-Bey  hat  das  XIL  Kapitel  seines  Lehrbuches^)  den  Augenkrank- 
heiten in  Ägypten  gewidmet.  Auch  er  konnte  sich  nicht  mit  der  An- 
steckungsfähigkeit der  Pest  und  der  Ophthalmie  befreunden.  In  seinen 
ätiologischen  und  therapeutischen  Anschauungen  stand  er  unter  dem  Ein- 
flüsse seines  Kollegen  Clot  und  der  französischen  Schule.  Er  bat  aber 
als  einer  der  ersten  den  Augen -Kroup  beschrieben  (S.  445);  ferner  hat  er 
die  Häufigkeit  des  Glaukoms  und  der  Kurzsichligkeit,  die  Seltenheit  der 
Augen -Syphilis  bei  den  Ägyptern  richtig  beobachtet.  In  seiner  Therapie 
spielt  das  Haarseil  eine  große  Rolle.  Pruner  hat  übrigens  gleichfalls  ägyp- 
tische Medizin-Studirende  nach  Europa  gesendet,  und  zwar  nach  München 
und  Graz,  von  denen  Pierinceu  sich  die  ägyptische  Augen-Enlzündung  be- 
schreiben ließ  und  sie  der  Blennorrhoe  ganz  ähnlich  fand.^)  Auch  nach 
Mohammed  Ali's    und  Ibrabim-Pascha's  Tode    mehrte   sich    die   Zahl   der 


i)  Dr.  Lorenz  RiGLER,  Professor  der  Medizin  in  Konstantinopel,  hat  in  seinem 
Buch  »Die  Türkei  und  deren  Bewohnerc  (Wien  <8'i2,  B>1.  IF,  S  509),  diese  Angaben 
bestritten.  Er  (Rigler)  habe  später  viele  dieser  von  Mohammed  Ali-Pascha  rekru- 
tierten Soldaten  gesehen,  und  eine  Menge  schwer  Augenkranker,  Einäugiger,  sogar 
Blmder  unter  ihnen  gefunden;  von  zehn  liätten  höchstens  vier  gesunde  Augen  gehabt. 

2)  Dr.  Joseph  Werne,  Bruder  des  Reisenden  P"erdi.\axd  W.  (Feldzug  von  Senn- 
aar nach  Taka,  Stuttgart  I8;ji,  S.  150,)  erklärt  Clot-Bey  für  unwissend,  eitel  und 
moraliscli  minderwerlhig.  Ähnlich  sprach  sich  mir  gegenüber  der  (1915  in  Kairo 
verstorbene)  alte  französische  Arzt  Dr.  Fouquet  aus.  Jedenfalls  hatte  Clot  aber 
ein  bedeutendes  Organisations-Talent. 

3)  Die  Krankheiten  des  Orients  vom  Standpunkte  der  vergleichenden  Noso- 
logie betrachtet.     Von  Dr.  F.  Pruner.     Erlangen   1847.     S.  432—459. 

Franz  Pruner  geb.  8.  Mai  1808  in  der  Überpfalz,  is.to  in  München  doktoriert, 
1831  an  die  Medizinschule  zu  Abu  Za'bel  berufen,  1834  Direktor  des  Esbekije- 
Lazarets,  1837  des  Qasr  el- Aini-Hospitals,  1839  Leibarzt  des  späteren  Khediven 
Abbas-Pascha.  1860  nach  Paris,  1870  nach  Pisa  übersiedelt,  wo  er  am  29.  Sep- 
tember 1882  starb.  1833  hörte  er  eine  kurze  Zeit  lang  Augenheilkunde  bei  Flarer 
in  Pavia. 

4)  Die  Blennorrhoe  am  Menschenauge.  Graz  18M.  Einer  von  diesen  Stu- 
denten, Mustafa  el-Negdi,  hat  i85i  in  München  seine  Dissertation  über  die  ägyp- 
tische Augen-Entzündung  geliefert.  Derselbe  hat,  an  Glaukom  erblindet,  1911  mich 
in  Kairo  aufgesucht;  er  sprach  noch  ganz  gut  deutsch  in  Münchner  Dialekt,  1913 
ist  er  über  80  Jahr  alt  gestorben. 


398  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

europäischen  Arzte  in  Ägypten  ständig.  1850  wurde  Wilhelm  Griesinger 
aus  Kiel  nach  Kairo  berufen,  wo  er  in  nur  \  1/2  Jahren  die  Grundlagen 
für  sein  großes  Werk  über  die  Infektions-Krankheiten  schuf.  Theodor 
BiLHARz  wirkte  von  1851 — 1862  an  der  Medizin-Schule  und  entdeckte  den 
nach  ihm  benannten  Schmarotzer-Wurm.  Zahlreiche  deutsche  Arzte  und 
Naturforscher  passierten  in  den  nächsten  Jahrzehnten  auf  Forschungsreisen 
zum  oberen  Nil  durch  Ägypten;  manche  von  ihnen,  wie  z.  B.  Klunzinger  i) 
traten  als  Sanitäts-Arzte  in  ägyptische  Dienste.  Dr.  Robert  Hartmann  be- 
gleitete 1859 — 1860  den  Freiherrn  v.  Barnim  als  Arzt  und  Naturforscher 
auf  seiner  Reise  in  Nordost-Afrika.  Er  hat  die  Krankheiten  Ägyptens  und 
des  Sudans,  auch  die  Augenkrankheiten  in  einer  Sonderschrift  beschrie- 
ben 2).  Georg  Schweinfurth,  der  nicht  nur  als  Geograph  und  Botaniker, 
sondern  auch  als  Anthropologe  und  Pharmakognost  noch  bis  heute  un- 
ermüdlich arbeitet,  konnte  im  Winter  1913y14  in  Kairo  das  50 jährige 
Jubiläum  seiner  Forschungen  in  Ägypten  begehen.  Bekannte  und  beliebte 
deutsche  Praktiker  waren  im  Ägypten  der  60  er  und  70  er  Jahre  neben 
Dr.  Laltner  und  Reyer  der  Chirurg  Dr.  Sachs  und  der  Hallenser  Arzt 
Dr.  Wilhelm  Reil,  der  Wiederentdecker  und  Förderer  des  heule  in  allen 
Ländern  berühmten  Schwefelbades  und  Wüsten-Kurortes  Helwan  (südlich 
von  Kairo). 

Zu  erwähnen  ist  auch  der  einzige  Versuch  der  Gründung  einer  augen- 
ärzllichen  Zeitschrift  in  Ägypten  durch  den  italienischen  Arzt  Onofrio 
Abrate^)  im  Jahre  1851;  dieselbe  hat  nur  wenige  Nummern  erlebt ^).  1869 
ließ  sich  Tachau  aus  Hamburg,  ein  Schüler  und  Assistent  A.  v.  Graefe's, 
als  erster  Augenarzt  der  Reform-Zeit  in  Ägypten  nieder.  Er  schuf 
sich  zuerst  in  Kairo,  dann  in  Alexandrien,  durch  seine  glänzenden  Opera- 
tionen einen  bedeutenden  Ruf;  noch  heute,  20  Jahre  nach  seinem  Tode, 
heißt  er  bei  den  Eingebornen  »iläh  el-ajün«,  der  Gott  der  Augen!  1878 
ließ  sich  Alexander  Brugscb,  ein  Neffe  des  berühmten  Ägyptologen,  Assistent 
VON  Leber,  in  Kairo  als  Augenarzt  nieder.    1893  erblindete  er  fast  an  Augen- 


1)  Erinnerungen  aus  meinem  Leben  als  Arzt  und  Naturforscher  zu  Koseir 
am  Roten  Meere.  Von  Dr.  C.  B.  Klunzinger,  Stuttgart.  Würzburg  1915.  Klun- 
ziNGER  lebte  von  1834 — 1914;  er  hat  in  seinen  »Bildern  aus  Oberägypten«  (Stuttgart 
1877)  auch  von  der  Ophthalmie  berichtet. 

2)  Naturgeschiclitlich-medizinische  Skizze  der  Nil-Länder.     Berlin  1865 — fi6. 

3)  Giornale  ottalmologico  egiziano.  Ich  habe  nur  einen  Separat-Abdruck  der 
No.  4  vom  Juli  1851,  enthaltend  eine  Kompilation  von  Abbate  selbst  über  die 
ägyptische  Augen-Entzündung  zu  sehen  bekommen.  Dr.  0.  ABBAXE-Pascha  hat 
den  ersten  ophtlialmologischen  Kongreß  zu  Brüssel  (1857)  besucht  und  lebt  noch 
heute,  fast  90jährig,  in  Kairo  als  Nestor  der  ägyptischen  Ärzteschaft. 

4)  Anagnostakis  hat  auf  dem  internationalen  Ophthalmologen-Kongreß  in 
Brüssel  über  den  Zustand  der  Augenheilkunde  in  Ägypten  um  1850  berichtet.  Es 
gab  noch  kein  Zivil-Hospital  für  Eingeborene,  da  das  Esbekije-Lazaret  eingegangen 
war,  drei  Hospitäler  für  Europäer.  (C.  B.  du  Congr.  Int.  d"0phth.  ä  Bruxelles  1857, 
Paris  1858,  p.  409.) 


Die  augenärztl.  Verhältnisse  in  Ägypten  während  des  19.  Jahrh.  399 

diphlherie  und  starb  am  2.  Februar  I89'i-  an  Herzlühmung.  Beide  haben 
als  au'^gezeichnele  Piakliker  dem  deutschen  Namen  Ehre  gemacht;  leider 
hat  keiner  von  ihnen  seine  reichen  Erfahrungen  wissenschaftlich  verwerthet. 
Ein  deutsches  (preußisches)  Hospital  wurde  in  Alexandrien  1863,  in  Kairo 
1869  begründet. 

Die  Emrichtung  einer  Vizeküniglichen  Blindenschule  in  Kairo  —  sie 
bestand  nur  bis  zu  den  Wirren  von  1882,  —  gab  1878  dem  belgischen  Augen- 
arzt und  Sanitiits- Inspektor  Dr.  DuiRiEux-Bey  Veranlassung,  eine  offizielle 
Schrift  über  die  ägyptische  Augen-Entzündung  herauszugeben  i).  Dieselbe 
ist  im  Wesentlichen  aus  der  älteren  belgischen  und  französischen  Literatur 
zusammengeschrieben,  giebt  wenig  eigne  Beobachtungen  und  hat  daher 
nicht  viel  wissenschaftlichen  Werth.  hiimerhin  sucht  der  Verfasser  ver- 
schiedene Formen  von  Augen-Entzündung  abzugrenzen  und  erklärt  dieselben 
als  nicht  dem  Nil-Lande  eigenlhümlich. 

Der  grüßte  wissenschaftliehe  Fortschritt  auf  dem  Gebiete  der  Augen- 
heilkunde in  Ägypten  ist  mit  den  Cholera-Forschungen  Robert  Koch's  in 
Alexandrien  1883  verknüpft 2).  Außer  der  Entdeckung  des  Cholera-Vibrio 
brachten  die  Untersuchungen  des  .Altmeisters  der  Bakteriologie  an  Augen- 
kranken das  Vorhandensein  des  NEissER'schen  Gonococcus  und  des  später 
nach  Koca  und  Weeks  benannten  Bacillus  zu  Tage.  Damit  war  endlich 
die  ansteckende  Natur  gewisser  Ophthalmien  außer  Frage  gestellt,  und 
die  auffälligen  Verschiedenheiten  ihres  Verlaufes  fanden  ihre  Erklärung  durch 
die  ungleiche  Gefährlichkeit  der  Erreger.  Kocii's  Schüler  Kartülis  studirte 
insbesondere  den  weniger  gefährlichen  Kocu-WEEKs'schen  Bacillus  3),  sah  ihn 
allerdings  zu  Unrecht  als  Erreger  des  Trachoms  an.  v.  Micbel^)  scheint 
späterhin  den  Gonococcus  in  Ägypten  für  den  Trachom-Erreger  gehalten  zu 
haben.  Lucian  Howe  aus  Buffalo^)  hat  Versuche  gemacht,  die  Übertragung^ 
von  Bakterien  durch  Fhegen  nachzuweisen  und  somit  die  von  MacGrkgor, 
Griesixger,  Kocn  und  Virchow  vermuthete  Rolle  derselben  bei  der  Ent- 
stehung der  akuten  Augen- Entzündung  nachzuweisen;  indessen  hat  diese 
»Naturfürsterei«,  wie  IIirschberg  sie  witzig  benennt,  keinen  Erfolg  gehabt. 
In  neuester  Zeit  hat  Leopold  Müller  aus  Wien  seinen  Trachom-Bacillus  in 
Ägypten  wiederfinden  wollen ß).     Es   ist  später   nachgewiesen  worden,   daß 


4)  Publications  de  TEtat-Major  General  Egyptien.  Considörations  genörales 
sur  Tophthalmie  commun^ment  appelee  Ophthalmie  dEgypte,  snivies  d'une  note 
sur  les  Operations  pratiquees  ä  l'Ecole  Kh^diviale  des  Aveugles,  au  Caire  .  .  .  par 
Dr.  DuTRiEUx,  chirurgien-oculiste  etc.    Le  Caire  1878,     150  pp. 

2)  Arb.  aus  dem  Kais.  Gesundheitsamt,  Bd.  III,  1887,  Anl.  VI. 

3)  C.  El.  f.  Bakt.  u.  Paras.  Bd.  I.,  1887. 

4)  Der  Mikroorganismus  der  sog.  ägyptischen  Augenentzündung  (Trachom- 
coccus).     Arch.  f.  Augenheilk.  Bd.  XVI,  1883,  S.  348. 

5)  Ber.  über  d.  VII.  internat.  Ophth.-Congreß.    Heidelberg  1888.  S.  323  ff. 

6)  ÜberdieägyptischenAugen-Entzündungen.  Arch. f. Augenheilk.  Bd.XL,l898. 


400  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

sein  Bacillus  mit  dem  Influenza-Bacillus  nahezu  identisch  ist  und  als  Er- 
reger des  Trachoms  nicht  in  Betracht  kommen  kann. 

1889  besuchte  Hirschberg  i)  das  Pyramiden -Land  im  Februar  und  März, 
und  vermochte  trotz  der  Kürze  der  Zeit  durch  sorgfältige  Beobachtung  eine 
Reihe  von  Irrthümern  über  Trachom  und  Ophthalmie  in  Ägypten  richtig  zu 
stellen,  welche  seit  der  französischen  Expedition  nicht  aufgehört  hatten,  die 
augenärztliche  Forschung  auf  falsche  Wege  zu  lenken;  auch  die  zahlreichen 
historischen  Irrungen  stellte  er  im  Anschluß  an  seine  Reise  klar.  Dr.  A.  Osborne 
in  Alexandrien,  ein  Schüler  des  Herzogs  Carl  Tqeodor  und  Assistent  Tachau  s, 
trug  ferner  zur  klinischen  Kenntniß  der  Augenkrankheiten  Ägyptens  bei 2), 
während  L.  Müller^]  und  V.  Morax  aus  Paris 4)  die  bakteriologische  Unter- 
scheidung derselben  vervollkommneten. 

i902  fand  in  Kairo  ein  internationaler  medizinischer  Kongreß  statt, 
in  dessen  augenärztlicher  Sektion  endlos  über  das  Trachom  und  seine  Ur- 
sachen verhandelt  wurde.  Das  einzige  Resultat  dieser  Verhandlungen  war 
die  Gründung  der  heule  noch  bestehenden  »Societö  d'Ophtalmologie  d'Egypte«, 
welche  zuerst  20,  1914  aber  schon  50  Mitglieder  hatte,  und  einmal  im 
Jahre  tagt.  Der  Kongreß  halte  aber  eine  weit  wichtigere  Folge  in  Gestalt 
einer  Stiftung  von  40  000  Pfund  Sterling,  welche  der  englische  Menschen- 
freund deutscher  Herkunft  Sir  Ernest  Cassel  zur  Einrichtung  augenärzt- 
licher Hilfe  in  Ägypten  dem  englischen  Generalkonsul  Lord  Gromer  zur 
Verfügung  stellte.  Erst  durch  Übernahme  der  Unterhaltung  der  mit  diesem 
Gelde  geschaffenen  Zelt- Hospitäler  hat  die  englisch- ägyptische  Regierung 
1903  zum  ersten  Male  direkt  zur  Bekämpfung  der  Augenleiden  im  Niltal 
etwas  getan.  Die  weitere  Entwicklung  dieser  Hospitäler  ist  von  Hirsch- 
berg ^)  bereits  geschildert  worden. 

Über  den  heutigen  Zustand  ist  folgendes  zu  bemerken.  Das  Trachom 
ist  immer  noch  ungeheuer  verbreitet,  in  der  niederen  Bevölkerung  zu  98  bis 
100  0/q,  in  den  Mittelschulen*']  zu  95%.  Nur  in  den  höchsten  Klassen  der 
Eingebornen  ist  es  in  merklicher  Abnahme  begriffen.  Seine  Verbreitung 
ist  in  Unter-  und  Mittelägypten  eine  fast  gleichmäßige;  in  Oberägypten, 
vor  allem  der  dünner  bevölkerten  Provinz  Aswän,  ist  es  etwas  weniger 
allgemein,    in  Nubien   wird  es  seltener,    im  Sudan    ist  es  nur  wenig  ver- 


i)  Ägypten.     Geschichtliche  Studien  eines  Augenarztes.    Leipzig  1890. 

2)  Augenarzt!.  Beobachtungen  in  Ägypten.    Arch.  f.  Augenheilk.  XLIV,  lOOl. 

3)  Siehe  oben. 

4)  Recherches  cliniques  et  bacteriologiques  sur  la  conjonctivite  granuleuse. 
Paris  190-2.     (Abdruck  aus  den  Annales  d'üculistique  1902.) 

5)  Geschichte  der  Augenheilkunde,  III.  Buch,  10.  Abschn.  Englands  Augen- 
ärzte 1800—1850.  Graefe-Saemisch-Hess,  Handb.  d.  ges.  Augenheilk.  Bd.  XIV, 
Abt.  IV,  1914,  S.  467. 

6)  MacCallan,  Report  on  the  Ophthalmie  Section  of  the  Department  of  Public 
Health,  1912.     Cairo  1914.  fol.,  p.  23. 


Die  augenärztl.  Verhältnisse  in  Ägypten  während  des  19.  Jahrh.         401 

breitet.  Einen  weit  versprengten  Trachom -Herd  fand  kürzlich  Krusius^) 
unter  dem  Äquator  bei  den  Massa'i  in  Deutsch-Ostafrika  und  Uganda. 

Als  Erblindungs-Ursache  spielt  das  Trachom  in  Ägypten  eine,  weit  ge- 
ringere Rolle  als  der  durch  Gonococcen  erzeugte  Eiterfluß,  welcher  alljähr- 
lich von  Juni  bis  November  epidemisch,  bei  extragenitaler  Verbreitung,  vor- 
nehmlich unter  den  Kindern  von  I — 6  Jahren  auftritt;  die  Augen-Entzündung 
der  Neugebornen  ist  merkwürdigerweise  in  Ägypten  wie  in  Palästina  selten. 
Die  harmlosere,  durch  den  Kocn-WEEKs'schen  Bacillus  erzeugte  Augen-Ent- 
zündung tritt  allsommerlich  von  März  (in  Oberägypten)  oder  April  (an  der 
Küste)  bis  November  in  ungeheurer,  epidemischer  Verbreitung  auf;  ihr  sind 
die  meisten  der  aus  der  Geschichte  bekannten  Massen-Erkrankungen  zuzu- 
schreiben. Sehr  verbreitet  ist  ferner  das  chronische  primäre  Glaukom,  die 
hochgradige  Kurzsichtigkeit,  beides  häufige  Erblindungs-Ursachen,  und  das 
Flügelfell  der  Bindehaut.  Schwachsiohtigkeit  infolge  von  Hornhaut-Trübungen 
ist  außerordentlich  häufig.  (In  einer  von  Mac  Callan  untersuchten  Mittelschule 
betraf  sie  ein  Drittel  der  Schüler!) 

Blindheit  und  Einäugigkoit,  zu  70%  durch  Bindehautkrankheiten,  zu 
12%  durch  Glaukom  erzeugt,  fand  sich  bei  der  —  recht  ungenauen  — 
Volkszählung  von  1907  bei  4,5%  ^^^  ägyptischen  Bevölkerung 2);  in  der 
liandschaft  Faj.jüm  stieg  dieser  Prozentsatz  auf  fast  6  Oq;  Mac  Callan  hatte 
unter  den  Augenkranken  seiner  Ambulanzen  \  6  %  ein-  oder  doppelseitig 
Erblindete. 

An  Blinden- Fürsorge  geschieht  in  Ägypten  noch  herzlich  wenig;  es 
giebt  nur  eine  staatliche  Blindenanstalt.  Diese  Anstalt  in  Alexandrien  hat 
60  Betten,  eine  in  Kairo  mit  30  Betten  wird  aus  wohlthätigen  Stiftungen 
erhalten.  Beide  sind  nicht  einmal  voll  belegt,  denn  der  ägyptische  Blinde 
zieht  es  vor,  sein  Leben  als  Bettler,  Koran-Beter  oder  Schmarotzer  in  wohl- 
habenden Häusern  zu  verbringen,  wozu  die  vom  Islam  zur  Pflicht  gemachte 
besondere  Wohlthätigkeit  gegen  Blinde  jeden  Vorschub  leistet.  Eine  im 
Anschluß  an  den  Kongreß  der  Blindenfreunde  in  Kairo  1911  gegründete 
»Gesellschaft  zur  Besserung  des  Loses  der  Blinden  in  Ägypten«  hat  bisher 
noch  nichts  geleistet. 

Die  Zahl  der  in  Ägypten  ansässigen  Augenärzte  ist  eine  verhältniß- 
mäßig  große;  sie  wird  auf  150  geschätzt,  vertheilt  sich  aber  nur  auf  die 
größeren  Städte  Kairo  (ungefähr  70),  Alexandrien,  Port  Said,  Tanta  und 
Assiiit.  Sie  entstammen  den  verschiedensten  Nationalitäten,  werden  auf 
ihre  heimatliche  Approbation  hin  ohne  Weiteres  zur  Praxis  zugelassen, 
haben  aber  nur  zum  geringsten  Theile  eine  unsren  Anforderungen  ent- 
sprechende spezialärztliche    Vorbildung  hinter  sich.     Gar   viele   haben  ihr 


1)  C.  El.  f.  A.  1913,  S.  160.     Deutsche  medizin.  Wochenschr  1913. 

2)  Unter  11200000  Einwohnern  waren  148000  Blinde   und  363000  Einäugige. 
(Also  135  Blinde  auf  10  000  Einwohner,  —  in  Preußen  [1895]  6,7:10  000.) 

Handbuch  der  Augenheilkunde.    2.  Aufl.    ,X1V.  Bd.  (VII.)    XXUL  Kap.  26 


4Q2  XXIIl.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

Doktor-Diplom  binnen  wenigen  Jahren  in  Beirut,  Argentinien  oder  einem  der 
zahllosen  nordamerikanischen  »Colleges«  erworben,  dann  3 — 6  Monate  als 
Volontäre  in  einer  europäischen  Universitäts- Augenklinik  zugesehen,  und 
wagen  sich  gleich  an  Star-Operationen  und  Glaukom-Iridektomieen  heran, 
wenn  —  sie  die  Diagnose  richtig  gestellt  haben.  Das  schon  an  und  für 
sich  bei  dem  Orientalen  vorhandene  Mißtrauen  gegen  den  Ärztestand  wird 
durch  die  Unwissenheit  vieler  seiner  Vertreter  noch  gesteigert,  zumal  bei 
manchen  auch  noch  schnöde  Gewinnsucht  zu  durchaus  verwerflichen  Hand- 
lungen zu  führen  pflegt. 

Private  Augenkliniken  in  unsrem  Sinne  giebt  es  in  Ägypten  noch  nicht: 
die  vielen  Lid-Operationen  werden  ambulant  ausgeführt,  innere  Augen-Opera- 
tionen in  den  Hospitälern,  deren  jede  Nationalität  jetzt  in  Kairo  und  Alexan- 
drien  eines  besitzt;  die  schönsten  sind  die  beiden  deutschen.  In  den  Provinz- 
Städten  giebt  es  kleine  hübsch  eingerichtete  Regierungs- Hospitäler,  ferner 
mehrere  amerikariische  Missions-Krankenhäuscr;  die  mohammedanischen 
AVakf-Verwaltungen  (Güter  der  Toten  Hand)  besitzen  und  unterhalten  weit 
weniger  sauber  eine  Reihe  von  Hospitälern  und  Polikliniken,  in  denen  zahl- 
reiche Augenkranke  von  Nichtspezialisten  behandelt  werden.  Die  einzige 
Augenpoliklinik  der  Wakfs  ist  die  im  alten  Muristan  Oalaün  in  den  70  er 
Jahren  begründete;  ein  Neubau  von  durchaus  ungenügenden  Dimensionen 
wurde  seit  1907  errichtet,  aber  aus  orientalischem  Schlendrian  bis  1914 
wegen  Unvollständigkeit  der  Einrichtung  noch  nicht  bezogen.  Die  Menge  der 
daselbst  behandelten  Fälle  betrug  bis  50  000  im  Jahr;  docli  war  die  Zahl 
und  die  Vorbildung  der  dort  arbeitenden  Ärzte  ganz  unzureichend  für  einen 
Massen-Andrang  meist  schwerer  Augenfälle.  Auch  die  Augen-Poliklinik  des 
deutschen  Krankenhauses  in  Kairo  litt  an  demselben  Übelstand;  ein  koptischer 
Arzt  ist  dort  der  Leiter. 

Die  staatliche  Bekämpfung  der  Augenkrankheiten  beschränkte  sidi  bis 
1903  auf  die  Klinik  und  Poliklinik  in  der  Medizin- Schule,  die  sich  noch 
immer  in  den  alten,  längst  unzureichenden  Gebäuden  von  Qasr  el- Aini  be- 
findet. Zu  Ismail -Pascha's  Zeiten  unter  eingeborner  Leitung  stehend, 
wurde  sie  noch  eine  Zeitlang  nach  der  englischen  Besetzung  (1882)  von 
MoHAMMBD  Emi-Bey,  einem  Schüler  von  Gayet  in  Lyon,  dirigiert,  der  zu- 
gleich auch  eine,  wenn  auch  oberflächliche  Überwachung  der  Augenkrank- 
heiten in  den  Schulen  einführte.  Mit  dem  Eindringen  des  englischen  Ele- 
ments in  die  ägyptischen  Verwaltungen  kam  auch  die  Medizin-Schule  ganz 
in  englische  Hände  i);  die  Augenklinik  wurde  zuerst  von  Kbnneth  Scott, 
dann  seit  1900  von  E.  G.  Fischer,  einem  ehemaligen  Assistenten  von  Moor- 
field's  Royal  Ophthalmie  Hospital  in  London,  geleitet.    Die  Bettenzahl  wurde 


1)  Bis  1914  wirkten  noch  vier  deutsche  Professoren  an  der  Schule:  Der  be- 
kannte Parasitologe  A.  Looss,  der  Chemiker  W.  A.  Schmidt,  der  Bakteriologe  H.  Bittei^ 
und  der  Pharmakologe  0.  Dinkler. 


Die  augenSrztl.  Verhältnisse  in  Ägypten  während  des  (9.  Jahrli.  4O0 

allmählioh  von  ^0  auf  70  gesteigert,  die  Ambulanz  ist  stark  besucht.  Dor 
LtMtor  hält  wöchentlich  i — 2  theoretische  Vorlosungen;  außerdem  muß 
jeder  Student  3  Monate  in  der  Klinik  fauuiliren.  lernt  praktisch  von  d«>n 
eiogobornen  Assistonton,  und  wird  auch  in  der  Vornahme  von  augenärzt- 
lichen Eingriffen,  besonders  der  für  Ägypten  so  wichtigen  Iridektomien 
und  Trichiasis-Operationen  unterwies(Mi.  Die  Unterrichts-Sprache,  frühin- 
französisch,  ist  jetzt  durchweg  (>nglisch.  Ein  großes  Ilinderniß  ist  die  un- 
genügende Schulvorbildung  der  Ägypter,  die  es  ihnen  unmöglich  macht, 
einem  auf  europäischem  Hochschulstand  vortragenden  Lehrer  zu  folgen: 
mit  16  Jahren  hat  der  junge  Ägypter  die  Mittelschulbildung  der  vsecondary 
school«  hinter  sich,  mit  iO  ,lahren  besteht  er  sein  Staats-Examen.  Die  Be- 
güterten gehen  neuerdings  hinterher  nach  Paris  oder  l-ondon  zur  Forlbil- 
dung; einige  besonders  Hegabte  werden  auf  Staatskosten  in  Londoner  Ho- 
spitälern weitergebildet. 

Seit  1 903  hat  A.  F.  Mac  Callan,  gleichfalls  ein  Schüler  der  Moorfieldschen 
.\ugenklinik.  auf  drund  der  oben  genannten  Ernkst  CASSEi.-Stiflung  die  staat- 
liche Bekämpfung  der  Augenkrankheiten  in  den  Provinzen  Ägyptens  in  die 
Wege  geleitet.  Er  fand  dabei  wenig  Unterstützung  von  oben,  wußte  aber 
durch  Wort  und  Schrift  naeh  und  nach  den  Leiter  des  Sanitätswesens,  den 
Minister  des  Innern,  den  jeweiligen  englisehen  Bevollmächtigten  für  sein  ^\'erk 
zu  interessieren,  6\r  Provinz-Behörden  und  die  reichen  tlroßgrundbesitzer  zur 
Bewilligung  bedeutender  Summen  zu  veranlassen.  Mit  großem  organisa- 
torischen ticschick  hat  er  außer  den  anfangs  geschatTenen  fliegenden  Augen- 
hospilälern  bis  Ii)l4  sechs  feste  und  zwei  lliegende  Hospitäler  in  den  Pro- 
vinzen zu  schaffen  gewußt.  Die  größten  und  schönsten  befinden  sich  in  der 
unterägyptischen  Stadt  Tanta  und  dem  oberägyplischen  .\ssiiit.  Vier  »Inspek- 
toren*, drei  Engländer,  ein  .\gypter,  beaufsichtigen  je  3 — 4  Hospitäler, 
führen  die  schwierigsten  Operationen  aus  und  bilden  eingeborne  Assistenten 
heran.  Sprache  und  Schriftverkehr  ist  durchweg  englisch.  Die  älteren 
Assistenten  werden  Chefärzte  von  Hospitälern.  Die  beabsichtigten  wissen- 
schafthchen  Kurse  waren  bis  1914  noch  nicht  eröffnet.  Immerhin  ist  die 
praktische  Unterweisung  in  Erkennung  und  Behandlung  der  wichtigsten 
Augenkrankheiten  für  die  jungen  Arzte  von  großem  Wert.  M.\c  Call  an 
selbst  ist  das  ganze  .lahr  unermüdlich  auf  Reisen  zwischen  den  vielen 
Augenkliniken  und  ertheilt  theoretischen  und  praktischen  Unterricht.  Die 
Zahl  der  in  diesen  Anstalten  untersuchten  und  behandelten  Augenkranken 
ist  enorm.  Sie  belief  sich  nach  Mac  Cali.ans  Miltheilungen  (in  der  ägypt. 
augenärztl.  Gesellschaft  März  1 9 1 4)  i  91 3  auf  fast  1 50  000,  von  denen  allerdings 
nur  der  dritte  Theil  regelmäßig  behandelt  werden  konnte.  Über  30  000  Opera- 
tionen wurden  im  Laufe  des  Jahres  ausgeführt,  davon  H  000  Trichiasis- 
operationen!  Zur  Vornahme  der  Glaukom-Operation  kommen  die  Patienten 
jmeistens  zu  spät  zur  Beobachtung;    1910  z.  B.  war  von  300  Glaukomkrankeii 


404  XXIII.  Hirschberg,  Die  außer-europäischen  Länder. 

nur  einer  noch  operationsfähig;  alle  andren  hatten  unter  Schmerzen  die 
»Reife  des  Stars«  abgewartet.  Die  Blinden- Ziffer  unter  den  Kranken  der 
staatlichen  Augenhospitäler  betrug  in  den  letzten  Jahren  regelmäßig  15  bis 
16%.  Star-Operationen  sind  verhältnißmäßig  nicht  häufig,  da  die  Ägypter 
oft  schon  in  früherem  Alter  an  andren  Krankheiten  erblinden;  die  Resultate 
sind  bei  entsprechender  Vorsicht  trotz  der  stets  vorhandenen  Komplikation 
mit  Trachom  gar  nicht  so  schlecht.  Die  Iridektomie  ist  wegen  der  vielen 
Weißflecke,  Hornhauttrübungen  und  Glaukome  die  häufigste  Operation  am 
Augapfel;  seit  1909  ist  die  Operation  von  Lagrange,  seit  1911  die  von 
Elliot   von   einer  Anzahl  von   Augenärzten    in  Ägypten  ausgeübt  worden. 

Das  europäische  und  das  griechische  Krankenhaus  in  Alexandrien  haben 
je  eine  Augen-Abtheilung  und  -Poliklinik,  in  welcher  europäische  Assisteiifen 
von  Dr.  A.  Osborne,  Demetriadis  und  Jacovidis  ausgebildet  werden. 

Die  Überwachung  der  Augen  der  Schulkinder  erfolgt  in  den  höheren 
Regierungsschulen  durch  nichtspezialistisch  ausgebildete  Schulärzte  unter 
Leitung  von  Dr.  Mohammed  TALAAT-Bey.  Den  Eltern  der  krank  befundenen 
Kinder  wird  aufgegeben,  sie  bis  zur  Heilung  von  einem  Augenarzt  behan- 
deln zu  lassen.  Unter  »Heilung«  wird  aber  bei  den  chronischen  Trachomen 
nur  das  Aufhören  der  Absonderung  verstanden.  In  den  niederen  Schulen, 
soweit  sie  nicht  in  der  Nähe  von  MacGallan's  staatlichen  Augenkliniken 
liegen,  geschieht  noch  gar  nichts. 

So  ist  in  y\gypten  die  staatliche  Bekämpfung  der  Augenkrankheiten 
noch  in  den  Anfängen.  Die  vornehmliche  Sorge  Englands  für  die  wirtschaft- 
liche Entwicklung  des  Nil-Landes,  der  Finanzkrach  von  1907  u.  a.  haben 
den  Fortschritt  wesentlich  verlangsamt.  Vorläufig  hat  der  Augenarzt  in 
Ägypten  durch  Massen-Operationen  von  Trichiasis  und  Hornhautflecken  das 
geschehene  Unheil  in  bescheidenen  Grenzen  wieder  gutzumachen;  es  wird 
noch  mindestens  ein  Jahrhundert  vergehen,  ehe  er  durch  frühzeitige  Be- 
handlung des  Trachoms  und  des  Eiterflusses  in  einer  aufgeklärteren  und 
reinlicheren  Bevölkerung  dahin  kommen  wird,  Blindheit  und  Schwachsich- 
tigkeit mit  einiger  Sicherheit  zu  verhüten. 


Kap.     VI: 


VII: 


VIII: 
IX: 


X: 
X: 

XI: 


Band  V,  3.  Abteilung. 

Die   Erkrankungen   des  Uvealtractus  und   des   Glaskörpers.    Prof.  Krntkmann  in 
Berlin.    Glaskörper.    Dr.  Hdns  Laufcer  in  Wien. 
(Bis  jetzt  trschienen:  Lieferang  135/137,  193/194.) 

Band  VI,  1.  Abteilung.    (Vergriffen.) 

Glaukom.  Gphthalmomalacie  (essentielle  Phthisis  bulbi).  Prof.  Sehmidt-RimpUr 
in  Halle  a/S.    (Lieferung  138/142  [Schluß].) 

Band  VI,  2.  Abteilung.    (Vergriffen.) 

Sympathische  Augenerkrankung.     Prof.  Schirmer.    (Lieferung  23/25  [Schluß].) 
Pathologie  und  Therapie  des  Linsensystems.  Prof.  von  Hess  in  München. 
(Lieferung  92/96  [Schluß].)    {.IX.  Kapitel  in  3.  Auflage  erschienen,  s.  dort.) 

Band  VII.    (A.  Vollständig.) 

A    Die  Krankheiten  der  Netzhaut.    Prof.  Leber  in  Heidelberg.    Lieferang  231/240, 
248/251,  252/254,  262/264,  2651267,  270/273  Bogen  1 15— 130  [Schluß]. 
B.  Die  Krankheiten  des  Sehnerven.    Prof.  £.  v.  Hippel  in  Gott  in  gen. 

Band  VIII,  I.Abteilung. 

Motilitätsstörungen  mit  einleitender  Darlegung  der  normalen  Augenbewegungen. 

i-Prof.  Alfred  Graefe  in  Weimar  (früher  in  Halle).  (Bis  jetzt  erschienen:  Lieferung  1/3. 
Nachtrag  I.  Die  Motilitätsstörungen  der  Augen  nach  dem  Stande  der  neuesten 
Forschungen.  Prof.  Bielschowsky  in  Leipzig.  (Bis  jetzt  erschienen  :  Lieferung  III,  183, 192.) 
NachtragH.  Ätiologie  und  pathologische  Anatomie  der  Augenmuskellähmungen. 
Prof.  Bernheimer  in  Innsbruck.    (Lieferung  39.     Schluß  in  41/47.) 

Band  VIII,  2.  Abteilung.    (Vergriffen.) 
Die  Refraktion  und  Akkommodation  des  menschlichen  Auges  und  ihre  Anomalien. 

Prof.  von  Hess  in  Miinchen.    (In  3.  Auflage  erschienen,  s.  dort.) 

Band  IX,  1.— 4.  Abteilung. 

Die  Krankheiten  der  Orbita,    Prof.  Birch- Hirschfeld  in  Königsberg  i.  Pr.    (Bis  jetzt 

erschienen:  Lieferung  112/114,  167/170,  268/269,  270/273  Bogen  41—44.)     Pulsierender 

Exophthalmus.     Dr.  Sattler  jun.  in  Königsberg  i.  Pr. 

Basedow'sche  Krankheit.    Prof.  Sattler  in  Leipzig. 

(Bis  jetzt  erschienen:  Lieferung  143/145,  146/147,  160/161,  196/197,  230.) 

Erkrankungen  der  Tränenorgane.     Prof.  W.  Stock  in  Jena. 

Erkrankungen   des  Auges  in  ihren  Beziehungen  zu  Erkrankungen  der  Nase  und 

deren  Nebenhöhlen,  sowie  zu  Erkrankungen  des  Gehörorganes.    Prof.  Eversbasch 

in  München.    (Lieferung  61/62  [Schluß].) 

Band  IX,  5.  Abteilung,  1 .  Teil.     (Vergriffen.) 

Verletzungen  des  Auges  mit  Berücksichtigung  der  Unfallversicherung.  I.  Prof. 
Wagenmann  in  Heidelberg.  (Lieferung  1 30/1 34,  178/182,  188/191.)  (In  3.  Auflage  tr- 
schienen, s.  dort.) 

Band  IX,  5.  Abteilung,  2.  Teil.     (Vollständig.) 

XVII-   Verletzungen  des  Auges  mit  Berücksichtigung  der  Unfallversicherung.   II.   Von 

Prof.  Wagenmann  in  Heidelberg.    (Lieferung  198/201,  211,  219/220,  225/227.) 

Band  X. 

XVIII:    Die  tierischen  Schmarotzer  des  Auges.    -iDr.  Kraemer  in  San  Diego. 
(Lieferung  9/11  [Schluß].) 
XIX:   Gesundheitspflege  des  Auges.    Dr. /l.  ficfc  in  Zürich.    {Lieferang  10/14  {Schluß].) 
XX:    Die  Blindheit.    Dr.  ^1.  Fick  in  Zürich.     (Lieferung  14  [Schluß].) 
XXI:  Vergleichende  Augenheilkunde.    Prof.  von  Schleich  in  Tübingen. 

Band  XI,  1.  Abteilung.    (Vergriffen.) 

XXII:  Beziehungen  der  Allgemeinleiden  und  Organerkrankungen  zu  Veränderungen 
und  Krankheiten  des  Sehorganes :  Erkrankungen  der  Atmungs-,  Kreislauf-, 
Verdauungs-,  Harn-  und  Geschlechtsorgane,  der  Haut  und  der  Bewegungsorgane, 
Konstitutionsanomalien,  erbliche  Augenkrankheiten  und  Infektionskrankheiten. 

Prof.  Groenouw  in  Breslau.  (Lieferang  26/28,  35/38,  40,  67,  81/83  [Schluß].)  (3.  Auf- 
lage im  Druck.) 

Band  XI,  2.  Abteilung.  A.  (Vergriffen.) 
XXII:  Beziehungen  der  Allgemeinleiden  und  Organerkrankungen  zu  Veränderungen 
und  Krankheiten  des  Sehorganes:  Die  Augenstörungen  bei  Vergiftungen,  Er- 
krankungen des  Rückenmarks,  der  Medulla  Oblongata,  des  Pons,  des  vierten 
Ventrikels,  der  Hirnschenkel,  der  Vierhügel,  der  Zirbeldrüse  (Glandula  Pineali«) 
und  der  Hirnhäute.  Prof.  Uhthoff  in  Breslau.  (Lieferung  32/34,  68/71,  105/108, 
116/118,  [Schluß].) 

Band  XI,  2.  Abteilung.    B.     (Vollständig.) 

XXII:  Beziehungen  der  Allgemeinleiden  und  Organerkrankungen  zu  Veränderungen 
und  Krankheiten  des  Sehorganes:  Augenveränderungen  bei  den  Erkrankungeii 
des  Gehirns.    Prof.  t//it/!0# in  Breslau.   (Lieferung  205/210,228/229,  255/258  [Schluß].) 

Band  XII.    (Anastatischer  Neudruck.)    (Vollständig.) 
XXHI:   Ge.chichte  der  Augenheilkunde  l.ErstesBuch:  Geschichte  der  Augenheilkunde 
im  Altertum.    Prof.  Hirschberg  in  Berlin.     (Lieferung  4/9  [Schluß].) 

Fortsetzung  auf  der  vierten  Seite  des  Umschlag« 


XII: 


XIH: 


XIV: 


XV: 
XVI; 


XVII: 


Band  XIII.    {Vergriffen.  Neue  Auflage  im  Druck.) 

Kap. XXIII:  Geschichte  der  Augenheilkunde  2.    Zweites  Buch:  Geschichte  der  AugenheiW 
künde  im  Mittelalter.  .     .    .    j        ...  ^    ,   „.      , , 

1.  Teil:   Geschichte   der  Augenheilkunde  bei   den  Arabern.     ProL  Hirschberg  in 
'  Berlin.    (Lieferung  97/99  ISchlußl.) 

2.  Teil:    Geschichte   der   Augenheilkunde   im   Europäischen   Mittelalter.    Prof. 
Hirschberg  in  Berlin.     (Lieferung  109/110  [SchlußJ.) 

Drittes  Buch:  Die  Augenheilkunde  in  der  Neuzeit. 
1   Toil:  Die  Augenheilkunde  im   XVI.  und   XVH.  Jahrhundert.    Prof.  Hirschberg 

in  Berlin.     (Lieferung  1091110.) 
2.  Teil:  Die  Wiedergeburt  der  Augenheilkunde  im  XVIII.  Jahrhundert. 

I.Abschnitt:  Der  Kamof  um  den  Star. 

2.  Abschnitt:  Die  Pupillen-Bildung. 

3.  Abschnitt:  Die  Star-Ausziehung. 

Frof.  Hirschberg  in  Berlin.    (Lieferung  122/125  [Schluß].) 

Band  XIV,  !.  {Vollständig.) 

XXIII:    Geschichte  der  Augenheilkunde  3.     Drittes  Buch  {l  ortsctzung):  Die  Augenheil- 

"  künde  in  der  Neuzeit.  ...    ... 

4.  Abschnitt:  Die  vornehmlichsten  Augenärzte  und  Pfleger  der  Augenheilkunde 

im  XVIII.  Jahrhundert  und  ihre  Schriften. 
5   Abschnitt:  Der  neue  Kanon  der  Augenheilkunde  um  die  Jahrhundertwende. 

6.  Abschnitt:  Fortschritte  der  theoretischen  Augenheilliunde  und   ihrer  Hilfs- 
wissenschaft im  XVIII.  Jahrhundert. 

7.  Abschnitt:  Die  Augenheilkunde  in  der  ersten  Hälfte  des  XIX.  Jahrhunderts. 
Österreich.    Prof.  Hirschberg  in  Berlin.    (Lieferang  171/175,  202/204.) 

Band  XIV,  2.  {Vollständig.) 

Geschichte  der  Augenheilkunde  4.  Drittes  Buch  (Forlsetzung):  Die  Augenheil- 
kunde in  der  Neuzeit.  . 

8.  Abschnitt:   Deutschlands  Augenärite  1800—1850.    Prof.  Hirschberg  in  Berlin. 
(Lieferung  213/218.) 

Band  XIV,  3.  {Vollständig.) 

Geschichte  der  Augenheilkunde  5.  Drittes  Buch  (Fortsetzung)^  Die  Augenheil- 
kunde in  der  Neuzeit.  9,  Abschnitt.  Frankreichs  Augenärzte  1800— 1850.  Prol. 
Hirschl^erg  \n  Berlin.     (Lieferung  221/224.) 

Band  XIV,  4.  {Vollständig.) 

XXIll-  Geschichte  der  Augenheilkunde  6.  Dri  t  tes  Buch  (Fortsetzung):  Die  Augenheil- 
kunde in  der  Neuzeit.  10.  Abschnitt.  Englands  Augenärzte  1800—1850.  Prof. 
Hirsc/i&crg- in  Berlin.    (Lieferung  241/247.) 

Band  XIV,  5.  {Vollständig.) 
XXIII-    Geschichte  der  Augenheilkunde  7.    Dri  Ites  Buch  (Fortsetzung):    Die  Augenheil- 
kunde in  der  Neuzeit.   11.  Abschnitt.    Italiens   Augenärzte  1800— J850.  (Lieferang 

255/258.)  _ 

{Vollständig.) 

XXIII-    Geschichte  der  Augenheilkunde  7.    Drittes  Buch  (Fortsetzung):  Die  Augenheil- 
Amerikas  Augenärzte  im  19.  Jahrhundert. 


XXIII: 


„    XXIII: 


xxin: 


XXIII: 
XXIIT: 


,    XXIV: 
Anhang: 


Band  XIV,  6. 

Geschichte  der  Augenheilkunde  7. 
künde  in  der  Neuzeit.    12.  Abschnitt. 
(Lieferung  259/261.) 

B&nd  X\V,1.  {Vollständig.) 

Geschichte  der  Augenheilkunde  8.  Drittes  Buch  (Forlsetzung):  Die  Augenheil- 
kunde in  der  Neuzeit.  13.  Abschnitt.  Die  Augenärzte  der  Schweiz.  14.  Abschnitt. 
Die  Augenärzte  Belgiens.  1-5.  Abschaitt.  Niederländische  Augenärzte,  1800 
bis  1875  IG  Abschnitt.  Die  Skandinavischen  Augenärzte,  1800  bis  1875.  17.  Ab- 
schniit  Die  Augenärzte  Rußlands,  1800  bis  1875.  18.  Ab.schuitl.  Polnische 
Augenärzte  im  19.  Jahrhundert.  10.  bis  2.1.  Abschnitt.  Die  Augenärzte  in  der 
Iberischen-  und  der  Balkan-Halbinsel,  sowie  in  den  außereuropäischen  Ländern 
während  des  19.  Jahrhunderts.    (Lieferung  274/283.) 

Band  XV,  1.    {Vollständig.) 
Geschichte  der  Augenheilkunde  9/10.  Die  Reform  der  Augenheilkunde.  Teil  1  u.  2. 
(Lieferang  284/307.)  ^^^^    ^vj  2. 

Geschichte  der  Augenheilkunde.  Anhangt.  EntJvicklungsgeschichte  der  augen- 
ärztlichen Kunst-Ausdrücke.  Anhang  2.  Zeittafel.  Anhang  3.  Zusätze  und  Ver- 
besserungen.   Anhang  4.    Namen-  und  Sachregister.    {Lieferang  308/315.) 

In  Vorbereitung: 
Abriß  einer  Geographie  der  Augenkrankheiten.    Prof.  Hirschberg  in  Berlin. 
Die  Brille  als  optisches  Instrument.    Dr.  von  Rohr  in  Jena.    (Erschienen.) 


Kap 


In  3.  Auflage  sind  erschienen: 

Erster  Teil. 
VIII:    Entwicklungsgeschichte    des    menschlichen    Auges.      Prof.    Nussbaum   in    Bonn. 
VI  u.  104  Seiten.    Preis:  Geh.  Jl  3.60,  in  Halbfrz.  geb.  M  6.10. 
X:    Organologie  des  Auges.   Prof.  PUtter  in  Bonn.    VII  u.  424  Seiten.    Preis:  Geh.  JK  16.— 
in  Halbfrz.  geb.  M  18.50. 

Zweiter  Teil. 
IX:   Pathologie  und  Therapie  des  Linsensystems.    Prof.  von  Hess  in  München.    XII  u. 

429  Seiten.  Preis:  Geh.  .«  14.—,  in  Halbfrz.  geb.  M  16.50. 
XII :  Die  Refraktion  und  Akkommodation  des  menschlichen  Auges  und  ihre  Anomalien. 
Prof.vonHess  in  München.  IX  u.  618  Seiten.  Preis:  Geh.  Jl  18.— ,  in  Halbfrz.  geb. .«  20.50. 
XVII:  Verletzungen  des  Auges  mit  Berücksichtigung  der  Unfallversicherung.  I.  Band. 
Prof.  Wagenmann  in  Heidelberg.  XII  u.  889  Seiten.  Preis:  Geh.  JK  28.—,  m  Halbfrz. 
geb.  jH  31.—. 


Druck  Ton  Breitkopf  &  Härtel  in  Leipzig. 


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